Bibliothek 25. 2001. Nr. 1
Gradmann/Hol/Wesseling – Auf dem Weg zum „Semantic Web“
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Anschrift der Autoren: Jay Jordan President of OCLC Online Computer Library Center 6565 Frantz Road Dublin/Ohio 43017-3395 U.S.A.
Prof. Dr. Elmar Mittler Direktor der Niedersächsischen Staatsund Universitätsbibliothek D-37070 Göttingen
Stefan Gradmann/Ron Hol/Michel G. Wesseling
Auf dem Weg zum „Semantic Web“ Perspektiven der Verbundarbeit aus der Sicht von Pica
Ausgehend von bestehenden Verbundmodellen sowie den dabei maßgeblichen Akteuren und Diensten stellt der Beitrag Entwicklungsperspektiven von Verbünden im Kontext WWW-basierter Informationsdienste dar. Dabei werden im ersten Teil Fragen formuliert, die im zweiten Teil unter Hinweis auf die für die Weiterentwicklung von Verbundmodellen maßgeblichen technischen Entwicklungen beantwortet werden. Der zunehmenden wechselseitigen Transparenz von bibliothekarischen Kooperationsmodellen und WWW-Diensten kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Building the Semantic Web
Starting from an overview of existing models of library networks and of the main actors involved, the contribution outlines evolution prospects of such networks within the context of emerging WWW-based information services. Specific emphasis is put on the technical development issues likely to be relevant for the evolution of networked library services. Making library services and generic WWW-services transparent for each other appears to be a key issue in that respect. En route vers la „toile sémantique“
Prenant comme point de départ une typologie des réseaux bibliothécaires existants et des principaux acteurs, l’article dessine quelques perspectives d’évolution de ces structures dans le contexte des services d’information WWW en général et surtout en ce qui concerne les lignes d’évolution technique qui seront d’une pertinence croissante pour l’évolution des réseaux bibliothécaires. Un maximum de transparence mutuelle des services génériques WWW et des ser-
vices bibliothécaires apparaît comme un facteur essentiel à cet égard.
Inhalt 1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5
Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Warum Verbünde? . . . . . . . . . . . . . . Verbundmodelle (wie?) . . . . . . . . . . . . Akteure (wer?) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dienste (zu welchem Zweck?) . . . . . . . . … und ein neuer Kontext: der globale Informationsraum des WWW . . . . . . . . . 2 Antworten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Kontinuität ist vital: die Zukunft existierender Anwendungen und Dienste . . . . . . . . . 2.2 Ressourcen schaffen für den Wandel: die Kooperation mit OCLC . . . . . . . . . .
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2.3 Evolution und Migration in den InfoSpace . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Verbünde: Kooperation im doppelten Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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„None of us is as smart as all of us“ (Motto des 7. Dublin Core Workshop) Der vorliegende Beitrag unternimmt den Versuch, den gegenwärtigen Stand der Verbundarbeit und einige wesentliche, den praktizierten Konzepten zugrunde liegende Arbeitsprinzipien darzustellen. In der Folge wird die Sicht erweitert auf den Kontext (im Sinne der in der Informationsverarbeitung maßgeblichen Paradigmata), in dem Bibliotheken und Verbünde sich jetzt und in der Zukunft bewegen, und aus dem wesentlich gewandelte,
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ja selbst völlig neue Anforderungen an Bibliotheken und Verbünde heran getragen werden. Ein erster Teil formuliert einige der wesentlichen Fragen, mit denen Betreiber und Teilnehmer von Bibliotheksverbünden heute konfrontiert sind. Ein zweiter, umfangreicherer – Teil stellt einige der Antworten und Lösungen dar, die Pica mit Blick auf die zuvor erläuterten Fragen anbieten kann hat bzw. an denen wir derzeit arbeiten. Nicht nur behandelt der Beitrag „Perspektiven“, er ist auch selbst aus der spezifischen Perspektive Picas verfaßt, die daher zum besseren Verständnis des restlichen Beitrags kurz skizziert werden soll. Nach den “Perspektiven der Verbundarbeit“ befragt, dürften Lieferanten von Verbundsoftware auf der einen und Betreiber von Verbünden auf der anderen Seite in der Regel wohl deutlich verschiedene Antworten geben: dies liegt in den jeweils unterschiedlichen Interessenlagen begründet. Die Sichtweise Picas hingegen vereint beide Positionen. Pica ist zum einen Betreiber des niederländischen Katalogisierungs- und Fernleihverbundes mit mehreren hundert Teilnehmerbibliotheken. Pica ist aber auch Entwickler und Vertreiber funktionaler Lösungen für die Verbundarbeit (und für die lokale Bibliotheksautomation) und setzt diese Lösungen im eigenen Verbund ein, macht sie aber auch externen Partnern – darunter die Pica-Verbünde in Deutschland und Frankreich – verfügbar. Die Integration dieser beiden Perspektiven ist ein entscheidendes Charakteristikum unserer Sichtweise, da beide Aspekte ständig zusammen gesehen werden und partikulare Antworten aus der einen oder der anderen Perspektive damit von vorne herein auf ein internes Korrektiv treffen.
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Fragen
1.1
Warum Verbünde?
Die derzeit in Deutschland und weltweit existierenden Bibliotheksverbünde basieren mit ganz wenigen Ausnahmen im Kern noch immer auf Konzepten der siebziger Jahre. Technisch und funktional sind die Verbünde noch stets um einen Verfahrenskern der kooperativen Erschließung (Katalogisierung und Sacherschließung) herum organisiert, der im Verlaufe der Jahre funktional erweitert wurde (insbesondere um Dienste für Fernleihe und Dokumentlieferung) und der, technisch besehen, inzwischen weitgehend von den Großrechnerarchitekturen der siebziger Jahre zu Client-Server-Ansätzen migriert ist, der aber hinsichtlich seiner grundsätzlichen Arbeitsweise wenig Veränderungen unterworfen war. Vor diesem Hintergrund liegt beim Gedanken an Perspektiven die naive Frage vielleicht nahe, welche Berechtigung bibliothekarische Verbundstrukturen denn überhaupt noch haben. Handelt es sich nicht um überkommene, schwerfällige und nicht mehr zeitgemäße Instrumente, deren Pflege und technische Weiterentwicklung zudem ganz erhebliche Mittel verschlingt, die vielleicht anders besser angelegt wären? Und weiter: brauchen die Akteure der sich rapide formierenden „globalen Wissensgesellschaft“ auf Dauer überhaupt noch Bibliotheken, von Verbünden derselben gar nicht zu reden? Schließlich: ist nicht das WWW selbst schon eine gigantische weltweite High-
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Tech-Bibliothek und damit die Frage nach „Perspektiven der Verbundarbeit“ völlig obsolet? Auch wenn weiter unten deutlich werden wird, daß (viel gestellte) Fragen dieser Art nicht völlig unberechtigt sind, stehen ihnen doch entscheidende Argumente gegenüber und sind sie im Kern unbegründet. Gerade in Zeiten immer weiter gehender Verknappung von Haushaltsressourcen sind Bibliotheken mehr denn je auf Kooperation, auf Nutzung aller greifbaren Synergiepotentiale angewiesen. Und auch wenn man hinsichtlich der Zweckmäßigkeit der noch gängigen Katalogisierungspraxis in Bibliotheken manchen berechtigten Zweifel anmelden mag, so wird sich diese Situation wohl nur mit und in den Verbünden neu gestalten lassen, und jedenfalls nicht sinnvollerweise ohne oder gar gegen sie. Und schließlich wird es mit großer Wahrscheinlichkeit noch sehr lange Bibliotheken geben – oder zumindest Einrichtungen, die diesen Namen tragen, auch wenn vieles in diesen Einrichtungen schon in naher Zukunft radikal verändert sein dürfte, und diese Einrichtungen werden unverändert auf Kooperationsstrukturen angewiesen sein, auch wenn man sich zu Recht fragen mag, welche Kooperationsformen zweckmäßig sind. Bei der Frage nach den „Perspektiven der Verbundarbeit“ geht es also nicht so sehr um das ob, sondern um das wie (Kooperationsformen), das wer (Akteure) und das warum (was wird mit Bibliotheksverbünden bezweckt?). Diesen Teilfragen wird im folgenden nachzugehen sein.
1.2
Verbundmodelle (wie?)
Traditionell ließen sich die Bibliotheksverbünde bis vor wenigen Jahren in zwei Typen von Kooperationsstrukturen einteilen, inzwischen ist ein dritter Ansatz hinzugekommen. Die hier entwickelte Typologie stellt notwendigerweise eine Vereinfachung dar und ist – wie jede Simplifizierung – angreifbar: sie kann dennoch nützlich sein, solange man sich darüber im Klaren ist, daß es sich nicht um klar geschiedene und eindeutig alternative Ansätze handelt, sondern daß Mischformen häufig und sogar eher die Regel sind.
1.2.1 Copy Cataloguing Ein vor allem im angelsächsischen Kontext bis heute viel praktiziertes Verfahren ist „Copy Cataloguing“ (auch „derived cataloguing“), die Nutzung gemeinsamer Fremddatenquellen für bibliographische Ressourcen mit dem Ziel der Ableitung lokaler Derivate. Viel praktiziert wird dieses Modell vor allem von kanadischen und australischen Bibliotheken, die vorwiegend nationalbibliographische Nachweise als eine Art gigantischen Steinbruch nutzen, aus dem bibliographische Datensätze abgerufen und in die jeweiligen lokalen Systeme übertragen werden. Dabei wird in seltenen Fällen auch die genutzte gemeinsame Datenquelle angereichert, der Hauptaspekt liegt jedoch bei der Nachnutzung dieser Quelle und dem Anreichern der kopierten bibliographischen Informationen für lokale Zwecke, etwa um Exemplardaten mit Erwerbungs- und Verfügbarkeitsinformationen, aber auch um bibliographische Zusatzinformationen. Der gemeinsame Verfahrenskern ist minimal, der Grad der lokalen Autonomie erheblich, ebenso allerdings wie der Redundanzgrad in der Gesamtsicht aller
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Teilnehmerbibliotheken. Ein gemeinsamer Verfügbarkeitsnachweis existiert in diesem Modell nicht.
1.2.2 Shared Cataloguing Der zweite traditionell maßgebliche Ansatz ist die kooperative Verbundkatalogisierung, „shared cataloguing“ oder auch „union cataloguing“ in der angelsächsischen Terminologie. Gute Beispiele für dieses Modell sind die Pica-Verbünde in den Niederlanden, in Deutschland und in Frankreich oder auch die OCLC Regionalverbünde in den USA. Der Schwerpunkt liegt hier bei der gemeinsamen Erschließungsarbeit der Teilnehmer in einer gemeinsamen bibliographischen Datenbank, die auch einen mehr oder minder großen Teil der Exemplarinformationen enthält, zumindest was die globalen Verfügbarkeitsinformationen angeht. Dieser Ansatz wird ergänzt um Verfahren für den Transfer bibliographischer und exemplargebundener Informationen in die jeweiligen Lokalsysteme, primär findet die Arbeit jedoch in der gemeinsam genutzten Datenbank statt – dementsprechend ist der Grad der lokalen Autonomie deutlich geringer, ebenso wie (zumindest dem Anspruch nach) der bibliographische Redundanzgrad: idealiter existiert in einem solchen System für jedes Objekt genau ein beschreibender Datensatz. Die gemeinsame Verbunddatenbank als Herzstück dieses Ansatzes ist zugleich Basis für Fernleih- und Dokumentlieferdienste.
1.2.3 Verteilte Modelle (virtual approach) Spätestens mit dem Aufbau des Kooperativen Bibliotheksverbundes Berlin-Brandenburg (KOBV) ist eine dritte „lose“ Verbundstruktur hinzugekommen: die Katalogisierungsarbeit findet in diesem Ansatz primär – oder sogar ausschließlich – in lokalen Datenbanken der Teilnehmerbibliotheken statt, auch wenn diese (in einer Variante des copy-cataloguing) gemeinsam externe bibliographische Datenquellen nutzen. Bibliographische Informationen sind in diesem Ansatz jedoch ausschließlich in den lokalen Teilnehmersystemen verfügbar und somit verteilt, eine gemeinsame Nachweisdatenbank und eine Verbundzentrale im früheren Sinne existiert nicht: das Gesamtsystem funktioniert als virtuelles Nachweissystem, in dem die verteilten Informationsressourcen dynamisch durch eine gemeinsame Suchmaschine aggregiert und zugänglich gemacht werden. Der lokale Autonomiegrad ist sehr hoch, der Redundanzgrad ebenfalls, letzterem wird jedoch durch hohe Gewichtung von Online-Verfahren für dynamische Doublettenbereinigung in Ergebnismengen der gemeinsamen Suchmaschinenfunktion zu begegnen versucht.
1.3
Akteure (wer?)
Traditionell waren – und sind – Bibliotheksverbünde Kooperationsstrukturen von und für Bibliotheken, funktional geprägt von genuin bibliothekarischen Anforderungen (insbesondere, was die regelwerksorientierte Katalogisierungstechnik angeht) und sind erst später um endbenutzerorientierte Dienste erweitert worden. Historischer Kern der Verbundansätze sind Verfahren für die interne Bibliotheksautomation und die Nutzung von Synergien im bibliothekarischen Tätigkeitsfeld. Prägend für diese Ansätze also sind und bleiben Bibliotheken.
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1.3.1 „Bibliotheken“ und „Bibliothekare“: was heißt das in der Zukunft? Dementsprechend ist eine der Grundfragen bei der Bestimmung von „Perspektiven der Verbundarbeit“ diejenige nach der Zukunft von Bibliotheken (und Bibliothekaren). Die folgenden, sehr pointiert formulierten Alternativen sind dabei auch für die zukünftige Standortbestimmung von Verbundansätzen maßgeblich: – Werden Bibliotheken im heutigen Sinn schlicht museal und verlaufen die wesentlichen Kommunikationsstränge der Informationsgewinnung- und -verarbeitung zunehmend an Bibliotheken vorbei (und werden damit die Verbünde selbst zu Nachweisinstrumenten musealer Bestände, die, selbst wenn sie mit Internet-Techniken realisiert sind, letztlich doch nur Museumsportale sein werden)? – Oder wandeln sich Bibliotheken zu gigantischen Linksammlungen mit Portalfunktion, in denen der Begriff „Bibliotheksbestand“ soweit zugunsten einer Gatewayfunktion aufgegeben ist, daß auch Verbünde solcher Institutionen im bisher gekannten Sinn kaum mehr erkennbare Funktionen haben? – Oder gelingt es schließlich, die beiden erstgenannten Alternativen in überzeugenden Mischkonzepten zu vereinen, die im Sinne des „hybrid library“-Gedankens dazu führen, daß Institutionen mit der Bezeichnung „Bibliothek“ weiter existieren und eine zentrale Anlaufstelle für die wissenschaftliche Informationsorganisation darstellen (und was bedeutet die Herausbildung solcher Hybridstrukturen für die Gestaltung kooperativer Verbundverfahren)? Fragen dieser Art werden auch deshalb relevant, weil sich insbesondere beim Umgang mit primär elektronisch verfügbaren Inhalten die Profile anderer, bis dahin in klar voneinander geschiedenen Zusammenhängen agierender Akteure zu vermischen beginnen und klare Standortbestimmungen zunehmend schwer werden.
1.3.2 Informationsproduzenten Dies betrifft zum einen die Produzenten wissenschaftsbezogener Information: Autoren und Verlage sind mutatis mutandis mit ähnlichen Fragen konfrontiert, wie sie oben für Bibliotheken skizziert wurden. Für Autoren etwa werden zunehmend Publikationskanäle verfügbar, die ganz oder in Teilen außerhalb der klassischen Publikationskette angesiedelt sind (s. dazu mehr unter 1.5) und Verleger beginnen zunehmend aktiv im Bereich der Metadaten-Generierung tätig zu werden, lange Zeit eine Domäne der Bibliothekare (zumindest solange diese Aktivität schlicht als „Katalogisieren“ bezeichnet wurden): vgl. dazu die „Metadata Information Clearinghouse“ Initiative (MICI) der Association of American Publishers (http://publishers. org/home/press/mici.htm)
1.3.3 (End-)Benutzer Erwartungen und Ansprüche der Nutzer wissenschaftsbezogener Informationsdienste wandeln sich rapide – und sei es auch nur, weil für diese Gruppe zunehmend attraktive alternative Informations-Distributionskanäle verfügbar werden – s. auch dazu mehr unter 1.5 – so daß sie immer weniger selbstverständlich Restriktionen beim vermittelten Zugang zu Informationen akzeptieren
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werden, wenn diese Informationen an anderer Stelle ohne Vermittlungsrestriktionen verfügbar sind. Bibliotheken und Bibliotheksverbünde befinden sich mithin, was ihre ureigene Klientel angeht, unvermittelt in einer Konkurrenzsituation wieder, in der es nicht mehr nur darum geht, neue Informationsdienstleistungen für Benutzer anzubieten, sondern auch, diese so attraktiv zu gestalten, daß diese Benutzer tatsächlich Bibliotheksbenutzer bleiben.
1.4
Dienste (zu welchem Zweck?)
Es geht also bei der Bestimmung von „Perspektiven der Verbundarbeit“ auch – und letztlich – um die Frage, welche der traditionellen Dienste von Bibliotheken und Bibliotheksverbünden in der Zukunft hinreichend attraktiv und konkurrenzfähig gestaltet werden können, um überlebens- und entwicklungsfähig zu sein. Vier große Bereiche können dabei unterschieden werden.
1.4.1 Metadatenmanagement Die bestehenden Bibliotheksverbünde haben sich aus Ansätzen für die Katalogisierungskooperation entwikkelt: in dem Maße, wie die klassische Katalogisierungsarbeit zu einer Form der Metadatengenerierung unter vielen wird, stellt sich die Frage, welche Verfahren für die Generierung und das Management von Metadaten zukünftig noch sinnvollerweise von bibliotheksspezifischen Kooperationsstrukturen vorgehalten werden sollten.
1.4.2 Document delivery und Document access Zugang zu Dokumenten zu vermitteln bzw. auch Dokumente (etwa per Fernleihe) verfügbar zu machen ist in den vergangenen Jahren zu einem zweiten Standbein vieler Bibliotheksverbünde geworden: auch hier ist zu fragen, welche dieser Dienste in Zukunft hinreichend attraktiv und kostengünstig erbracht werden können, um etwa mit dem im WWW entstehenden Angebot konkurrieren oder dieses zumindest erfolgversprechend ergänzen zu können.
1.4.3 Resource acquisition Viele der jetzt und in Zukunft verfügbaren elektronischen Dokumentressourcen werden für isoliert agierende Bibliotheken schlicht nicht mehr zu bezahlen sein (und sind es auch heute schon nicht mehr). Eine wesentliche Frage also ist, wie Bibliotheken im Bereich der elektronischen Verlagspublikationen wirklich handlungsfähig werden können und wie sie gemeinsame Positionen aufbauen können, die sie zu einem ernstzunehmenden Verhandlungspartner für die Eigentümer elektronischer Inhalte machen.
1.4.4 Garbage-free information spaces Jeder Nutzer von WWW-basierten Informationsdiensten ist mit den spezifischen Schwächen und Unzulänglichkeiten des neuen Mediums vertraut: gigantischer ,recall‘ gepaart mit oft unzulänglicher ,precision‘ bei suchmaschinenbasierten Ansätzen, die mangelnde Transparenz der jeweils für die Relevanzbewertung eingesetz-
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ten Algorithmen, massiver Zeitverlust beim ,browsing‘ von Web-Ressourcen durch vielfach irreführende und irrelevante links, deren Existenz oft ausschließlich kommerziellen Interessen zu verdanken ist und die notorische Unzuverlässigkeit von WWW-Diensten im Sinne der nicht-garantierten Verfügbarkeit von Ressourcen sind Beispiele für solche Defizite. Die Beliebtheit von Diensten wie Yahoo! resultiert zum Gutteil aus der Tatsache, daß solche Dienste Zonen relativ gesicherter und weitgehend „müllfreier“ Information im Web schaffen, indem sie WWW-Informationen selektieren und in ihre eigene, weitgehend stabile Ontologie einordnen. Filtern, selektieren, klassifizieren, dauerhaft verfügbar machen von Information – das alles klingt in bibliothekarischen Ohren sehr vertraut. Es liegt daher nahe, eine zukünftige Rolle von Bibliotheken bei der Schaffung und Bewahrung solcher „garbage free information environments“ anzunehmen. Dennoch kann die langfristige Tragfähigkeit solcher Lösungen bezweifelt werden solange diese auf die bislang verfügbaren Arbeitstechniken angewiesen bleiben: intellektuelle Erschließungsarbeit (ob in Yahoo! oder ansonsten im Bibliotheksbereich) ist personalintensiv und birgt zudem immer die Gefahr subjektiver oder gar arbiträrer Entscheidungen in sich. Daher ist Yahoo! auch heute schon bewußt selektiv (eine vollständige Erschließung der Web-Inhalte auf dieser Basis wäre völlig unrealistisch) und wird es an Erschließungstiefe nie auch nur annähernd mit der Gesamtheit der im WWW verfügbaren Informationsquellen aufnehmen können. Die Frage lautet also: wie können Institutionen, die in der Schaffung von „müllfreien Informationszonen“ eine ihrer Hauptaufgaben sehen, instand gesetzt werden, sich dieser rein quantitativ enormen Aufgabe auch wirklich mit Aussicht auf Erfolg zu stellen?
1.5
… und ein neuer Kontext: der globale Informationsraum des WWW
Alle voranstehenden Überlegungen sind vor einem Hintergrund angesiedelt, der eine große Herausforderung (Chance? Bedrohung?) in gleicher Weise für Bibliotheken und Verbünde darstellt: mit der zunehmenden Omnipräsenz WWW-basierter Informationsressourcen verändern sich elementare Spielregeln, die bislang in der Publikations- und Rezeptionskette auch wissenschaftsbezogener Information fast selbstverständlich galten. Waren bislang Bibliotheken die Knotenpunkte des Informationsmanagements, so entstehen nun parallele und alternative Informationswelten, wie etwa elektronische Preprint-Services, in denen Bibliotheken nur noch ein Akteur unter vielen sind (gleiches gilt übrigens für Verleger). Zudem beginnen diese Informationswelten sich, zunächst noch zaghaft, von der Buchmetapher zu lösen: wenngleich die Analogien zur Bücherwelt der vergangenen Jahrhunderte auch im WWW derzeit noch allgegenwärtig sind, so ist doch zu erwarten, daß diese Formen der Informationsorganisation zunehmend eine eigen Sprache entwickeln und immer weniger selbstverständlich mit dem Vokabular der Gutenberg-Galaxis zu greifen sein werden. Es sei an dieser Stelle nur beispielhaft auf die Überlegungen zum Aufbau des „semantic web“ hingewiesen, wie sie derzeit im Umfeld des WWW
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Consortium angestellt werden (http://www.w3.org/DesignIssues/Semantic.html). Dieser Kontext nun produziert laufend neue Erwartungen, denen Bibliotheken und Bibliotheksverbünde nicht ohne weiteres gerecht werden können. So suggeriert etwa die dot.com-Welt derzeit zumindest die Illusion, Informationsdienstleistungen seien für sehr wenig Geld (oder typischerweise gar gratis) zu haben und damit einher geht die Vorstellung, Informationsprodukte seien in der Regel per Mausklick und damit spontan zugänglich: kostenpflichtige Dienste, die dann auch noch etwas mehr als jene berüchtigten fünf Mausklicks entfernt sind, werden es in diesem Umfeld schwer haben, wenn sie sich nicht mit überzeugenden „quality add-ons“ profilieren können. Und weiter: Bibliotheken werden, wenn sie in Zukunft Bezahlung für ihre Dienste erwarten, dafür sorgen müssen, daß dies zu den Bedingungen und mit den Techniken geschehen kann, die sich derzeit im Sinne von Verfahren für das Micro-Payment im WWW herausbilden. Und ähnliches gilt für Verfahren für die Authentifizierung etwa von Benutzern: konnten hier Bibliotheken bislang den Einsatz ihrer eigenen, proprietären, Ansätze erzwingen, so wird dies mittelfristig mit der Verfügbarkeit internetbasierter, globalisierbarer Verfahren (etwa auf Basis von Lightweight Directory Access Protocol) zunehmend schwer durchsetzbar sein. Wie schon oben angedeutet: Bibliotheken und Verbünde haben durchaus die Chance, ihre traditionellen Stärken und Qualitäten auch in diesem neuen Umfeld geltend zu machen und sich auf diese Weise Perspektiven zu erarbeiten, doch erfordert dies sehr viel Kreativität und Flexibilität. Erschwerend kommt dabei hinzu, daß – anders als in der neuen Welt der internet-startups – Bibliotheken und Verbünde nicht von einem Tag auf den anderen völlig neu aus dem Boden gestampft werden können, sondern vielmehr existierende Dienstleistungen kontinuierlich weiter erbringen müssen …
2
Antworten
Ich möchte im folgenden beispielhaft zeigen, welche Antworten auf die oben angeschnittenen Fragen aus der Sicht von Pica entweder schon gegeben werden können, oder was wir derzeit zur Beantwortung solcher Fragen für und mit unseren Bibliotheks- und Verbundpartnern tun. Zentrale Aspekte sind dabei die Entwicklung Picas selbst als Organisation, die Evolution unserer Produkte und Dienstleistungen, die Zukunft des Pica-Kooperationsmodells vor dem Hintergrund des oben angedeuteten Paradigmenwechsels und damit die Fähigkeit, neue technische Entwicklungen – als „innovator“ oder als „early adopter“ – in unser vorhandenes Dienstleistungsspektrum integrieren zu können
2.1
Kontinuität ist vital: die Zukunft existierender Anwendungen und Dienste
Ungeachtet aller zukünftigen technischen Herausforderungen werden Bibliotheken in ihrer heute bekannten Form noch eine ganze Zeitlang existieren, und diese Bibliotheken benötigen weiter diejenigen Services, die ihnen Verbünde heute schon bieten können. Auch wenn das Informationsumfeld des Internet fast chronisch von Technologiebrüchen gekennzeichnet ist, können diese
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Brüche sicher nicht ohne weiteres in die Bibliothekswelt übertragen werden, ohne gewachsene Funktionalität ersatzlos preiszugeben. Infolgedessen investiert Pica weiter in erheblichem Ausmaß in die technische Konsolidierung und die funktionale Fortentwicklung des bestehenden Verbundanwendung, diese geschieht jedoch mit besonderem Augenmerk auf die Portabilität und Entwicklungsfähigkeit der technischen Grundlagen, um ein Höchstmaß an technischer Flexibilität zu erhalten, ohne das die Gefahr abrupter Technologiebrüche mit funktionalen Defiziten als Folge schnell sehr groß wird. Ein Beispiel für diese Strategie ist das Pica-interne GUM-Projekt: GUM steht für Guardian to Unix Migration und damit für eine massive Investition an know-how und Programmierkapazität mit dem Ziel, Picas Verbundanwendung im Jahr 2001 aus der technologischen Tandem-Nische in ein portables Umfeld migrieren zu können, ohne daß dies mit funktionalen Brüchen für die Nutzer dieser Verbunddienste verbunden ist. Analoge Überlegungen gelten für Pica als Organisation: im Jahr 1999 wurde die bis dahin bestehende Pica-Stiftung grundlegend reorganisiert und in drei „business units“ aufgeteilt („Information Technology Center“, „Online Information Services“ und „Bibliotheksdienste“) mit dem Ziel, bestehende Dienste kontinuierlich anbieten zu können und zugleich das Maß an Flexibilität zu erreichen, das für den sich immer klarer abzeichnenden Wandel von Aufgaben und für Informationsdienstleistungen eingesetzten Techniken erforderlich ist.
2.2
Ressourcen schaffen für den Wandel: die Kooperation mit OCLC
Die oben angesprochene Reorganisation ist eine notwendige, jedoch an sich noch nicht hinreichende Voraussetzung, um den neuen Herausforderungen begegnen zu können: diese sind globaler Natur, und für ihre Bewältigung sind global verfügbare Ressourcen in einem Ausmaß erforderlich, wie sie im Rahmen einer rein europäisch basierten Organisation nicht zu schaffen wären. Als Konsequenz aus dieser Einsicht kooperiert Pica seit 1998 eng mit OCLC und ist inzwischen auch firmentechnisch Teil der OCLC-Organisation. Pica wird damit zum europäischen Knotenpunkt einer weltweiten Kooperation, welche insgesamt über die erforderliche Kompetenz und die notwendigen Mittel verfügt, um die vielen Tausend angeschlossenen Bibliotheksinstitutionen und deren regionale Verbünde als Teil des globalen „InfoSpace“ zu etablieren.
2.3
Evolution und Migration in den InfoSpace
Neue Perspektiven der Verbundarbeit lassen sich also eröffnen, indem bibliotheksbasierte Informationsdienste als Teile des sich weiter formierenden globalen Informationsraums des WWW eingebunden werden, und indem diese Dienste selbst für genuin WWW-basierte Informationsdienste transparent gemacht werden, so daß sie aus Bibliothekssicht gesehen Portalfunktionen übernehmen können. Wie diese Evolution von Verbunddienstleistungen in den Informationsraum des WWW Gestalt annehmen kann, soll nunmehr anhand dreier aufeinander ausbauender
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Schritte bei der Entwicklung der Pica-Verbundanwendung gezeigt werden. Abschließend werden dann einige der für die zukünftige Gestaltung dieser Dienste strategisch bedeutsamen technischen Linien benannt, die Pica in den kommenden Jahren zusammen mit alten und neuen Partnern verfolgen wird.
2.3.1 Verbunddienstleistungen im Web: drei Beispiele 2.3.1.1
WebDOC
WebDOC war sozusagen Picas erster groß angelegter Gehversuch, was das Management von elektronischen Dokumentressourcen in einer Verbundanwendung unter Einsatz von WWW-Techniken angeht. Der Grundansatz von WebDOC war ein Dienstkonzept, es handelte sich vorrangig um den Versuch, im technischen Kontext des Internet und des WWW eine neuartige Dienstleistung aufzubauen und dabei auf traditionelle Stärken der Bibliotheken als Informationsanbieter zurückzugreifen. Im Kern ging es darum, mittels zentraler Erschließung und zentral implementierter Lizensierungsmechanismen den Endnutzerzugriff auf verteilte elektronische Dokumentressourcen zu ermöglichen. Das technisch-funktionale Konzept von WebDOC integrierte über eine gemeinsame Nachweisdatenbank (WebCAT) den Zugriff auf räumlich verteilt angebotene elektronische Dokumente. Die am Projekt beteiligten Bibliotheken, service-provider und Verlage bauten dabei lokale Web-Server mit elektronischen Dokumenten auf. Die Inhalte dieser lokalen Dokumentserver wurden im Sinne konventioneller bibliographischer Beschreibungen in einer gemeinsamen Nachweisdatenbank, WebCAT, erschlossen. Als Spezifikum enthielten die Nachweisdaten in WebCAT sozusagen als Signaturäquivalent die Hyperlinks zu den lokal vorgehaltenen Dokumenten, die URLs. Einer der Grundsätze von WebDOC war von vorneherein, auf Seiten des Endnutzers ausschließlich allgemein verfügbare Zugriffswerkzeuge (Standard-Browser) und insbesondere keinerlei Pica-spezifische Clientsoftware vorauszusetzen. Alle Retrievalzugriffe auf WebCAT wurden daher durch ein HTTP-Serversystem, WebOPC, vermittelt. Eine wesentliche projektbezogene technische Entwicklung war bestimmt durch Überlegungen hinsichtlich der Zugriffsbedingungen für elektronische Dokumente und der hiervon abhängigen Berechnungsverfahren. Die auf den lokalen Servern aufliegenden Dokumente unterlagen in der Praxis unterschiedlichen Zugriffsbedingungen: Dokumente in der akademischen public domain (diese sind typischerweise frei zugänglich) sind in diesem Sinne anders zu behandeln als kommerzielle Verlagsprodukte. Dieser Tatsache trug eine Zusatzentwicklung Rechnung, ein zentraler licensing and accounting ser-
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ver, der in Kombination mit einem URL-basierten Authentifizierungsverfahren für eine differenzierte Zugangskontrolle sorgte und – wo erforderlich – die Generierung abrechnungsrelevanter Informationen ermöglichte. WebDOC war in vielerlei Hinsicht instruktiv. Zum einen konnten Einsichten gewonnen werden hinsichtlich der Rahmenbedingungen, zu denen allein digitale Dokumentdienste in Bibliotheken hinreichend attraktiv realisierbar sind: die Konsequenz war die Realisierung des PiCarta-Dienstes (s.u.). Zum anderen wurde deutlich, daß klassische Katalogisierungstechniken nicht das geeignete Werkzeug für die massive Erschließung von Internet-Ressourcen darstellen: dies führte zusammen mit den inzwischen stabilisierten Standards für entsprechende Metadaten zur Entwicklung der ebenfalls weiter unten dargestellten Funktion für die Übernahme von Metadaten in Pica-Verbundanwendungen. Und schließlich wurde deutlich, daß der Aufwand für Pflege und Administration der Authentifizierungs- und Abrechnungskomponenten unangemessen hoch und auf Dauer nicht zu leisten gewesen wäre: hier ist mit Partnern aus dem Bibliotheks- und Verlagswesen, aber auch durch Integration der im Internet derzeit entstehenden Standards für Authentifizierungs- und Zahlungsverfahren nach neuen Wegen zu suchen (s. dazu unter 2.3.2).
2.3.1.2
PiCarta
Eine der wesentlichen Lehren aus dem WebDOC-Projekt war die Einsicht, daß ein isolierter Service bezogen auf elektronische Dokumentressourcen solange wenig attraktiv bleibt, wie andere, für den Benutzer ebenfalls wesentliche Informationsquellen in von diesem Service getrennten Nachweissystemen separaten Umgebungen gesucht werden müssen. Um diesem Problem zu begegnen und damit der Idee eines „One Stop Shop“ für Dokumentressourcen so nahe wie möglich zu kommen, entwickelte Pica, aufbauend auf der vorhandenen Verbundtechnologie und dem im Pica-System ohnehin verfügbaren Diensten für den Zugang zu konventionellen Diensten sowie unter Einbeziehung der in WebDOC
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entwickelten Mechanismen für den Zugang zu elektronischen Dokumenten den Dienst PiCarta, der neben der Integration des Zugangs zu unterschiedlichen Dokumentressourcen auf moderner Suchmaschinentechnologie basiert (unter Einbeziehung von Algorithmen für das relevance ranking in Resultatmengen). Diese beiden zusätzlichen Komponenten sind im „screenshot“ aus PiCarta durch zwei Kreise hervorgehoben. Dieser Dienst wurde im ersten Angang auf Basis der niederländischen Verbunddatenbank realisiert. In Vorbereitung ist nunmehr dessen Ausweitung unter Einbeziehung der Datenbanken unserer Partner in Deutschland und weiterer europäischer Nachweissysteme. Dabei spielen zwei auch im WWW maßgebliche technische Entwicklungen eine Rolle: Internationalisierung und Personalisierung. Internationalisierung in zweierlei Sinn. Zum einen betrifft dies den Inhalt der PiCarta-Datenbank, in die weitere, nicht-niederländische Kataloge (allen voran die Verbunddatenbank des GBV) integriert werden. Die Funktionalität von PiCarta erweitert sich dabei insofern, als nun auch deutsche Endnutzer dort Bestände ihrer eigenen Bibliothek finden und Fernleihdienste, und zwar auch diejenigen der niederländischen Bibliotheken, nutzen können (gleiches gilt selbstredend umgekehrt für
niederländische Benutzer). Zum anderen wird die Benutzeroberfläche von PiCarta nicht nur in niederländischer und englischer, sondern auch in deutscher und französischer Sprache verfügbar sein. Eine erste Stufe dieser Entwicklung ist im nachstehenden „screenshot“ dokumentiert: Personalisierung wird erreicht durch den Aufbau lokal installierbarer Portalfunktionen, in denen Bibliotheken selbst den für sie relevanten Ausschnitt der in PiCarta nachgewiesenen Bestände und der über Z39.50 erreichbaren Quellen bestimmen können. Hier kann auch bestimmt werden, welchen Kriterien die Deduplikation in Resultatmengen aus Suchen über mehrere Bestände genügen soll. Die Bibliothek kann in diese Portalfunktion auch ihre eigenen Kataloge integrieren und somit einen
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auf ihre Benutzerschaft zugeschnittenen Dienst realisieren.
2.3.1.3
Integration von Dublin Core Metadaten (DC drag-in)
Trotz erheblicher Fortschritte bei der Standardisierungsarbeit sind die tatsächlichen Konsequenzen der Dublin Core Metadateninitiative (DCMI) zur Zeit noch begrenzt: die Zeit, in der es – spitz gesprochen – auf der Welt mehr Metadatenprojekte als wirkliche Metadaten gab, scheint gerade erst vorbei. Dafür gibt es allgemein gültige Gründe, so etwa die mangelnde Unterstützung von Metadaten im Bereich der Suchmaschinen. Speziell im Bibliotheksbereich kommen zwei weitere Faktoren hinzu: – Zwar existieren inzwischen eine Reihe gut funktionierender Werkzeuge für die Metadaten-Generierung (wie z.B. „Reggie“, http://metadata.net) und für die Extraktion von Metadaten aus Internetquellen sowie für deren Konversion in bibliographische Formate (wie der „Nordic Metadata DC-MARC converter“, http://www.bibsys.no/meta/d2m/ oder „DC-Dot“, http:/ /www.ukoln.ac.uk/metadata/dcdot/), jedoch so gut wie keine Unterstützung für diese Techniken auf Seiten der klassischen Bibliotheks- und Verbundanwendungen. Die Folge ist, daß DC Metadaten derzeit noch in so gut wie keine Bibliotheksanwendung automatisiert übernommen werden können. – Weiter handelt es sich bei den oben beispielhaft angeführten Werkzeugen um je isolierte Komponenten: was weiterhin fehlt, ist eine Modellierung des gesamten „workflow“ im Sinne der integrierten Erzeugung von Metadaten bis hin zu deren Übernahme und Nutzung in bestehenden bibliothekarischen Automatisierungslösungen. Im Rahmen eines begleitenden Zusatzprojektes für den Aufbau des „Système Universitaire“ in Frankreich konnte Pica zusammen mit ABES in Montpellier eine Lösung für beide Probleme implementieren. Dabei wurde in einem ersten Schritt eine an DC orientierte Eingabeschnittstelle für das WinIBW Clientsystem implementiert. Weiter haben wir einen Mechanismus für die Extraktion von Metadaten aus Internet-Quellen und für deren Überführung in diese Eingabeschnittstelle realisieren können. Die Mechanismen für Erkennung und Extraktion von Metadaten unterstützen dabei HTML und XML/RDF Implementierungen von DC und sind über XML-basierte Konfigurationstabellen parametrisierbar, insbesondere, was die Konkordanzdefinition für das „mapping“ von DC Formaten und bibliographischen Formaten angeht. Diese Entwicklung macht folgendes Vorgehen möglich: nach Darstellung einer Internet-Ressource mit integrierten DC Metadaten in Internet Explorer erkennt das Pica-
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eigene Plugin die Metadaten, zeigt diese wie im folgenden Beispiel an und bietet ihre Überführung in die DC Eingabeschnittstelle des Verbundsystems an: Sobald der Benutzer die angebotene Funktion „Extract to WinIBW“ auswählt werden die extrahierten Metadaten in das Template-Format der WinIBW überführt und in einer WinIBW-DC Maske dargestellt (Abb. Mitte links). In dieser Maske können die Daten modifiziert, angereichert und letztlich in die Verbundanwendung übernommen werden – das Resultat ist (in der Datenbank des Système Universitaire) eine Datensatz im Unimarc-Format (Abb. unten links). Diese Entwicklung basiert sehr weitgehend auf Internet-Standards (DC, XML/RDF) und macht die Verbundanwendung ein erhebliches Stück transparenter für Dublin Core Metadatenquellen, ohne dabei an sich schon bibliothekarische Ansprüche aufzugeben (eine Nachbearbeitung der Daten im Unimarc-Katalogisierungsformat des SU ist selbstverständlich weiter möglich). Pica konnte mit dieser Entwicklung als erster Anbieter von Verbundlösungen die eigene Anwendung für WWW-Metadaten transparent machen und kann damit eine entwicklungsfähige Alternative zur Katalogisierung von WWW-Dokumentressourcen anbieten.
2.3.2 Strategisch wichtige technische Entwicklungen und neue Verbundaufgaben Soweit Beispiele für das bislang Erreichte. Im folgenden werden abschließend – und ohne Anspruch auf Vollständigkeit – beispielhaft vier Bereiche benannt, in denen Pica die laufende und zukünftige technische Entwicklung als „early adopter“ verfolgt, um vor allem dem sich wandelnden Kontext von Informationsdienstleistungen (s. oben unter 1.5) gerecht zu werden. Die Perspektive des „early adopting“ soll dabei besonders betont werden: in der Regel wird es nicht darum gehen können, Entwicklungen an vorderster Front mit zu betreiben oder gar zu initiieren. Meist handelt es sich vielmehr darum,
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relevante technische Trends rechtzeitig zu erkennen und deren Ergebnisse integrieren zu können, sobald die jeweiligen Kinderkrankheiten ausgestanden sind. Eine Ausnahme könnte allerdings der unter 2.3.2.4 angesprochene Bereich sein!
2.3.2.1
Authentifizierungsverfahren
Die Authentifizierung von Personen und von Dokumentressourcen sind für das Funktionieren von Webbasierten Informationsdiensten geschäftskritisch: es muß und zwar unabhängig von einer gegebenen Einzelanwendung – möglich sein, den Nutzer eines Dienstes sicher zu identifizieren, ebenso wie die Informationsressource, auf die ein solcher Nutzer zugreifen möchte, eindeutig identifizierbar sein und ein Mindestmaß an Gewißheit hinsichtlich deren Authentizität hergestellt können werden muß. Letzteres ist allein angesichts der Dynamik elektronischer Inhalte unverzichtbar: um eine zugegeben simplifizierende Analogie zu gebrauchen, würde sicher kein Kunde schlicht ein Softwareprodukt X erwerben, ohne daß sichergestellt ist, daß er damit nicht etwa dessen Version 1.0, sondern exakt die von ihm gewünschte Version (in der Regel die zum Vertragszeitpunkt aktuelle) erwirbt. Im klassischen Verlagsgeschäft war dies kein Thema: eine Publikation war klar identifizierbar, ggf. mit einer Zusatzinformation bezüglich ihrer Auflage – auch nur annähernd ähnliche Gewißheit ist bei elektronischen Publikationen nur schwer herstellbar. Und auch die alleinige Versicherung in einer e-mail, Herr oder Frau ABC träten als Vertragspartner für den Zugriff auf eine elektronische Ressource auf, wird die Anbieterseite nicht zufrieden stellen können: auch Herr oder Frau ABC müssen identifizierbar sein, etwa eine Art elektronische Unterschrift leisten können, damit eine Vertragsbeziehung zustande kommen kann. Entsprechende Standards – so etwa DOI für die Dokumentauthentifizierung oder LDAP-basierte Verfahren für die Identifikation von Akteuren – sind in Entwicklung oder auch schon im ersten Anwendungsstadium und müssen in dem Moment in Verbundverfahren integriert worden sein, sobald die Phase der „early adoption“ abgelaufen ist.
2.3.2.2
Zahlungsmechanismen
Ähnliches gilt für Zahlungsmechanismen im Internet: obwohl Standards, insbesondere was das sog. „micropayment“ angeht, hier noch etwas länger auf sich warten lassen werden, ist doch sicher, daß Bezahlung von Informationsdiensten im WWW auf Dauer weder über Kreditkartennummern, noch über lokal implementierte Chipcard-Systeme abzuwikkeln sein wird. Auch hier gilt es, die derzeit sich herausbildenden Standards so aufmerksam zu Verfolgen, daß ihre Integration in Verbundverfahren in der Phase der „early adoption“ sichergestellt ist
2.3.2.3
Multiple cultures, multiple languages …
Gerade wissenschaftliche Bibliotheken und Verbünde gehen klassischerweise mit Objekten heterogener kul-
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tureller Provenienz und in verschiedenen Sprachen um. Eine der aktuellen Herausforderungen ist es mithin, die derzeit rapide sich entwikkelnde linguistisch basierte Technologie intensiv zu verfolgen: effizientere Lokalisierungswerkzeuge oder lexikonbasierte Verfahren für die Abbildung unterschiedlich sprachbasierter Inhalte aufeinander sind Beispiele für solche Techniken, deren Nutzung erhebliche Funktionalitätszuwächse in Bibliotheksanwendungen nach sich ziehen: wäre es nicht ein großer Schritt voran, wenn die Stichwortsuche nach „Fenstern“ in einem deutschen OPAC zugleich auch Titel mit den Wörtern „fenêtres“ und „windows“ lieferte (auch wenn der Suchende eigentlich nichts über „Microsoft Windows“ wissen wollte …) – auch für die Bereitstellung solcher teuren und in der Implementation aufwendigen Werkzeuge können Verbundstrukturen eine große Unterstützung sein.
2.3.2.4
Metadaten im WWW und in Bibliotheken
Schließlich sei noch auf einen Bereich hingewiesen, der unmittelbar mit dem klassischen Aufgabenfeld von Verbünden zusammenhängt: diese sind originär Institutionen für das kooperative Metadatenmanagement. Daneben entstehen nun Metadaten für Web-Ressourcen, die vorerst weitgehend beziehungslos neben den bibliothekarischen Katalogdaten existieren. Sinnvolle Modelle für die Koexistenz dieser unterschiedlichen Ansätze müssen nun gefunden und die unterschiedlichen Metadaten-Ansätze in kohärenter Weise aufeinander abbildbar werden, soll es nicht auf Dauer bei einem beziehungslosen Nebeneinander bleiben: könne die beiden Ansätze zur Konvergenz gebracht werden? Werden sie – wenn auch klar geschieden – mit Standardverfahren („mapping“, „crosswalks“) aufeinander abbildbar und füreinander transparent zu gestalten sein? Bei der Beantwortung solcher Fragen sollten die Verbundorganisationen eine aktive und treibende Rolle übernehmen: über bloßes „early adopting“ hinaus sollten sie hier maßgebliche Entwicklungen mit zu betreiben und zu formen versuchen (ein gutes Beispiel dafür ist das erhebliche Engagement von OCLC in diesem Bereich).
2.3.2.5
Evolution klassischer Kooperationsformen
Neben den vorgenannten, eher technisch geprägten Entwicklungen und den sich daraus ergebenden neuen Aufgaben auch für Verbünde erwachsen auch aus dem klassischen Kooperationsansatz der Verbünde neue Chancen und Aufgaben. Ein Beispiel ist das oben (1.4.3) angesprochene Dilemma hinsichtlich der „Erwerbung“ elektronischer Inhalte: in dieser Situation, in der zunehmend gemeinsam definierte Interessenprofile von Bibliotheken bis hin zu neuen Modellen des „resource sharing“ überlebenswichtig werden, können den Verbünden neue Aufgaben zuwachsen, wenn sie sich zu effizienten Institutionen für die Bündelung der Teilnehmerinteressen etwa im Sinne der Konsortialbildung entwickeln können. Verbünde im Sinne großer Informationsräume, in denen elektronische Inhalte gesichert und zu von allen Teilnehmern gemeinsam getragenen Bedingungen verfügbar gehalten werden, haben wahrscheinlich durchaus eine Zukunft – allerdings sind die
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existierenden Bibliotheksverbünde von solchen Funktionsmodellen noch weit entfernt. Ein zweites Beispiel ist die ebenfalls oben (1.4.4) angesprochene Problematik der „garbage free information zones“ im Internet, mit deren Schaffung Einzelinstitutionen heillos überfordert sein werden: was eine Institution allein nicht zu leisten vermag – sei es Yahoo! oder eine Bibliothek – ist in einem Verbund von Bibliotheken schon eher vorstellbar: kooperative Sacherschließung hat wahrscheinlich insbesondere im Kontext WWW-basierter Informationsdienste durchaus eine Zukunft – allerdings nur dann, wenn die intellektuelle Erschließungsarbeit wirkungsvoll ergänzt (wenn nicht sogar partiell ersetzt) wird durch computerlinguistisch basierte Verfahren für die automatisierte Informationsextraktion und semantische Aggregation extrahierten, normalisierten Vokabulars. Solche Techniken sind teuer und komplex, sie sind wohl kaum von je isoliert agierenden Institutionen mit vertretbarem Aufwand realisierbar: solche Dienste werden wahrscheinlich in Zukunft nur im Kooperationsumfeld von Verbünden nutzbar (und bezahlbar) werden! Ein drittes Beispiel ist der im niederländischen Pica-Verbund seit einiger Zeit mit großem Erfolg angebotene Dienst „Publiekwijzer“: im Kern handelt es sich um eine Art verbundbasierten Auskunftsdienst speziell für öffentliche Bibliotheken, in dem Benutzer dieser Bibliotheken beliebige Auskunftsfragen in einer „Fragendatenbank“ deponieren kann. Diese Fragen werden anschließend von einer aus den Mitarbeitern von neun verschiedenen Institutionen zusammengestellten Redaktion beantwortet, auch diese Antworten werden Teil der damit ständig wachsenden Auskunftsdatenbank. Kooperative Erwerbung, kooperative (Sach-)erschließung und kooperative Auskunftsdienste sind nur drei Beispiele für klassische bibliothekarische Aufgaben, die in Zukunft in Verbundstrukturen mit neuen technischen und organisatorischen Ansätzen weit effizienter und mit neuer Qualität zu leisten sein werden.
2.4
Verbünde: Kooperation im doppelten Sinne
Abschließend seien noch einmal die zwei Aspekte des Kooperationsgedankens betont, die zur Herausbildung von Verbundorganisationen geführt haben, und die auch weiter deren Zukunft, deren Perspektiven, maßgeblich bestimmen. Organisationen wie Pica und OCLC stehen natürlich zum einen für die funktionale und technische Kooperation bibliothekarischer Einrichtungen, für Modelle des „resource sharing“ und die gemeinsame Nutzung gemeinsam entwickelter Verfahren für klassische Biblio-
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thekarische Aufgabenbereiche. Dieser Aspekt kommt vielleicht am deutlichsten in OCLCs „mission statement“ zum Ausdruck: „Establish, maintain and operate a computerized library network and to promote the evolution of library use, of libraries themselves and of librarianship, and to provide processes and products for the benefit of library users and libraries, including such objectives as increasing availability of library resources to individual library patrons and reducing the rate-of-rise of library per-unit costs, all for the fundamental public purpose of furthering ease of access to and use of the ever-expanding body of worldwide scientific, literary and educational knowledge and information.“ Zum anderen aber sind Verbünde auf neue Partnerschaften angewiesen. Ein auf der Hand liegendes und in diesem Beitrag ausführlich diskutiertes Beispiel sind die neuen Informationsdienstleister im WWW, mit denen über die bloße Koexistenz hinaus Kooperationen möglich werden sollten: der Weg dorthin führt über eine deutlich erhöhte Transparenz von Bibliotheks- und Verbunddienstleistungen für dieses Umfeld. Ein anderes Beispiel sind altbekannte Akteure in der Informationslandschaft, mit denen neue Kooperationsformen gesucht werden sollten, so etwa Buchhändler und wissenschaftlichen Verleger, deren Verhältnis zu Bibliotheken nicht immer ungetrübt war: nunmehr bietet OCLC (vorerst noch auf Projektbasis) in Zusammenarbeit mit dem Online- und Antiquariatsbuchhandel einen Dienst namens find@MyLibrary an, der bei der Suche nach Büchern in den WWW-Diensten solcher Buchhandlungen eine in diesem Kontext neuartige Alternative für die Auswahl des Lieferanten verfügbar macht. Im folgenden „screenshot“ ist der link find@MyLibrary in friedlicher
Koexistenz mit „Add to shopping bag“ auf der WWWSeite des Online-Buchhändlers borders.com: Anschrift der Autoren: Stefan Gradmann Ron Hol Michel G. Wesseling PICA Bibliotheksverbund Schipholweg 99 NL-2316XA Leiden