Ruhrbarone Ausgabe 4

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GRENZEN

GRENzEN DER LIEBE – Wenn eine Ehe an Drogen und Gewalt zerbricht // DIE GRENzE zUm WAHNSINN – Zwangseinweisungen in die Psychiatrie // GRENzEN DES ÜBERfLUSSES – Das Leben auf Flatrate endet im Supergau // DIE GRENzE EINER KINDHEIT – Am Ende blieb die Laube und das Unkraut // GRENzEN DER fREIHEIT – Das Leben in der letzten Diktatur Europas // DIE GRENzE DER VATERLANDSLIEBE – Come on, I am fucking Irish //

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8,95 Euro

RUHRBARONE AUSGABE 02/2010

www.ruhrbarone.de WIR GROSSSTADTCOWBOYS


iNhalt 6-7 Ruhrbarone

60-63 Für verrückt erklärt

8-11 die Grenzen des Machbaren

64-67 Kein Bier für hartz iV

12-17 Ein land im Stresstest

68-71 „das war immer schon so. ich wollte immer alles.“

18-27 occupy Schlaraffenland: Gummiboot statt Strahlentod

72-73 Grenzen für Körper und Seele

29-31 , Something s fishy here

74-77 Gefangen im Ghetto

32-35 Wiesenleut – Bavarians & others

78-81 ohne Rücksicht auf Verluste

36-49

82-87 loveparade – der ort

Gehaßter Schneeengel 50-55 Ein Engel, der mir in die Seele pinkelt

56-59 angstgesperrt

88-89 innovation City 90-93 Bitte nicht, herr Wilhelmus! 94-97 Kleiner Mann, warum? 98-101 hier hätte ... 102-109 Radikales Brombeersuchen 110-115 die ätherischen Gärten 116-119 haus Wilma

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GRENzEN


impreSSum www.ruhrbarone.de Herausgeber: David Schraven

120-125 laut sind nur die kreischend grellen Farben der taucherwesten 126-129 Erinnerungen an die Grenze

130-131

Es beginnt in den Köpfen 132-135 den Krieg im Kopf 136-137 Von der Queen lernen 138-143 Shine on you crazy diamonds

144-151

aliens, Mett und Sex mit Katzen – und ein Glas Blanchet 152-153 Ein abend im Balett

154-157

„Markus lanz, ich finde dich!!“ 158-165 Mauerspringer 166-168 der letzte Rocker 169 Eyecandys 170 Jamiri: leergut

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Chefredaktion: Bastian Schlange Redaktion: Christoph Schurian, Philipp Schulte, Martin Seeliger, Haluka Maier-Borst, Frank Borchers, die Wattenscheider Schule (Bastian Schlange, Patrick Joswig), Tobias Jochheim, Janina Kraack, Mathias Schumacher, Juleska Vonhagen, Lars Reichardt, Annika Joeres, Fajsz Deaky, Maike von Wegen, Bastian Pütter, Daniel Drepper, Olga Kapustina, Ralf Grauel, Martin Murphy, Stefan Laurin, Konrad Lischka, Carsten Marc Pfeffer Photographie/Illustration: Christoph Koester, David Latz, Andreas Neubauer, Nils Küter, Jörg Kreutziger, Julia Schwarz, Jamiri, Mathias Schumacher, Florian Backhaus, Jana-Lina Berkenbusch, Dirk Dobiey, Franziska Röhrich, Julian Paul, Caro Rörig, Sabine Michalak Art Direktion/Layout: Björn Schreiber (www.vierzwo5null.de) Zorro vom Dienst: Mr Jet Lag Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. 1. Auflage April 2012 Druck: WAZ-Druck, Duisburg ISBN (978-3-8375-0761-4) Alle Rechte der Verbreitung, einschließlich der Bearbeitung für Film, Funk, Fernsehen, CD-ROM, der Übersetzung, Fotokopie und des auszugsweisen Nachdrucks und Gebrauchs im In- und Ausland sind geschützt.

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EiN laNd iM StRESStESt 12

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Dreieinhalb Minuten. Ein gewaltiger Ruck nach oben, ein Reißen von links nach rechts, nach vorne und hinten. Tische und Stühle schleudern durch den Raum. Dachziegel fallen herunter, Gläser zerbrechen. Züge bleiben kreischend stehen, Lampen flackern und erlöschen. Schüler, Büroleute verkriechen sich unter Schreibtischen, schützen sich vor fallenden Gegenständen – sie haben es von klein auf so gelernt. Trotzdem schreien viele aus Angst und Verzweiflung. Selbst für Japaner ist es ein ungeheures Beben. Später wird sich herausstellen: es war das stärkste je gemessene. Dreieinhalb Minuten, die Japan für immer verändern.

Text und Fotos von Haluka Maier-Borst

Die Katastrophe kam nicht unerwartet. Experten hatten für den Nordosten ein Beben der Stärke 7 bis 8 innerhalb der nächsten dreißig Jahre erwartet mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 Prozent. Nach dem schweren Erdbeben von Kobe 1995 wurde die Forschung intensiviert, die Bauweise verändert. Selbst das Megabeben der Stärke 9 zerstörte lediglich fünf Prozent der Häuser. Man war vorbereitet. Doch es blieb am 11. März nicht beim Beben. Es war nur der Auslöser für weitere verheerende Katastrophen, die in ihrer Größenordnung und Kombination so nicht erwartet wurden: Der Tsunami, der atomare GAU und die seitdem andauernde Stromkrise. Als ich im Sommer die Chance hatte, nach Japan in die betroffenen Regionen zu reisen, war der Alltag der Städte und Menschen immer noch davon bestimmt.

erSt kam Die welle ... 30 Minuten nach dem ersten Beben trifft eine schwarze Welle auf die japanische Küste. Bis zu 39 Meter hoch türmt sich der Tsunami auf und verwandelt Küstenstädte RUHRBARONE AUSGABE 01/2012

in Trümmerlandschaften. Bahnt sich seinen Weg und reißt mit, was ihm in die Quere kommt. Häuser, Autos, Menschen. Er ist es, der für den Großteil der 15.769 Toten verantwortlich ist. 90.000 Japaner verlieren ihr Zuhause und ihren Alltag. Eine dieser neuen Heimatlosen ist Makiko Sakamoto. Die zierliche 61-Jährige empfängt die kleine Gruppe, bestehend aus zwei Krankenschwestern und mir, mit einem Lächeln: „Treten Sie ein zu den Sakamotos.“ Dabei macht die Dame mit bubenhaften Zügen und der Kurzhaarfrisur einen einladenden Schwenk mit den Armen. Flink tritt sie zur Seite, als müsste sie Platz schaffen, damit man durch die Tür kommt. Doch da ist weder eine Tür noch ein Haus. Die eigenen vier Wände von Frau Sakamoto und ihrem Mann bestehen aus bräunlichen, zusammengeknickten Umzugskartons aus Pappe, über die ich auch mühelos hinübersteigen könnte. Hin und wieder ersetzen Plastikkisten, gefüllt mit Kleidung aus Hilfslieferungen, das Mauerwerk aus Kartonwänden. Zusammen begrenzen Kisten und Pappe die vier Quadratmeter Privatsphäre der Sakamotos in einer Turnhalle der Küstenstadt Yamadacho. Mehr als vier Monate nach dem Beben lebt das Ehepaar immer noch in der NotunGRENzEN

terkunft. Dennoch bezeichnet sich Frau Sakamoto als eine der Glücklichen, was eine Menge über die Menschen sagt, mit denen sie hier lebt. Bei den Sakamotos wurden das Haus der Eltern, des Sohnes und der Friseurladen weggespült, nachdem die Schulden schon fast abbezahlt waren, doch sie haben keine Angehörigen verloren. Andere hier mussten erleben, wie ihre Verwandten in den Fluten nach ihnen riefen und sie sie

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WiESNlEUt – BaVaRiaNS & othERS Das Münchener Oktoberfest ist das größte Volksfest der Welt. Millionen Menschen kommen von allen Kontinenten zusammen. Nationale Hindernisse scheinen auf den Wiesn ausgeräumt, jeder trägt Tracht. Der Fotograf Andreas Neubauer hat in seinem Studio nahe der Theresienwiese die unterschiedlichsten Gesichter eingefangen und ihnen einen Bildband gewidmet. Er zeigt: Von Korea bis Amerika – in Dirndl und Lederhose macht jeder eine fesche Figur. Was war für dich der Reiz, einen Bildband über das Oktoberfest zu machen? Neubauer: Ich wollte die Liebe der internationalen Besucher zum Oktoberfest ausdrücken, die Menschen losgelöst von den Wiesn, ohne schützendes Grinsen in ihrem ureigenen Ausdruck einfangen. Zum Teil hat es mich überrascht, wie stark und selbstbewusst, manchmal auch traurig viele wirkten, wenn sie einen Moment innehielten. Wodurch zeichnet sich das Wiesn-Volk aus? Das Oktoberfest macht diese surreale Mischung aus modern und traditionell aus. Es ist nicht, wie es oftmals auf RTL II gezeigt wird. Für seine Größe ist das Fest erstaunlich friedlich. Libertas bavariae – Handwerker und Anwälte, das Ehepaar vom Land, das schwule Pärchen aus München, die Honeymooners aus Kuwait, die unterschiedlichsten Nationen. Auf den Wiesn feiern alle gemeinsam. Was ist dein nächstes Projekt? Ein Aktbuch.

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Bayern RUHRBARONE AUSGABE 01/2012

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England

Kuwait

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GEhaSStER SChNEEENGEl Nach dem dritten Date machte er mir einen Antrag, nach fünf Monaten heirateten wir, nach zehn fing er an, mich zu schlagen. Unsere Ehe dauerte viereinhalb Jahre. Lieber spuckte ich Blut, als mich meiner Mutter zu stellen. Ich dachte, ich bin besser als sie. Außerdem begann es doch so unglaublich schön.

Von Janina Kraack Illustration: Nils Küter

Eine große Flasche Raki auf drei kleine PET-Flaschen verteilen, mit Wasser auffüllen, fertig. Um 13 Uhr bin ich mit Alex und Nadine am Dortmunder Stadtgarten verabredet. Die beiden habe ich ein Jahr zuvor auf dem Westfalen-Kolleg kennengelernt, wo wir zusammen das Abitur nachholen. Es ist der 21. Juni 2005, ich bin 24 und von Männern frustriert. Wir haben frei und die Entscheidung, schon mittags im Stadtgarten zu sitzen und zu trinken, fällt mir nicht schwer. Ich will endlich wieder Spaß. Dass ich mich schnurstracks in mein Unglück stürzen werde, ahne ich noch nicht. Am Abend treffe ich zum ersten Mal meinen zukünftigen Ehemann. RUHRBARONE AUSGABE 01/2012

rückblick Vor drei Monaten bin ich vom Hafen in die Beurhausstraße am Westpark gezogen. Am Hafen wohnte ich knapp zwei Jahre. Währenddessen war ich mit Ingo zusammen. Ingo war ein Eremit, der sich schon vor Äonen dazu entschieden hatte, sich in seinem Elfenbeinturm – sprich seiner Wohnung – einzuschließen und die Außenwelt zu meiden. Er mochte keine Menschen. Wenn ich ihn nicht besucht hätte, hätten wir uns vielleicht alle sechs Wochen mal gesehen. Die Außenwelt überforderte ihn. Für mich war es sehr schwer, damit umzugehen. Es war schwer, nicht an der Entscheidung teilhaben zu können, ob und wann wir uns sehen. Wenn er sich dann doch mal meldete, ließ ich sofort alles stehen und liegen. Ich schwänzte die Schule und sagte GRENzEN

Verabredungen mit Freunden ab. Im Winter 2005 trennte er sich von mir. Die folgenden fünf Wochen verbrachte ich in völliger Katalepsie am Küchentisch. Lediglich zum Whisky eingießen bewegte ich mich. Beim ersten Frühlingserwachen erwachte auch ich wieder aus meinem Trauerschlaf und entschloss mich, die Wohnung zu wechseln. Zu viele Erinnerungen. Im April fand ich eine kleine, günstige Wohnung direkt am Westpark. Ich wollte schon immer im Kreuzviertel wohnen. Für einen Umzug hatte ich eigentlich kein Geld, aber das war mir egal. Ich wollte diesen Wechsel unbedingt. Außerdem ist Geld nur Papier. Gerade, als ich mich wieder daran gewöhnt hatte, meine Entscheidungen für mich zu

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aNGStGESPERRt

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Sie* hat einen Hochschulabschluss, einen festen Job, eine Krankenversicherung, ein unmodern-intaktes Elternhaus und sogar einen Freund, der sie liebt. Sie* steigt in keinen Aufzug, fährt deutlich häufiger mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus als mit besagtem Freund in den Urlaub und schrieb, nachdem sie versehentlich die Dämpfe eines auf der Herdplatte angeschmorten Salatbestecks eingeatmet hatte, gerade ihr siebtes Testament. Sie* (28) hat eine generalisierte Angststörung. Ein Protokoll.

Von Juleska Vonhagen Illustration: Julia Schwarz

Wollten wissen, warum ich um 2:30 Uhr nachts um mein Leben geschrien hatte.

Die Polizei – dunkelblaue Uniform, Taschenlampe in der rechten Hand – war mit Matsch an den Stiefeln durch mein Fenster geklettert. Mit Matsch an den Stiefeln stand sie vor dem Bett, in dem ich saß. Aufrecht. Mit flüchtig schief geknöpftem Hemd. „Uns wurde gesagt, hier hat jemand um Hilfe geschrien!“ gab sie ins graue Halbdunkel. Der Männername, der bei diesen Hilfeschreien immer wieder gefallen war, war identisch mit dem Namen auf dem Personalausweis meines Freundes, weswegen der jetzt auch draußen stand, vor dem Fenster, im Garten mit weiteren Polizeibeamten. Die Matschstiefel wollten alleine mit mir sein.

Als ich als 1,05 Meter große Vierjährige befand, dass der Kopf beim aufrechten Stehen und Gehen viel zu erschreckend weit vom sicheren Fußboden entfernt war, da nörgelte ich so lange, bis Mami sich bereit erklärte, mich auch weiterhin, sicher angeschnallt, im Buggy durch die Welt zu schieben. Damals nannte man das Faulheit. Als ich im Schwimmunterricht den Beckenrand-Magneten gab, nannte man das Unsportlichkeit. Und als ich in den großen Pausen nur unter Anwendung härtesten sozialen Druckes schaukelte, da dachte man, ich sei halt eher keine Spaßgranate.

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Faul, unsportlich, langweilig – ich ließ sie in ihrem Glauben. Das war eben der Preis, den ich zahlen musste, dachte ich. Denn der wahre Grund für all diese Dinge, die ich nicht wollte, nicht konnte, der würde nicht akzeptiert werden, dachte ich. Denn ich war schon immer eine Angstpflanze. Ein zartes, zerbrechliches Gewächs, das Angst hatte, über seine Ängste zu sprechen, weil es befürchtete, sich mit dem Bekenntnis zur Furcht einen Knick im Stiel zuzuziehen. Stattdessen ließ sich das Pflänzchen lieber einzäunen – von der Angst. Und je größer ich wurde, desto größer wurden auch meine kindlichen Ängste. Und desto kleiner wurde meine Spielwiese. Mit 14 schrieb ich vor einer Sommer-Jugend-

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KEiN BiER FüR haRtZ iV Überlegungen einer alleinerziehenden Mutter

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Von Maike von Wegen Illustration: Jana-Lina Berkenbusch

Ich trinke ein Bier. Ich habe schlechte Laune. Das machen doch alle Deutschen so. Schlechte Laune haben und Bier trinken. Also wieso nicht auch ich? Gerade als Mutter habe ich ja allerlei Potential für miese Stimmung. Ich schlucke in großen Zügen meine Wut hinunter, und in meinem Bauch mischt sie sich mit dem Bier zu einem angenehmen Gluggern. Das nimmt mir nicht die Bauchschmerzen, die ich immer von meiner schlechten Laune bekomme, aber ganz sicher den Durst. Und irgendwann ja vielleicht mein Bewusstsein. Ja, das wär schön. Aber nein. Immer die Contenance bewahren. RUHRBARONE AUSGABE 01/2012

Trinken ist teuer und ich trinke ja nicht gerne billiges Bier. Meinen Rausch lasse ich mir was kosten! Das erste Bier habe ich soeben geleert. Hole ich mir jetzt noch eines? Ich rechne erst mal. Also, wenn ich jetzt noch ein Bier trinke, dann will ich danach noch eines. Das wären dann drei. Wenn ich heute drei Bier trinke, kann ich aber für den Rest des Monats kein Bier mehr trinken Das habe ich mir ausgerechnet. Einfach so. Von Hartz IV kann ich abzüglich all der Dinge, die ich und meine Tochter brauchen, genau drei gute Biere im Monat bezahlen. Im Zweifel für den Vollrausch, denke ich. Dabei soll es schon schmecken. Aber was habe ich davon, drei mal Bier zu trinken und dreimal GRENzEN

nüchtern zu bleiben? Ebenso wenig gefällt mir die Vorstellung, mich zwar häufiger, dafür aber mit mieser Qualität zu betrinken. Das ist keine gute Rechnung. Also: Ich hole mir jetzt mein zweites gutes Bier. Prost. Das zweite schmeckt mir jetzt irgendwie gleich noch viel besser. Es ist so ein wertvolles Bier. Limitiert auf drei pro Monat. Ich schaue mir Statistiken im Netz an und stelle fest: Der Deutsche trinkt pro Jahr 108 Liter Bier. Da kann ich einfach nicht mithalten. Ich fühle mich plötzlich sehr undeutsch. Nachdenklich nippe ich an meinem wertvollen Getreidegetränk. Drei Bier im Monat ergeben etwa 1,5 Liter. Also komme ich auf 18 Liter pro Jahr. Wie soll man sich denn so seine Sorgen wegtrinken?

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„MaRKUS laNZ, iCh FiNdE diCh!!“ Der Gangstarapper Sinan-G aus Essen im Porträt

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„Ich bin Sinan-G, ich ficke euren Dealerstyle. Wer von euch hatte mit 17 Jahren ne Schießerei. Ich hab im Knast geschrieben, das hier sind diese Tracks. Für ein Major-Deal in Deutschland bin ich viel zu echt.“ Lyrics „Free Sinan-G“

Von Frank Borchers und Martin Seeliger

Der 11. Juni 2006 hätte ein besonderer Tag im Leben von Sinan Farhangmehr, besser bekannt als Sinan-G, werden können: An diesem Sonntag verlor die iranische Nationalmannschaft ihr erstes Spiel bei der Fußballweltmeisterschaft gegen Mexiko mit 3:1. Sinan war zu diesem Zeitpunkt ein aussichtsreicher Kandidat für den Kader der Nationalmannschaft. Leider kam ihm dabei eine Kleinigkeit in die Quere: eine dreijährige Haftstrafe wegen unterschiedlicher Delikte, hauptsächlich Einbruch. Das Ende der einen war der Beginn einer anderen Karriere, die so in der deutschen Musiklandschaft beispiellos scheint. Je nachdem aus welcher Sicht man die Dinge betrachtet, sind Gangstarapper harte Kanaken, die dir von Koks über ein günstiges I-Pad bis hin zu einem längeren Krankenhausaufenthalt eine Menge außergewöhnlicher Dinge beschaffen können. Von einer anderen Warte aus lassen sie sich aber auch als Stereotyp des jugendlichen Gewaltkriminellen mit Migrations- und ohne Bildungshintergrund beschreiben, die Frauen und Schwule verachten (Lesben sind okay, im Internet zumindest). Anders als in den meisten anderen gesellschaftlichen Bereichen scheint in dieser Szene ein Knastaufenthalt kein Stigma zu sein. Vielmehr ist es eine Art Ausweis für die oftmals beschriebene, eingeforderte, aber angeblich selten vorhandene „Realness“. Diese Authentizität in seinen Songs zu betonen ist Sinan-G wichtig: „Ich habe das alles ja nicht gemacht, um den Leuten zu gefallen. Ich habe das gemacht, weil das mein Leben ist. Das, was ich verkörpere, ist ja mein Leben. Das ist ja nicht so eine gespielte Maskerade oder so.“ Wenn man mit Sinan spricht, hat man nicht das Gefühl, es mit einem klassischen Kriminellen zu tun zu haben, mit jemandem, der sich partout nicht in gesellschaftliche Regeln einfügen könnte. Wir treffen ihn und seinen Bruder Roozbeh in Essen und innerhalb von weniger als fünf Minuten entwickelt sich ein interessantes Gespräch, das streckenweise kaum wie ein Interview, vielmehr wie eine freundschaftliche Unterhaltung wirkt. Ohne besonderes Ziel kommen wir von einem Thema auf das nächste. Dass der junge Essener Rapper in diesem netten Gespräch immer wieder erzählt, wie es mit Mördern auf der Zelle war, die lebenslängliche Haftstrafen absitzen mussten, oder wie es war, als Wohnungseinbrecher normale Menschen um ihre schwer verdienten Wertsachen zu erleichtern, stellt einen interessanten Bruch dar. Bereits früh stellt sich heraus, dass Sport und HipHop für den jungen Sinan zentrale Bezugspunkte darstellen: Wenn die Eltern tagsüber und abends in ihrem Dönerladen arbeiten, nimmt der große Bruder Roozbeh den damals erst Siebenjährigen mit zu HipHop-Jams im Essener Kunst und RUHRBARONE AUSGABE 01/2012

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Kultur-Cafe. Der kleine Sinan begleitet ihn auch, wenn Rooz mit seinen Kollegen loszieht, um mit Sprühdosen auf Wände zu malen. Während der Jüngere mit seinem Ball trainiert, etabliert sich der Ältere in der Essener Graffiti-Community der 1990er Jahre. Doch der heute 24-jährige Sinan

„Vier fünf Ghettolife – Streetmacht Yakuza, 20 Mille Jackpot Signal Iduna, 40 Mille Jackpot Limbecker Jack N Jones, das war mein Job, bis ich merkte: Deutscher Rap ist tot. Handyman Karstadt Sport – alles mein Geld. Bullen mussten für mich mehr Personal einstellen. Düsseldorf Innenstadt Arztpraxis leer, Banküberfall gib mir die Tatwaffe her. Neun Millionen Schaden in zehn Jahren – mein Verdienst, drei Jahre Knast doch das Geld kriegt ihr nie, Drive-Bye am Berliner Platz wurde auf mich geschossen, denn ich klaute ein Kilo Koks von den Russen.“ Lyrics „Copland“

hat sich im Laufe seines Lebens nicht nur für HipHop und Fußball interessiert. Die Themen seiner Songs lassen es vermuten. Dass Sinan in den vergangenen Jahren als Hauptcharakter verschiedener TV-Reportagen in Erscheinung treten konnte, hängt mit besagtem Posten in seinem Lebenslauf zusammen, der für einen normalen Arbeitnehmer eher ungünstig, für einen Gangstarapper hingegen äußerst wertvoll erscheint: Ende 2006 muss Sinan für mehrere Jahre in die JVA-Siegburg. Während dieser Zwangsurlaub „in Schweden“ seiner damaligen Fußballerkarriere ein jähes Ende setzt, liegt in ihm jedoch der Anfangspunkt einer neuen Karriere – als Rapper. Zu dem Zeitpunkt sieht es für dieses zweite Standbein allerdings nicht sehr vielversprechend aus: Mit Hilfe seines Bruders, dessen relativ gradliniger Lebensweg – Gymnasium, Abitur, Studium – sich deutlich von dem seines jüngeren Bruders unterscheidet, nahm Sinan einige Songs auf und veröffentlichte sie auf der Internetplattform Myspace. Die Beats waren zugegebenermaßen recht einfach gehalten, und Sinan rappte hörbar angestrengt und holprig seine Textzeilen wie: „Glaube mir, ich bin zielsicher. Komm in meine Stadt, und ich mache dich zu einem Stricher.“ Kurze Zeit später erschien noch ein Musikvideo bei Youtube, welches die Messlatte nicht unbedingt höher legte. Bis zu diesem Zeitpunkt ein typischer Fall für die ewigen Internet-Jagdgründe und Myspace-Karteileichen und die kurze Geschichte eines Rappers, dessen Karriere endet, bevor sie eigentlich begonnen hat. Was allerdings dann passierte, sucht in der Geschichte von HipHop in Deutschland bis heute Seinesgleichen.

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GRENzEN DER LIEBE – Wenn eine Ehe an Drogen und Gewalt zerbricht // DIE GRENzE zUm WAHNSINN – Zwangseinweisungen in die Psychiatrie // GRENzEN DES ÜBERfLUSSES – Das Leben auf Flatrate endet im Supergau // DIE GRENzE EINER KINDHEIT – Am Ende blieb die Laube und das Unkraut // GRENzEN DER fREIHEIT – Das Leben in der letzten Diktatur Europas // DIE GRENzE DER VATERLANDSLIEBE – Come on, I am fucking Irish //

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