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Braucht es noch eine Schweizer Hochseeflagge?

Inzwischen hat der Bundesrat für die verbleibenden Schweizer Schiffe mit Bundesbürgschaft zu einer Notlösung gegriffen: Sie dürfen – unter Wahrung der Rechte des Bundes (Pfandrecht, Versicherungsansprüche und Zwangscharter im Krisenfall) – auf eine andere Flagge ausweichen87 . Das kommt eigentlich der Aufgabe der Schweizer Hochseeflagge gleich.

BRAUCHT ES NOCH EINE SCHWEIZER HOCHSEEFLAGGE?

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Es ist klar geworden, dass in der modernen Welt die Schweiz nicht wie im Zweiten Weltkrieg mit 14 Schiffen durch eine Krise durchgefuttert werden kann. Es ist auch wenig wahrscheinlich, dass die Schweiz erneut von feindlich gesinnten Nachbarn eingeschnürt wird. Aber natürlich sind Lieferengpässe auch in Zukunft zu erwarten.

Die Blockade des Suezkanals 2021 durch das 400 Meter lange Containerschiff Ever Given hat belegt, wie anfällig die Lieferketten sind, und die Covid19Pandemie hat dies in noch viel umfassenderer Weise spüren lassen KAP. 2. In einer globalisierten Welt ist das Modell der Versorgungssicherheit durch Bürgschaften allerdings überholt88. Hier besteht das Ziel, die verbleibenden Bürgschaften ohne weitere Schäden loszuwerden. Das könnte gelingen, wenn die betreffenden Schiffe im Moment der Hausse verkauft werden. Aktuell ist die Flagge für die Schweiz weit weniger wichtig als der Reedereistandort.

Wozu also bedarf es noch einer Flagge? Die Stellung der Schweiz in wichtigen internationalen Gremien wie der UNO oder der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) ist nicht davon abhängig, dass sie eine Seeflagge hat89. Anders dürfte es im Rahmen der Internationalen SeeschifffahrtsOrganisation (IMO) aussehen90, und es könnte insbesondere für die zukünftigen Umweltdebatten von Belang sein, dass die Schweiz hier gehört wird. Ein weiteres Argument für die Beibehaltung der Schweizer Seeflagge kommt vonseiten der Seefahrergewerkschaft Nautilus. Wer unter Schweizer Flagge arbeitet, darf im Notfall zumindest auf diplomatische Unterstützung hoffen91 .

Einführung | 29

Das Schicksal des Schweizer Tankers San Padre Pio und seiner Crew belegt die Vorteile der Schweizer Flagge. Das Schiff diente der Betankung von Ölplattformen mit Diesel zum Antrieb der Maschinen. Vor der Küste Nigerias wurde das Schiff von einem Marineschiff gestoppt und in den nächsten Hafen beordert. Die Besatzung wurde wegen Ölschmuggels festgenommen. Nigeria warf ihr vor, dass sie ohne Bewilligung in den Hoheitsgewässern Nigerias Dieselöl transportierte92. Die Version der Besatzung war dagegen, dass sie sich außerhalb der Territorialgewässer (in der ausschließlichen Wirtschaftszone von Nigeria) befand93. Es sollte der Beginn einer langen Leidensgeschichte für die Besatzung werden: Zwölf der sechzehn Mann Besatzung kamen nach einem halben Jahr frei, während vier Schiffsoffiziere insgesamt zwei Jahre auf dem Schiff festgehalten wurden.

Die Schweizer Diplomatie bemühte sich intensiv um die Freilassung von Schiff und Besatzung. Die Vorstöße blieben allerdings unbeantwortet, bis die Schweiz Nigeria vor dem Internationalen Seegerichtshof in Hamburg einklagte. Im Eilverfahren wurde als vorsorgliche Maßnahme die Freigabe des Schiffes gegen eine Kaution von 14 Millionen USDollar angeordnet. In der Folge einigten sich Nigeria und die Schweiz auf höchstem Niveau auf Freigabe gegen Rückzug der Klage. Inzwischen hatte ein nationales nigerianisches Gericht die Seeleute von jeder Souveränitätsverletzung freigesprochen.

Der Vorgang gilt als Musterbeispiel dafür, wie sich ein seriöser Flaggenstaat – im Gegensatz zu einer Billigflagge – für seine Schiffe und ihre Besatzung einsetzen kann94. Wer in der Sache Recht hatte, wird wohl kaum je ans Licht kommen, zumal sich auch die Reederei beharrlich ausschweigt.

30 | Seefahrtsnation Schweiz

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