Brennpunkt Nr. 01/2013

Page 1

Brennpunkt Gesundheitspolitik

1/13

Für Risikoausgleich, gegen Überregulierungen santésuisse befürwortet die Entscheide der SGK-SR für einen verbesserten Risikoausgleich. Sehr schwierig ist eine nachträgliche Prämienkorrektur bis ins Jahr 1996 zurück. Das Aufsichtsgesetz ist zu überladen: Kompetenzen werden vermischt, Systemsicherheit und regulierter Wettbewerb aber geschwächt. Die notwendigen Verbesserungen können besser im KVG geregelt werden.

Dr. Christoph Q. Meier Direktor santésuisse

Ich begrüsse den Entscheid der SGK-SR, den Risikoausgleich zu verfeinern. Das Parlament soll zügig vorwärts machen. Jede Vermischung mit einem Gegenvorschlag zur Einheitskasse ist kontraproduktiv und bringt nur Verzögerungen. Beim rückwirkenden Ausgleich der vom BAG genehmigten Prämien sehe ich die grossen Schwierigkeiten. Der Vorschlag GDK hätte für 7 von 10 Personen ungerechte Wirkungen und destabilisiert das System der sozialen Krankenversicherung. Es braucht eine politisch gangbare, tragfähige Lösung.

INHALT Editorial Entscheide der Gesundheitskommission des Ständerates

1

Vierter Auslandspreisvergleich Medikamente

2

Ein Gegenvorschlag zur Einheitskasse ist unnötig und kontraproduktiv

3

In Kürze

4

Die rechtsstaatlichen Bedenken der SGK-SR gegenüber der Vorlage zur bis 1996 rückwirkenden Korrektur der vom BAG genehmigten Prämien sind richtig: Allein im Jahre 2011 wechselten 140 000 Personen den Kanton, 530 000 die Kasse und 250 000 wanderten in die Schweiz ein oder aus. 2,3 Mio. Personen erhielten eine Prämienverbilligung und 400 000 wollten oder konnten ihre Prämien nicht bezahlen. Kumuliert über 15 Jahre und mehr, wird rasch klar, dass eine gerechte Lösung auf individueller Basis nicht möglich ist. Zu einer politisch sinnvollen Lösung werden die Krankenversicherer aber Hand bieten.

massiven Aufschlägen bei den Prämien führen.

Willkürlicher Vorschlag der GDK

KVAG: Vorgaben nicht erfüllt

Besonders der GDK-Vorschlag vom September 2012 birgt willkürliche Folgen: Die statistische Analyse mit 1,2 Mio. Versicherten zeigt, dass in 7 von 10 Fällen das Ziel verfehlt würde: • 29% der Berechtigten blieben ohne Entschädigung; • 39% der Nicht-Berechtigten würden entschädigt; • von verbleibenden 32% würden rund 16% übermässig entschädigt. Eingriffe in die Sicherheit der sozialen Krankenversicherung lehnt santésuisse ab. Sie würden eher früher als später zu

Das von der SGK-SR zu Ende beratene Aufsichtsgesetz ist noch überladen. Statt ein gutes System zu optimieren, wird eine Überregulierung vorgenommen. Die Botschaft des Bundesrates formuliert das Ziel, eine effektive Aufsicht und moderne Governance-Kriterien zu gewährleisten sowie den regulierten Wettbewerb zu stärken. Stattdessen werden die Kompetenzen zwischen den Krankenkassen und der Aufsicht vermischt, die finanzielle Sicherheit der Krankenkassen und der regulierte Wettbewerb werden geschwächt.

brennpunkt 1 | 2013

Positiver Entscheid zum Risikoausgleich

Positiv bewertet santésuisse den Entscheid der SGK-SR für die Verfeinerung des Risikoausgleichs. Damit kann das Parlament rasch eine Vorlage ausarbeiten, um dieses wichtige Instrument noch besser auszugestalten. Die Anreize für ein effizientes Case- und Disease-Management müssen erhalten und gestärkt werden. Ein Risikoausgleich darf keinen Kostenausgleich bedeuten. Die Krankenversicherer als Direktbetroffene müssen einbezogen werden.


M EDIK AMEN T E SI N D I M AUSL A N D ERHEBL I CH BI L L IGER Seit 2009 führen santésuisse und die Branchenverbände der Pharmaindustrie gemeinsam den Auslandspreisvergleich von Medikamenten durch. Dieser zeigt, dass die Schweiz verglichen mit dem Ausland immer noch erheblich teurer ist. santésuisse setzt sich zu Gunsten der Versicherten für die Einhaltung von effektiven Vergleichsmechanismen ein. Ausserdem ist die Rechtsgleichheit mit den Pharmafirmen herzustellen: Die Versicherer fordern ein Antrags- und Beschwerderecht.

Am 12. Februar 2013 hat santésuisse gemeinsam mit den Verbänden der Pharmaindustrie (interpharma, vips und intergenerika) den Medikamenten-Auslandspreisvergleich 2012 präsentiert. Verglichen werden dabei die Fabrikabgabepreise von Medikamenten in der Schweiz mit den vom BAG (Bundesamt für Gesundheit) definierten sechs Vergleichsländern Deutschland, Dänemark, Niederlande, Grossbritannien, Frankreich und Österreich. Gegenstand des Vergleichs sind sowohl patentabgelaufene und -geschützte Originalpräparate als auch Generika. Generika weiterhin überteuert

Der Auslandspreisvergleich zeigt, dass der durchschnittliche Fabrikabgabepreis bei den 155 umsatzstärksten patentgeschützten Originalpräparaten im Ausland 12% tiefer ist als in der Schweiz. Dabei wurde mit

dem vom BAG verordneten Wechselkurs von 1.29 Franken pro Euro gerechnet. Ohne die vom BAG verfügten Preisabschläge im November läge die Preisdifferenz bei 16%. Die Preisabschläge müssen konsequent weitergeführt werden. Im patentabgelaufenen Bereich basiert der Vergleich auf den 200 meist umgesetzten Substanzen. Hier liegen Originalmedikamente preislich 2% unter dem Auslandsniveau. Dies weil in Ländern mit Festbetragsregelung Preise der Originalpräparate zwar hoch bleiben, dafür ist dort aber der Anteil von (günstigeren) Generika deutlich höher als in der Schweiz. Bei Generika ist der Abstand zum Preisschnitt der Vergleichsländer mit 49% weiterhin zu hoch. Rechtsgleichheit mit der Pharma notwendig

Der Auslandspreisvergleich ist ein wichtiges Instrument bei der Wirt-

PREISNIVEAU DER GENERIKA IM VERGLEICH ZUM MENGENMÄSSIGEN MARKTANTEIL (IN %)

100

MARKTANTEIL

PREISNIVEAU

100 83

80 67

60

36 40

21

15*

60

58 49

44

23

55

44 35

20 0 CH

AT

DK

FR

DE

UK

NL

Länder mit hohem Generikaanteil haben tiefere Preise. Die Schweiz müsste die Generikapreise stärker an internationales Niveau angleichen und den Generikaanteil erhöhen. Quelle für Marktanteile (ausser CH): Vogler S.; GaBI Journal; 44: Volume 1, 2012, S. 45. *Schätzung für die Schweiz.

brennpunkt 1 | 2013

Medikamenten-Preisvergleich Schweiz – Ausland: • Patentgeschütze Medikamente: 12% teurer bei 54% CH-Marktanteil • Patentabgelaufene Originalpräparate: 2% billiger bei 29% Marktanteil • Generika: 49% teurer bei 13% Marktanteil

schaftlichkeitsprüfung von Medikamenten. Er ist ein Ersatz für den Wettbewerb durch Parallelimporte, die in der Schweiz im patentgeschützten Bereich nicht erlaubt sind. Für den Prämienzahler ist nicht nachvollziehbar, warum für ein international handelbares Gut in der Schweiz wesentlich höhere Preise als im Ausland bezahlt werden müssen. santésuisse setzt sich im Interesse der Prämienzahler dafür ein, dass die Preisüberprüfungen weiterhin alle drei Jahre wie heute vorgesehen durchgeführt werden. Gemäss Art. 32 KVG müssen Medikamente periodisch auf Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit überprüft werden. Diese ganzheitliche Überprüfung findet heute nicht statt. Damit Rechtsgleichheit mit den Pharmafirmen besteht, muss den Krankenversicherern auch ein Antrags- und Beschwerderecht im Medikamentenbereich eingeräumt werden. Bei Neuaufnahmen muss auch der therapeutische Vergleich mit dem bisherigen Goldstandard konsequent durchgeführt werden. Neuaufnahmen erfolgen heute oft zu überhöhten Preisen. (ASC/GPA)


Foto: Keystone

Der Gegenvorschlag von Bundesrat Alain Berset zur Einheitskassen-Initiative ist unnötig.

PL Ä N E ZU M GEGEN VOR SCH L AG SI N D U N N ÖT IG U N D KO N TR APRO DUK T I V Die angekündigten Inhalte eines Gegenvorschlags1 des Bundesrates zur Einheitskassen-Initiative stehen im Widerspruch zu den hohen Zielen seiner gesundheitspolitischen Gesamtstrategie «Gesundheit2020»: Die Eigenverantwortung und der regulierte Wettbewerb würden geschwächt und die Krankenkassenprämien ohne Mehrwert verteuert.

Soweit bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe bekannt, beinhaltet ein möglicher Gegenvorschlag zur Einheitskassen-Initiative ein positives Element, das im Parlament aber bereits bearbeitet wird (Risikoausgleich), hingegen zwei Vorschläge, die dem freiheitlichen Gesundheitssystem der Schweiz irreparablen Schaden und Kostensteigerungen ohne Mehrwert zufügen würden. Mit der Kritik steht santésuisse nicht allein: Ende 2012 wurden im Parlament fünf Motionen mit derselben Stossrichtung eingereicht: Der Bundesrat wird darin aufgefordert, auf einen Gegenvorschlag zur Einheitskassen-Initiative zu verzichten. «Rückversicherung» ist verkappte Einheitskasse

Die im Gegenvorschlag präsentierte «Rückversicherung» ist in Tat und Wahrheit ein Hochrisikopool, eine Teil-Einheitskasse und kein Mittel

gegen die Risikoselektion. Im Gegenteil: Die Anreize für kostenbewusstes Management und Verhalten im Gesundheitswesen würden ausgehöhlt statt verstärkt. Zudem haben jene Krankenversicherer, die Rückversicherungen für sehr teure Behandlungsfälle benötigen, diese längst abgeschlossen (Art. 12 KVG). Der Vorschlag von Bundesrat Berset, Grund- und Zusatzversicherung strikt zu trennen, beschränkt die Wahlfreiheit und verteuert beide Versicherungsbereiche. Die realen Verhältnisse und Meinungsumfragen zeigen, dass die Versicherten diese «chinesischen Mauern» nicht wollen. Sie würde das System verkomplizieren, die Versicherten ihrer Wahlfreiheit für einen «Service aus einer Hand» berauben und die Prämien beider Bereiche verteuern, weil die Administration doppelt geführt werden müsste. Damit werden Wettbewerb und Wahlfreiheit geschwächt, statt wie vom Bundes-

brennpunkt 1 | 2013

rat in seiner Gesamtstrategie «Gesundheit2020» postuliert, gefördert. Verbesserungen ohne Gegenvorschlag

Dem verfeinerten Risikoausgleich haben die zuständigen Kommissionen bereits zugestimmt, dafür braucht es keinen Gegenvorschlag. Die weiteren diskutierten Punkte eines Gegenvorschlags würden dem freiheitlichen Gesundheitssystem der Schweiz einen irreparablen Schaden mit unkalkulierbaren Folgen zufügen. santésuisse empfiehlt deshalb, den bereits eingeschlagenen Weg für sinnvolle Verbesserungen weiterzuverfolgen und auf einen unnötigen und kontraproduktiven Gegenvorschlag zur Einheitskassen-Initiative zu verzichten. (DHB) 1

Bei Redaktionsschluss hat der Bundesrat noch keinen definitiven Entscheid über einen Gegenvorschlag zur Einheitskassen-Initiative gefällt.


IN KÜR ZE santésuisse für echte Solidarität In der Frühlingssession gelangt eine Motion des CVP-Präsidenten Christophe Darbellay in den Ständerat, welche der Nationalrat im Herbst angenommen hat. Diese hat zum Ziel, ausländische Dozierende und Forscher, die in der Schweiz wohnen, auch unter das KVG-Obligatorium zu stellen. santésuisse stellt sich in dieser Angelegenheit voll und ganz hinter das Anliegen: Die Krankenversicherungspflicht soll die Solidarität zwischen allen in der Schweiz wohnhaften Personen stärken. Ausnahmen von dieser Solidaritätspflicht müssen auf ein Minimum begrenzt werden und gut begründet sein. Wer in der Schweiz eine gut bezahlte Stelle als Forscher oder Lehrender ausübt und darüber hinaus von unserem Gesundheitswesen profitiert, der sollte auch dieselben Krankenkassenprämien zahlen wie der Rest der Schweizer Bevölkerung. Die derzeitige Praxis verletzt dieses Solidaritätsverständnis, ist unbegründet und gehört daher abgeschafft. Ärztestopp von heute ist Fehlplanung von morgen Das Nein der Gesundheitskommission des Ständerates zur Wiedereinführung der Zulassungsbeschränkung für Ärzte ist nachvollziehbar. Für santésuisse ist der Zulassungsstopp ein planwirtschaftlicher Eingriff ohne Nachhaltigkeit. Bessere Lösungen sind nötig. Die bisherigen Ärztestopps waren nachgewiesenermassen kurzsichtig und teilweise kontraproduktiv: Sie führten zu

Wellenbewegungen bei der Zulassung der betroffenen Facharzttitel. Die Planwirtschaft in der Krankenversicherung musste mit immer neuen Eingriffen die eigenen Fehler korrigieren. Für junge innovative Ärztinnen und Ärzte, deren Berufsausübungsmöglichkeit durch die Zulassungsbeschränkung gänzlich verhindert wird, entstanden grosse Benachteiligungen. Umgekehrt spekulierten einige Leistungserbringer mit dem Verkauf von Praxen. Alle diese negativen Effekte gingen und gehen zu Lasten der Versicherten. Die Überreglementierung von heute ist in aller Regel die Fehlplanung von morgen. Nur marktwirtschaftliche Anreize und freier Wettbewerb der Leistungserbringer geben jedem Arzt die gleiche, aber faire Chance, ohne dass die Prämien aus dem Ruder laufen und ohne dass ein teures Überangebot entsteht. santésuisse befürwortet deshalb marktwirtschaftliche Instrumente und Anreize zur Förderung von Kostenbewusstsein und Qualität in der sozialen Krankenversicherung. Eine Möglichkeit dazu ist die Steuerung des Leistungsangebots durch differenziertere Tarife: höhere Tarife bei Unterversorgung, tiefere Tarife bei Überversorgung. Eine weitere gute Möglichkeit sind freiere Vertragsverhältnisse zwischen Ärzten und Krankenversicherern.

Mehr Transparenz durch Patientendossier Ebenfalls in der ständerätlichen Gesundheitskommission wurde eine Motion der Schwesterkommission zum

elektronischen Patientendossier beraten. Hier sollen Anreize und Standards deren Einführung in Arztpraxen fördern. Die Kommission befürwortet zwar verbindliche Standards, lehnt jedoch staatliche Anschubfinanzierung oder ein Anreizsystem über Taxpunkte ab. Grundsätzlich wird mit einem elektronischen Patientendossier für die Versicherten Transparenz über ihre Diagnosen und ärztlichen Behandlungen geschaffen. Diese Transparenz sorgt dafür, dass Patienten von den Leistungserbringern nicht aus finanziellen Gründen kränker gemacht werden, als sie wirklich sind. santésuisse schliesst sich der Meinung der Kommission an.

Wirtschaftlichkeitsprüfungen: Weiterentwicklung der Methode Gemäss dem neuen Art. 56, Abs. 6 KVG müssen Leistungserbringer und Versicherer vertraglich eine Methode zur Kontrolle der Wirtschaftlichkeit festlegen. santésuisse geht davon aus, dass durch die etablierten und von santésuisse durchgeführten Wirtschaftlichkeitsprüfungen ein Präventionseffekt von jährlich mindestens 120 Mio. Franken erzielt werden kann. Ziel muss es sein, in den Verhandlungen mit den Leistungserbringern das bewährte System in seiner Effektivität zu verbessern. Nachdem die Gesetzesänderung am 1. Januar 2013 in Kraft getreten ist, haben santésuisse und FMH eine gemeinsame Absichtserklärung zur Weiterentwicklung der Methode unterzeichnet. (GPA)

Einladung zum parlamentarischen Anlass von santésuisse

Rückwirkende Erstattung von Prämiendifferenzen Mittwoch, 13. März 2013, 19 – 21.30 Uhr, Hotel Bellevue Palace, Bern Themen / Referenten: Finanzströme und Solidaritäten in der sozialen Krankenversicherung: Prof. Dr. oec. Konstantin Beck, Leiter des CSS Instituts für empirische Gesundheitsökonomie, Luzern Probleme und Lösungen: Christoffel Brändli, Präsident santésuisse Detailprogramm: 19.00 Uhr: Apéro 19.30 Uhr: Referate und Nachtessen Anmeldungen bitte bis 8. März 2013 an: judith.hostettler@santesuisse.ch, Tel. 079 609 90 68

IMPRESSUM HERAUSGEBER santésuisse – Die Schweizer Krankenversicherer, Ressort Kommunikation, Römerstrasse 20, Postfach, 4502 Solothurn, Tel. 032 625 41 54, Fax: 032 625 41 51, E-Mail: redaktion@santesuisse.ch, Homepage: www.santesuisse.ch, Blog: www.monsieur-sante.ch REDAKTION Gregor Patorski, Daniel Habegger, Frédérique Scherrer, Dr. Andreas Schiesser PRODUKTION City-Offset, Solothurnstrasse 84, 2540 Grenchen TITELBILD Keystone

brennpunkt 1 | 2013


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.