Brennpunkt Nr. 01/2010 deutsch

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Brennpunkt Gesundheitspolitik

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Managed Care – Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zukunft Stefan Kaufmann Direktor santésuisse

Alle wollen Managed Care fördern. Mit einem Angebotszwang fallen jedoch keine Managed Care-Angebote vom Himmel, gute Angebote erst recht nicht. In einer Übergangsphase sollten für Hausarztmodelle und telemedizinische Angebote die gleichen Vorteile bei Prämienrabatt und Kostenbeteiligung gelten wie für Managed Care. Dann gibt es auch keine Versicherten, welche benachteiligt sind, weil in ihrer Region noch keine Managed Care-Angebote existieren. Wer glaubt, unter Zwang Kosteneffizienz und Qualität zu fördern, sollte erklären, warum denn ausgerechnet die Managed Care-Pioniere auf diesen Gebieten das bieten, was das KVG eigentlich seit 1996 erfolglos von allen Leistungserbringern verlangt. Wir zeigen Ihnen, geschätzte Leserin, geschätzter Leser, in dieser Brennpunktnummer, wo Managed Care heute steht und mit welchen Anreizen diese Erfolgsgeschichte fortgesetzt werden kann. Das Parlament hat es in der Hand, die

Will man Managed Care im Sinne einer wirtschaftlichen und qualitativ hoch stehenden Leistungserbringung fördern, sind für jedermann Vorzüge transparent zu machen und freiheitliche Anreize zu setzen. Zu einem erfolgreichen Managed CareModell braucht es den Zusammenschluss von Leistungserbringern in Netzwerken oder HMOs, das Angebot der Krankenversicherer von entsprechenden, alternativen Versicherungsmodellen und die Bereitschaft von Versicherten, diesem Modell dauerhaft beizutreten. Schert auch nur eine Partei aus, kann kein funktionierendes Modell entstehen. Werden allerdings die Vorzüge transparent und bekommen alle Akteure die richtigen Anreize, steigen die Chancen für erfolgreiche Managed Care-Modelle. Es genügt aber nicht, nur die Versicherten mit Prämienrabatten zu locken oder den Krankenversicherern einen Angebotszwang aufzuerlegen. Anreize für Leistungserbringer, Versicherer und Versicherte

Managed Care-Angebote müssen für gesunde und kranke Versicherte attraktiv sein und vor allem im Krankheitsfall des Versicherten ihre Wirkung entfalten und nicht zu reinen Prämiensparmodellen für gesunde Versicherte verkommen. Deshalb ist im KVG die Kostenbeteiligung (Franchise und Selbstbehalt sind vor allem im Krankheitsfall relevant) mit Managed Care attraktiver zu gestalten als ohne.

Weichen für Managed Care richtig zu stellen.

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Attraktiv für gesunde und kranke Versicherte

Weder ein einheitlicher Rahmenvertrag noch ein Angebotszwang machen Managed Care-Produkte für kranke Versicherte attraktiver. Die Krankenversicherer haben ein vitales Interesse daran, dass insbesondere die kranken Versicherten in ihrem Kollektiv ein auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenes Managed Care-Angebot wählen, denn gesunde Versicherte beeinflussen die Kosten der kassenpflichtigen medizinischen Leistungen nicht. Mit einem optimalen, ganzheitlichen Care-Management und einer entsprechenden kosteneffizienten medizinischen Betreuung steigt die Patientenzufriedenheit und die Qualität der medizinischen Behandlungen, während Kosten und Prämien sinken. Wahlfreiheit, Vertragspartnerschaft und Qualität

Innovative Managed Care-Produkte können nur gedeihen, wenn sie auf einer gegenseitigen, freiwilligen, partnerschaftlichen und vertraglich geregelten Zusammenarbeit beruhen. Für die Ärzteschaft und die Krankenversicherer bildet die Vertragsfreiheit somit die Grundvoraussetzung jedes Managed Care-Vertrags. Sämtliche Modalitäten wie beispielsweise das Vergütungssystem oder Governance-Grundsätze werden vertraglich vereinbart. (MSH)


d e r a n g e bot s zwa n g z e r s t ö r t m a n ag e d ca r e Seit 1998 hat sich die Zahl der Versicherten in Modellen mit eingeschränkter Wahl verfünffacht. Von dieser Entwicklung profitieren insbesondere auch die echten Managed Care-Modelle. Im letzten Herbst war hier der Zustrom an neuen Versicherten besonders gross. Trotzdem braucht Managed Care noch stärkere Anreize für gesunde und kranke Versicherte (siehe Seite 1). Mit dem Angebotszwang wird jedoch kein einziger Anreiz geschaffen. Im Gegenteil: Der Angebotszwang zerstört Managed Care.

Das Potenzial von Managed CareModellen ist unbestritten. Stimmen die Rahmenbedingungen, so führen sie zu mehr Qualität und Kosteneffizienz medizinischer Leistungen. Die unerfreuliche Kostenentwicklung in der Krankenversicherung macht die weitere Förderung dieser Modelle notwendig. Die Instrumente dazu sind jedoch umstritten. Der im Nationalrat diskutierte Angebotszwang für die Krankenversicherer kommt einer Lösung mit der Brechstange gleich und ist im Vornherein zum Scheitern verurteilt. Ein Angebotszwang zerstört die innovative Kraft von Managed Care. Was heute unter freiheitlichen Spielregeln wächst und sich weiter entwickelt, wird durch Zwang, Paragrafen und Bürokratie zerstört und verkommt zu einem staatlich verordneten Standardangebot.

Der Angebotszwang setzt voraus, dass Managed Care auf Gesetzesoder Verordnungsstufe bis ins Detail definiert wird. Versicherer und Leistungserbringer werden ihr Angebot an diesen Paragrafen orientieren. Daraus resultiert ein unattraktives Einheitsangebot auf dem Niveau des gesetzlich vorgeschriebenen Minimums. Gleichzeitig bläht der Angebotszwang die Bürokratie auf und verursacht Mehrkosten, denn er muss kontrolliert werden. Kassen, Ärzte und Kontrollbehörden werden mit zusätzlicher teurer Administration belastet, was eventuelle Einsparungen gleich wieder wettmacht. Pseudo-Angebote statt Kundenorientierung

Die gesetzliche Verpflichtung der Versicherer, Managed Care anzubieten, ohne dass sich die Leistungserbringer ebenfalls vernetzen müssen, hat fatale Konsequenzen: Im

Wissen, dass die Krankenversicherer gezwungen sind, Managed CareProdukte anzubieten, werden sich Leistungserbringer in Pseudo-Modellen zusammenschliessen. Für den Kunden bzw. den Versicherten schafft aber weder ein Angebotszwang für Versicherer noch einer für Leistungserbringer auch nur einen Anreiz, einem solchen Modell beizutreten. Auch ohne Angebotszwang keine Angebotslücken

Selbstverständlich sollen Versicherte in Randregionen, wo keine Managed Care-Angebote existieren, nicht automatisch mit einem höheren Selbstbehalt bestraft werden. Sofern in einer Übergangsphase für Hausarztmodelle und telemedizinische Angebote die gleichen Vorteile bei Prämienrabatt und Kostenbeteiligung wie für Managed Care gelten, gibt es auch keine Versicherten, welche benachteiligt sind. (MSH)

VON DEN VERSICHERTEN GEWÄHLTE MODELLE MIT EINGESCHRÄNKTER ARZTWAHL 1999 − 2009 30% 25% 20% QUELLE: SANTÉSUISSE-DATENPOOL

Mit der Brechstange zum Erfolg?

Bürokratie statt Innovation

IN % DER VERSICHERTEN

Nicht nur die Nachfrage der Versicherten nach Managed Care-Modellen wächst beständig, auch das Angebot an Produkten der integrierten Versorgung weitet sich von Jahr zu Jahr aus. Jedes Jahr werden neue Managed Care-Netzwerke gegründet. Knapp die Hälfte der Grundversorger macht bereits mit. Immer mehr Versicherte profitieren von diesen Angeboten. Je nach Region sind es bis zu einem Drittel aller Versicherten. Diese Erfolgsgeschichte beruht in erster Linie auf der partnerschaftlichen Zusammenarbeit der Akteure. Ohne Ärzte, Versicherer und Versicherte als freiwillige Vertragspartner gäbe es heute gar keine Managed Care-Angebote.

15% 10% 5% 0% 1999

2000

2001

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In den letzten 10 Jahren hat sich die Zahl der Versicherten verfünffacht – ohne Angebotszwang.

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2008

2009


p r ä m i e n r abatt e u n d ko s t e n b e t e i l i g u n g – a n r e i z e s tatt a n g e bot s zwa n g Wenn die Krankenversicherer verpflichtet werden, Managed Care anzubieten, wird das freiheitliche Gleichgewicht zwischen Versicherern, Versicherten und Leistungserbringern empfindlich gestört. Was in dieser freiheitlichen Nische der Grundversicherung entstanden ist, würde dem Vertragszwang geopfert. Wo es Versicherer und Leistungserbringer bisher nicht schafften, den Versicherten Managed Care mit Qualität und Kosteneffizienz anzubieten, würden Pseudoangebote entstehen, um dem Gesetz statt den Bedürfnissen der Versicherten zu genügen.

Entscheidend für die weitere Verbreitung von Managed Care-Angeboten sind finanzielle Anreize für die Versicherten und zureichende Übergangsfristen. So können die Angebote entstehen, welche die Versicherten verlangen. Anreize sind auf der Finanzierungsseite (Prämienrabatte) als auch auf der Kostenseite (Kostenbeteiligung mit Franchise und Selbstbehalt) zu setzen. Sie stellen neben Qualität und Kosteneffizienz der medizinischen Leistungen die entscheidenden Erfolgsfaktoren für die weitere Verbreitung und Entwicklung von Managed Care unter vertraglich freien Rahmenbedingungen dar.

santésuisse schlägt eine einfache Rabattierungs- und Kostenbeteiligungsregelung vor, welche Managed Care für gesunde und kranke Versicherte attraktiv macht, ohne an den gültigen Höchstrabatten etwas zu ändern (s. Tabelle): • Solidarität: Ausgangspunkt ist eine einheitliche Grundprämie pro Prämienregion und Versicherer für alle angebotenen Grundversicherungsprodukte. • Minimalfranchise: Die Grundfranchise in einem Managed Care-Modell beträgt wie bisher 300 Franken, in der ordentlichen Grundversicherung 500 Franken.

m i t Ma n aged Care M i n des tfr a nch ise Selbs tbehalt Max i male Kosten be tei l igu ng

• Wahlfranchisen und Maximalrabatte bleiben wie bisher. • Selbstbehalt: Dieser beträgt für die Grundversicherung ohne Managed Care 20 Prozent, mit Managed Care 10 Prozent. • Maximale Kostenbeteiligung: Für die Grundversicherung ohne Managed Care beträgt die maximale Kostenbeteiligung pro Jahr 1400 Franken (500 Franken Franchise und 900 Franken Selbstbehalt), mit Managed Care 1000 Franken wie bisher (300 Franken Franchise und 700 Franken Selbstbehalt. (FSC)

oh n e Ma n aged Care

30 0 Fr a nken

50 0 Fr a nken

10 % , MA X . 70 0 Fr a nken

20 % , MA X . 9 0 0 Fr a nken

10 0 0 Fr a nken

14 0 0 Fr a nken

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Foto: Keystone

Pharma-Industrie: Das Parlament gewichtet die Interessen der Konzerne höher als jene der Konsumentinnen und Patienten.


in kür ze Rascher Abschluss der dringlichen KVG-Revision notwendig

Nach dem massiven Prämienanstieg im letzten Herbst flammt erneut die Diskussion Wettbewerb versus Einheitskasse bzw. kantonale Einheitskassen auf. Mit einem Postulat möchte Nationalrätin Jacqueline Fehr den Bundesrat beauftragen, in einem Bericht aufzuzeigen, inwiefern sich der Wettbewerb zwischen den privaten Krankenkassen seit Inkrafttreten des Krankenversicherungsgesetzes in den Bereichen Kostenkontrolle und Kostendämpfung, Innovation, Stärkung der Prävention sowie Solidarität ausgewirkt hat. In einem zweiten Teil soll dargelegt werden, welche Erwartungen an die Krankenkassen in Zukunft gestellt werden. Ein von Nationalrat Reto Wehrli eingereichtes Postulat soll den Bundesrat beauftragen, einen Bericht über die Schaffung von kantonalen Gesundheitskassen vorzulegen. santésuisse begrüsst den objektiven Diskussionsbeitrag solcher Berichte. Sowohl santésuisse als auch die Versicherer sind jedoch der Überzeugung, dass eine Einheitskasse die Kosten des Gesundheitswesens nicht senken, die Wahlmöglichkeiten für die Versicherten jedoch massiv einschränken würde.

Gegen die steigenden Kosten in der Krankenversicherung will die SGK des Ständerates an mehreren Divergenzen zum Nationalrat festhalten und die Massnahmen nicht bis Ende 2013 befristen, sondern ab Anfang 2011 im ordentlichen Recht verankern. Die Kommission sprach sich erneut dafür aus, den differenzierten Selbstbehalt aus dem Massnahmenpakte herauszubrechen und im Rahmen der «Managed Care»-Vorlage zu regeln. Der Nationalrat hat diesen Vorschlag schon einmal abgelehnt. Auch bei der Höhe des Selbstbehalts sind sich die Räte nicht einig. Geht es nach dem Nationalrat, soll künftig jeder 20 Prozent selber bezahlen, der ohne vorgängige Konsultation des Hausarztes zum Spezialisten geht. Alle andern würden 10 Prozent bezahlen. Geht es nach dem Ständerat, sollen alle 20 Prozent Selbstbehalt bezah-

Foto: Keystone

Einheitskasse oder Wettbewerb?

len, ausser wer einem «Managed Care»Modell angeschlossen ist. Bei der Senkung der Medikamentenpreise hält die Kommission mit einer Mehrheit an ihren Vorschlägen fest. Die Krankenkasse soll nur Medikamente vergüten, die höchstens 10 Prozent mehr kosten als das günstigste Medikament mit dem gleichen Wirkstoff. Knapp wurde der Vorschlag des Nationalrates abgelehnt, Provisionen, Courtagen und Telefonwerbung zu verbieten. Die SGK hält auch daran fest, dass in den Rechnungen die Diagnosen verschlüsselt aufgeführt werden müssen. santésuisse begrüsst grundsätzlich die Beschlüsse der SGK des Ständerates. Die Krankenversicherer sind nun aber an einem raschen Abschluss der Beratungen interessiert. Nur so können sie die Ergebnisse bei der Prämienkalkulation für das Jahr 2011 berücksichtigen.

Positivkatalog in der Grundversicherung keine Lösung Die von Ständerat Urs Schwaller eingereichte Motion zur Überprüfung des Leistungskatalogs im KVG fand in der SGK des Nationalrates Ende Januar keine einzige Stimme. Ziel der Motion war es, den Bundesrat zu beauftragen, den Leistungskatalog der Grundversicherung als Positivkatalog zu formulieren und eine strengere Überprüfung der Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit vorzunehmen. Neu beantragte Leistungen sollen nur in den Leistungskatalog aufgenom-

men werden, wenn hinreichend dargelegt wurde, dass die Zusatznutzen der betreffenden Leistung erwiesen sind. Die Vorlage wurde mit der Begründung abgelehnt, eine Positivliste verursache hohen Verwaltungsaufwand und wirke innovationshemmend. Auch santésuisse stimmt dieser Überlegung zu. Mit riesigem Aufwand müsste nämlich für jede Tarifposition entschieden werden, in welchen Fällen sie nun eine Pflichtleistung zu Lasten der Grundversicherung darstellt und in welchen Fällen nicht.

Entwurf zum Bundesgesetz über Prävention und Gesundheitsförderung (PrävG) Am 30. September vergangenen Jahres wurde der Entwurf des Präventionsgesetzes und die dazugehörende Botschaft zuhanden des Parlaments verabschiedet. Ziel des PrävG ist es, die Steuerung von Präventions-, Gesundheitsförderungsund Früherkennungsmassnahmen in der Schweiz zu verbessern. Zudem ist mit dem Schweizerischen Institut für Prävention und Gesundheitsförderung ein neues Kompetenzzentrum auf Bundes-

ebene geplant. santésuisse unterstützt die Anliegen des Bundes, mit gesetzlichen Grundlagen einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung und Förderung des Gesundheitszustandes der Schweizer Bevölkerung beizutragen, ist aber der Meinung, dass diese Massnahmen auch ohne Schaffung eines neuen Kompetenzzentrums möglich sind. (DHA)

impressum Herausgeber santésuisse – Die Schweizer Krankenversicherer, Römerstrasse 20, Postfach, 4502 Solothurn Redaktion Abt. Politik und Kommunikation, Postfach, 4502 Solothurn, Tel. 032 625 42 83, Fax: 032 625 41 51, E-Mail: redaktion@santesuisse.ch, Homepage: www.santesuisse.ch Produktion City-Offset, Solothurnstrasse 84, 2540 Grenchen Titelbild Prisma Bildagentur AG, Zürich-Schlieren

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