infosantésuisse Nr. 03/2008 deutsch

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info santĂŠsuisse Der neue Verfassungsartikel

Das Magazin der Schweizer Krankenversicherer


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Mehr Qualität für unsere Prämien

Walter Grete: «Die Opposition der Ärzte ist irrational»

Warum das Tessin so hohe Prämien hat

Inhalt Im Fokus 4 Der neue Verfassungsartikel stellt die Weichen für ein gutes und bezahlbares Gesundheitswesen 6 Mehr Qualität für unsere Prämien 7 Punktlandung von Dominique Baettig 8 Felix Gutzwiller: «Der Verfassungsartikel wird die Leistungen nicht abbauen, sondern verbessern» 10 Die Gegner malen den Teufel an die Wand 12 Der ehemalige Präsident der Zürcher Ärztegesellschaft sagt: «Die Opposition der Ärzte ist irrational» 14 Drei Fragen an: Urs Brogli, Leiter Politik und Kommunikation Hirslanden Kliniken Krankenversicherung 15 Zum Gedenken an Fritz Britt 16 Versichertenkarte: VeKa-Center sichert den administrativen Nutzen 18 Stefan Kaufmann, Direktor von santésuisse, zur Versichertenkarte Gesundheitswesen 19 Warum das Tessin so hohe Prämien hat – und was man dagegen tun könnte 22 Prämienverbilligung im Wandel Service 24 Klipp & klar 25 News aus aller Welt 25 Schnellere Re-Integration von Unfallopfern 25 Qualitätshandbuch für den Operationssaal 26 Veranstaltungen 26 Mr Raoul

Nr. 3, APRIL 2008 Erscheint zehnmal jährlich Abonnementspreis Fr. 69.− pro Jahr, Einzelnummer Fr. 10.− Herausgeber und Administration santésuisse, Die Schweizer Krankenversicherer, Römerstrasse 20, Postfach, 4502 Solothurn Verantwortliche Redaktion Peter Kraft, Abteilung Politik und Kommunikation, Postfach, 4502 Solothurn, Tel. 032 625 42 71, Fax 032 625 41 51, E-Mail: redaktion@santesuisse.ch Herstellung: Vogt-Schild Druck AG, Gutenbergstrasse 1, 4552 Derendingen Gestaltungskonzept: Pomcany’s Layout: Henriette Lux Anzeigenverwaltung: Alle Inserate − auch Stelleninserate − sind zu richten an: «infosantésuisse», Römerstrasse 20, Postfach, 4502 Solothurn E-Mail: redaktion@santesuisse.ch Abonnementsverwaltung Tel. 032 625 42 74, Fax 032 625 41 51 Homepage: www.santesuisse.ch Titelbild: Prisma Bildagentur AG ISSN 1660-7228


Herausforderung: Freiheit und Qualität

Am 1. Juni entscheidet das Schweizer Volk über den Verfassungsartikel «Für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Krankenversicherung». Diese Vorlage ersetzt die zurückgezogene SVP-Initiative. Das Parlament musste feststellen, dass der verfassungsrechtliche Rahmen unseres Gesundheitssystems derzeit nicht ausreicht, denn der Bund hat lediglich die Kompetenz zur Gesetzgebung. Die Rollen von Versicherten, Kantonen, Leistungserbringern und Versicherern werden nicht präzisiert, obwohl sie die Eckpfeiler des Gesundheitssystems sind. Sicher liegt es am lückenhaften Gesetzesrahmen, wenn die Kantone ihre Verantwortung in den letzten Jahren auf die Versicherer abgewälzt haben. Das gilt sowohl für die Spitalfinanzierung als auch für die Finanzierung der Pflegekosten in Heimen oder zuhause, wobei die meist altersbedingte Langzeitpflege ein soziales und nicht ausschliesslich medizinisches Phänomen ist. Der neue Verfassungstext des Parlaments unterstreicht, dass öffentliche Beiträge gezahlt werden müssen und Bund sowie Kantone verpflichtet sind, Prämienverbilligungen in Abhängigkeit der finanziellen Lage der Versicherten zu gewähren. Ist soziale Gerechtigkeit nicht eine der Hauptaufgaben der öffentlichen Hand? Der Verfassungsartikel bringt ausserdem zum Ausdruck, wie wichtig Wahlfreiheit, Wettbewerb und Qualität im Gesundheitswesen sind. Diese Bestimmung soll den verschiedenen Akteuren Anreize geben, sich über Parlamentsinitiativen zu einigen und sich nicht von staatlichen Lösungen leiten zu lassen. Im Übrigen weist das Schweizer Volk solche Begehren klar zurück, wie das deutliche Nein zur Einheitskasse gezeigt hat. Ein derartiges Zusammenspiel motiviert die Partner, in allen Bereichen optimale Dienstleistungen zu erbringen. Und das will heute, wo zahlreiche Spezialisten vor Ressourcenmangel und Rationierung warnen, viel heissen! Sicher ist ein Verfassungsartikel nicht dazu da, alles detailliert festzulegen. Trotzdem ist er wegweisend für die Handlungen, die unser Gesundheitssystem leiten sollen. Die zur Abstimmung stehende Vorlage entspricht dieser Einstellung. Ja zu diesem Entwurf am 1. Juni 2008!

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Pierre-Marcel Revaz Vizepräsident santésuisse


Der neue Verfassungsartikel stellt die Weichen für ein gutes und bezahlbares Gesundheitswesen

Ja zu mehr Wahlfreiheit und Qualität in der Krankenversicherung

Endlich die Weichen stellen: Der Verfassungsartikel bietet die grosse Chance dazu.

Der neue Verfassungsartikel zur Krankenversicherung fördert Qualität, Wirtschaftlichkeit und Eigenverantwortung im Gesundheitswesen, und zwar durch die Verstärkung des Wettbewerbs. Er zielt aber – im Gegensatz zur zurückgezogenen SVP-initiative – nicht in Richtung Leistungsabbau und lässt die Frage der Vertragsfreiheit offen.

Die Bevölkerung hat vor Jahresfrist zum wiederholten Mal eine Vorlage abgelehnt, die zu einer Verstaatlichung der Krankenversicherung geführt hätte. Sie hat zudem in verschiedenen Umfragen ihre Skepsis gegen eine zunehmende staatliche Regelungsdichte zum Ausdruck gebracht. Sie hat sich für eine Verstärkung der Eigenverantwortung und der Wahlfreiheit der Versicherten ausgesprochen, ohne den sozialen Rahmen der Krankenversicherung in Frage zu stellen. Der neue Verfassungsartikel nimmt die Anliegen der Bevölkerung ernst und baut genau auf diesen Elementen auf.

Sicherung der sozialen Errungenschaften

Neu sollen Errungenschaften, die bisher nur auf Gesetzes­ ebene festgehalten sind, auch auf Verfassungsstufe verankert werden: Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit als Voraussetzungen für die Finanzierung von Leistungen sowie die freie Wahl von Spital, Arzt und Krankenversicherung. In der Verfassung festgeschrieben werden soll aber auch das bewährte Finanzierungssystem, das Elemente der Eigenverantwortung (Kopfprämien und Kostenbeteiligung) mit Elementen des sozialen Ausgleichs (Prämienver-

Die drei wichtigsten Vorteile des neuen Artikels

• Der neue Artikel stellt die Weichen in Richtung mehr Qualität und Wirtschaftlichkeit. Erreicht werden diese Ziele durch mehr Wettbewerb und nicht durch mehr Staat. • Der neue Artikel fördert betont die Eigenverantwortung als notwendige Ergänzung zur Solidarität. • Der neue Artikel garantiert den Versicherten die freie Wahl von Leistungserbringern, Krankenversicherern und Therapien per Verfassung.

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billigung und öffentlichen Beiträge) verbindet. Der Artikel hält zudem fest, dass die Krankenversicherung sich nicht auf Leistungen bei Krankheit beschränkt, sondern auch Leistungen bei Pflegebedürftigkeit vorsehen kann. Diese «Kann-Formel», die eigentlich die aktuelle Erweiterung der Versicherungsleistungen festschreibt, deuten die Gegner des neuen Verfassungsartikels als einen Schritt in Richtung Leistungsabbau. Diese Behauptung entbehrt allerdings jeder Grundlage (mehr dazu auf den Seiten 8 und 9). Weichenstellung für die Zukunft

Neben der Absicherung der bisherigen Errungenschaften stellt der Verfassungsartikel auch die Weichen für die künftige Entwicklung des Gesundheitswesens. Er strebt ein freiheitliches Gesundheits- und Krankenversicherungssystem an, das auf Qualität, Transparenz und Wirtschaftlichkeit aufbaut, durch einen regulierten Wettbewerb gesteuert wird und dank Obligatorium und sozialer Finanzierung der ganzen Bevölkerung zugänglich ist. Die Leistungserbringer müssen sich vermehrt dem Wettbewerb stellen – wobei die Frage der Vertragsfreiheit offen bleibt. Es bleibt Sache des Gesetzgebers, im Rahmen der KVG-Revision Lösungen für eine Lockerung oder Aufhebung des Vertragszwangs zu finden. Die Bestimmung, dass künftig alle Leistungen nur noch durch einen Kostenträger finanziert werden (monistische Finanzierung), ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Transparenz. Das hat auch zur Folge, dass ambulante und stationäre Leistungen künftig gleich finanziert werden und damit die Fehlanreize der einseitigen Spitalsubventionierung wegfallen. Eine wichtige Bestimmung – nicht zuletzt im Interesse der Versicherten – ist die Förderung der Eigenverantwortung. Es soll sich lohnen, das Mögliche für die eigene Gesundheit zu tun und sich kostenbewusst zu verhalten. santésuisse begrüsst den neuen Verfassungsartikel. Er gibt Impulse für Reformen in Gesundheitswesen und Krankenversicherung, die in Richtung mehr Wettbewerb und Eigenverantwortung gehen. Er fördert ein besseres Kostenbewusstsein und höhere Qualität. Das sind entscheidende Voraussetzungen dafür, dass die Beiträge der Versicherten und die Mittel der öffentlichen Hand möglichst effizient eingesetzt werden. WALTER FREI

Der neue Verfassungsartikel

«Für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Krankenversicherung» Art. 117 Unfallversicherung Der Bund erlässt Vorschriften über die Unfallversicherung.

1

Er kann die Unfallversicherung allgemein oder für einzelne Bevölkerungsgruppen obligatorisch erklären.

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Art. 117a Krankenversicherung Der Bund erlässt Vorschriften über die Krankenversicherung.

1

Die Krankenversicherung beinhaltet eine Krankenpflegeversicherung; sie kann auch eine Taggeldversicherung beinhalten. Die Krankenpflegeversicherung sieht Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft vor; sie kann auch Leistungen bei Pflegebedürftigkeit und Unfall vorsehen.

2

Beim Erlass der Vorschriften beachtet der Bund folgende Grundsätze:

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a. Die Leistungen der Krankenpflege müssen wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein. b. Die Krankenversicherung richtet sich nach den Prinzipien des Wettbewerbs und der Transparenz. Die Eigenverantwortung der Versicherten wird gefördert. c. Versicherer, die im Rahmen der Krankenversicherung tätig sein wollen, bedürfen einer Zulassung. d. Die Voraussetzungen, unter denen Leistungserbringer zulasten der Krankenpflegeversicherung tätig sein können, werden so festgelegt, dass eine qualitativ hochstehende Leistungserbringung und der Wettbewerb gewährleistet sind. Der Bund kann die Krankenversicherung allgemein oder für einzelne Bevölkerungsgruppen obligatorisch erklären. Im Falle einer obligatorischen Krankenpflegeversicherung können die versicherungspflichtigen Personen frei wählen unter den zugelassenen Krankenversicherern und den Leistungserbringern, die zur Tätigkeit zulasten der Krankenversicherung zugelassen sind.

4

Bund und Kantone sorgen bei der Durchführung der Krankenversicherung im Rahmen ihrer Zuständigkeiten gemeinsam für eine Gesundheitsversorgung von hoher Qualität und Wirtschaftlichkeit und koordinieren ihre Massnahmen.

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Die Krankenpflegeversicherung wird finanziert über die Prämien und die Kostenbeteiligungen der Versicherten sowie über öffentliche Beiträge, die demjenigen Träger ausgerichtet werden, der die Leistungen vergütet. Bund und Kantone sehen Prämienverbilligungen vor; dabei tragen sie der wirtschaftlichen Lage der Versicherten Rechnung.

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Der neue Verfassungsartikel bürgt für ein besseres und sicheres Gesundheitswesen

Mehr Qualität für unsere Prämien Der neue Verfassungsartikel erklärt die Qualität zum wichtigsten Grundsatz unseres Gesundheitswesens. Damit wird endlich auf höchster Ebene anerkannt: Das Ziel des Gesundheitswesens ist eine optimale Betreuung unserer Patientinnen und Patienten. Der Verfassungsartikel gibt den Qualitäts-Projekten von Leistungserbringern, Versicherern und Behörden mehr Schwung. Und er schreibt vor, dass aus unseren Prämien die maximale Qualität herausgeholt wird – ohne unnötige Geldverschwendung.

Der neue Verfassungsartikel hält fest: Leistungserbringer können nur für die obligatorische Krankenversicherung tätig sein, wenn sie qualitativ hochstehende Leistungen garantieren. Und er verpflichtet Bund und Kantone ausdrücklich dazu, eine Gesundheitsversorgung von hoher Qualität und Wirtschaftlichkeit durchzusetzen. Zwar stimmt es, dass auch das Krankenversicherungs-Gesetz das verlangt. Doch die Bestimmungen bestehen bereits seit 1996, ohne umgesetzt zu sein. Deshalb ist es angezeigt, die Qualität auf die höchste juristische Stufe zu bringen. Der Verfassungsartikel wird den Qualitäts-Projekten von Leistungserbringern, Versicherern und Behörden endlich mehr Schwung verleihen. Wo stehen wir heute?

Foto: Prisma/santésuisse

Der OECD-Bericht zum Schweizer Gesundheitswesen spricht Klartext: «Weltweit ist das Schweizer Gesundheitswesen hinter jenem der USA das zweitteuerste. Die Qualität der Leistungen ist zwar gut, aber nicht besser als in anderen vergleichbaren Ländern.» Und: «Es gibt weder landesweit gültige Grundsätze,

in denen die Standards für die Qualität festgelegt sind, noch eine systematische Kontrolle der Ergebnisse oder landesweite Programme zur Sicherstellung von Verbesserungen in diesem Bereich.» Zwar laufen viele Qualitätsprogramme und Bemühungen von verschiedenen Seiten. Verbindliche und rundum anerkannte Konzepte gibt es aber keine. Doch der politische Druck steigt: Das Parlament hat den Bundesrat via Motion beauftragt, die Qualitätssicherung nun endlich in die Hand zu nehmen. Im Herbst 2007 hatte die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats bereits festgestellt, dass die Bemühungen des Bundesrats bisher ungenügend waren. Dank des steigenden politischen Drucks zeigen sich nun auch die Akteure aktiver: Spitäler (H+ Qualité), Kantone und Versicherer (Verein IVQ) sowie das BAG (Erhebung von Qualitätsindikatoren) haben wichtige Projekte lanciert. Der neue Verfassungsartikel würde diese Bemühungen auf höchster Ebene stützen und ­ihnen mit Sicherheit Auftrieb geben. Oft blosse Lippenbekenntnisse

Der Verfassungsartikel könnte der Qualitätssicherung zusätzlichen Schwung verleihen. Qualitätsmessungen im Gesundheitswesen hätten es in der Schweiz wegen kultureller Unterschiede und wegen des ausgeprägten Föderalismus schwerer als im Ausland, sagt Dr. med. Stefan Teske, Qualitätsbeauftragter bei santésuisse. Hinzu komme der nicht gerade riesige politische Wille. Deshalb sei eine Verankerung der Qualität in der Verfassung durchaus sinnvoll. Das Argument, das Schweizer Gesundheitswesen sei bereits gut genug, lässt Stefan Teske nicht gelten. Man habe schlichtweg nicht die Informationen, um das zu behaupten, sagt er. Er stellt fest, dass die Bekenntnisse zur Qualität zu oft blosse Lippenbekenntnisse seien – und zwar bei allen Akteuren. Bleibt die Frage, ob die Resultate der Qualitätsmessungen öffentlich zugänglich sein sollen. Hier meint Stefan Teske: «Transparenz ist sinnvoll. Allerdings kann man die Daten nicht einfach auf die Bevölkerung loslassen. Sie braucht zumindest Interpretationshilfen.» Ohne Erklärungen sei es für Patienten schwierig, die komplexen Messungen und die vielen Indikatoren zu verstehen. Für gewisse Bereiche der Qualitätssicherung soll ein geschützter Rahmen gelten. Das freiwillige Melden von Fehlern und Schwachstellen durch das medizinische Personal funktioniert nur, wenn die Anonymität gewährleistet bleibt. Deshalb müssten die Ergebnisse solcher «Critical Incidence Reportings» innerhalb der Spitäler oder Arztpraxen bleiben. Es bleibt viel zu tun

Mehr Qualität dank dem neuen Verfassungsartikel.

Es bewegt sich einiges in der Qualitätsförderung. Beispielsweise spannen Leistungserbringer, Kantone und Versicherer im Verein IVQ zusammen. Das Ziel sind landesweite Qualitätsmessungen und -vergleiche in den Spitälern. Dennoch: Bis die Patienten ihre Ärzte und Spitäler nach Qualitätskriterien auswählen können, bleibt noch einiges zu tun. Der neue Verfassungsartikel würde es den Akteuren sehr schwer machen, den eingeschlagenen Weg wieder zu verlassen. Er wäre quasi der Garant für die Qualitätssicherung – und für deren Transparenz.

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Punktlandung

Verfassungsartikel schützt Transparenz

Auch die Transparenz fordert der Verfassungsartikel ein: «Die Krankenversicherung richtet sich nach den Prinzipen des Wettbewerbs und der Transparenz.» Bereits heute sorgen die Krankenversicherer durch vielfältige Bemühungen für Transparenz in ihrem Bereich. Obligatorisch sind die Kontrolle des Geschäftsgangs durch das BAG, eine äusserst detaillierte Rechnungslegung, die Eingabe von Daten an BAG und Obsan für die offiziellen Statistiken, die Überprüfung der Prämien durch den Bund sowie unangekündigte Kontrollbesuche des BAG bei den Krankenversicherern. Freiwillig unterhält santésuisse die beiden Instrumente Daten- und Tarifpool, welche detaillierte Informationen zu den bezahlten Rechnungen, zur Art der Leistungen und zur Anwendung der Tarife liefern. Ausserdem arbeiten die Krankenversicherer intensiver als gesetzlich gefordert mit BAG und Obsan zusammen. Über die Gemeinsame Einrichtung KVG, die unter anderem den Risikoausgleich durchführt, liefern die Krankenversicherer weitere wertvolle Informationen. So wird beispielsweise deutlich, wie sich die Behandlungskosten auf ältere und jüngere Menschen verteilen. Der Verfassungsartikel unterstützt diese Bemühungen der Krankenversicherer. Er sorgt dafür, dass diese Transparenz auch in Zukunft mindestens auf dem gleichen Stand bleibt. Der Verfassungsartikel fordert Transparenz aber nicht nur von den Krankenversicherern, sondern auch von den Leistungserbringern. Der Nachweis von Wirtschaftlichkeit und Qualität wird in Zukunft Pflicht. Und schliesslich schreibt der Verfassungsartikel die monistische Finanzierung aller Leistungen vor. Die verwirrenden Finanzströme im Spitalbereich gehören damit der Vergangenheit an. Endlich wird klar, wie viel Geld wohin fliesst. Ambulante und stationäre Leistungen werden gleich finanziert. Deshalb haben weder Krankenversicherer noch Kanton mehr ein Interesse, Patienten aus finanziellen Gründen ins Spital einzuliefern – oder eben nicht.

Dominique Baettig Nationalrat JU

Alle sind in der Verantwortung Trotz des Trends zur Kommerzialisierung des Gesundheitswesens, den auf Ängsten aufbauenden Auswüchsen sowie der teilweise masslosen Anspruchshaltung («Ich habe Anspruch auf alles, und wenn nicht, ist das diskriminierend»), gibt es viele Ärzte, die glauben, dass sie nur dankbare Patienten behandeln, und zwar in einer Atmosphäre uneigennütziger Hilfeleistung. In Wirklichkeit trifft dies allerdings nur noch auf einen Teil der Fälle zu. Der Arzt ist zur Abgabestelle von kostspieligen Konsumgütern geworden, deren Bedarf durch emotionale und irrationale Faktoren bestimmt wird und oft jeder Verhältnismässigkeit entbehrt. Die Verankerung von Wirksamkeit und Qualität in der Verfassung ist also keineswegs abwegig. Die Gesundheitskosten steigen ständig und können nicht allein der Alterung der Bevölkerung zugeschrieben werden. Es darf nicht sein, dass jene, die auf ihre Gesundheit achten und Leistungen mit Bedacht und Zurückhaltung in Anspruch nehmen, durch das Verhalten anderer bestraft werden. Eigenverantwortung und die Möglichkeit, Leistungen nach Kosten-Nutzen-Abwägungen zu beziehen, sind deshalb immer wichtiger. Das aktuelle System bietet den Spitälern kaum Anreize zur Koordination und Finanzierung von globalen Behandlungsabläufen oder zur Prämiensenkung. Die Versicherungen dagegen sind schon eher offen für Sparmöglichkeiten und ein gerechtes, stabiles System, um Doppelspurigkeiten zu vermeiden. Der Verfassungsartikel setzt ein deutliches Zeichen der Verantwortlichkeit aller Akteure und zeigt die Grenzen des Massenkonsums von Leistungen auf.

Qualität + Transparenz = Sicherheit

Die grossen Profiteure des neuen Verfassungsartikels sind die Patienten. Wenn Qualität gemessen wird und die Resultate veröffentlicht werden, können die Patienten Ärzte oder Spitäler auswählen, die ihr Leiden am besten und sichersten behandeln. Wenn Transparenz über die Finanzströme herrscht, erhalten die Patienten ihre Therapie dort, wo es am sinnvollsten ist – und nicht mehr dort, wo Einzelinteressen es gerne sähen. Qualiät + Transparenz = Sicherheit – eine simple Gleichung. Der neue Verfassungsartikel ist der Garant dafür. PETER KRAFT

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Im Gespräch: Prof. Dr. Felix Gutzwiller, Präventivmediziner und Ständerat FDP ZH

«Der Verfassungsartikel wird die Leistungen nicht abbauen, sondern verbessern» Der Präventivmediziner und Ständerat Felix Gutzwiller ist überzeugt: Der neue Verfassungsartikel ermöglicht dem Gesundheitswesen eine Zukunft mit tragbaren Kosten und herausragender Qualität. Eine Ablehnung wäre eine grosse verpasste Chance.

Auf den ersten Blick zementiert der neue Verfassungsartikel einfach die aktuelle Gesetzeslage auf Verfassungsstufe. Bringt er darüber hinaus auch Neuerungen?

Das ist genau der Punkt. Ich will ein modernes Gesundheitswesen, in dem Kosten und Qualität gleichermassen wichtig sind. Die Akteure sollen genügend Freiheiten und Gestaltungsmöglichkeiten erhalten. Gleichzeitig braucht es den Staat als starken Regulator.

Die Gegner des Verfassungsartikels fürchten einen Abbau von Leistungen der obligatorischen Krankenversicherung. Können Sie diese Befürchtung mit voller Überzeugung zerstreuen?

Mehr Wettbewerb, die Kantone fürchten um ihre Rolle im Gesundheitswesen: Das wird viele Menschen in Randgebieten nicht gerade zu einem «Ja» animieren. Wie überzeugen Sie das Stimmvolk auf dem Land?

Es gibt weder im Text des Artikels noch in den Vorbereitungsarbeiten dazu irgend einen Hinweis auf Leistungsabbau – im Gegenteil: Die neuen Bestimmungen bei Wahlfreiheit, Qualität und Transparenz werden die Leistungen verbessern. Auch ich persönlich glaube: Die Zukunft liegt in einem guten Qualitätsmanagement und in einem guten Kosten-Nutzen-Verhältnis, und nicht in einem Leistungsabbau.

Bereits jetzt haben wir in manchen Randregionen Probleme. Daran ist unser starres System mitschuldig. Es ist heute nicht möglich, die Ärzte mit höheren Tarifen zur Niederlassung auf dem Land zu bewegen. Mit dem Verfassungsartikel könnten die Kantone solche Anreize einführen. Das wäre planwirtschaftlichen Rezepten wie dem Ärztestopp eindeutig vorzuziehen.

Eine andere Befürchtung: Die Überbetonung des Wettbewerbs führt zur Rationierung, zu US-amerikanischen Zuständen. Wollen die Befürworter des Verfassungsartikels eine solche Art von Wettbewerb?

«Der Vergleich mit den USA ist polemisch, und das wissen auch die Gegner genau.»

Amerika – ohne ein Obligatorium, wo 20 Prozent der Bevölkerung keinen Zugang zum Gesundheitswesen haben – so etwas will hier nun wirklich niemand. Der Vergleich mit den USA ist polemisch, und das wissen auch die Gegner genau. Unser Gesundheitswesen steht allen offen, und daran wird auch nichts geändert. Der Verfassungsartikel bewirkt das Gegenteil einer Amerikanisierung. Er schreibt fest, dass jeder Bürger ein Recht auf eine qualitativ hochstehende Gesundheitsversorgung hat. Damit wirkt er genau jener Zweiklassenmedizin entgegen, welche die Gegner so sehr befürchten.

Einerseits verspricht der Verfassungsartikel mehr Wahlfreiheit – andererseits befürchten einige bei dessen Annahme die Vertragsfreiheit. Wie passt das zusammen?

Foto: Keystone

Der Begriff «zementiert» gefällt mir nicht. Der Artikel bringt in die Verfassung, woran wir auf Gesetzesstufe gerade arbeiten. Dadurch wäre es nicht mehr ganz so einfach, hart erkämpfte Reformen wieder rückgängig zu machen. Man darf nicht vergessen: In den letzten Jahren gab es einige Ini­ tiativen, welche die Verstaatlichung des Gesundheitswesens zum Ziel hatten. Wenn die Eckpfeiler des regulierten Wettbewerbs in der Verfassung stehen, haben es solche Vorhaben in Zukunft schwieriger. Darüber hinaus bietet der Verfassungsartikel durchaus Neuerungen: Er hält die Grundprinzipien von Qualität und Transparenz fest. Er garantiert den Versicherten neue Wahlfreiheiten wie die landesweit freie Spitalwahl. Er schlägt die Finanzierung der Krankenversicherung aus einer Hand vor. Damit verschwinden die falschen Anreize, die unser Gesundheitswesen bisher ineffizient gemacht haben.

Es geht also nicht um einen Wildwest-, sondern um ­einen regulierten Wettbewerb.

Der Verfassungsartikel sagt gar nichts zur Vertragsfreiheit. Ich persönlich denke zwar, dass wir in diese Richtung gehen sollten. Aber die Frage bleibt beim Parlament. Wir haben bewusst auf die Integration der Vertragsfreiheit verzichtet. Wir denken, dass für so einen Schritt eine breitere Debatte auf gesetzgeberischer Ebene nötig ist. Genauso falsch ist übrigens der Umkehrschluss: Wird der Verfassungsarti-

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«Der Verfassungsartikel verhindert eine Zweiklassenmedizin.»

kel abgelehnt, ist die Vertragsfreiheit damit nicht begraben. Die politische Debatte geht weiter – so oder so. Gibt der neue Verfassungsartikel den Krankenversicherern mehr Macht?

Nein. Ich würde nie einer Vorlage zustimmen, die den Krankenversicherern einfach so, ohne demokratische Kontrolle, Milliarden von Steuergeldern zuschanzen würde. Der Verfassungsartikel sagt lediglich: Die Krankenversicherung wird aus einer Hand finanziert, damit die heutigen falschen Anreize verschwinden. Wie das Parlament diesen so genannten Monismus ausgestaltet, darüber sagt der Verfassungsartikel nichts. Egal wer aber der alleinige Finanzierer sein wird: Die Auflagen und die Kontrollen werden streng sein. Das Parlament wird – im Sinn und Geiste des Verfassungsartikels – volle Transparenz verlangen. Monismus – vielen Stimmbürgern sagt das nicht viel. Was sind die Vorteile davon?

Heute finanzieren Kantone und Krankenversicherer gemeinsam die Spitalleistungen. Daraus entstehen schwere Interessenskonflikte auf beiden Seiten. Der Staat ist gleichzeitig Betreiber, Finanzierer, Planer und Schiedsrichter in Tariffragen. Das ist eine Vermischung von völlig unterschiedlichen Rollen. Die Versicherer wiederum haben je nach dem ein Interesse an teuren stationären Behandlungen, weil sie da nicht alles bezahlen müssen. Wenn nur noch ein Akteur zuständig für die Spitalrechnungen ist, verschwinden diese falschen Anreize. Ein anderes Beispiel: HMO-Modelle sparen ja auch, indem sie Spitalaufenthalte teilweise verkürzen. In der heutigen Mischfinanzierung kommen ihnen solche Einsparungen aber nur zur Hälfte zugute. Der schweizerische Gewerkschaftsbund und andere befürchten, der Verfassungsartikel gefährde die Über-

nahme von Pflegeleistungen durch die Krankenversicherer. Was sagen Sie dazu?

Das ist einfach Status Quo. Der Verfassungsartikel verändert bei den Pflegeleistungen nichts. Bereits heute ist die gesetzliche Lage ja so, dass mehrere Träger die Pflegeleistungen finanzieren.

«Der Verfassungsartikel sagt gar nichts zur Vertragsfreiheit.» Was befürchten Sie für den Fall, dass der Verfassungsartikel abgelehnt wird?

Für mich ist der Verfassungsartikel die grosse Chance, den regulierten Wettbewerb im Gesundheitswesen zu verankern. Ich bin überzeugt, dass dies für wirtschaftlich fortgeschrittene Gesellschaften die beste Lösung ist. Wir haben die Chance, nicht nur ein günstiges, sondern auch ein qualitativ hochstehendes Gesundheitswesen auf Dauer zu sichern. Eine Ablehnung werden die Gegner als Zeichen interpretieren, dass die Bevölkerung keine Wettbewerbs-Elemente im Gesundheitswesen will. Die Folge wäre nicht nur eine verpasste Chance, sondern auch ein neuer Richtungsstreit. Besteht bei einer Ablehnung die Gefahr, dass die KVG-Revision langsamer vorwärts geht?

In den letzten Jahren war das so ein Zickzack-Kurs und dermassen schwierig, dass ein langsameres Tempo schwer vorstellbar ist. Ich glaube nicht, dass die Abstimmung einen konkreten Einfluss auf den Fortgang der KVG-Revision hat. Nun könnte man sagen: Wozu denn das Ganze? Ich bin der Meinung, nach zehn Jahren KVG braucht es eine gewisse Richtungsklärung, die das Volk legitimieren kann. Wir müssen auch die längerfristige Zukunft unseres Gesundheitswesens im Auge behalten. INTERVIEW: PETER KRAFT

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Irrtümer und Falschinformationen sollen Bevölkerung verunsichern

Verfassungsartikel: Die Gegner malen den Teufel an die Wand Der Verfassungsartikel «Für Qualität und Wettbewerb in der Krankenversicherung» will nicht mehr und nicht weniger, als sein Name sagt. Die Gegner des Verfassungsartikels entwerfen trotzdem fleissig Schreckensszenarien, um den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern die Vorlage zu verleiden. Nachfolgend eine Übersicht über die wichtigsten Irrtümer und Falschinformationen, denen die Bevölkerung keinesfalls auf den Leim gehen sollte. Der Verfassungsartikel führt zur Vertragsfreiheit.

Es ist ein Rätsel, wie die Gegner des Verfassungsartikels das behaupten können. Wahr ist: Der Verfassungsartikel verlangt, dass für die Krankenversicherung zugelassene Leistungserbringer miteinander im Wettbewerb stehen müssen. Wie dieses Ziel verfolgt wird, bleibt allerdings Sache des Parlaments. Im Verfassungsartikel findet sich kein einziger Hinweis auf die Vertragsfreiheit. Die Debatte über die Vertragsfreiheit geht weiter – unabhängig vom Ausgang der Abstimmung. Das bedeutet konkret: Auch wenn der Verfassungsartikel abgelehnt wird, ist die Vertragsfreiheit nicht vom Tisch. Der Verfassungsartikel und die Vertragsfreiheit haben miteinander rein gar nichts zu tun.

Der Verfassungsartikel gefährdet die Deckung der Pflegeleistungen.

Die Gegner leiten diese Behauptung aus folgender Formulierung ab: «Die Krankenversicherung kann auch Leistungen bei Pflegebedürftigkeit und Unfall vorsehen.» Damit biete die Verfassung keine Garantie, dass die Krankenversicherung Pflegekosten übernimmt. Fakt ist aber: Das tut sie auch heute nicht. Die Übernahme von Pflegeleistungen durch die Krankenversicherung ist und bleibt im Gesetz geregelt. Immerhin bringt der Verfassungsartikel die Möglichkeit, Pflegekosten über die Krankenversicherung zu finanzieren, auf die höchste juristische Stufe. Das ist bedeutend mehr als heute. Übrigens: In der Bundesverfassung steht heute: «Der Bund kann die Krankenversicherung für die Bevölkerung oder Teile davon obligatorisch erklären.» Auf die Idee, die Bundesverfassung als Gefahr für das Obligatorium zu bezeichnen, käme nun wirklich niemand. Der Vorwurf, der Verfassungsartikel gefährde die Deckung der Pflegeleistungen, grenz deshalb schon fast an Bösartigkeit. Der Verfassungsartikel stellt die Pflege juristisch sogar besser.

Mit dem Verfassungsartikel wird der Leistungskatalog reduziert.

Diese Befürchtung ist unbegründet. Im Gegenteil: Der Artikel verankert neben den Leistungen für Krankheit auch jene für Mutterschaft ausdrücklich in der Verfassung. Der Verfassungsartikel ist ein Gegenvorschlag zu einer Initiative, die eine Reduktion des Leistungskatalogs verlangt hätte. Sein Ziel ist es also, einen Leistungsabbau zu verhindern. Darüber hinaus verlangt der Artikel, dass die Leistungen zulasten der Krankenversicherung von hoher Qualität sein müssen. Das ist eine wesentliche Verbesserung für die Patientinnen und Patienten. Der Verfassungsartikel streicht keine Leistungen, sondern fördert die Qualität.

Die Überbetonung des Wettbewerbs führt zur Rationierung – wer zuviel kostet, wird nicht mehr behandelt.

In der Schweiz ist eine solche Situation unvorstellbar. Dafür sorgen die politischen Prioritäten in unserm Land einerseits und das Krankenversicherungsgesetz andererseits: Der schnelle und gerechte Zugang zu medizinischen Leistungen ist gleich in mehreren Artikeln festgeschrieben. Der Verfassungsartikel ändert daran gar nichts. Im Gegenteil: Die Effizienz der Gesundheitsversorgung ist neu ein Ziel der Bundesverfassung. Wenn die Gelder im Gesundheitswesen für wirkungsvolle und zweckmässige Behandlungen eingesetzt werden, sinkt die Gefahr, dass die Mittel eines Tages so knapp werden, dass notwendige Behandlungen verweigert werden müssen. Rationalisierung verhindert Rationierung – der neue Verfassungsartikel ist das beste Mittel dazu.

Weil die Gesundheitsdienste in abgelegenen Regionen weniger rentieren, führt ein wettbewerbsorientiertes Gesundheitswesen zur Unterversorgung auf dem Land.

Schon jetzt zeigen sich im schweizerischen Gesundheitswesen erste Tendenzen einer «Landflucht» der Leistungserbringer. Im übrigen Europa ist diese Tendenz aber teilweise viel stärker. Wer im Norden Skandinaviens oder im ländlichen Italien (mit staatlichen Gesundheitssystemen) schon einmal einen Arzt oder Apotheker gesucht hat, weiss das. Ein System mit reguliertem Wettbewerb kann Anreize vorsehen, welche die Randregionen für Leistungserbringer wieder

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Der Verfassungsartikel verpflichtet Bund und Kantone, auch in Randregionen eine hochstehende Gesundheitsversorgung zu garantieren.

Der Verfassungsartikel gibt alle Macht den Krankenkassen.

Das ist keinesfalls die Absicht des Verfassungsartikels. Vehemente Befürworter des Verfassungsartikel, wie etwa der Zürcher Präventivmediziner und Ständerat Felix Gutzwiller, stellen klar: Sie würden die Vorlage nicht unterstützen, gäbe sie den Krankenkassen tatsächlich mehr Macht. Der Verfassungsartikel betont die Rolle des Staates als starken Regulator. Die Vorgaben für die Gesundheitsversorgung, die Qualität und die Wirtschaftlichkeit kommen auch mit dem neuen Verfassungsartikel von Bund und Kantonen. Auch mit dem neuen Verfassungsartikel setzt der Staat die Rahmenbedingungen.

Die monistische Finanzierung verschiebt Milliarden Franken an Steuergeldern hin zu den Krankenkassen.

Bisher haben sich Krankenkassen und Kantone die Spitalrechnungen geteilt. Der Verfassungsartikel sieht neu vor, dass nur noch eine Stelle, der sogenannte Monist, die Spitalrechnungen bezahlt. Die anderen Beteiligten bezahlen ihren Anteil nicht mehr ans Spital, sondern an den Monisten. Die Finanzströme werden so wesentlich übersichtlicher. Der Verfassungsartikel schreibt nur vor, dass es einen Monisten gibt. Er sagt allerdings nicht, dass dies die Krankenversicherer sein müssen. Wer Monist wird, muss das Parlament entscheiden. Und sollte dessen Wahl auf die Krankenversicherer fallen: Kann man dann allen Ernstes befürchten, dass das Parlament auf strenge Kontrollmechanismen verzichten würde? Jeder Franken, den die Krankenversicherer vom Staat erhalten würden, stünde unter scharfer Beobachtung. Die Steuergelder wären bestimmt nicht schlechter kontrolliert als bisher. Übrigens: Im ambulanten Bereich sind die Krankenversicherer immer schon Monisten gewesen. Zu einer Machtballung ist es deswegen nicht gekommen. Allein das Parlament entscheidet, wer Monist wird. Und falls die Krankenkassen Geld von den Kantonen erhielten: Die Kontrollen wären streng und konsequent. peter kraft

Foto: Prisma

attraktiver machen. Genau das tut der neue Verfassungsartikel: «Die Voraussetzungen, unter denen Leistungserbringer zulasten der Krankenversicherung tätig sein können, werden so festgelegt, dass eine qualitativ hochstehende Leistungserbringung und der Wettbewerb gewährleistet sind.» Das heisst: Die Behörden müssen Zulassungsbedingungen formulieren, welche die Leistungserbringer in unterversorgten Gebieten besserstellt. Bund und Kantone werden verpflichtet, in dieser Frage zusammenzuarbeiten.

Die Argumente gegen den Verfassungsartikel sind wenig stichhaltig.

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Im Gespräch: Dr. Walter Grete, ehemaliger Präsident der Zürcher Ärztegesellschaft

«Die Opposition der Ärzte ist irrational» Der ehemalige Präsident der Zürcher Ärztegesellschaft, Walter Grete, plädiert für ein liberales Gesundheitssystem – und damit für die Annahme des Verfassungsartikels am 1. Juni. Von der Ärzteschaft wünscht er sich, dass sie Veränderungen als Chance und nicht ständig als Bedrohung empfindet.

Sie sind ehemaliger Präsident der Zürcher Ärztegesellschaft und Mitglied des Forum Gesundheit Schweiz – zwei Organisationen mit nicht immer gleichen gesundheitspolitischen Prioritäten. Wie stehen Sie zum Verfassungsartikel «für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Krankenversicherung?

Der Zulassungsstopp ist also ein Beispiel für eine kontraproduktive staatliche Intervention.

Meines Erachtens ist er ein Eingriff in die Gewerbefreiheit. Das hätten die eidgenössischen Räte nie beschliessen dürfen. Wenn es derart viele Ärzte gäbe, dass die Praxen nicht mehr rentieren und dass die Qualität darunter leidet, dann muss der Staat seine gesundheitspolizeiliche Funktion wahrnehmen und sagen: Mindestfallzahlen und die entsprechende Qualität bestimmen über die Zulassung. Dies – und nicht mehr – ist die Aufgabe des Staates. Genau diese Richtung verfolgt ja der Verfassungsartikel, indem er sagt: Der Staat ist der Regulator, die Leistungen aber werden im Wettbewerb erbracht.

Grundsätzlich bin ich für ein freiheitliches und liberales Gesundheitswesen. Wer hinter den Grundsätzen Wettbewerb und Qualität steht, muss auch für diesen Verfassungsartikel sein. Fragen Sie die Zürcher Ärzte: Sind Sie für Wettbewerb, Effizienz und Qualität im Gesundheitswesen? Es wird ihnen jeder sagen: Ja, selbstverständlich! So absurd ist mein Gewissenskonflikt also nicht.

Der Staat soll nicht Leistungserbringer sein, er ist ungeeignet dafür. Vor hundert Jahren war das sicher anders, als grosse Investitionen lokal nur durch den Staat aufgebracht werden konnten. Heute sind die Funktionen des Staates beim sozialen Ausgleich, beim Patientenschutz und bei gesundheitspolizeilichen Aufgaben. Die lokalen Grenzen hingegen sind hinderlich geworden.

Sind die Zürcher Ärzte denn derart anders als die Ärzte in der restlichen Schweiz?

«Ein Spital darf kein Defizit machen, sonst muss es etwas ändern.»

Das glaube ich nicht. Dieser Verfassungsartikel ist belastet durch seine Vorgeschichte und durch die allgemeine Unzufriedenheit eines grossen Teils der Ärzte. Also ist man gegen alles, ohne die Sachfragen genau zu analysieren. Viele Ärzte sind dagegen aus Angst, es könnte irgendein Diktat entstehen. Aber das betrifft in keiner Art und Weise rationale Überlegungen. Das ist eine sehr schlechte Situation, wenn aus einem Bauchgefühl solche Abwehrreflexe entstehen. Wie könnte man diese Reflexe bei der Ärzteschaft abschwächen?

Es braucht politische Entscheide, welche Probleme wirklich lösen und nicht immer alles offen lassen. Den Entscheid zum Praxisstopp zum Beispiel schieben wir jetzt acht Jahre vor uns her. Aus der vorübergehenden Notmassnahme wurde ein Dauerzustand. Wer im Jahr 2000 Medizin studierte, bekam die Botschaft: Wir haben zu viele Ärzte in der Praxis. Also zieht es die jungen Kollegen in die Spitäler, wo es durch Arbeitszeitverkürzung genügend Arbeitsplätze gibt. Die Ziele dort sind Sicherheit und ein guter Lohn. Dadurch wird ein gewerkschaftliches Denken gefördert. Den Ärzten in der Praxis ist diese Entwicklung unheimlich, und sie verfallen in reine Besitzstandswahrung.

Was kann der Verfassungsartikel realistischerweise bewirken? Bringt er den nötigen Reformschub?

Er ist ein Schritt in die richtige Richtung, ein Wegweiser für ein zukünftiges Gesundheitssystem. Wenn der Verfassungsartikel angenommen wird, haben wir Klarheit, und das Richtungsgerangel in der Politik kann aufhören. Allerdings ist er inhaltlich wenig griffig. Vielleicht wäre es besser gewesen, mutig konkrete Reformschritte vors Volk zu bringen. Der Verfassungsartikel hätte also ruhig weitergehen können?

Ja. Immerhin haben wir im Verfassungsartikel den Monismus – etwas absolut Vernünftiges. Die Spitalfinanzierung ist meiner Meinung nach keine staatliche Aufgabe. Wieso soll der Staat den Spitälern eine Defizitgarantie geben? Ein Spital darf kein Defizit machen, sonst muss es etwas ändern. Das können nur Spitäler in unternehmerischer Freiheit. Was passiert, wenn das Volk den Verfassungsartikel ablehnt?

Dann geht das Gerangel weiter, alle gegen alle. Es bleibt der Kantönligeist, die lokale Bewahrung der Strukturen, der Zahlensalat und die Ineffizienz. Vor allem steigen die Prämien weiter, und für immer mehr Normalverdiener werden sie zum grössten Haushaltsposten. Die Krankenkassenprämien werden noch stärker als heute zu einem Politikum – vergleichbar mit dem Mietzins. Auch für die Ärzte wäre das die schlechteste Variante.

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Foto: ZVG

«Der Staat soll nicht Leistungserbringer sein.»

Der Richtungsstreit ginge also weiter. Wenn man in die umliegenden Länder schaut: Diese haben alle eine Staatsmedizin mit tieferen Gesundheitskosten. Was soll daran so schlimm sein?

Unser Gesundheitswesen ist Ausdruck eines reichen Landes. Es ist auf einem sehr hohen Level. Da kommt keines unserer Nachbarländer heran. Und das soll auch so sein. Ausgaben für das Gesundheitswesen sind meistens intelligente Investitionen. Die Ausrüstung der Spitäler ist stets auf dem neusten Stand, die Apparaturen sind in mehr als genügender Dichte vorhanden. Ob dadurch die medizinische Qualität wirklich immer steigt, ist eine andere Frage. Vieles ist eine Frage des Komforts – auch die langen Hospitalisationszeiten. Wenn eine Frau nach einer schweren Geburt ein paar Tage länger im Spital bleibt, ist das medizinisch nicht nötig. Aber sie kann sich dafür besser erholen. Ich finde es gut, dass wir solche Prioritäten setzen. Im Gegenteil wäre es ein schlechtes Zeichen, wenn wir als reichstes Land der Erde nicht mehr bereit wären, solche Kosten zu tragen. Es gibt bessere Orte, um zu sparen. Allerdings: Wir brauchen mehr Wahlfreiheiten – und deshalb ist dieser Verfassungsartikel ein Schritt in die richtige Richtung. Er bringt eine Liberalisierung, ohne die soziale Komponente zu schmälern. Sie haben in der Ärztezeitung für eine «Vertragsfreiheit unter klaren Rahmenbedingungen» plädiert. Können Sie dieses Modell kurz skizzieren?

Das Wichtigste ist, dass junge Ärzte eine Chance haben. Es muss garantiert sein, dass es für jeden Versicherten in der Schweiz auch genügend Ärzte gibt. In meinem Modell würden Ärzte in jenen Gebieten bevorzugt unter Vertrag genommen, in denen die Ärztedichte unter dem schweizerischen Durchschnitt liegt. Damit wären Jungärzte nicht ausgeschlossen, und es wäre etwas gegen die regionale Unterversorgung getan. Möglich wäre sogar eine bevorzugte

Behandlung von Jungärzten in ihren ersten drei Praxisjahren. Und es muss möglich sein, dass Ärzte Patienten auch ausserhalb des Sozialversicherungsbereichs behandeln können. Das würde den Ärzten andere Marktmöglichkeiten erschliessen, die ihnen bisher – gerade wegen des Vertragszwangs – verschlossen waren. Man hätte nicht mehr in allen Fällen einen garantierten Tarif, aber man wäre auch nicht mehr in allen Fällen daran gebunden. Ärzte in Randregionen oder sehr beliebte Ärzte hätten eine gewisse Verhandlungsmacht gegenüber den Versicherern und könnten vorteilhaftere Tarife herausholen als heute im prämiengesteuerten Zwangstarif.

«Wird der Artikel abgelehnt, geht das Gerangel weiter – alle gegen alle.» Das würde also bedeuten: Nicht unbedingt mehr Macht für die Versicherungen – sondern unter Umständen auch mehr Macht für die Ärzte?

Ja klar! Das Wort Macht liesse sich auch durch Freiheit ersetzen. Ich bin überzeugt, dass die Versicherer den tüchtigen Ärzten nachspringen würden. Heute hingegen decken wir mit unserer Opposition gegen die Vertragsfreiheit auch die sogenannten schwarzen Schafe. Und wegen der freien Arztwahl: Das erste, was entstehen würde, wäre eine Zusatzversicherung «Alle Ärzte». Sie würde nicht mehr kosten, als die jetzige Versicherung, denn die heisst ja auch «Alle Ärzte». Diese Versicherung hätte vielleicht auch höhere Taxpunktwerte, ausgehandelt zwischen Ärzten und Krankenkassen. Eine unglaubliche Chance also. Ich weiss nicht, wieso das aus purer Angst dermassen torpediert wird. Vielleicht weil man fürchtet, die Ärzte wären nicht solidarisch. Aber das würden wir wohl hinkriegen, wenn es um Verhandlungen mit den Versicherern geht. INTERVIEW: PETER KRAFT

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Drei Fragen an: Urs Brogli, Leiter Politik und Kommunikation Hirslanden Kliniken

«Die Gefahr eines Machtkartells der Versicherer sehe ich nicht» Urs Brogli, Leiter Politik und Kommunikation der Hirslanden Kliniken, ist ein vehementer Befürworter des neuen Verfassungsartikels. Er verspricht sich davon ein schnelleres Reformtempo sowie mehr Qualität und Transparenz für die Patientinnen und Patienten.

Sie sprechen sich für den Verfassungsartikel «für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Krankenversicherung» aus. Tun Sie das nur aus Sicht der Hirslanden Kliniken – oder können Sie auch für die anderen Privatspitäler sprechen?

Foto: Peter Kraft

Ich bin im Vorstand des Verbands Privatkliniken Schweiz. Der Verfassungsartikel ist bei unseren Mitgliedern sehr gut angekommen. Insofern spreche ich für alle Privatspitäler. Der Verfassungsartikel zeigt einen Weg auf, der die heutigen Fehlanreize für alle Akteure korrigiert. Ausserdem brauchen wir endlich ein klares Statement der Bevölkerung zur grundsätzlichen Ausrichtung des Gesundheitswesens. Griffige Reformen scheitern immer wieder an der Frage Plan oder Markt. Ein gutes Beispiel ist die neueste Revision des KVG im Bereich der Spitalfinanzierung. Die Dezember- Beschlüsse des Parlamentes sind mehrheitlich positiv, und es sind darin auch wettbewerbliche Ansätze zu erkennen. Doch die Verordnung, die jetzt in der Vernehmlassung ist, missachtet den Willen des Gesetzgebers bereits wieder, indem sie diesen verwässert und das planwirtschaftliche Element stärkt. Auch die monistische Finanzierung war im Ständerat spruchreif, wurde dann aber von den Kantonen torpediert. Ich verstehe die Opposition der Kantone gegen den Verfassungsartikel nicht. Das Parlament wird mit Sicherheit strenge Rahmenbedingungen zur monistischen Finanzierung festlegen. Die Gefahr, dass Millionen unkontrolliert an die Versicherer verschoben werden, sehe ich deshalb nicht.

Mit der monistischen Finanzierung würde die ungleiche Behandlung von öffentlichen und privaten Spitälern aufgehoben. Nützt der Monismus aber auch dem Patienten, der Prämienzahlerin etwas?

Im aktuellen Finanzierungssystem spielen die Kantone mehrere Rollen gleichzeitig. Sie sind deshalb nicht objektiv. In einer gross angelegten Studie wurde 2005 festgehalten, dass die Kantone aufgrund ihrer politischen Interessen und der verschiedenen Rollenkonflikte ihre Spitallisten sehr willkürlich erstellen. Für die Patienten bedeutet Monismus mehr Wahlfreiheit, aber auch mehr Transparenz. Überdies verschwinden falsche Anreize. Aufgrund unterschiedlicher Finanzierungsarten sind die Kantone heute daran interessiert, die Patienten ambulant zu behandeln, weil sie dort nichts bezahlen müssen. Die Versicherer ziehen wegen der Kantonsbeiträge stationäre Behandlungen vor. Damit sind die Patienten ein Spielball der Interessen – bei einer monistischen Finanzierung wäre dies bedeutend weniger der Fall. Der Verfassungsartikel verlangt ein liberales, wettbewerbliches Gesundheitswesen. Woher wissen wir, dass genau damit die Ziele von Effizienz und Qualität erreicht werden? Wäre eine Staatsmedizin – wenn sie gut geplant ist – dazu nicht genau so in der Lage?

Das staatliche Gesundheitswesen wäre ein Monopol, und Monopole haben immer die Tendenz zu einer gewissen Trägheit. Was heisst «gut geplant?» Die Planung des Gesundheitswesens – eingebunden in den politischen Prozess – ist zwangsläufig schwerfällig und damit auch teuer. Nötige Anpassungen können nicht kurzfristig realisiert werden. Damit geht jede Effizienz verloren. Das hat nichts mit fehlender Kompetenz und fehlendem guten Willen zu tun, sondern ist systemimmanent. Die Verantwortlichen wechseln nach einer Legislatur oft wieder – zur Schwerfälligkeit kommt also noch die fehlende Kontinuität. Im Übrigen verhalten sich die Kantone meiner Meinung nach sehr widersprüchlich, wenn sie sich einerseits intensiv für die Einführung der DRGS einsetzen und andererseits vehement auf der Planung beharren. Der einzige Beweggrund, den ich mir vorstellen kann, ist die Angst, Macht und Einfluss zu verlieren. INTERVIEW: PETER KRAFT

«Ich verstehe die Opposition der Kantone gegen den Verfassungsartikel nicht.»

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Zum Gedenken an Fritz Britt

Mit grossem Bedauern müssen Verwaltungsrat und Direktion bekannt geben, dass Fritz Britt, Direktor von santésuisse, am 16. März im Alter von 49 Jahren einer Krebserkrankung erlegen ist. Der Branchenverband der Krankenversicherer santésuisse konnte sich in der kurzen Zeit des Wirkens von Fritz Britt auf einen ausgewiesenen Kenner des schweizerischen Gesundheitswesens stützen. Der gelernte Jurist und Berner Fürsprecher war auf Anfang 2007 vom Pharmaunternehmen Novartis, wo er Head of Global Policy war, zu santésuisse gestossen. Von 1997 bis 2004 leitete er im Bundesamt für Sozialversicherung BSV als Vizedirektor die Hauptabteilung Kranken- und Unfallversicherung. Von 1995 bis 1997 war Fritz Britt bereits einmal für den Krankenkassenverband tätig: Er führte während dieser Zeit das damalige Konkordat der schweizerischen Krankenversicherer. Seine allzu kurze Zeit beim Branchenverband wurde bereits früh von seiner schweren Krankheit überschattet. Sie reichte ihm dennoch, um seine grossen Stärken auszuspielen. Als ausgewiesener Kenner des schweizerischen Gesundheitswesens und seiner Akteure hinterlässt er eine Lücke, die nur schwer zu schliessen sein wird. Aus gesundheitlichen Gründen musste sich Fritz Britt schliesslich aus dem Tagesgeschäft zurückziehen.

Fritz Britt  17. Juli 1958 – 16. März 2008

Nicht zuletzt verlieren wir in Fritz Britt einen guten Freund und Kollegen, der uns mit seinem ansteckenden Optimismus und Tatendrang sehr fehlen wird. In einem Porträt in der Basler Zeitung, das anlässlich seiner Nationalratskandidatur im vergangenen Herbst erschien, heisst es treffend: «Neue Ideen, Dynamik und Lebensfreude – alles Eigenschaften, die den stets frohgemuten Britt auszeichnen.» Fritz Britt hat sich während seiner Arbeit bei santésuisse ganz in den Dienst der Prämienzahlenden gestellt. Bereits kurz nach seinem Amtsantritt sagte er der NZZ am Sonntag: «In erster Linie soll der Verband für die Versicherten und Patienten da sein.» Unsere Gedanken gehören ganz seinen Familienangehörigen. Ihnen wünschen wir von Herzen Kraft in dieser schweren Zeit des Abschieds.

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Vorgaben für die Versichertenkarte 2009 gemäss KVG Art. 42a

Versichertenkarte: VeKa-Center sichert den administrativen Nutzen Kommt die neue Versichertenkarte oder kommt sie nicht? Wie ist die neue Karte konzipiert, technisch ausgerüstet, und wie soll das mit den medizinischen Notfalldaten funktionieren? Viele Fragen rund um die anstehende Umsetzung von Artikel 42a KVG. Mit der Verordnung über die Versichertenkarte (VVK) vom 14.2.2007 hat der Bundesrat konkrete Vorschriften zur Einführung per 1.1.2009 gemacht. Danach wurde die technische Verordnung erarbeitet, die am 1.4.2008 mit halbjähriger Verspätung von Bundesrat Couchepin in Kraft gesetzt wird.

Seit mehreren Jahren übergeben die Versicherer ihren Mitgliedern Kundenkarten. Was mit «Covercard» oder «Medicard» als Ablösung des Apothekerscheins begonnen hatte, entwickelte sich zur multifunktionalen Kundenkarte im Plastikkartenformat mit Magnetstreifen. Per 1.1.2006 erhielt die Kundenkarte eine normierte EU-Rückseite. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich 63 Versicherer mit insgesamt 6,5 Millionen KVG-Karten und unzähligen VVGKarten im VeKa-Center von santé­suisse zusammengeschlossen, um in einer ersten Projektphase eine gemeinsame und kostengünstige Kartenproduktion durchzuführen. So sind heute über sieben Millionen KVG-, VVG- und Spezialkarten des VeKa-Centers im Umlauf. Jährlich werden hier etwa 700 000 Karten nachproduziert. Die neuen gesetzlichen Vorschriften führen bei den bestehenden Karten zu Anpassungen. Inhaltlich geht es dabei um die Integration der neuen AHVNummer und den Mikroprozessor für die medizinischen Notfalldaten. Zudem soll der Leistungserbringer die Möglichkeit erhalten, die Gültigkeit der vorliegenden Karte im Internet mittels einer «Online-Abfrage KVG» zu prüfen. Bei der Rechnungsstellung muss der Leistungserbringer in Zukunft die VeKaKartennummer und die neue AHVNummer aufführen. Massive Verteuerung

Das sind keine spektakulären Änderungen zur heutigen Versichertenkarte. Aber die am 14.2.2007 vom Bundesrat gegen die alternativen Vorschläge der Krankenversicherer verabschiedete Umsetzung in Form einer Mikroprozessor-Karte für die medizinischen Notfalldaten und kantonale Modellversuche führen in der Praxis zu einer zehn­ fachen Verteuerung der heutigen Lösung und einem finanziellen Abenteuer bei den medizinischen Notfalldaten. Die Industrie träumt plötzlich von einer gesamtschweizerischen technischen Infrastruktur bei allen Leistungserbringern nach deutschem Vorbild. Die teilnehmenden Versicherer des VeKa-Centers

von santésuisse haben sich wegen diesen anstehenden Veränderungen bereits frühzeitig zusammengeschlossen. Das VeKa-Center hat sich einerseits bei der Mitarbeit in den technischen Gremien auf Bundesebene für eine möglichst einfache, effektive und kostengünstige Lösung eingesetzt. Andererseits wurden die Vorbereitungsarbeiten an die Hand genommen, damit wenigstens der administrative Nutzen der heutigen und zukünftigen Versichertenkarte realisiert wird. Die Versicherer haben von Anfang an klar gemacht, dass sie auf der neuen Karte nur die obligatorischen Felder ausfüllen werden. Es wird seit Jahren davor gewarnt, ausführliche Daten auf der Chipkarte zu speichern. Das damit verbundene PIN-Handling beim Leistungserbringer stellt an alle Beteiligten grosse Anforderungen. Zudem sind die Daten auf der Karte nie aktuell und die damit verbundenen Prozesse zwischen den Akteuren unklar. Sinnvoll ist hingegen, wenn mittels der Karte ein sicherer Zugriff auf vernünftige administrative und medizinische Datendienste ermöglicht wird. Deckungsabfragen dank VeKa-Center

Das VeKa-Center hat zur Ablösung der heutigen Covercard in einer zweiten Projektphase ab 2007 eigene Abfragedienste für die Versicherten- und Deckungsabfragen aufgebaut. Die Versicherer liefern ihre Daten in einer standardisierten Schnittstelle in ihre eigene Datenbank beim VeKa-Center. Dort können berechtigte Stellen – wie Ärzte, Apotheken, Spitäler und übrige Leistungserbringer – die Daten zur Optimierung der gemeinsamen Prozesse (Kartenprüfung, Deckungsprüfung, Vorbereitung Kostengutsprache, Rechnungsstellung usw.) elektronisch abfragen. Den Anfang machte ein Abfragedienst der Gemeinsamen Einrichtung KVG für Auslandrechnungen. Heute stehen den Versicherern bereits verschiedene Branchenlösungen für IFAK-Apotheken, Medipa-Arztpraxen, H-Net-Spitälern, Ärztekassen-Mitglieder und Gale-

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Foto: ZVG

Roman Gerber, Leiter des VeKaCenter (r.), mit René Meier, Leiter Intercard AG.

nica-Apotheken als Voreinführung und Pilotbetriebe zur Verfügung. Bei diesen Abfragediensten werden auf der Basis der obligatorischen Kartenprüfung gemäs VVK zusätzliche Informationen zur effizienten Abwicklung von Zusatzversicherungen, Zahlungsverkehr, Tarifverträgen, elektronischen Folgeprozessen und Managed Care übermittelt. Versicherer und Leistungserbringer können selber entscheiden, ob sie an der Branchenlösung einer oder mehrerer Abfragedienste teilnehmen wollen. Insgesamt haben bisher 49 Versicherer des VeKa-Centers mit über 5,5 Mio. KVG-Mitgliedern einen Vertrag für die Teilnahme an diesen Abfragediensten unterschrieben. Diese Versicherer arbeiten aktiv mit an den Spezifikationen, Deckungsdaten, Pilotbetrieben und Voreinführungen. Die Versicherer erhalten Rückmeldungen über die erhaltenen Abfragen. Sie definieren mittels eines Freigabemoduls den Verwendungszweck ihrer Daten. Die Versicherer können an dieser Branchenlösung teilnehmen, ohne dass sie eigene Investitionen und einen eigenen Supportund Hotline-Betrieb aufbauen müssen. Das VeKa-Center sorgt für eine sichere Datenübertragung und verwaltet die Zugriffsberechtigungen mit Hilfe des Zahlstellenregisters (ZSR). Da die Online-Abfrage gemäss VVK für den Leistungserbringer fakultativ, aber für den Versicherer obligatorisch ist, hat das VeKa-Center eine Minimallösung zur elektronischen Kartenprüfung über einen Internet-Browser eingerichtet. Für Leistungserbringer, die gewillt sind, die

Daten für die Optimierung der gemeinsamen administrativen Prozesse einzusetzen, stehen die fakultativen Abfragedienste mit einem formellen Beitrittsverfahren zur Verfügung. Dort sind auch die Datensicherheit und der Datenschutz geregelt. Zudem können mit dieser Lösung die etwa 45 000 möglichen Leistungserbringer an einer zen­ tralen Stelle anfragen und müssen nicht bei jedem einzelnen Versicherer oder Datenhändler anklopfen. Das VeKa-Center wird zudem einen Abfragedienst zur Beschaffung und Verifizierung der neuen AHV-Nummer einrichten, damit diese Nummern an die Versicherer verteilt werden können. In Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Statistik (BFS) und der Zentralen Ausgleichsstelle (ZAS) in Genf wurden bereits Tests zur Durchführung der Erstzuteilung durchgeführt. Diese Arbeiten werden seit drei Jahren in der VeKa-Projektorganisation mit Vertretern der Versicherer und des Branchenverbandes erarbeitet und vorangetrieben. Kosten ohne Zusatznutzen?

Durch den vom Bundesrat vorgeschriebenen Mikroprozessor für die medizinischen Notfalldaten und die kantonalen Modellversuche erhöhen sich die Kosten für die Versicherer, ohne dass ein konkreter Zusatznutzen entsteht. Es fehlen die entsprechenden Anwendungen und es macht wenig Sinn, technische Lösungen bereit zu stellen, welche fachlich, rechtlich und organisatorisch nicht durchführbar sind und bei den

Partnern im Gesundheitswesen keine Akzeptanz finden. Das erinnert stark an die Situation in Deutschland, wo seit Jahren mehrere 100 Millionen Euro investiert wurden. Alle deutschen Versicherten verfügen über eine Chipkarte, ohne dass konkrete Anwendungen vorhanden wären. Die Resultate sind ernüchternd. Es existieren seit dem Beginn der Arbeiten im Juni 2005 nur ein Labor in Berlin mit der technischen Einrichtung nach den Vorstellungen der Industrie und eine kleine Anzahl von «Feldtests» sowie «Testvorhaben mit Echtdaten» in Flensburg, Löbau-Zittau und Heilbronn. Die Versicherer und insbesondere das VeKa-Center haben ihre Hausaufgaben gemacht und die Vorgaben der VVK in ihre bestehende Branchenlösung beim VeKa-Center integriert. Faktisch besteht damit seitens der Versicherer ein «administrativer Datendienst», welcher im ganzen Gesundheitswesen eingesetzt werden kann. Damit haben die Versicherer wenigstens die Möglichkeit, die administrativen Prozesse auf der Basis von zweckmässigen Basisinformationen und Abfragediensten zu optimieren und qualitativ zu verbessern. Wir freuen uns auf die weiterhin aktive Mitarbeit der Versicherer in der VeKa-Projektorganisation, damit diese schwierige Aufgabe gemeinsam bewältigt werden kann. H.-P. SCHÖNENBERGER, LEITER BRANCHENINFORMATIONSSYSTEME SANTÉSUISSE (BIS) UND PROJEKTLEITER VEKA-CENTER SANTÉSUISSE

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Interview mit Stefan Kaufmann, Direktor von santésuisse

«Frühester Auslieferungstermin ist der Herbst 2009» Foto: Dominik Labhardt

Stefan Kaufmann, Direktor von santésuisse.

Warum äussern sich die Ärztevertreter so negativ zur Versichertenkarte?

Sie sind einerseits nicht überzeugt von der vorgeschlagenen Lösung zu den medizinischen Daten und andererseits hätten sie wohl lieber keine zusätzlichen Anforderungen im administrativen Bereich zu erfüllen.

Wann kommt die neue Versichertenkarte wirklich?

Durch die Abhängigkeit von der Verfügbarkeit der neuen AHV-Nummer ist der frühste Zeitpunkt für die Auslieferung der ersten neuen Karte wohl der Herbst 2009. Warum spricht man von einer «geteilten Karte»?

Die Vorderseite ist neu die standardisierte Schweizerische Versichertenkarte gemäss den Vorgaben des Bundes, die Rückseite bildet die bereits bestehende Europäische Krankenversicherungskarte gemäss den Vorgaben der EU.

Weitere Informationen:

Homepage: www.veka-center.ch Email: veka@santesuisse.ch Informationsveranstaltung für Versicherer: Freitag, 18. April, 09.15 bis 12.00 Uhr im Alten Spital in Solothurn Informationsveranstaltung für LeistungserbringerOrganisationen: Freitag, 23. Mai, 09.15 bis 12.00 Uhr im Alten Spital in Solothurn

Warum braucht es bei der OnlineAbfrage vertragliche Abfragedienste?

Der Versicherer muss aus Gründen des Datenschutzes jederzeit wissen, wer auf seine Kundendaten zugreifen kann. Nur so kann er seinen Versicherten jederzeit kompetent darüber Auskunft erteilen.

Warum genügt die Covercard der Apotheker nicht als Versichertenkarte?

Was muss ein Leistungserbringer machen, um sich dem VeKa-Center anzuschliessen?

Die Covercardlösung ist spezifisch auf die Bedürfnise der Covercard-Apotheken ausgerichtet. Mit den neuen Bestimmungen müssen die Krankenversicherer den rund 45 000 Leistungserbringern die KVG-Abfragemöglichkeit zur Verfügung stellen.

Er muss sich zu den vertraglich geregelten Standards des verfügbaren Abfragedienstes verpflichten.

Was verstehen Sie unter Optimierung von administrativen Prozessen?

Die korrekte Übernahme der Versichertendaten beim Leistungserbringer für die Rechnungsstellung soll möglichst elektronisch erfolgen. So können Medienbrüche und unnötige Erfassungsfehler, welche zu Rückweisungen und Nachfragen führen können, vermieden werden.

Warum ist das VeKa-Center ein «Cost Center»?

Mit den verschiedenen gesetzlichen Verpflichtungen zur Kartenherausgabe und dem zur Verfügung stellen des Abfragedienstes kann man kein Geld verdienen. Durch geschickte Organisation und die sinnvolle Zusammenarbeit der Krankenversicherer in diesem Bereich, können die auferlegten Pflichten zu minimalen Kosten erfüllt werden. INTERVIEW: PETER KRAFT

Warum wird das VeKa-Center als Branchen-Lösung betrieben?

Aufbauphasen VeKa-Center der Krankenversicherer:

Weil es ökonomisch sinnvoll ist, die Verbundvorteile in einer gemeinsamen Lösung auszunutzen. Das betrifft Karteneinkauf und -produktion sowie eine Standardschnittstelle für KVG- und WGAbfragen der Leistungserbringer.

Phase 1: Herausgabe Kundenkarte mit EU-Rückseite (2006) Phase 2: Aubau Abfragedienste Leistungserbringer (ab 2007) Phase 3: Chipkarte und Online-Abfrage gemäss KVG 42a (2009/2010) Leistungsausweis VeKa-Center:

63 9,3 53 321 151

Versicherer Mio. Rohlinge Karten-Layouts Briefvorlagen Beilagen

Ca. 60 VeKa-Akteure in Projektorganisation bei VeKa-Center, Versicherern und Kartenlieferant Intercard

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Die Ursachen für die hohen KVG-Kosten im Tessin sind sehr komplex

Warum das Tessin so hohe Prämien hat – und was man dagegen tun könnte

Wer die Unterschiede bei den KVG-Kosten zwischen den verschiedenen Kantonen untersuchen will, muss in den Vergleich auch die öffentlichen Ausgaben einbeziehen. Die kantonalen Steuersysteme finanzieren gewisse Leistungen der Grundversicherung in unterschiedlichem Umfang mit. Die vorliegende Studie hat sich, in Übereinstimmung mit den verfügbaren Daten, auf die sogenannten sozialisierten kantonalen Ausgaben konzentriert. Darin sind die Bruttoleistungen zu Lasten des KVG, die Verwaltungskosten der obligatorischen Versicherung und die direkten öffentlichen Ausgaben der Kantone und Gemeinden enthalten. Gesundheitskosten sind bis zu 80 Prozent höher

Die sozialisierten Pro-Kopf-Ausgaben sind in den 26 Schweizer Kantonen sehr unterschiedlich. Im Jahr 2005 lagen die sozialisierten Ausgaben pro Versicherten des Tessins um 17 Prozent über dem nationalen Durchschnitt. Dieser Unterschied ist im Zeitverlauf stabil geblieben. Bei den Kantonen der Ostschweiz (Appenzell, Thurgau und St. Gallen) und der Zentralschweiz (Nidwalden, Obwalden, Uri, Schwyz und Luzern) erreicht der Unterschied zu den Ausgaben im Tessin sogar Werte zwischen 45 und 80 Prozent. Zu diesen Unterschieden kommen noch einige Unstimmigkeiten in der Finanzierung der sozialisierten Ausgaben hinzu. Im Vergleich

zum schweizerischen Durchschnitt sind die direkten öffentlichen Ausgaben für das Gesundheitswesen relativ tief, was nahezu vollständig durch überpro­ portionale Beiträge zur Prämienverbilligung ausgeglichen wird. Das Tessin hat überdurchschnittlich hohe öffentliche Ausgaben bei den Pflegeheimen und der Spitex, während Behandlungen im Spital und in der Psychiatrie steuerlich deutlich unterfinanziert sind. Im Tessin gehört ein bedeutender Teil des Spitalangebots zum Privatsektor. Dennoch zählt der grösste Teil der in diesen Kliniken erbrachten Leistungen zum medizinischen Grundbedarf. Wären diese Einrichtungen nicht da, müsste die Kapazität des öffentlichen Sektors erhöht werden. Die Privatkliniken wurden trotzdem nie als Teil des öffentlichen Interesses angesehen. Sie haben deshalb nicht von den in Artikel 49 KVG vorgesehenen steuerlichen Beiträgen profitiert. Tiefe Steuerausgaben – hohe Prämienverbilligung

Bei der Prämienverbilligung ist in den letzten Jahren ein steiler Anstieg der ausbezahlten Beiträge zu verzeichnen. Der Grund ist jedoch nicht der politische Wille zur Ausweitung des Sozial­ staates, sondern das Beharrungsver-

mögen des Systems. Trotz wiederholter Versuche konnte die Kantonsregierung letztlich nichts daran ändern. Die vom Tessin gezahlten Prämienverbilligungen liegen über dem nationalen Durchschnitt. Trotzdem hat eine Schätzung der Prämienbelastung in Prozent des verfügbaren Einkommens bei alleinstehenden Rentnern und Familien mit zwei Kindern besorgniserregende Resultate gezeigt. Im Falle des Rentners ist das Problem ein bedeutender «Schwelleneffekt»: Bei einer geringen Veränderung des Einkommens erhöht sich die Prämienbelastung von 0 Prozent auf Werte zwischen 10 und 13 Prozent des verfügbaren Einkommens. Im Falle der Familie ist der absolute Wert der Belastung beunruhigend. Für Familien der Mittelschicht (mit Bruttoeinkommen zwischen 65 000 und 100 000 Franken) übersteigt die Nettoprämie in der Regel die Schwelle von neun Prozent des verfügbaren Einkommens, wobei die Höchstwerte bei 13 bis 15 Prozent liegen. Trotz der stärkeren Inanspruchnahme der Prämienverbilligung sind für viele Tessiner die Krankenkassen-Prämien eine schwere Belastung. Das gegenwärtige System der Prämienverbilligung ist wenig transparent und wenig wirksam. Es braucht tiefgreifende Reformen.

Foto: Prisma

Warum hat das Tessin überdurchschnittlich hohe KrankenkassenPrämien? Der Seniorenverband «Consiglio degli anziani» hat das «Istituto di Microeconomia ed Economia Pubblica» der Universität Lugano damit beauftragt, die Faktoren zu untersuchen, welche die im Vergleich zum schweizerischen Durchschnitt höheren Prämien verursachen. Wir stellen hier eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse und Lösungsstrategien vor, die sich aus der Forschung ergeben haben.

Die Menge – und weniger die Preise – sind das Problem.

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Ein weiteres Ziel der Untersuchung bestand darin, die sozialisierten Ausgaben in Preis- und Mengenunterschiede im Vergleich zum schweizerischen Durchschnitt aufzugliedern. Die Ursachen für die höheren sozialisierten Ausgaben im Tessin liegen überwiegend beim Verbrauch, während die Preise und die Kosten pro Leistungseinheit weniger problematisch erscheinen. Die Mengenunterschiede im Vergleich zum nationalen Durchschnitt sind besonders bedeutsam beim Arzneimittelverbrauch (+29 Prozent), der Physiotherapie (+39 Prozent) und den Laboruntersuchungen (+57 Prozent). Grosse Unterschiede zeigen sich auch bei den Fällen, die in Akutspitäler eingewiesen wurden (+14 Prozent) und bei den Aufenthaltstagen in Rehabilitationskliniken (+13 Prozent). Die ärztlichen Leistungen in freier Praxis (+9 Prozent) und die Behandlung in Spezialkliniken (+95 Prozent) weisen deutlich höhere Preise auf, während für viele andere Leistungen die Preise unter dem nationalen Durchschnitt liegen. Schliesslich hat die Studie dank eines mehrdimensionalen Modells die Hauptfaktoren identifiziert, welche die Unterschiede bei den sozialisierten Ausgaben der Kantone zwischen 1998 und 2005 statistisch erklären. Von besonderer Bedeutung sind der Anteil der Einwohner mit einem Alter über 75 Jahren und unter fünf Jahren, die Ärztedichte, der Preisindex für die KVG-Leistungen sowie die lateinische Kultur.

den Risikoausgleich nicht nur zwischen den Kassen eines bestimmten Kantons durchzuführen, sondern auch zwischen den Kantonen, unter Berücksichtigung der Ab- und Zuwanderung älterer Menschen. Managed Care mit finanzieller Verantwortung

Es besteht die Gefahr, dass eine Senkung der Preise sich mittelfristig auf die von den Patienten in Anspruch genommenen Mengen auswirkt – gemäss dem bekannten Phänomen der angebotsinduzierten Nachfrage. Im Tessin ist eine offenkundig übermässige Inanspruchnahme gewisser Arten von Gesundheitsleistungen festzustellen. Zur Behebung des Problems ist ein struktureller Eingriff nötig, der hilft, die heutige Zersplitterung des Gesundheitssystems zu überwinden. Die Akteure müssen vermehrt auf die Gesamteffizienz einer Leistung achten und stärker auf Prävention und gesundheitsfördernde Verhaltensweisen setzen. Es ist notwendig, Managed CareModelle mit finanzieller Verantwortung zu verbinden und zugleich darauf zu achten, das auf die Leistungserbringer übertragene Risiko im Rahmen zu halten. Die ärztliche Entscheidung muss dabei bei den Leistungserbringern bleiben. Die Zuweisung eines Budgets ermöglicht es, ärztliche Entscheidungen

ihren Kosten und ihrer Zweckmässigkeit gegenüber zu stellen. Zur Vermeidung einer Rationierung der Gesundheitsleistungen ist es sinnvoll, den Institutionen, die das Risikomanagement leiten (d.h. den Krankenversicherern), die höchsten Risiken zu übertragen. Dafür gibt es heute vielversprechende Modelle, die das Budget für die Gesundheitsversorgung einer festgelegten Bevölkerung auf genaue Weise berechnen. Durch eine Rückversicherung wird dann das Risiko auf angemessene Weise zwischen Leistungserbringern und Versicherern verteilt. Die Reform der Spitalfinanzierung, von den eidgenössischen Räten im Dezember 2007 beschlossen, wird die steuerliche Unterfinanzierung des Tessiner Spitalsektors beseitigen. Das belastet die Kantonskasse mit zusätzlichen 80 Millionen Franken. Da mit dem Neuen Finanzausgleich die Verpflichtungen der Kantone im Bereich der Prämienverbilligungen weniger zwingend sind, könnte das Tessin beschliessen, einen Teil der öffentlichen Mehrausgaben im Spitalbereich über eine Kürzung der Prämienzuschüsse zu finanzieren. Diese Massnahme wäre jedoch unklug. Sie hätte bedeutende Auswirkungen mit unangenehmen Folgen für die Mittelschicht. Ein Franken an öffentlichen Geldern, der für die Mitfinanzierung der Spitalbe­

Foto: Keystone

Ein Mengen- und weniger ein Preisproblem

Risikoausgleich unter den Kantonen?

Das Tessin hat einen sehr hohen Anteil von Personen über 65 Jahren. Wenn die Demografie des Kantons teilweise von der Einwanderung von älteren Menschen aus anderen Kantonen bestimmt wäre, dann würden der Tessiner Bevölkerung Lasten des Generationenvertrags aufgebürdet, die eigentlich den jungen Generationen anderer Kantone zufallen. Eine Lösung des Problems wäre,

Führen allzu starke finanzielle Anreize zu einer Schwächung der inneren Werte?

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Fotos: Prisma

Die Tessiner Bevölkerung zahlt deutlich höhere Prämien als der schweizerische Durchschnitt.

handlungen ausgegeben wird, hat nämlich eine weniger umverteilende Wirkung als ein Franken Prämienverbilligung. Zugleich wird man sicherstellen müssen, dass die neuen öffentlichen Beiträge für die Spitäler von Prämienermässigungen begleitet werden (im Bereich KVG und VVG). Durch die Änderung soll kein Zusatzertrag für die Krankenkassen entstehen. Finanzielle Anreize und innere Werte

Das zentrale Problem des schweizerischen Gesundheitswesens ist das Fehlen finanzieller Anreize für Patienten und Leistungserbringer, persönliche Eigenverantwortung zu übernehmen und das optimale Niveau an Gesundheitsleistungen in Anspruch zu nehmen oder zu erbringen. Zahlreiche Experten schlagen deshalb tiefgreifende Reformen vor, die eine Stärkung der Marktmechanismen und der finanziellen Anreize bringen. Auch wenn die Diagnose in vielen Aspekten stimmt, wird bei den vorgeschlagenen Therapien ein Prob-

lem fast immer unterschätzt: Finanzielle Anreize stehen immer in Wechselwirkung mit der Eigenmotivation und den inneren Werten. In vielen Fällen kann die Stärkung finanzieller Anreize einen Effekt des crowding-out erzeugen, also zu einer Schwächung der inneren Motivationen führen. Das soziale Spiel ist sehr kompliziert, und die Anreize, welche das Zusammenleben der Menschen regeln, üben eine bedeutende Wirkung nicht nur auf die kurzfristigen Entscheidungen aus, sondern auch auf die Vorlieben und «Werte» der Gesellschaft und ihrer Mitglieder. Jedes Versicherungssystem basiert auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit, das in den Sozialversicherungs­systemen um das Solidaritätsprinzip ergänzt wird. Wenn nun durch die Stärkung finanzieller Anreize in der Krankenversicherung die Versicherten dazu verleitet würden, die langfristige Beziehung aus den Augen zu verlieren, die sie untereinander in einem Generationenvertrag verbindet, wenn die Verschärfung der finanziel-

len Anreize die Individuen dazu anspornt, Kosten und Nutzen des eigenen Versicherungsschutzes unter einem kurzfristigen Blickwinkel zu optimieren, könnten wir eine beträchtliche Zunahme des moralischen Risikos erleben. Die Gefahr bestünde, dass die Fundamente der Krankenversicherung erschüttert werden. LUCA CRIVELLI

Der Autor ist Professor an der Universität Lugano (Università della Svizzera italiana) und der SUPSI, sowie Leiter des MAS Net-MEGS für Ökonomie und Management im Gesundheitswesen. Der Artikel fasst folgende Studie zusammen: Crivelli, L., M. Filippini, B. Mantegazzini-Antonioli e F. Pallotti (2007), «I costi dell’assicurazione malattia in Ticino», Studie im Auftrag des Consiglio degli Anziani des Kantons Tessin (http://www.common.unisi.ch/pdf_pub3449)

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NFA und Motion des Parlaments sorgen für Veränderungen

Prämienverbilligung im Wandel Der Bund leistet einen Beitrag an die Prämienverbilligung der Kantone. Seit dem 1. Januar 2008 ist dieser Beitrag massiv geschrumpft. Die Finanzkraft der Kantone spielt keine Rolle mehr für die Bemessung der Bundessubventionen. So will es die Neugestaltung des Finanzausgleichs (NFA). Die Kantone sind damit finanziell gefordert. Auch organisatorisch stehen Änderungen an: Das Parlament will Verbilligungsbeiträge in Zukunft ausschliesslich über die Krankenversicherer ausrichten.

Die Prämienverbilligung hat sich seit Einführung des KVG zu einem festen Bestandteil unseres Krankenversicherungssystem entwickelt. Da die Kopfprämie in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) an sich keine Rücksicht auf Einkommensunterschiede in der Bevölkerung nimmt, sichert die individuelle Prämienverbilligung (IPV) die Solidarität zwischen wirtschaftlich stärkeren und schwächeren Menschen. Seit 2006 profitieren auch Personen mit mittleren Einkommen von der Prämienverbilligung, indem die Prämien von Kinder und jungen Erwachsenen in Ausbildung um mindestens 50 Prozent vergünstigt werden.

zahl. Weiter mussten die Kantone als Kollektiv bislang den gesamten Bundesbeitrag um mindestens 50 Prozent aufstocken. Der Bund bestimmte die Prozentsätze für die einzelnen Kantone. Finanzstarke Kantone, die einen niedrigen Bundesbeitrag erhielten, mussten das mit einem höheren Kantonsbeitrag ausgleichen. Zug wurde dabei stärker zur Kasse gebeten als beispielsweise Freiburg mit mehr als der doppelten Einwohnerzahl. Ein Kanton konnte seinen eigenen Beitrag um maximal 50 Prozent kürzen, musste dabei aber eine Kürzung des Bundesbeitrages im gleichen Verhältnis in Kauf nehmen.

Die Finanzierung der Prämienverbilligung bisher…

… und künftig

Die Kantone waren bis 2007 für die Ausrichtung der Prämienverbilligung alleine verantwortlich. Sie bestimmten, wer Anspruch hat und wer nicht. Die Finanzierung der Subventionen sicherten jedoch Bund und Kantonen gemeinsam. Die Bundesbeiträge pro Kanton waren bisher abhängig von der jeweiligen Wohnbevölkerung und der Finanzkraft des Kantons. So erhielt beispielsweise der finanzstarke Kanton Zug noch im Jahr 2007 weniger Bundesbeiträge als Appenzell Ausserrhoden – und dies trotz doppelter Einwohner-

Beispiel für die Umsetzung: Der Kanton Solothurn

Der Kanton Solothurn schöpfte in den vergangenen Jahren nie den vollen Bundesbeitrag aus. Im Jahr 2007 kürzte er ihn beispielsweise auf 73 Prozent. Daraus resultierte ein Gesamtbetrag von 96 Millionen Franken, wovon 70,5 vom Bund und 25,5 Millionen vom Kanton stammten. Mit der Einführung der NFA beschloss der Kanton Solothurn, den künftigen Bundesbeitrag um jeweils 80 Prozent aufzustocken. Für das Jahr 2008 bedeutet dies, dass Solothurn die 58,2 Millionen Franken aus der Bundeskasse um 46,6 Millionen Franken ergänzt. Der Kanton erhöht damit seinen finanziellen Einsatz um über 80 Prozent. So stehen dieses Jahr für Versicherte in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen insgesamt 104,7 Millionen Franken zur Verfügung, 8,7 Millionen mehr als 2007.

Im Rahmen der NFA wurden die Bestimmungen zur Prämienverbilligung geändert. Neu beteiligt sich der Bund für 30 Prozent der Versicherten an einem Viertel der Bruttokosten der OKP. Damit macht der Bundesbeitrag 7,5 Prozent der Bruttokosten der OKP aus. Die Anteile der einzelnen Kantone am Bundesbeitrag werden nur noch aufgrund der Wohnbevölkerung inklusive der Grenzgängerinnen und Grenzgänger festgesetzt. Die Finanzkraft spielt keine Rolle mehr. Mit dieser Gesetzesänderung folgen die Bundesbeiträge jährlich dem Kostenwachstum in der OKP. Dies war vorher nicht der Fall, wurden doch die Bundesbeiträge jährlich um nur gerade 1,5 Prozent erhöht, was stets unter der Entwicklung der Bruttokosten lag. Mit der vorliegenden Reform verschieben sich aber vor allem Kosten von rund 500 Millionen Franken vom Bund auf die Kantone. Nur gerade der Kanton Zug als finanzstärkster Kantone wird entlastet (vgl. Tabelle). Der Bund zahlt seine neuen Anteile ohne Weiteres voll aus. Es gibt keine Verbindungen mehr zwischen den Beiträgen des Bundes und jener der einzelnen Kantone. Die NFA verpflichtet die Kantone, den Bundesbeitrag künftig soweit zu ergänzen, dass die Prämienverbilligung mindestens im bisherigen Ausmass weitergeführt werden kann. Entlastet werden die Kantone dafür in

22 | Gesundheitswesen 3/08


Quelle: BAG

BU NDE S BE I TR Ä G E V OR UND NACH DER NFA VOR NFA

MIT NFA

Kanton

Mittlere Wohnbevölkerung 2006 in 1000 inkl. Grenzgänger

Maximaler Bundesbeitrag 2007 in Mio Fr. (vor allfälliger Kürzung)

Bundesbeitrag 2008 in Mio Fr.

ZH

1308

351,8

307,3

- 44,4

BE

967

392,7

227,2

- 165,5

LU

358

147,4

84,2

- 63,2

UR

35

16,3

8,1

- 8,2

SZ

138

44,7

32,5

- 12,2

OW

33

16,3

7,9

- 8,5

NW

39

11,7

9,3

- 2,4

GL

38

14,9

8,9

- 6,0

ZG

107

19,5

25,2

5,7

FR

260

114,3

61,0

- 53,3

SO

248

96,5

58,2

- 38,4

BS

193

46,5

45,4

- 1,1

BL

267

87,9

62,7

- 25,2

SH

75

26,8

17,7

- 9,1

AR

52

22,2

12,3

- 9,9

AI

15

6,2

3,6

- 2,6

SG

463

177,5

108,8

- 68,7

GR

192

82,3

45,0

- 37,3

AG

575

188,5

135,0

- 53,5

TG

237

87,0

55,6

- 31,4

TI

325

118,0

76,4

- 41,6

VD

672

229,4

157,8

- 71,6

VS

293

140,2

68,9

- 71,3

NE

169

70,7

39,8

- 30,8

GE

443

116,3

104,1

- 12,2

JU

68

32,3

16,0

- 16,3

7571

2658

1779

- 879

TOTAL

anderen Bereichen, wie bei den Ergänzungsleistungen. Prämienverbilligung an Krankenversicherer

Bislang stand es jedem Kanton frei, dem Versicherten die Prämienverbilligung entweder direkt oder aber indirekt über dessen Krankenversicherer auszubezahlen. So besteht denn in dieser Frage auch von Kanton zu Kanton eine unterschiedliche Praxis. Auf Wusch des Parlaments soll nun der Bundesrat einen Gesetzesentwurf ausarbeiten, wonach die Prämienverbilligungen von allen Kantonen direkt an die Krankenversicherer ausbezahlt werden. National- und Ständerat haben eine entsprechende Motion der ständerätlichen Kommission für so­ziale Sicherheit und Gesundheit überwiesen. Begründet wurde die Mo-

Maximale Differenz der Bundesbeiträge zum Vorjahr in Mio Fr.

tion hauptsächlich mit der Gefahr, dass Versicherte in finanziellen Schwierigkeiten die direkt ausbezahlten Beiträge nicht für die Bezahlung der Krankenkassenprämien, sondern zu anderen Zwecken verwenden. Dies schadet einerseits den Krankenversicherern, die vermehrt Prämienausstände hinnehmen müssen, und andererseits auch Bund und Kantonen, welche Prämienverbilligungen ohne direkten Nutzen ausbezahlen. Erhalten die Krankenversicherer die Prämienverbilligung direkt, können sie die Prämie reduzieren und dem Versicherten nur noch den Restbetrag in Rechnung stellen. Der finanziell schwache Versicherte ist eher in der Lage, diese zu begleichen. Für ihn sinkt das Risiko von Prämienausständen und des damit verbundenen Stopps der Versicherungszahlungen.

Da 2007 nicht alle Kantone den Bundesbeitrag voll ausgeschöpft haben, fällt die Differenz in einigen Kantonen weniger dramatisch aus. So bezahlt der Bund nur rund 500 Millionen und nicht 880 Millionen Franken weniger an die Kantone als 2007.

Wann und in welcher Ausgestaltung die Gesetzesänderung in Kraft tritt, steht noch offen. Auf jeden Fall besteht die Hoffnung, dass die Prämienverbilligung künftig ausnahmslos ihrer eigentlichen Bestimmung zugeführt wird. Prämienverbilligung in der Verfassung

Die Prämienverbilligung ist heute zwar von Gesetzes wegen vorgesehen, kann aber vom Parlament jederzeit in Frage gestellt und abgeschafft werden. Der Verfassungsartikel «Für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Krankenversicherung», welcher dem Volk am 1. Juni 2008 zur Abstimmung unterbreitet wird, möchte dies ändern. Die Prämienverbilligung soll in der Verfassung verankert werden. Konkret heisst es in Art. 117a Absatz 6 des Verfassungsartikels: «Bund und Kantone sehen Prämienverbilligungen vor; dabei tragen sie der wirtschaftlichen Lage der Versicherten Rechnung.» Es ist durchaus sinnvoll und im Interesse der Versicherten, dass neben der Kopfprämie und der Kostenbeteiligung die Prämienverbilligung als Element des sozialen Ausgleichs in der Verfassung verankert und somit gesichert ist. Ex­ tremen politischen Ideen – wie eine Abschaffung oder ein Ersatz der Prämienverbilligung durch einkommensabhängige Prämien – wird damit endgültig ein Riegel geschoben. MATTHIAS SCHENKER

23 | Gesundheitswesen 3/08


Foto: Prisma

Klipp klar

Ärztlich verordnete Fusspflege im Pflegeheim und in der Spitex

Grundsätzlich gilt laut KVG, dass Leistungen, die zu Lasten der OKP verrechnet werden, einer ärztlichen Verordnung bedürfen. Dies bedeutet aber nicht, dass die ärztlichen Verordnungen in jedem Fall von der OKP übernommen werden. Ein Musterbeispiel, das immer wieder zu Fragen Anlass gibt, ist die Fusspflege. Gemäss Artikel 7 KLV ist die Fusspflege beim Diabetiker unter der Behandlungspflege anzusiedeln. Diese Fusspflege kann über die OKP verrechnet werden, sofern sie von einer diplomierten Pflegefachperson ausgeführt wurde.

Häufig fehlt den Versicherten die notwendige Beweglichkeit, um die Füsse noch selber pflegen zu können. Oft sind auch die gestörte Feinmotorik oder Sehprobleme Gründe, um die Fusspflege durch Dritte ausführen zu lassen. Auch wenn bei diesen Versicherten die Fusspflege ärztlich verordnet wird, bleibt sie Bestandteil der Grundpflege. Sie darf ebenfalls nicht zusätzlich verrechnet werden. Kosmetische Fusspflege ist dem Wellnessbereich zuzuordnen und kann nicht über die OKP verrechnet werden. Fusspflege durch die Spitex

Fusspflege beim Diabetiker im Pflegeheim

Das Pflegeheim ist gemäss Art. 39 KVG verpflichtet, Fachpersonen zur Verfügung zu stellen, welche die entsprechende Fusspflege durchführen können. Da die Fusspflege des Diabetikers in die Behandlungspflege gehört, ist sie im Pflegetarif, den der Heimbewohner von der Krankenversicherung erhält, bereits eingerechnet. Somit darf sie weder dem Heimbewohner noch der Krankenversicherung zusätzlich verrechnet werden. Wie steht es nun aber mit der Fusspflege der übrigen Heimbewohner? Die Fusspflege ist der allgemeinen Grundpflege zuzuordnen. Deren Ausführung ist nicht an eine bestimmte Qualifikation der Pflegeperson gebunden. Sie beinhaltet Waschen, Schneiden der Nägel, Eincremen (Hautpflege) der Füsse und Hornhaut raspeln.

Artikel 7 KLV gilt nicht nur für die Pflegeheime, er gilt auch für die Krankenpflege zu Hause bzw. für die Spitex. Im Gegensatz zu den Pflegeheimen verwendet die Spitex für ihre Abrechnungen keine Pauschalen je Pflegebedarfsstufe, sie setzt einen Zeittarif ein. Beim Diabetiker muss die Fusspflege von einer qualifizierten Pflegefachperson ausgeführt werden. Entsprechend wird sie mit dem Tarif für Behandlungspflege in Rechnung gestellt. Beim Nicht-Diabetiker gehört die Fusspflege (wie im Pflegeheim) zur Grundpflege. Sie wird von der Spitex ausgeführt, wenn der Versicherte nicht mehr in der Lage ist, diese selber auszuführen. In diesen Fällen wird die benötigte Zeit zum Tarif der Grundpflege verrechnet. VERENA BUCHER

24 | Klipp & klar 3/08


Ein norwegisches Spital bei Oslo hat ein System eingeführt, um Babys vor Verwechslungen oder gar Diebstählen zu schützen. Mutter und Kind erhalten bei der Geburt je einen Sender. Entfernen sich die beiden zu weit voneinander, ertönt ein Alarm. In Norwegen hat es in letzter Zeit einige Fälle von Baby-Diebstahl gegeben.

Schmuddel-Klinik geschlossen Die Behörden von Las Vegas haben eine Klinik geschlossen, nachdem diese jahrelang unsaubere Spritzen verwendet hatte. Möglicherweise haben sich Zehntausende Patienten mit Hepatitis infiziert, manche auch mit AIDS.

Schnellere Re-Integration von Unfallopfern Die Suva und die Hausärzte-Organisation argomed haben eine enge Zusammenarbeit vereinbart, damit schwer verletzte Unfallopfer rasch die nötigen Therapien und Rehabilitationen erhalten. Die Suva erhofft sich eine persönlichere Betreuung der Patienten. Dadurch sollen eine optimalere Therapie, eine schnellere Genesung und eine frühere Rückkehr an den Arbeitsplatz möglich werden. Das trage letztlich auch zu einer Reduktion der Langzeitarbeitslosigkeit und der Invalidität bei, schreibt die Suva.

Berufsverbände des OP-Personals schliessen Lücke

Qualitätshandbuch für den Operationssal Die Berufsverbände des Schweizer OP-Personals geben ein Qualitätshandbuch für den Operationssaal heraus. Das Handbuch definiert die Standards für die einzelnen Abläufe. Daraus ergibt sich ein Leitfaden, der für alle Schweizer Kliniken geeignet ist. Das Handbuch wird von erfahrenen Berufsleuten erarbeitet. Der Operationssaal gehöre zu den komplexesten Bereichen eines Spitals, schreiben die Berufsverbände. Jeder einzelne Ablauf und jede einzelne Person seien enorm wichtig. Deshalb sei es jetzt an der Zeit, auch in der Schweiz ein Qualitätshandbuch für den Operationssaal herauszugeben. Das Handbuch wir voraussichtlich Anfang 2009 veröffentlicht. Foto: Prisma

Gegen Baby-Diebstahl

Service

Aus aller Welt

Suva spannt mit Hausärzten zusammen

Selbstbestimmtes Leben Die EU gibt 150 Millionen Euro für ein Forschungsprogramm aus, das Möglichkeiten finden soll, wie Behinderte und Pflegebedürftige länger als bisher selbstständig leben können. Auch die Schweiz nimmt am Programm teil.

Zwei Millionen Süchtige Die Bundes-Drogenbeauftragte schätzt, dass in Deutschland zwei Millionen Menschen medikamentenabhängig sind. Hinter der Sucht stecken vor allem Beruhigungsmittel wie Valium. Der volkswirtschaftliche Schaden der Medikamenten-Abhängigkeit beträgt 14 Milliarden Euro.

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Veranstaltungen Datum/Ort

Weitere Informationen

Offene Grenzen – Chance oder Gefahr für das Gesundheitswesen? SGGP Thema: Gesundheitswesen und bilaterale Verträge

Veranstalter

Besonderes

6. Mai Bern

www.sggp.ch

Forum der sozialen Krankenversicherung RVK – Verband der kleinen Woher? Wohin? Und Wie? und mittleren Krankenversi- Gesundheitswesen 2020 cherer

8. Mai Kongresshaus Zürich

www.rvk.ch

9. Mai Hotel Bellevue Palace, Bern

www.santesuisse.ch

Generalversammlung von santésuisse santésuisse inkl. öffentlicher Teil

Geneva Health Forum Universitätsspital Genf

Fachtagung zur Zukunft des Gesundheitswesens mit Parallelworkshops

25.–28. Mai www.genevahealthforum. Centre hug-ge.ch International de Conférences Genf

Managed Care-Symposium 2008: Managed Care – the next generation Forum Managed Care

Beiträge u.a. von Zukunftsforscher Stephan Sigrist

5. Juni World Trade Center Zürich

www.fmc.ch

Wie kommen neue medizinische Leistungen, Laboranalysen sowie Mittel und Gegenstände in den Leistungskatalog nach KVG? Bundesamt für Gesundheit Informationsveranstaltung zum neuen 13. Juni www.bag.admin.ch Antragsverfahren Inselspital Bern

Zeichnung: Marc Roulin

Melden Sie uns Ihre Veranstaltungen an: redaktion@santesuisse.ch! Weitere Veranstaltungen unter www.santesuisse.ch

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Mit Ăźber 850’000 Versicherten gehĂśrt die Sanitas zu den erfolgreichsten Schweizer Krankenversicherern. Das Geheimnis dieses Erfolges? Eine fortschrittliche Unternehmenspolitik, ausgezeichnete Mitarbeitende und viel Krankenversicherungs-Power. Zur Verstärkung unseres Teams Leistungseinkauf im Bereich Gesundheitsmanagement suchen wir eine verhandlungsstarke PersĂśnlichkeit als

Fachspezialist/in Leistungseinkauf Westschweiz In dieser anspruchsvollen Tätigkeit fĂźhren Sie Vertragsverhandlungen mit Spitälern und anderen Leistungserbringern, erarbeiten dafĂźr Statistiken und pflegen die Beziehungen zu den Verhandlungspartnern. Sie vertreten die Sanitas in den regionalen santĂŠsuisse-Gremien sowie in weiteren Verhandlungsgruppen. Zu Ihren Aufgaben gehĂśren die UnterstĂźtzung der Leistungsabteilungen – Ă–konom(in)/Betriebswirt(in) und/oder bei der Umsetzung der Verträge und die Sicherstellung eines aussagekräftigen fundierte Kenntnisse im Gesundheitswesen Vertragscontrollings. Ihr Arbeitsort ist ZĂźrich und/oder Lausanne. Sie bringen eine – Muttersprache FranzĂśsisch oder Ausbildung als Ă–konom(in)/Betriebswirt(in) und/oder mehrjährige Berufserfahrung exzellente FranzĂśsischkenntnisse in der Krankenversicherung oder im Spitalbereich mit. Fundierte Kenntnisse im Leistungsbereich sowie Vertrags- und Tarifwesen setzen wir voraus, der Abschluss als Krankenversicherungs- oder Sozialversicherungs-Fachfrau/-Fachmann ist von Vorteil. Ihre Muttersprache ist FranzĂśsisch, oder Sie verfĂźgen Ăźber exzellente FranzĂśsischkenntnisse. Zudem haben Sie ein Flair fĂźr Zahlen und evtl. bereits gute Kontakte im Spital/Krankenversicherungsbereich in der Westschweiz. Interessiert? Dann freut sich Susanne Reymond, Bereich Human Resources, Lagerstrasse 107, PF 2010, 8021 ZĂźrich (susanne.reymond@sanitas.com) auf Ihre Bewerbungsunterlagen. Bei Fragen hilft Ihnen Michael Muffer, Bereichsleiter Gesundheitsmanagement, Telefon 044 298 63 06, michael.muffler@sanitas.ch, gerne weiter.

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