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info santĂŠsuisse
Die Fallpauschalen kommen
Das Magazin der Schweizer Krankenversicherer
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Einführungsarbeiten zu SwissDRG: Auf Kurs – und doch bleibt viel zu tun
Willy Oggier: «In Deutschland will niemand zum Vor-DRGZeitalter zurück»
Pascal Couchepin: Einiges erreicht – aber die eigenen Ziele verpasst
Inhalt Im Fokus 4 Die Fallpauschalen kommen – doch wie funktioniert das Ganze? Eine Einführung in die Welt der DRGs 6 Einführungsarbeiten zu SwissDRG: Auf Kurs – und doch bleibt viel zu tun 8 Die Optik der Versicherer: Einführung von SwissDRG aus Sicht der Sympany-Gruppe 9 Die Optik der Kliniken: Einführung von SwissDRG aus Sicht der Schwyzer Spitäler 10 Begleitmassnahmen zu SwissDRG: Differenziertes Tarifsystem federt Nebenwirkungen ab 11 Glossar SwissDRG 12 Rechnungsprüfung im SwissDRG-System: Kooperation ist das Gebot der Stunde 14 Willy Oggier: «In Deutschland will niemand zum Vor-DRG-Zeitalter zurück» Gesundheitswesen 16 sondage santé: Bevölkerung ist für dringliche Sparmassnahmen 18 Grundversorgung fördern: Welche Wege wählen andere Länder? 20 Pascal Couchepin: Einiges erreicht – aber die eigenen Ziele verpasst 21 Drei Fragen an: Jean-Claude Rey, Direktor von ISE Suisse Krankenversicherung 22 Eidgenössische Berufsprüfung: Mit mittelalterlichen Klängen in eine neue Zukunft 24 Grafik des Monats Oktober: Die Aufenthaltsdauer in den Spitälern sinkt schon seit längerem 25 Bild des Monats: Gesunde Haut dank Höllenfeuer 26 Buchtipp: Mythen der Gesundheitspolitik Klipp&klar 27 Leistungen in der Grundversicherung: Fragen aus der Praxis Service 28 Frankreich: Immer weniger Ärzte – immer ältere Ärzte 28 News aus aller Welt 29 Veranstaltungen 29 Mr. Raoul 30 Die schrägsten Versicherungen der Welt 30 6. November 2009: Nationaler Grippeimpftag
Nr. 8, oktober 2009. Erscheint zehnmal jährlich Abonnementspreis Fr. 69.− pro Jahr, Einzelnummer Fr. 10.− Herausgeber und Administration santésuisse, Die Schweizer Krankenversicherer, Römerstrasse 20, Postfach, 4502 Solothurn Verantwortliche Redaktion Peter Kraft, Abteilung Politik und Kommunikation, Postfach, 4502 Solothurn, Tel. 032 625 42 71, Fax 032 625 41 51, E-Mail: redaktion@santesuisse.ch Herstellung: Rub Graf-Lehmann, Murtenstrasse 40, 3001 Bern Gestaltungskonzept: Pomcany’s Layout: Henriette Lux Anzeigenverwaltung: Alle Inserate − auch Stelleninserate − sind zu richten an: «infosantésuisse», Römerstrasse 20, Postfach, 4502 Solothurn E-Mail: redaktion@santesuisse.ch Abonnementsverwaltung Tel. 032 625 42 74, Fax 032 625 41 51 Homepage: www.santesuisse.ch Titelbild: Heiner Grieder, Langenbruck (BL) ISSN 1660-7228
SwissDRG: Grosse Erwartungen – und noch viel Arbeit bis 2012 Die Einführung von SwissDRG rückt immer näher: 2012 wird es in der Schweiz zum ersten Mal ein einheitliches Abrechnungssystem für alle Spitäler geben. Damit ist der Weg frei zu mehr Transparenz und zu einer besseren Vergleichbarkeit der Spitalleistungen. SwissDRG soll die Wirtschaftlichkeit, die Qualität der stationären Behandlungen und die Transparenz verbessern. Das sind grosse Erwartungen. Trotzdem sind sie realistisch – wenn Versicherer, Spitäler und Kantone bis Ende 2011 noch einige Steine aus dem Weg räumen. Das Bundesgericht hat im vergangenen Mai entschieden, dass die systematische Übermittlung von Diagnose- und Prozedurendaten an die Krankenversicherer rechtens ist. Über die Details der Umsetzung, insbesondere über die Aspekte des Datenschutzes, verhandeln nun Spitäler und Krankenversicherer. Eine gute Lösung in dieser Frage wird entscheidend zur Effektivität von SwissDRG beitragen. Wichtig sind auch die Erhebungen der Kosten- und Leistungsdaten der Spitäler. Ohne diese Angaben ist es nicht möglich, die Fallpauschalen für SwissDRG korrekt zu berechnen. Momentan liefern 39 Spitäler ihre Daten – bis Ende 2011 müssen alle soweit sein. Klärungsbedarf besteht weiterhin bei der Abgeltung der Investitionen. Mit SwissDRG müssen sie durch die Tarife der Grundversicherung finanziert werden. Das führt zu einigen Schwierigkeiten: • Die bisherige Finanzierung des Spitalwesens ist alles andere als transparent. Deshalb beruht die Höhe der Investitionen in vielen Fällen auf Schätzungen, über die heute noch keine Einigkeit herrscht. • Spitäler, die bei einer allfälligen Strukturbereinigung geschlossen werden müssten, könnten die Investitionsbeiträge zur Deckung von Defiziten statt für Investitionen verwenden. • Die Krankenversicherer müssen die Investitionskosten ab 2012 mit vergüten. Wenn ein Kanton bis 2012 noch viele Investitionen tätigt und diese vollständig bezahlt, droht nach der Vergütung über die Steuern eine erneute Vergütung über die Versicherungsprämien. Damit hätten wir eine Situation, die jener bei der Strommarkt-Liberalisierung ähnelt. Für diese Probleme müssen 2012 Lösungen bereitstehen. Diese Beispiele zeigen: SwissDRG birgt ein enormes Potenzial. Doch müssen sich Spitäler, Versicherer und Kantone bis 2012 noch gewaltig anstrengen, damit sie dieses Potenzial auch erschliessen können.
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Stefan Kaufmann Direktor santésuisse
Was DRGs sind, welche Ziele sie verfolgen– und welche Probleme es zu lösen gilt
Die Fallpauschalen kommen – doch wie funktioniert das Ganze? Ab 2012 wird in der Schweizer Spitalfinanzierung alles anders. Statt eines bunten Sammelsuriums am Tarif- und Abgeltungssystemen wird es nur noch die Vergütung mit Fallpauschalen, den so genannten DRGs, geben. Die meisten Akteure des Gesundheitswesens erhoffen sich von den Fallpauschalen mehr Effizienz, eine bessere Vergleichbarkeit und eine grössere Bedeutung von Qualität und Wirtschaftlichkeit. Wie aber funktioniert dieses System genau? Wir liefern eine kurze, verständliche Einführung in die Welt der DRGs.
Die Abrechnung mit DRGs bedeutet, vereinfacht gesagt, folgendes: Aufgrund klarer Regeln wird ab 2012 jeder Patient, jede Patientin einer Fallgruppe zugeordnet. Für diese Einteilung sind einerseits die Diagnosen und Nebendiagnosen entscheidend – andererseits aber auch die für die Behandlung notwendigen Prozeduren. Das bedeutet, dass zum Beispiel eine Gallenstein-Entfernung nicht immer in der gleichen Fallgruppe landet – je nach dem, ob dafür ein chirurgischer Eingriff nötig ist oder nicht. Damit ist sichergestellt, dass eine Fallgruppe nicht allzu unterschiedliche Therapien enthält. Welche Chancen bieten DRG?
Das ist von einiger Bedeutung, denn die Fallgruppe, in die ein Patient fällt, bestimmt die Höhe der Spitalrechnung. Das heisst: Für eine komplikationslose, operative Blinddarmentfernung zum Beispiel erhält ein Spital einen fixen Betrag – unabhängig davon, wie lange der Patient im Spital bleibt. Um Extremfällen gerecht zu werden, gibt es Zu- oder Abschläge bei Patienten, welche ausserordentlich kurz oder lang im Spital verbleiben müssen. Mit dieser neuen Tarifordnung sind einige Hoffnungen verbunden. Zum ersten Mal wird es 2012 in der Schweiz ein einheitliches Abrechnungssystem für alle Spitäler geben. Das führt zu mehr Transparenz und zu einer verbesserten Vergleichbarkeit der Spitalleistungen – sowohl was die Qualität als auch die Wirtschaftlichkeit angeht. Die Spitäler erhalten einen Anreiz, ihre Leistungen möglichst effizient zu erbringen. Wenn ein Krankenhaus einen Patienten länger als nötig im Spitalbett behält, verursacht das der Klinik Kosten, ohne dass sie eine höhere Rechnung stellen kann. Umgekehrt hat das Spital wenig Interesse daran, Patienten zu früh zu entlassen. Wenn es nämlich deswegen zu einer Wiederaufnahme kommt, erhält das Spital für die erneuten Behandlungen kein Geld mehr. Von den DRGs erhoffen sich die Akteure des Gesundheitswesens auch Qualitätsverbesserungen. Ein Spital wird eine bestimmte Behandlung nur noch anbieten können, wenn es eine genügende Anzahl Fälle davon hat. Führt ein Spital nur einige wenige Bypass-Operationen pro Jahr durch, wird es mangels Spe-
zialisierung mit der vergüteten Pauschale seine Kosten womöglich nicht decken können. Mittelfristig, so die Erwartung, wird sich die Spitallandschaft in eine dichte, qualitativ hochstehende Grundversorgung und in eine auf die Zentren konzentrierte, hervorragende Spitzenmedizin aufteilen. Welche Risiken sind zu beachten?
Mit der Einführung der DRGs sind aber auch Risiken verbunden. Ab 2012 sind die Spitalinvestitionen Teil des Grundversicherungs-Tarifs. Im Gegenzug übernehmen die Kantone einen etwas höheren Anteil an den Spitalrechnungen als bisher. Wie sich das auf die Krankenkassen-Prämien auswirken wird, ist noch ungewiss. Die verfrühte Entlassung von Patienten gilt trotz den oben beschriebenen Mechanismen als weiteres Risiko. Es gibt Befürchtungen, wonach Patienten früher aus dem Spital entlassen werden, um dafür umso länger in der Rehabilitation oder in Pflegeheimen zu verweilen. Es gibt auch Stimmen, die vor einer Rosinenpickerei der Spitäler warnen: Diese könnten sich auf für sie speziell interessante Fallgruppen konzentrieren und dafür andere vernachlässigen, was die Grundversorgung gefährde. Schliesslich befürchten vor allem die Spitäler, die Übermittlung von Angaben zu Diagnosen und Prozeduren an die Krankenversicherer führe zu Datenschutzproblemen. Diese Befürchtungen sind ernst zu nehmen. Sie dürfen allerdings nicht dazu führen, dass das DRG-System an sich in Frage gestellt oder dessen Einführung verzögert wird. Versicherer, Spitäler und Kantone suchen intensiv nach Lösungen für diese Fragen und haben dabei bereits einige Fortschritte erzielt. Bis 2012, wenn das DRG-System Realität wird, wollen sie diese Problembereiche geklärt haben (mehr dazu auf den Seiten 6 und 7 sowie 10). Wie geht die Einteilung in Fallpauschalen vor sich?
Die Abrechnung mit Fallpauschalen steht und fällt mit der korrekten Einteilung in Fallgruppen – der so genannten Codierung. Dafür werden die Spitäler – sofern sie es nicht bereits gemacht haben – speziell ausgebildete Fachleute einstellen. Diese Codierer stammen aus medizinischen Berufen, bringen also ein beachtliches fachspezifisches Wissen mit. Mit Hilfe von Patientenerfassungssystemen übertragen sie die Informationen aus den Eintritts-, Operations- und Austrittsberichten in eine Codier-Software. Die Codierer studieren die Berichte und legen nach strengen Richtlinien die Haupt- und eventuelle Nebendiagnosen fest. Die Neben diagnosen sind deshalb so wichtig, weil die Patienten häufig mit mehr als einem Leiden ins Spital kommen, was Auswirkungen auf die Behandlung haben kann. Grundlage für die Zuteilung der Diagnosen ist das «internationale Regelwerk des ICD-10-Klassifikationssystems für Krankheiten». Die aktuelle Version des Regelwerks umfasst drei dicke Bänder – man mag sich also vorstellen, wie differenziert die Fallpauschalen sind. Nach den Diagnosen schälen die Codierer die Behandlungen aus den Berichten. Die ermittelten Diagno-
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SwissDRG bietet die Chance auf eine bessere und wirtschaftlichere stationäre Medizin.
sen, Nebendiagnosen und Prozeduren speisen die Codierer in das Codier-Programm – den so genanten Grouper – ein. Dieser errechnet die richtige Fallpauschale, anhand derer die Spitalrechnung erstellt wird. Wie funktioniert die Kontrolle?
Wie ist es möglich, in diesem Prozess Fehler so gut als möglich auszuschliessen? Ein Instrument, welches die Tarifpartner vorsehen, ist die Codierrevision. Unabhängige Experten werden die Krankengeschichten, Berichte und Codierungen der Spitäler stichprobenartig überprüfen. Ein anderes Element ist die Rechnungskontrolle der Krankenversicherer. Die Tarifpartner verhandeln aktuell darüber, welche Daten
die Versicherer zu diesem Zweck von den Spitälern erhalten sollen. Fest steht indes: Die Codierrevsion und die Rechnungskontrolle sind beides unerlässliche Bestandteile des DRG-Systems. Weil die Codierung direkt den Rechnungsbetrag bestimmt, besteht eine gewisse Versuchung, Patienten in eine teurere Fallpauschale einzuteilen. Wie alle anderen Risiken der Fallpauschalen braucht auch dieser Fehlanreiz die richtigen Begleitmassnahmen. Sie stellen letztlich sicher, dass das System die grossen Hoffnungen, die auf ihm ruhen, auch erfüllen kann. PETER KRAFT
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Einführungsarbeiten zu SwissDRG: Aktuelle Lage und Ausblick
SwissDRG ist auf Kurs – und doch bleibt viel zu tun Der Tarifstrukturvertrag von SwissDRG liegt in einer Arbeitsversion beim Bundesrat zur Genehmigung. Kantone, Spitäler und Versicherer sind im ambitiösen Einführungs-Fahrplan zwar auf Kurs. Doch auf die Tarifpartner wartet noch einiges an Arbeit. Wichtige Punkte sind noch ungeklärt – etwa zu den Datenlieferungen oder zur Abgeltung der Investitionen. Spätestens Ende 2011 muss auch hier Klarheit herrschen.
Ende 2007 verabschiedete das Schweizer Parlament nach langen Beratungen eine neue Spitalfinanzierung. Kern der Reform ist die leistungsorientierte Abgeltung durch Fallpauschalen ab 2012. Das ist ein eigentlicher Paradigmenwechsel: Bisher orientierte sich die Spitalfinanzierung in erster Linie an Strukturmerkmalen und «brillierte» mit einer Vielzahl von Tarifmodellen. Kantonal oder sogar regional gewachsene Vergütungsmodelle führten zu einem kaum vergleichbaren Finanzierungswirrwarr. Die Anforderungen an ein neues Finanzierungsregime waren damit gegeben: Erstens brauchte es eine Vergleichbarkeit von Qualität und Kosten auf nationaler Ebene, und zweitens musste die struktur- und kapazitätsorientierte Sichtweise einer leistungsorientierten Abgeltung der Spitalleistungen weichen. Beiden Aspekten wurde im neuen Artikel 49 des Krankenversicherungsgesetztes (KVG) Rechnung getragen. Er besagt, dass die Tarifstrukturen für stationäre Behandlungen auf national einheitlichen Strukturen und leistungsorientierten Pauschalen basieren müssen. Das Gesetz gibt zwar nicht ausdrücklich vor, dass dazu ein DRG-System nötig ist. Doch sind sich alle Partner einig, dass diese den Zielsetzungen am besten Rechnung tragen kann.
rer darauf beharrten, ohne diese Angaben ihren gesetzlichen Auftrag der Rechnungskontrolle nicht umsetzen zu können. Ein Urteil des Bundesgerichts von vergangenem Mai brachte nun Klärung in die verworrene Diskussion: Die systematische Übermittlung von Diagnose- und Prozedurendaten an den Krankenversicherer ist grundsätzlich zulässig. Über die Details der Umsetzung wird mittlerweile verhandelt. Unbestritten ist, dass die Patienten auf ihr Recht hingewiesen werden müssen, die Übermittlung ihrer medizinischen Daten nur an den Vertrauensarzt zu verlangen. Noch einige ungeklärte Punkte
Um den ambitiösen Einführungsfahrplan von SwissDRG einhalten zu können, haben die Tarifpartner im vergangenen Juni eine Arbeitsversion der Tarifstruktur dem Bundesrat zur Genehmigung eingereicht. Um die Tarifstruktur G-DRG auf schweizerische Verhältnisse anzupassen, waren vielerlei Arbeiten notwendig. Darunter fallen zum Beispiel Anpassungen in den Klassifizierungen für Diagnosen (ICD-10) und Prozeduren (CHOP) sowie die Etablierung eines Antragsverfahrens zur Weiterentwicklung der Tarifstruktur. Von entscheidender Bedeutung sind die jährlichen Erhebungen zu den Kosten- und Leistungsdaten der Spitäler. Diese Daten sind unerlässlich, um die Kostengewichte korrekt zu berechnen. Im Moment sind 39 so genannte Netzwerkspitäler an den Datenerhebungen beteiligt, weil noch nicht alle Spitäler in der Lage sind, diese Daten sachgerecht aufzube-
Fallpauschalen sind seit Jahren ein Thema
Die Entwicklung in Richtung Fallpauschalen hatte in der Schweiz bereits vor der Revision der Spitalfinanzierung begonnen. Mit APDRG kommt in einigen Kantonen bereits seit ein paar Jahren ein vergleichbares Tarifsystem zum Einsatz. Weil dieses jedoch seine Grenzen hat – insbesondere was sein Entwicklungspotenzial betrifft – nahmen die Tarifpartner die Arbeiten für ein besser auf die Schweiz ausgerichtetes System bereits 2004 auf. Im Rahmen des Projekts SwissDRG hat man sich Ende 2005 entschieden, auf das etablierte G-DRG-System zu setzen, welches seit 2003 in Deutschland im Einsatz ist. Mittlerweile haben sich Krankenversicherer, Spitäler und Kantone zur SwissDRG AG zusammengeschlossen. Diese hat den Auftrag, die Tarifstruktur SwissDRG zu entwickeln und zu pflegen. Wichtig ist: Die SwissDRG AG kümmert sich nicht um die Belange der Baserate*. Die Preisverhandlungen finden auch künftig zwischen Spitälern und Versicherern statt. Die Einführung von SwissDRG bedingt das Umschiffen einiger weiterer Klippen. Seit längerer Zeit ringen Versicherer und Spitäler darum, ob Angaben zu Diagnosen und Prozeduren auf die Spitalrechnungen gehören. Die Spitäler haben stets auf den Datenschutz verwiesen, während die Versiche-
Das Gerüst steht. Das es braucht noch einiges an Arbeit, bis das Gebäude SwissDRG Anfang 2012 bezugsbereit ist.
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reiten. Das KVG sieht jedoch vor, dass alle Spitäler ihre Daten an die SwissDRG AG übermitteln müssen. In den begleitenden Unterlagen zum Tarifstrukturvertrag finden sich weitere wichtige Vereinarungen. Darunter fallen detaillierte Bestimmungen zu den flankierenden Massnahmen (siehe Seite 10) oder das Reglement zur Durchführung der Kodierrevision. Die Anhänge weisen aber auch auf Punkte hin, die weiterhin ungeklärt sind. So heisst es unter dem Punkt «Instrumente zur Überwachung der Kosten- und Leistungsentwicklung», eine kostenneutrale Einführung von SwissDRG lasse sich kaum garantieren. Der Grund: Die Spitalfinanzierung regelt auch die Kostenverteilung zwischen Kantonen und Krankenversicherern neu. Während sich der Übergang zu einer neuen Tarifstruktur weitgehend kostenneutral bewerkstelligen liesse, sind die durch die Gesetzesrevision verursachten Kostenverschiebungen kaum abschätzbar. Dieser Umstand wird die Tarifpartner in den Vertragsverhandlungen noch beschäftigen. Ohne Transparenz keine korrekten Spitaltarife
Im Tarifstrukturvertrag steht: «Die Vertragspartner erachten die zeitnahe Erstellung eines sogenannten ‹SwissDRG-Gesamtdatensatzes› als notwendige Voraussetzung der Einführung von SwissDRG.» In einem solchen Datensatz wären sämtliche SwissDRG-Fälle eines Jahres zusammengefasst. Die Angaben dürfen keine Rückschlüsse auf die Patienten zulassen und müssen dementsprechend anonymisiert sein.
Sie beinhalten jedoch all jene Angaben, welche etwa die Berechnung des Case Mix Index auf Spitalebene ermöglichen. Dies ist für die Berechnung der Spitaltarife absolut unerlässlich. Die Datenerhebungen müssen zeitnah erfolgen. Das heisst, dass der Datensatz im April des Folgejahres zur Verfügung stehen sollte. Das klingt einfach – dürfte sich aber in der Umsetzung als harter Brocken erweisen. Denn erstens müssen die zum Teil sehr unterschiedlichen, bestehenden Datenerhebungs-Systeme der Kantone aufeinander abgestimmt werden. Und zweitens drängt die Zeit, denn Instrumente zur Erhebung des Gesamtdatensatzes müssen bei der Einführung von SwissDRG 2012 bereit sein. Viel wird davon abhängen, ob die Spitäler bereit sind, die geforderte Transparenz auch zu gewähren. Knackpunkt Investitionen
Ein weiterer wichtiger Punkt mit Klärungsbedarf betrifft die Investitionen. Mit der neuen Spitalfinanzierung sind auch die Investitionen in die Infrastruktur der Spitäler über die Tarife der Grundversicherung zu finanzieren. Das wirft einige Fragen auf. Erstens: Durch den hohen Anteil der öffentlichen Finanzierung im Spitalwesen dürfte es in vielen Fällen schwierig sein, die Höhe der getätigten Investitionen überhaupt zu ermitteln. Dies wird dazu führen, dass viele Bewertungen auf Schätzungen beruhen, über die heute alles andere als Einigkeit herrscht. Es ist zweitens durchaus üblich, dass sich Spitalbauten im Eigentum der öffentlichen Hand befinden und künftige Investitionen zumindest teilweise durch den Kanton verursacht werden. Dies führt dazu, dass die Krankenversicherungen «Investitionsdeckungsbeiträge» an die öffentliche Hand überweisen müssen. Drittens könnten Spitäler, die bei einer allfälligen Strukturbereinigung geschlossen werden müssten, die Investitionsbeiträge zumindest über eine gewisse Zeitspanne zur Deckung von Defiziten statt für Investitionen verwenden. Das gleiche gilt für Spitäler, welche im Kostenbenchmarking schlecht dastehen und ebenfalls Defizite generieren. Viertens: Die Krankenversicherer müssen die Investitionskosten ab 2012 mit vergüten. Dabei kann es durchaus sein, beispielsweise der Kanton die Investition bereits vollständig bezahlt hat. Nach der Vergütung über das kantonale Steuerbudget droht eine erneute Vergütung über die Versicherungsprämien. Es wird von allen Seiten grossen Einsatz fordern, diese Fragen bis 2012 zu klären. Zu guter Letzt gibt es noch einigen Klärungsbedarf bei den «flankierenden Massnahmen» – wie etwa die Qualitätssicherung oder die Begleitforschung. Lesen Sie mehr darüber auf Seite 10. peter kraft/BEAT KNUCHEL
* Wenn Sie mehr zu den Fachbegriffen rund um DRG wissen möchten: Auf Seite 11 finden Sie ein Glossar.
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Optik der Versicherer: Die Einführung von SwissDRG aus Sicht der Sympany-Gruppe
Potenzial ausschöpfen, Überraschungen vermeiden: Gute Vorbereitung ist das A und O
Besonderes Augenmerk wird Sympany auf den Datenschutz legen. Die Vorstellungen verschiedener Akteure im Gesundheitswesen tragen bisweilen sonderbare Früchte. So wird die Datenlieferung an die Versicherer in Frage gestellt, obwohl es eigentlich auf der Hand liegen müsste, dass zur Erfüllung des gesetzlichen Auftrags «Kontrolle der Wirtschaftlichkeit, Wirksamkeit und Zweckmässigkeit» der Zugang zu gewissen Informationen unumgänglich ist. Umso mehr müssen die Krankenversicherer dafür sorgen, dass Datenübermittlung und -verarbeitung klar geregelt sind und keine Angriffsflächen für politische Gefechte bieten. Aufgrund des höheren Detaillierungsgrads der medizinischen Informationen trägt der Versicherer eine noch grössere Verantwortung als bisher. Ein Datenschutz-Team von Sympany begleitet die Arbeiten im Zusammenhang mit SwissDRG.
Case Management braucht Neuausrichtung
Für das Case Management ergeben sich nicht nur fachliche, sondern vor allem strategische Änderungen. Bisher gab es aufgrund der zeitabhängigen Abgeltungselemente auf Leistungserbringer-Seite ein Anreiz zur Verlängerung der Aufenthaltsdauer. Neu liegt die Optik auf der Verhinderung verfrühter Entlassungen und noch stärker als bisher auf der Behandlungsqualität. Im Sinne der Patientinnen und Patienten, aber auch im Hinblick auf die Kostenfolgen, sind Rehospitalisationen zu vermeiden. Trotz den grossen Aufgaben, die auf die Versicherer zukommen, sieht Sympany die Einführung eines schweizweit einheitlichen leistungsorientierten Abgeltungssystems für den akutstationären Bereich als grosse Chance. Der erhöhte wirtschaftliche Druck wird zu einer Angebotsbereinigung führen. Damit das Einsparpotenzial nicht durch andere Effekte überkompensiert wird und sich der Systemwechsel als grosses Verlustgeschäft entpuppt, braucht es flankierende Massnahmen. So sind vor- und nachgelagerte Behandlungen zu integrieren und eine unerwünschte Fallgenerierung zu vermeiden. Im Bereich der Zusatzversicherungen braucht es intelligente Modelle, welche dem Gebot der Leistungsorientierung folgen und lediglich die Abgeltung von Mehrleistungen vorsehen. Felix Bader, lic. rer. pol., Leiter Managed Care im Angebotsmanagement des Privatkundengeschäfts von Sympany
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Die Landschaft im akut-stationären Bereich wird sich mit der Einführung des leistungsorientierten Abgeltungsmodells SwissDRG verändern. Weil in der Hälfte der Kantone bereits mittels Fallpauschalen abgerechnet wird und die Tarifsysteme in vielen anderen Kantonen leistungsorientierte Tendenzen aufweisen, werden sich die Folgen der Modelländerung aber in Grenzen halten. Dennoch gilt es, sich als Krankenversicherer gezielt auf die Umstellung vorzubereiten, um nicht von der Flut an Daten überrollt oder von den veränderten Anreizstrukturen des neuen Systems überrascht zu werden.
Anforderungen an IT und Personal steigen
Dank dem auf Versicherer-Seite mit Freude zur Kenntnis genommenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, wonach eine systematische Datenlieferung von Leistungserbringern an die Versicherer rechtens ist, wird der notwendige Informationsfluss gewährleistet. IT-technisch erneuert Sympany zurzeit die gesamte Kernapplikation. Damit können Anpassungen, die das neue Abgeltungssystem betreffen, direkt in die Spezifikationen eingearbeitet werden. Besonderes Gewicht erhalten dabei der Datenempfang sowie die Unterstützung bei der Rechnungsverarbeitung. Auf die Mitarbeitenden an der Abrechnungsfront warten neue Anforderungen. Während heute relativ einfach überprüfbare Grössen (Beginn- und Enddatum der Behandlung im Spital, Tarife) die Höhe der Rechnung bestimmen, ergeben sich die Kosten einer akut-stationären Behandlung neu aus einer Vielzahl von Informationen (Diagnosen und Prozeduren). Dabei ist die Entstehung des Preises nicht aus einer einfachen Multiplikation von Anzahl Tage und Taxe oder einer Abteilungspauschale plus einer zeitabhängigen Grösse ersichtlich. Zur Überprüfung der Kodierung sind vermehrt medizinische Kenntnisse notwendig. Hier gilt es, rechtzeitig die interne Schulung anzupassen und vermehrt Personal mit medizinischem Knowhow einzustellen.
SwissDRG stellt die Krankenversicherer gerade im IT-Bereich vor grosse Herausforderungen.
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Optik der Kliniken: Die Einführung von SwissDRG aus Sicht der Schwyzer Spitäler
Die Schwyzer Spitälern sind gut auf SwissDRG vorbereitet Im Kanton Schwyz hat sich seit dem 1. Januar 2004 die neue Form der Leistungsabgeltung auf Diagnosegruppen-Basis (DRG) etabliert. Die drei selbstständigen Schwyzer Spitäler Einsiedeln, Lachen und Schwyz werden durch die Versicherer und die öffentliche Hand in allen stationären Patientenkategorien nach dem System AP-DRG (All Patient Diagnosis Related Groups) entschädigt. Die Vorbereitungen waren sehr umfassend. Der tägliche Betrieb mit DRG gestaltet sich unauffällig. Die Umstellung von AP-DRG auf SwissDRG ist unproblematisch.
Zwischen dem Kanton Schwyz und den Spitälern bestehen Leistungsvereinbarungen in der Grundversorgung. Sie enthalten eine Mengenabweichklausel und einen festgelegten Normpreis. Die Finanzierung erfolgt prospektiv vierteljährlich und basiert auf den geplanten Fallzahlen mal Normpreis mal CMI sowie den fallunabhängigen Kosten*. Die Investitionen werden mit einem prozentualen Zuschlag pro Fallpauschale abgegolten. Vorbereitungen der Spitäler
Die Spitäler haben über einen zweijährigen Parallelbetrieb (altes/neues System) die vielfältigen Auswirkungen der Umstellung auf DRG ermittelt und mit diesen Erkenntnissen auch die Einstiegs-Baserate zusammen mit Kanton und Versicherern verhandelt. Die Spitäler haben ihre Prozesse (Abläufe) teilweise überarbeitet, die innerbetrieblichen Zusammen arbeitsregeln erneuert, die Leistungserfassung verbessert, Kodiersoftware und Grouper installiert sowie die Kompatibilität zu den Administrativsystemen geschaffen. Sie haben ihre Leistungserfassungen, Kostenrechnungen und Abrechnungen erneuert oder angepasst. Das Spital Schwyz hat als einziges Spital in der Schweiz DRG-abhängige Arzthonorare entwickelt, seine Führungsstruktur mittels eines dualen Führungssystem (Augenhöhe von Arzt und Pflege) auf das Geschäft mit DRG ausgerichtet und prozessbedingte Bauprojekte eingeleitet. Versicherer, Kanton und Spitäler haben eine paritätische Vertrauenskommission und eine Kodierrevision etabliert sowie ergänzend zum Standard gemeinsame Kodierregeln festgelegt. Die drei Spitäler tauschen ihre Daten aus. Rahmenbedingungen
Um DRG wirksam zu etablieren, braucht es neben den technischen Voraussetzungen auch wichtige Rahmenbedingungen. Hierzu zählt die Vernetzung mit Zuweisern, Spezialisten, postakuten Institutionen (Pflegeheime und Rehabilitations kliniken) sowie Spitälern. Notwendig ist auch die Prozessorientierung (Management-, Kern- und Supportprozesse). Im Rahmen der DRGs hat die Qualität der OP- und Austrittsberichte (Vollständigkeit) für die Kodierung und für die Finanzierung der Leistungen entscheidende Bedeutung. Die Ver-
kürzung der Aufenthaltsdauer – als «logische» Folge – setzt die Planung des Austritts bereits bei der Anmeldung oder dem Eintritt des Patienten voraus. Die erwähnte Prozessori entierung bedeutet auch die Vermeidung von unnötigen Leistungen sowie die Messung der Ergebnisqualität. Unabdingbar für das Bestehen mit DRGs ist ein straffes Finanzmanagement sowie eine aussagekräftige Kostenrechnung. Aufwändig, aber problemlos
Die Umsetzung von DRG war aufwändig, gestaltete sich aber in allen drei Spitälern problemlos. Die operativen Kader und die strategische Führung haben sich sehr schnell auf das System DRG eingestellt. Gewöhnungsbedürftig, aber medizinisch unproblematisch sind die vorgegebenen Aufenthaltsdauern im DRG-System. Weil die nachgeschalteten Organisationen (Rehabilitation, Alters- und Pflegeheime) keine Aufnahmepflicht kennen, ist periodisch zu prüfen, ob Schnittstellen optimierbar sind. Die Unterversorgung komplexer Fälle, zu frühe Entlassungen oder gar «blutige» Austritte sind in der Praxis nicht erkennbar (Grund: Zuweiserabhängigkeit und Qualitätsbewusstsein der Ärzte). Die verstärkte Zusammenarbeit mit vor- und nachgelagerten Institutionen ist empfehlenswert. Die Kodierqualität hat sich über die Jahre verfeinert und verbessert. Die technischen Mängel und die mögliche Ungenauigkeit der Kostengewichte des DRG-Systems sind bis heute vernachlässigbar. Zentral ist sicher, dass der Codier- und Abrechnungsprozess durch einen adäquaten Informatikmitteleinsatz optimal unterstützt werden kann. Ein besonderes Augenmerk verdient auch die gute Kommunikation mit den Ärzten, um zu Beginn allfällige Ängste abzubauen. Spital gewinnt
Die Spitäler im Kanton Schwyz schöpfen dank DRG, durch ihre Prozessausrichtung und der Integration von Medizin, Pflege, Therapie und Ökonomie ihr Effizienzpotenzial aus und stärken damit ihre Qualität. Sie bieten der nahen Bevölkerung eine sehr gute Versorgung, sichern durch ihre Anstrengungen ihr Fortbestehen in einem zunehmend härter werdenden Wettbewerb – und damit den langfristigen Erhalt der Arbeitsplätze. Thomas Aeschmann, Direktor Spital Schwyz Patrick Eiholzer, CEO Spital Lachen AG Dr. Meinrad Lienert, Direktor Regionalspital Einsiedeln
* Vorhaltekosten, Kosten für Lehre und Forschung, gemeinwirtschaftliche Kosten
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Begleitmassnahmen zu SwissDRG
Differenziertes Tarifsystem federt «Nebenwirkungen» ab Jedes Tarifsystem weist gewisse Eigenschaften und Anreizwirkungen auf. So führen Tagespauschalen tendenziell zu längeren Spitalaufenthalten als medizinisch notwendig. Fallpauschalen können hingegen Anreize zu einer vorzeitigen Entlassung bieten. Wieweit solche Effekte in der Realität tatsächlich auftreten, ist von verschiedenen Faktoren abhängig.
Bereits mit der Wahl des Pauschalsystems wurden diesbezüglich wichtige Weichen gestellt. Dank der differenzierten Tarifstruktur ist gewährleistet, dass vergleichbare Eingriffe bei Patienten mit mehreren Nebenerkrankungen höher vergütet werden als bei weniger stark erkrankten Patienten. Ein Spital profitiert somit nicht davon, wenn es einem Patienten notwendige Behandlungen vorenthält. Wirksame Mechanismen gegen Bloody Exits
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Eine wichtige Systemkomponente sind die sogenannten Abrechnungsregeln, welche als «Bedienungsanleitung» zur Tarifstruktur bezeichnet werden können. Darin steht zum Bei-
spiel, dass bei komplikationsbedingten Rehospitalisationen das Spital keine zusätzliche Entschädigung geltend machen kann. Der Anreiz, einen Patienten nach Hause zu entlassen, bevor dies aus medizinischer Sicht angebracht ist, wird damit praktisch eliminiert. Hinzu kommt, dass ein Spital sich das Risiko, aufgrund vorzeitiger Entlassungen und schlechter Behandlungsqualität negativ in der Presse erwähnt zu werden, kaum leisten kann. Auch wenn – wie unter den bisherigen Tarifsystemen – im Einzelfall nicht ausgeschlossen ist, dass eine Entlassung zu früh erfolgt: SwissDRG erhöht diese Gefahr nicht grundsätzlich. Die Einführung von DRG in anderen Ländern oder von APDRG in zahlreichen Spitälern der Schweiz bestätigen diese Einschätzung. Mit anderen Worten: Die immer wieder ins Feld geführte Gefahr der «bloody exits» lässt sich empirisch nicht erhärten. Hingegen gilt es zu betonen, dass sich der Entscheid über die Entlassung des Patienten an den medizinischen Gegebenheiten orientieren muss – ein Umstand, der notabene auch auf gesetzlicher Ebene festgehalten ist. Ein Fallpauschalensystem kann auch zu einer unerwünschten Fallgenerierung führen, getreu der Überlegung «mehr Fälle, mehr Ertrag». Verschiedene Mechanismen in SwissDRG führen jedoch dazu, dass sich ein solches Verhalten nicht lohnt. Sind gewisse Voraussetzungen erfüllt, werden mehrere Spitalaufenthalte zu einem einzigen entschädigungsfähigen Fall zusammengefasst oder Abschläge auf der Vergütung vorgenommen. Weiterentwicklung, Rechnungsprüfung und Qualitätssicherung
Die Begleitmassnahmen beschränken sich jedoch nicht darauf, die angemessene medizinische Behandlung sicherzustellen. Mit der regelmässigen Weiterentwicklung des Tarifsystems wird auch sichergestellt, dass neue Erkenntnisse mit möglichst geringem Zeitverzug im Fallpauschalensystem abgebildet und somit korrekt vergütet werden können. Im Interesse einer korrekten Abrechnung der Leistungen durch die Spitäler – und damit auch im Interesse der Prämienund Steuerzahler – stellen Überprüfungen der Rechnungsstellungsqualität auch sicher, dass keine überhöhten Rechnungen gestellt werden. Dies geschieht einerseits durch den Krankenversicherer, welcher die Rechnungen im Einzelfall auf ihre Korrektheit überprüft, und andererseits auch über eine statistische Analyse, welche für jedes Spital die Qualität der medizinischen Kodierung auf vergleichbare Weise überprüft. Diese sogenannte Kodierrevision haben Tarifpartner und Kantone bereits heute vereinbart. Wichtig sind schlussendlich auch die gemeinsam eingeschlagenen Schritte zur Messung der Leistungsqualität. Im Nationalen Verein für Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken ANQ erarbeiten der Spitalverband H+, die Kantone und die Kranken- und Unfallversicherer die notwendigen Rahmenbedingungen und Qualitätsindikatoren. Ein differenziertes Tarifsystem und die richtigen Begleitmassnahmen tragen zu einer qualitativ hochstehenden und individuellen Betreuung aller Patienten bei.
beat knuchel
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Glossar SwissDRG Leistungsorientierte Abgeltung:
Case Mix Büro:
Diese Form der Vergütung entschädigt die Leistungserbringer für die Therapie als Ganzes. Das bedeutet: Die Leistungserbringer erhalten keine Entschädigung für einzelne Schritte der Behandlung (wie im Tarmed) oder für die Dauer einer Behandlung (Tagespauschalen in Spitälern). Stattdessen erhalten sie einen gewissen Betrag für eine Blinddarmoperation oder eine Gallensteinentfernung. Die Tarife orientieren sich dabei nicht an den Kosten des Spitals, sondern an einer effizienten Durchführung der Behandlungen.
Das Case Mix Büro ist ein Expertengremium der SwissDRG AG. Seine Hauptaufgaben sind die Berechnung von Kostengewichten und Baserates sowie die Pflege und Weiterentwicklung des Tarifsystems. Im Case Mix Office haben Vertreter der Kantone, der Versicherer, der Spitäler und der FMH Einsitz. Codierung/Codierrevision:
Das sind die Entschädigungen, welche die Leistungserbringer für eine Behandlung erhalten. Sie richtet sich nach dem Preis, der für eine effiziente Durchführung der Behandlung gerechtfertigt ist. Eine Operation am offenen Herzen zum Beispiel hat eine bedeutend höhere Fallpauschale als eine Blinddarmentfernung.
Bei der Codierung ordnen speziell ausgebildete Experten jedem Fall die richtige Fallgruppe (DRG) zu. Die Codierer entnehmen den ärztlichen Berichten die Diagnosen und Prozeduren und bestimmen damit nach strengen Regeln die Fallgruppe. Im Rahmen der Codierrevision überprüfen unabhängige Experten stichprobenartig, ob die Krankengeschichte in die korrekte DRG transferiert wurde. Die Codierrevision ist nicht identisch mit der Rechnungskontrolle der Krankenversicherer.
DRG:
Grouper:
Diagnosis Related Groups. In diesem Klassifikationssystem werden die Patienten anhand der Diagnosen und der durchgeführten Behandlungsschritte (Prozeduren) in Fallgruppen (DRGs) eingeteilt. Jede Fallgruppe wird nach dem erforderlichen ökonomischen Aufwand bewertet. Daraus ergibt sich für jede Fallgruppe eine Fallpauschale, die von der Krankenversicherung vergütet wird.
DRG-Grouper sind Computerprogramme, mit deren Hilfe die Codierer Patienten in die korrekte Fallgruppe einordnen.
Fallpauschalen:
SwissDRG:
Ein spezifisch auf die Schweiz angepasstes DRG-System. Es basiert auf German DRG, das in Deutschland seit 2003 im Einsatz ist. Kostengewicht:
Je nach Aufwand und Komplexität der Behandlung erhält jede Fallgruppe ein Kostengewicht. Einfache Behandlungen haben ein tiefes (z.B. 0,8), komplexere ein höheres Kostengewicht (z.B. 1,3). Der Durchschnitt aller Kostengewichte beträgt 1,0. Das Kostengewicht ist vergleichbar mit der Anzahl Taxpunkte einer Behandlung nach TARMED. Baserate:
Die Baserate (Basisfallwert) bezeichnet die durchschnittlichen Kosten einer Behandlung in einem DRG-System. Der Preis einer Behandlung ergibt sich aus der Multiplikation von Kostengewicht und Baserate. Die Baserate ist vergleichbar mit dem Taxpunktwert im TARMED. Case Mix Index (CMI):
Der Case Mix ist die Summe aller Kostengewichte eines Spitals während einer bestimmten Zeitspanne. Dividiert man den Case Mix durch die Anzahl Fälle, erhält man den Case Mix Index. Je höher er ist, desto schwerere Fälle behandelt ein Spital im Durchschnitt.
Benchmark:
Ein Benchmark ist ein Vergleich mit klar festgelegten Massstäben. In der Regel gibt er Aufschlüsse darüber, wo ein Unternehmen bezüglich bestimmter Eigenschaften im Vergleich zum Durchschnitt oder zu den Besten steht. Vom DRG-System erhoffen sich die Akteure Benchmarks zu den Kosten, zur Effizienz und zur Qualität. ICD-10:
ICD-10 ist ein internationales Klassifikationssystem von Diagnosen und Krankheiten. Es ist Basis der Diagnosen von SwissDRG. Minimum Data Set:
Das Minimum Data Set bezeichnet die Angaben, welche für die Krankenversicherung zur Kontrolle der Spitalrechnungen nötig sind. Dazu gehören auch die Diagnosen und Prozeduren. Ein Urteil des Bundesgerichts hat festgehalten, dass die systematische Lieferung solcher Angaben an die Krankenkassen zulässig ist – allerdings nur unter strikter Berücksichtigung des Datenschutzes. Vollkostenprinzip:
Das Vollkostenprinzip bedeutet, dass die Spitäler mit den DRG-Tarifen sämtliche Kosten decken müssen – also auch die Investitionen. Bloody Exit:
Ein Bloody Exit ist ein Austritt aus dem Spital, bevor der Gesundheitszustand des Patienten dies eigentlich erlauben würde.
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Zur Rechnungsprüfung der Krankenversicherer im SwissDRG-System
Kooperation ist das Gebot der Stunde Die bisherigen Vorbereitungsarbeiten zu SwissDRG waren unter anderem von der Diskussion über den Umfang der Angaben geprägt, die das Spital dem Krankenversicherer bei der Rechnungsstellung machen muss. Mittlerweile hat ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts für Klärung gesorgt.
Wem ist es nicht schon einmal so ergangen: Nach dem Grosseinkauf beim Detailhändler oder im Baufachmarkt beschleicht einen plötzlich das Gefühl, mit dem Rechnungsbetrag könne etwas nicht stimmen. Ein Blick auf die Quittung, und schon ist man beruhigt – oder stellt tatsächlich einen Fehler fest. Dies ist allerdings nur möglich, wenn alle Artikel sauber und detailliert auf der Rechnung aufgeführt sind. Praktisch gleich verhält es sich bei einer Spitalrechnung nach SwissDRG: Wenn die gestellten Diagnosen und durchgeführten Behandlungen den Rechnungsbetrag bestimmen, müssen diese Angaben bei der Rechnungskontrolle ersichtlich sein. Die rechtliche Situation ist klar
Der Vergleich mag grotesk erscheinen, bringt die Thematik aber auf den Punkt. Kaum jemand würde im täglichen Leben eine Rechnung akzeptieren, die nur aus dem zu bezahlenden Betrag besteht – unabhängig davon, ob es sich um einen Einkauf, eine Autoreparatur oder den Erwerb eines Hauses handelt. Bei Spitalrechnungen kommt jedoch hinzu, dass Angaben über die Erkrankungen eines Patienten besonders schützenswerte Daten sind und die Anforderungen an die korrekte und sichere Handhabung solcher Informationen entsprechend hoch sind. Diese Anforderungen sind im Krankenversicherungs- und Datenschutzgesetz geregelt. Es verwundert deshalb nicht, dass das Bundesverwaltungsgericht in einem aktuellen Urteil* die Zulässigkeit der systematischen Übermittlung von Diagnose- und Behandlungsdaten an den Krankenversicherer grundsätzlich bestätigt hat. Es liegt nun an den Spitälern und den Krankenversicherern, die Details dieser Übermittlung zu regeln und für eine reibungslose Umsetzung zu sorgen. Was aber macht nun die Krankenversicherung mit diesen Angaben? Zuerst Triage, dann detaillierte Prüfung
Bei einem komplexen Tarifsystem wie SwissDRG wird es immer unklare oder gar falsche Rechnungen geben. Abrechnungsfehler können bei einzelnen SwissDRG-Rechnungen ohne weiteres zu Abweichungen von mehreren tausend Franken führen – und damit zu ungerechtfertigten Mehrbelastungen, welche von der sozialen Grundversicherung nicht vergütet werden dürfen. Wie kann man aber die kritischen von den korrekten Rechnungen, welche problemlos bezahlt werden können, unterscheiden? Der Prozess der Rechnungskontrolle lässt sich idealtypisch wie folgt beschreiben:
• Klärung der Leistungspflicht durch den einzelnen Krankenversicherer: Fragen wie «Ist der Patient bei mir überhaupt versichert?» oder «Bin ich überhaupt der zuständige Kostenträger?» stehen dort im Vordergrund. • Formeller Nachvollzug der Rechnung: Stimmen Rechnungsangaben und Rechnungsbetrag überhaupt überein. • Vertiefte Prüfungen: Wurden die Abrechnungsregeln korrekt angewendet? Handelt es sich womöglich um eine Komplikation im Zusammenhang mit einem früheren Spitalaufenthalt? Sind die durchgeführten Behandlungen mit den gestellten Diagnosen vereinbar? • Fälle, welche aufgrund solcher und ähnlicher Fragen Ungereimtheiten aufweisen, können u.a. anhand einer Prüfsoftware ermittelt werden. Diese Software beinhaltet nicht nur das komplexe SwissDRG-Regelwerk, sondern lässt sich aufgrund der gemachten Erfahrungen stets weiterentwickeln. • Wirft ein Behandlungsfall in diesem Prozess keine besonderen Fragen auf, erstatten die Versicherer die Rechnung. Die diagnosebezogenen Angaben werden anschliessend pseudonymisiert und sind der Administration des Krankenversicherers nur noch durch den Vertrauensarzt zugänglich.
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Die Abrechnung mit SwissDRG ist eine grosse administrative Herausforderung. Spitäler und Krankenversicherer sollten sie zusammen anpacken.
• Bleibt ein Fall jedoch in dieser Triage «hängen» und führt auch die weitere Analyse durch das Fachpersonal zu keinem klärenden Ergebnis, stellt der Versicherer dem Spital entsprechende Rückfragen und nimmt – gegebenenfalls – vertiefte medizinische Abklärungen vor. MDK nach deutschem Vorbild – eine Scheinlösung
Im deutschen Gesundheitssystem übernehmen die Medizinischen Dienste der Krankenversicherung im akut-stationären Bereich die vertiefte Prüfung von medizinischen Angaben (Dossierprüfung). Diese Aufgabe ist ihnen vom Gesetzgeber zugewiesen. Finanziert werden die MDK durch alle Krankenversicherer. Die MDK sind jeweils auf dem Gebiet eines Bundeslandes (bspw. MDK Baden-Württemberg) organisiert – sie übernehmen die gemeinschaftlichen (medizinischen) Aufgaben der jeweiligen Krankenversicherer. Dadurch kommt den MDK ein hohes Gewicht zu. Hierzulande entsteht deshalb oftmals der Eindruck, dass sich mit der Übernahme des MDK-Modells in der Schweiz die Datenübermittlung an den Krankenversicherer erübrigen würde. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Rechnungstriage erfolgt auch in Deutschland durch den Krankenversicherer, welcher für die Erfüllung seiner Aufgaben per Gesetz sogar die
jeweiligen Diagnose- und Behandlungsdaten auf der Rechnung elektronisch erhält. Die anschliessende Prüftätigkeit der MDK hat dazu geführt, dass sich die Spitäler über einen unangemessenen administrativen Aufwand beklagen. Dem ist entgegen zu halten, dass die Rechnungsprüfungen – auch unter Berücksichtigung der dazu notwendigen Aufwendungen – insgesamt zu einer deutlichen Reduktion der Spitalrechnungsbeträge führen. Eine ungerechtfertigte Mehrbelastung der Prämien- und Steuerzahler wird so verhindert. Hinzu kommt: Die Beanstandung von Rechnungen führt auch beim Krankenversicherer zu einem administrativen Aufwand. Unbedachte Rechnungsprüfungen können nicht im Interesse des Versicherers liegen. Hinzu kommt, dass im schweizerischen System die Kosten jeder zusätzlichen Rückfrage direkt beim Versicherer anfallen, während sie sich bei den MDK auf alle angeschlossenen Versicherer verteilen. Das heisst nichts anderes, als dass die deutschen Krankenversicherer gegen einen Pauschalbetrag die Leistungen der MDK unlimitiert im Anspruch nehmen können. Jeder einzelne Krankenversicherer der Schweiz unterliegt hingegen einer individuellen Kosten/Nutzen-Überlegung bei der Rechnungskontrolle. Diese Lösung minimiert den Aufwand für alle Beteiligten. Die mittlerweile eingeführte Prüfgebühr in Deutschland verliert unter diesem Blickwinkel ihre Berechtigung im schweizerischen System. Kooperation statt Konfrontation
Im Vergleich zu SwissDRG sind die Zustände für Rechnungssteller und -empfänger in Tarifsystemen mit Tages- oder Austrittspauschalen schon fast paradiesisch einfach. Die Komplexität des neuen Abrechnungssystems bedingt nun aber, dass die Krankenversicherer zur Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Aufgabe der Rechnungs- und Wirtschaftlichkeitsprüfung «gleich lange Spiesse» erhalten. Die damit verbundene Übermittlung der detaillierten Rechnungsangaben führt zu Befürchtungen, dass die Rechnungsrückfragen der Krankenversicherer sprunghaft zunehmen werden. Es verhält sich jedoch genau umgekehrt: Es sind nicht in erster Linie die vorhandenen Daten, welche Rückfragen auslösen, sondern die nicht verfügbaren. Eine eingeschränkte Datenübermittlung taugt deshalb nicht, wenn es darum geht, den administrativen Aufwand auf beiden Seiten in Grenzen zu halten. Vielmehr müssen sich die Tarifpartner klar werden, dass eine übermässige Administration für keine Seite Vorteile bringt. Sowohl die Spitäler als auch die Krankenversicherer sind angehalten, die administrativen Herausforderungen, welche die neue Leistungsabrechung nach SwissDRG mit sich bringt, gemeinsam zu meistern. Beat knuchel
*Urteil C-6570/2007 vom 29. Mai 2009
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Im Gespräch: Dr. Willy Oggier, Gesundheitsökonom
«In Deutschland will niemand zum Vor-DRG-Zustand zurück» Der Gesundheitsökonom Willy Oggier ist ein ausgewiesener Kenner des deutschen Gesundheitssystems. Insbesondere befasst er sich intensiv mit dem DRGSystem, das in Deutschland bereits etabliert ist und dem Schweizer Pendant SwissDRG als Vorlage diente. Oggier stellt fest: Die Kritik an den Fallpauschalen war auch in Deutschland stets laut und ist noch immer nicht verstummt. Trotzdem möchte inzwischen niemand mehr zum alten Tarifsystem zurückkehren.
Das DRG-System wird in Deutschland zum Teil scharf kritisiert – von einem «monströsen Dickicht» ist teilweise sogar die Rede. Welche Bilanz ziehen Sie nach einigen Jahren DRG in Deutschland?
Ich habe in den letzten Jahren viele Seminare zu DRG in Deutschland organisiert und bin dabei auf Vertreter von Ärzteschaft, Pflege, Krankenhäusern, Kassen, Industrie und Politik gestossen. Manche hatten das eine oder andere auszusetzen, aber alle waren sich einig darin, dass sie nicht zum Vor-DRG-Zustand zurückkehren wollen. Dieser ähnelt in vielerlei Hinsicht der heutigen Situation in der Schweiz. Ich habe dabei manchmal den Eindruck, dass die DRGKritiker den heutigen Zustand in der Schweiz total verklären. Solche Diskussionen gab es in Deutschland seinerzeit auch.
«Ich habe manchmal den Eindruck, dass die DRG-Kritiker den heutigen Zustand in der Schweiz total verklären.» Inwiefern sind die Erkenntnisse aus Deutschland überhaupt auf die Schweiz übertragbar?
Die Gesundheitssysteme in Deutschland und in der Schweiz sind unterschiedlich ausgestaltet. Das gilt sowohl für die Krankenversicherer- als auch für die LeistungserbringerSeite. Es ist beispielsweise in Deutschland für Kassen interessanter, in integrierte Versorgung zu investieren, weil der dortige Risikoausgleich morbiditätsorientiert ausgestaltet ist, also den Krankheitszustand der Versicherten berücksichtigt und nicht nur Alter, Region und Geschlecht wie in der Schweiz.
Es gibt Studien, die dem deutschen DRG-System negative Auswirkungen auf das Pflegepersonal nachsagen: Stellen würden abgebaut, und die verbleibenden Angestellten müssten wegen der schnelleren «Fallbearbeitung» eine höhere Belastung auf sich nehmen. Sehen Sie diese Gefahr auch für die Schweiz?
Grundsätzlich darf auch die Krankenpflege aus Deutschland nicht mit jener in der Schweiz verglichen werden. Ausgebildete Pflegende verfügen in der Schweiz in der Regel über mehr Kompetenzen als ihre deutschen Kolleginnen. Trotzdem können wir davon ausgehen, dass DRGs gerade auch in der Pflege die Suche nach Effizienzverbesserungen verstärkt haben dürften. Das lässt sich beispielsweise beim Bau von neuen Krankenhäusern feststellen. 20-Betten-Stationen auf einem Stock werden praktisch nicht mehr gebaut, die Stationen sind grösser und teilweise sogar kubusähnlich auf der gleichen Etage zusammengesetzt. Das hilft beispielsweise, Nachtwachen zu sparen. Der Effektivitäts- und Effizienzsteigerungsdruck dürfte auch in der Schweiz zunehmen. Sofern er prozessoptimierend wirkt, ist dagegen auch nichts einzuwenden. Schliesslich finanzieren wir fast 60 Prozent der Kosten unseres Gesundheitswesens über Zwangsabgaben – also über Sozialversicherungen und Steuern. Die Schweiz hat gegenüber Deutschland den Vorteil, das System als Nachahmerin einzuführen. Deshalb kann sie die im Nachbarland begangenen Fehler vermeiden. Was sagen Sie zu dieser These?
Das scheint im Moment mindestens nicht feststellbar zu sein. Genauso wie in Deutschland gibt es bisher keine Begleitforschung. Genauso gibt es in der Schweiz – wie seinerzeit in Deutschland – an vielen Orten Fundamental-Opposition von Seiten der Ärzteschaft, obwohl die gesetzlichen Grundlagen bereits in Kraft sind. Dabei ist klar: Die DRGs kommen.
«In einem System mit Tagespauschalen müssen die Kassen die Anzahl Tage überprüfen können, in einem diagnoseund prozedurenbasierten System die Diagnosen und Prozeduren.» In der Schweiz wird heftig über minimale Angaben zu Rechnungskontrolle, das Minimum Data Set, debattiert. Wie sieht es diesbezüglich in Deutschland aus?
In Deutschland erhalten die Kassen die Diagnosen und Prozeduren und entscheiden dann, welche Fälle sie ge-
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gebenenfalls durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) überprüft haben wollen. Das ist eigentlich auch logisch: In einem System mit Tagespauschalen müssen die Kassen die Anzahl Tage überprüfen können, in einem diagnose- und prozedurenbasierten System die Diagnosen und Prozeduren. Also brauchen sie auch die notwendigen Daten. Wer das nicht zulässt, will entweder das DRG-System nicht oder verkennt, dass DRGs insbesondere in der Anfangsphase die Gefahr massiven UpCodings, also der Einstufung in eine teurere Fallgruppe, aufweisen können. Dass wir uns dies bei der jetzigen Prämien- und Reservensituation der Kassen nicht leisten sollten, scheint offensichtlich. Einige Ärzte sehen durch DRG die Therapiefreiheit gefährdet. Teilen Sie diese Befürchtung?
Es geht nicht um die Freiheit der Leistungserbringer, sondern um die bestmögliche Versorgung für den Patienten.
Eindrücklich waren dazu die Aussagen des Vorstandsvorsitzenden des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, Prof. Dr. Jörg F. Debatin, in einem der von mir organisierten Seminare in diesem Frühjahr. Danach habe im alten System die Devise gelautet: Wir sind ein Universitätsspital. Wir machen alles. Und wir können alles. Unter DRG habe sich das fundamental geändert. Die Devise laute heute: Wir machen nur noch das, was wir besser können als andere. Und dort, wo wir nicht so gut sind, kooperieren wir mit jenen, die es besser machen. So betrachtet führt DRG zu einer enormen Chance für die Qualitäts-Verbesserung.
«Es geht nicht um die Freiheit der Leistungserbringer, sondern um die bestmögliche Versorgung für den Patienten.»
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Welche weiteren Begleitmassnahmen erachten Sie für die Einführung von SwissDRG für nötig oder sinnvoll?
Wichtig ist, am vorgesehenen Startzeitpunkt zu beginnen und nicht zu glauben, man müsse das perfekte System erfinden. Wir müssen das System laufend anpassen und erneuern – und zwar pragmatisch und statistikbasiert und nicht politisch motiviert. Das dürfte die Glaubwürdigkeit des Systems erhöhen und andere Fragen auf das Tapet bringen wie etwa: Warum haben Spitäler mit ähnlichen Leistungsspektren unterschiedliche Kosten? Warum wird etwas stationär statt ambulant gemacht? Warum muss der Krankenversicherer – abgesehen von der Kostenbeteiligung der Versicherten – im ambulanten Bereich bei Pflichtleistungen alles übernehmen, im stationären Bereich bei Listenspitälern höchstens 45 Prozent? Warum will die Politik über den Zulassungsstopp auch die Spitalambulatorien beplanen, wo diese doch gerade unter DRG eine erhöhte Bedeutung bekommen sollten, um stationäre durch ambulante Leistungen zu ersetzen? Das sind Diskussionen, die wir brauchen und denen wir uns stellen sollten. interview: peter kraft
Willy Oggier: «DRG führt zu einer enormen Chance für die QualitätsVerbesserung.»
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Die Finanzkrise schlägt sich auch in Umfragewerten zum Gesundheitswesen nieder
sondage santé: Bevölkerung ist für dringliche Sparmassnahmen Zum siebten Mal in Folge hat das Marktforschungsinstitut DemoSCOPE im Auftrag von santésuisse die Bevölkerungsbefragung sondage santé zum Gesundheitswesen durchgeführt. Die Ergebnisse widerspiegeln die aktuelle Lage: Die Sorgen wegen der starken Prämienanstiege haben sich in der Krise deutlich verstärkt. Für 80 Prozent der Befragten sind Sparmassnahmen im Gesundheitswesen notwendig. Es soll gespart werden – aber bitteschön zuerst bei den anderen, lautet der Tenor.
DemoSCOPE hat die sondage santé 2009 vom 2. bis 22. Juni mittels einer repräsentativen, computergestützten Telefonumfrage durchgeführt. Das Marktforschungsinstitut hat schweizweit 1201 Personen im Alter von 15 bis 74 Jahren befragt. Dabei hat sich herausgestellt, dass die Bevölkerung den unmittelbaren Zusammenhang zwischen steigenden Kosten und steigenden Prämien versteht. santésuisse hat deshalb beschlossen, seine Kommunikation auf diesen Punkt auszurichten und den Prämienanstieg auf objektive Weise zu erläutern. Seit anfangs August ist die entsprechende Informationskampagne auf der Website von santésuisse aufgeschaltet (rotes Band mit Pflaster anklicken). Gegenwärtig gehen 33 Prozent der Befragten davon aus, dass die Prämien wegen zu vieler Arztbesuche steigen. 28 Prozent glauben, dass der Anstieg auf die Medikamente zurückzuführen ist. 13 Prozent (gegenüber vier Prozent im Vorjahr) sind der Meinung, dass der wichtigste Grund für das Kostenwachstum die fehlende Sparbereitschaft ist. Angesichts der erheblichen Kostenentwicklung erachten 80 Prozent der Befragten Einsparungen im Gesundheitswesen als dringlich. 80 Prozent empfinden die Prämien als hoch und 30 Prozent (20 Prozent im Vorjahr) als zu hoch. Nur noch 16 Prozent (24 Prozent im Vorjahr) betrachten die Prämien nicht als Problem. Offen bleibt die Frage, wo denn die Befragten Einsparungen akzeptieren würden.
Sparen ja, aber zuerst bei den anderen
Die befragte Bevölkerung sieht nach eigenen Angaben ein, dass sie zumindest teilweise selber für die Kostenund Prämienentwicklung verantwortlich ist. Dennoch ziehen es die meisten vor, dort zu sparen, wo man selber nicht direkt betroffen ist. Dabei werden hauptsächlich genannt: Die Verschreibung von Medikamenten und die Medikamentenpreise (84 Prozent), die Apparate und Methoden der Spitzenmedizin, die Leistungen der Krankenversicherer (65 Prozent) und die Anzahl der Apotheken (58 Prozent). Hingegen halten sich die befragten Personen zurück, wenn es darum geht, ihren persönlichen Konsum von medizinischen Leistungen zu hinterfragen. Verschiedene Lösungsvorschläge zur Einschränkung des Zugangs zu Leistungen stiessen auf wenig Gegenliebe: 39 Prozent können sich eine Praxisgebühr vorstellen. 47 Prozent sehen dies allerdings nur dann gerechtfertigt, wenn man kein Hausarzt- oder Managed-Care-Modell gewählt hat. 52 Prozent finden, dass man bei einem direkten Eintritt in ein Spital ohne vorherige Konsultation eines Arztes eine Gebühr zahlen sollte. Die Befragten sind mehrheitlich auch nicht bereit, eine Einschränkung der Arztwahl durch die Krankenversicherung (nur 43 Prozent sind dafür) oder die Kantone (37 Prozent dafür) hinzunehmen. 73 Prozent würden aber eine freiwillige eingeschränkte Arztwahl akzeptieren, wenn sie dadurch von tieferen Prämien profitieren können. 71 Prozent fänden es in Ordnung, wenn sie im Krankheitsfall zuerst ihren Hausarzt konsultieren müssten. Aktuelles System beibehalten
Trotz der aktuellen Wirtschaftskrise und der wenig erfreulichen Entwicklung der Kosten und Prämien möchte die Bevölkerung keine grundlegende Veränderung des Gesundheitssystems. Dieses Ergebnis beweist, dass keine der bisher vorgeschlagenen Reformen wirklich überzeugen. Neue Arten der Finanzierung ernten nur geringe Zustim-
mung. Generell hängen die SchweizerInnen am Solidaritätsprinzip, der Basis des KVG. 80 Prozent der Befragten glauben, dass nur eine obligatorische Grundversicherung die Solidarität zwischen Kranken und Gesunden sichern kann. 87 Prozent erachten die Solidarität zwischen Reich und Arm als unabdingbar. Auch die Versicherungspflicht, die Kopfprämie und die Prämienverbilligung finden breite Zustimmung. Imageproblem der Versicherer
Das Ansehen der Versicherer hat etwas gelitten. So erachten 55 Prozent der Befragten die Krankenkassen als eher glaubwürdig (64 Prozent im 2008). 28 Prozent schätzen die Transparenz der Krankenkassen (37 Prozent im Vorjahr). Das sind die tiefsten Zahlen seit der Einführung der Befragung. Verschiedene Faktoren erklären dieses Ergebnis. Zuerst einmal reagieren die Versicherten durch die Krise empfindlicher auf negative Meldungen von der Prämienfront. Hinzu kommt das grosse Medienecho auf den bevorstehenden Prämienanstieg. Die Lage ist aber im Vergleich mit anderen Branchen nicht dramatisch. So nimmt die Krankenversicherung in punkto Glaubwürdigkeit immer noch einen Spitzenplatz ein, hinter der Unfallversicherung und den anderen Versicherungen, aber vor Pharmaindustrie und den Pensionskassen. Die Banken und Medien sind die Schlusslichter. Die Bevölkerung schätzt die Leistungen der Krankenversicherung, wünschen sich doch 89 Prozent der Befragten, dass sie die Arztrechnungen strenger prüfen. 90 Prozent begrüssen die Möglichkeit von Zusatzversicherungen, 79 Prozent sind mit der raschen Abrechnung der Krankenkassen zufrieden, 70 Prozent stehen der Gesundheitsförderung positiv gegenüber und 61 Prozent finden den medizinischen Beratungsdienst via Telefon oder Internet eine sehr gute Sache. Grundversicherung: Informationsdefizit besteht weiterhin
Die sondage santé deckt wie schon in den Vorjahren ein beträchtliches Infor-
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Sparen im Gesundheitswesen
sondage santé 2009 (Basis: 1201)
Eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung bezeichnet Sparmassnahmen im Gesundheitswesen als dringend.
Sparmöglichkeiten prüfen bei…
84% 84%
Medikamenten Dienstleist. KK
65% 65%
Spitzenmedizin
65% 65%
Anz. Apotheken
56% 56%
Ärztl. Behandl.
53% 53%
Anz. Arzpraxen
52% 52%
Anzahl Spitäler
46% 46%
Prävention
44% 44%
Therapien 35% 35%
Forschung
31% 31%
Pflegeheime 24% 24%
Spitex 10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
sondage santé 2009 (Basis: 1201)
Bei den Medikamenten, den Krankenversicherern und der Spitzenmedizin orten die Befragten das grösste Sparpotenzial.
Höhere Schwellen für den Arztbesuch
Franchise abschaffen
Bevölkerung will nachhaltige Massnahmen
41% 41%
Praxisgebühr einführen
39% 39%
HMO oder Gebühr
47% 47%
Gebühr (Spital statt Hausarzt)
52% 52%
bisheriges System
77% 77% 10%
20%
30%
40%
mationsdefizit bezüglich der Grundversicherung auf. Unter anderem überschätzen die Befragten den Anteil der Verwaltungskosten der Krankenkassen mit 32 Prozent massiv. In Tat und Wahrheit liegt er bei lediglich 5,7 Prozent. Von 100 Franken Prämieneinnahmen erhalten die Versicherten also mehr als 94 Franken direkt in Form von Leistungen zurück. Um mehr Klarheit zu schaffen, hat santésuisse einen kurzen Film produziert, welcher die Funktionsweise des Krankenversicherungssystems erläutert. Der Film ist auf der Website von santésuisse aufgeschaltet. Zudem hat santésuisse die Gratisbroschüre «1x1 der Krankenversicherung» neu aufgelegt. Sie richtet sich ans breite Publikum und beantwortet alle wichtigen Fragen zur Krankenversicherung. Den Journalisten, Politikern und allen anderen, die mehr über die Gesundheitspolitik wissen wollen, steht die vom Dachverband herausgegebene Broschüre «Plus 2 der obligatorischen Krankenpflegeversicherung OKP: Zahlen plus Fakten zu Organisation, Leistungen, Finanzierung und Kosten» zur Verfügung. Lehrpersonen können auf der Plattform www.kiknet.ch pädagogisch einsetzbare Dokumente zur Erläuterung des Schweizer Gesundheitssystems herunterladen. santésuisse wird weiterhin dafür kämpfen, dass sich das Wissen über das Gesundheitssystem in der Bevölkerung verbessert.
50%
60%
70%
80%
90%
100%
sondage santé 2009 (Basis: 1201)
Die Bevölkerung fordert Massnahmen zum Fortbestand einer finanzierbaren Krankenversicherung mit einem reglementierten Wettbewerb – unter anderem nachhaltige Reformen für eine wirksame medizinische Versorgung. Dazu gehören aus Sicht von santésuisse die Förderung von Managed Care, die Einführung eines monistischen Finanzierungssystems und mehr Wettbewerb, vor allem zwischen den Leistungserbringern. maud hilaire schenker
Die Bevölkerung steht höheren Schwellen für Arztbesuche skeptisch gegenüber.
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Überblick über die verschiedenen Modelle der medizinischen Grundversorgung
Grundversorgung fördern: Wie machen es die anderen? Die medizinische Grundversorgung (Primary Care) verfolgt das Ziel, jedermann den Zugang zu den notwendigen ambulanten Behandlungen zu garantieren. Auch wenn dieser Begriff in den verschiedenen Ländern unterschiedlich ausgelegt wird, so beschreibt er doch in erster Linie die ambulante Allgemeinmedizin. Eine im April 2009 veröffentlichte Studie unterscheidet in Europa, Kanada, Australien und Neuseeland drei verschiedene Modelle der medizinischen Grundversorgung* Wie kann die Schweiz von den Erfahrungen dieser Länder profitieren?
Der Begriff «Primary Care» ist 1978 anlässlich der WHO-Konferenz 1978 in Alma Ata entstanden. Seither wird er mit der sozialen Pflicht, allen Menschen Zugang zu grundlegender medizinischer Versorgung zu gewähren, in Verbindung gebracht. Der Begriff umfasst ein breites Spektrum – von der klassischen medizinischen Behandlungen bis hin zu Gesundheitsförderung und Prävention. Als eingeengter Begriff wird «medizinische Grundversorgung» auch für die Aufgaben verwendet, welche die Gesundheitsfachpersonen im ambulanten Bereich ausüben. Darunter fallen Erste Hilfe, Zugänglichkeit und dauernde Verfügbarkeit der Behandlungen. Die wichtigsten Akteure der medizinischen Grundversorgung sind die Allgemeinärzte. Man spricht von drei Organisationstypen der medizinischen Grundversorgung, die in jüngster Zeit immer mehr ineinander übergehen. Das normativ-hierarchische Modell: Der Staat organisiert ein Gesundheitssystem um die medizinische Grundversorgung herum
gen. Durch einen Finanzausgleich garantiert der Staat eine Solidarität über ganz Katalonien hinweg. Das normativ-professionelle Modell: Der Arzt für Allgemeinmedizin – Dreh- und Angelpunkt des Systems
Dieses Modell wird in Grossbritannien, in den Niederlanden, in Australien und in Neuseeland angewendet. Hier gibt es für die medizinische Grundversorgung weder eine klare Definition noch ein komplettes Modell. Trotzdem haben diese Länder explizite Gesamtprojekte für die medizinische Grundversorgung ausgearbeitet. Die Ärzte für Allgemeinmedizin arbeiten in Gruppen und sind Dreh- und Angelpunkt des Systems. Sie nehmen die Rolle von Gatekeepern ein. Sie regulieren und koordinieren den Zugang zu den spezialisierten Disziplinen, die in der Regel in Spitälern angesiedelt sind. Die Allgemeinmediziner haben durch Reformen Aufgaben der Ressourcenverwaltung erhalten, was ihre wirtschaftliche Verantwortung verstärkt. In Grossbritannien beispielsweise sind die finanziellen Mittel dezen-
Dieses Modell findet man in Katalonien, Finnland und Schweden. Die medizinische Grundversorgung wird im Gesetz ausführlich bestimmt, ebenso wie präzise Standard-Dienstleistungen und Vergütungsrichtlinien. In Katalonien beispielsweise ist die medizinische Grundversorgung rund um regionale Gesundheitsdienste organisiert. Jeder regionale Gesundheitsdienst ist für 5000 bis 25 000 Einwohner bzw. 40 000 Einwohner in den Grossstädten zuständig. Jedes Gebiet umfasst mindestens ein Zentrum für die medizinische Grundversorgung, das rund um die Uhr geöffnet ist. Das Gesetz legt auch die Mindest-Dichte medizinischer und paramedizinischer Fachpersonen fest. In Katalonien liegt diese Quote bei einem Hausarzt pro 1750 bis 2500 Einwohner im Alter von über 14 Jahren. Die Spezialisten praktizieren hauptsächlich im Spital. Es handelt sich bei Letzteren um dezentralisierte Systeme, die in erster Linie über die Steuern finanziert werden. Die lokalen Behörden verwalten das Pflegeangebot, sie sind verantwortlich für die Finanzierung der Leistun-
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tralisiert und werden von so genannten Primary Care Trusts verwaltet. Das umfasst auch Gelder für die Weiterbildung oder für Gesundheitsförderungsprogramme. Die Grundversorgung ist weitgehend mit der Allgemeinmedizin identisch. Weitere Merkmale des Systems sind leistungsabhängige Tarife, die finanzielle Unterstützung von Gruppenpraxen und die wachsende Bedeutung der Pflegeberufe.
Patienten direkt zugänglich und oftmals mit einer Zuzahlung verbunden sind. In diesen Ländern dominiert die Allgemeinmedizin. Die Grundversorgung ist auf verschiedene Weise organisiert: Den Hauptteil machen Ärzte in freier Praxis aus, die nach den effektiv erbrachten Leistungen bezahlt werden. Daneben gibt es aber auch Gesundheitszentren, die vorzugsweise von wirtschaftlich schwachen Menschen aufgesucht werden. Versuche zur Strukturierung der medizinischen Grundversorgung bleiben in diesen Ländern im Versuchsstadium und lassen sich nur schwer ins Gesundheitssystem integrieren.
Das professionelle nicht-hierarchische Modell: Eine Organisation der medizinischen Grundversorgung auf Initiative der Akteure hin
Dieses Modell findet sich in Deutschland und in Kanada. Dort gibt es weder ein explizites Gesamtprojekt zur medizinischen Grundversorgung noch eine bevölkerungs- und gebietsorientierte Organisation der ambulanten Medizin, insbesondere im Spitalbereich. In diesen Systemen bestehen ein soziales Finanzierungssystem der Gesundheitsausgaben und ein Angebot an privater Pflege nebeneinander. Es gibt ein Angebot an ambulanten Spezialdisziplinen, die den
Foto: Prisma
Verschiedene Systeme, ähnliche Probleme
Die meisten Industrieländer sind mit denselben Problemen konfrontiert: Alterung der Bevölkerung und der Gesundheitsfachpersonen, zunehmende Zahl an praktizierenden (und Teilzeit arbeitenden) Frauen, Spezialisierung und wachsende Kosten der medizinischen Technologien, Zunahme der chronischen Krankheiten. Zudem entwickeln sich die meisten Gesundheitssysteme in Richtung Dezentralisierung, eine bessere Koordinierung der Behandlungen und eine grössere Rolle der Pflegeberufe. Die medizinische Grundversorgung in der Schweiz: ein professionelles nicht-hierarchisches Modell…
Die Organisation der ambulanten Medizin in der Schweiz wird durch die freie Arztwahl, den Kontrahierungszwang und den Zulassungsstopp bestimmt. Doch es gibt keine Weisungen (wie beispielsweise in Spanien), welche die Anzahl Ärzte pro Einwohner festlegen. Die Regelung ist den Kantonen überlassen. Die Entwicklung von Gruppenpraxen ist im Aufschwung begriffen, doch sind sie noch immer eher Ausnahme als Regel. Sowohl Ärzte für Allgemeinmedizin als auch Spezialisten praktizieren selbstständig. Die Patien-
Die Grundversorgung ist in Europa sehr unterschiedlich organisiert.
ten können direkt einen Spezialisten aufsuchen. Die Koordination der Behandlungen obliegt zum grossen Teil den Patienten oder deren Familien. Mit ihrem sehr dezentralisierten System fehlt es der Schweiz an einer nationalen Strategie – auch im Bereich der Grundversorgung. Sie ist folglich ein Paradebeispiel für ein professionelles nicht-hierarchisches Modell. …das sich mit Müh’ und Not den anderen beiden Modellen annähert
In der Schweiz gibt es verschiedene Ansätze zur Förderung der Grundversorgung. So rühmen die Versicherer die Entwicklung der HMO und der Ärztenetze, fördern die Zusammenarbeit der Ärzte und möchten diesen vermehrt finanzielle Verantwortung und eine Gatekeeper-Rolle übertragen. Die Spezialisten in der Schweiz bleiben frei praktizierend und erleichtern so den Zugang zu einem Angebot an Behandlungen, die in anderen Ländern den Spitälern vorbehalten sind. Die Versicherer organisieren in Partnerschaft mit den Leistungserbringern auch Case Management- und Disease Management-Programme. Doch all diese Projekte, die auf Zusammenarbeit beruhen, sind mangels eines nationalen Projekts noch zu stark isoliert. Auch die Zulassungsbeschränkung bereitet Probleme: Sie treibt die Ärzte dazu, in Spitälern zu praktizieren, statt sich in Randgebieten niederzulassen. Eine denkbare Lösung wäre, die Allgemeinmedizin aufzuwerten und die Schaffung interdisziplinärer «Pflegezentren» zu unterstützen, die auf alle Regionen verteilt würden. In jedem Fall scheint eine tief greifende, nationale Strategie unabdingbar zu sein, um die soziale Gerechtigkeit im Bereich der medizinischen Grundversorgung dauerhaft zu verwirklichen. maud hilaire schenker
* Yann Bourgueil, Anna Marek, Julien Mousquès (Prospere/Irdes), «Trois Modèles types d’organisation des soins primaires en Europe, au Canada, en Australie et en Nouvelle-Zélande», in: Questions d’économie de la Santé, Nr. 141, April 2009
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Eine Bilanz des abtretenden Gesundheitsministers aus Sicht von santésuisse
Pascal Couchepin: Einiges erreicht – aber die eigenen Ziele verpasst
Erinnern wir uns: 2003, in Couchepins erstem Amtsjahr als Gesundheitsminister, lehnte das Parlament eine umfangreiche KVG-Revision wegen einer vergleichsweise unbedeutenden Uneinigkeit ab. Die Einigungskonferenz der Räte wollte nichts von höheren Rabatten bei den Kinderprämien wissen, worauf sich die CVP in der Schlussabstimmung der Stimme enthielt – und damit das Scheitern der Revision herbeiführte. Pascal Couchepin wollte trotzdem die gesamte KVG-Revision retten. Er brachte die Vorlage in Teilpaketen ab 2004 wieder vor die Räte. Er wollte so vermeiden, dass die einzelnen Elemente der KVG-Revision zwischen widersprüchlichen Interessen zerrieben werden. Das Parlament bremst Reformen – Couchepin greift nach den Reserven
Wir wissen heute, dass dies nur zum Teil gelungen ist. Pascal Couchepin hat die
Einzelinteressen unterschätzt: Praktisch jedes Element der KVG-Revision ist heftig umstritten. Abgesehen von der Spital- und Pflegefinanzierung sind zentrale Punkte der KVG-Revision entweder gescheitert oder vom Parlament noch gar nicht zu Ende behandelt worden. Der Zulassungsstopp hat noch immer keine wirkliche Nachfolgeregelung. Die Vorlagen des Bundesrats zu Managed Care und Medikamentenpreisen sind gescheitert. Selbst von den dringlichen Sparvorschlägen, die Pascal Couchepin in diesem heissen Prämienherbst durch das Parlament bringen wollte, ist wenig übriggeblieben. Er muss sich nun denselben Vorwurf wie seine Vorgängerin Ruth Dreifuss gefallen lassen: Mit dem erzwungenen Abbau von Reserven hat er Prämien durchgesetzt, die tiefer als die Kosten waren. Die happigen Prämienerhöhungen 2010 zeigen, dass uns auch der Griff von Pascal Couchepin in die Reserventrickkiste nicht an der Kostenwahrheit vorbei führt. Heftige Abwehrreflexe der Interessenvertreter
Erfolgreicher war Pascal Couchepin auf dem Verordnungsweg. Senkungen der Medikamenten- und Laborpreise hat der Gesundheitsminister trotz heftigen Protesten durchgesetzt. Der differenzierte Selbstbehalt hat zum Aufschwung der Generika geführt. Die Freikaufsregel der Originalhersteller vom höheren Selbstbehalt hat den Erfolg zwar gebremst. Trotz-
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Gesundheitsminister Pascal Couchepin tritt ab – und hinterlässt ein Gesundheitswesen, in dem viele Probleme ungelöst bleiben. In den letzten Monaten seiner Amtszeit war Couchepin mit teils heftiger Kritik von vielen Seiten konfrontiert. Wer jedoch genauer hinsieht, erkennt schnell: Am Willen und an Ideen mangelte es dem Gesundheitsminister nicht. Gescheitert ist er in erster Linie an den eigenen, (zu) hoch gesteckten Zielen.
Pascal Couchepin war ein unbestechlicher, engagierter Gesundheitsminister mit sozialem Gewissen. Trotzdem hat er längst nicht alle seine Pläne umsetzen können.
dem kann man sagen: Auf dem Verordnungsweg, wo Couchepin nur die Kollegen im Bundesrat überzeugen musste, hat er Massnahmen zügig umgesetzt. Auf dem parlamentarischen Weg, wo es darum geht, Allianzen zu schmieden und die unterschiedlichen Interessen miteinander in Einklang zu bringen, hatte er einen schweren Stand. Hier scheiterte Couchepin auch an seinem eigenen Ehrgeiz. Er steckte die Ziele hoch, schreckte auch nicht davor zurück, die Vertragsfreiheit in seine Botschaften ans Parlament zu integrieren. Pascal Couchepin wollte dem Gesundheitswesen einen heftigen Reformschub verpassen – und bekam die Abwehrreflexe der verschiedenen Interessensgruppen ebenso heftig zu spüren. Engagiert, mutig, unbestechlich
Trotz seiner zwiespältigen Bilanz: Zwei Dinge muss man Pascal Couchepin zugute halten. Erstens hat er versucht, die Wettbewerbselemente im KVG zu stärken, ohne dessen soziale Züge zu gefährden. Couchepin zeigt sich damit als prototypischer Vertreter des Westschweizer Liberalismus: Es geht ihm nicht um Staatsabbau, sondern um ein ideales Zusammenspiel zwischen Wettbewerb und gesicherten Sozialwerken im Interesse des Gesamtwohls. Zweitens war Pascal Couchepin ein engagierter und unbestechlicher Gesundheitsminister mit humanistischen Werten. Seine parlamentarischen Vorlagen hat er nicht immer mit Erfolg, dafür aber meist mit Herzblut vertreten. Und er hat sich nicht gescheut, auf dem Verordnungsweg durchzugreifen und damit alle Akteure – einschliesslich der Krankenversicherer – irgendwann gegen sich aufzubringen. Pascal Couchepin hat den populistischen Gegenwind nicht gescheut und Entscheide wie die Senkung der Labortarife oder seine Skepsis gegenüber der Komplementärmedizin stets sachlich begründet. Er selbst hat einmal gesagt: «Wenn alle gleich unzufrieden sind, ist der Kompromiss sicher gut.» Nach diesem, mit etwas Couchepin’scher Ironie verzerrten Massstab gemessen, war er ein ausgezeichneter Gesundheitsminister. FELIX SCHNEUWLY
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Vier Fragen an Jean-Claude Rey, Direktor des Institut de santé et d’économie in Lausanne
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«Es wird wohl einige Überraschungen geben»
Jean-Claude Rey: «Wir haben keine neue Spitalfinanzierung, keine stufenweise Umsetzung und zu kurze Fristen.»
Für Jean-Claude Rey, Direktor des Institut de santé et d’économie in Lausanne, sind vor der Einführung von SwissDRG noch einige Hindernisse zu überwinden. Der Kostendruck könnte sich qualitätsschädigend auswirken, wenn nicht rasch flankierende Massnahmen ergriffen werden. Rey betrachtet die Einführung von SwissDRG aus einem alternativ-kritischen Blickwinkel.
Was bleibt für die Einführung von SwissDRG noch zu tun?
Es bleibt noch aufzuzeigen, dass die soeben veröffentlichte Liste der Kostengewichte der Situation in der Schweiz entspricht. Swiss DRG hat das deutsche Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus mit der Ausarbeitung der ersten Version betraut.
Im Augenblick kann das aber nicht aufgezeigt werden. Die SwissDRG AG hat den Spitälern noch keinen Gruppierungsschlüssel zur Verfügung gestellt, der es ihnen ermöglichen würde, den eigenen Case-Mix nach der veröffentlichten Kostengewichts-Liste zu berechnen. Nahezu die Hälfte aller Schweizer Spitäler verwendet bereits das APDRG-Vergütungssystem, einige seit sieben Jahren. Sie sind es sich gewohnt, bei Versionsänderungen Simulationen durchzuführen, um den Finanzierungseffekt der induzierten Änderungen zu prüfen – und zwar im Hinblick auf Verhandlungen mit den Versicherern. Es wird wohl einige Überraschungen geben. Wird sich SwissDRG Ihrer Meinung nach auf Qualität und Kosten auswirken?
Kein DRG-basiertes Finanzierungssystem als solches kann sich auf die Qualität und die Kosten auswirken. Dazu benötigt es schon begleitende zusätzliche Vorkehrungen bei der Einführung. Beispiele dafür sind Sparanreize, Benchmarking oder Qualitätsförderungs-Programme. In der Schweiz fehlen solche Massnahmen und Vorkehrungen grösstenteils noch, und die Erfahrung der letzten Jahre lässt nicht gerade optimistisch stimmen. Der Hauptgrund dafür liegt in Befürchtungen bezüglich Transparenz, und zwar sowohl seitens der Versicherer als auch der Leistungserbringer. Meistens sind diese Befürchtungen allerdings unbegründet. Seit bekannt ist, dass in den kommenden Jahren mit erheblichen Prämienerhöhungen zu rechnen ist, ist der Kostendruck so gross geworden, dass eher sinkende Preise zu erwarten sind. Die Qualität könnte darunter leiden, wenn man den in den meisten Industrieländern gemachten Erfahrungen Glauben schenken darf.
Eine solche Qualitätseinbusse darf allerdings nicht allein SwissDRG angelastet werden. Es müssen auch die Modalitäten im Zusammenhang mit ihrer Einführung hinterfragt werden. Hat das föderalistische System die schweizweite Einführung der SwissDRG erschwert?
Nein. Die kantonalen Dachorganisationen, die Versicherer und die Spitäler haben das Projekt SwissDRG unterstützt. Die angekündigten Fristen sind eingehalten worden. Hat die Schweiz aus den Erfahrungen der anderen Länder für die Einführung des DRG-Systems gelernt?
Nein. Nachdem man internationale Zusammenkünfte auf wissenschaftlicher Ebene jahrelang links liegen gelassen hat, stürzte man sich plötzlich auf die deutsche Lösung. Und zwar unter dem Vorwand, dass was für Deutschland gut ist, auch für die Schweiz gut sein müsse. Dann hat man die Vorsichtsmassnahmen, die in Deutschland für die Einführung getroffen worden sind, in den Wind geschlagen. Wir haben keine neue Spitalfinanzierung, keine stufenweise Umsetzung und zu kurze Fristen. Man wird dieses unkoordinierte Vorgehen möglicherweise teuer bezahlen. interview: maud hilaire schenker
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Schlussfeier zur eidgenössischen Berufsprüfung: 53 neue Krankenversicherungs-Fachleute in Lausanne diplomiert
Mit mittelalterlichen Klängen in eine neue berufliche Zukunft Seit dem 20. August hat die Schweiz 53 neue KrankenversicherungsFachleute. In einer stimmigen Feier in Lausanne haben sie ihre Diplome erhalten. Musikalisch umrahmt hat die Feier der Mittelalter-Barde Dagobert. Gastreferentin war Catherine Hoenger. Sie stellte das Programm zur Förderung der Palliativ-Pflege vor, welches der Kanton Waadt seit 2002 betreibt.
Sichtlich zufrieden begrüsste GeorgesAndré Escoffey, Leiter Ausbildung Westschweiz von santésuisse, die Diplomandinnen und Diplomanden im Hotel Alpha Palmiers in Lausanne. Ohne lange Vorrede übertrug er die Eröffnung des Anlasses an Dagobert – ein Multi-Instrumentalist, der sich auf mittelalterliche und keltische Musik spezialisiert hat. Ein Barde aus einer anderen Zeit
Dagobert geizte mit seinem musikalischen Wunderkasten keineswegs, sondern schöpfte aus dem Vollen. Er spielte auf einem guten Duzend verschiedener Flöten, auf einer Drehleier, verschiedenen Lauten, Fiedeln – und natürlich auf dem Dudelsack. Ganz auf die mit-
telalterliche Technik mochte sich Dagobert jedoch nicht verlassen: Mit einem Recorder konnte er Sequenzen, die er mit dem einen Instrument darbot, aufnehmen, immer wieder abspielen und sich mit einem nächsten Instrument selber begleiten. Nach und nach entstand so ein Einmannorchester, das sanfte, beschwingte und hin und wieder dramatische Lieder aus einer anderen Epoche der Menschheitsgeschichte spielte. Schliesslich demonstrierte Dagobert noch, wie man aus einem kleinen Bambus-Stück und einem Taschenmesser innert einer Minute seine eigene Flöte herstellen kann. Ewiges Lernen
Die frischgebackenen Krankenversicherungs-Fachleute befinden sich natürlich nicht im Mittelalter. Auch ist es nicht ihre Aufgabe, den Menschen mit Liedern und Geschichten das Leben zu verschönern. Sie stehen ganz im Gegenteil mit beiden Füssen auf dem Boden einer hochtechnisierten Realität. Trotzdem hat ihnen Dagobert auf seine Weise den Spiegel ihrer Berufswelt vorgehalten: Die Vielfalt seiner Musik steht für die Vielfalt und Komplexität der Aufgaben, welche die Krankenversicherungs-
Fachleute jeden Tag bewältigen. Daniel Wyler, der Präsident der Prüfungskommission, forderte die frisch Diplomierten denn auch auf, niemals mit dem Lernen aufzuhören. Es gäbe, so Wyler, viele Dinge in der Welt der Krankenversicherung, die scheinbar klar sind – sich aber bei näherem Hinsehen als gar nicht so einfach entpuppen. Als Beispiel schilderte er ein Telefongespräch mit einer Doktorandin an der Universität Basel, die ihn um Hilfe bei einer Arbeit zum Thema Managed Care bat. Als er sie gefragt habe, was sie denn eigentlich unter Managed Care verstehe, sei die Antwort ausgeblieben. Ein Schlüsselbegriff des Gesundheitswesens, von dem alle reden, aber auch viele Experten nicht genau wissen, was damit gemeint ist: Das zeigt laut Daniel Wyler exemplarisch, dass im Bereich Gesundheit und Krankenversicherung ein vollkommenes Wissen unmöglich ist. Auch für die frisch gebackenen Krankenversicherungs-Experten gilt: Etwas zu lernen wird es immer geben. Palliativpflege: Pionierprogramm im Kanton Waadt
In diesem Sinne informierte die Gastreferentin Catherine Hoenger über ei-
Die erfolgreichen Absolventinnen und Absolventen
von Gierke Karl, Vivao Sympany, Basel; Schärli Adrian, Helsana, Olten; Kälin Simone, Concordia, Luzern; Ammann Nadine, SWICA, Basel; Artique Ghislaine, C.M. Kolping, Versoix; Bahtagic Enisa, Sanitas, Aarau; Basilicata Daniela, KPT, Bern; Beggio Ursula, Visana, Lausanne; Besevic Danijela, Helsana, Jona; Boder Stéphanie, SanaTop, Wangen b. Olten; Bolliger Margrit, Helsana, Zürich; Bratschi Heidi, Assura, Bern; Brügger Silvia, Assura, Bern; Caille Christine, Assura, Pully; Casella Assunta, CSS Ecublens; Christen Andrea, Visana, Muttenz; Cucciniello Sonia, Helsana, Olten; De Cagna Pamela, CSS, Lausanne; De Icco Alessia, Visana, Lausanne; Djordjevic Dusan, Groupe Mutuel, Zürich; Elkaz Osman, Intras, Luzern; Farquet Steve, CM de la Vallée d’Entremont; Flühmann Cornelia, Visana, Bern; Germanier Raphaël, Groupe Mutuel, Martigny; Görgül Nüket, CSS, Aarau; Habegger Claudia, ÖKK, Winterthur; Hänsli Odette, KLuG, Zug; Heberle Melanie, SUVA, Luzern; Hernandez Claudia, Assura, Bern; Hug Angela, Stadt Bischofszell; Kistler Fabienne, Vivao Sympany, Basel; Joye Laetitia, Sanitas, Zürich; Lustenberger-Quadri Carmela, Concordia, Zug; Manno Sonia, Groupe Mutuel, Aarau; Manser Irene, Swica, Appenzell; Mirabile Chantal, Helsana, Lausanne; Neuenschwander Ursula, KPT, Bern; Neuhaus-Peter Katja Simone, CSS, Luzern; Neu Christian, Groupe Mutuel, Martigny; Peralta Lorena, CSS Ecublens; Plavotic Monika, Visana, Bern; Polak Irena, Groupe Mutuel, Zürich; Ramazani Mirjeta, Helsana, Dübendorf; Rödven-Sutter Chistine, Visana, Muttenz; Roux Patricia,Stadt Bischofszell; Rudez Ivana, Groupe Mutuel, Aarau; Schädler Anita, SWICA Wil; Solèr-Aeschlimann Vera, Helsana, Zürich; Spiller Sandra, carena Schweiz, Aadorf; Struger Jeannine, Helsana, Zürich; Tanner Marlise, Sanitas, Winterthur; Unternährer Yvonne, Concordia, Meggen; Vaudroz Elodie, Sanitas, Lausanne. Notenstatistik
Prüfungsabsolventen: 86 / Bestanden: 53 / Erfolgsquote: 61,6 Prozent / Notenschnitt Diplomierte: 4,37
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Foto: Hans Wohler
Der Präsident der Prüfungskommission, Daniel Wyler, mit seinen besten Absolventen. Von links: Adrian Schärli, Daniel Wyler und Karl von Gierke.
nen Bereich des Gesundheitswesens, der bisher wenig bekannt, aber von stetig wachsender Bedeutung ist. Catherine Hoenger ist die Verantwortliche für das Programm zur Förderung der Palliativpflege des Kantons Waadt. 2002 beschloss der Waadtländer Grosse Rat, die Palliativpflege im Kanton auszubauen und diese auch zu finanzieren. Er verfolgt das ehrgeizige Ziel, überall und für alle Bedürftigen Palliativpflege anzubieten. Dazu habe Waadt, so Catherine Hoenger, drei Pflegenivieaus definiert. Für die Grundpalliativpflege in relativ stabilen Fällen kommen Hausärzte, die Spitex oder sonstiges Pflegepersonal zum Einsatz. Dieses Netz soll, so das Ziel, mittelfristig an jedem Ort des Kantons zur Verfügung stehen. Für kompliziertere Fälle gibt es im Waadt fünf mobile Palliativdienste – einen davon speziell für Kinder. Sie bieten Beratung am Krankenbett, die Unterstützung der Angehörigen sowie die Schulung der behandelnden Ärzte und Pflegefachleute an. Für besonders schwere Fälle ist am Universitätsspital Lausanne palliative Betreuung vorgesehen. Es soll auch ein Forschungszweig auf diesem Gebiet entstehen, so Catherine Hoenger. In den nächsten Jahren wolle der Kanton darüber hinaus die Zusammenarbeit mit Freiwilligenorganisationen verstärken. Für die Freiwilligen werden spezielle Schulungen ent-
wickelt, ebenso wie für die Angehörigen der Pflegebedürftigen. Ausserdem sei für 2010 eine breit angelegte Informationskampagne geplant. Das Wissen über die Palliativpflege sei in der Öffentlichkeit noch immer sehr gering, sagte Catherine Hoenger. Daneben habe die Palliativpflege noch mit einigen weiteren Schwierigkeiten zu kämpfen. Je nach Krankheit und Krankheitsverlauf seien ganz andere Massnahmen nötig. Auch die Umgebung unterscheidet sich von Fall zu Fall. Das Spektrum reiche von den eigenen vier Wänden bis zur hochtechnisierten Welt des Universitätsspitals, sagte Hoenger. Auch die Finanzierung sei alles andere als geregelt. In einigen Kantonen befänden sich Palliativpflege-Einrichtungen auf den Spitallisten, womit sie Anrecht auf Beiträge der Krankenkassen haben. In anderen Kantonen sei das nicht der Fall – hier stehe die Finanzierung permanent auf Messers Schneide. Zu guter Letzt sei immer noch nicht klar, ob die Einführung der Fallpauschalen 2012 auch für die Palliativpflege gelte.
tésuisse, und der Westschweizer Ausbildungsverantwortliche, Georges-André Escoffey, zogen ein positives Fazit aus den Prüfungen: 62 Prozent aller Kandidaten waren erfolgreich. Damit konnte der aktuelle Jahrgang das hohe Niveau des Vorjahres (64 Prozent) beinahe halten und liegt deutlich über dem langjährigen Durchschnitt. Es hat sich auch im zweiten Jahr der Durchführung gezeigt, dass die Berufsprüfung gemäss neuer Bildungsverordnung und mit neu gestalteten Unterrichtsmodulen deutlich erfolgreicher ist als der alte Lehrgang. Auch dieses Jahr durften einige Kandidaten Auszeichnungen für speziell gute Prüfungsleistungen entgegennehmen (siehe Bild). Zu guter Letzt stärkten sich die frisch Diplomierten bei Speis und Trank, während der Barde Dagobert sie mit weiteren musikalischen Leckerbissen verabschiedete. Interessanterweise markierte ausgerechnet der Musikant mit seinen Werken aus vergangenen Zeiten den Aufbruch der frisch gebackenen Krankenversicherungs-Fachleute in eine neue berufliche Zukunft.
Auf zu neuen Ufern
peter kraft
Nach diesem spannenden Exkurs in einen bisher wenig bekannten Bereich des Gesundheitswesens folgte der eigentliche Höhepunkt des Anlasses: Die Übergabe der Diplome. Hans Wohler, Leiter der Abteilung Ausbildung bei san-
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Grafik des Monats Oktober
Die Aufenthaltsdauer in den Spitälern sinkt schon seit längerem 2001 dauerte eine stationäre Behandlung in einem allgemeinen Schweizer Krankenhaus durchschnittlich 9,3 Tage. 2007 waren es noch 8,1 Tage. Das entspricht einem Rückgang von 13 Prozent. Bei einem Blick zurück in die 90er-Jahre wird das Bild noch deutlicher: 1990 dauerte eine durchschnittliche Spitalbehandlung in der Schweiz 13,4 Tage. Die Verkürzung der Behandlungsdauer ist also keine Folge der Fallpauschalen: Auch der medizinische Fortschritt und ein grösseres Effizienzbewusstsein spielen dabei eine wichtige Rolle. Es gibt auch keine Hinweise darauf, dass sich die Behandlungsqualität an Schweizer Spitälern seit 2001 verschlechtert hätte.
Forderung der OECD umsetzen
In einer Studie über das Schweizer Gesundheitssystem stellte die OECD vor einigen Jahren fest, dass die Schweiz eine der weltweit höchsten Aufenthaltsdauern in Spitälern aufweist. Sie regte an, die langen Behandlungszeiten zu reduzieren, weil sie eine offensichtliche Ineffizienz im Gesundheitswesen widerspiegelten. Eine Reduktion der Aufenthaltsdauer in Spitälern geht also nicht automatisch einher mit einer schlechteren Behandlungsqualität. Vielmehr kann sie auch ein Zeichen sein für eine modernere – und qualitativ bessere – Spitallandschaft. PETER KRAFT
DURCHSCHNITTLICHE AUFENTHALTSDAUER IN DEN AKUTSPITÄLERN DER SCHWEIZ 9,4
QUELLE: BUNDESAMT FÜR STATISTIK
AUFENTHALTSTAGE
Mit der Einführung von SwissDRG sind Hoffnungen und Ängste verknüpft. Während die einen erwarten, dass Patienten nicht mehr länger als nötig im Spital behalten werden, fürchten die anderen frühzeitige Entlassungen. Unsere Grafik des Monats kann die Gemüter ein wenig beruhigen: Bereits seit längerer Zeit geht die Aufenthaltsdauer in den Spitälern kontinuierlich zurück.
9,2 9 8,8 8,6 8,4 8,2 8 7,8 7,6 7,4 2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
Die Spitalaufenthalte der Schweizerinnen und Schweizer werden kürzer – schon vor der Einführung von SwissDRG.
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Bild
Monats
Foto: Keystone
Gesunde Haut dank Höllenfeuer Was könnte das wohl sein? Eine Luftaufnahme von unwirtlichen Vulkaninseln? Die Gipfel eines Gebirges, die über dem Nebel thronen? Ganz falsch ist keine dieser beiden Antworten – und doch zeigt unser Bild des Monats etwas ganz anderes. Es sind kleine Lavafelsen im Dampf der blauen Lagune, einem natürlichen Thermalbad nahe Reykjavik, der Hauptstadt Islands. Genau bei Island driften die europäische und die amerikanische Kontinentalplatte auseinander. Lavamassen füllen die dabei entstehende Lücke. So ist Island entstanden, und deshalb hat die Insel am Polarkreise so viele Thermalquellen: Sie werden direkt von der Hitze aus den Tiefen der Erdkugel erwärmt. Bäder in der blauen Lagune helfen laut einer Studie der Universität Island nachweislich gegen Schuppenflechte und andere Hautkrankheiten. Nach drei Wochen sind die Herde bei Schuppenflechten-Patienten im Durchschnitt zu drei Vierteln abgeheilt. Bei der blauen Lagune steht mittlerweile eine grosse stationäre Klinik für Hautkrankheiten.
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Buchtipp: Mythen der Gesundheitspolitik
Kostenexplosion wegen Demografie: Die Enttarnung eines Mythos Mythen wie die «Kostenexplosion» oder «die alternde Gesellschaft als Kostentreiberin» werden auch bei tausendfacher Wiederholung nicht wahrer. So lautet eine der Kernaussagen des vom deutschen Ökonomen Hartmut Reiners verfassten Buches «Mythen der Gesundheitspolitik». Der Autor setzt sich fundiert und streitbar mit diesen und anderen Schlagworten auseinander. Er zeigt auf, dass diese oft der Stimmungsmache dienen und nicht selten handfeste politische und wirtschaftliche Sonderinteressen verbergen.
Der Fokus des Buches ist auf die deutsche Gesundheitspolitik gerichtet, wobei viele Feststellungen von allgemeiner Gültigkeit sind. Einleitend stellt Reiners fest, dass die Gesundheitspolitik zum Stammtischthema geworden ist. Kaum ein anderes Thema werde in den Medien so plakativ dargestellt und in griffige Parolen gefasst. Es sind zumeist Parolen, welche die komplizierten Sachverhalte ausklammern. Stetiges Wachstum – keine Explosion
Standardphrasen, die sich in das allgemeine Bewusstsein eingebrannt haben, dominieren laut dem Autor die Gesundheitspolitik seit Jahrzehnten. So auch Mythos der «Kostenexplosion»- ein Begriff, den 1974 Heiner Geissler, damals Sozialminister von Rheinland-Pfalz, prägte. Dieser Mythos hätte sich in den Medien und in den Köpfen der Bürger nicht so lange halten können, wenn dahinter nicht ein reales Phänomen stecken würde, bemerkt der Autor. Dieses bestehe darin, dass die Gesundheitsausgaben in hochentwickelten Gesellschaften immer die Tendenz hätten, stärker als das Bruttosozialprodukt (BIP) zu wachsen. Auch biete das Gesundheitswesen seinen Akteuren die Möglichkeit, den Bedarf an Leistungen über das eigentlich erforderliche Mass auszudehnen. Dies seien jedoch keine spektaku-
lären Vorgänge, sondern ganz normale Prozesse des Strukturwandels in einem besonderen Wirtschaftszweig, die politisch gesteuert werden können. Alterung ist keine Katastrophe
Seit Jahren geht die Behauptung einer unaufhaltsamen Vergreisung der Gesellschaft mit katastrophalen Folgen für das Gesundheitswesen um, die sich zur scheinbar einleuchtenden Formel «Je älter die Menschen, umso höher die Gesundheitsausgaben» verdichtet. Das sei eine Formel, die in dieser Schlichtheit einfach nicht stimme, kontert der Autor. Der wachsende Anteil älterer Menschen bringe zwar steigende Leistungsausgaben der Krankenkassen, doch hätten die mit der Alterung der Gesellschaft zusammenhängenden Probleme auch nicht annähernd die Dimension einer Katastrophe. Gestützt auf verschiedene Untersuchungen sieht der Autor zwischen steigender Lebenserwartung und allgemeinem Gesundheitszustand keinen zwingenden Zusammenhang. Die Erfahrung zeigt, dass die für die älteren Menschen typischen Belastungen durch Krankheit und Behinderung abnehmen, was mit besseren Lebensbedingungen, einer gesünderen Lebensweise und einer verbesserten medizinischen Versorgung zusammenhängt. Gut belegt ist auch, dass der grösste
Teil der Gesundheitsausgaben in den letzten Jahren vor dem Tod anfällt. Erhebungen aus der Schweiz zeigen, dass die Behandlungskosten im letzten Lebensjahr fast sieben Mal höher sind als bei den Überlebenden. Hier stellt sich allerdings die Frage, ob die rasch wachsenden Pflegekosten, nicht zuletzt wegen des starken Anstiegs an Demenzkranken, einberechnet sind. Interessant ist auch die Feststellung, dass die durchschnittlichen Behandlungsausgaben pro Kopf zwischen dem 75. und 98. Lebensjahr ein deutlich geringeres Wachstum aufweisen als zwischen dem 60. und 79. Lebensjahr und ab dem 85. Lebensjahr mehr oder weniger konstant bleiben. Dafür gibt es eine Reihe von Erklärungen: Ältere Menschen haben bestimmte kostenträchtige Eingriffe oder diagnostische Abklärungen oft bereits hinter sich. Es kann auch sein, dass Hochbetagte aggressiven und teuren akutmedizinischen Behandlungen nicht mehr gewachsen sind und diesen deshalb nicht mehr ausgesetzt werden. Joseph ziegler
Hartmut Reiners «Mythen der Gesundheitspolitik» Verlag Hans Huber, Bern, 263 S.
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Übernehmen die Krankenkassen die Kosten von Hörgeräten oder beteiligen sie sich daran? Wenn ja in welchem Rahmen und unter welchen Voraussetzungen? Einmalig oder wiederholt? Ist diese Beteiligung Bestandteil der Grundversicherung? Gibt es eine allgemeine Vorgabe oder ist dies kassenabhängig?
Die Mittel- und Gegenstände-Liste (MiGeL) im Anhang 2 der Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV) regelt die Vergütung von Hörgeräten durch die obligatorische Krankenversicherung. Grundsätzlich erfolgt die Vergütung durch die Krankenversicherung subsidiär zur AHV/IV – also dann, wenn die medizinischen Bedingungen der AHV/IV erfüllt wären, die betreffende Person aber die Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen der AHV/IV nicht erfüllt. Die Krankenkassen halten sich bei der Vergütung an die Richtlinien der AHV/ IV. Der Leistungsumfang ist politisch definiert und für alle Krankenversicherer gleich. In der MiGeL sind neben den Hörgeräten auch die Batterien für die Geräte aufgeführt. Es gilt ein Höchstvergütungsbetrag von 81 Franken pro Jahr, Versicherten und Ohr. Den Höchstvergütungsbetrag übersteigende Kosten werden von der Krankenkasse nicht übernommen und gehen zu Lasten der Versicherten. Gegebenenfalls beteiligt sich die Zusatzversicherung an den Kosten. Deckt die Krankenversicherung bei Reisen in einen EUStaat die Kosten, wenn man dort krank wird und medizinische Hilfe braucht?
wisse Einschränkungen. So erhalten Versicherte nur jene Kosten zurückerstattet, die während der gleichen Behandlung auch in der Schweiz angefallen wären. Ausserdem gibt es in jedem EU-Staat gewisse Besonderheiten. In Deutschland zum Beispiel ist die Behandlung bei einem Nicht-Vertragsarzt – ausser im Notfall – keine Pflichtleistung. In Frankreich gibt es zwei Kategorien von Ärzten. Die zweite Kategorie kann höhere Tarife verlangen als die «normalen» Vertragsärzte – wobei die Krankenversicherung in jedem Fall die Tarife der Vertragsärzte vergütet. Ähnliches gilt für Österreich. Italien kennt ein striktes Hausarztsystem: Wer direkt einen Spezialisten aufsucht, bezahlt einiges an Kostenbeteiligung. In Spanien sind Behandlungen durch Ärzte in so genannten Gesundheitszentren (Centro de Salud) oder in öffentlichen Krankenhäusern gedeckt. Es gibt keine Kostenbeteiligung. Allerdings sind Institute mit der Bezeichnung «Clinica» meist Privatspitäler. Die Krankenversicherer übernehmen die Kosten nicht. Wie können Reisende solche Klippen umschiffen? Die Gemeinsame Einrichtung KVG hat auf ihrer Website (www.kvg.org – Ferien im Ausland) Merkblätter über die Leistungsaushilfe in Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich und Spanien veröffentlicht. Sie enthalten alle wichtigen Informationen zur Krankenversicherungs-Deckung von Schweizern in den jeweiligen Ländern. Die Gemeinsame Einrichtung KVG erarbeitet laufend neue Merkblätter. Geplant ist, für alle EU-/EFTAStaaten ein solches Merkblatt bereitzustellen.
Foto: Keystone
Grundsätzlich ist die europäische Krankenversicherungskarte genau dafür gemacht. Doch es gibt ge-
Klipp klar
Leistungen in der Grundversicherung: Fragen aus der Praxis
27 | Service 8/09
Immer weniger Ärzte – immer ältere Ärzte Der Conseil national de l’Ordre des médecins (CNOM) Frankreichs stellt die dritte Ausgabe seines «Atlas de la démographie médicale» vor. Die Schweiz und Frankreich stehen vor ähnlichen Herausforderungen, was die Alterung der Ärzte, den Grundversorger-Mangel und die zunehmenden regionalen Unterschiede anbelangt. Die Zahl der regelmässig praktizierenden Ärzte ist dieses Jahr um zwei Prozent zurückgegangen (2008: 203 855 – 2009: 199 736). Die Ärztedichte sinkt auf 290,3 Ärzte pro 100 000 Einwohner im Jahr 2009 im Vergleich zu 300,2 Ärzten pro 100 000 Einwohner im Jahr 2008. Während die Zahl der Neuzugänge um 1,2 Prozent ansteigt, nimmt die Gesamtzahl der pensionierten Ärzte um 5,2 Prozent zu. Darüber hinaus spitzen sich die territorialen Ungleichheiten zu: Die Bandbreite reicht von der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur mit 375 praktizierenden Ärzten pro 100 000 Einwohner (385 am 1. Januar 2008) bis zur Region Picardie mit 237,9 Ärzten pro 100 000 Einwohner (245,5 am 1. Januar 2008). Frankreich ist zweigeteilt: Die Ärztedichte der Regionen des Südens liegen über dem nationalen Durchschnitt und jene des Nordens darunter, mit Ausnahme der Ile de France und dem Elsass. Die Neuzugänge ziehen es vor, sich trotz Niederlassungshilfen in grossen Städten und in der Nähe der Universitätskliniken niederzulassen. Um diesem Problem entgegenzuwirken, werden in Frankreich und in der Schweiz dieselben Lösungen diskutiert. In Zentrum steht die Förderung der Vernetzung. Dadurch wird den Ärzten administrative Arbeit abgenommen. Sie haben die Möglichkeit, Teilzeit zu arbeiten oder ihre Arbeitszeit zwischen über- und unterdotierten Gebieten aufzuteilen. Der CNOM schlägt zudem ein Honorarsystem vor, das sich aus der Vergütung von Einzelleistungen und einer Pauschale zusammensetzt.
Foto: Prisma
Der Atlas ist unter http://www.web.ordre.medecin.fr/demographie/atlas2009.pdf aufgeschaltet.
Aus aller Welt
Service
Ärztedemografie: Frankreich hat ähnliche Probleme wie die Schweiz
EU-Notfallnummer Was die Schweizer Kantone nicht schaffen, soll in der EU bald Realität werden: Eine einheitliche Notfallnummer. Unter 116 117 können, so der Plan, künftig alle EU-Bürger den nächstgelegenen ärztlichen Bereitschaftsdienst erreichen. Die EU-Kommission will noch diesen Herbst darüber beraten.
Häftlinge essen besser als Patienten In Grossbritanniens Gefängnissen ist die Ernährung besser als in den Krankenhäusern. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Universität Bournemouth. Gründe dafür sind zu salzige und frittierte Speisen sowie die fehlende Unterstützung der Patienten bei der Nahrungsaufnahme.
Behandlung gegen Babysitten US-amerikanische Internet-Tauschbörsen melden eine starke Zunahme von Angeboten, die als Gegenleistung eine medizinische Behandlung wünschen. Ärzte könnten zwischen Brennholz, Nutztieren, Nahrungsmitteln oder Babysitting wählen, wenn sie finanzschwache Kunden behandeln, erklärt beispielsweise die Tauschbörse ITEX.
Kroatien lockert Rauchverbot Die kroatische Regierung will das seit Mai gültige, strenge Rauchverbot teilweise wieder lockern. Gastronomiebetriebe hatten über Umsatzeinbussen von fast 80 Prozent geklagt.
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Veranstaltungen Veranstalter
Besonderes
Datum/Ort
Weitere Informationen
Foire du Valais Foire du Valais
Veranstaltung zum Thema «Les nouveautés 8. Oktober et l’avenir de notre système de santé» an Martigny VS der Unterwalliser Gewerbeausstellung
www.foireduvalais.ch
STAS – Schweizerische Tagung für Arbeitssicherheit Suva
Thema: Erfolgreiches Risiko-Management, 50% weniger Unfälle im Unternehmen
22. Oktober KKL, Luzern
www.suva.ch
23. Oktober Universitätsspital Zürich
www.heartfoundation.ch
Carta 09 – Sechster Cardiovascular Roundtable Stiftung für Herz- und Kreislaufforschung
Thema: Wer soll die Prävention finanzieren?
Zeichnung: Marc Roulin
Melden Sie uns Ihre Veranstaltungen an: redaktion@santesuisse.ch! Weitere Veranstaltungen unter www.santesuisse.ch
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Die schrägsten Versicherungen der Welt Während in der obligatorischen Krankenversicherung über die Förderung von eigentlich schon bekannten Managed Care-Modellen verhandelt wird, bringt die Versicherungsbranche als Ganzes weitaus exotischere Produkte unter die Leute. Hier eine Auswahl: • In Chicago gibt es eine «Hausfrauen-Urlaubs-Versicherung». Sie stellt dem Hausherrn kostenlos eine Haushaltshilfe, wenn die Ehefrau verreist. • Ein finnischer Diplomat hat eine Versicherung für den Fall abgschlossen, dass seine Sauna für ausländische Besucher zu heiss ist und diese deshalb einen Kreislaufkollaps erleiden. • David Lee Roth, der ehemalige Sänger der Hardrock-Band Van Halen, liess sich vor jeder Tournee gegen «jegliche Folgen von Vaterschaft» versichern. • In Australien zahlt eine Versicherung Schmerzensgeld, wenn man während der Arbeitszeit gähnt und sich dabei den Kiefer ausrenkt. • Noch am selben Tag, als ein US-Amerikaner von seiner Ehefrau verlassen wurde, schloss er eine Versicherung gegen deren Rückkehr ab. 40 000 Dollar würde er als Entschädigung enthalten, sollte seine Gattin heimkehren wollen. • Und zu guter Letzt ein Unfallversicherungs-Fall aus Polen. Ein Bauarbeiter hält an einem Seil ein Fass mit Ziegelsteinen fest, das an einer Seilwinde unter einem Dach hängt. Als ein anderer Arbeiter vorbeikommt, bittet er ihn, das Seil kurz zu halten. Dieser ist aber nicht kräftig genug und wird vom Gewicht des Fasses mit den Händen am Seil nach oben ge-
zogen. Auf halbem Weg prallt sein Kopf mit dem Fass zusammen. Oben angekommen, kracht er mit dem Kopf gegen die Dachkante und quetscht sich die Hände an der Seilwinde. Gleichzeitig kommt das Fass unten an – der Aufprall schlägt ihm den Boden aus. Die Ziegelsteine beschweren es jetzt nicht mehr, weshalb der Mann nach unten fliegt und das Fass nach oben. Erneut kommt es zum Zusammenstoss auf halben Weg. Der Arbeiter fällt ungebremst zu Boden. Das Fass prallt oben ans Dach, wird vom Seil getrennt und donnert schliesslich auf den Rücken des Bauarbeiters. Der Bauarbeiter hat keine bleibenden Schäden davongetragen. Foto: Keystone
Service
Vaterschaftsklage nach Tournee? Kein Problem für Rockröhre David Lee Roth: Man ist ja dagegen versichert
Nicht vergessen – die saisonale Grippe gibt es noch immer
6. November 2009: Nationaler Grippeimpftag Die Grippe ist eine seit Jahrhunderten bekannte akute Infektionskrankheit. Es handelt sich dabei um eine Atemwegsinfektion, die durch Influenza-A- und Influenza-B-Viren ausgelöst wird, die vor allem im Winter zirkulieren. Zu den Grippesymptomen gehören hohes Fieber, Muskel- und Gliederschmerzen sowie Kopfund Halsschmerzen. Bei über 65-jährigen Personen und bei Personen mit chronischen Leiden kann die Grippe schwerwiegende Komplikationen verursachen und zu einem Verlust der Selbstständigkeit führen. In der Schweiz hat die Grippe alljährlich zwischen 1000 und 5000 Hospitalisierungen und zwischen 400 und 1000 Todesfälle bei älteren Personen zur Folge. Die Intensität und der Schweregrad der Grippeepidemie
sind von Jahr zu Jahr unterschiedlich. Die wirksamste Prävention gegen die Grippe ist die alljährliche Impfung. Die beste Zeit, sich gegen Grippe impfen zu lassen, liegt zwischen Mitte Oktober und Mitte November. Je nach Verlauf der Grippeaktivität kann es allerdings auch sinnvoll sein, sich später impfen zu lassen. Am kommenden 6. November erhalten alle Interessierten eine Grippeimpfung – ohne Voranmeldung zu einem Pauschalpreis bei den Ärztinnen und Ärzten, die am Nationalen Grippeimpftag teilnehmen. Personen mit Komplikationsrisiko (über 65-jährige Personen, Menschen mit chronischen Leiden sowie deren Umfeld) wird empfohlen, sich gegen Grippe impfen zu lassen.
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infosantésuisse online
Tarifverhandlungen bei SwissDRGs: Anreiz zu mehr Effizienz oder Kostenbombe? Dienstag, 26. Januar 2010, Swissôtel Zürich Themen/Referierende • Einführung in die Thematik Dr. oec. HSG Willy Oggier, Gesundheitsökonomische Beratungen AG, Küsnacht • SwissDRG: Aktueller Stand der Dinge und nächste Schritte PD Dr. med. Simon Hölzer, Geschäftsführer SwissDRG AG, Bern • Tarifverhandlungen unter DRG-Bedingungen bei Listenspitälern: welche Rolle für die Kantone? lic. rer. pol. Michael Jordi, MPA, Stellvertretender Zentralsekretär Gesundheitsökonomie, Gesundheitsdirektorenkonferenz GDK, Bern • Tarifverhandlungen unter DRG-Bedingungen: welche Rollen für Kantone, Krankenversicherer und Spitäler? lic. rer. publ. Otto Bitterli, CEO Sanitas Krankenversicherung, Zürich • Tarifverhandlungen unter DRG-Bedingungen: welche Rollen für Kantone, Krankenversicherer, Spitäler und Preisüberwachung? Dr. iur. Stefan Meierhans, Eidgenössischer Preisüberwacher, Bern • Erfahrungen mit dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen: Was Schweizer Spitäler aus Deutschland lernen können Dr. med. Markus Thalheimer, Stabsstelle Organisation und Finanzen, DRG-Beauftragter, Medizinische Klinik der Universität Heidelberg, Heidelberg • Erwartungen einer öffentlichen Spitalgruppe an Krankenversicherer und Kantone für die Tarifverhandlungen nach SwissDRG lic. rer. pol. Beat Straubhaar, CEO Spital Thun-Simmental AG, Thun • Erwartungen des Dachverbands santésuisse an Kantone und Spitäler für die Tarifverhandlungen nach SwissDRG lic. rer. pol. Stefan Kaufmann, Direktor santésuisse, Solothurn • Erfahrungen der Krankenkassen mit der Weiterentwicklung von DRGs: Was Schweizer Versicherer und Spitäler aus Deutschland lernen können Prof. Dr. h.c. Herbert Rebscher, Vorstandsvorsitzender Deutsche Angestellten-Krankenkasse, Honorarprofessor für Gesundheitspolitik und Gesundheitsökonomie an der Universität Bayreuth, Hamburg
Programme/Anmeldung Institut für Rechtswissenschaft und Rechtspraxis (IRP-HSG), Bodanstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 224 24 24, Fax 071 224 28 83, e-mail: irp@unisg.ch/www.irp.unisg.ch
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Ex. «Plus2» – Zahlen plus Fakten zur obligatorischen Krankenversicherung, deutsche Ausgabe
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exemplaire(s) de Tout-A-Savoir – Faits et chiffres de l’assurance-maladie, édition française
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Exemplar(e) «1x1 der Krankenversicherung», deutsche Ausgabe
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exemplaire(s) du B-A-BA de l’assurance-maladie, édition française
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esemplare(i) di «1x1 L’assicurazione malattia», edizione italiano
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