infosantesuisse Nr.09/2009 deutsch

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info santĂŠsuisse

Pflegenotstand?

Das Magazin der Schweizer Krankenversicherer


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Was tun gegen den drohenden Pflegenotstand?

Ursina Trummer, Studentin am Berner Bildungszentrum Pflege, im Porträt

Zu Besuch im Alterszentrum Wengistein in Solothurn

Inhalt Im Fokus 4 Was tun gegen den drohenden Pflegenotstand? 6 Ursina Trummer, Studentin am Berner Bildungszentrum Pflege, im Porträt 8 Demografische Alterung und Personalknappheit: Doppelte Herausforderung für die Spitex 10 Zu Besuch im Alterszentrum Wengistein in Solothurn 13 Wie sehen Patientenorganisationen und Grundversorger das Problem? 14 Im Gespräch: Christian Schär, Direktor des Careum Bildungszentrums 16 Studie von Obsan und Careum: Bis 2030 braucht es gleich viele Health Professionals, wie es bereits gibt 18 Ist die medizinische Grundversorgung in Frankreich trotz weniger Ärzten wirklich besser? 20 Grafiken des Monats November: Ältere Frauen ohne höhere Ausbildung – die Realität im Pflegeberuf? Gesundheitswesen 22 Die Gesundheitssysteme der Schweiz und der Niederlande im Vergleich: Teil I von III 24 Neue ETH-Studie beweist: SchweizerInnen wollen Bewertungs-Tools für Leistungserbringer 26 Geschäftsbericht der Gemeinsamen Einrichtung KVG 2008: Alle Versicherer sind solvent 27 Bild des Monats: Die wahren «Ironmen» Klipp&klar 28 Leistungen in der Grundversicherung: Fragen aus der Praxis Service 29 Die Schweiz als Vorbild für die USA 29 www.famsanti.ch: Neue Informationsplattform zur Krankenversicherung 30 Euro Health Consumer Index 2009: Fünfter Platz für die Schweiz 30 News aus aller Welt 31 Veranstaltungen 31 Mr Raoul

Nr. 9, november 2009. Erscheint zehnmal jährlich Abonnementspreis Fr. 69.− pro Jahr, Einzelnummer Fr. 10.− Herausgeber und Administration santésuisse, Die Schweizer Krankenversicherer, Römerstrasse 20, Postfach, 4502 Solothurn Verantwortliche Redaktion Peter Kraft, Abteilung Politik und Kommunikation, Postfach, 4502 Solothurn, Tel. 032 625 42 71, Fax 032 625 41 51, E-Mail: redaktion@santesuisse.ch Herstellung: Rub Graf-Lehmann, Murtenstrasse 40, 3001 Bern Gestaltungskonzept: Pomcany’s Layout: Henriette Lux Anzeigenverwaltung: Alle Inserate − auch Stelleninserate − sind zu richten an: «infosantésuisse», Römerstrasse 20, Postfach, 4502 Solothurn E-Mail: redaktion@santesuisse.ch Abonnementsverwaltung Tel. 032 625 42 74, Fax 032 625 41 51 Homepage: www.santesuisse.ch Titelbild: Heiner Grieder, Langenbruck (BL) ISSN 1660-7228


Personalmangel in der Pflege: Die Schweiz muss das Heft selber in die Hand nehmen Der Bedarf an Pflegeleistungen steigt. Ein guter Teil der Pflegefachkräfte geht in den nächsten zwanzig Jahren in Pension. Aus diesen Gründen muss die Schweiz bis 2030 zwischen 120 000 und 190 000 neue Pflegefachkräfte rekrutieren. Das ist eine ernsthafte Herausforderung für Gesundheitsund Bildungswesen. Es steht fest, dass wir in naher Zukunft deutlich mehr Pflegekräfte ausbilden müssen als bisher. Wie gross der zusätzliche Bedarf tatsächlich sein wird, ist jedoch nicht in Stein gemeisselt. Es gibt durchaus Massnahmen, welche die Entwicklung mildern können: • Der zukünftige Bedarf an Pflegeleistungen hängt stark vom Gesundheitszustand und der sozialen Integration der älteren Menschen ab. Deshalb lohnt sich Gesundheitsförderung und Prävention im Alter besonders. • Je mehr Leistungen die Angehörigen und die Spitex von den Pflegeheimen übernimmt, desto besser ist die Lebensqualität der Pflegebedürftigen. Gleichzeitig sinkt insgesamt der Personalbedarf. • Die Pflegeberufe müssen attraktiver werden. Die Übernahme von mehr Verantwortung, eine bessere und praxisorientierte Ausbildung, ein besseres Image sowie höhere Löhne können dazu beitragen, dass mehr Leute mit unterschiedlichen intellektuellen Voraussetzungen den Pflegeberuf ergreifen – und dass weniger Fachleute den Beruf verlassen. • Eine einseitige Akademisierung der Aus- und Weiterbildung ist nicht erstrebenswert, denn das Tätigkeitsfeld ist je nach Pflegebereich und hierarchischer Position sehr unterschiedlich. • Weil in der Pflege hauptsächlich Frauen arbeiten, sind flexible, familienfreundliche Arbeitszeiten von entscheidender Bedeutung. So lässt sich verhindern, dass sich ein guter Teil der Pflegefachfrauen nach der Familiengründung aus dem Beruf zurückzieht. Die bisherige Lösung, das fehlende Gesundheitspersonal aus dem Ausland zu rekrutieren, dürfte in Zukunft versagen. Praktisch alle europäischen Länder sind mit dem gleichen Mangel konfrontiert, so dass sie eine Abwanderung ihrer Pflegefachkräfte konsequenter als heute verhindern werden. Wir müssen dieses Problem selbst lösen. Diese Ausgabe von infosanté­suisse zeigt, wie die Prioritäten zu setzen sind.

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Felix Schneuwly Leiter Abteilung Politik und Kommunikation von santésuisse


Foto: Keystone

Der Personalmangel in der Pflege ist nicht in Stein gemeisselt. Es gibt Mittel, um dagegen anzukämpfen.

Mehrere Untersuchungen zeigen Fakten und Lösungswege auf

Was tun gegen den drohenden Pflegenotstand? 2030 könnten in der Schweiz mindestens 25 000 Pflegefachkräfte fehlen. Das sagen parallel mehrere Studien. Die Untersuchungen machen aber auch klar: Diesen Zustand müssen wir nicht einfach so in Kauf nehmen. Es gibt durchaus Wege, dagegen anzukämpfen.

Die Stiftung Careum, welche sich in der Bildung im Gesundheitswesen engagiert, schlägt Alarm: Zwischen 120 000 und 190 000 Gesundheitsfachleute muss die Schweiz bis 2030 rekrutieren, schreibt sie in einer Studie. Ein guter Teil davon erklärt sich durch Lücken, welche Pensionierte oder Berufsaussteiger hinterlassen. Eine Rolle spielt aber auch die demografische Alterung. Je nach dem, wie stark sich der Gesundheitszustand älterer Menschen im Schnitt verbessert und wie sehr Spitäler, Heime und Spitex ihre Produktivität verbessern, wird der zusätzliche Bedarf laut Careum bei 25 000 bis 80 000 Fachkräften liegen. Und mit dieser Prognose ist die Stiftung nicht alleine. Mehr ältere Menschen = höherer Pflegebedarf?

Das Schweizerische Gesundheitsobservatorium (Obsan) hat im Februar 2009 eine ähnliche Studie veröffentlicht. Es beziffert den zusätzlichen Bedarf an Pflegefachkräften bis 2020 je nach Szenario auf 25 000 bis 48 000. Einen wesentlichen Anteil daran hat die steigende Nachfrage nach Langzeitpflege. Laut dem Bundesamt für Statistik (BfS) dürfte die Zahl der über 80-Jährigen von aktuell 350 000 auf 625 000 im Jahr 2030 steigen. Laut Obsan ist dies aber nur einer von vielen Faktoren, die den künftigen Bedarf an Langzeitpflege bestimmen. Genauso wichtig seien die tatsächliche Pflegebedürftigkeit der älteren Menschen, ihre sozioökonomische Situation sowie der Anteil von pflegenden Angehörigen. Das Obsan stellt einen grossen Einfluss des Gesundheitszustandes der

älteren Bevölkerung fest. Verbessert er sich, erwartet das Obsan 2030 Langzeitpflegekosten von rund 16 Milliarden Franken pro Jahr. Bleibt er gleich, lägen die Ausgaben bei 20 Milliarden. Grosses Potenzial hat auch die Verlagerungen von Leistungen aus den Heimen in die Spitex. Mehr als drei Milliarden Franken liessen sich damit pro Jahr sparen. Inwiefern diese Einsparungen auch eine Reduktion des Personalbedarf bedeuten würden, sei dahingestellt. Trotzdem zeigen die Obsan-Studien ganz klar: Der steigende Bedarf an Pflegeleistungen ist nicht nur eine unausweichliche Folge der demografischen Alterung. Er hat auch andere Ursachen, die Politik und Gesellschaft zum Teil beeinflussen können. Auch die (Haus-)Ärzteschaft altert

Ein Personalengpass zeichnet sich nicht nur bei den Pflegefachpersonen, sondern bekanntermassen auch bei den Allgemeinärzten ab. Das Obsan hält es für möglich, dass 2030 bis zu 40 Prozent der gewünschten Hausarztkonsultationen nicht mehr gewährleistet sind. Neben der Alterung der Bevölkerung ist hier vor allem die Alterung der Ärzteschaft ein Problem. Viele der heute praktizierenden Grundversorger werden bis 2030 in Pension gehen. Nicht alle von ihnen werden einen Nachfolger finden. Das Obsan rechnet mit einem Rückgang der Anzahl Hausärzte von 12 Prozent. Weil der Frauen-Anteil (und damit der Anteil von Teilzeit-Pensen) bei den Grundversorgern weiter steigen wird, dürfte es 2030 etwa 30 Prozent weniger Hausarzt-Kapazitäten geben – vorausgesetzt, es passiert nichts. Das Obsan stellt aber unmissverständlich klar: Der Hausärztemangel ist keine unabänderliche Tatsache. Sollte sich der Gesundheitszustand der Bevölkerung verbessern und zudem neue Organisationsformen für die Grundversorgung entstehen, würde sich das Angebotsdefizit halbieren. Mit «neuen Organisationsformen» meint das Obsan einerseits Managed Care, an-

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dererseits die Delegation bestimmter hausärztlicher Aufgaben an speziell geschultes Pflegepersonal. Sollte es dann noch gelingen, vermehrt junge Ärzte zur Grundversorger-Laufbahn zu optimieren, wäre dem Allgemein-Ärztemangel durchaus beizukommen. Für das Obsan liegt der Schlüssel dazu vor allem in der Aufwertung der Aus- und Weiterbildung von Hausärzten. Handeln ist «nationale Priorität»

Was für die Hausärzte gilt, gilt auch für das Pflegepersonal: Der erwartete Mangel ist nicht in Stein gemeisselt. Es gibt eine Reihe anderer Faktoren als die demografische Alterung, welche den zukünftigen Bedarf bestimmen. Zentral ist der Gesundheitszustand der älteren Menschen: Je besser dieser sein wird, desto weniger dramatisch wird auch der Mangel an Gesundheitsfachleuten sein. Es ist deshalb wenig erstaunlich, dass die Experten des Obsan der Gesundheitsförderung und Prävention im Alter einen hohen Stellenwert einräumen. Sie stellen fest, dass es für ältere Menschen heute so gut wie keine Unterstützung in Sachen Gesundheitsförderung gibt – und dass ein entsprechend grosses Potenzial brachliegt. Das Obsan rechnet mit jährlichen Einsparungen von mehr als zwei Milliarden Franken, welche eine konsequente Gesundheitsförderung bis 2030 möglich machen soll. Die Experten fordern gar, Gesundheitsförderung und Prävention im Alter zur «nationalen Priorität» zu klären und alle Akteure – ältere Menschen, Leistungserbringer, Versicherer, Behörden – mit ins Boot zu holen. Nur so sei es möglich, das schlummernde Potenzial auch tatsächlich zu wecken. Die Kantone Bern, Solothurn, Zug und Zürich testen bereits das «Gesundheits-Profil-Verfahren». In Zusammenarbeit mit ihrem Hausarzt und mit speziellen Fragebögen können ältere Menschen, die noch nicht pflegebedürftig sind, ein persönliches «Gesundheitsprofil» erstellen. Sie erkennen so, wo ihre individuellen Risiken sind. Die Hausärzte wiederum haben mit dem Gesundheitsprofil die Grundlage, ihre Patienten zielgerichtet zu beraten. Die Stadt Bern hat in den 90er-Jahren bereits ein ähnliches Programm eingeführt. Die Begleitstudien haben ergeben, dass es die Pflegeheim-Einweisungen um 34 Prozent reduziert hat.

Woher die Pflegefachleute nehmen?

Trotz dieses grossen Erfolgs: Sowohl das Obsan als auch die Stiftung Careum halten auch Massnahmen für notwendig, welche zu einer grösseren Anzahl an Pflegefachkräften führen: • Die Pflegeberufe müssten attraktiver werden. Höhere Löhne, die Übernahme bestimmter hausärztlicher Aufgaben oder flexible Arbeitszeiten sind einige der genannten Möglichkeiten. Das ist, so das Obsan, besonders deshalb wichtig, weil heute viele ausgebildete Pflegefachleute nach einigen Jahren aus dem Beruf aussteigen. Flexible Arbeitszeiten würden es vor allem den Frauen erleichtern, neben dem Familienleben grössere Arbeitspensen zu leisten. • Die Stiftung Careum fordert ausserdem eine Verbesserung der Ausbildung. Sie soll praxisorientierter und für die Studierenden attraktiver werden. • Peter Marbet, der Direktor des Bildungszentrums Pflege, erwähnt schliesslich noch einen dritten Punkt: Der Pflegeberuf werde in der Öffentlichkeit unterschätzt, sagt er (siehe infosantésuisse 4/09). Deshalb müsse es gelingen, die Vielfalt und die Perspektiven dieses Berufes besser bekanntzumachen. Kurz: Das Image der Pflege müsse verbessert werden. Ein heute beliebter Ausweg, Pflegepersonal aus anderen Ländern zu rekrutieren, ist laut Gesundheitsobservatorium und Careum langfristig keine Option. Zum ersten sei es kurzsichtig, weiterhin auf ausländisches Pflegepersonal zu setzen – denn auch dieser Zustrom werde irgendwann versiegen. Ausserdem, so die Stiftung Careum, sei das unethisch, weil wir so das Problem ins Ausland verlagern, statt es zu lösen. Auch die Angehörigenpflege sei keine allzu starke Stütze. Sie leistet schon heute einen wichtigen Beitrag. Es sei jedoch nicht zu erwarten, dass sich dieser in Zukunft wesentlich ausbauen lasse (mehr dazu im Kasten). peter kraft

Angehörigenpflege in der Schweiz Laut Studien aus Deutschland werden 72 Prozent aller Pflegebedürftigen hauptsächlich von ihren Angehörigen gepflegt. In der Schweiz dürfte das nicht viel anders sein. Zahlen gibt es nur aus Genf und Zürich: Hier werden 51 Prozent aller Demenzkranken zu Hause gepflegt. Weil dies städtische Regionen sind, liegt der Prozentsatz gesamtschweizerisch wahrscheinlich höher. Bekannt ist, dass in der Schweiz vier Prozent aller Erwerbstätigen in einem Haushalt mit einer pflegebedürftigen Person leben. Die Angehörigenpflege spielt im schweizerischen Pflegewesen also bereits eine tragende Rolle. Sie noch weiter auszubauen und damit einen zukünftigen Mangel an Pflegepersonal aufzufangen, scheint deshalb illusorisch. Hinzu kommt, dass heute ein Grossteil der Angehörigenpflege auf den Frauen lastet, die dafür beruflich kürzer treten. Diese

Bereitschaft wird in den nächsten Jahrzehnten eher sinken als steigen. Was also gilt es zu tun, damit die Angehörigenpflege in Zukunft nicht abnimmt – und sich der Bedarf an Pflegefachkräften nicht noch weiter vom Angebot entfernt? Pflegende Angehörige brauchen professionelle Beratung und Unterstützung, welche ihnen bei Schwierigkeiten zur Seite stehen und sie bei der Organisation des Alltags unterstützen. Es gibt in der Schweiz bereits erste solche Angebote auf privater Basis – doch ist die Finanzierung bisher Sache der pflegenden Angehörigen. Es stellt sich die Frage, ob die öffentliche Hand nicht die Kosten für die Beratung und Unterstützung von pflegenden Angehörigen übernehmen sollte. Schliesslich übernehmen diese eine Aufgabe, die ansonsten vollständig von der Allgemeinheit finanziert werden müsste.

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Ursina Trummer, Studentin am Berner Bildungszentrum Pflege, im Porträt

«In der Pflege braucht es den Kopf, die Hände und das Herz» Wer wäre besser geeignet, eine Lanze für den Pflegeberuf zu brechen, als eine begeisterte Studentin am Ende ihrer Ausbildung? Ursina Trummer absolviert am Berner Bildungszentrum Pflege den Pflegestudiengang Höhere Fachschule. Die 21-jährige hat eben das letzte von drei Ausbildungsjahren begonnen. Sie tritt selbstbewusst auf, spricht spontan und doch glasklar, und es ist ihr anzumerken: Ursina Trummer weiss, was sie will. Ihren Entscheid für den Pflegeberuf hat sie bewusst und aus voller Überzeugung getroffen.

Was war Ihre Motivation, den Pflegeberuf zu ergreifen?

Ich wollte unbedingt einen Beruf im Gesundheitswesen. Also habe ich die Berufslehre als Fachangestellte Gesundheit in Angriff genommen – bereits mit dem festen Vorsatz, mich nachher zur Pflegefachfrau weiterzubilden. Ich konnte mich für diesen Weg zwischen der Fachmittelschule und der FaGe-Lehre entscheiden. Meine Wahl habe ich getroffen, weil ich ein eher praktischer Mensch bin.

Die Pflegenden hätten zu wenig Zeit für ihre Patienten, heisst es oft. Ist das wirklich so?

Wir können den Patienten sicher gerecht werden. Aber es stimmt schon: Wir müssen mehr Patienten in einer kürzeren Zeit aufnehmen und behandeln. Es gibt manchmal Dinge, die ich noch gerne tun würde, für die es dann nicht mehr reicht: Sich ein bisschen mehr Zeit nehmen, etwas genauer hinschauen. Viele Frauen steigen nach der Gründung einer Familie aus dem Pflegeberuf aus. Wie liesse sich das verhindern?

Es braucht mehr Teilzeitstellen und eine gute Planung der Betriebe, so dass Teilzeitangestellte beispielsweise immer ihren fixen Arbeitstag haben. Bei den Spitälern braucht es gute Kinderkrippen, die auch während der Abendschicht offen sind. Es nützt nichts, wenn die Schicht bis elf Uhr abends dauert und die Krippe um sechs schliesst. Haben das die Spitäler?

Kinderkrippen haben viele – aber meist eben mit nicht sehr attraktiven Öffnungszeiten.

Als praktischer Mensch – wie erleben Sie Ihre jetzige Ausbildung?

Wie lange werden Sie selber im Pflegeberuf bleiben?

Wir haben immer ein halbes Jahr Praktikum und ein halbes Jahr Unterricht. Das kommt mir sehr entgegen. Die Ausbildung macht aus einer Fachangestellten Gesundheit erst einen richtigen Pflegeprofi. Der FaGe-Beruf ist zwar sehr vielseitig: Ich habe in der Hauswirtschaft, in der Logistik, in der Administration und auch in der Pflege gearbeitet. Der Nachteil davon ist aber, dass man alles ein bisschen kann – aber nichts richtig. Die Ausbildung an der Höheren Fachschule ist dagegen viel gründlicher.

Das ist schwierig zu sagen. Ich möchte gerne im Beruf bleiben, eines Tages aber auch eine Familie gründen. Lange Berufspausen kann man sich nicht erlauben. Wer nicht am Ball bleibt, ist schnell weg, und der Wiedereinstieg ist schwierig. Es bräuchte spezielle Kurse und Programme für Wiedereinsteigerinnen. In welche Fachrichtung es mich eines Tages verschlägt, weiss ich noch nicht. Das lasse ich einfach auf mich zukommen. Aber ich kann mir gut vorstellen, lange in der Pflege zu bleiben.

Hat sich im Rahmen Ihrer Lehre und der Praktika die Vorstellung, die Sie von Ihrem Beruf hatten, bestätigt?

Wie kann man junge Menschen dazu motivieren, den Pflegeberuf zu ergreifen?

Grundsätzlich schon. Natürlich sehe ich einige Dinge jetzt etwas anders. Aber das ist normal, wenn man einen tieferen Einblick in den Beruf bekommt.

Durch attraktivere Arbeitsbedingungen und eine attraktivere Entlöhnung. Meine Ausbildung dauert zweimal drei Jahre. Wer so lange studiert hat, verdient sehr viel mehr als ich es werde. Für mich persönlich ist das genug – aber ich sehe, dass viele Leute in der Pflege mit ihrem Gehalt unzufrieden sind. Man darf nicht vergessen: Wir tragen eine grosse Verantwortung und sind hohen Belastungen ausgesetzt. Was ich nicht tun würde: Den Beruf nur deshalb zu verändern und umzukrempeln, damit mehr Leute kommen. Wer sich für die Pflege entscheidet, tut das bewusst, weil sie das wirklich will. Das soll so bleiben.

Einen tiefen Einblick erhält Ursina Trummer auch in menschliche Schicksale – oft traurige Schicksale. Wie schafft es ein so junger Mensch, damit umzugehen? Wichtig sei die richtige Balance zwischen Nähe und Distanz, sagt Ursina Trummer. Das Studium thematisiert die Verarbeitung von schwierigen Situationen zwar. Wirklich hilfreich sind für Ursina Trummer aber zwei andere Dinge. Zum einen ist da die Selbstreflexion: Was hat die Situation bei mir ausgelöst? Was habe ich richtig gemacht – und was muss ich beim nächsten Mal ändern? Zum anderen sind es die Gespräche mit anderen Pflegenden. Es tut gut zu wissen, wie die Berufskolleginnen ähnliche Situationen erlebt und gemeistert haben.

Es gibt auch die Diskussionen, dass Pflegefachleute bestimmte Aufgaben der Hausärzte übernehmen sollen, damit der Mangel dort entschärft wird. Was halten Sie davon?

Ich finde das eine sehr attraktive Perspektive. Wir arbeiten immer am Patienten, wir haben das nötige Wissen und das nötige Auge. Aber ich würde mich selber nicht fit fühlen, das

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zu machen. Dazu braucht es Pflegende mit Erfahrung und einer entsprechenden Weiterbildung. Auch ist klar, dass wir den Hausarzt nicht ersetzen, sondern nur einen Teil seiner Aufgaben übernehmen könnten. Wir bräuchten die Möglichkeit, die Patienten im Bedarfsfall an einen Spezialisten oder einen Hausarzt weiter verweisen zu können. Man muss auch aufpassen, dass nicht zu viele gute Fachkräfte aus der Pflege abgezogen werden, die nachher in der Praxis fehlen. Was haben sie sonst für Karrieremöglichkeiten im Pflegeberuf?

Ich kann Pflegeexpertin werden, eine Management-Ausbildung machen, als Dozentin arbeiten, ich kann Pflegewissenschaften studieren und in die Pflegeforschung gehen oder mich spezialisieren. Was davon würde Sie reizen?

Foto: Peter Kraft

Ich sehe mich eher als Spezialistin in einem Fachgebiet oder als Betreuerin von Lernenden – aber nicht als Studentin der Pflegewissenschaften.

Die schönsten Momente im Berufsleben von Ursina Trummer sind kleine, an sich unspektakuläre Momente mit Patienten: Lustige Situationen, gute Rückmeldungen, Gesten der Wertschätzung. Die Kehrseite davon sind Situationen, in denen man keinen Ausweg mehr sieht. Die medizinischen Möglichkeiten sind ausgeschöpft, und alles läuft aufs Sterben hinaus. Schlimm sind für Ursina Trummer auch Patienten, die plötzlich aus ihrem Alltag gerissen werden – von denen man weiss, dass sie einen Teil ihrer Fähigkeiten verlieren und nie wieder so leben können wie früher. Besonders hart ist das bei Patienten in Ursina Trummers Alter. Dann kommt ihr manchmal der Gedanke, dass auch sie es sein könnte, die da liegt. Ist es auch Ihre Aufgabe, den Leuten solche traurigen Nachrichten zu überbringen?

Nein. Das ist die Sache der Ärzte. Sie haben die Diagnosen erstellt, sie wissen im Detail, wie es steht. Wir sind eher dafür zuständig, für das Wohl des Patienten zu sorgen, ihn zu unterstützen, ihn zu versorgen. Wichtig ist auch die Zusammenarbeit mit den Angehörigen. Was bedeutet das?

Wir besprechen Fragen wie: Wie geht es nachher zuhause weiter? Das machen die Ärzte weniger. Der Kontakt zur Spitex, das Aufzeigen der Unterstützungsangebote, das läuft eher über uns. Zum Beispiel weisen wir auf die Sozialberatung hin, welche Rehabilitationen oder Heimaufenthalte organisieren hilft. Unsere Aufgabe ist es, zusammen mit den Angehörigen Lösungen zu finden, die für den einzelnen Patienten den grössten Erfolg versprechen. Warum würden Sie einer jungen Person den Einstieg in den Pflegeberuf empfehlen?

Ich würde es sehr empfehlen. Die Ausbildung ist bereits auf akademischem Niveau. Wir sind also sehr gut etabliert auf der Tertiärstufe. Trotzdem ist es ein Beruf, der sehr praktisch ist. Es ist ein Beruf, der jeden Tag neue Herausforderungen bringt. Es wird nie langweilig. Die Anforderungen sind vielseitig, man braucht den Kopf, die Hände und das Herz. Wer sich für den Gesundheitsbereich, für die Medizin und für zwischenmenschliche Beziehungen interessiert, für den ist die Pflege ein äusserst attraktiver Beruf. peter kraft

Ursina Trummer: «Wer nicht am Ball bleibt, ist schnell weg. Der Wiedereinstieg ist schwierig.»

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Alterung und Personalknappheit machen auch der ambulanten Pflege zu schaffen

Doppelte Herausforderung für die Spitex

Die spitalexterne Hilfe und Pflege, kurz Spitex, bietet eine breite Palette von Gesundheitsdienstleistungen sowie hauswirtschaftliche Unterstützung und soziale Begleitung an. Verschiedene Spitex-Organisationen bieten zusätzliche Dienstleistungen an, zum Beispiel Mahlzeitendienste, Begleitung Sterbender oder Coiffeurdienste zu Hause. Spitex-Dienstleistungen sind eine Alternative zu einem Aufenthalt in einem Heim oder Spital, solange die Pflege und Betreuung in einer Spitaleinrichtung nicht zwingend ist. Pflegebedürftige Menschen können so länger in der gewohnten Umgebung leben, was ihnen eine gewisse Lebensqualität ermöglicht. In der Romandie, der Nordschweiz und im Graubünden setzt man vermehrt auf die Hilfe und Pflege zu Hause. Dass die Zahl der Heimbewohnerinnen und -bewohner in diesen Regionen kleiner ist als in der übrigen Schweiz, erstaunt deshalb nicht. Unterschiedliche Organisation in den Landesteilen

Rund 28 000 Spitex-Mitarbeitende betreuen zirka 205 000 Patientinnen und Patienten (davon sind 46 Prozent über 80 Jahre alt). Die erbrachten Spitex-Dienstleistungen belaufen sich auf insgesamt 1,2 Milliarden Franken. Davon sind 427 Millionen Franken kassenpflichtige Leistungen. Das sind zwei Prozent der Gesamtkosten der Krankenversicherung1. Die Schweiz zählt 26 Spitex-Kantonalverbände, denen wiederum gut 600 lokale gemeinnützige Spitex-Organisationen angeschlossen sind. In der Deutschschweiz werden die meisten Spitex-Organisationen von privatrechtlichen Vereinen auf Kommunalebene unterstützt. In der Romandie und im Tessin sind die gemeinnützigen Spitex-Dienste hauptsächlich als Vereine oder regionale oder kantonale Stiftungen organisiert. Der wachsende Kosten- und Rationalisierungsdruck, aber auch die Qualitätsanforderungen führen zu Zusammenschlüssen einzelner Organisationen. Dadurch entfallen Doppelspurigkeiten, und die Infrastrukturkosten nehmen ab. Öffentliche Spitex, private Organisationen, neue Modelle

Die Behandlungs- und Grundpflege wird heute meist durch die öffentliche Spitex erbracht. Parallel dazu gibt es freiberuflich tätige Krankenpflegeanbieter und private Organi-

Foto: Keystone

Die spitalexterne Hilfe und Pflege (Spitex) steht vor einer zweifachen Herausforderung. Auf der einen Seite muss sie der ständig wachsenden Nachfrage einer alternden Bevölkerung genügen. Auf der anderen Seite müssen die verkannten Pflegeberufe attraktiver werden, da sie es Tausenden von Personen erlauben, länger in der gewohnten Umgebung zu leben.

sationen, die ähnliche, von der Krankenversicherung anerkannte Leistungen anbieten. Ihre Leistungspalette ist in der Regel breiter. Sie bieten zum Beispiel Nachdienste an. Die Dienstleistungen sind teurer, da die privaten Anbieter keine öffentlichen Zuschüsse erhalten. Die Grundversicherung vergütet die Hilfe und Pflege zu Hause nach den Tarifen für gemeinnützige Anbieter. Die privaten Dienstleister machen rund fünf bis acht Prozent des Marktes aus. Verbreitung finden noch weitere Modelle. Beispiele dafür sind «Heimex» (wo Alters- und Pflegeheime ambulante Dienstleistungen anbieten), befristete Aufenthalte in Heimen oder Tagesheimplätze2. Ständig wachsende Nachfrage

Die Nachfrage nach Hilfe und Pflegeleistungen zu Hause wird weiter ansteigen – als Ersatz beziehungsweise Ergänzung zur stationären Pflege. Das hat verschiedene Gründe. Zunächst nimmt die Zahl der kleinen und sehr kleinen Haushalte ständig zu. Gemeint sind pflegebedürftige Personen, die mit Partner oder allein leben. Zudem wollen ältere Menschen so lange wie möglich zu Hause leben. Die längere Lebenserwartung ohne gesundheitliche Beeinträchtigung führt ebenfalls dazu, dass die Nachfrage nach Hilfe und Pflege zu Hause steigt. Viele ältere Menschen finden sich zwar im Alltag zurecht, sind aber aufgrund körperlicher Probleme punktuell auf hauswirtschaftliche Unterstützung und Pflege angewiesen. Schliesslich spielen auch die kürzeren Spitalaufenthalte und der Anstieg der ambulanten Behandlungen eine nicht unwesentliche Rolle. Die Attraktivität der ambulanten Pflege könnte dadurch allerdings leiden – insbesondere, wenn für die Betreuung anspruchsvollerer Pflegefälle nicht mehr Zeit zur Verfügung steht. Schwierige Stellenbesetzung

Markus Kopp, Leiter der Spitex des Kantons Obwalden, erläuterte im Fachmagazin NOVAcura3 die Probleme im Zu-

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Die Spitex wird weiter an Bedeutung gewinnen. Damit steigt aber auch ihr Bedarf an Personal.

sammenhang mit dem Mangel an qualifiziertem Personal. Das Pflegepersonal sei angesichts der steigenden Nachfrage oft am Anschlag und auf gewisse schwere Fälle nicht genügend vorbereitet. Offene Stellen zu besetzen, ist ein schwieriges Unterfangen. Laut Obsan dürfte die Entwicklung der Anzahl Spitex-Kunden bis ins Jahr 2020 einen zusätzlichen Stellenbedarf von rund 20 Prozent gegenüber 2006 bewirken (bei gleichbleibender Produktivität). Fakt ist jedoch, dass die Population der 20- bis 64-Jährigen, der potenziellen Kandidaten für die zu besetzenden Stellen also, in dieser Zeit nur wenig zunehmen wird. Liesse sich die Nachfrage eingrenzen, bräuchte es weniger Personal. Dazu müsste die Morbidität der älteren Bevölkerung und der Bedarf an PflegeLeistungen verringert werden. Demgegenüber stehen allerdings die zunehmend kürzere Hospitalisierungsdauer und der damit einhergehende Bedarf an zusätzlicher Pflege. Steigende Anforderungen an das Pflegepersonal

Wegen der zunehmend kürzeren Hospitalisierungsdauer dürften die anspruchsvolleren Pflegefälle zunehmen. Die steigende Zahl von Demenzkranken wird zu häufigeren Konfrontationen mit kognitiven Störungen führen, die wiederum oft mit emotional-affektiven Verhaltensschwierigkeiten verbunden sind. Diese Entwicklung stellt Ansprüche an die Aus- und Weiterbildung des Pflegepersonals. Mehr komplexe Fälle können für qualifiziertes Personal jedoch auch eine Herausforderung sein und so den ambulanten Pflegebereich für das Personal attraktiver machen. Die Entwicklung kann aber auch die Attraktivität der ambulanten Pflege schmälern, insbesondere wenn für die weniger technische Betreuung, Begleitung und Unterstützung nicht mehr ausreichend Zeit zur Verfügung steht. Zuspitzung durch demografische Alterung

mer älter. Durch den Eintritt der Babyboom-Generation ins Rentenalter spitzt sich die Lage noch zu. Gleichzeitig nimmt die Zahl der potenziellen Mütter ab, und die Frauen bekommen weniger Kinder. Im Jahr 2015 wird eine von fünf in der Schweiz wohnhaften Personen das Rentenalter erreicht haben. Ein exponentieller Anstieg der Nachfrage nach Spitex-Leistungen ist dadurch praktisch vorprogrammiert. Doch es fragt sich, ob genügend Pflegepersonal verfügbar sein wird. Die Rolle der Familie

Die Zunahme der anspruchsvolleren Pflegefälle und der Mangel an Pflegefachkräften kann durchaus dazu führen, dass Angehörige künftig mehr als heute in die Pflege miteinbezogen werden. Gemäss einer Studie des Bundesamtes für Statistik machen regelmässige informelle Hilfeleistungen für Angehörige bereits heute neun Prozent der in der Schweiz zu Hause erbrachten Hilfe und Pflege aus. In sieben von zehn Fällen wird die informelle Hilfeleistung durch Angehörige noch durch professionelle Hilfe ergänzt. Doch die informelle Hilfe wird die professionelle Hilfe nie ersetzen können, vor allem für hochbetagte Menschen, wenn zunehmend mehrere Krankheiten gleichzeitig auftreten. Künftig werden sicherlich auch Aspekte wie Arbeitszeit, Stressbewältigung und Lohn eine Rolle spielen müssen, wenn der Nachwuchs beim Pflegepersonal gesichert sein will. maud hilaire schenker

www.spitexch.ch Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien Bass AG, Spitex - Umfeld-, Marktund Konkurrenzanalyse, Bern, Mai 2007, 38 Seiten 3 Fachmagazin NOVAcura, Ausgabe 10/08 1 2

Drei Viertel der Spitex-Kunden sind im Rentenalter. Seit einigen Jahren wird die Schweizer Bevölkerung zudem im-

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Zu Besuch im Alterszentrum Wengistein in Solothurn

«Wir haben im wahrsten Sinn des Wortes einen Heimnachteil» Der wirtschaftliche Druck auf die Alters- und Pflegeheime ist gestiegen. Für das Personal bedeutet das eine grössere Arbeitsbelastung, und höhere Löhne liegen schon gar nicht drin. Wie ist es möglich, unter solchen Bedingungen jungen Menschen die Arbeit in den Heimen schmackhaft zu machen? Wir haben das Alterszentrum Wengistein in Solothurn besucht und beleuchten das Thema aus zwei Perspektiven. Zum einen ist da Hansruedi Moor, der Heimleiter. Er spricht im Interview über wirtschaftliche Sorgen und Zukunftsperspektiven. Katharina Zirn, die Verantwortliche für Pflege und Betreuung, zeigt die Sichtweise der Angestellten und Bewohner auf.

Wie stark ist der wirtschaftliche Druck, der auf den Alters- und Pflegeheimen lastet?

Hansruedi Moor: Er ist in den letzten zehn, fünfzehn Jahren stark angestiegen. Kleinen Heimen mit 20 oder 30 Bewohnern ist es fast unmöglich geworden, ihm standzuhalten. Sie machen dicht oder schliessen sich zusammen. Das Leistungsangebot der Heime ist letzter Zeit massiv gewachsen, die Ansprüche an den Komfort haben sich verändert. Doch die Entschädigungen sind bei weitem nicht im Gleichschritt gestiegen. Das führt zwangsläufig zu einem immer grösseren Spardruck. Hinzu kommen neue Qualitätssicherungs- und Pflegeerfassungssysteme. Wir unterstützen diese grundsätzlich – doch unter dem Strich befassen sich bei uns im Schnitt drei Personen nur mit der Pflegeerfassung. Diese Ressourcen fehlen in der Pflege, weil uns die Mittel fehlen, zusätzliche Leute einzustellen. Was die Sache noch komplizierter macht: Für schwerere Pflegefälle erhalten wir höhere Taxen. Wenn nun so ein Patient stirbt und ein weniger schwerer Fall eintritt, haben wir eine Einkommenseinbusse. Wie wollen Sie so budgetieren? Rückstellungen für solche Fälle dürfen wir nicht bilden. Deshalb führen manche Heime einen regelrechten Kampf um die schweren Fälle. Es gibt nicht genug Schwerstpflegebedürftige für alle Häuser.

Was ist daran so schlimm? Die schweren Fälle kommen ins Pflegeheim, die leichteren werden zuhause von der Spitex betreut. Das ist doch im Interesse aller.

Diese Entwicklung ist bereits angelaufen und wird sich noch verstärken. Das Problem sehen wir im Zwischensegment. Es kann nicht sein, dass es stationäre Pflege dereinst nur noch für Schwerstpflegebedürftige gibt. Es gibt auch ein Segment von Menschen, die keine Angehörigen haben, sozial isoliert sind, das Haus kaum mehr verlassen können – und trotzdem noch als selbstständig gelten. Ob solchen Leuten mit der Spitexbetreuung in jedem Fall besser gedient ist, wage ich zu bezweifeln. Das sind zu einem guten Teil Hotelgäste, die problemlos zu Hause leben könnten – aber im Heim trotzdem besser aufgehoben sind. Wir haben sehr viele Anfragen aus diesem Segment. Und das wird mit dem Verschwinden der Grossfamilie und dem Boom der Einpersonenhaushalte weiter zunehmen. Wie reagieren Sie auf den wirtschaftlichen Druck?

Wir müssen noch schneller, noch besser und noch effizienter werden. Wir können uns keine Reibungsverluste mehr erlauben. Alle Angestellten müssen 100 Prozent bringen. Jemanden durch den Betrieb zu tragen, der wegen seines Alters vielleicht nicht mehr so leistungsfähig ist wie mit 20, können wir uns nicht mehr leisten. Sie können sich vorstellen, was das in einem Beruf bedeutet, der körperlich und psychisch sehr belastend ist. Vor zehn Jahren hiess es noch, wer aus dem Akutbereich in die Altenpflege kommt, entflieht dem Stress und schiebt jetzt eine ruhige Kugel. Das ist definitiv vorbei. Inwiefern wirkt sich der wirtschaftliche Druck auf die Pflegequalität aus?

Wir können in allen anderen Bereichen spitze sein – wenn die Pflegequalität nicht mehr stimmt, sind wir als ganzes Haus schlecht, Punkt. Hinzu kommen ethisch-moralische Prinzipien, die es verbieten, die Pflegequalität zu senken. Bisher konnten wir das auch umgehen. Wenn wir sparen, dann so, dass die Bewohnerinnen es nicht merken. Wir haben beispielsweise bei der Administration angesetzt oder nicht pflegerelevante Leistungen ausgesondert. Jetzt schneidet nicht mehr eine Pflegerin die Haare der Bewohner, sondern eine Friseurin, welche die Bewohnerinnen oder die Angehörigen selber bezahlen. Haben Sie Mühe beim Rekrutieren von Pflegefachpersonen?

Das Problem ist, dass wir diplomierten Pflegefachfrauen 200 bis 300 Franken weniger bezahlen können als in den Akutspitälern. Insbesondere Absolventinnen einer höheren Pflegeausbildung wollen keine Grundpflege machen für weniger Geld, wenn im Spital ein gut bezahlter, spannender Job winkt. Wir haben im wahrsten Sinne des Wortes einen Heimnachteil. Wir mussten bis jetzt glücklicherweise noch kaum

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Fotos: ZVG

Hansruedi Moor: «Kompromisse bei der Pflegequalität sind tabu.»

det um 22 Uhr, und so lange haben die Bewohner Zeit. Viele ziehen sich aber freiwillig nach dem Abendessen in ihr Zimmer zurück. Sie haben genug Gemeinschaft gehabt und geniessen jetzt das Alleinsein. Nach der Spätschicht übernimmt die Nachtwache. Es gibt meistens einiges zu tun: Viele Bewohner müssen auf die Toilette, haben Schmerzen oder können nicht schlafen. Katharina Zirn bezeichnet die engen Beziehungen zu den Bewohnern, die Momente der Anerkennung sowie das Wissen, helfen zu können und gebraucht zu werden, als Sonnenseiten ihres Berufs. Die Schattenseiten sind das ständige Abschiednehmen von liebgewonnenen Menschen, die Konfrontation mit Leid und Tod – und auch die hohe psychische und physische Belastung. Damit sich wieder mehr junge Menschen für den Pflegeberuf entscheiden, braucht es für Katharina Zirn eine bessere Entlöhnung, eine sinnvolle Arbeitsbelastung und flexiblere Arbeitszeit-Modelle. Hat der wirtschaftliche Druck auch positive Seiten?

Katharina Zirn: «Die Ansprüche der Bewohner steigen – genauso wie der Zeitdruck.»

Abgänge ersetzen – stellen aber fest, dass die Spontanbewerbungen zurückgehen. Das gilt vor allem für die Gruppe der 30- bis 40-jährigen. Katharina Zirn beschreibt den veränderten Arbeitsalltag der Pflegenden: Mehr Zeitdruck, mehr Aufgaben bei gleichen Ressourcen, mehr Administration. Letztere beansprucht 30 bis 40 Prozent der Arbeitszeit einer diplomierten Pflegefachfrau. Katharina Zirn und ihr Team spüren bei der täglichen Arbeit die gesellschaftlichen Veränderungen: Die Ansprüche der Bewohner steigen, die Angehörigen möchten stärker als früher in Entscheide mit einbezogen werden. Die Frühschicht beginnt morgens um sieben. Aufstehen, anziehen, Morgenpflege, Frühstück – es läuft viel in der Früh. Dazu müssen die Tagesabläufe der Bewohner geplant werden: Wer hat Visite, wer muss zum Zahnarzt? Während des Tages können die Bewohner bei verschiedenen Aktivitäten mitmachen. Alles ist freiwillig: Wer nicht basteln, singen oder turnen mag, muss das auch nicht. Das gleiche gilt für die Nachtruhe. Niemand muss früh ins Bett. Die Spätschicht en-

Hansruedi Moor: Positive Seiten gibt es immer. Die Abläufe sind besser und effizienter geworden, viele Doppelspurigkeiten gibt es nicht mehr, der wirtschaftliche Druck hat viele Innovationen angestossen. Unser Betrieb ist schlanker geworden und hat dabei nichts an Qualität eingebüsst. Mittlerweile sind wir ein sehr kostengünstiger Anbieter von stationären Leistungen – wenn man uns mit den Spitälern vergleicht, dann sowieso. Das ist gut so – aber wie gesagt, eine solche Entwicklung bringt auch Verlierer hervor. Vor allem altgediente Mitarbeitende sind vom Tempo der Veränderungen manchmal überfordert. Wie werden sich die Pflegeheime in Zukunft verändern?

Wir werden eine Gesundschrumpfung erleben, was ich nicht grundsätzlich schlecht finde. Es macht wirklich wenig Sinn, wenn kleinste Heime sich eine eigene Administration und einen eigenen Heimleiter leisten. Ich denke auch, dass es in Zukunft zwischen den Heimen mehr Absprachen geben wird, zum Beispiel darüber, welches Heim welche Menschen betreut. Es wird grössere Demenzzentren geben – eines für die Stadt Solothurn zum Beispiel – statt dass jedes Heim weiter seine eigene Demenzabteilung betreibt. Heime werden auch ambulante Angebote machen, so wie es die Spitäler heute auch schon tun. Temporäraufenthalte, Sterbehospiz: Wir werden unser Angebot gleichzeitig erweitern und spezialisieren. Und wir werden uns gegen andere Formen der Altersvorsorge behaupten müssen. Es ist denkbar, dass die älteren Leute sich künftig zusammenschliessen, ihre Wohnungen und Häuser altersgerecht umbauen lassen und gemeinsam eine Krankenschwester engagieren. Die Demenzabteilung des Alterszentrums Wengistein sieht freundlich aus. Der gemeinsame Aufenthaltsraum ist luftig und hell, mit hübscher Aussicht auf die umgebende Natur. Die Wände sind mit bunten Basteleien dekoriert, welche die

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Foto: Keystone

Alle können, niemand muss: Die sozialen Aktivitäten in den Pflegeheimen sind kein Zwang, sondern sollen Freude machen (Agenturbild).

BewohnerInnen selber hergestellt haben. Es hat ein gut gefülltes Büchergestell, Tische fürs Beisammensitzen und Sofas zum Ausruhen. Im Hintergrund tönt leise Schlagermusik. Den BewohnerInnen merkt man ihre Demenz zum Teil nicht an. Trotzdem ist sie da, wie Katharina Zirn sagt. Ausserhalb des geschützten Rahmens würden sie sich nicht zurechtfinden. Ausserdem bestehe ein grosses Konfliktpotenzial mit den übrigen Heimbewohnern, weil die Demenzkranken ziemlich «distanzlos» sind. Sprich: Sie sagen geradeheraus, was sie denken. Während des gemeinsamen Mittagessens mit den Demenzkranken bleibt es vorerst still. Laut Katharina Zirn ist das eigentlich nicht üblich – aber die BewohnerInnen beobachten jetzt erst einmal, wer da Neues bei ihnen am Tisch Platz genommen hat. Zwei Damen brechen schliesslich das Eis. Während die eine dem Besucher schöne Zähne bescheinigt, erzählt die andere von ihrer Herkunft in Italien. Sie demonstriert auch ihre Spezialuhr, die auf Knopfdruck die Zeit ansagt. «Das muss man haben, wenn man fast blind ist». Und sie besteht auf ihrer Meinung, heute müsse niemand mehr erblinden – die Ärzte hätten jetzt Spritzen, die alles wieder gutmachen. «Früher, bei mir, war das eben noch nicht so», sagt sie mit typisch italienischem Akzent – und lehrt das Glas Rotwein, das man ihr zum Mittagessen gereicht hat. Man hat nicht den Eindruck, dass in der Demenz-Abteilung eine traurige Stimmung herrscht. Die Lebensfreude schwindet nicht so schnell wie die kognitiven Fähigkeiten.

Welche Erwartungen haben Sie an die Krankenversicherer?

Ich erwarte von ihnen mehr Offenheit und Flexibilität. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir hätten die Therapie eines Paraplegikers aus Nottwil übernehmen können. Aber die Krankenkasse hat uns die Apparaturen im Wert von etwa 20 000 Franken nicht finanziert, weil der Tarifvertrag das nicht vorsieht. Jetzt muss der Mann seine Therapie weiterhin in Nottwil absolvieren – zu einem Vielfachen der Kosten, die bei uns angefallen wären. Mehr Offenheit braucht es auch bei den Vertragsverhandlungen. Es gibt nämlich Fehlanreize, die für beide Seiten von Nachteil sind. Im Moment werden wir bestraft, wenn wir qualitativ gut pflegen. Schaffen wir es, einen Bewohner durch gute Arbeit selbstständiger zu machen und dadurch in eine tiefere Pflegestufe zu bringen, erhalten wir eine tiefere Taxe und haben weniger Einnahmen. Sinnvoller wäre eine Art Bonussystem, welches Tieferstufungen von Pflegebedürftigen belohnen würde – oder ein Tarifsystem, das von der Ergebnisqualität abhängig ist. Die Stufenveränderungen nach unten wären ein sehr guter Indikator für eine nachhaltige Pflege. Da müsste es doch Möglichkeiten und den Willen geben, solche Ideen zumindest einmal anzudiskutieren. INTERVIEWs: PEtER KRAFT

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Stellungnahmen aus Sicht der PatientInnen und der Grundversorger

«Pflege und Grundversorgung brauchen neue Berufsbilder»

Personalmangel ist weder ein neues noch ein unbekanntes Phänomen. Entscheidend ist nicht, wie dramatisch der Mangel in dreissig Jahren sein wird, sondern mit welchen Lösungsansätzen er angegangen wird. Heute prägen traditionelle Berufsbilder die Gesundheitsversorgung. Die individuellen Bedürfnisse von Patientinnen, Patienten und Angehörigen stehen weiterhin im Hintergrund. Die Patientinnen und Patienten sind aufgefordert, eine qualitativ hochstehende und bedarfsorientierte Gesundheitsversorgung einzufordern und sich in passenden Institutionen und von kompetenten Fachpersonen behandeln zu lassen. Die Forschung in der Altersmedizin zeigt auf, wie das aussehen könnte. Auch können wir mit einfachen Massnahmen behinderte Menschen befähigen, den Alltag selbstbestimmt zu bewältigen: Mit rollstuhlgängigen Räumlichkeiten, mit vorgegebenen Spazierwegen für demenzkranke Menschen oder mit konsequenter Beseitigung von Sturzgefahren. Die Zukunft gehört der integrierten Gesundheitsversorgung, wobei die Patientin und der Patient mit ihren individuellen Bedürfnissen und die Qualität in Zentrum stehen. Dabei wird die Hausarztmedizin nach wie vor eine Hauptrolle spielen. Gleichzeitig müssen wir sämtliche Berufsbilder den Realitäten anpassen und die interdisziplinäre Zusammenarbeit för-

Foto: ZVG

Erika Ziltener, die Präsidentin des Dachverbands Schweizerischer Patientenstellen, spricht im Gastbeitrag Klartext: Die traditionellen Berufsbilder in der Pflege müssen verschwinden, die Bedürfnisse der Patienten dagegen vermehrt ins Zentrum rücken. Ziltener legt den Fokus auch auf einfache Massnahmen, welche die Selbstständigkeit der Patienten erhöht. Für neue Berufsbilder plädiert auch Grundversorger-Vertreter Werner Bauer: «Es ist kontraproduktiv, Legenden am Leben zu erhalten», sagt er.

dern. Wenn in einem Pflegeheim eine Patientin nach einem Schlaganfall dank enger Zusammenarbeit von Physiotherapeutin, Ergotherapeutin und Pflegefachmann das Laufen wieder erlernt, benötigt sie weniger Pflege, vor allem aber gewinnt sie Lebensqualität. Seitens des Personals braucht es veränderte Rahmenbedingungen. Zwar sind die Berufsbilder im Wandel, aber neue Arbeitszeit- oder Tätigkeitsmodelle stossen oft zuerst einmal auf Ablehnung. Das zeigt etwa die Einführung der Spitalfachärztin. Obwohl der neue Tätigkeitsbereich seit einigen Jahren bekannt, in verschiedenen Spitälern etabliert und der Nutzen für die Patientinnen und Patienten ausgewiesen ist, ist kaum gegen sein Negativimage anzukommen. Nicht zuletzt weil er von den Ärztinnen und Ärzten selbst bekämpft wird. Schliesslich wird die Pflege und Betreuung kranker Menschen zu 80 Prozent von Frauen ausgeübt. Ohne eine zumindest ansatzweise Gleichverteilung auf beide Geschlechter wird der Personalmangel auch in Zukunft nicht zu beheben sein. erika ziltener

Hausärzte: Plädoyer für ein neues Berufsbild Dr. Werner Bauer, Präsident der Europäischen Internistenvereinigung, hat an einer Journée de réflexion des Schweizerischen Wissenschaftsund Technologierates einen Vortrag über die Zukunft der medizinischen Grundversorgung gehalten. Er nennt die Gründe, warum der Nachwuchs in der Hausarztmedizin auszubleiben droht: Die effektive Position der Hausärzte in der medizinischen Versorgung ist unklar und angefochten. Einkommen und Wertschätzung sind vergleichsweise tief. Für junge Ärzte ist das Eröffnen einer eigenen Praxis immer weniger ein Ziel. Lieber lassen sie sich anstellen und arbeiten in einem Team. Die berufliche Belastung einer Einzelpraxis ist hoch. Es fehlen strukturierte Weiterbildungen und neuzeitliche Arbeitsmodelle. Dem stehen die Vorteile des Hausarzt-Berufs gegenüber. Werner Bauer nennt die Selbstständigkeit, das breite Patienten- und Krankheitsspektrum, die Langzeitbetreuung der Patienten, die entsprechend intensiven Beziehungen sowie generell die Vielseitigkeit der ärztlichen Tätigkeit. Wie

lassen sich diese Widersprüche auflösen? Werner Bauer plädiert für ein neues Berufsbild der Hausärzte: «Es ist kontraproduktiv, Legenden am Leben zu erhalten.» Der Bedarf an Generalisten werde wegen der demografischen Entwicklung und den knappen finanziellen Ressourcen weiter steigen. Das sei die Chance für die Hausärzte, sagt Bauer. Allerdings: «Die Übernahme der Funktion des Care Managers wird nur im Rahmen entsprechend strukturierter Versicherungs- und Praxismodelle gelingen.» Werner Bauer sagt auch klar: Nicht jeder Schnupfen braucht einen Arzt. Definierte Bereiche der Patientenbetreuung können durchaus andere Berufsgruppen übernehmen. Das A und O seien aber bessere Arbeitsbedingungen. Werner Bauer nennt bessere Weiterbildungs-Möglichkeiten, Praxismodelle mit vernünftiger Arbeitsbelastung, eine aufgewertete Position der Hausärzte mit Steuerungsposition und ein «Einkommen, das der beruflichen Qualifikation und der Verantwortung entspricht».

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Im Gespräch: Dr. Christian Schär, Direktor des Careum Bildungszentrums und Präsident des Verbandes der Bildungszentren Gesundheit und Soziales

«Die meisten Pflegedirektorinnen haben irgendwann als Pflegefachleute begonnen» Christian Schär, Leiter des Careum Bildungszentrums in Zürich, ist vorsichtig optimistisch: Die Studien von Obsan und Careum hätten wachgerüttelt. Die (Personal-) Probleme im Pflegebereich würden deshalb nun endlich angepackt. Schär sieht Handlungsbedarf vor allem beim Berufsimage, bei der Anerkennung und bei den Arbeitsbedingungen.

thesie-Pflege gibt es Nachdiplomstudien, es gibt ManagementAusbildungen, und mit einer Berufsmatura besteht auch die Möglichkeit, eine Fachhochschule zu besuchen. So ist es möglich, auch in der Pflege Stufe um Stufe auf der Karriereleiter zu erklimmen. Die meisten Pflegedirektorinnen in der Schweiz haben irgendwann als Pflegefachleute begonnen.

Wie entwickeln sich die Studentenzahlen in den Pflegestudiengängen der Höheren Fachschulen?

Fachleute gehen davon aus, dass in Zukunft vermehrt Fähigkeiten in Betriebswirtschaft, EDV oder Qualitätsmanagement wichtig sind. Wie reagieren Sie auf solche Entwicklungen?

Sie entwickeln sich langsam nach oben. Nach der Einführung der neuen Bildungssystematik 2004 gab es eine gewisse Verunsicherung und eine Durststrecke, die nun zu enden scheint. Die Leute wissen, um was es geht, was die Höheren Fachschulen sind. Konkret hatten wir 2008 schweizweit 4378 Studierende an den Höheren Fachschulen Pflege, mit 1322 Abschlüssen im selben Jahr. Die Zahlen 2009, die wir im November erheben, werden wesentlich höher sein. Wir rekrutieren in der Schweiz zwischen 50 und 80 Prozent unserer Studierenden aus den Fachangestellten Gesundheit (FaGe). Dort hatten wir 2008 3313 Lernende und 863 Abschlüsse. Auch hier ist die Tendenz steigend.

Unsere Studierenden lernen selbstgesteuert auf einer InternetPlattform. Dadurch wird ihr ohnehin hohes IT-Wissen zusätzlich gefördert. Die anderen Kompetenzen, die Sie erwähnen, erlernen die Studierenden im Praktikum. Pflegeleistungen zu erfassen ist dort Alltag. Ich glaube allerdings nicht, dass die Pflegefachleute in Zukunft vor allem Büroarbeit leisten werden. Im Gegenteil: Die Pflegefachleute kehren wieder zurück zu ihren Kernaufgaben. Das BBT hat Spitäler und Heime aller Kategorien gefragt, was die Kernaufgaben der Pflege seien. Zuoberst rangieren Pflege, Pflegemethodik und die Kommunikation mit den Patienten und Angehörigen. Auf den letzten Plätzen liegen Organisation und Dokumentation.

Ihre eigene Stiftung hat kürzlich zum Kampf gegen den drohenden Personalnotstand in der Pflege aufgerufen. Was tun die Bildungszentren konkret dagegen?

Die Ausbildung zur Pflegefachperson HF bietet den Studierenden die Wahl zwischen verschiedenen Vertiefungsrichtungen. Wie beurteilen Sie diese zusätzliche Spezialisierung?

Die Position, dass die Bildungszentren allein in der Verantwortung stehen und einfach genügend Leute rekrutieren sollen, halte ich für falsch. Die Hauptverantwortung tragen die Spitäler und die Heime – in Zusammenarbeit mit uns. Wir selber sind aktiv in der Imagewerbung, etwa im Projekt Dachkommunikation der OdaSanté. Damit wollen wir die Gesundheitsberufe schweizweit positiv besetzen. Jedes Bildungszentrum ist mit den kantonalen Odas in Verbindung und macht Kampagnen. Graubünden zum Beispiel konnte den Rapper Gimma gewinnen, und in Bern hat das Bildungszentrum mit dem Kanton eine Flyeraktion auf den Strassen durchgeführt. Wir sind an allen Berufsbildungsmessen dabei, organisieren Schnuppertage und machen gemeinsame Aktionen mit den Praktikumsbetrieben. Der Kanton Zürich hat die Website pulsberufe.ch aufgeschaltet, die über Inhalt, Anforderungen und Möglichkeiten der Gesundheitsberufe informiert. Viele Kantone erwägen, die Praktikumsentschädigungen für die Studierenden zu erhöhen. Das sind die finanziellen Anreize, die auch wichtig sind. Warum entscheiden sich junge Menschen für den Pflegeberuf?

Die Pflege ist eine sinngebende Arbeit, eine soziale Tätigkeit, ein Dienst am Menschen. Das können die Studierenden mit den Karrieremöglichkeiten kombinieren, welche die Gesundheitsberufe ganz klar bieten. Für Notfall-, Intensiv- oder Anäs-

Die Spezialisierung in den Gesundheits- und Pflegeberufen wird noch weiter voranschreiten. Das Ausland ist hier teilweise schon weiter. Nehmen Sie als Beispiel die Practitional Nurses – Pflegefachkräfte, die bestimmte Aufgaben von den Hausärzten übernehmen. In Zukunft werden wir einen höheren Bedarf an Geriatrie- und Onkologiefachleuten haben. Entsprechende Weiterbildungsmöglichkeiten gibt es schon. Die Spezialisierung muss in der Weiterbildung stattfinden – und nicht in der Grundausbildung. Es gibt aber auch an den höheren Fachschulen bereits Vertiefungsrichtungen…

Schon, aber immer im Rahmen des Generalisten. Bei uns muss man alles können, kann sich aber in den Praktika spezialisieren. Man kann in ein Pflegeheim, in ein Kinderspital, zur Spitex – alles ist möglich. Aber die Grundausbildung ist für alle gleich. Wie stark beeinflusst der Lohnausfall während drei Jahren die Bereitschaft, die Ausbildung zur Pflegefachperson HF in Angriff zu nehmen?

Die finanzielle Absicherung ist wichtig und auch im Interesse der Kantone und der Gesundheitsein-

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richtungen. Als Spital würde ich persönlich eine Studierende grosszügig unterstützen und sie im Gegenzug dazu verpflichten, eine gewisse Zeit weiter bei mir zu arbeiten. Einige Kantone sind dazu übergegangen, die Studierenden 12-mal pro Jahr zu bezahlen – auch wenn sie in der Schule sind. Ein solcher Lohn liegt bei etwa 1100 bis 1300 Franken pro Monat. In anderen Kantonen haben die Studierenden nur während der Praktikumsmonate ein Einkommen. Ich gehe aber davon aus, dass alle Kantone zur monatlichen Entschädigung übergehen werden – denn ein halbes Jahr ohne Einkommen können sich viele, die das Studium an sich in Angriff nehmen möchten, schlicht nicht leisten.

Lohnsituation sowie Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Es gibt heute viele Häuser, die weit fortgeschritten sind. Sie haben einen erheblichen Wettbewerbsvorteil. Das wird wohl dazu führen, dass die Spitäler, Kliniken und Heime immer besser auf die Bedürfnisse ihrer hauptsächlich weiblichen Angestellten eingehen.

«Die Spezialisierung in den Gesundheitsund Pflegeberufen wird noch weiter voranschreiten.» Wie schätzen Sie den künftigen Bedarf an FaGes, Absolventen der HF und Absolventen von Fachhochschulen in der Pflege ein?

Das ist die grosse Herausforderung für Spitäler, Kliniken und Heime. Wichtig sind Karrieremöglichkeiten und eine Betriebskultur, welche die belastende Pflegearbeit gebührend anerkennt. Entscheidend ist auch die Rücksichtnahme auf Frauen mit Erziehungsaufgaben. Es braucht flexible Arbeitszeiten und mehr Teilzeitstellen. Die Nachtarbeit muss so organisiert sein, dass ein Nebeneinander von Beruf und Familie möglich ist. Viele Spitäler bieten heute zwar schon Kinderkrippen an, die für die Angestellten aber recht teuer sind. Es braucht gute Programme für Wiedereinsteigerinnen. Wichtig sind auch die

Die Spitäler beginnen nun, mehr FaGes anzustellen, weil sie nur so genügend Pflegefachkräfte rekrutieren können. Die FaGes werden also zunehmen. An den Patientenbetten werden aber zum überwiegenden Teil Absolventinnen der Höheren Fachschulen arbeiten. Die Absolventinnen der Fachhochschulen werden einen deutlich geringeren Anteil ausmachen. Das gilt für die Deutschschweiz. In der Romandie ist die Situation völlig anders. Dort gibt es keine höheren Fachschulen für die Pflege, sondern ausschliesslich Fachhochschulen. Dafür benötigt man zwar eine Gymnasial- oder eine Berufsmatura. In der Romandie ist die Maturitätsquote aber fast doppelt so hoch wie in der Deutschschweiz. Das liegt an den verschiedenen Bildungstraditionen der beiden Landesteile.

Foto: Christine Blaser, compétence

Die Pflege ist ein klassischer Frauenberuf. Wie wird es in Zukunft gelingen, die Pflegefachfrauen besser vom Verbleib im Beruf zu überzeugen?

Sie skizzieren einige Lösungen für den drohenden Pflegenotstand und sagen, dass bereits einiges in der Umsetzung begriffen ist. Müssen wir also diesbezüglich wirklich so grosse Angst vor der Zukunft haben?

Heute kann man noch nicht von einem Pflegenotstand sprechen. Die meisten Stellen sind besetzt, auch wenn es schwieriger ist als vor ein paar Jahren. Wir müssen aber aufpassen, dass wir in ein paar Jahren nicht in ein ernsthaftes Problem hineingeraten. Die Studien von Obsan und Careum sind deshalb gerade rechtzeitig gekommen und haben aufgerüttelt. Ich bin guter Hoffnung, dass wir in der Schweiz tun, was zu tun ist. Hinzu kommt: Es ist nicht in Stein gemeisselt, dass die Leistungsausweitung und die demografische Alterung tatsächlich die erwarteten Auswirkungen auf die Nachfrage haben. In den Achtziger Jahren befürchtete man einen ähnlichen Personalmangel wegen der AIDS-Problematik – heute können HIVPatienten dank neuen Medikamenten und Therapien relativ unabhängig leben. interview: peter kraft

«Viele Kantone erwägen, die Praktikumsentschädigungen zu erhöhen.»

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Bis 2030 braucht es gleich viele neue Health Professionals, wie es bereits gibt

Versorgungslücke beim Gesundheitspersonal: Risikofaktoren und Rezepte Mehrere Berichte und Stellungnahmen haben in jüngster Zeit darauf hingewiesen, dass in der Schweiz ein grosser Mangel an Gesundheitsfachleuten eintreten wird. Es wird nicht nur an Ärzten fehlen, sondern in viel stärkerem Masse an qualifiziertem Personal für die Langzeitversorgung. Insgesamt müssen 190 000 neue Health Professionals ins System kommen – gleich viele wie heute schon darin arbeiten.

Der Gesundheitssektor gilt als Wachstumsbranche. Die Leistungsfähigkeit und die Qualität stehen in einem direkten Verhältnis zur Anzahl verfügbarer Health Professionals und ihren Qualifikationen. Das Gesundheitspersonal ist demnach die wichtigste Ressource. Im Jahr 2006 haben von den total 330 000 Beschäftigten1 in Therapie und Pflege gut 190 000 in den wichtigsten Sektoren gearbeitet: Spital (60 Prozent), Alters- und Pflegeheime (30 Prozent), Spitex (10 Prozent). Steigender Personalbedarf

Seit Jahren sprechen die Berufsleute selber von «Pflegenotstand» und «Grundversorgermangel». Immer wieder haben sich Lösungen ergeben, welche die angekündigten Versorgungsdefizite kompensiert haben: verstärkte Bildungsanstrengungen, Immigration und Verlagerungen. Irgendwie hat sich immer wieder ein Gleichgewicht zwischen der Nachfrage und der Verfügbarkeit von Personal eingestellt. Allerdings gibt es beunruhigende Trends: Die Zahlen von neu diplomierten Fachkräften in Medizin und Pflege sinken, und es hat viele Berufsaussteiger. Gestützt auf Analysen in anderen OECD-Ländern hat das Schweizerische Gesundheitsobservatorium (obsan) Prognosen über den Bedarf bis zum Jahr 2020 veröffentlicht2. Mehrere Hypothesen haben Careum veranlasst, die Prognosen bis 20303 auszudehnen. Zudem werden qualitative VerändeStichwort Angehörigenpflege Mehrere Entwicklungen führen dazu, dass wieder mehr Versorgungsaufgaben in der Familie oder im sozialen Umfeld erbracht werden müssen: • Die Zahl der Erwachsenen und Kinder mit chronischen Leiden steigt. Diese «Krankheiten, die sie nicht mehr verlassen» erfordern Pflege, und zwar lebenslang. • Die älter werdenden Menschen wollen autonom bleiben und verzögern den Eintritt in Alters- oder Pflegeheime. • Viele notwendigen Unterstützungs- und Pflegeleistungen sind nicht KVG-relevant und werden nicht durch Kassen finanziert. • Der absehbare Mangel an Health Professionals führt dazu, dass die Nachfrage nach professioneller Unterstützung gar nicht gedeckt werden kann. Die Angehörigen müssen einbezogen werden, damit der Alltag bewältigt werden kann. Wirksame Angehörigenpflege erfordert primär Vereinbarungen zwischen den Betrieben und den Arbeitnehmenden.

rungen erwartet, und die Umsetzung von Massnahmen zur Kapazitätssteigerung beanspruchen mehr als zehn Jahre. 190 000 sind nötig – die Schweiz bildet nur einen Drittel davon aus

Auch wenn Prognosen über solche Zeiträume mit grossen Unsicherheiten behaftet sind, vermittelt das Ergebnis der Analyse eine einfache Botschaft: Die Schweiz braucht in 20 Jahren bis zu 190 000 neue Arbeitskräfte im Gesundheitswesen – soviel wie heute insgesamt in Spitälern, Heimen und Spitex arbeiten. Die Prognose liegt weit jenseits der heutigen Ausbildungskapazitäten. Hochgerechnet dürften bis 2030 etwa 66 000 Pflegende und MedizinerInnen diplomiert werden. Der Deckungsgrad beträgt somit nur einen Drittel des Bedarfs. Weil in allen Industrieländern ähnliche Entwicklungen laufen, ist es illusorisch und unethisch, auf Zuwanderung aus dem Ausland zu setzen. In der Ausbildung braucht es also einen gewaltigen zahlenmässigen und inhaltlichen Effort. Der Mehrbedarf an Ärzten ist übrigens vergleichsweise gering. Neue Erkenntnisse belegen Trend zur Versorgungslücke

Der steigende Bedarf an Gesundheits-Personal lässt sich auf folgende Faktoren zurückführen: • Pensionierungen: Die Pensionierungsrate ist heute bei einem Prozent aller Arbeitnehmer pro Jahr. Sie steigt ab 2020 rapide auf zwei Prozent («ageing workforce»). Selbst mit einer konservativen Berechnung muss die Hälfte des Gesundheitspersonals bis 2030 ersetzt werden. Frühzeitige Pensionierungen sind im Gesundheitswesen häufig. Der Anteil der über 54-Jährigen ist vergleichsweise gering. Die bisherige Modellannahme (Arbeiten bis zur Pensionierung) trifft im Gesundheitswesen nicht zu. Die Gesamtstatistik des Personals beschönigt die Realität: Spitäler haben jüngeres Personal, Heime und Spitex hingegen älteres. Im Jahre 2030 werden 60 Prozent des Spitex- und Heimpersonals pensioniert sein (im Spital sind es nur 39 Prozent). Die Langzeitversorgung ist damit in besonderem Masse von der «ageing workforce» betroffen. • Erhöhte Nachfrage: Ab 2020 wächst der Anteil der über 80-Jährigen deutlich, was zusätzlich 50 000 bis 80 000 Fachleute erfordert. 90 Prozent dieser Gesundheitsfachleute sind für die Langzeitversorgung (Heime, Spitex) zu engagieren. Die Rekrutierungsbasis schwindet, weil die Zahl der Schulabgänger pro Jahr um ein bis zwei Prozent abnimmt. Der Gesundheitssektor muss sich deshalb der Konkurrenz durch andere Branchen stellen – dies scheint nicht einfach angesichts der häufig kritischen Selbstdarstellung. Im Gesundheitssektor sind die Produktivitätssteigerungen gering. Einerseits erfordern neue Technologien zusätzliches Personal mit neuen Kompetenzen. Andererseits werden Patienten in andere Sektoren umgelagert. Betreffend Personalbedarf ist das ein Nullsummenspiel, weil sie in

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Heimen und Spitex mehr anspruchsvolle und intensivere Pflege brauchen. • Drop Outs: Arbeitskräfte wandern bereits während der Ausbildung oder nach wenigen Berufsjahren in andere Branchen und Sektoren ab. Nicht wenige gehen in andere Gesundheitssysteme (Ausland, Komplementärmedizin, Wellness) oder scheiden als Familienfrauen aus dem Arbeitsmarkt aus. Das obsan wertet vor allem die quantifizierbaren Faktoren (Pensionierungen und erhöhter Bedarf, siehe Abb.) und nennt bedarfsmindernde Faktoren (z.B. Prävention). In der Prognose ist aber insbesondere das Risiko des Berufsausstiegs nicht adäquat abgebildet. Careum hält deshalb die obsan-Prognose für sehr vorsichtig und sieht die positiven Effekte (z.B. der Prävention) erst nach 2030. Kaum berücksichtigt sind auch soziologische Faktoren wie Lifestiles mit Teilzeitpensen oder multiple jobs. Zudem zeigen neueste Studien, dass enorm viele junge Ärztinnen weniger als 50 Prozent arbeiten4 Wenn sich der Arbeitskräftemangel zuspitzt, werden die ungünstigen Rahmenbedingungen in der Gesundheitsversorgung konträre Effekte zeitigen. Wegen des Drucks auf Budgets, der inflexiblen Lohngestaltung bei öffentlichen Anstellungen sowie der Nacht- und Wochenendarbeit verliert das Gesundheitswesen gegenüber anderen Sektoren an Attraktivität. Angesichts der generellen Verknappung der Arbeitskräfte dürften Ausstiegsanreize und aktive Abwerbung zunehmen. Wenn die Besten gehen, wird die Versorgungsqualität beeinträchtigt. Strukturen und Zuständigkeiten ändern

Weil 70 Prozent der Gesundheitskosten beim Personal anfallen, wird dort ein erhebliches Sparpotenzial vermutet. Massnahmen dürfen aber gewisse Schmerzgrenzen nicht überschreiten: Mehr als Geld zählen bei den Health Professionals das Helfenkönnen in einem sozial interessanten Umfeld,

Stichwort Versorgung durch Non-Medical-Clinicians Das ärztliche Diagnose- und Verordnungsmonopol ist nicht in allen Ländern gleich. In «Nurse-led-clinics» führen hoch qualifizierte Health Professionals klinische Untersuchungen durch, verordnen Medikamente und Hilfsmittel (aus limitierter Liste) und stellen die Langzeitbetreuung von Menschen mit Herzinsuffizienz, Wunden, Diabetes oder Krebs sicher. In der Schweiz wäre es ein Leichtes, die in der KLV definierten Leistungen der Pflege oder Physiotherapie selbstständig durch besonders qualifizierte Health Professionals erbringen zu lassen. Übertragung statt Delegation ist das Prinzip: die ärztliche Verschreibung und Anordnung wird erweitert durch eine interprofessionelle Kompetenzaufteilung. Diese Grenzverschiebung macht nicht nur Sinn vor dem Hintergrund der démographie médicale. Studien belegen, dass eine solche Versorgung im Rahmen definierter Leistungsangebote patientengerechter, effektiver und vor allem preisgünstiger ist als jene durch Ärzte.

mehr Wahlfreiheit bei den Teilzeitpensen, die Anerkennung und Wertschätzung. Der absehbare Mangel an Health Professionals verlangt viel grundsätzlichere Massnahmen. Es braucht weit reichende Systemveränderungen, wenn die Schweiz auch in 15 bis 20 Jahren eine qualitativ hochstehende Versorgung haben will. Die echten Potenziale liegen dabei in veränderten Strukturen und Prozessen. Es müssen Grenzen verschoben sowie Rollen, Ansprüche, Kompetenzen und Arbeitsteilung neu ausgerichtet werden. Dazu gehört unter anderem, dass das ärztliche Diagnose- und Verordnungsmonopol fällt. Dank den neuen Kompetenzprofilen der Health Professionals aus den Fachhochschulen rüstet sich die Schweiz für neue Versorgungsformen, in denen nichtärztliche Fachleute Teile der Grundversorgung wahrnehmen und Hand in Hand mit den Medizinern arbeiten. Beat Sottas 5

BIS 2030 SIND AUS ZWEI GRÜNDEN 120’000 BIS 190’000 PERSONEN ZU REKRUTIEREN:

Gemäss den Ergebnissen der jüngsten Betriebszählung des BFS (Sept 2008) ist das Gesundheitswesen in den letzten Jahren stark gewachsen. Die Beschäftigtenzunahme in diesem Sektor liegt mit 10 Prozent über dem gesamtwirtschaftlichen Mittel von 7,4 Prozent (NZZ30.9.09: 27). 2 Jaccard Ruedin, H. et al., 2009. Personnel de santé en Suisse – Etat des lieux et perspectives d’ici 2020. Observatoire suisse de la santé: Neuchâtel. 3 Jaccard Ruedin, H., Weaver, F. 2009. Ageing Workforce in an Ageing Society. Wieviele Health Professionals braucht das Schweizer Gesundheitssystem bis 2030? Careum Working Paper 1, Careum, Zürich 4 Stamm, M. Klaghofer, R., Buddeberg-Fischer, B. 2009. Geschlechtstypische Karrierewege von Ärztinnen und Ärzten. Swiss Public Health Conference, 27./28. August 2009 5 Dr. Beat Sottas ist Stiftungsrat und Mitglied des Leitenden Ausschusses von Careum in Zürich. Diese Stiftung ist seit 130 Jahren in der Bildung im Gesundheitswesen aktiv und beschäftigt sich unter dem Motto «Die Gesundheitswelt der Zukunft denken» proaktiv mit den Herausforderungen im Personalbereich. 1

1/3 ERHÖHUNG DES BEDARFS (ALTERNDE BEVÖLKERUNG)

2/3 ERSETZEN DER ABGÄNGE INFOLGE PENSIONIERUNG (AGEING WORKFORCE)

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Verschiedene Systeme – ähnliche Probleme

Ist die medizinische Grundversorgung in Frankreich auch mit weniger Ärzten gut? Anlässlich des Interdisziplinären Zürcher Symposiums erklärte Pascal Couchepin, dass die medizinische Grundversorgung in Frankreich qualitativ gleich gut sei wie in der Schweiz, obschon weniger Ärzte zur Verfügung stünden. Diese Aussage des ehemaligen Gesundheitsministers sorgte für grossen Wirbel. Stimmt sie oder ist sie reine Provokation?

Es gibt keine handfesten Beweise dafür, dass das französische System gleich gut ist wie das schweizerische. Zwar gibt es einschlägige Ranglisten, aber oft kritisieren die Experten die Aussagekraft der Indikatoren und die Schwierigkeit, an relevante Daten zu kommen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO führt aufgrund des grossen Aufwands bereits seit dem Jahr 2000 keine Erhebung mehr durch. Damals stand Frankreich an erster Stelle, die Schweiz belegte Platz 20. Im Euro Health Consumer Index 2009 lag die Schweiz an fünfter und Frankreich an siebter Stelle. Interessant ist aber nicht die Frage, welches System das bessere ist. Aufschlussreicher ist, dass die Systeme trotz Unterschieden bei der Struktur (Förderalismus/Zentralismus), der Grösse (7,7 Mio./64 Mio. Einwohner) und der Fläche (41 290 km2/632 834 km2 1) ähnlich sind. Beide Länder verfügen über eine nicht hierarchisierte2 Grundversorgung, der grosse Umwälzungen bevorstehen. Parallel dazu stehen sie vor den gleichen Problemen: Der Alterung der Bevölkerung und der landesweit ungleichen Verteilung des Gesundheitsangebots. Medizinische Grundversorgung: ein professionelles nicht hierarchisiertes System…

Die ambulante Medizin in Frankreich hat folgende Eckpfeiler: Freie Arztwahl des Patienten, Arztgeheimnis, Anspruch auf ein Honorar für jeden untersuchten Patienten, direkte Bezahlung durch den Versicherten, therapeutische Freiheit und Niederlassungsfreiheit. Die frei praktizierenden Ärzte – Allgemeinmediziner und Spezialisten – machen den Grossteil der Fachkräfte aus. Hinzu kommen noch weitere Strukturen für ambulante Versorgung. Sie sind meist regional organisiert, entweder auf Gemeindeebene, wie zum Beispiel die Hilfe und Pflege zu Hause und ein Teil der Gesundheitszentren, oder auf Departementsebene, wie der Mutter- und Kinderschutzdienst. Diese Strukturen können auch in Spitälern angesiedelt sein, zum Beispiel Spitalkonsultationen bei Fachärzten und Notfalldienste. Oder sie sind anderen Einrichtungen unterstellt, wie den Zentren für Gesundheitsabklärungen der Krankenkassen oder Organisationen wie «SOS médecins». Die ambulante Gesundheitsversorgung ist in Frankreich vielfältig und breit ausgebaut, aber wenig hierarchisiert und nicht in allen Landesteilen gleich zugänglich. Die Koordination der medizinischen Versorgung ist nicht optimal3.

… dem Umwälzungen bevorstehen

Seit mehr als zwanzig Jahren versucht man in Frankreich mit sukzessiven Reformen, die Organisation der medizinischen Grundversorgung zu rationalisieren. Mit der Reform des Hausarztsystems (Stichwort Gatekeeper) und der Koordination der Versorgungsabläufe schaffte man im Jahr 2004 Anreize für die Versicherten, sich über einem Arzt ihrer Wahl behandeln zu lassen. So entstand eine erste Hierarchisierung beim Zugang zur Gesundheitsversorgung. Die kürzlich erarbeitete Vorlage zum Spital-, Patienten-, Gesundheits- und Regionalgesetz (HPST) regelt auch die Grundversorgung und anerkennt die Aufgabe der Allgemeinmediziner als wichtigen Bestandteil des Systems. Im Gegensatz zum finnischen, schwedischen und katalanischen System sind die ambulant praktizierenden Ärzte in Frankreich nicht Angestellte von Gesundheitszentren4, sondern frei praktizierende. Die nationale Vereinbarung regelt weiterhin ihre Zusammenarbeit mit der Krankenversicherung. Die Fachärzte sind in Frankreich im ambulanten Sektor sehr präsent, was den Zugang zur spezialisierten Gesundheitsversorgung vereinfacht. In anderen Ländern ist diese Leistung Spitälern vorbehalten. Schrittweise wird das System nun regionalisiert. Dazu wurden unter anderem die regionalen Einheiten «Unions régionales de médecins libéraux (URML)» und die Organisation für Notfalldienste geschaffen. Die Organisation der Grundversorgung ist neu Sache der Regionen. Zuständig für die Umsetzung sind die regionalen Gesundheitsagenturen: Sie definieren die Ziele sowie die zu erbringenden Leistungen für die Bevölkerung und regulieren die Grundversorgung über Verträge mit Gesundheitsdienstleistern. All diese Reformen sollen den Ärztemangel und die regionalen Unterschiede beim Zugang zur Gesundheitsversorgung beheben. In Frankreich haben heute bereits rund 2,6 Millionen Menschen Schwierigkeiten, überhaupt einen Arzt zu finden. Die «medizinische Demografie»

Frankreich zählt heute 199 736 Ärzte, die regelmässig praktizieren. Das sind zwei Prozent weniger als im Vorjahr. Die Ärztedichte liegt bei 312 Ärzten auf 100 000 Einwohner. Allerdings gibt es grosse regionale Unterschiede. Auf die Region Picardie fallen beispielsweise 250 Ärzte auf 100 000 Einwohner, während die Region Provence Alpes Côtes d’Azur 409 Ärzte pro 100 000 Einwohner zählt5. In der Schweiz praktizieren insgesamt 29 653 Ärzte. Die Ärztedichte liegt hier bei 385 Ärzten auf 100 000 Einwohner. In diesem Punkt hat Gesundheitsminister Pascal Couchepin Recht: In der Schweiz gibt es im Verhältnis mehr Ärzte als in Frankreich. Aber auch hierzulande sind bei Weitem nicht alle Regionen medizinisch gleich gut abgedeckt. In Appenzell Innerrhoden entfallen auf einen Arzt 625 Einwohner, in Basel-Stadt steht ein Arzt für 111 Einwohner zur Verfügung6. Dass die Hausärzte langsam in die Jahre kommen, macht die Situation nicht einfacher. Das Durchschnittsalter liegt bei den Praxisärzten bei 51 Jahren, und die Zahl der praktizierenden Ärzte in Rente wird in den kommenden Jahren noch zunehmen. 9000 Ärzte sind in der Schweiz im

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Foto: Prisma

ambulanten Bereich zwischen 49 und 64 Jahre alt. Es braucht Lösungen, damit die Nachfolge gesichert ist und die regionalen Unterschiede verschwinden. Bessere regionale Verteilung, aber wie?

Die französische Gesundheitsministerin Roselyne Bachelot will die regionalen Ungleichheiten in der Grundversorgung bekämpfen. Dazu will sie die Grundausbildung für Allgemeinpraktiker attraktiver gestalten und den Medizinstudenten diese Disziplin näherbringen. Seit 2006 ist im Medizinstudium ein Praktikum der ambulanten Vorsorge bei Allgemeinmedizinern Pflicht. Erfahrungen zeigen ausserdem, dass sich viele Ärzte in der Nähe des Ortes niederlassen, an dem sie ihr Studium absolviert haben. Die Ministerin möchte deshalb den Numerus clausus auf den regionalen Versorgungsbedarf und die medizinische Demografie abstimmen. Zudem sollen verschiedene Gesundheitsdienstleister in interdisziplinären Gesundheitszentren zusammenarbeiten. Das fördert nicht nur den fachlichen Austausch, sondern sorgt auch dafür, dass die medizinischen Geräte gemeinsam genutzt werden. Eine solche Organisation lässt auch mehr Zeit für die Ausbildung und verbessert die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Noch gibt es allerdings zu wenig dieser Zentren. Damit vermehrt Ärzte in Randregionen praktizieren, stehen Hilfen zur Verfügung. So setzt man zum Beispiel auf Ärzte-Netze oder hilft Ärzten in abgelegenen Regionen, Stellvertreter zu finden. Dazu werden zum Beispiel die Honorare um mindestens 20 Prozent erhöht. Ein Allgemeinpraktiker erhält in diesen Regionen pro Konsultation 24 anstatt 20 Euro. Diese zusätzlichen Kosten trägt die Krankenversicherung. Die lokalen Behörden in Regionen mit ungenügender Gesundheitsversorgung können ihrerseits geeignete Rahmenbedingungen für die Niederlassung von Ärzten schaffen oder auch Räumlichkeiten oder Wohnungen zur Verfügung stellen. Eine weitere Massnahme sind Niederlassungsprämien oder eine pauschale Praxisprämie. Dafür verpflichten sich die Ärzte, während mindestens drei Jahren in dieser Region zu praktizieren. Nichtsdestotrotz bleiben die regionalen Unterschiede bei der Gesundheitsversorgung bestehen (Atlas démographique 2009). Die medizinische Grundversorgung auch in Zukunft zu gewährleisten und die Rolle der Hausärzte entsprechend zu definieren: Das sind die Herausforderungen, die sich heute sowohl in Frankreich als auch in der Schweiz stellen. MAUD HILAIRE SCHENKER

Frankreich und Überseedepartemente infosantésuisse 8/09, S.18–19 Yann Bourgueil, Anna Marek, Julien Mousquès (Prospere*/Irdes), «Trois modèles types d’organisation des soins primaires en Europe, au Canada, en Australie et en Nouvelle-Zélande», dans Questions d’économie de la santé, no141, Avril 2009 4 Siehe infosantésuisse 8/09, S.18–19 5 Quelle: Atlas de la démographie médicale 2009 6 Quelle: FMH, Statistik 2008 1 2 3

Regionale Ungleichheiten, zu wenige Grundversorger: Frankreichs Probleme im Gesundheitswesen ähneln den unseren. (Im Bild der Mont Saint-Michel.)

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Grafiken des Monats November

Ältere Frauen ohne höhere Ausbildung: Die Realität im Pflegeberuf? Die Thematik ist zu komplex, um sie mit nur einer «Grafik des Monats» gebührend darzustellen: Wie sind die Angestellten in Spitälern, Heimen und Spitex zusammengesetzt? Wo arbeiten die Akademiker, wo die Hilfskräfte, wo die Frauen, wo die Männer? Wie alt sind sie, und was bedeutet das für die Zukunft? Eines ist klar: Es wird entscheidend sein, dass im Frauenberuf Pflege die Frauen künftig durch familienfreundliche Arbeitsbedingungen und gute Karrierechancen bei der Stange gehalten werden.

Das Personal von Spitälern, Pflegeheimen und Spitex ist sehr unterschiedlich zusammengesetzt. Grafik 1 zeigt auf: 80 Prozent des Gesundheitspersonals mit einer Ausbildung auf Tertiärstufe1 arbeiten in den Spitälern. Hingegen beschäftigen die Krankenhäuser nur gerade 33 Prozent der Fachleute mit einfacher Berufsausbildung und 21 Prozent des Hilfspersonals. Diese Berufsgruppen arbeiten mehrheitlich in Pflegeheimen (43 bzw. 60 Prozent). In den Alters- und Pflegeheimen ist zudem der Anteil der Frauen mit 92 Prozent deutlich höher als in den Spitälern (78 Prozent). Das lässt den Schluss zu, dass in den Gesundheitsberufen die Akademiker- und Führungspositionen hauptsächlich von Männern bekleidet werden. Pflegeheime: Viele Frauen, wenige Hochschulabsolventen

Die Grafiken 2 und 3 bestätigen diesen Eindruck. In den Alters- und Pflegeheimen ist sowohl der Anteil der Männer als auch der Anteil an Fachkräften mit Tertiärabschluss deutlich geringer als in der Gesamtheit von Spitälern, Hei-

men und Spitex. Das bedeutet: In den Alters- und Pflegeheimen arbeiten vor allem Frauen mit einem Abschluss auf der Sekundärstufe2 oder ohne spezifische Ausbildung in der Pflege. Das hat zur Folge, dass die Anzahl der Teilzeitpensen, aber auch der Berufsausteigerinnen sehr hoch ist. Alterung des Personals trifft Heime am härtesten

Hauptthema der Grafiken 2 und 3 ist jedoch die Altersverteilung des Gesundheitspersonals. Es ist auffällig, dass das Personal in den Alters- und Pflegeheimen deutlich älter ist als im Gesundheitswesen allgemein. In den Heimen ist die Gruppe der 40- bis 54-Jährigen am stärksten vertreten. In den Spitälern, Heimen und der Spitex zusammengenommen machen die 29- bis 43-Jährigen den Hauptharst aus. Das heisst: Die Langzeitpflege wird von der Alterung der Pflegefachleute und vom Personalmangel am schnellsten und am härtesten getroffen. Im Jahr 2020 werden 30 Prozent aller aktuell Beschäftigten in den Alters- und Pflegeheimen pensioniert sein. Richtig problematisch wird die Situation voraussichtlich 2030, wenn 60 Prozent des heutigen Personals in Rente sein werden. In den Spitälern hingegen werden 2020 «nur» 15 Prozent pensioniert sein, 2030 etwa 39 Prozent. Nimmt man das sehr optimistische Szenario zum Massstab, dass bis 2030 alle heutigen Angestellten im Gesundheitswesen bis zur ordentlichen Pensionierung arbeiten, muss bis 2030 fast die Hälfte des gesamten Personals ersetzt werden. In dieser Rechnung nicht berücksichtigt sind die BerufsaussteigerInnen sowie der erhöhte Personalbedarf. Ein Hinweis darauf, dass es im Gesundheitswesen häufig frühzeitige Pensionierungen gibt, ist der geringe Anteil der über 60-Jährigen in den Grafiken 2 und 3.

OHNE AUSBILDUNG (9%)

40%

HILFSPERSONAL (21%)

37%

21%

20%

43%

TERTIÄR A UND B (58%)

Die Spitäler beschäftigen deutlich mehr gut ausgebildete Fachleute als Heime und Spitex.

23%

60%

33%

SEKUNDARSTUFE II (12%)

23%

79%

0%

10% SPITÄLER

20%

30%

40%

14%

50%

QUELLE: CAREUM/OBSAN

GRAFIK 1: ARBEITSORTE DES GESUNDHEITSPERSONALS JE NACH AUSBILDUNGSSTUFE

60%

ALTERS- UND PFLEGEHEIME

20 | Im Fokus 9/09

70%

80%

SPITEX

90%

7%

100%


QUELLE: CAREUM/OBSAN

GRAFIK 2: GESUNDHEITSPERSONAL IN ALTERS- UND PFLEGEHEIMEN, 2006 65 + 60 – 64 55 – 59 50 – 54

Die Altersverteilung der GesundheitsFachkräfte entspricht in etwa der Altersverteilung der Gesamtbevölkerung. Der Männeranteil ist gering.

FRAUEN OHNE AUSBILDUNG

45 – 49

MÄNNER OHNE AUSBILDUNG

40 – 44

FRAUEN HILFSPERSONAL MÄNNER HILFSPERSONAL

35 – 39

FRAUEN SEKUNDARSTUFE

30 – 34

MÄNNER SEKUNDARSTUFE

25 – 29

FRAUEN TERTIÄRSTUFE MÄNNER TERTIÄRSTUFE

20 – 24

FRAUEN UNIVERSITÄTSABSCHLUSS

15 – 19

MÄNNER UNIVERSITÄTSABSCHLUSS

- 20%

- 15%

- 10%

- 5%

0%

Pflegeberuf muss attraktiver werden

Was ist zu tun? Wir stellen in dieser Ausgabe eine Fülle von Möglichkeiten vor, um dem drohenden Mangel an Pflegefachkräften zu begegnen. Die unmittelbaren Auswirkungen der Alterung des Pflegepersonals lassen sich nur mildern, wenn es gelingt, Berufsausstiege und Frühpensionierungen auf ein Minimum zu reduzieren sowie genügend junge Fachkräfte zu rekrutieren. Bessere Arbeitsbedingungen sind dabei ein entscheidender Faktor. Weil die Frauen den grössten Teil der Beschäftigten im Gesundheitswesen ausmachen, gilt es, in erster Linie deren Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen. Dazu gehören eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie – etwa durch Kinderbetreuungsmöglichkeiten direkt am Arbeitsort, flexible Arbeitszeitmodelle und nicht zuletzt durch bessere Aufstiegschancen. Die Grafiken des Monats zeigen überdeutlich, dass im Gesundheitswesen die Männer die Kaderpositionen hauptsächlich unter sich ausmachen. Ein Grund dafür sind die bisher bescheidenen Karriere-Aussichten im Frauenberuf Pflege. Das dürfte viele mo-

5%

10%

15%

20%

tivierte junge Menschen – Frauen wie Männer – davon abhalten, eine solche Laufbahn einzuschlagen. Das Institut für Arbeit und Technik in Gelsenkirchen führt zurzeit in Deutschland einen Modellversuch mit sechzig Kliniken durch, um genau solche Massnahmen auf ihre Praxistauglichkeit hin zu testen. Der Projektleiter Josef Hilbert ist überzeugt, dass die Attraktivität der Pflegeberufe dadurch zunehmen wird. Hinzu kommt laut Hilbert, dass die Anforderungen vielfältiger werden: Betriebswirtschaft, EDV, Organisation und Qualitätsmanagement seien bereits heute gewichtige Teile des Pflegeberufs. Nun sind laut Hilbert die Bildungsinstitutionen gefragt: Sie müssen die neue Attraktivität des Pflegeberufs in der Öffentlichkeit aufzeigen, damit sie genügend Fachkräfte für die nahe Zukunft ausbilden können. peter kraft 1 2

Universität, Fachhochschule, Höhere Fachschule Berufslehre

QUELLE: CAREUM/OBSAN

GRAFIK 3: GESUNDHEITSPERSONAL IN SPITÄLERN, HEIMEN UND SPITEX 59 + 54 – 58 49 – 53

Die Angestellten in den Alters- und Pflegeheimen sind deutlich älter. Der Männeranteil liegt noch tiefer.

44 – 48 FRAUEN HILFSPERSONAL

39 – 43

MÄNNER HILFSPERSONAL

34 – 38

FRAUEN SEKUNDARSTUFE

29 – 33

MÄNNER SEKUNDARSTUFE FRAUEN TERTIÄRSTUFE

24 – 28

MÄNNER TERTIÄRSTUFE

19 – 23

FRAUEN UNIVERSITÄTSABSCHLUSS

14 – 18 - 20% - 15% - 10%

MÄNNER UNIVERSITÄTSABSCHLUSS - 5%

0%

5%

10%

15%

20%

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Vergleich des schweizerischen und des niederländischen Gesundheitssystems – Teil I: Das niederländische Versicherungssystem

Die Niederlande verbinden die Vorteile des Marktes mit der Sicherheit des Staates In den nächsten drei Ausgaben von infosantésuisse stellen wir in einer Artikelserie das niederländische Gesundheitssystem vor.* Der erste Artikel wird das System vorstellen, der zweite wird es mit jenem der Schweiz vergleichen und der dritte Artikel wird die Lehren, die aus dem niederländischen Gesundheitssystem zu ziehen sind, untersuchen. Die amerikanische Presse tendiert dazu, die beiden Modelle miteinander zu vergleichen. Sie sieht darin zwei mögliche Inspirationsquellen für die Gesundheitspolitik von Präsident Barack Obama. Ist dieser Vergleich gerechtfertigt?

Das niederländische Gesundheitssystem ist zum grössten Teil privat. Es organisiert sich um die selbstständig praktizierenden Ärzte (Allgemeinmediziner und Spezialisten) und um die Spitäler und Kliniken, die Non-Profit-Organismen gehören – Überbleibsel der karitativen Institutionen des Mittelalters. Im Zentrum des Gesundheitssystems steht die medizinische Grundversorgung. Der Arzt für Allgemeinmedizin nimmt darin die Rolle eines Gatekeepers ein. Die definierten Ziele des Systems sind die Förderung der Pflegequalität, ihrer Effizienz, Zugänglichkeit und Wirtschaftlichkeit. Bereits im 15. und 16. Jahrhundert entstanden in den Niederlanden Grundzüge einer Krankenversicherung, die von Gilden – Gruppen von Bürgern, die gemeinsame Interessen vertraten – organisiert war. Trotz dieses enorm frühen Beginns dauerte es bis zum Zweiten Weltkrieg, bis ein ausgeweitetes soziales Krankenversicherungssystem stand. Dieses System war bis zum 1. Januar 2006 in Kraft: Für die zwei Drittel der Bevölkerung, die unterhalb einer gewissen Wohlhabensgrenze standen, gab es eine Versicherungspflicht. Das vermögendere Drittel der Bevölkerung konnte sich freiwillig einer privaten Versicherung anschliessen. Seit dem 1. Januar 2006 wird diese Unterscheidung nicht mehr ge-

macht. Das Krankenversicherungsgesetz (Zorgverkeringswet – ZVW) hat das niederländische Gesundheitssystem mit der Einführung des Obligatoriums stark verändert. Obligatorium mit Varianten

Seit dem 1. Januar 2006 muss jede in den Niederlanden wohnhafte Person bei einem Versicherer eine Krankenversicherung abschliessen. Im alten System waren rund zwei Prozent der Bevölkerung nicht versichert. Die neue Versicherung sieht auch einen Katalog mit sogenannter Basispflege vor, der vom Staat festgelegt wird. Zugleich kann ein Versicherer einer Person nicht mehr wie früher den Anschluss verweigern, indem er sich auf Risiken wegen des Gesundheitszustands beruft. Die Versicherer müssen jede Person, die eine Versicherung abzuschliessen wünscht, annehmen. Der Versicherte wiederum kann zwischen verschiedenen Versicherungsarten wählen: Bei der «Sachpolice» schliesst der Versicherer mit den Leistungserbringern Verträge ab und bezahlt die Rechnungen direkt (Tiers payant). Der Versicherte seinerseits muss sich an jene Gesundheitsfachpersonen wenden, die mit seinem Versicherer einen Vertrag abgeschlossen haben (Einschränkung in der Wahl des Leistungserbringers). Bei der Police «gegen Rückvergütung» bestimmt der Versicherte selbst seinen Erbringer von Pflegeleistungen (freie Wahl), bezahlt die Rechnungen und lässt sich diese vom Versicherer rückerstatten (Tiers ga-

rant). Diese beiden Systeme können in der Versicherungspolice auch gemischt werden. Zusätzlich zur Grundversicherung gibt es Zusatzversicherungen, welche die Leistungen oder Teile von Leistungen übernehmen, die nicht Bestandteil des Leistungskatalogs sind. Dreiteilige Finanzierungsstruktur

Das Krankenversicherungssystem besteht aus drei Komponenten. Jede davon deckt bestimmte Pflegeleistungen ab und ist spezifischen Versicherungsmodalitäten unterstellt: • Die erste Komponente umfasst die «ausserordentlichen Risiken». Sie ist im allgemeinen Gesetz über besondere Krankheitskosten (AWBZ) definiert, das die Kosten im Falle eines Langzeitaufenthalts für die gesamte Bevölkerung abdeckt. Die Prämie wird mit einem maximalen Plafond prozentual zum Einkommen berechnet. • Die zweite Komponente bezieht sich auf einen Katalog von Basisleistungen und umfasst Konsultationen bei Ärzten für Allgemeinmedizin, Medikamente oder Hospitalisierungen. Jeder niederländische Bürger ist zum Abschluss dieser Versicherung bei einem der privaten konkurrierenden Krankenversicherern verpflichtet. Die Prämien sind teilweise Nominalprämien und teilweise einkommensabhängige Prämien. • Die dritte Komponente betrifft die Zusatzversicherungen. Dieser dritte Block ist weniger streng geregelt, und

Indikator

Wert (Jahr)

Öffentliche Ausgaben in Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben Öffentliche Gesundheitsausgaben in Prozent der öffentlichen Gesamtausgaben Direkte Zahlungen in Prozent der privaten Gesundheitsausgaben

64,9 (2005) 13,2 (2005) 21,90 (2005)

Öffentliche Gesundheitsausgaben pro Einwohner (offizieller US-Dollar-Kurs)

2311,0 (2005)

Total der öffentlichen Gesundheitsausgaben pro Einwohner (offizieller US-Dollar-Kurs)

3560,0 (2005)

Private Ausgaben in Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben

35,1 (2005)

Finanzierung der privaten Krankenversicherungen in Prozent der privaten Gesundheitsausgaben

55,5 (2005)

Total der Gesundheitsausgaben in Prozent des BIP Quelle: WHO-Statistiken 2006

22 | Gesundheitswesen 9/09

9,2 (2005)


Foto: Keystone

Durch eine schlaue Kombination von Staat und Markt gelten die Niederlande heute als patientenfreundlichstes Gesundheitssystem Europas.

die Prämien sind normalerweise risikoabhängig. Der Abschluss einer Zusatzversicherung ist nicht obligatorisch. Ähnlichkeiten zum Schweizer System

Ab 18 Jahren muss jede Person für die zweite Komponente eine «Nominalprämie» zahlen. Je nach Typ der Versicherungspolice ist dieser Beitrag unabhängig von Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand oder Einkommen gleich hoch. Ein Teil der Nominalprämie kann rückerstattet werden, wenn der Versicherer die Gesundheitsdienstleistungen nur selten oder gar nicht in Anspruch nimmt. Nebst der Nominalprämie werden von der Steuerbehörde die einkommensabhängigen Beiträge abgezogen, die dazu bestimmt sind, 50 Prozent der Kosten des Systems zu decken. Der jährliche Plafond liegt bei ungefähr 30 000 Euro. Diese Abgabe wird dem Versicherten von seinem Arbeitgeber oder von der Sozialhilfe rückerstattet. Schliesslich übernimmt der Staat einen Teil der Prämien für Kinder unter 18 Jahren. Er kann auch an die Stelle einer Krankenversicherungsgesellschaft treten und die finanziellen Verpflichtun-

gen übernehmen, die diese nicht erfüllen konnte. Die einkommensabhängigen Beiträge und die vom Staat ausgeschütteten Beträge speisen den Krankenversicherungsfonds, der vom Amt für Krankenversicherungen verwaltet wird. Die Ressourcen des Fonds werden teilweise für den Ausgleich der finanziellen Belastung der Versicherer eingesetzt, weil sie jede zum Abschluss einer Versicherung verpflichtete Person aufnehmen müssen. Damit ist dieser Fonds das Pendant der Gemeinsamen Einrichtung KVG in der Schweiz, welche für den Risikoausgleich zuständig ist. Damit jedermann Zugang zur Versicherung hat, sind von der Regierung Zulagen vorgesehen, welche die Personen mit niedrigerem Einkommen beim Bezahlen der Nominalprämie unterstützt (Prämienverbilligung).

abschliessen. Der Zugang zu den Leistungen wird durch Jahresverträge und durch die Versicherungspflicht gewährleistet. Dieses System kombiniert Marktmechanismen und staatliche Regelung. Anders ausgedrückt drängt der Markt das Gesundheitssystem zu mehr Wettbewerbsfähigkeit, Effizienz und Anpassungsfähigkeit an die Nachfrage, während die Regierung die Qualität und die Gerechtigkeit regelt und kontrolliert. Trotz bereits zahlreicher Reformen bleibt noch viel zu tun. Doch die Niederlande scheinen auf dem richtigen Weg zu sein. Davon zeugt ihr erster Platz im Euro Health Consumer Index (EHCI) 2008 und die von zahlreichen Experten geteilte Meinung, das niederländische Gesundheitssystem sei eines der besten der Welt. maud hilaire schenker

Regulierter Wettbewerb

Das Gesundheitssystem basiert auf einem geregelten Wettbewerb, der sich aus der freien Wahl ergibt. Der Wettbewerb spielt sowohl unter den Krankenversicherern als auch unter den Leistungserbringern, weil die konkurrierenden Krankenversicherer mit bestimmten Leistungserbringern Verträge

* Die drei Artikel werden sich auf das Buch von Robert E. Leu, Frans Rutten, Werner Brouwer, Christian Rütschi und Pius Matter, The Swiss and the Dutch health care systems compared, Gesundheitsökonomische Beiträge, Band 53, NOmos, 2008 stützen.

23 | Gesundheitswesen 9/09


Studie der ETH Zürich zeigt grosses Potenzial für e-services im Gesundheitsbereich

SchweizerInnen wollen BewertungsTools für Leistungserbringer Der Lehrstuhl für Technologie- und Innovationsmanagement der ETH Zürich hat eine Studie zum Potenzial von e-services im Schweizer Gesundheitsbereich durchgeführt, die aufhorchen lässt: Offensichtlich existieren in diesem Bereich Bedürfnisse von Patienten und Prämienzahlenden, die in der Schweiz bisher alles andere als befriedigt sind. Das gilt auch und gerade für BewertungsInstrumente für Leistungserbringer.

Das Internet und seine schnelle Adaption durch die Bevölkerung haben eine eigentliche Informations-Revolution ausgelöst. Mittlerweile nutzen mehr als 70 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer das Internet regelmässig. Die Schweiz ist damit unter den 20 Ländern mit der weltweit grössten Internet-Nutzungsrate. Seit etwa 20 Jahren bietet das Internet Dienstleistungen ( so genannte e-services) an, welche auch die breite Bevölkerung nutzen kann. Die Fachliteratur lässt keinen Zweifel offen: e-services haben sich in verschiedenen Industrien etabliert und werden für Unternehmen immer wichtiger. Bei sinnvoller Anwendung erschliessen sie neue Märkte, verschaffen Wettbewerbsvorteile, erlauben es, schneller auf Kundenbedürfnisse zu reagieren und erhöhen die Effizienz. OnlineBanking, Reise- und Flugbuchungen oder Werbung via Suchmaschinen sind herausragende Beispiele. Trotz dieses enormen Erfolgs: Die Ausbreitung von e-services kommt nicht in allen Branchen gleich schnell voran – auch dann nicht, wenn wie im Gesundheitssektor die Erfolgsaussichten gut erscheinen. In der Schweiz gibt es kaum Studien zur Nutzung oder zur Akzeptanz von e-services im Gesundheitsbereich. Dabei wäre der potenziellen Nutzen vielfältig: Eine bessere Übersicht über Behandlungen und Therapien, eine bessere Kommunikation, die Einbindung

von Patienten in ihr eigenes Gesundheits-Management und die Unterstützung von Gesundheits-Netzwerken sind nur einige Beispiele. Erste grosse Schweizer Studie zur Akzeptanz von e-services im Gesunheitsbereich

Die vorliegende Arbeit von Louise Muhdi (Chair for Technology and Innovation Management, ETH Zürich) untersucht die Akzeptanz von gesundheitsbezogenen e-services in einen Segment der Schweizer Bevölkerung erstmals wissenschaftlich. In einem ersten Schritt wollte sie von führenden Mitarbeitern 18 grosser und mittlerer Schweizer Krankenversicherer wissen, welchen e-health-Instrumenten sie eine gewisse zukünftige Bedeutung beimessen. In einem zweiten Schritt hat die Autorin 12 446 Studenten, mehrheitlich zwischen 18 bis 30 Jahre alt, der ETH Zürich nach ihrer Haltung zu den meistgenannten gesundheitsbezogenen e-services gefragt. Sie erhielt 2775 Antworten. Natürlich sind ETH-Studenten nicht repräsentativ für die Schweizer Bevölkerung. Dennoch hat die Wahl dieser Befragungs-Gruppe ihre Vorteile. Es sind Leute, die mit Informationstechnologien offen und bewusst umgehen und dadurch in der Lage sind, breite Trends vorwegzunehmen (so genannte «Early Adopters»). Hohe Zustimmungsraten

Die Autorin hat die Studierenden zu einer Reihe von gesundheitsbezogenen e-services befragt und folgende Zustimmungsraten ermittelt: • Health Wiki (Gesundheitslexikon im Internet): 78,9 Prozent • Bewertungs-Instrument für Leistungserbringer: 66,8 Prozent • Online Health Account (elektronisches Patientendossier): 64,2 Prozent • Lifestyle-Informationen: 61,3 Prozent • Internet-Foren: 60,7 Prozent • Patienten-Netzwerke: 46,2 Prozent • Live-Chat mit einem Gesundheitsberater: 39,2 Prozent

• Newsletter von Firmen: 34,5 Prozent • Live-Chat mit Versicherungsagenten: 28,0 Prozent. Es fällt auf, dass die beliebtesten vier e-services allesamt Einweg-Instrumente sind, bei denen kein direkter Informationsaustausch zwischen Personen stattfindet. Internet-Foren und Patientennetzwerke, in denen sich vor allem Gruppen austauschen, liegen im Mittelfeld. Der Austausch zwischen einzelnen Personen (Live-Chats) stösst im Gesundheitsbereich auf geringe Gegenliebe. Eine Mehrheit der befragten Studenten lehnen solche e-services ab. Massgeschneiderte Informationen jederzeit und überall

Die beliebtesten vier Instrumente teilen neben der Einwegkommunikation eine weitere Eigenschaft: Sowohl Online-Lexika, Bewertungstools, elektronische Accounts und Lifestyle-Informationen sind bereits in anderen Branchen im Angebot und haben dort eine hohe Akzeptanz. Die Autorin führt dies darauf zurück, dass diese Instrumente auf den Kunden zugeschnittene Informationen und Dienstleistungen zu jeder Zeit und an jedem Ort verfügbar machen. Dass Online-Foren und Patienten-Netzwerke sich ebenfalls einer gewissen Beliebtheit erfreuen, liegt möglicherweise am Tabu-Charakter vieler Gesundheitsthemen. In Foren und Netzwerken ist es möglich, anonym zu bleiben und sich

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Foto: Prisma

Die Aufgeschlossenheit gegenüber e-health scheint in der Schweiz gross zu sein.

trotzdem mit Mitbetroffenen auszutauschen. Bei Live-Chats ist die Anonymität nicht mehr immer gegeben. Aus Sicht der Krankenversicherer, vor allem aber auch für die Patientinnen und Patienten sind Bewertungs-Tools für Leistungserbringer besonders interessant. Die Klagen häufen sich, dass die freie Wahl der Leistungserbringer nicht sehr viel wert sei. Es existierten keine Kriterien, nach denen sich die Patienten bei ihrer Wahl richten können. Es gibt in der Schweiz einige Bemühungen, die Qualität der Leistungserbringer zu messen, zu vergleichen und transparent zu machen. Der Erfolg ist bisher wenig durchschlagend. Online-Bewertungstools könnten möglicherweise einen Beitrag dazu leisten, dass es auf diesem Gebiet Fortschritte gibt. Die Akzeptanz ist bei den befragten Studenten mit 66,8 Prozent hoch. Die Autorin der Studie hat diese hohe Zustimmungsrate genauer untersucht.

beschaffung, desto offener sind die Befragten für online-Bewertungstools. Gleiches gilt für bereits gemachte Erfahrungen mit e-services im Gesundheitsbereich. Von jenen Befragten, die bereits ein Online-Gesundheits-Konto besitzen, befürworten 73,8 Prozent Bewertungs-Tools für Leistungserbringer. Das ist eine klar höhere Zustimmungsrate als bei den Befragten, die kein Online-Gesundheits-Konto besitzen. 42,5 Prozent der Befragten recherchieren auch Gesundheitsfragen vor allem im Internet und wünschen gleichzeitig online-Bewertungstools. Interessant sind aber vor allem jene 24,3 Prozent, welche sich zwar zu Gesundheitsthemen kaum im Internet informieren, online-Bewertungstools aber trotzdem positiv gegenüber stehen. Das zeigt klar auf: Es gibt hier offensichtlich ein Kundenbedürfnis das in der Schweiz bis jetzt kaum befriedigt wird. Ein ähnliches Bild ergibt sich beim Vergleich der Befürworter von Bewertungs-Tools mit jenen, die ein OnlineBankkonto haben. 44,9 Prozent sind sowohl Befürworter als auch OnlineBankkonto-Inhaber. 22 Prozent haben kein Online-Bankkonto, möchten aber trotzdem die Möglichkeiten eines Bewertungs-Tools nutzen.

online-Bewertungstools für Leistungserbringer. Hier zeigt die Studie ein echtes Kundenbedürfnis auf, das bis jetzt in der Schweiz kaum befriedigt wird. Die Studie stellt weiter fest, dass e-services bei den Kunden auf grösseren Anklang stossen, wenn sie auf Massen- oder Gruppenkommunikation statt auf einen persönlichen Austausch setzt. Die Studie rät jedoch auch zur Differenzierung. Gerade ältere Patienten würden nach wie vor eine persönliche Kommunikation bevorzugen. Auch für sie braucht es entsprechende (virtuelle und nicht-virtuelle) Angebote. Die Autorin ruft Leistungserbringer, Versicherer, Patientenorganisationen und Versicherer dazu auf, bei der Entwicklung im Online-Bereich zusammenzuarbeiten: Für die Patienten ist die Quelle (und damit die Vertrauenswürdigkeit) der e-services von grösster Bedeutung. Schliesslich rät die Studie davon ab, zu viele Angebote innert kurzer Zeit einzuführen. Die Akzeptanz einzelner Angebote steigt, wenn die Befragten zuvor bereits Bekanntschaft mit ähnlichen Dienstleistungen geschlossen haben. Deshalb mache es mehr Sinn, ein Angebot nach dem anderen einzuführen – und damit auch die Akzeptanz in der Bevölkerung schrittweise aufzubauen.

Zusammenfassung und Ausblick

peter kraft

Die Studie von Louise Muhdi zeigt auf: e-services im Gesundheitsbereich stossen auf einige Akzeptanz – vor allem dann, wenn sie Informationen und Dienstleistungen zeit- und ortsunabhängig liefern. Das gilt insbesondere für die

Der Artikel basiert auf folgender, demnächst erscheinender Studie: L. Muhdi and R. Boutellier (2010). Diffusion of potential health-related e-service an analysis of Swiss health insurance customer perspectives. Journal of Management and Marketing in Healthcare, special issue January 2010 (forthcoming)

Bewertungs-Tool für Leistungserbringer wäre gefragt

60,9 Prozent aller Befragten benutzen das Internet als eine ihrer Hauptinformationsquellen und befürworten gleichzeitig Bewertungs-Tools für Leistungserbringer (s. Tabelle). Bei jenen, die sich weniger übers Internet informieren, liegt das Verhältnis zugunsten der Bewertungs-Tools bei 5,9 Prozent zu 3,8 Prozent. Das bedeutet: Je grösser die Rolle des Internets bei der Informations-

Befürwortung eines online Rating-Tools für Leistungserbringer

Cross tabulation in %

Internet als Hauptinformationsquelle recherche zu gesundheitsthemen online besitzt ein online bankkonto

Ja

Nein 29,4

Ja

60,9

Nein

5,9

3,8

Ja

42,5

16,6

Nein

24,3

16,6

Ja

44,9

21,4

Nein

besitzt ein online gesundheits-konto

25 | Gesundheitswesen 9/09

Ja

22

11,8

73,8

26,2


Geschäftsbericht der Gemeinsamen Einrichtung KVG 2008

Alle Versicherer sind solvent Die Gemeinsame Einrichtung KVG übernimmt für die einzelnen Krankenkassenversicherer die Koordination der internationalen Leistungsaushilfe, die Leistungsabwicklung für zahlungsunfähige Versicherer sowie den Risikoausgleich. 2008 ist das Umverteilungsvolumen im Risikoausgleich erneut stark angestiegen – um beinahe zehn Prozent.

Die Geschäftsstelle der Stiftung beschäftigte 2008 66 Personen (54 Vollzeitstellen). Das sind zwei mehr als im Vorjahr. 2008 erbrachte die Gemeinsame Einrichtung KVG in 123 734 Fällen Leistungsaushilfe im Gesamtbetrag von mehr als 156 Millionen Franken (Vorjahr: 130 Millionen Franken). 34 Prozent der Fälle und 48 Prozent der Kosten entfielen auf Personen aus den EG-/EFTA-Staaten mit vorübergehendem Aufenthalt in der Schweiz. Die Gemeinsame Einrichtung KVG übernimmt bei der Umsetzung der Personenfreizügigkeit und des revidierten EFTA-Abkommens sowohl Aufgaben als Verbindungsstelle als auch Aufga-

ben als aushelfender Träger im Bereich Krankheit, Mutterschaft und Nichtbetriebsunfall. Insolvenzfonds: 71 Millionen Franken

Um die Kosten der gesetzlichen Leistungen von zahlungsunfähigen Krankenversicherern gemäss Art. 18 Abs. 2 KVG übernehmen zu können, beschloss der Stiftungsrat der Gemeinsamen Einrichtung am 2. Juli 1997, einen Insolvenzfonds zu bilden. Angestrebt wurde eine Höhe von 50 bis 60 Millionen Franken. Als Folge der Insolvenz der Krankenkasse Zurzach hat der Stiftungsrat dem Vorschlag des BAG zugestimmt, eine Fondshöhe von mindestens 100 Millionen Franken anzustreben. Die letzte Äufnung des Insolvenzfonds erfolgte auf den 30. Juni 2008. Es handelt sich dabei um den Beitrag in den Fonds für das Jahr 2007, welcher auf zwei Franken pro grundversicherte Person festgesetzt wurde. Am 31. Dezember 2008 erreichte der Insolvenzfonds einen Stand von rund 71 Millionen Franken (Vorjahr rund 54 Millionen Franken). Für die Insolvenzfälle Zurzach, Accorda und KBV wurden bis

UMVERTEILUNGSVOLUMEN IM DEFINITIVEN RISIKOAUSGLEICH 1600

18

1400

16 14

1200

12

1000

10 800 8 600

6

400

4

200

2 0

0 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008

UMVERTEILUNGSVOLUMEN (MIO FR.)

ZUNAHME IN %

Das Umverteilungsvolumen im Risikoausgleich hat sich seit dem Jahr 2000 praktisch verdoppelt.

Organe der Stiftung Stiftungsrat Präsident: Dr. iur. Markus Moser Vizepräsident: Dr. David Queloz Übrige Mitglieder: Guido Klaus, Urs Roth, Roland Zurflüh Geschäftsführer: Rolf Sutter

Ende 2008 gesetzliche Leistungen in der Höhe von rund 94 Milionen Franken finanziert. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die gesetzlichen Leistungen, welche aus dem Insolvenzfonds finanziert werden müssen, höher sind als von den insolventen Versicherern und vom BAG prognostiziert. Hinweise auf die drohende Insolvenz einer weiteren Krankenkasse liegen nicht vor. Umverteilungsvolumen erneut gestiegen

Die Statistik des Risikoausgleichs zeigt auf, dass das Umverteilungsvolumen zwischen den Krankenversicherern seit dem Inkrafttreten des KVG stetig, zum Teil auch sprunghaft getiegen ist (vgl. Grafik). Betrug das Volumen anfänglich noch 530 Millionen Franken, waren es 2007 bereits 1323 Millionen Franken und 2008 sogar 1445 Millionen Franken. Ende des Jahres 2008 waren noch sechs Beschwerdefälle beim Bundesgericht hängig. Wie den Kenndaten des Risikoausgleichs weiter zu entnehmen ist, waren 2008 rund 7,6 Mio Personen bei einem der 88 Krankenversicherer obligatorisch versichert. Das waren 85 000 Versicherte oder ein Prozent mehr als 2007. Die Kosten in der Grundversicherung stiegen 2008 gegenüber dem Vojahr um fünf Prozent auf 22,66 Milliarden. Franken. Pro versicherte Person betrug der Anstieg allerdings nur drei Prozent. 2008 verursachte ein Versicherter im Durchschnitt Kosten von 2981 Franken (gegenüber 2861 Franken 2007). Um drei Prozent stieg auch die Kostenbeteiligung. Jeder Versicherte bezahlte 2008 im Durchschnitt 433 Franken (2007:419 Franken) aus dem eigenen Portemonnaie an die Krankenpflegekosten. joseph ziegler

26 | Gesundheitswesen 9/09


Monats Dass hohes Alter meist nicht mit Pflegebedürftigkeit und Demenz einhergeht, beweisen die zahlreichen rüstigen Seniorinnen und Senioren. Diese Männer hier haben aber noch etwas ganz anderes vor als eine Rundwanderung auf der Rigi oder einen Pfingstausflug ins Tessin. Sie wollen am härtesten Marathonlauf der Welt teilnehmen. Der Sibirien-Marathon findet jeden Winter in der Nähe der Millionenstadt Omsk statt. Um die 200 Läufer gehen jeweils an den Start. Nur eine Handvoll von ihnen beendet das Rennen. Die Wettkampftemperaturen liegen regelmässig zwischen minus 30 und minus 40 Grad. Ein amerikanischer Teilnehmer schildert dem «Spiegel», warum er den Marathon nach elf Kilometern abbrechen musste: «Ich hatte Eiszapfen an den Augenlidern, mein linkes Auge war praktisch zugefroren und mein Halskragen, eine Spezialkonstruktion für den Atemschutz, wurde zu einem Eisblock um den Hals. Ich konnte einfach nicht mehr.» Ob unsere Senioren das Rennen beendet haben und in welchem Zustand, lässt sich leider nicht in Erfahrung bringen. Vielleicht haben sie es geschafft und lächeln jetzt milde über die «Eisenmänner» von Hawaii mit ihrem lächerlichen Rennen bei Kuscheltemperaturen.

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Bild

Foto: Prisma

Vergesst das Marathon-Establishment – das hier sind die wahren «Ironmen»


Darf ein Chiropraktor ergotherapeutische Behandlungen verordnen?

In der Schweiz darf ein Chiropraktor keine ergotherapeutische Behandlung verordnen. Art. 4 der Krankenpflege-Leistungsverordnung ist eindeutig: Die Versicherung übernimmt die Kosten der folgenden von Chiropraktoren und Chiropraktorinnen verordneten Analysen, Arzneimittel, der Untersuchung oder Behandlung dienenden Mittel und Gegenstände sowie bildgebenden Verfahren: • Analysen: die Analysen sind gestützt auf Artikel 62 Absatz 1 Buchstabe b KVV in der Analysenliste separat bezeichnet. • Arzneimittel: pharmazeutische Spezialitäten der therapeutischen Gruppen 01.01. Analgetica und 07.10. Arthritis und rheumatische Krankheiten der Spezialitätenliste, soweit die zuständige schweizerische Prüfstelle für diese Spezialitäten als Verkaufsart eine Abgabe durch Apotheken ohne ärztliches Rezept (C) oder eine Abgabe durch Apotheken und Drogerien (D) bestimmt hat. • Mittel und Gegenstände: 1. Produkte der Gruppe 05.12.01. Halskragen der Liste der Mittel und Gegenstände, 2. Produkte der Gruppe 34. Verbandmaterial der Liste der Mittel und Gegenstände für die Anwendung an der Wirbelsäule. • Bildgebende Verfahren: 1. Röntgen des Skelettes, 2. Computertomographie (CT) des Skelettes, 3. Magnetische Kernresonanz (MRI) des Achsenskelettes, 4. Szintigrafie des Skelettes.

Neu seit dem 01.07.2009: • Physiotherapeutische Leistungen. Soeben habe ich in der Zeitschrift Saldo gelesen, dass santésuisse dem BAG den Antrag gestellt hat, die Teststreifen nicht mehr aus der Grundversicherung zu bezahlen. Ich bin seit 31 Jahren Diabetiker Typ I und verstehe die Welt nicht mehr.

Dieser Artikel ist nicht in allen Punkten korrekt. Er verursacht unnötige Ängste und Befürchtungen bei Insulin-Patienten. Insbesondere unterscheidet er nicht deutlich zwischen insulinabhängigen und insulinunabhängigen Patienten. Richtig ist: Die Grundversicherung bezahlt allen Diabetikern die Teststreifen (den nicht insulinpflichtigen Diabetikern höchstens 400 pro Jahr). Was die insulinpflichtigen Diabetiker angeht, ist die Leistungspflicht der Grundversicherung auch aus Sicht von santésuisse unbestritten. Falsch ist die Aussage, dass santésuisse dem BAG einen Antrag gestellt habe, die Blutzucker-Teststreifen aus der Mittel und Gegenstände-Liste zu streichen. Die Wirksamkeit der Blutzuckerkontrolle mit Teststreifen bei nicht insulinpflichtigen Diabetikern ist umstritten. Die Resultate der Studien widersprechen sich. Verängstigte saldo-Leser, die eine Insulintherapie machen, können wir beruhigen. Niemand, auch nicht santésuisse, ist der Meinung, dass die Grundversicherung ihre Teststreifen nicht mehr übernehmen soll.

Foto: Prisma

Klipp klar

Leistungen in der Grundversicherung: Fragen aus der Praxis

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Die Schweiz als Vorbild für die USA In den USA gilt die Schweiz in Sachen Gesundheitswesen als Musterknabe: Jenseits des Atlantiks wird das Schweizer Modell in Artikeln, Kolumnen und Reportagen als mögliche Lösung angepriesen. Anfangs Oktober veröffentlichte die Los Angeles Times auf ihrer Meinungsseite einen Beitrag der ehemaligen Bundespräsidentin Ruth Dreifuss, welche die Reform des Schweizer Gesundheitssystems erläuterte. In derselben Woche publizierte die New York Times eine lange, auf Zahlen gestützte Reportage über das Schweizer Modell. Ein Journalist war dafür extra nach Zürich gereist. Die New York Times rühmte die universelle Deckung, das Existieren privater Krankenversicherer, die freie Wahl der Konsumenten und einen Staat, der sich mit der Überwachung begnügt. Im August widmete der Wirtschafts-Nobelpreisträger 2008, Paul Krugman, seine bekannte wöchentliche Kolumne in der New York Times dem Schweizer Gesundheitssystem. Obwohl Krugman in der gegenwärtig zur Debatte stehenden Reform eine staatliche Option vorziehen würde, sieht er im Schweizer Modell der universellen Deckung bereits einen bedeutenden potenziellen Fortschritt. Auch andere Medien haben das Schweizer System als positives Beispiel angeführt. Wenn auch einige Beobachter der Ansicht sind, dass man das Schweizer System nicht gleich nachahmen sollte, so denken sie trotzdem, dass die Vereinigten Staaten von Amerika

viel von der Schweiz lernen können. Sogar einer der berühmten Talkmaster beim konservativen Fernsehsender Fox News, Bill O’Reilly, sprach sich für das Schweizer Modell aus. Manche Blogs gehen sogar so weit, das Schweizer System als «das beste der Welt» zu bezeichnen. Auf dem meistgelesenen Polit-Blog der USA, «Huffington Post», war es kürzlich die Präsidentin der Demokraten in der Schweiz, Caitlin Kraft Buchman, die sich entsprechend äusserte. Im letzten August hatte sich eine Delegation des US-Kongresses sogar in die Schweiz begeben, um sich mit Experten des Bundesamts für Gesundheit (BAG) zu treffen. Auch dessen Direktor, Thomas Zeltner, hatte Kontakte zu den Verwaltungsmitgliedern unter Präsident Obama. Anfang November wird er überdies in Washington eine Konferenz zu diesem Thema abhalten. Dieses Interesse an der Schweiz rührt auch daher, dass eine der anerkanntesten Spezialistinnen im amerikanischen Gesundheitssystem, Regina Herzlinger, Professorin an der Harvard Business School, das Schweizer Modell vertieft studiert hat. In zahlreichen Artikeln definiert sie es als ein «ausgezeichnetes Modell für die Vereinigten Staaten». Sie spricht davon auch in ihrem 2007 erschienenen Bestseller «Who Killed Health Care?» Das Interesse der USA am Schweizer Gesundheitssystem existiert also schon länger.

Service

Das «beste Gesundheitssystem der Welt?»

www.famsanti.ch geht online

Neue Informationsplattform zur Krankenversicherung Die neue Infobroschüre «1x1 der Krankenversicherung», die auf einfache, aber fundierte Weise Basiswissen zum Krankenversicherungssystem vermittelt, ist jetzt online. Unter www.famsanti.ch können sich alle die Informationen holen, die sie brauchen, und zwar ohne Umschweife und so, dass es Spass macht. Drei Generationen der Familie Santi helfen dabei, die richtigen Antworten zu den auf Altersgruppe und Lebenssituation zugeschnittenen Fragen zu finden. Konzipiert ist das Ganze als so genannte «Wissensdatenbank». Selber testen ist unbedingt empfohlen!

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Euro Health Consumer Index 2009: Fünfter Platz für die Schweiz Dem Euro Health Consumer Index (EHCI) 2009 zufolge hat die Schweiz eines der besten Gesundheitssysteme Europas. Mit 788 von insgesamt 1000 Punkten steht sie unter 33 Ländern auf dem fünften Platz. Damit hat sich die Schweiz im Vergleich zum letzten Jahr um zwei Plätze verbessert. Die Niederlande sind zum zweiten Mal in Folge mit 863 Punkten Spitzenreiter, gefolgt von Dänemark (819), dem Neuling Island (811) und Österreich (795). Die Schweiz erreicht ein gutes Resultat hinsichtlich der Wartezeiten für Behandlungen, des Zugangs zu Medikamenten und der Behandlungsergebnisse. Dieser Index platziert die Schweiz vor Deutschland und Frankreich, jedoch hinter Österreich. Die Länder an der Spitze haben mit der Einführung von Informationssystemen begonnen und beziehen den Patienten systematisch in Behandlungsentscheide mit ein. Am Ende der Liste stehen viele Länder, deren Gesundheitssystem in überholter, stark hierarchisierter und nicht transparenter Form erstarrt ist. Diese Kluft zwischen den verschiedenen Ländern widerspricht den europäischen Prinzipien von Gleichheit und Solidarität. Der EHCI beruht auf 38 Indikatoren aus sechs Bereichen: Patientenrechte und Information, e-Health, Wartezeiten für Behandlungen, Behandlungsergebnisse, Angebot und Reichweite der angebotenen Dienstleistungen und Zugang zu Medikamenten. Im Allgemeinen haben sich alle bewerteten Länder verbessert – bis auf Spanien und Griechenland, die sich weiter verschlechtert haben. In den meisten Ländern Ost- und Mitteleuropas scheint sich zudem die Finanzkrise bemerkbar zu machen. Der vollständige Bericht ist abrufbar unter: http://www.healthpowerhouse.com/ – International Indexes – Euro Health Consumer Index

Aus aller Welt

Service

Qualität der Gesundheitssysteme: Innereuropäische Kluft bleibt gross

Hanf-Eldorado Kalifornien Seit Kalifornien den Marihuana-Konsum aus medizinischen Gründen erlaubt hat, schiessen die Hanfläden wie Pilze aus dem Boden. Inzwischen sind es alleine in Los Angeles beinahe 1000. Starbucks-Cafés gibt es deutlich weniger.

Auto bockt bei Betrunkenen Wer in Kalifornien betrunken beim Autofahren erwischt wird, muss nun ein Alkoholtestgerät in seinem Auto installieren. Erst wenn das Testgerät zulässige Alkoholwerte ermittelt hat, lässt sich der Wagen starten.

Mekka muss warten Top 10 Euro Health Consumer Index 2009 Rang 1

Land Niederlande

Entwicklung -

2

Dänemark

3

Island

-

4

Österreich

-1 +2

1. Beteiligung

5

Schweiz

6

Deutschland

7

Frankreich

+3

-

8

Schweden

-3

9

Luxemburg

-5

10

Norwegen

-2

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Die tunesische Regierung hat seinen Bürgern die diesjährige grosse Pilgerfahrt nach Mekka untersagt. Das Verbot kommt vom Religionsministerium. Es fürchtet eine Ausbreitung der Schweinegrippe, wenn sich Tunesier zusammen mit zwei Millionen anderen Muslimen auf die Pilgerfahrt begeben.

Ambiente statt Qualität Das britische Gesundheitsministerium kürzt Krankenhäusern neuerdings das Budget, wenn die Patienten das Ambiente eines Krankenhauses als ungenügend einstufen. Während nun also fleissig am Interieur gearbeitet wird, werden die Wartelisten nicht kürzer. Facharztverbände protestieren entsprechend heftig.


Veranstaltungen Veranstalter

Besonderes

Datum/Ort

Weitere Informationen

Careum Congress 2009 Stiftung Careum

Thema: Globale Gesundheitsgesellschaft – 12./13. November nationale Herausforderungen Radisson Blu Hotel, Zurich Airport

www.careum.ch

SGGP Stakeholder Plattform 2009 Schweizerische Gesellschaft für Gesundheitspolitik

Thema: Nationale Gesundheitsziele für die 2. Dezember Schweiz Hotel Kreuz, Bern

www.sggp.ch

Fachsymposium Gesundheit Kantonsspital St. Gallen

Thema: Patientensicherheit

20./21. Januar 2010 Olma-Hallen, St. Gallen

www.fachsymposium.ch

26. Januar 2010 Swissôtel Zürich

www.irp.unisg.ch

Tarifverhandlungen bei SwissDRGs Institut für Rechtswissenschaft Referenten u.a. Michael Jordi (GDK), und Rechtspraxis, Universität Simon Hölzer (SwissDRG AG), Otto St. Gallen Bitterli (Sanitas), Stefan Meierhans (Preisüberwacher), Stefan Kaufmann (santésuisse)

Zeichnung: Marc Roulin

Melden Sie uns Ihre Veranstaltungen an: redaktion@santesuisse.ch! Weitere Veranstaltungen unter www.santesuisse.ch

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Ausschreibung der Berufsprüfung für die/den Krankenversicherungs-Fachfrau/Fachmann mit eidgenössischem Fachausweis 2010 santésuisse führt die Berufsprüfung für die/den Krankenversicherungs-Fachfrau/Fachmann mit eidgenössischem Fachausweis wie folgt durch: Ort:

Olten und Lausanne

Daten:

schriftliche Prüfung: Montag, 3. Mai 2010 mündliche Prüfungen: Dienstag, 4. Mai 2010 Mittwoch, 5. Mai 2010 Donnerstag, 6. Mai 2010

Zulassung:

Prüfung nach Prüfungsordnung 2008 Zur Prüfung wird zugelassen, wer a) über das Fähigkeitszeugnis einer dreijährigen Grundbildung oder eine gleichwertige Ausbildung (z.B. anerkanntes Diplom einer Handelsmittelschule, eidgenössische Matura) und eine Berufspraxis von mindestens vier Jahren nach Abschluss der Lehr- oder Studienzeit nachweist, wovon mindestens zwei Jahre in der Krankenversicherung nach KVG; b) sechs Jahre Berufspraxis in der Krankenversicherung nach KVG nachweist. Prüfung nach Reglement 2000 Kandidatinnen/Kandidaten, welche bereits die Berufsprüfung nach Reglement 2000 oder die Wiederholungsprüfung nach Reglement 2000 ohne Erfolg absolviert haben, werden wiederum nach Reglement 2000 und Wegleitung Ausgabe 2001 geprüft. Diese Prüfungsform wird nur noch 2010 angeboten.

Prüfungsgebühr:

CHF 1050.–, zahlbar nach schriftlichem Zulassungsentscheid

Anmeldung:

auf besonderem Formular, erhältlich bei santésuisse, Abteilung Ausbildung, Römerstrasse 20, Postfach, 4502 Solothurn, Tel. 032 625 41 41, Fax 032 625 41 51, E-mail: ausbildung@santesuisse.ch

Anmeldeschluss:

Freitag, 8. Januar 2010 (Poststempel)

Über die Zulassung zur Prüfung entscheidet die Prüfungskommission. Kandidatinnen/ Kandidaten werden darüber schriftlich informiert. Weitere Auskünfte erteilt die Abteilung Ausbildung von santésuisse.


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