infosantésuisse Nr.12/20006 deutsch

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infosantésuisse Magazin der Schweizer Krankenversicherer Nr. 12, Dezember 2006

Im Gespräch: Dr. Ruth Baumann-Hölzle, Leiterin des interdisziplinären Instituts «Dialog Ethik» Seite 6

Medikamenten-Hitparade 2005 Seite 22

IM FOKUS:

Ethik im Gesundheitswesen


INHALT

infosantésuisse  Nr. 12, Dezember 2006

SCHWERPUNKT 4 6 8 10 12 14 15

Effizienz im Gesundheitswesen ist eine ethische Pflicht Im Gespräch: Dr. Ruth Baumann-Hölzle, Leiterin des interdisziplinären Instituts «Dialog Ethik» Die Grundsätze der Krankenversicherer im Umgang mit Kunden Prävention und Gesundheitsförderung: Ein Gewinn für die gesamte Gesellschaft Lieber würdig sterben als lange leiden? Wie der Wille der Patienten immer mehr an Bedeutung gewinnt Drei Fragen an: Lisbeth Brücker, Leiterin des Ethik-Forums am Kantonsspital Münsterlingen (TG) Migration und Gesundheit: Sprachliche und ökonomische Integration verbessern

Lieber würdig sterben als lange leiden: Wie der Wille der Patienten immer mehr an Bedeutung gewinnt Seite 12

KRANKENVERSICHERUNG 16 Kostentreiber im Gesundheitswesen – Studie von Prof. Tilman Slembeck

GESUNDHEITSWESEN 8 1 20 22

Im Gespräch: Charles Favre, neuer Präsident von H+ Arbeitstagung Nationale Gesundheitspolitik in Basel: Bekenntnis zur Hausarztmedizin Medikamenten-Hitparade 2005: Generika in Angriffsposition

SERVICE 3 2 23 23 24

News aus aller Welt LOA: Kritikpunkte bereinigt Gesunder Lebensstil statt vieler Tabletten Buchtipp: Partnerschaftsgesetz und Sozialversicherungen

4 2 24 24 25 25

Krankenversicherer bekennen sich zu DRG Neue Positionspapiere auf www.santesuisse.ch Erscheinungsdaten infosantésuisse 2007 Veranstaltungskalender

Wer sind die Kostentreiber im Gesundheitswesen?

Seite 16

Im Gespräch: Charles Favre, neuer Präsident von H+ Seite 18

Nr. 12, Dezember 2006 Erscheint zehnmal jährlich

Layout: Henriette Lux

Abonnementspreis: Fr. 69.− pro Jahr, Einzelnummer Fr. 10.−

Anzeigenverwaltung: Alle Inserate − auch Stelleninserate − sind zu richten an: «infosantésuisse», Römerstrasse 20, Postfach, 4502 Solothurn

Herausgeber und Administration: santésuisse, Die Schweizer Krankenversicherer, Römerstrasse 20, Postfach, 4502 Solothurn Verantwortliche Redaktion: Peter Kraft, Abteilung Politik und Kommunikation, Postfach, 4502 Solothurn, Tel. 032 625 42 71, Fax 032 625 42 70

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ISSN 1660-7228

Titelbild: Heiner Grieder, Langenbruck


EDITORIAL

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Ethik im Gesundheitswesen

E Beat Ochsner Verwaltungsrat santésuisse

thik – ein grosses Gebiet der Philosophie – ist als Begriff in zahlreichen Definitionen umrissen und im Gesundheitswesen in vielen Fragestellungen gefordert. In diesen Zeilen sei Ethik als Grundlagendisziplin verstanden, die Kriterien für gutes und schlechtes Handeln aufzustellen versucht und eine Bewertung der Motive und Folgen dieses Handelns vornimmt. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich der Wert Gesundheit in Mitteleuropa gesellschaftspolitisch in Richtung einer neuen Religion entwickelt. Es besteht sozusagen ein Anspruch auf Gesundheit. Die urmenschliche Sehnsucht nach ewiger Jugend treibt ganze Industrien an, dem Alter den Kampf anzusagen. Die Möglichkeiten dazu werden immer besser. Bereits hier zeigen sich erste Fragen, die einer ethischen Überprüfung bedürfen. Es ist im Bereich der Forschung zu diskutieren, wo die Grenzen der Machbarkeit liegen sollen. Die Regeln der Marktwirtschaft und die Würde des Lebens können hier Gegensätze werden, welche nur ein gesellschaftspolitischer Konsens auflösen kann. Oder sind bei Transplantationen nur beschränkt Organe verfügbar, braucht es Kriterien, welche Patienten zuerst geheilt werden sollen. Die Entscheidung dafür von Fall zu Fall dem Operateur zu überlassen, würde nicht nur der Willkür Tür und Tor öffnen, sondern wäre auch für den Entscheidungsträger eine nicht zu vertretende Belastung. Für die Krankenversicherer zentral werden die ethischen Fragestellungen, wenn es um die künftige Finanzierbarkeit unserer Gesundheitsversorgung und den Zugang zum System als solchem geht. Bereits über 30 Prozent der Bevölkerung können sich auch in der reichen Schweiz die Prämien für die Krankenversicherung nicht mehr ohne staatliche Unterstützung leisten. Die Frage der Rationierung ist gestellt. Von der weltweiten Dimension der Frage, wer wie viel an Gesundheitsversorgung zugut hat, sehen wir einmal gänzlich ab.

In dieser Ausgabe von infosantésuisse sollen eine kleine Auswahl von Problemen, die für eine Lösung nach der Definition von ethischen Kriterien rufen, zur Diskussion gebracht werden. Immer wieder wird dabei die Frage der beschränkten finanziellen Ressourcen auftauchen. Ich denke, dass dabei ein ethisches Prinzip immer Geltung haben muss: Solange wir die Bezahlbarkeit unserer Gesundheitsversorgung hier in der Schweiz und damit einen guten Zugang für alle sichern können, indem wir die unnötigen Ineffizienzen eliminieren, müssen wir dies tun. Die anstehende Reform des KVG könnte einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass die Anreize dafür richtig gesetzt werden.


SCHWERPUNKT

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Kostendruck darf nicht zu willkürlicher Rationierung führen

Effizienz im Gesundheitswesen ist eine ethische Pflicht Die Mittel, die für das Gesundheitswesen zur Verfügung stehen, sind auch hierzulande nicht mehr unbeschränkt. Zu fragen, welche medizinischen Leistungen welchen Nutzen bringen, ist deshalb zu einer ethischen Pflicht geworden. Das Gesundheitswesen ist inzwischen so teuer, dass wir uns Ineffizienz nicht mehr leisten können. Die Devise muss – auch aus ethischer Perspektive – lauten: Rationalisieren statt Rationieren. Denn nur so ist eine optimale medizinische Versorgung für alle auch in Zukunft garantiert.

V

or dreissig Jahren war der medizinische Handlungsspielraum sehr viel stärker eingeschränkt als heute. Meist gab es für eine bestimmte Erkrankung lediglich eine bestimmte Behandlung. Und die Finanzierbarkeit der Leistungen war ohne jeden Zweifel gewährleistet. Dass damals – finanziell gesehen – ziemlich viel Luft im System war, zeigt die Dissertation von Gerhard Kocher über die KUVG-Revision von 1964: Die Ärzte sprachen sich damals gegen die obligatorische Zusammenarbeit mit den Krankenversicherern aus, weil der lukrative Markt mit den Patienten, die sich die teure Privatversorgung leisten konnten, noch sehr gross war.

tuation geführt, die unweigerlich neue, ethisch höchst bedeutsame Fragestellungen mit sich bringt: • Ist die Belastung der Bevölkerung mit unnötigen Gesundheitskosten verantwortbar? • Wie lassen sich Kosten sparen, ohne die Qualität der medizinischen Versorgung zu schmälern? • Welche Behandlung unter vielen Alternativen ist für den Patienten am besten? • Was sind die Vorteile einer teureren Behandlung für die Patientin? Ist der Nutzen gering: Soll die Behandlung trotzdem durchgeführt werden?

Keine Willkür am Krankenbett Kostendruck bringt neue Fragen Heute sieht die Situation grundlegend anders aus: Für die meisten Krankheiten gibt es ältere und neuere, sichere und risikoreichere, schonende und radikalere, günstigere und teure Therapien. Wenn früher die Diagnose die schwierigste Aufgabe für einen Arzt war, so ist es heute die Wahl der richtigen Behandlungsalternative. Die Kosten des Gesundheitswesens geben inzwischen Anlass zu heftigen Diskussionen. Kein Wunder: Ein Drittel aller Schweizerinnen und Schweizer ist nicht mehr in der Lage, die Krankenversicherungsprämie ohne staatliche Unterstützung zu zahlen. Kosten und Prämien in der Grundversicherung steigen seit Jahren um ein Mehrfaches stärker als das Bruttoinlandprodukt. Mengenausweitung, Preissteigerungen, der medizinische Fortschritt, aber auch die Begehrlichkeiten aller Akteure rund um den immer grösseren Gesundheitskuchen haben zu dieser Si-

Das interdisziplinäre Institut für Ethik im Gesundheitswesen «Dialog Ethik» (siehe Interview auf den folgenden Seiten) stellt in seinem «Manifest für eine faire Mittelverteilung im Gesundheitswesen»* klar: Erstens ist es eine ethische Pflicht, alle Sparmassnahmen im Gesundheitswesen auszuschöpfen, die keine Qualitätseinbusse zur Folge haben. Es braucht Behandlungsrichtlinien für kostenintensive Therapien, die vorgeben, wann und wie solche Behandlungen angewendet werden und wann auf sie verzichtet wird. Keinesfalls, so «Dialog Ethik», dürfen Entscheidungen darüber, ob ein Patient eine bestimmte medizinische Leistung erhält, von Fall zu Fall von den Leistungserbringern getroffen werden. Diese «implizite Rationierung» drohe allerdings, wenn dem steigenden Kostendruck im Gesundheitswesen keine Effizienz steigernden und damit Kosten dämpfenden Reformen entgegengesetzt werden.

Schritte zu mehr Effizienz Die Krankenversicherer sind ebenfalls der Meinung, dass eine Rationierung nur


keit und der Zweckmässigkeit der bestehenden Handlungsmöglichkeiten in der Medizin hat Vorrang vor der Entwicklung neuer Handlungsoptionen.» Wenn klar ist, dass die neue Leistung aus Kostengründen nicht allen angeboten werden kann, denen sie etwas bringen würde, braucht es klare Richtlinien für die Anwendung. Können solche Richtlinien nicht aufgestellt werden, sollen teure Therapien nur zurückhaltend eingeführt werden. • Massnahmen, die einem besseren Wohlbefinden von Gesunden dienen, haben im Leistungskatalog der Grundversicherung nichts zu suchen. • Die Koordination unter den Akteuren des Gesundheitswesens muss sich verbessern. Insbesondere müssen die Leistungserbringer in übergreifenden Struk-

Die vielen verschiedenen Angebote der Medizin bringen grossen Nutzen, werfen aber auch ethische Fragen auf.

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turen zusammenarbeiten, die Zusammenarbeit unter den Kantonen verbessert und die Interessensverflechtungen der einzelnen Akteure transparent werden. • Die Anreize müssen so gesetzt werden, dass die Leistungserbringer eine optimale und nicht eine maximale Medizin praktizieren. • Qualität und Wirtschaftlichkeit von medizinischen Leistungen müssen transparent und vergleichbar werden.

Handeln ist Pflicht

Fotos: Prisma

als allerletzte Handlungsoption in Frage kommt, und schon gar nicht in der perfiden impliziten Form. Deshalb sind auch sie der Ansicht, dass die Umsetzung folgender Grundsätze ethische Pflicht ist: • Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit aller Behandlungen des Leistungskatalogs müssen nachgewiesen sein. Aus praktischen Gründen müssen in erster Linie teure Therapien strikte nach wissenschaftlich ermittelten Behandlungspfaden und nach den Grundsätzen der Evidence Based Medicine angewendet werden. • Wenn neue Leistungen zu Lasten der Allgemeinheit in den Grundversicherungskatalog aufgenommen werden, muss deren Nutzen im Verhältnis zu den Mehrkosten belegt sein. Dialog Ethik schreibt dazu: «Die Überprüfung der Wirksam-

SCHWERPUNKT

Diese Forderungen der Krankenversicherer gehen weit über eine einseitige Interessensvertretung hinaus: «Dialog Ethik» vertritt in seinem Manifest praktisch identische Ideen. Die Umsetzung solcher Schritte ist Pflicht, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, dass in Zukunft nicht mehr alle notwendigen Behandlungen finanziert werden können. Diese Aussichten und die Gefahr der impliziten Rationierung sollen nicht dazu verwendet werden, um Panik zu schüren und unüberlegte Massnahmen durchzupeitschen. Jedoch ist zu hoffen, dass die Politik und die Akteure des Gesundheitswesens die Chance nutzen, rechtzeitig reagieren und die Ineffizienzen und falschen Anreize im System korrigieren. Oder um es mit den Worten von Dialog Ethik auszudrücken: «Die medizinischen Handlungsmöglichkeiten erweitern sich ständig und vergrössern die Verteilungsproblematik. Eine fatalistische Haltung dieser Entwicklung gegenüber wäre genauso verfehlt wie einseitiger Optimismus. Es muss etwas geschehen. Dass es nicht einfach ist, diesbezüg­lich Konsense innerhalb der Gesellschaft zu finden, haben wir auch als Arbeitsgruppe erfahren. […] Nur schon die Tatsache, dass wir uns zum Schluss auf einen gemeinsamen Text einigen konnten, ist bei der Komple­xität und Schwierigkeit der Thematik, die alle Menschen betrifft, sehr erfreulich. Sie, liebe Leserin und lieber Le­ ser, hoffen wir mit diesem Manifest zum Weiterdenken und Weiterhandeln ermutigt zu haben.»  Peter Kraft *Das Manifest wurde von einer interdisziplinären Arbeitsgruppe von Spitaldirektoren, leitenden Ärzten, Pharmazeuten, Pflegenden, Naturheilpraktikern, Ethikern, Juristen, Ökonomen, Spitalgeistlichen etc. verfasst. Es ist im Internet zu finden unter: www.dialog-ethik.ch – Publikationen/Medien – Stellungnahmen


SCHWERPUNKT

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Im Gespräch: Dr. Ruth Baumann-Hölzle, Leiterin des interdisziplinären Instituts «Dialog Ethik»

«Wir haben ein absolut paradoxes Anreizsystem» Das interdisziplinäre Institut «Dialog Ethik» unterstützt Spitäler und Heime bei der ethischen Entscheidungsfindung und äussert sich in Schriften und Publikationen immer wieder zu ethischen Fragen rund um das Gesundheitswesen. infosantésuisse hat mit der Institutsleiterin, Ruth Baumann-Hölzle, über ihre Vorstellungen von einem ethisch vertretbaren Gesundheitswesen gesprochen – und über den Ethik-Transfer in Organisationen des Gesundheitswesens in Form von Ethik-Foren und Entscheidungsfindungsverfahren. Für sie ist klar: Nur im Rahmen eines transparenten Gesundheitswesens mit einem anderen Anreizsystem ist die Verteilund Solidargerechtigkeit gesichert.

infosantésuisse: Die Kosten im Gesundheitswesen steigen weiterhin – und damit auch der Druck, Kosten dämpfende Reformen einzuführen. Was sind aus Ihrer Sicht ethische Richtlinien für Sparmassnahmen im Gesundheitswesen? Dr. Ruth Baumann-Hölzle: Die Verteil- und Solidargerechtigkeit zwischen den Versicherten und die Grundversorgung müssen in jedem Fall sicher gestellt bleiben. Es ist allerdings nicht einfach zu definieren, was in die Grundversorgung gehört. Zudem geht es vielmehr um eine Neuorganisation des Gesundheitswesens an und für sich: Die Anreize müssen korrigiert und die Transparenz verbessert werden.

«Es ist schon aufschlussreich, dass eine liberale Marktwirtschaft Parallelimporte verbietet und den Kontrahierungszwang nicht aufhebt.» Es gibt Wissenschaftler und Politiker, die befürchten, dass der Kostendruck schon bald zu impliziter Rationierung – also zur Verweigerung von notwendigen medizinischen Leistungen im Einzelfall – führen könnte. So gesehen wäre eine Effizienzsteigerung schon fast eine ethische Pflicht? 1999 publizierten wir mit einer interdisziplinären Arbeitsgruppe unser «Manifest für eine faire Mittelverteilung im Gesundheitswesen». Schon damals hatten wir die Befürchtung, dass in gewissen Bereichen verdeckte Rationierungen vorkommen. Gerade dieses Jahr sind weitere Studien erschienen, die diesen Verdacht bestätigen. Gefährdet sind vor allem chronisch

Kranke, die «austherapiert» sind: Sie sind unheilbar krank und «nur» noch pflegebedürftig. Solche Patienten kommen oft nicht mehr für teure Medikamente und Therapien in Frage und sind deshalb finanziell weniger interessant. Sie sind ausserdem das Gegenbild unserer Gesellschaft, in der Funktionalität und Autonomiefähigkeiten vom Einzelnen gefordert werden. Aber gerade die Art, wie wir mit chronisch kranken und behinderten Menschen umgehen, sagt viel über die Humanität einer Gesellschaft aus. Die steigenden Kosten, die ja mitverantwortlich sind für solche verdeckten Rationierungen, sind nicht naturgegeben, sondern das Resultat gewisser Rahmenbedingungen. Ein Hauptfaktor sind die enormen Gewinnmargen der Pharmaindustrie. Diese mit den hohen Forschungskosten zu legitimieren, hält einer näheren Betrachtung nicht stand, denn die Überschüsse werden nach Abzug dieser Investitionen ausgewiesen. Die entscheidenden Fragen sind: Was läuft falsch bei der Preisgestaltung? Wie ist es möglich, dass massiv teurere Neuprodukte mit marginalem Zusatznutzen auf den Markt geworfen werden können? Warum sind Parallelimporte nicht erlaubt, oder warum fällt der Kontrahierungszwang nicht? Heute ist die Mengenausweitung für die Leistungserbringer lukrativer als die Optimierung der Behandlung. Ist so ein Anreizsystem ethisch vertretbar? Wir haben ein absolut paradoxes Anreizsystem: Einerseits leben alle Stakeholder im Gesundheitswesen von der Mengen-

ausweitung, gerade die Leistungsanbieter. Gleichzeitig wird von ihnen verlangt, dass sie sparen sollen. Dies führt zu einer Überbehandlung, wenn es sich bei einem Patienten finanziell lohnt, und zu einer verdeckten Rationierung bei den Patientengruppen, die finanziell nicht interessant sind. Es braucht politische Reformen, die aber durch die vielen Interessensverflechtungen in der Politik oder unter den Akteuren behindert werden. Es ist schon aufschlussreich, dass eine liberale Marktwirtschaft Parallelimporte verbietet und den Kontrahierungszwang nicht aufhebt. Also müssten die Interessensverflechtungen transparent werden… Natürlich. Es muss bekannt sein, welcher Politiker in welchem Verwaltungsrat sitzt, oder welche Firma welchen Lehrstuhl sponsert.

«Wenn Krankheit zu Schuld wird, verabschieden wir uns von der Solidarität. Das ist ethisch nicht vertretbar.» Wie viel Eigenverantwortung soll der Einzelne für seine Gesundheit tragen? Dort stellt sich die Frage: Welche bewusst eingegangenen Risiken wollen wir tolerieren? Soll ein Bergsteiger keine Zahlungen für eine Unfallbehandlung erhalten, weil er den Unfall mit einem Risikosport provoziert hat? Hinzu kommt der Zusammenhang zwischen sozialer Schicht und Gesundheitsverhalten: Je höher das Einkommen und je besser die Ausbildung, desto


gesünder sind die Menschen, und desto länger ist ihre Lebenserwartung, auch weil sie sich zum Beispiel mehr bewegen und gesünder ernähren. Die Frage ist also, ob wir die Verantwortung für gesundheitsschädigendes Verhalten wirklich vollumfänglich dem Individuum zuschieben können. Warum ist ein Alkoholiker Alkoholiker? Warum bekommt ein Top-Manager einen Herzinfarkt? Warum raucht ein Arbeiter mehr als eine Kaderfrau? Wenn Krankheit zu Schuld wird, verabschieden wir uns von der Solidarität. Das ist ethisch nicht vertretbar. Wie stehen Sie zu einer separaten Pflegeversicherung für Menschen über einer gewissen Altersgrenze? Die Pflege ist für mich die humanitäre Kernverantwortung jeder Gesellschaft. Im Tierreich gibt es zwar die Brutpflege, nicht aber die Pflege der Kranken und Schwachen. Gerade die Pflegebereitschaft gehört zur Humanität schlechthin. Verabschieden wir uns von der allgemeinen Pflegeverantwortung, dann verabschieden wir uns auch von der Menschlichkeit und geben die Solidarität preis. Die erhöhte Pflegebedürftigkeit im Alter ist von unserer Natur her gegeben. Das als separates Risiko zu formulieren, hiesse ja, dass das Menschsein an sich ein Risiko ist.

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Soll auch die Lebensqualität, mit der ein Patient länger lebt, berücksichtig werden? Solche Entscheide sind im Gespräch mit dem Patienten zu klären und, falls dies nicht mehr möglich ist, zusammen mit nahe stehenden Menschen und dem ganzen Betreuungsteam. Keinesfalls sollten solche Entscheidungen von einem Arzt oder einer Ärztin allein getroffen werden. Denn jeder Arzt entscheidet aufgrund seinen Erfahrungen und Moralvorstellungen anders. Der Patient ist so viel zu stark einer

Centern und interdisziplinärem Austausch in Kontakt. Nach meiner Rückkehr 1987 habe ich eine solche interdisziplinäre Gruppe gegründet. Zusammen mit ganz verschiedenen Behandlungsteams haben wir Modelle zur Entscheidungsfindung entwickelt, welche das Spitalpersonal in schwierigen Situationen selbst anwenden können. Es geht also nicht um eine externe Ethikberatung: Wir unterstützen die Spitäler bei der Gründung von Ethik-Foren, schulen die Mitglieder – die sich aus den verschiedensten Mitgliedern des Spitalpersonals zusammensetzen – und entwickeln mit ihnen zusammen Entscheidungsfindungsverfahren für konkrete Entscheide. Ist ein Behandlungsteam einmal geschult, beschränkt sich unsere Rolle auf die Supervision und auf gelegentliche Evaluationen. Die Entscheidung bleibt so bei den Behandlungsteams. Heute haben insgesamt 13 Spitäler und Heime Ethik-Foren, die nach unseren Modellen arbeiten Wir bieten auch eine eidgenössisch zertfizierte Master-Ausbildung «Ethische Entscheidungsfindung in Organisation und Gesellschaft» an, die es den Absolventen erlaubt, solche Ethik-Foren selber zu leiten. Das hat dazu geführt, dass wir die Foren oft nur noch als Ethik-Experten begleiten. Foto: ZVG

SCHWERPUNKT

Gibt es Untersuchungen über die Welchen Preis dürfen neue mediAuswirkungen der Ethik-Foren? zinische Therapien haben? Oder Die Evaluierungen, auch mit exanders gefragt: Welcher Zusatznutternen, vom Nationalfond unterzen rechtfertigt welche finanzielstützten Forschungsprojekten, zeilen Mehrkosten? gen, dass sowohl die Patienten- als Wenn ein Patient mit einem neuen «Ein Hauptfaktor für die Kostensteigerung sind die auch die Mitarbeiterzufriedenheit Krebsmittel sechs statt drei Monate enormen Gewinnmargen der Pharmaindustrie.» durch die Ethik-Foren gestiegen überlebt, wird dies als 50 Prozent ist. Auch ist nachgewiesen, dass mehr Wirkung verkauft. Dem sterEntscheide dank den implemenbenden Menschen stellen sich neben der einzelnen Persönlichkeit mit ihrem spezi- tierten Verfahren schneller und adäquaFrage der Lebensdauer ganz andere: Wie fischen Lebensentwurf ausgeliefert. ter getroffen werden. Die vielfältigen Erkann und will ich mich von jenen, die ich fahrungen zeigen, dass der von uns angern habe, verabschieden? Wer beglei- «Dialog Ethik» unterstützt die Spitäler bei gestrebte Ethik-Transfer ethisch vertrettet mich auf diesem Weg des Abschieds? der Ein- und Durchführung von Ethik-Fo- bare Entscheidungen unterstützt und Gutes Sterben hängt mehr von diesen Fak- ren (siehe auch Interview auf Seite 14). ganz allgemein in den Organisationen toren ab denn von ein paar Tagen längeren Wie sind die Ethik-Foren entstanden und des Gesundheitswesens eine bewusste Lebens. Im Moment fehlt auch die Schu- wie haben sie sich entwickelt? ethische Unternehmenskultur fördert, lung der Ärzteschaft in Bezug auf die Ge- Zwischen 1984 und 1986 war ich für ei- die sowohl den Patienten als auch den sprächführung über Leben, Leiden, Ster- nen Forschungsaufenthalt in den USA. Behandelnden und Betreuenden zugute ben und Tod. Dort kam ich zum ersten Mal mit Ethik- kommt.  Interview: Peter Kraft


SCHWERPUNKT

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Für die Krankenversicherer steht die Kundenbetreuung im Zentrum der Unternehmensphilosophie

Mit Herz und Verstand Den Krankenversicherern wird zuweilen vorgeworfen, vor allem gute Risiken anzuwerben und sich um das gesundheitliche Wohl ihrer Kundinnen und Kunden nur in zweiter Linie zu kümmern. Die vier grössten Krankenversicherer der Schweiz legen im Folgenden ihre Prinzipien im Kundenumgang dar und beweisen damit – stellvertretend für die gesamte Branche – das Gegenteil: Der optimale Betreuung ihrer Patienten und Versicherten steht für sie im Zentrum. Die Krankenversicherer setzen alles daran, im unternehmerischen Alltag die sozialpolitischen und betriebswirtschaftlichen Herausforderungen gleichermassen zu meistern.

Helsana Krankenversicherer sind von Natur aus stark exponiert. Erstens ist der Schutz vor den finanziellen Folgen von Krankheit, Unfall, Mutterschaft und Alter obligatorisch (Sozialversicherung, KVG). Und zweitens tangiert dieser Risikoschutz, was eigentlich unbezahlbar ist – die Gesundheit. Dazu kommt, dass die Möglichkeit von freiwilligen privatrechtlichen Zusatzversicherungen (VVG) die an sich schon hohe Komplexität des Krankenversicherungsgeschäfts erhöht. Wir bewegen uns in einem Spannungsfeld von sozialpolitischen, versicherungstechnischen und betriebswirtschaftlichen Anschauungen. Das stellt hohe Anforderungen an Herz und Verstand unserer Mitarbeitenden. Schwierige Situationen gehören hier zum Geschäftsalltag. Das Schicksalhafte im Gesundheitsweisen fordert alle gleichermassen heraus. Dennoch sind die Rollen im Gesundheitsmarkt ganz unterschiedlich besetzt. Gut ist, wer heilt oder alles dazu Nötige versucht. Im Unterschied zu Ärzten und Pflegenden begegnet man Krankenversicherern viel kritischer. Hier geht es letztlich ums Geld; der oft verwendete Begriff «Kostenträger» spricht Bände. Von der Krankenversicherung als ein solidarisches Kollektiv von Jungen und Alten sowie von mehr oder weniger Begüterten ist hingegen kaum je die Rede. Dabei betrifft genau dies den Kern der Sache. Die entscheidende Frage in einer Versicherung lautet: Wie viel kann und will ein Kollektiv solidarisch tragen?

Helsana bekennt sich zu einem sozialen, versicherungstechnisch und betriebswirtschaftlich nachhaltigen Krankenversicherungswesen. Dieses Bekenntnis haben wir in unserem Leitbild verankert, in dessen Mittelpunkt die Kunden stehen. Das Leitbild bietet Orientierung und vermittelt Kernaussagen zum Selbstverständnis und zum Verhalten, das wir von unseren 2700 Mitarbeitenden erwarten. Eine Kernaussage lautet «Wir übernehmen Verantwortung.» Im Führungshandbuch (Kapitel Ethik und Werte) konkretisieren wir diese Vorgabe, indem wir unser unternehmerisches Handeln ausdrücklich mit den Geboten von Integrität und Fairness verknüpfen. Daran lassen wir uns messen.  Manfred Manser

CSS Der wirtschaftliche Wettbewerb im Schweizer Gesundheitswesen spornt die Krankenversicherer dazu an, kostengünstig zu arbeiten und die Qualität ihrer Serviceleistungen hoch zu halten. Für die CSS ist darum jeder Kunde einzigartig – mit seinem Familienleben, seiner Freizeit, seinem Beruf. Seine Wünsche und Bedürfnisse nach Versicherungsschutz variieren und ändern sich laufend. Deshalb unterhält die CSS ein weit gespanntes Netz von fast 200 Agenturen in der ganzen Schweiz. Hier erhalten die Kundinnen und Kunden individuelle, massgeschneiderte Beratung und Betreuung. Die CSS setzt in ihrem Call Center, der Service Line, alles daran, dass Fragen ihrer Kundinnen und Kunden zu

einer Arzt-, Spital- oder Prämienrechnung oder zum Zahlungsverkehr schnell und unkompliziert beantwortet werden. Die CSS fördert und stärkt die Entscheidungskompetenz und Eigenverantwortung ihrer Kundinnen und Kunden und befähigt sie, ihrer Gesundheit selbst Sorge zu tragen. Dazu hat die CSS verschiedene Programme aufgebaut: • Das Demand Management. Auf der Notrufzentrale der CSS, einer anerkannten Arztpraxis, kümmern sich 25 Ärzte und weiteres medizinisches Personal rund um die Uhr um die Patienten, die telefonisch um medizinische Hilfe ersuchen – sei es mitten in der Nacht von zu Hause oder in den Ferien vom Ausland aus. • Das Care Management. Versicherten mit langwierigen, komplexen, meist chronischen Krankheiten bietet die CSS eine koordinierte Begleitung an, bei der die einzelnen Behandlungsschritte mit dem Patienten und seinen Betreuern abgesprochen werden. Dadurch wird die Qualität der medizinischen Versorgung erhöht, gleichzeitig kann die Zahl der Spitaltage gesenkt werden. • Das Disease Management. Hier konzentrieren sich Beratung und Betreuung auf


Die optimale Betreuung der Versicherten steht für die Krankenversicherer im Zentrum.

eine Gruppe Versicherter mit der gleichen Krankheit. Die CSS ermutigt die Versicherten, ihr Gesundheitsverhalten aktiv mitzugestalten.  Georg Portmann

SWICA Bei SWICA haben wir den Anspruch, unseren Versicherten einerseits finanziellen Schutz, andererseits aber auch eine kompetente Beratung und Begleitung in schwieriger krankheits- oder unfallbedingter Zeit zu gewährleisten. Es ist Teil unserer Unternehmens-Philosophie, dass wir nicht Gesetz und Technik in den Mittelpunkt stellen, sondern die individuellen Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden. Deshalb setzt sich SWICA für die Solidarität zwischen den Geschlechtern, den Generationen sowie zwischen Gesunden und Kranken ein. Dazu gehört, dass SWICA bei den Spitalversicherungen den Abschlussaltertarif anbietet. Damit haben unsere Versicherten die Gewissheit, dass sie die Prämien auch im Alter noch bezahlen können. Aber auch in der Grundversicherung wird unsere Firmen-Philosophie konsequent umgesetzt. Dazu ein Beispiel. Frau Hippmann ist 72-jährig und schon seit vielen Jahren bei SWICA versichert. Ihr Leben lang war sie gesund. Doch in den letzten zwei Jah-

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Foto: Prisma

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ren bereiteten ihr ihre Rückenschmerzen immer mehr Mühe. Schliesslich blieb die Operation als einziger Ausweg. Nur einen Tag nach der Operation meldete sich die Care Managerin von SWICA bei Frau Hippmann, um sich über den Verlauf der Operation zu erkundigen. Später koordinierte die Care Managerin den geplanten Aufenthalt in der Reha-Klinik. «Sie haben mir auf eindrückliche Art bewiesen, dass ich für Sie nicht einfach eine Versicherungsnummer bin», schrieb die Kundin in ihrem Dankesbrief an SWICA. Es ist nur eines von vielen Beispielen, die zeigen, dass sich die Versicherten von SWICA nicht nur auf eine ausgezeichnete Beratung, sondern auch auf einen optimalen Service im Leistungsfall verlassen können. Täglich werden bei SWICA über 17 000 Leistungsgesuche geprüft und verarbeitet. Mit einer schnellen und transparenten Abrechnung stellen wir die Servicequalität sicher. Rechtzeitige Informationen über aussergewöhnliche Krankheiten und länger andauernde Unfallfolgen geben unseren Fachspezialisten die Gelegenheit, die Versicherten mit einem der über 50 Care Manager/innen zu begleiten und sie bei der Wahl der geeigneten Therapie und Rehabilitation zu unterstützen.  Hans-Ueli Regius

Groupe Mutuel Unsere Handlungen, unser Engagement und unsere Unternehmensphilosophie haben nur ein Ziel: Die Sicherheit und Zufriedenheit der Versicherten. Für sie unterhalten wir ein Netz von kompetenten und engagierten Vertrauensärzten. Für sie entwickeln wir fortlaufend Arbeitsinstrumente, die an die konstante Entwicklung der Behandlungen, der medizinischen Technologie und der pharmazeutischen Forschung sowie den steigenden Ansprüchen jedes Einzelnen angepasst sind. Für unsere Versicherten führen wir aber auch eine rigorose Rechnungskontrolle durch – damit die bezahlten Rechnungen auch den in Anspruch genommenen Leistungen entsprechen. Es ist uns auch wichtig, unsere Versicherten umfassend über die Veränderungen auf Gesetzes- und Verordnungsebene zu informieren. Wir ermuntern unsere Versicherten, Verantwortung für ihre Gesundheit zu übernehmen und die Medizin nicht als Selbstbedienungsladen zu betrachten. Wir sind da, um die Gesundheit unserer Versicherten zu schützen, aber auch, um sie im Krankheitsfall zu betreuen. Wir vertreten die Interessen all unserer Patienten und Versicherten, indem wir versuchen, von den Leistungserbringern die besten Behandlungen zu guten Preisen zu erhalten. Das setzt gute Kommunikations- und Informationsinstrumente, Verhandlungsgeschick sowie umfassende Kenntnisse auf medizinischem, wirtschaftlichem, juristischem, politischem und informatischem Terrain voraus. Sicher gibt es zuweilen Streitfälle. Diese sind allerdings meistens auf die Komplexität des Systems zurückzuführen. Wir sind bestrebt, Uneinigkeiten zu vermeiden oder zumindest deren Auswirkungen zu lindern. Streitfälle mit Versicherten sind eine grosse Ausnahme, erregen aber viel Aufmerksamkeit. Weniger Resonanz erzeugt die Regel: Eine reibungslose Beziehung zwischen Versicherten und Versicherer. Das ist nur möglich dank einem Umfeld von individueller Verantwortung, unternehmerischer Freiheit und gesundem Wettbewerb. Patienten, Versicherte, Leistungserbringer und Versicherer sind durch einen Pakt des Vertrauens miteinander verbunden. Er erhält sich aber nicht von selbst: Es braucht das tägliche Engagement aller Partner, um ihn zu konsolidieren. Pierre-Marcel Revaz


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Investitionen in die Zukunft

Prävention und Gesundheitsförderung als Gewinn für die ganze Gesellschaft Wenn Krankenversicherer Präventions- und Gesundheitsförderungsanstrengungen unternehmen, machen sie dies für ihre Kundinnen und Kunden. Doch nicht nur.

Wenig Mittel – gemessen an den Gesundheitskosten Laut Finanzstatistik der öffentlichen Haushalte des Bundesamtes für Statistik bewegt sich der Anteil der Aufwendungen für Prävention und Gesundheitsförderung in den vergangenen Jahren bei etwas mehr als zwei Prozent der gesamten Gesundheitskosten (2004: 2,2 Prozent oder 1,125 Mia. Franken bei insgesamt 51,7 Mia. Franken). Der Bund wendete ca. 200 Mio. Franken auf, die Kantone 250 Mio. Franken und die Gemeinden ca. 120 Mio. Franken.

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iele Krankenversicherer betrachten nicht nur die Vergütung der Arzt-, Spital- oder weiterer Rechnungen als ihre Aufgabe, sondern kümmern sich ebenso um Gesundheit und Wohlbefinden ihrer Kundinnen und Kunden. Im Mittelpunkt ihrer Konzepte stehen Bewegung, Ernährung, Stresstoleranz und Entspannung. Einige – wir haben an dieser Stelle schon früher darüber berichtet – bieten aber auch Dienstleistungen oder Tools im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung an. santésuisse als Branchenverband setzt sich ebenfalls für die Gesundheit ein: Zum einen unterstützt sie gemeinsam mit dem Bundesamt für Gesundheit (BAG), und dem Staatssekretariat für Wirtschaft, seco, die Aktion «arbeitsplatz.rauchfrei». Zum andern ist sie seit 2001 und noch bis Ende 2008 eine der Trägerorganisationen des niederschwelligen Bewegungsförderungsprogramms «Allez Hop». Schliesslich ist santésuisse auch im Stiftungsrat der Gesundheitsförderung Schweiz vertreten.

Akzentverschiebung Dass sich die Krankenversicherer von traditionellen «Zahlstellen» zu polyvalenten Dienstleistern im Gesundheitsbereich ent-

wickelt haben, hängt – neben wettbewerblichen und weiteren Aspekten – auch mit dem gesellschaftlichen Bedeutungswandel von Prävention und Gesundheitsförderung zusammen. Die Gesundheitspolitik hat stark an Bedeutung gewonnen. Sichtbar ist das nicht nur hierzulande, sondern auch in Europa: Frankreich hat beispielsweise im August 2004 ein neues Gesetz zur öffentlichen Gesundheit beschlossen (Loi sur la santé publique), und in Deutschland – um ein anderes Beispiel zu nennen – laufen seit Längerem Diskussionen über ein neues Präventionsgesetz. In der Schweiz gab es bereits Ende der siebziger Jahre Bestrebungen zur Schaffung eines Präventionsgesetzes. Diese Bemühungen mündeten allerdings nicht in ein Gesetz, sondern wurden Anfang der achtziger Jahre quasi auf halbem Wege und aufgrund des Widerstandes der Kantone abgebrochen. Dennoch war die Errichtung der Schweizerischen Stiftung für Gesundheitsförderung im Jahre 1989 eine Konsequenz dieser Diskussionen. Stark aufgewertet wurde die Stiftung 1994 mit der Verankerung im KVG. Seitdem tragen die Krankenversicherer die Stiftung mit und die Versicherten finanzieren sie mit einem Prämienbeitrag. Die jüngsten Bestrebungen für eine rechtliche Neuregelung von Prävention und Gesundheitsförderung stammen vom amtierenden Gesundheitsminister Pascal Couchepin: Im September 2005 hat das Eidgenössische Departement des Innern eine Fachkommission «Prävention + Gesundheitsförderung» eingesetzt und damit beauftragt, die inhaltlichen und fachlichen Voraussetzungen für ein Präventionsgesetz sowie dessen politische Machbarkeit zu prüfen. Der Bericht der Fachkommission ist im Juni dieses Jahres publiziert worden.* Er kommt zum Schluss, dass die konzeptionelle, organisatorische und rechtliche

Verankerung von Prävention und Gesundheitsförderung verbessert werden müsse.

Vorbeugen ist besser… Gesundheitsförderung und Prävention bedeuten grundsätzlich, sich für die Gesundheit der Menschen einzusetzen. Für den einzelnen Krankenversicherer im wettbewerblichen Rahmen bedeuten Aufwendungen für Prävention und Gesundheitsförderung vielleicht, dass aufgrund der Wahlfreiheit nicht er, sondern sein Konkurrent davon profitiert. Es bedeutet aber gleichzeitig, dass es immer die versicherte Person ist, die davon einen Gewinn hat. Auch marketingmässig ist es vielleicht weniger attraktiv, sich gegen eine bestimmte Krankheit (z.B. gegen Diabetes) als für einen gesunden Lebensstil einzusetzen – dennoch gibt es Krankenversicherer, die dies machen.

Prävention und Gesundheitsförderung Prävention nimmt eine Krankheit, eine Verletzung in den Fokus, um die Ursachen dafür zu ergründen sowie entsprechende Vorkehren zu treffen. Man unterscheidet zwischen Primärprävention (gegen Unfälle und Krankheiten), Sekundärprävention (z.B. Behandlung eines zu hohen Blutdrucks) und Tertiärprävention (beispielsweise die Rehabilitation nach einem Herzinfarkt). Gesundheitsförderung hat einen gesundheitsbezogenen (salutogenetischen) Ansatz. Sie bewahrt und fördert vorhandene Ressourcen und Stärken und kann als Prozess bezeichnet werden, der es den Menschen ermöglich soll, im Bereich der Gesundheit mehr Autonomie und Aktivität zu entwickeln.


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Bewegungsförderung ist ein Gewinn für Versicherte und Versicherer.

Mit ihren Aktionen und Angeboten beeinflussen die Krankenversicherer das Bewusstsein der (versicherten) Personen für ihre Gesundheit und die Verantwortung, die sie dafür tragen. Damit entsprechen sie dem Konzept der Ottawa Charta der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 1986, die in einem umfassenden gesamtpolitischen Sinne Bedingungen stützen und Ressourcen erschliessen will, welche die Menschen gesund erhalten oder gesunden lassen. Mit anderen Worten: Die Krankenversicherer stärken die persönlichen Kompetenzen der Menschen. Dies wiederum hat gesamtgesellschaftliche Ausstrahlung. Die Fachkommission «Prävention + Gesundheitsförderung» hat diesen Zusammenhang in ihrem Schlussbericht prägnant zusammenfasst (S. 4): «Prävention und Gesundheitsförderung erhalten und fördern nicht nur die Gesundheit und die Lebensqualität des Einzelnen, sondern stärken auch die Leistungsfähigkeit der Gesamtgesellschaft und fördern und bewahren damit die Arbeitsfähigkeit der Bevölkerung. Dadurch können vorzeitige To-

desfälle wie auch eine vorzeitige krankheitsbedingte Verrentung vermieden, die Autonomie im Alter bewahrt und die Pflegebedürftigkeit verhindert bzw. hinausgezögert werden. Zugleich begünstigen Prävention und Gesundheitsförderung durch eine Stärkung der Gesundheitskompetenzen der Bevölkerung eine differenzierte Nachfrage und Nutzung von Leistungen der Gesundheitsversorgung

und können dadurch langfristig zu einer Dämpfung der Kostenentwicklung im Gesundheitssystem beitragen.»  Ursula Vogt * Zukunft von Prävention und Gesundheitsförderung in der Schweiz. Bericht der Fachkommission «Prävention + Gesundheitsförderung» zuhanden des Eidgenössisches Departements des Innern (EDI), Juni 2006. Er ist auf der Homepage unter www.bag.admin.ch/themen/gesundheitspolitik zu finden (deutsch und französisch).

Prävention und Gesundheitsförderung im KVG Die OKP übernimmt laut Art. 26 KVG die Kosten für bestimmte Vorsorgeuntersuchungen oder vorsorgliche Massnahmen, wenn diese von einem Arzt oder einer Ärztin vorgenommen werden. Art. 12 der Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV) zählt diese Massnahmen und Untersuchungen und die dafür geltenden Bedingungen abschliessend auf (Positivliste). Dazu gehört z.B. die Tuberkuloseimpfung aus dem Bereich der Primärprävention. Die Gesundheitsförderung ist ebenfalls im KVG verankert. Nach Art. 19 KVG unterhalten die Versicherer zusammen mit den Kantonen eine national tätige Institution, die «Gesundheitsförderung Schweiz». Finanziert wird diese Organisation über Beiträge der Krankenversicherer (Fr. 2.40 pro versicherte Person pro Jahr). Die Stiftung fokussiert sich in ihrer neuen Gesamtstrategie auf die drei Kernthemen: Gesundheitsförderung und Prävention stärken – gesundes Körpergewicht – Psychische Gesundheit/Stress. Die Stiftung ist ebenfalls eine Trägerorganisation des Bewegungsförderungsprogramms «Allez Hop».


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SCHWERPUNKT

infosantésuisse  Nr. 12, Dezember 2006

Inwiefern soll der Wille der Patienten über die Art des Sterbens bestimmen?

Lieber würdig sterben als lange leiden? Der Wille der Patienten wird immer zentraler in der Frage, ob das Leben im Falle einer unheilbaren Krankheit um jeden Preis erhalten oder aber nicht mehr künstlich verlängert werden soll. Immer häufiger werden Patientenverfügungen verfasst, die Palliativ-Pflege etabliert sich mehr und mehr in den Spitälern. Bis zu diesem Grad ist kaum mehr bestritten, dass der Mensch möglichst autonom entscheiden soll, wie er seine Leiden tragen will. Die Geister scheiden sich jedoch bei Organisationen, die Beihilfe zum Suizid anbieten.

V

or wenigen Jahrzehnten herrschte weitgehend Einigkeit: Eine höhere Macht gebietet über den Moment des Sterbens. Dem Einzelnen ist es nicht erlaubt, den Zeitpunkt seines Todes mitzubestimmen. Die säkulare Gesellschaft, die zivilisatorische Emanzipation, hat diesem Konsens ein Ende gemacht. Neben dem religiös fundierten Verhältnis zum Tod hat auch die Autorität der Mediziner gelitten: Es ist nicht mehr vorbehaltlos akzeptiert, dass sie allein über die Therapieformen am Ende des Lebens entscheiden. Das hippokratische Prinzip, alles zu tun, um das Leben der Patienten zu verlängern, ist nicht mehr unbestritten und wird auch von Ärztinnen und Ärzten unterschiedlich interpretiert.

Patientenwille inzwischen zentral Patienten, die unheilbar krank sind, deshalb stark in ihrer Lebensqualität eingeschränkt sind und womöglich unter starken Schmerzen leiden, werden nicht in jedem Fall die gleichen Wünsche haben. Einige hängen trotz allem am Leben und möchten die Möglichkeiten zur Lebensverlängerung nutzen, während andere die Schmerzen und die schlimmsten Leiden gelindert haben möchten – auch wenn das bedeuten kann, dass der Tod früher eintritt als bei der ganzen Behandlungspalette. Die Wünsche der Patienten werden respektiert – sofern sie sie noch äussern können. «Viele Menschen haben Angst davor, in der Endphase ihres Lebens von den Entscheiden anderer abhängig zu sein», sagt Ruth Baumann-Hölzle von Dialog Ethik. Sie empfiehlt deshalb das Verfassen einer Patientenverfügung, in der festgehalten ist, was im Falle einer unheilbaren Krankheit im Endstadium, verbunden mit Entschei-

dungsunfähigkeit, mit einem geschehen soll. Dialog Ethik, die Schweizerische Patientenorganisation, aber auch viele Spitäler und Heime bieten Muster-Patientenverfügungen an, bei denen der eigene Wille durch vorgegebene Optionen oder individuelle Bemerkungen festgehalten werden kann. Lisbeth Brücker, Leiterin des EthikForums am Kantonsspital Münsterlingen, räumt zwar ein, dass die Patientenverfügungen momentan noch nicht sehr verbreitet seien. «Das Interesse wächst aber», sagt sie. Wichtig ist: Die Patientenverfügung wird nur dann zur Entscheidungsgrundlage, wenn sich der Patient nicht mehr selber äussern kann und keine Aussicht besteht, dass sich sein Zustand verbessert. Nicht nur während der Endphase des Lebens gewinnt der Wille der Patientinnen und Patienten immer mehr an Bedeutung: In der psychiatrischen Klinik Breitenau in Schaffhausen etwa treffen Patienten, Angehörige und Betreuungsteam beim Austritt aus der Klinik eine Behandlungsvereinbarung. Dort wird festgehalten, wie die Betreuung weitergeführt wird, wie eine neue Krise verhindert werden kann und was geschehen soll, falls ein Wiedereintritt in die Klinik nötig sein sollte. Wie verlaufen die ersten Stunden nach der erneuten Einweisung? Was sind die ersten Behandlungsschritte? Auch für eventuelle Einlieferungen in psychiatrische Kliniken gibt es Patientenverfügungen, mit denen das (Nicht-)Einverständnis mit bestimmten Behandlungsarten bekundet werden kann. Laut den Richtlinien der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften sind Zwangsmassnahmen in der Psychiatrie nur zulässig, wenn ein Suizid oder die Gefährdung von Drittpersonen befürchtet werden muss.

Lebensqualität statt Lebensverlängerung Der Entscheid, dass bei einem Menschen statt lebensverlängernder Behandlungen palliative Massnahmen durchgeführt werden, ist beim Fehlen einer Patientenverfügung äusserst schwierig. Deshalb betreiben immer mehr Spitäler Ethik-Foren, die in solchen Situationen eine interdisziplinäre und nachvollziehbare Entscheidungsfindung ermöglichen (siehe Interview auf Seite 14). Palliative Care sind laut WHO Behandlungsformen, bei denen nicht die Lebensverlängerung, sondern ein möglichst hohes Mass an Lebensqualität für den unheilbar kranken oder sterbenden Patienten im Vordergrund stehen. Einerseits sollen Leiden gelindert, andererseits Sterbende nicht nur medizinisch, sondern auch sozial, psychologisch oder seelsorgerisch betreut werden. Weil die Patien­ ten in ihrer letzten Lebensphase unterschiedliche Bedürfnisse haben, sind auch die Formen von Palliativ-Pflege sehr verschieden: Sie reichen von der Abgabe von Schmerzmitteln über Sterbebegleitung bis hin zur Erfüllung von letzten Wünschen – wie einem nochmaligen Besuch des Ortes, an dem man seine Kindheit verbracht hat. Palliative Care findet deshalb idealerweise in interdisziplinären Teams statt. Nicht wenige Spitäler setzten dabei auf den Liverpool Care Pathway (LCP): Dieses Konzept regelt die multiprofessionelle Zusammenarbeit, gibt Entscheidungshilfen und stellt Qualitätsrichtlinien für die Palliativ-Pflege auf. Insbesondere versucht der LCP, die Erfahrungen aus Sterbehospizen auf den Klinikalltag zu übertragen.


SCHWERPUNKT

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Palliative Care gewinnt an Akzeptanz

Sterbehilfe – Wie weit darf sie gehen?

Trotzdem kritisiert der schweizweit führende Palliativmediziner Roland Kunz, dass die Medizin am Lebensende noch nicht den ihr gebührenden Stellenwert einnimmt: «Das Sterben ist unter Ärzten nach wie vor ein Tabuthema. Sie treten im Allgemeinen nur dann in Erscheinung, wenn es gilt, den Totenschein auszufüllen», sagte Kunz unlängst dem Limmattaler Tagblatt. Einen Grund sieht er in der medizinischen Ausbildung: «Noch immer gibt es keine Vorlesung übers Sterben während des Medizinstudiums.» Dass Kunz recht hat, zeigt der Verbrauch des Schmerzmittels Morphium in der Schweiz: Um den Krebskranken im Endstadium die schlimmsten Schmerzen zu ersparen, müssten laut Berechnungen von deutschen Palliativ-Experten 80 Kilogramm Morphium pro Jahr und Million Einwohner verbraucht werden. In der Schweiz waren es 2002 lediglich 29 Kilogramm. Allerdings stellt Roland Kunz fest, dass sich die Situation langsam bessert: «Die Palliativabteilung des Pflegecenters Limmattal hat mittlerweile Beispielcharakter erhalten. Ärzte kommen zum Hospitieren, Pflegende machen Praktika.» Tatsächlich hat der Zürcher Regierungsrat im März beschlossen, dass ab 2007 alle kantonalen und subventionierten Akutspitäler Palliativpflege anbieten müssen.

Wie weit die Selbstbestimmung der Patienten gehen soll, wird insbesondere bei den Themen aktive Sterbehilfe und Beihilfe zum Suizid kontrovers diskutiert. Die aktive Sterbehilfe – also die Durchführung von lebensverkürzenden Massnahmen auf Grund des tatsächlichen oder mutmasslichen Wunsches einer Person – ist in der Schweiz genauso verboten wie in praktisch allen europäischen Staaten. Nur die Niederlande erlauben die Abgabe von tödlichen Medikamenten unter bestimmten Voraussetzungen. Legal ist hingegen die indirekte Sterbehilfe, bei der die Patienten ein Medikament erhalten, das ihre Schmerzen lindert, als Nebenwirkung jedoch das Leben verkürzt. Ebenfalls nicht strafbar ist in der Schweiz die Beihilfe zum Suizid, in deren Rahmen Organisationen wie Exit sterbewillige Menschen in den Tod begleiten. Exit betont immer wieder, dass nur eingeschriebene Mitglieder beim Suizid begleitet würden, und auch das nur nach längerer Vorbereitungszeit. So sei sichergestellt, dass wirklich dem Willen des Betroffenen entsprochen werde und nicht etwa eine akute Krise Ursache für die assistierte Selbsttötung sei. Nicht selten komme es vor, dass Menschen während der Vorbereitung von ihren Suizidwunsch zurücktreten würden.

Die Spitäler reagieren unterschiedlich auf die Sterbehilfe-Organisationen: Während das Universitätsspital Lausanne mit Exit zusammenarbeitet und seinen Patienten das «Sterben auf Wunsch» in den Klinik-Räumlichkeiten ermöglicht, hat die Sterbehilfe-Organisation etwa zum Bürgerspital Solothurn oder zum Basler Unispital keinen Zutritt. Dessen Mediensprecher Andreas Bitterlin befürchtet ein falsches Signal: Patienten könnten denken, man würde sie im Spital bearbeiten, sagte er gegenüber der Basler Zeitung. Auch habe bisher noch nie ein Patient nach Exit verlangt. Dialog Ethik befürwortet eine Sterbekultur, die Hilfe beim, aber nicht zum Sterben anbietet. Für den Umgang mit Sterbehilfeorganisationen schlägt das Institut Regelungen vor, die ein egoistisches Motiv vollständig ausschliessen: So sollten Mitarbeiter solcher Organisationen für ihre Handlungen nicht entlöhnt werden dürfen. Beihilfe zum Suizid sei eine Handlung auf der individualethischen Ebene: Es sei daher nicht Aufgabe des Staates, Vorschriften für Art oder Ort der Selbsttötung aufzustellen: Damit würde der begleitete Suizid quasi staatlich zertifiziert. Die Rolle des Staates sieht Dialog Ethik in der Schaffung von guten Lebensbedingungen, damit Suizide möglichst verhindert werden können.  Peter Kraft

Monetäre Bewertung des Lebens: QALYs Nach einer verbreiteten Ansicht ist das Leben unbezahlbar und kann deshalb nicht mit einem Frankenbetrag bemessen werden. Diese Sichtweise ist zwar lobenswert, doch entspricht sie nicht der Realität: Mit unseren täglichen Handlungen taxieren wir automatisch unser eigenes Leben. Nehmen wir einmal an, dass ein zusätzliches Sicherheitsmodul in unserem Auto, etwa ein Super-Airbag für einen Aufpreis von 500 Franken, die Überlebenswahrscheinlichkeit um 0,1 Prozent erhöhen kann: Entscheiden wir uns «nur» für einen herkömmlichen Airbag, dann geben wir unserem Leben einen Wert von weniger als 500 000 Franken. Auch im Gesundheitswesen enthält jede KVG-Leistung eine implizite Bewertung des Lebens. Die Wahl, welche Leistungen im KVG bezahlt werden, sollte deshalb auch ökonomischen Grundsätzen folgen, damit für das eingesetzte Geld möglichst viel eingekauft werden kann. Die Ökonomie bietet verschiedene Ansätze an, eine solche Bewertung vorzunehmen, so etwa die Kosten-Nutzwert-Analyse. Um den Nutzen zu messen, verwendet man häufig das Konzept der QALYs. Ein QALY

bewertet ein zusätzliches Lebensjahr mit einer Nutzeneinheit. Dabei steht «eins» für vollständige Gesundheit und «null» für den Tod. Für jeden Gesundheitszustand kann somit eine Zahl zwischen null und eins zugewiesen werden. Lebt ein Mensch ohne Therapie noch zwei Jahre mit einem Gesundheitszustand von 0,5 (entspricht 1 QALY) und mit Therapie fünf Jahre mit einem Gesundheitszustand von 0,6 (entspricht 3 QALYs), dann kann die Therapie zusätzliche 2 QALYs generieren. Betragen die Kosten für eine solche Therapie 20 000 Franken, dann kostet ein QALY 10 000 Franken. Analog kann man sämtliche Leistungen im KVG bezüglich Kosten per QALY vergleichen. Der QALY-Ansatz offeriert der Politik eine Behandlungseffizienz-Analyse. In Grossbritannien wird er bereits angewendet: Betragen die Kosten per QALY für eine Therapie mehr als 30 000 Pfund (ca. 70 000 Franken), so bewertet das National Institute for Health and Clinical Excellence eine Therapie als nicht kosteneffizient. Damit wird dem Lebensjahr explizit eine Geldeinheit zugeordnet.  Fridolin Marty


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SCHWERPUNKT

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Drei Fragen an: Lisbeth Brücker, Leiterin des Ethik-Forums am Kantonsspital Münsterlingen (TG)

«Wenn immer möglich lassen wir uns vom Willen des Patienten leiten» In Zusammenarbeit mit «Dialog Ethik» betreiben bereits 13 Spitäler oder Heime interdisziplinäre Ethik-Foren. Diese Foren versuchen, medizinische Entscheidungen in schwierigen Situationen – häufig am Lebensende – breit abzustützen, nachvollziehbar zu gestalten und auf den Willen der Patientinnen und Patienten abzustimmen. Lisbeth Brücker, Leiterin des Ethik-Forums am Kantonsspital im thurgauischen Münsterlingen, spricht über diese verantwortungsvolle Arbeit und über ihre Zielsetzungen.

Wie ist das Ethikforum am Kantonsspital Münsterlingen zusammengesetzt, und wie arbeitet es? Welche Art von Fällen und Problemen muss Ihr Forum am häufigsten behandeln? Das Ethikforum ist bewusst sehr breit zusammengesetzt: Spitalmitarbeiter aller Berufsgruppen und Hierarchiestufen wirken daran mit. Nur so können wir die verschiedenen Haltungen und Ansichten, die es in einem Spital gibt, mit einbinden. Es ist so auch sichergestellt, dass Probleme aus allen Bereichen des

Spitalalltags zur Sprache kommen können. Unser Forum wurde mit dem klaren Ziel gegründet, Gerechtigkeit und Nachvollziehbarkeit in die Entscheidungsfindung in schwierigen Fällen zu bringen. Wir führen strukturierte und moderierte Fallbesprechungen durch und versuchen, so zu einer ethisch vertretbaren Entscheidungsfindung zu kommen – zusammen mit den Behandlungsteams. Weil die Gespräche interdisziplinär und interprofessionell geführt werden und die Entscheidung im Konsens getroffen wird, ist die Akzeptanz sehr gross. Am häufigsten be-

handeln wir Fragen über Therapieabbrüche am Lebensende: Soll die künstliche Lebenserhaltung fortgesetzt oder sollen palliative Massnahmen eingeleitet werden? Wenn immer möglich lassen wir uns dabei vom Willen der Patientin oder des Patienten leiten. Ist dieser nicht mehr feststellbar – etwa weil sich der Patient nicht mehr mitteilen kann – suchen wir nach dem mutmasslichen Willen. Dabei hilft uns das Gespräch mit den Bezugspersonen des Kranken oder im Idealfall eine Patientenverfügung.

Fotos: zVg

infosantésuisse: Vor knapp einem Jahr ist das Ethikforum am Kantonsspital Münsterlingen gegründet worden. Was hat dazu den Ausschlag gegeben? Haben sich in den letzten Jahren ethische Probleme und Fragen gehäuft? Lisbeth Brücker: Ethische Probleme hat es immer schon gegeben. Doch haben veränderte Rahmenbedingungen in den letzten Jahren dazu geführt, dass eine grössere Sensibilität für ethische Fragestellungen entstanden ist: Der steigende Kostendruck bringt Fragen nach einer gerechten Mittelverteilung mit sich. Der medizinische Fortschritt macht vieles machbar – ist alles davon sinnvoll? Die Ansprüche der Patienten und Angehörigen steigen, auch was die Information betrifft. Die moralischen Überzeugungen in der Gesellschaft diversifizieren sich und werden deshalb diskutierbar, ja diskussionsbedürftig. Und schliesslich ist der Stellenwert der Patientenautonomie in der Medizin stetig gestiegen. Der Paternalismus der Ärzte zerbröckelt, sie sind nicht mehr die allein massgebende Entscheidungsinstanz. Die Beziehung Arzt-Patient ist stark im Wandel.

«Die Ärzte sind nicht mehr die allein massgebende Entscheidungsinstanz.»

Könnte die Arbeit des Ethikforums in Zukunft Auswirkungen auf die Prozesse und den Arbeitsalltag im Spital haben? Wir erwarten eine verbesserte Entscheidungsqualität: Die Entscheidungen in heiklen Situationen werden, so hoffen wir, durch unsere Arbeit breiter abgestützt und besser nachvollziehbar sein sowie dem Willen des Patienten entsprechen. Auch die Kultur im Spital soll sich verändern: Wir möchten das Bewusstsein fördern, dass Entscheide im Behandlungsteam und nicht im Alleingang getroffen werden. Auch können durch die gemeinsame Lösungssuche die Gewissenskonflikte des Einzelnen etwas gemildert werden. Allerdings sind wir uns bewusst, dass solche Prozesse zeitintensiv sind. Wir gehen davon aus, dass einige Jahre nötig sind, um eine breite Veränderung zu bewirken. Aber wir können bereits jetzt konkrete Resultate vorweisen: Wir haben Richtlinien für den Umgang mit verwirrten oder aggressiven Patienten erarbeitet und bieten eine eigene Patientenverfügung an, die auf reges Interesse stösst.  Interview: Peter Kraft


SCHWERPUNKT

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Migration und Gesundheit

Sprachliche und ökonomische Integration verbessern Die weniger gute Gesundheit von Teilen der schweizerischen Migrations- im Vergleich zur einheimischen Bevölkerung lässt auf eine unvollständige Integration schliessen. So steht es im Bericht des Bundesamtes für Gesundheit «Forschung, Migration und Gesundheit»*. Neben gesundheitspolitischen Massnahmen müsse deshalb auch die sprachliche und ökonomische Eingliederung von Migrantinnen und Migranten verbessert werden. In diesem Rückstand sieht der Bericht das Haupthindernis sowohl für den sozialen Aufstieg als auch für eine adäquate Gesundheitsversorgung.

D

er Bericht basiert auf einer 2003 durchgeführten Befragung der Migrationsbevölkerung zu deren Gesundheitszustand und Gesundheitsverhalten.

Soziale Situation und gesundheitliche Lage Abgesehen von der deutschen, österreichischen und französischen Gruppe ist die Migrationsbevölkerung in ihrer sozialen Situation insgesamt schlechter gestellt als die einheimische Bevölkerung. Am ungünstigsten ist die Lage der Asylsuchenden und der tamilischen und albanischen Bevölkerung. Während die deutsche, die österreichische und die französische Bevölkerungsgruppe ihre gesundheitliche Lage positiv beurteilen, weichen die übrigen Migrantinnen und Migranten im unterschiedlichen Mass vom Standard nach unten ab. Dies trifft insbesondere für türkische Befragte und für Albanerinnen und Albaner aus dem Kosovo zu. Frauen zeigen tendenziell eine weniger gute Gesundheit, insbesondere Türkinnen und Tamilinnen. Die Ergebnisse der Befragung zur psychischen Ausgeglichenheit sind für die deutschen, österreichischen, französischen und italienischen Migrantinnen und Migranten weit günstiger als die für die tamilische Wohnbevölkerung und die portugiesische Gruppe. Noch weniger günstig sind die Ergebnisse bei der Bevölkerung aus dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens und bei tamilischen Asylsuchenden. Hinsichtlich körperlicher Beschwerden ist festzustellen, dass Frauen in praktisch allen Alters- und Nationalitätsgruppen eine

höhere subjektive Belastung aufweisen als Männer.

Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen Die Inanspruchname von gesundheitlichen Leistungen zeigt, dass mit Ausnahme der Personen aus Deutschland, Österreich und Frankreich alle Gruppen mit Migrationshintergrund höhere Hausarztquoten aufweisen als Einheimische. Dies trifft vor allem auf Befragte aus der Türkei und Asylsuchende aus Sri Lanka zu. Was die Frauenarztbesuche betrifft, liegen Portugiesinnen, Französinnen und Deutsche über dem Durchschnitt. Auffällig niedrig hingegen ist der Anteil an Frauen mit Frauenarztbesuch unter Tamilinnen und Albanerinnen. Betrachtet man den Anteil der Spitalbehandlungen im Jahr vor der Befragung, ist das Bild eindeutig. Migrantinnen und Migranten mit Ausnahme der italienischen, österreichischen und deutschen Befragten, weisen teilweise eine stark erhöhte Quote auf. Dies gilt besonders für ambulante Spitalbehandlungen. Speziell fallen hier Personen aus Portugal und der Türkei sowie Asylsuchende auf. Türkische Befragte und Asylsuchende weisen zudem einen erhöhten Anteil an Personen mit stationärer Inanspruchnahme auf. Die Verweilzeiten im Krankenhaus sind unter Migrantinnen und Migranten allerdings tendenziell geringer als in der schweizerischen Bevölkerung.

Gesundheitsrelevantes Verhalten Die Migrationsbevölkerung neigt tendenziell zu einem geringeren Alkoholkonsum

als die einheimische. Dafür fällt sie durch eine höhere Sportabstinenz auf. Insbesondere trifft dies auf Frauen zu. In einigen Gruppen findet sich eine im Vergleich zur schweizerischen Bevölkerung erhöhte Raucherquote, so vor allem bei türkischen Befragten. Eine sehr niedrige Raucherquote zeigt sich hingegen bei der tamilischen Gruppe. Beim Konsum von Schmerz-, Beruhigungs- und Schlaftabletten fallen vor allem die Türkinnen auf. Sie weisen in allen Altersgruppen, vor allem aber vor dem Rentenalter, weit überdurchschnittliche Konsumraten auf.

Mangelnde Sprachkenntnis Schwierigkeiten bei der Inanspruchnahme von Gesundsheitsleistungen bereitet den Migrantinnen und Migranten die oftmals mangelnde Sprachkenntnis. Übersetzungshilfen sind besonders unter Personen aus Sri Lanka und der Türkei weit verbreitet. Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang, dass Frauen als Übersetzungshilfe deutlich häufiger auf männliche Verwandte oder den Partner zurückgreifen als umgekehrt. Das bedeutet, dass der Inhalt der Arzt-Patient-Kommunikation nicht immer der autonomen Entscheidung der Betroffenen unterliegt, sondern direkt einer dritten Person zugänglich gemacht wird. Weitere Bemühungen um die Verbesserung der sprachlichen Integration sind auch aus dieser Sicht von grosser Bedeutung. Josef Ziegler

*BBL, Verkauf Bundespublikationen, CH-3003 Bern, www.bbl.admin.ch/bundespublikationen, BBL-Artikelnummer: 311.826


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KRANKENVERSICHERUNG

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Kostentreiber im Schweizer Gesundheitswesen – eine Auslegeordnung von Prof. Tilman Slembeck

Kostenwachstum im Gesundheitswesen: Eine Diagnose mit vielen Ursachen Alljährlich stellt sich für Herr und Frau Schweizer beim Erhalt der neuen Krankenversicherungspolice die Frage, wie viel die Prämien im kommenden Jahr wieder steigen werden. Dass die wiederkehrende Prämienerhöhung allerdings kein unumstössliches Naturgesetz ist, sondern von verschiedenen, mehr oder minder beeinflussbaren Faktoren abhängt, veranschaulicht die neue Studie von Professor Tilman Slembeck zu den Kostentreibern im Schweizer Gesundheitswesen*.

G

anz im Sinne des Mottos: Nur derjenige, der weiss, wo der Teufel steckt, kann ihn auch austreiben, will das Papier einen Überblick zu den grundsätzlichen Zusammenhängen und Problempunkten im Schweizer Gesundheitswesen schaffen. Diese sollen anschliessend als Basis zum weiteren Vorgehen, zur Problemlösung dienen.

Kosten: Ein Produkt aus Menge und Preis Auf die Frage, warum in der Schweiz die Gesundheitskosten so hoch sind, existieren zwei häufige Antworten: «Die Schweiz ist eben eine Hochpreisinsel» und «Die Leute rennen halt viel zu häufig zum Arzt!». Beide Aussagen beinhalten wohl ein Stück Wahrheit, denn die Kosten sind, wie auch Slembeck betont, grundsätzlich ein Produkt aus Menge und Preis. Entwickelt sich der Preis, ohne dass die konsumierte Menge abnimmt, steigen die Kosten. Wird mehr konsumiert, die Preise dadurch aber nicht gesenkt, so steigen die Kosten ebenfalls. Nun unterliegt die Preisbildung im Gesundheitswesen oftmals nicht den Regeln des freien Marktes, sondern ist das Ergebnis von Verhandlungen und Kontrollen. Tarife, Preise und deren Entwicklung liegen nach den Worten von Slembeck «… in den Händen der Vertragsparteien bzw. Behörden, sodass hier direktere Möglichkeiten der Steuerung bzw. Dämpfung bestehen». Preise werden dadurch aber auch politisiert und zum Spielball diverser Interessensgruppen gemacht. Die Entwicklung der Menge ist weit weniger beeinflussbar, da Patienten und Leistungserbringer diese mit ihren individuellen Entscheiden steuern. Deshalb müssen zur Dämpfung der Mengen-

ausweitung individuelle Anreize zur Zurückhaltung im Angebot und im Konsum gesetzt werden.

Kostentreibende Einflüsse auf die Nachfrage Verschiedene Faktoren haben einen kostentreibenden Einfluss auf die Nachfrage von Gesundheitsleistungen. So ist es zum einen die wirtschaftliche Entwicklung, welche das verfügbare Einkommen in unseren Taschen mehrt und die Nachfrage zunehmen lässt. Weil die Kosten aber weitgehend durch Versicherungen gedeckt sind, findet gemäss Slembeck eine gewisse Abkoppelung zwischen der Nachfrage und dem Einkommen statt. Das steigende Einkommen kann deshalb nur einer von mehreren Gründen des steten Kostenwachstums sein. Weitere Faktoren mit kostentreibendem Effekt auf die Nachfrage sind für Slembeck neben dem gesellschaftlichen Wandel, welcher die Gesundheit zunehmend zu einem Konsumgut macht, die erhöhte Verfügbarkeit der medizinischen Leistungen sowie die Alterung der Bevölkerung. Allerdings beruht die Kostensteigerung nicht primär auf der Zunahme älterer Menschen (demografische Alterung), sondern auf der Zunahme der Gesundheitsausgaben im letzten Lebensjahr (systembedingter Alterungseffekt).

Moral Hazard und andere Mängel des Versicherungssystems Personen mit einer Versicherung verhalten sich risikofreudiger, als sie dies ohne Versicherungsschutz tun würden, denn die Risiken für ihr Verhalten sind gedeckt. Dieses Phänomen wird als Moral Hazard bezeichnet. Wer versichert ist, gibt sich

aber nicht nur risikofreudig, sondern ist auch dazu geneigt, zusätzliche Leistungen nachzufragen. Letzteres wiederum ist ein Anreiz für Leistungserbringer, zusätzliche Leistungen anzubieten (nachfrageinduziertes Angebot). Ausserdem haben die Leistungserbringer durch ihr Fachwissen gegenüber den Krankenversicherern und ihren Patienten einen Informationsvorsprung. Wenn nun die Leistungserbringer auch Ziele bezüglich ihrer Auslastung oder ihres Einkommens verfolgen, besteht die Gefahr, dass aufgrund der bestehenden Informationsasymmetrie Leistungen über das notwendige Mass hinaus erbracht werden (angebotsinduzierte Nachfrage). Aufgrund des Versicherungsschutzes besteht nur ein geringer Anreiz, den zusätzlichen Nutzen einer Leistung gegenüber den zusätzlichen Kosten abzuwägen. Die bestehenden Fehlanreize könnten mit verschiedenen Massnahmen angegangen werden. So wird neben der Stärkung des Bonus/Malus-Systems und der Festigung des Systems der Selbstbeteiligung besonders die Förderung alternativer oder integrierter Versicherungsmodelle angepriesen. Diese sollen das Nachfrageverhalten (Gatekeeping) und das Anbieterverhalten (Budgetverantwortung) steuern. Dass sich diese Modelle bis heute noch nicht auf breiter Front durchsetzen konnten, ist gemäss Slembeck im Zusammenhang mit der aktuellen Spitalfinanzierung und dem bestehenden Risikoausgleich zu sehen.

Nebeneffekte der Innovation Innovation gilt generell als etwas Positives. Diese Aussage hat auch im Gesundheitsbereich ihre Richtigkeit, allerdings mit gewissen Nebeneffekten. Innovation im diagnostischen Bereich erlaubt


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Staat bremst Wettbewerb und beschleunigt Kostenwachstum

Innovation), so nehmen die Kosten pro Behandlung ab. Gleichzeitig erhöht sich jedoch die Anzahl der Anwendungen (insbesondere durch Ausweitung der Indikation). Gemäss Slembeck können damit «..selbst kostensparende Innovationen via Mengenausweitung zu einem Anstieg der Gesamtkosten führen». Besserung verspricht sich der Autor einerseits von Fallpauschalen, integrierten Versorgungsmodellen und Globalbudgets, welche die Verantwortung der Leistungserbringer erhöhen sollen, und andererseits von höherem Selbstbehalt zur Stärkung der Eigenverantwortung der Versicherten. Foto: Prisma

beispielsweise die frühzeitige Erkennung von Krankheiten, zieht aber auch eine Mengenausweitung im therapeutischen Bereich nach sich. Therapeutische Innovationen lindern Krankheiten und verlängern das Leben, können nach Ansicht von Slembeck aber auch den Krankheitsverlauf verzögern, was ebenfalls zur Mengenausweitung führt. Da der zusätzliche Nutzen und die zusätzlichen Kosten nur schwer vergleichbar sind, besteht auch hier die Gefahr einer angebotsinduzierten Nachfrage. Weitet sich der Anwendungsbereich einer Innovation über den ursprünglich vorgesehenen Bereich hinaus (Diffusion von

KRANKENVERSICHERUNG

Alle 26 Kantone der Schweiz behüten gemäss Territorialprinzip ihren kleinen abgeschotteten Gesundheitsmarkt. An einen effizienten Wettbewerb ist dabei nicht zu denken. Kantonales Prestigedenken und der Anreiz zur Auslastung bestehender Kapazitäten fördern die Mengenausweitung anstatt die Bildung von Schwerpunkten und Spezialisierungen. Der umfangreiche, vom Staat definierte Leistungskatalog in der Grundversicherung führt gemäss Slem­ beck zu einer Art «Zwangskonsum», da er den Wettbewerb bezüglich Ausgestaltung des Leistungsangebots für die Versicherten vereitelt. Die Preise im Schweizer Gesundheitswesen werden nicht durch den Markt, sondern durch ein komplexes Tarifsystem gebildet, welches gemäss Slembeck «...das Ergebnis einer Reihe von kostenträchtigen Markteingriffen und Steuerungsversuchen» ist. Im ambulanten Bereich hat die Schweiz mit dem Einzelleistungstarif ­TARMED dabei eine Variante gewählt, welche teurer nicht sein könnte. Die Anreize sind so gesetzt, dass ökonomisch denkende Leistungserbringer die Patientenzahl sowie den Leistungsumfang maximieren. Im stationären Bereich werden die Leistungen pauschalisiert. Die diversen Formen der Pauschalen (Tages-, Austritts-, Abteilungs- und Leistungspauschalen) führten jedoch zu einer kaum nachvollziehbaren Tarifstruktur, welche weder einen Vergleich, geschweige denn einen Wettbewerb unter den Spitälern zulässt.

Welche Ansatzpunkte für Reformen sind zu wählen? Aufgrund der Vielzahl der Kostentreiber sind gemäss Slembeck bei der Wahl von Massnahmen und Reformen Prioritäten anhand klarer Kriterien zu setzen. Jede mögliche Massnahme muss hinterfragt werden. Hat die Massnahme Potenzial für eine Kostendämpfung? Ist sie politisch realisierbar? Innert welcher Frist ist sie umsetzbar? Die daraus entstehende Prioritätenliste müsste den Entscheidungsträgern als Stütze dienen, die richtigen Massnahmen im Kampf gegen die Kostentreiber im Gesundheitswesen an die Hand zu nehmen.  Matthias Schenker

Das «Gärtchendenken» ist einer der Kostentreiber im Gesundheitswesen.

*SLEMBECK Tilman, 2006, Kostentreiber im Schweizer Gesundheitswesen, HSG/ZHW


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KRANKENVERSICHERUNG

infosantésuisse  Nr. 12, Dezember 2006

Im Gespräch: Charles Favre, neuer Präsident von H+

«Gesundheitspolitik ist nicht an Kantonsgrenzen gebunden» Charles Favre, Arzt, Nationalrat und ehemaliger Finanzminister des Kantons Waadt, ist der neue Präsident des Spitalverbands H+. Was möchte er an der Spitze eines Branchenverbands im Gesundheitswesen bewegen? Charles Favre nimmt Stellung zu «heissen Eisen» wie der Qualitätsförderung oder dem Föderalismus im Gesundheitswesen und erklärt, warum in der Gesundheitspolitik grundsätzliche Diskussionen dringend nötig sind.

infosantésuisse: Mit der Führung eines Branchenverbandes im Gesundheitswesen übernehmen Sie einen schwierigen Posten. Was hat Sie dazu bewogen, dieses Amt anzunehmen? Charles Favre: Das Präsidium von H+ liegt ganz auf der Linie meiner bisherigen Tätigkeiten. Als Arzt bin ich sensibilisiert für menschliche Beziehungen und für die Betreuung der Patienten. Als ehemaliger Finanzdirektor kenne ich aber auch die Notwendigkeit, beschränkte finanzielle Mittel mit einer gewissen Rigorosität zu verwalten. Im Gesundheitswesen wird es mehr denn je notwendig sein, qualitativ hervorragende Leistungen effizient und zu einem vernünftigen Preis zu erbringen. Die Herausforderung, diese vielfältigen Zielsetzungen unter einen Hut zu bringen, hat mich dazu bewogen, die Wahl zum H+Präsidenten anzunehmen. Wie sehen Ihre drei Eckpunkte für ein zukunftsgerichtetes Gesundheitswesen aus? Erstens wünschen wir uns eine grundsätzliche Debatte über einen Verfassungsartikel für das Gesundheitswesen: Welches Gesundheitssystem wollen wir? Wie sieht die Rolle des Individuums in diesem System aus? Welche Kosten wollen wir weiterhin solidarisch tragen? Die Gesundheitspolitik braucht eine Strategie, eine Vision. Zweitens möchten wir eine Klärung der Rollen der Akteure. Wer macht was, wer ist für was verantwortlich, wer bezahlt wofür wie viel? In den Diskussionen, die ich während meiner früheren Tätigkeit mit Verantwortlichen des Gesundheitswesens führte, habe ich immer wieder den Wunsch nach einer klaren Definition der eigenen Rolle herausgehört. Drittens: Viele Menschen in diesem Land haben Probleme mit der fi-

nanziellen Belastung durch das Gesundheitswesen. Wir möchten, dass diese Belastung für alle sozial akzeptabel bleibt oder wird. Das gilt vor allem für den Mittelstand, der heute auch in anderen Bereichen bereits hohe Lasten trägt. Sie haben den Verfassungsartikel für das Gesundheitswesen angesprochen. Können Sie sich mit dem diesbezüglichen Vorschlag des Ständerates anfreunden? Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Auch die parlamentarische Initiative von Felix Gutzwiller schlägt in dieselbe Kerbe. Das zeigt uns, dass wir mit unserem Wunsch nach einer grundsätzlichen Diskussion, einer tieferen Verankerung und einer besseren Definition der Gesundheitspolitik nicht alleine sind. Ich bin mir sicher, dass auch die Bevölkerung eine wirkliche Debatte über die Zukunft des Gesundheitswesens begrüssen würde.

«Wenn sinnvolle Indikatoren stehen, müssen sie konsequent angewandt werden. Das heisst auch, dass nur noch Leistungen im Gesundheitswesen erbringen soll, wer die Vorgaben erfüllt.» H+ hat vor Jahresfrist eine nationale Gesundheitspolitik mit patientengerechten Versorgungsregionen statt starrer Kantonsgrenzen gefordert. Werden Sie dieses Anliegen weiter verfolgen? Ja. Gesundheitspolitische Überlegungen sind nicht an Kantonsgrenzen gebunden. Versorgungsregionen sollen sich an den Bedürfnissen der Bevölkerung und nicht an politischen Grenzen orientieren. Auch in dieser Frage braucht es eine vertiefte

Diskussion, zusammen mit den Kantonen. Längerfristig aber denke ich, dass wir die Illusion von gesundheitspolitisch völlig autonomen Kantonen aufgeben müssen. Ihr Vorgänger Peter Saladin hat gegenüber diesem Magazin gesagt, dass Zulassung und Tarife bei den Spitälern durchaus von der Qualität abhängen könnten. Wie stehen Sie zu dieser Aussage? Ich unterstütze sie. In allen Wirtschaftssektoren – nicht nur im Gesundheitswesen – werden Transparenz und Qualität immer wichtiger. Allerdings sollten wir nicht irgendwelche Indikatoren aus dem Hut zaubern, nur der Qualitätsmessung willen. Die Qualitätskriterien müssen stichhaltig und von allen beteiligten Akteuren anerkannt sein. Das Definieren von geeigneten Kriterien ist zwar sehr schwierig und zeitaufwändig. Aber von dem Moment an, an dem sinnvolle Indikatoren stehen, müssen sie konsequent angewandt werden. Das heisst auch, dass nur noch Leistungen im Gesundheitswesen erbringen soll, wer die Vorgaben erfüllt. Der Patient muss sicher sein können, dass sein Leistungserbringer den definierten Standards genügt. Und wer soll diese Kriterien definieren? Eine Arbeitsgruppe von H+ ist dabei, mögliche Qualitätskriterien zu definieren. Unser Ziel ist es, die Ergebnisse 2008 vorstellen zu können: Wir haben die Themenbereiche identifiziert, aber für wirklich robuste Indikatoren brauchen wir noch etwas Zeit. Gibt es denn aus dem Ausland Beispiele, die man zur Vorlage nehmen könnte? Deutschland und Holland messen die Qualität in den Spitälern, wobei es dort «nur» um Transparenz geht – die Indika-


toren sind nicht tarifwirksam. Aber es gibt dort Elemente, die man durchaus berücksichtigen kann.

Wir begrüssen vor allem die leistungsorientierte Finanzierung durch DRGs. Was uns hingegen nicht gefällt, ist die Verstärkung der Planungselemente. Wir denken, dass im geltenden KVG bereits genug planerische Leitlinien verankert sind.

kasse» ab. Wie stehen Sie zu dieser Vorlage? Der Vorstand von H+ stellt sich gegen diese Vorlage – genauso wie ich persönlich. Auf dem Spiel steht die Verantwortung des Einzelnen, aber auch dessen Wahlfreiheit bezüglich des Krankenversicherers. Wem diese Dinge wichtig sind, kann sich ganz unmöglich für eine Einheitskasse aussprechen.

Sie sprechen damit auch die Rolle der Kantone an. Wie muss sich diese in Zukunft verändern? Für die Kantone ist es schwierig, die Auswahl bei der Spitalplanung nach rationalen Kriterien zu fällen. Wenn wir

«Versorgungsregionen sollten sich an den Bedürfnissen der Bevölkerung und nicht an politischen Grenzen orientieren.»

in die Hand zu nehmen. Ich bin aber überzeugt, dass es dazu keine neuen Anreize gesetzlicher oder finanzieller Art braucht. Es würde genügen, die bestehenden Fehlanreize zu beseitigen. Wie beurteilen Sie den momentanen Stand der parlamentarischen Beratungen zur Spitalfinanzierung? Welche Elemente begrüssen Sie, was wäre aus Ihrer Sicht noch verbesserungswürdig?

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infosantésuisse  Nr. 12, Dezember 2006

Foto: Peater Kraft

Wie stehen Sie zur integrierten Versorgung und zu Behandlungsprozessen, welche die Leistungserbringer untereinander vernetzen? Aus unserer Sicht ist diese Koordination absolut notwendig. Mit den aktuellen gesetzlichen Grundlagen wären die Voraussetzungen dazu eigentlich geschaffen. Noch fehlt es am Willen der Akteure, die Vernetzung des Gesundheitswesens selber

KRANKENVERSICHERUNG

Transparenz bei den Kosten, den Leistungen und der Qualität haben, können wir Entscheidungen auf diesen Grundlagen treffen. Dabei wird uns das DRGSystem helfen. Statt von stärkerer Planung zu reden, kreieren wir besser die Werkzeuge, um die Planung überhaupt sinnvoll durchführen zu können. Im kommenden März stimmen wir über die Initiative «für eine soziale Einheits-

«Wenn wir die Einheitskasse einführen, wäre der nächste Schritt vielleicht die Umwandlung der frei praktizierenden Ärzte in Staatsangestellte oder die Verstaatlichung aller Spitäler.» Die Initianten sprechen von einer möglichen Kostenersparnis durch die Einheitskasse – etwa dank geringerer Verwaltungskosten. Sind das alles leere Versprechungen? Ich kann das nicht nachvollziehen. Die Kosten werden mit einer Einheitskasse nicht sinken. Die Konkurrenz ist auch im Interesse des Bürgers: Er kann seinen Krankenversicherer ja nach Präferenz nach verschiedenen Kriterien wählen: Dienstleistungsqualität, Prämienhöhe, Präventionsangebot, und so weiter. Ausserdem ist der Wettbewerb ein Anreiz für die Versicherer, die Kosten scharf im Auge zu behalten. Die Werbekosten fallen dem gegenüber nicht ins Gewicht. Was würde die Einführung der Einheitskasse für die Spitäler bedeuten? Die Auswirkungen wären indirekt. Die Initiative stellt uns vor eine fundamentale Wahl: Möchten wir ein liberales oder ein staatliches Gesundheitssystem? Denn das System ist als Ganzes entweder liberal oder staatlich, von A bis Z. In ganz Europa gibt es keinen einzigen Staat, der diesbezüglich eine Mischform hätte. Es ist eine Illusion zu glauben, dass ausgerechnet in der Schweiz eine staatliche Einheitskasse und ein ansonsten liberales Gesundheitssystem nebeneinander existieren könnten. Wenn wir also die Initiative annehmen, wäre der nächste Schritt vielleicht die Umwandlung der frei praktizierenden Ärzte in Staatsangestellte oder die Verstaatlichung aller Spitäler – mit allen möglichen Folgen wie zum Beispiel Wartezeiten, wie wir sie von Grossbritannien, Italien oder Schweden her kennen.  Interview: Peter Kraft


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KRANKENVERSICHERUNG

infosantésuisse  Nr. 12, Dezember 2006

8. Arbeitstagung Nationale Gesundheitspolitik in Basel

Bekenntnis zur Hausarztmedizin Der Bund und die Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) unterhalten mit «Dialog Nationale Gesundheitspolitik» eine Diskussionsplattform auf höchster Ebene. An der diesjährigen Arbeitstagung suchten die Teilnehmer gemeinsam nach Wegen, wie die medizinische Grundversorgung in Zukunft gestärkt werden könnte. Gleichzeitig veröffentlichten Bund und Kantone zwei Berichte, in denen sie umfassende Reformen beim Notfalldienst und bei der Ausbildung zum Hausarzt vorschlagen.

B

undesrat Pascal Couchepin betonte in seiner Begrüssungsansprache die zentrale Rolle der Hausarztmedizin für die Gesundheitsversorgung. Deshalb nehme er die Probleme der Grundversorger ernst – Lösungen müssten gesucht werden. Für Couchepin liegt ein viel versprechender Ansatz in der Aufwertung der universitären Ausbildung zur Hausärztin oder zum Hausarzt. Zudem müsse das Berufsbild des Grundversorgers dem Wandel des Gesundheitswesens angepasst werden: Vernetzung und Zusammenarbeit können einiges zur Stärkung der Hausarztmedizin beitragen, so Couchepin. Sein wichtigster Partner im «Dialog Nationale Gesundheitspolitik», GDK-Präsident Mar-

kus Dürr, pflichtete dem im Wesentlichen bei. Insbesondere stellte er eine Beteiligung der Kantone an der Finanzierung von Praxisassistenzen in Aussicht (siehe Kasten). Es gelte aber auch, die Probleme im Notfalldienst zu lösen und integrierte Behandlungsmodelle zu fördern.

Bund und Kantone scheinen sich also über die einzuschlagende Richtung einig zu sein. Und die Expertenreferate im Anschluss stützten ihre Reformideen. Der Tessiner Sozialwissenschaftler Gianfranco Domenighetti unterstrich die Bedeutung der Hausarztmedizin mit einer eindrück-

lichen Statistik: Während die Dichte der Spezialärzte pro Kanton keinen signifikanten Einfluss auf die medizinisch verhinderten Todesfälle hat, verhält es sich bei den Grundversorgern anders. Hier ist der Zusammenhang zwischen Dichte und der Anzahl verhinderter Todesfälle erkennbar. Gleichzeitig sind die Kosten pro Konsultation und Hausbesuch bei der Spezialistin fast doppelt so hoch wie beim Hausarzt. Domenighetti empfiehlt deshalb der Politik, den Hausarztberuf für angehende Mediziner durch eine attraktivere Ausbildung und finanzielle Anreize attraktiver zu machen. Werner Bauer, ehemaliger Präsident des Kollegiums für Hausarztmedizin, berei-

Bundesrat Pascal Couchepin.

GDK-Präsident Markus Dürr.

Dr. Werner Bauer.

Fotos: Peter Kraft

Bessere Ausbildung, attraktiverer Notfalldienst


KRANKENVERSICHERUNG

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infosantésuisse  Nr. 12, Dezember 2006

Lösungsvorschläge von Bund und Kantonen Im «Dialog Nationale Gesundheitspolitik» treffen sich Bund und Kantone regelmässig auf höchster Ebene zu grundsätzlichen Diskussionen über die Gesundheitspolitik. An den Gesprächen nehmen Bundesrat Pascal Couchepin, hochrangige Verwaltungsvertreter und der Vorstand der Gesundheitsdirektorenkonferenz teil. Eine Arbeitsgruppe von «Dialog Nationale Gesundheitspolitik» hat nun zwei Berichte mit Reformempfehlungen zur Stärkung der Grundversorgung verfasst. Die Untergruppe «Notfalldienst» bezeichnet die derzeitige Organisation des Notfalldienstes mit kantonal verschiedenen Reglementen und unterschiedlich grossen Notfallrayons als unzweckmässig. Der Notfalldienst müsse einheitlicher organisiert, die Kommunikation zwischen den Rayons verbessert werden. Die grosse zeitliche Belastung, die ungenügende finanzielle Abgeltung und die zunehmende Anspruchshaltung der Bevölkerung seien weitere Probleme, die den Notfalldienst immer weniger attraktiv machten. Lösungsmöglichkeiten sieht der Bericht unter anderem in einer verbesserten Einbindung der Spitäler, etwa durch vorgelagerte Notfallpraxen, und in der Triage durch eine schweizweit einheitliche Notfallnummer. Diese Massnahmen würden den Hausärzten Entlastung bringen und gleichzeitig die Notfallversorgung sichern. Finanziell könnte der Notfalldienst beispielsweise durch eine Abgeltung der Pikett-Zeit aufgewertet werden. Die Ärztinnen und Ärzte sollen aber auch stärker in die Pflicht genommen werden: Dispensationen vom Notfall-

ten neben dem mangelnden Nachwuchs vor allem die Probleme des Notfalldienstes Sorgen. Diese seien so gravierend, dass sie das Berufsbild des Hausarztes stark beeinträchtigen würden. Ein besseres Berufsbild sei jedoch die Grundvoraussetzung für eine höhere Attraktivität der Hausarztmedizin, so Bauer. Für junge Absolventinnen und Absolventen bildeten geregelte Arbeitszeiten oder das Arbeiten im Team wichtige Kriterien. Nur wenn der Hausarztberuf ihnen dies bieten könne, würden sie ihn auch ergreifen. Stefan Spycher, Leiter des Gesundheitsobservatoriums (Obsan), präsentierte schliesslich erste Resultate des Projekts Démographie Médicale: Gestützt auf den Datenpool von santésuisse, belegt Spycher zum Beispiel, dass die Dichte der Spezialisten seit 1998 um über 14 Prozent zugenommen hat, jene der Grundversorger hingegen praktisch stagniert. Seit der Jahrtausendwende gibt es in der Schweiz mehr frei praktizierende Spezial- als Hausärzte. Trotzdem will Spycher nicht von einem Hausärztemangel sprechen: Eine hohe Nachfrage bei geringem Angebot lässt sich momentan «nur» in einigen Tälern Graubündens und im Glarner Hinterland

dienst dürfe es nur noch in Ausnahmesituationen (Schwangerschaft u.ä.) geben, und die regelmässige Weiterbildung in Sachen Notfallmedizin müsse obligatorisch werden. Die Untergruppe «Weiterbildung» kritisiert die bisher einseitige Ausrichtung der medizinischen Aus- und Weiterbildung auf Universitäts- und Zentrumsspitäler. Dies entziehe der Grundversorgung systematisch das Personal. Vor allem aber gäbe es zu wenig Ausbildungsplätze am späteren Arbeitsort der Hausärzte: In der Praxis. Heute kann die FMH dank Mitgliederbeiträgen 170 Praxisassistenz-Monate pro Jahr anbieten – nötig wären laut Berechnungen der Arbeitsgruppe 960. Ausserdem müssen die Assistenzärzte während dieser Zeit Lohneinbussen von bis zu 25 Prozent in Kauf nehmen. Die Forderung ist deshalb klar: Es müssen in Zukunft genügend (960 pro Jahr) Praxisassistenz-Monate angeboten werden, und zwar zu den normalen Lohnbedingungen eines Assistenzarztes. Bei einem geschätzten Brutto-Monatseinkommen von 8000 Franken entspräche das einer Aufwendung von knapp acht Millionen Franken pro Jahr. Zur Finanzierung möchte die Arbeitsgruppe vorzugsweise die Kantone (75 Prozent) und die Lehrärzte (25 Prozent) heranziehen – letztere, weil sie von der Arbeit der Assistenten auch profitieren. Die Machbarkeit illustriert die Arbeitsgruppe, in dem sie die benötigten acht Millionen den heutigen Jahreskosten für die Aus- und Weiterbildung der Humanmediziner von 720 Millionen Franken gegenüberstellt.

feststellen. Allerdings sei die zukünftige Entwicklung schwierig abzuschätzen. Beispielsweise stellt Stefan Spycher einen relativ hohen Altersdurchschnitt von 52 Jahren bei den Hausärzten fest. Auch er empfiehlt deshalb eine bessere Organisation der Notfallversorgung, eine Reform der ärztlichen Aus- und Weiterbildung sowie die Förderung von Managed Care, um die ärztliche Grundversorgung zu stärken.

Keine pfannenfertigen Rezepte, aber … In den anschliessenden Workshops versuchten die Tagungsteilnehmer, gemeinsam Lösungsvorschläge zu den Problemkreisen Notfallversorgung, Ausbildung und Hausarztmedizin der Zukunft zu finden. Wie aufgrund des breiten Teilnehmerspektrums zu erwarten, resultierten aus den Workshops keine pfannenfertigen Lösungsvorschläge. Wohl aber zeigten die von der Moderatorin Cornelia Oertle Bürki präsentierten Key-Messages ein klares Bekenntnis zur Hausarztmedizin. Im Workshop zur Notfallversorgung resultierten gemeinsame Forderungen nach einer einheitlichen Notfallnummer, einer Harmonisierung der kantonalen Notfall-Regle-

mente und einer verbesserten Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Spitälern. Die Arbeitsgruppe zur Aus- und Weiterbildung erwartet, dass die Grundversorger ihre Behandlungskompetenzen behalten und nicht zu blossen Gatekeepern degradiert werden. Sie betont die Bedeutung der Praxisassistenzen und verlangt ganz allgemein eine Ausbildung zum Hausarzt auf höchstem Niveau. Der Workshop zur Grundversorgung der Zukunft erwartet eine immer grössere Bedeutung der vernetzten Medizin. Neben attraktiven Arbeitsbedingungen und sozialem Prestige seien für junge Mediziner auch Entwicklungs- und Karrieremöglichkeiten ausschlaggebend für den Entscheid, (nicht) Hausarzt zu werden. In Gruppenpraxen und Managed Care-Organisationen seien solche Bedingungen eher gegeben.

Zeltner zufrieden BAG-Direktor Thomas Zeltner zeigte sich in seinem Schlusskommentar zufrieden mit den Resultaten der Workshops: Sie zeigten, dass das Bundesamt für Gesundheit und die GDK mit ihren Reformideen auf dem richtigen Weg seien (siehe Kasten).  Peter Kraft


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GESUNDHEITSWESEN

infosantésuisse  Nr. 12, Dezember 2006

Medikamenten-Hitparade: Top 30 für das Jahr 2005

Generika in Angriffsposition

Quelle: santésuisse

Unter den 30 umsatzstärksten Medikamenten der Schweiz finden sich für das Jahr 2005 zehn Arzneimittel, für die es bereits einen Generika-Ersatz gibt. Bei zwei Präparaten weist der Generikaersatz den höheren Umsatz auf als das Originalpräparat. Langjährige Top 30-Präparate wie Deroxat, Reniten und Fluctine gehören durch die Generikakonkurrenz nicht mehr zu den umsatzstärksten Arzneimitteln.

Top 30 Markennamen 2005 Rang 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30

Basename Sortis Nexium Seretide Selipran Plavix (Co-) Aprovel Pantozol1) Fosamax Norvasc Atacand (plus) 2) Cosaar (plus) (Co-) Diovan Torem Zyprexa Risperdal Symbicort Efexor Antra MUPS Zoloft Agopton Aspirin Cardio Zocor Blopress (plus) 2) Calcimagon D3 4) Seropram Sandimmun4) Zurcal1) Beloc Zok (Co-) Dafalgan3) Remeron

Umsatz in Mio. Fr. 119 71 61 59 58 57 54 49 49 48 46 42 41 41 40 38 37 32 30 28 27 27 26 26 25 25 25 24 22 22

Generikum vorhanden?

Umsatz Generika in Mio Fr.

nein nein nein ja nein nein nein nein ja nein nein nein ja nein nein nein nein ja ja nein nein ja nein ja ja ja nein ja nein nein

0 0 0 14 0 0 0 0 13 0 0 0 4 0 0 0 0 46 1 0 0 33 0 10 19 <1 0 4 0 0

Pantozol und Zurcal sind zwei Markennamen für dasselbe Originalpräparat. Ihr Umsatz beträgt zusammen genommen 79 Mio. Fr. und würde somit Platz 2 belegen. Atacand und Blopress sind zwei Markennamen für dasselbe Originalpräparat. Ihr Umsatz beträgt zusammen genommen 74 Mio. Fr. und würde somit Platz 3 belegen. 3) Obwohl der patentabgelaufene Wirkstoff Paracetamol auch in anderen Präparaten der Spezialitätenliste vorkommt, existiert kein eigentliches Generikum zu Dafalgan. 4) Präparat mit gleichem Wirkstoff nicht als Generikum kategorisiert. 1)

2)

D

ie Medikamenten-Hitparade berücksichtigt alle von Ärzten und Apotheken abgegebenen Präparate, die von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung im Jahr 2005 bezahlt wurden. Die verschiedenen Darreichungsformen und Dosierungen sind zusammengezählt und unter dem Hauptmarkennamen aufgelistet worden. Der Umsatz der 30 umsatzstärksten Arzneimittel beträgt 2005 total 1,25 Milliarden Franken. Dies entspricht etwa 30 Prozent des Umsatzes der ambulant abgegebenen Medikamente.

Der Umsatz der Top 30 im Jahr 2005 hat im Vergleich zu 2004 um 17 Prozent zugenommen.

Originalpräparate halten dagegen Obwohl der Generikamarkt nach wie vor stark wächst, können sich einige Originalpräparate erstaunlich gut im Markt halten. Beispiel Protonenpumpenhemmer (PPI): Diese Präparate senken den Magensäurespiegel und werden deshalb bei der Refluxkrankheit eingesetzt. Obschon mit den Omeprazol-Generika eine mächtige Kon-

kurrenz auf dem Markt ist, konnten die patentgeschützten Magensäurehemmer sogar noch zulegen. Das ehemals umsatzstärkste Produkt Antra wird zwar weniger verschrieben als sein Generikaersatz (Substitutionsrate fast 60 Prozent), doch bei den PPI als Ganzes sinkt der Generikaanteil auf 18 Prozent. Eine ähnliche Entwicklung gibt es bei den Antidepressiva. Hier wurden freilich die ehemaligen Blockbuster Fluctine und De­ roxat zurückgedrängt, die neuen Präparate Efexor und Cipralex (Platz 32) erfreuen sich jedoch steigender Beliebtheit. Analog verläuft die Entwicklung bei den Blutdrucksenkern und den Lipidsenkern. Bei letzteren konnte Sortis trotz Generikakonkurrenz von Simvastatin einen neuen Umsatzrekord verbuchen.

Referenzpreissystem in Deutschland als starker Kostendämmer In Deutschland wird die Substitution von patentgeschützten Originalpräparaten mit Generika der gleichen Stoffklasse durch so genannte Festbeträge gefördert (Referenzpreissystem). Wenn die Patienten statt einem Generikum ein teures Originalprodukt wählen, müssen sie die Preisdifferenz selber bezahlen. So wurde beispielsweise das patentgeschützte Präparat Sortis mit einem Festbetrag belegt. Prompt sind in Deutschland die Umsätze von Sortis im Jahr 2005 um 82 Prozent eingebrochen. Kein Wunder, sind die Festbeträge den forschenden Firmen ein Dorn im Auge. Sie haben seit Einführung des patentübergreifenden Referenzsystems auf den 1.1.2005 prozessiert, allerdings bisher ohne Erfolg. Bis dato konnten die Firmen das erweiterte Festbetragsystem in Deutschland nicht verhindern.  Fridolin Marty Literaturangabe: U. Schwabe, D. Paffrath (Hrsg.), Arzneimittelreport 2006, Springer-Verlag.


service LOA III – Vertrag zwischen Apothekern und santésuisse gegenseitig genehmigt

LOA: Kritikpunkte bereinigt News aus aller Welt Tödliche Fehler: In italienischen Krankenhäusern sterben laut einer Studie des nationalen OnkologenVerbands jeden Tag neunzig Patienten wegen Behandlungsfehlern. Grundlage sind Gerichtsakten und Berichte von Krankenversicherern. Italienische Gesundheitsexperten halten die Zahl für durchaus realistisch. Neue WHO-Chefin: Die chinesische Expertin für Vogelgrippe, Margaret Chan, wird neue Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation WHO. Sie machte sich erstmals 1997 einen Namen, als sie die aufkommende Geflügelpest in Hongkong erfolgreich bekämpfte. Osteuropa: In den osteuropäischen Staaten Russland, Rumänien und Bulgarien liegt die Lebenserwartung rund zwanzig Jahre tiefer als in Westeuropa. Ein wichtiger Grund für den schlechteren Gesundheitszustand ist laut Epidemiologen der Alkoholmissbrauch: vierzig Prozent aller Todesfälle in Russland sind direkt oder indirekt darauf zurückzuführen. Masken: Die österreichische Regierung lässt neun Millionen Schutzmasken zu einem vergünstigten Preis verkaufen. Die Bevölkerung soll sich damit vor einer allfälligen Grippe-Pandemie schützen können.

Der Verwaltungsrat von santésuisse hat an seiner Sitzung vom 25. Oktober 2006 den weiterentwickelten Vertrag mit pharmaSuisse, dem Schweizerischen Apothekerverband genehmigt. Der neue Vertrag sieht einen Verzicht auf die wenig populäre Patientenpauschale vor. Stattdessen sind zwei neue Tarifpositionen für die Dienstleistungen des Apothekers vorgesehen: erstens für den Medikamenten-Check, der pro Medikament für die Prüfung

des Rezeptes, der Dosierung, der individuellen Verträglichkeit und für die Information beim Bezug in Rechnung gestellt wird. Neu ist der Bezugs-Check, der die Nachverfolgbarkeit der abgegebenen Medikamente sicherstellt sowie allfällige problematische Wechselwirkungen zwischen den abgegebenen Medikamenten prüft. Damit reagieren santésuisse und der Apothekerverband auf die Kritik von Bundesrat und Konsumentenorganisationen an der Patienten-

pauschale. Nach wie vor gilt der Grundgedanke, dass der Apotheker nicht über eine Preismarge, sondern für seine spezifische Dienstleistung entschädigt sein soll. Die leistungsorientierte Abgeltung ist ein Erfolgsmodell: Seit ihrer Einführung im Juli 2001 ist es gelungen, trotz Wachstum der Medikamentenkosten die Apothekenkosten zu plafonieren. Unter der alten Margenordnung wären diese um 750 Millionen Franken stärker gestiegen.

Ernährung und Bewegung können mehr bewirken als Medikamente

Gesunder Lebensstil statt vieler Tabletten Eine beträchtliche Anzahl der im Jahr 2005 geschluckten Medikamente wären mit einem gesundheitsfördernden Lebensstil unnötig. Am meisten zu kämpfen haben die Schweizerinnen und Schweizer mit dem HerzKreislaufsystem. Rund eine Milliarde Franken allein für Medikamente werden zur Bekämpfung der Symptome jährlich von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung investiert (siehe Tabelle). Mit drei Cholesterinhemmern und sieben Blutdrucksenkern unter den dreissig umsatzstärksten Arzneimitteln wird chemisch versucht auszugleichen, was auch mit Bewegung und Ernährung verbessert werden könnte. Die Literatur-Analyse von Warburton, Nicol und Bredin (2006) weist einen direkten Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und des Gesundheitszustandes aus. Die Studien zeigen, dass durch körperliche Aktivität nicht nur das Risiko von Herzkreislaufkrankheiten beträchtlich reduziert wird, sondern dass auch bereits Erkrankte mit körperlicher Betätigung das Fortschreiten der Erkrankung brem-

sen können. Auch bei Diabetes mellitus, Übergewicht, Knochenund Gelenkserkrankungen sowie bei Depressionen wirkt Bewegung positiv. Die zehn kostenintensivsten Therapiebereiche beinhalten also ein grosses Potenzial für Eigeninitiative. Mit etwas mehr körperlicher Bewegung, ausgewogener Ernährung, Rauchstopp, massvollem Alkoholkonsum und einer ausgewogenen work-life-balance würden insbesondere die Gruppen der Herz-, Nerven-, Stoffwechsel- und Skeletterkrankungen be-

kämpft, während das Wohlbefinden und die Gesundheit gefördert würden. Nötig sind jedoch nicht nur individuelle Verantwortlichkeit, sondern auch gesellschaftspolitische Massnahmen, welche Anreize zu gesundheitsbewusstem Verhalten fördern. Beispiele sind rauchfreie öffentliche Einrichtungen, ein Schulbetrieb nach gesundheitsfördernden Strukturen und die Integration von Bewegungsmitteln wie Inlineskates oder Fahrrädern in den Alltag (Aufhebung der Verbote, bessere Transportmöglichkeiten).

TOP 10 THERAPEUTISCHER BEREICH 2005 Rang

Anatomisch-therapeutischer Bereich

ATCKEY Umsatz CH in Mio. Fr.

in %

1

Kardiovaskuläres System

C

1070

25

2

Nervensystem

N

759

18

3

Alimentäres System (Organe der Nahrungs- bzw. Verdauungskette) und Stoffwechsel

A

620

15

4

Antiinfektiva zur systemischen Anwendung

J

341

8

5

Antineoplastische und immunmodulierende Mittel (Medikamente gegen Tumorbildung und Mittel zur Dämpfung oder Förderung des Immunsystems

L

320

8

6

Muskel- und Skelettsystem

M

271

6

7

Respirationstrakt (Atmung)

R

268

6

8

Blut und blutbildende Organe

B

175

4

9

Dermatika (Mittel gegen Hauterkrankungen)

D

130

3

10

Urogenitalsystem und Sexualhormone

G

128

3

Quelle: santésuisse


24

SANTÉSUISSE – SERVICE

infosantésuisse  Nr. 11, Dezember 2006

Die Krankenversicherer stehen zur leistungsorientierten Abgeltung und fordern echte Reformen

Buchtipp: Das Partnerschaftsgesetz

Partnerschaftsgesetz und Sozialversicherungen

Bekenntnis zu SwissDRG Der Verwaltungsrat von santésuisse hat an seiner Sitzung vom 25. Oktober den Willen zur Einführung eines leistungsorientierten Abgeltungssystems für stationäre Spitalleistungen bekräftigt und stellt sich weiterhin klar und unmissverständlich hinter das Projekt SwissDRG. Gleichzeitig sind den Krankenversicherern die optimalen Rahmenbedingungen für SwissDRG ein grosses Anliegen. So müssen auch die Unfallversicherer sowie alle Kantone das neue Abgeltungssystem anwenden – also auch jene Kantone, die bereits heute mit APDRG arbeiten. Nur damit werden Leistungsund Preisvergleiche überhaupt ermöglicht und notwendige Strukturanpassungen gefördert. Weiter müssen öffentliche und private Spitäler bezüglich der Finanzierung gleich behandelt werden. Heute können

die Kantone ihre Spitalplanungspflicht teilweise zu Lasten der Prämienzahler durchführen, indem sie im Rahmen der Versorgungsplanung private Spitäler zwar auf die Listen nehmen, diese aber nicht mitfinanzieren. Schliesslich darf die im Gesetz vorgesehene Wirtschaftlichkeitskontrolle durch die Versicherer nicht untergraben werden. Mit einer leistungsorientierten Abgeltung ändern sich die Anforderungen an diese Prüfung sprunghaft. Deshalb brauchen die Krankenversicherer den Zugang zu allen relevanten Angaben für die Bestimmung der Leistungskosten. Ein neues Abgeltungssystem ohne die passenden Rahmenbedingungen kann die notwendige Transparenz in der Spitalabgeltung und die erwünschten Effizienzgewinne nicht vollständig realisieren.

Redaktions- Erscheinen schluss Kalenderwoche

Nr.

Partnerschaft den Beitrag an die Kosten eines Spitalaufenthaltes in der Höhe von täglich zehn Franken nicht bezahlen. Yvonne Hebeisen, Sergio Salis: Das Partnerschaftsgesetz, SGGP-Schriftenreihe Nr. 89. Bestelladresse: SGGP, Postfach 2160, 8026 Zürich, Email: info@sggp.ch/ Fax 043 243 92 21/ Tel. 043 243 92 20. Preis: 52 Fr./40 Fr. für Mitglieder

Neue Positionspapiere auf www.santesuisse.ch

Erscheinungsdaten infosantésuisse 2007 Nr.

Das neue Bundesgesetz zur eingetragenen Partnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare tritt per 1. Januar 2007 in Kraft. Im Bereich des Sozialversicherungsrechts wird damit die eingetragene Partnerschaft der Ehe gleichgestellt. Die Schweizerische Gesellschaft für Gesundheitspolitik stellt in ihrer jüngsten Publikation die Auswirkungen des neuen Gesetzes auf die Sozial- und Privatversicherungen vor. Für die Krankenversicherung ändern sich hauptsächlich zwei Dinge: Erstens gelten bezüglich Prämienverbilligung für eingetragene Partnerschaften die gleichen Regeln wie für Ehepaare, und zweitens müssen auch Personen in einer registrierten

Lösungen für die Gesundheitspolitik

Redaktions- Erscheinen schluss Kalenderwoche

1–2

08.01.2007

5

7–8

11.06.2007

27

3

06.02.2007

9

9

06.08.2007

35

4

12.03.2007

14

10

03.09.2007

39

5

09.04.2007

18

11

08.10.2007

44

6

07.05.2007

22

12

12.11.2007

49

In den vergangenen Monaten hat santésuisse ihre offiziellen Positionen und Vorschläge zu Kernbereichen der Gesundheitspolitik den jüngsten Entwicklungen angepasst. Unter www.santesuisse.ch – Politik und Recht – Positionspapiere – finden Sie die aktuellen Stellungnahmen von santésuisse zu Themen wie Hausarztmedizin, Managed Care, Spitalfinan-

zierung, Einheitskasse, Pflegefinanzierung, Transparenz in der Krankenversicherung, Spitzenmedizin oder Wirtschaftlichkeitsverfahren. Die neuen Positionspapiere weisen auch eine neue, leserfreundliche Gestaltung auf und untermauern die Stellungnahmen, wenn möglich und sinnvoll, durch Grafiken und Tabellen.


SANTÉSUISSE – SERVICE

25

infosantésuisse  Nr. 12, Dezember 2006

Veranstaltungen Veranstalter

Besonderes

Datum/Ort

Weitere Informationen

Generika-Forum Sandoz

Thema: Lösungen aus dem Dilemma der Finanzie- 18. Januar 2007 rung und Versorgungssicherheit – am Beispiel der Lake Side Casino, Systeme in Deutschland und der Schweiz Zürich

www.generika-forum.ch

forum santé – Gesundheit forum santé – Gesundheit

Thema: Wettbewerb und Solidarität: Mythos oder Realität?

18. Januar 2007 Hotel Montreux Palace, Montreux

www.forumsante.ch

9. Nationale Gesundheitsförderungs-Konferenz Gesundheitsförderung Schweiz

Thema sind die verschiedenen Formen von Zusammenarbeit in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft

25. bis 26. Januar www.gesundheitsfoerderung.ch Theater Casino, Zug

Thema: Potenzial und Herausforderung der Telemedizin

30. Januar 2007 Swisshôtel, Zürich

Fachtagung Telemedizin www.euroforum.ch

Zeichnung: Marc Roulin

Euroforum


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