infosantésuisse Nr.5/2004 deutsch

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infosantĂŠsuisse Magazin der Schweizer Krankenversicherer Nr. 5, Mai 2004

Im Gespräch: BAG-Direktor Thomas Zeltner Seite 16

TARMED: Hausaufgaben richtig machen Seite 21 20

IM VISIER:

Medikamente


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INHALT

infosantésuisse  5 / 04

Grafik 1: Entwicklung Gesamtkosten OKP vs. Medikamentenkosten

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OKP-Kosten gesamt Medikamente (Arzt & Apotheken)

150 140 Index

KOSTENENTWICKLUNG IM BEREICH DER MEDIKAMENTE – EINE BESTANDESAUFNAHME Weshalb PC-Preise sinken und Medikamentenpreise steigen 7 STUDIE PLAUT: WAS LEISTET UNSER GESUNDHEITSWESEN? Grosses Sparpotenzial ohne Nutzeneinbusse 8 MEDIKAMENTEN-HITPARADE TOP 30 FÜR DAS JAHR 2003 Medikation zu Lasten der Prävention 9 EIN INTERDISZIPLINÄRES PROJEKT ZUR FÖRDERUNG DER COMPLIANCE Medikamentenpass hilft Kosten sparen 10 MEDIKAMENTE: TROTZ MASSENPRODUKTION STÄNDIG TEURER Nicht jede «Innovation» ist innovativ 12 LEISTUNGSORIENTIERTE ABGELTUNG (LOA): ERSTE ZIELE ERREICHT Ertragsneutralität als oberstes Ziel 14 PARALLELIMPORTE VON PATENTGESCHÜTZTEN MEDIKAMENTEN Mit dem Mythos brechen 16 IM GESPRÄCH: BAG-DIREKTOR THOMAS ZELTNER «Vorbeugen ist besser als Heilen» 19 GESUNDHEITSPOLITIK AM SCHEIDEWEG Weg vom Ego – hin zum Anderen 20 KANTON ST. GALLEN: INITIATIVE FÜR BEZAHLBARE KRANKENKASSENPRÄMIEN Prämienzahlende entlasten

Quelle: santésuisse-Datenpool

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Kostenentwicklung im Bereich der Medikamente Seite 4 1996

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Jahre

TARMED 21

SAND IM GETRIEBE BEI DER UMSETZUNG VON TARMED? Mangelhafte Rechnungsstellung beeinflusst die Kostenneutralität

INFO 22 22 22 22 22

Medikamente: Trotz Massenproduktion ständig teurer Seite 10

Service ALLERGIEKAMPAGNE 2004 Zu Risiken und Nebenwirkungen ... EGK-GESUNDHEITSKASSE Führungswechsel CENTRIS Neue Organisationsstruktur KRANKENKASSENWECHSEL 2004 Franchise 1500 Franken: Jeder Siebte hat Kasse gewechselt ATUPRI Personelle Veränderungen in der Geschäftsleitung

Leistungsorientierte Abgeltung (LOA): Erste Ziele erreicht Seite 12

Nr. 5, Mai 2004 Erscheint zehnmal jährlich

Layout: Henriette Lux

Abonnementspreis: Fr. 69.− pro Jahr, Einzelnummer Fr. 10.−

Anzeigenverwaltung: Alle Inserate − auch Stelleninserate − sind zu richten an: «infosantésuisse», Römerstrasse 20, Postfach, 4502 Solothurn

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Herstellung: Vogt-Schild/Habegger Medien AG, Zuchwilerstrasse 21, 4502 Solothurn

Titelbild: Heiner Grieder, Langenbruck ISSN 1660-7228


EDITORIAL

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Aufräumen im Medikamentendschungel

D Manfred Manser Vizepräsident santésuisse

ie Medikamente stellen den grössten Kostenblock in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung dar. Höchste Zeit, das Sparpotenzial zu orten und Missstände zu beseitigen. Die Dichte der Abgabestellen in der Schweiz ist zu hoch. Sie führt zu unnötig hohen Kosten. Das absatzorientierte Denken muss qualitativen Kriterien Platz machen. Apotheken zahlen über die leistungsorientierte Abgeltung (LOA) einen Beitrag zur Kostendämpfung. Im Gegensatz zu den selbstdispensierenden Ärzten. Diese erzielen ihr Zusatzeinkommen mit dem Medikamentenverkauf allein über die Menge und die Marge. Je mehr und je teurer verschrieben wird, desto höher das Einkommen. Die Aufhebung des Kontrahierungszwangs zwischen Leistungserbringern und Krankenversicherern schafft Abhilfe. Selbstdispensierende Ärzte werden in die Pflicht genommen. Handlungsbedarf besteht bei Preisen jener neuen Medikamente, bei denen kein Auslandpreisvergleich und kein therapeutischer Quervergleich möglich sind. Die hohen Preise sind auf Grund fehlender objektiver Regeln nicht nachvollziehbar. Bei vergleichbaren Medikamenten profitiert die Pharmaindustrie von Innovationszuschlägen. Eine unnötige Bevorteilung. Der Markt belohnt Innovationen von allein. Die Überlegenheit neuer Medikamente führt automatisch zu höherem Absatz und grösseren Marktanteilen. Als beliebtes Argument der Pharmabranche zur Rechtfertigung der hohen Preise wird häufig die schweizerische Kaufkraft zitiert. Je grösser die Kaufkraft, desto höher die Medikamentenpreise. Dieser Zusammenhang ist wirtschaftspolitisch gefährlich. Eine Orientierung an der Kaufkraft bei der staatlichen Preisfestsetzung benachteiligt die Branchen im freien Wettbewerb.

Mit der gleichen Argumentation wehrt sich die Pharmabranche gegen die Zulassung von Parallelimporten. Verständlich. Denn eine Öffnung des Marktes würde zu mehr Wettbewerb führen und damit den Druck auf marktgerechte Preise erhöhen. Deshalb sind Parallelimporte auch bei patentgeschützten Produkten zwingend. Ärgerlich ist, dass die Bestimmungen zum Verbot geldwerter Vorteile und die Strafbestimmungen bei Nichtweitergabe von Vergünstigungen der Pharmaindustrie zu immens höheren Gewinnen verholfen hat. Wenn es offenbar so einfach ist, aus dem Medikamentenvertrieb auf einen Schlag so viel Geld herauszunehmen, ist es an der Zeit, dass auch die Prämienzahler davon profitieren. Die Pharmaindustrie und der Medikamentenvertrieb profitieren heute mehrfach von falschen Anreizen und fehlendem Wettbewerb. Auf Kosten der Patienten und Versicherten. Die Zeit für Korrekturen ist überreif.


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Kostenentwicklung im Bereich der Medikamente – Eine Bestandesaufnahme

Weshalb PC-Preise sinken und Medikamentenpreise steigen Die Medikamentenkosten bei Arzt und Apotheker sind seit Einführung des KVG um mehr als 60 Prozent gestiegen. Im Gegensatz zu den Spital- und Pflegekosten ist dieser Zuwachs nicht mit der Entlastung der kantonalen Budgets auf die Prämienzahler zu erklären. Da die Gesamtkosten der Grundversicherung «nur» um rund 40 Prozent gewachsen sind, stellt sich die Frage, was bei den Medikamenten passiert ist (vgl. Grafik 1). Ein Fazit vorneweg: Die Mengenentwicklung steigt bei den Medikamenten nur leicht an, deshalb ist der Grossteil des Kostenanstiegs auf die Preisentwicklung zurückzuführen (vgl. Grafik 2).

E

ine erste Frage, nämlich wer eigentlich den Preis eines Medikamentes bestimmt, kann relativ einfach beantwortet werden, ist doch das Bundesamt für Gesundheit BAG (früher BSV) für die Preissetzung der Medikamente in der Spezialitätenliste (SL) zuständig. Es macht dies in Zusammenarbeit mit der Eidgenössischen Arzneimittelkommission (EAK) nach klar definierten Regeln. Ein neues Medikament wird einerseits mit seinem Preis im Ausland verglichen (Auslandpreisvergleich) und andererseits mit dem Preis bestehender Medikamente für die gleiche oder ähnliche Indikation (therapeutischer Quervergleich). Als Vergleichsländer dienen Deutschland, Holland, Dänemark und Grossbritannien.

Subsidiär werden auch die Nachbarländer Frankreich, Italien und Österreich miteinbezogen. Die vier Vergleichsländer sind im europäischen Vergleich Hochpreisländer. Sie gelten als Bestimmungsländer für den in der EU zugelassenen Parallelimport. Die günstigeren Länder Frankreich und Italien werden nur untergeordnet berücksichtigt, was die Krankenversicherer immer bemängelt haben. Wird ein neues Medikament samt seinem Preis in die SL aufgenommen, so muss es sich nach 24 Monaten einer eventuellen Preiskorrektur unterziehen. Diese Kontrolle ist eingebaut, weil die Schweiz häufig in einem frühen Zeitpunkt die Medikamente zulässt und in der Zwischenzeit

Grafik 1: Entwicklung Gesamtkosten OKP vs. Medikamentenkosten

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Quelle: santésuisse-Datenpool

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dasselbe Arzneimittel auch in den anderen Ländern zugelassen wurde. Nach dieser Preisüberprüfung geschieht ganze 13 Jahre nichts mehr mit dem Preis des Medikamentes. Man spricht hier vom so genannten Preisschutz.

Wieso werden die Medikamente immer teurer? Kein gewöhnlicher Markt: Der Medikamentenmarkt kennt eigene Gesetze, weil er sehr stark reguliert ist. Vergleichen wir ihn mit dem Markt für Personalcomputer fällt in erster Linie die unterschiedliche Preisentwicklung in den beiden Märkten auf. Die Computer kosten seit Jahren etwa gleich viel. Der Preis von Laptops ist sogar gesunken. Demgegenüber haben sich die Computer enorm entwickelt: die erste PentiumGeneration, vor zehn Jahren gross gefeiert, kann man heute im Brockenhaus für unter 50 Franken kaufen. Kurz gesagt: obwohl die Computer immer handlicher und schneller wurden, kosten sie trotzdem nicht mehr als früher. Arzneimittel dagegen werden stets teurer. Es stellt sich die Frage, wieso dies der Fall ist. Die Regulierung der Arzneimittelpreise: Durch den Vergleich mit hochpreisigen Ländern Europas wird der Preis in der Schweiz europaweit an der Spitze angesiedelt. Die Hochpreispolitik wird damit begründet, dass es um den Erhalt des Forschungsstandortes Schweiz gehe. Von den hohen Preisen profitiert aber nicht nur die heimische Pharmaindustrie, sondern natürlich auch die ausländische Konkurrenz. Seit 1996 ist der Anteil der schweizerischen


Preisschutz von 13 Jahren und Innovationszuschlag: Ein spezifisch schweizerisches Problem stellt der Preisschutz von 13 Jahren dar. Ein Medikament kann eigentlich erst nach jahrelanger Erfahrung bezüglich Innovation beurteilt werden. Ein bei der Einführung gewährter Innovationszuschlag kann eventuell nach fünf Jahren nicht mehr gerechtfertigt erscheinen. Demgegenüber erweist sich ein anderes Medikament besser als erwartet. Preissenkungen sind kaum möglich, auch wenn sie von den Krankenversicherern gefordert werden. Die Pharmafirmen drohen mit aufwändigen Prozessen, auf die sich weder die Krankenversicherer einlassen können, noch das BAG einlassen will. Preiserhöhungen auf Gesuch der Firma werden eher gewährt. Doch auch hier herrscht seit einigen Jahren eine restriktive Praxis. Ist der Preis in der Spezialitätenliste einmal

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Grafik 2: Preisentwicklung rezeptpflichtige Medikamente (Ex factory-Preis) Quelle: IHA

150 145 140 Preisniveau Ex factory

135 130 125 Index

Pharmaproduzenten am hiesigen Markt von 33 auf knapp 28 Prozent zurückgegangen. Die schweizerische Hochpreispolitik wird letztlich vom Prämienzahler bezahlt. Der therapeutische Quervergleich, als zweites Kriterium für die Preisbildung, bewirkt zudem ein klassisches Rennen nach hohen Preisen nach dem Motto: «wenn der andere teuer ist, darf auch ich teuer sein.» Gut sichtbar ist diese Tendenz bei den ultrateuren Medikamenten. Jahrestherapiekosten von mehreren zehntausend Franken sind heute keine Seltenheit mehr. Bei durchschnittlichen Prämieneinnahmen von 1500 bis 3500 Franken pro Jahr lässt sich leicht ausrechnen, wie viele Versicherte ein einzelnes Medikament finanzieren müssen. Dieses Race-to-the-Top ist jedoch kein schweizerisches Problem. Alle Gesundheitssysteme haben grosse Schwierigkeiten, die Tendenz zu sehr teuren Medikamenten in den Griff zu bekommen. Die Pharmaindustrie profitiert von den regulierten Gesundheitssystemen. Andererseits sieht sie sich auch mit stark steigenden Forschungskosten konfrontiert. Auch produziert sie immer spezifischere Medikamente für immer kleinere Patientengruppen. Um auch mit kleineren Mengen einen genügenden Umsatz pro Medikament zu erwirtschaften, setzt sie den Preis für das einzelne Präparat immer höher. Die schwächere Konkurrenzsituation im Vergleich zu den Computerherstellern lässt eine solche Preisgestaltung zu.

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festgelegt, kann er kaum mehr verändert werden. Der Preisschutz müsste also abgeschafft werden, damit die Wirtschaftlichkeit eines Arzneimittels nicht nur bei der Einführung, sondern zu jedem Zeitpunkt sichergestellt werden kann. Ebenfalls müsste der Innovationszuschlag grundsätzlich in Frage gestellt werden. Hätte Intel für jeden neuen Computerprozessor einen Innovationszuschlag bekommen, so würde ein Personalcomputer heute wohl über 100 000 Franken kosten. Der Patentschutz: Ein Originalmedikament geniesst in der Schweiz 20 Jahre Patentschutz (inkl. Schutzzertifikat). Der Patentschutz ist notwendig, weil er die Forschungskosten der Hersteller durch die so genannte Monopolrente abgilt. Ohne Patentschutz werden keine innovativen Medikamente mehr hergestellt, weil eine Konkurrenzfirma ein Original sofort nachahmen und billiger verkaufen könnte. Eine Investition in die Forschung würde sich so nicht mehr lohnen. Der Patentschutz kann aber auch die Innovation bremsen, weil es sich für eine Firma nicht rechnet, ein neues Medikament mit der gleichen Indikation einzuführen, bevor der Patentschutz des alten abgelaufen ist. Ist der Patentschutz abgelaufen, haben die Generikafirmen die legitime Möglichkeit, ein identisches Produkt auf den Markt zu bringen. Obwohl der Generikamarkt in den letzten Jahren in der Schweiz rasant

gewachsen ist, lässt er sich im internationalen Vergleich noch stark ausbauen. Die Ärzte müssten hierfür einerseits konsequent Originale mit Generika ersetzen, und andererseits neue Produkte zurückhaltender einsetzen, damit der generikafähige Markt in der Schweiz vergrössert werden kann. Nach unserer Schätzung liessen sich auf diese Weise rund 250 Millionen Franken pro Jahr sparen. Entgegen der landläufigen Meinung ist der Einsatz der Generika nicht innovationshemmend. Wenn eine Firma mit dem alten Originalpräparat grosse Profite erwirtschaften kann, weil kein Druck von den Generikaherstellern ausgeht, so investiert die Firma statt in neue Medikamente ins Marketing alter Arzneimittel. Generikasubstitution ist somit nicht nur Kosten sparend, sondern treibt die Originalhersteller zur Innovation an. santésuisse fordert deshalb, die Kassenpflicht auf den Preis des Generikums zu reduzieren. Auf diese Weise könnte jeder Versicherte selbst wählen, ob ihm der Mehrpreis für das Original Wert ist oder nicht.

Wie kann im Medikamentenbereich gespart werden? Wettbewerb nachbilden: Der Medikamentenmarkt kann nicht so stark liberalisiert werden wie der Markt für Computer. Die Eigenheiten des Medikaments (grosse Forschungskosten, Arzneimittelsicherheit, lebensrettende Wirkung usw.) lassen dies nicht zu. Deshalb muss man den Wettbe-


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Zeichnung: Marc Roulin

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Die Medikamentenkosten bei Arzt und Apotheker steigen und steigen...

werb imitieren. Damit Preisanpassungen regelmässig geschehen, muss der Preisschutz aufgehoben werden. Ferner würde die Zulassung des Parallelimports die hohen Preise in der Schweiz an das EU-Niveau angleichen. Der Parallelimport würde den Patentschutz nicht abschaffen, da nur Medikamente vom selben Hersteller importiert werden dürfen. Wichtig wäre hier jedoch der Wettbewerb unter den Parallelimporteuren und den Abgabestellen, damit der Konsument profitieren kann und nicht die gesamte Einsparung beim Handel hängen bleibt. Sparpotenzial ausschöpfen (Generika, Limitationen): Das Sparpotenzial kann durch konsequente Generikasubstitution ausgeschöpft werden. Andererseits ist eine verbesserte Leistungskontrolle unumgänglich. Da Medikamente für viele Diagnosen angewendet werden können, jedoch nur für einzelne Diagnosen leistungspflichtig sind, muss dies präzise kontrolliert werden können. Diese so genannten Limitationen werden in Zukunft immer wichtiger. Prävention: Vorbeugung nützt im Medikamentenbereich ganz besonders. Weltweit die umsatzstärksten Medikamente sind die

Cholesterinsenker. Beruhigungsmittel, Medikamente gegen Geschwüre, gegen hohen Blutdruck und bei Diabetes weisen jedoch auch einen hohen Umsatz auf. Ein Leben mit genügend Bewegung, gesunder Ernährung und ohne Suchtmittel verhindert nachweislich zu hohe Cholesterin- und Zuckerwerte sowie hohen Blutdruck. Viele Arzneimittel müssten gar nie eingenommen werden, wenn man den Lebensstil verändern würde. Dazu braucht es nicht nur höhere finanzielle Mittel für die Präventionsförderung, sondern auch die Anstrengung jeder einzelnen versicherten Person. Anspruch der Versicherten: Der Anspruch der Versicherten wird bei hohen Prämien immer ausgeprägter. Alles soll bezahlt werden, und nur das Beste ist gut genug. Zwar ist die Akzeptanz der Generika gemäss Plaut-Studie (siehe Artikel auf Seite 7) in der Bevölkerung gestiegen, doch ist die Generikasubstitution nur bei alten Produkten möglich. Da aber die neusten Arzneimittel verlangt und auch verschrieben werden, ist das Einsparungspotenzial bei den Generika bei weitem nicht ausgeschöpft. Ferner bewirkt das Sicherheitsdenken bei Arzt und Patient auch zusätzliche Verord-

nungen. Lieber ein Medikament zu viel als eines zu wenig, lautet hier das Motto. Ausserdem sind die Angehörigen von Schwerkranken häufig mitverantwortlich für zusätzliche Therapien, die nur lebensverlängernd wirken, aber sehr teuer sind. Niemand stellt sich die Frage, ob das Geld nicht intelligenter eingesetzt werden könnte. Beispielsweise könnte man an Stelle einer zusätzlichen Krebstherapie eine intensivere Sterbebegleitung finanzieren, wenn dem Lebenspartner der Lohnausfall bezahlt würde.

Fazit Sparen könnte man auf vielen Ebenen. Doch müssten alle einen Effort leisten. Die Pharmaindustrie (Preissenkungen, Parallelimport), die Ärzte (restriktivere Verschreibungspraxis), die Krankenversicherer (bessere Kontrolle der Limitationen), aber auch die Versicherten (Verhaltensänderungen, Anspruchsdenken). Entscheidend gefordert ist die Politik, die mit der KVG-Revision die Möglichkeit hat, Verbesserungen herbeizuführen. Gute Gesetze nützen jedoch wenig, wenn der Gesetzesvollzug nicht klappt. Das BAG hat hier eine besondere Verantwortung.   (FM)


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Studie Plaut: Was leistet unser Gesundheitswesen?

Grosses Sparpotenzial ohne Nutzeneinbusse Unter dem Titel «Was leistet unser Gesundheitswesen?»1 hat das Strategieberatungsunternehmen Plaut Economics Bern in Zusammenarbeit mit dem Sozialökonomischen Institut der Universität Zürich eine Studie publiziert, die den Nutzen bestimmter Merkmale der Grundversicherung für die Versicherten misst. Die Studie bringt u.a. zum Ausdruck, dass die Schweizer Bevölkerung in Bezug auf Medikamente äusserst kostenbewusst ist. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass in der Grundversicherung jährlich hunderte von Millionen Franken gespart werden könnten – und dies ohne jegliche Nutzeneinbusse für die Versicherten.

Keine höhere Vergütung für Originalmedikamente als für Generika Ein weiteres Merkmal bei der Wahl des Leistungspakets betraf die Höhe der Vergütung für Medikamente. Auch hier zeigte sich, dass der Nutzen der Versicherten nicht davon abhängt, ob bei teuren Originalpräparaten der Preis des Markenprodukts oder lediglich der Wert des entsprechenden Generikums von der Versicherung erstattet wird. Es lässt sich somit der Schluss ziehen, dass eine Vergütung über den Preis des Generikums hinaus kaum einen Nutzen und nur zusätzliche Kosten für die Grundversicherung verursacht. Die Resultate der Plaut-Studie werden durch weitere aktuelle Forschungsergeb-

nisse bestätigt. So bevorzugt die Mehrheit der Befragten beim neuesten Gesundheitsmonitor des GfS-Forschungsinstituts Generika gegenüber Originalpräparaten, wenn sie die Wahl hat. Eine weitere Studie, die vom IHA-GFM im Auftrag von Mepha Anfang 2004 durchgeführt wurde, kommt zum genau gleichen Schluss. Eine klare Mehrheit der Befragten sprach sich für Generika aus. Damit beweisen sowohl die PlautStudie als auch die beiden anderen aktuellen Studien, dass die Schweizer Versicherten sehr preisbewusst sind – dies ganz im Kontrast zu den effektiv bezahlten Medikamentenpreisen, die weltweit zu den höchsten gehören. Nach Ansicht der Krankenversicherer sollten diese klaren Publikumsvoten auch in der laufenden Revision des Krankenversicherungsgesetzes ihren Niederschlag finden. Sowohl die Generika-Vergütung oder Wirkstoffverschreibung, als auch die Straffung der Spezialitätenliste entsprechen offenbar nicht nur einer Forderung der Krankenversicherer, sondern auch einem weit verbreiteten Wunsch der Bevölkerung. Da die Versicherten gemäss den verschiedenen Studien sehr preisbewusst sind, darf zudem auch die Forderung nach einer Preissenkung bei Originalmedikamenten nicht unerwähnt bleiben. Als Instrumente dazu würden sich der Parallelimport, die Abschaffung des Innovationszuschlags oder die Aufhebung des Preisschutzes eignen.  (TH) Die vollständige Studie finden Sie auf www.santesuisse.ch unter der Rubrik «Zahlen und Fakten» – «Studien».

1

Foto: Prisma

I

m Rahmen der Studie konnten die Befragten zwischen verschiedenen Leistungspaketen der Grundversicherung auswählen. Eines der Merkmale betraf die Vergütung von Medikamenten für Bagatellerkrankungen (z.B. Medikamente gegen Schnupfen, Wunddesinfektionsmittel oder Badezusätze). Dabei stellte sich heraus, dass dieses Merkmal bei der Wahl der Befragten zwischen verschiedenen Versicherungspaketen keinen signifikanten Einfluss hatte. Die durchschnittliche Zahlungsbereitschaft für dieses Merkmal war sogar negativ. Das bedeutet, dass eine Streichung dieser Medikamente aus dem Grundleistungskatalog den gesellschaftlichen Nutzen keineswegs beeinträchtigen, sondern ihn sogar erhöhen würde. Das ist sicherlich ein bemerkenswertes Ergebnis, das den Schluss nahe legt, dass Bagatellmedikamente nicht auf die Spezialitätenliste gehören.

Eine Mehrheit der Schweizer sprechen sich für Generika aus.


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GESUNDHEITSWESEN

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Medikamenten-Hitparade: Top 30 für das Jahr 2003

Medikamentenkonsum statt Prävention Die Medikamenten-Hitparade berücksichtigt alle abgegebenen Medikamente der Ärzte und A ­ potheken, die von den Krankenversicherern im Jahr 2003 über die obligatorische Krankenpflegeversicherung bezahlt wurden. Die verschiedenen Darreichungsformen und Dosierungen wurden zusammengezählt und unter dem Hauptmarkennamen aufgelistet.

I

n der Topliste findet sich kein einziges Generikum, obschon immer wieder betont wird, dass die Akzeptanz und auch der Einsatz von Generika zunehmend sind. Der Gebrauch von Generika ist immer noch sehr gering. Dies zeigt sich darin, dass Platz 1 der Topliste von einem generikafähigen Medikament besetzt ist, und insgesamt acht umsatzstarke Medikamente in den Top 30 vorzufinden

Nr.

Name

Umsatz 2003 CH in Mio. Fr.

sind, für die bereits Generika auf dem Markt sind! Würden diese acht entsprechend ersetzt, ergibt sich ein Sparpotenzial von rund 96 Millionen Franken, ohne dass dadurch eine Leistungs- oder Qualitätsreduktion in Kauf genommen werden müsste. Auch die Spitäler und dessen Ambulatorien sollten Generika verschreiben, da die Medikation nach Spitalaustritt meist beibehalten wird, siehe insbesondere z.B.

Anwendungsgebiet

1

Antra

90

Magensäurehemmer

2

Sortis

88

Cholesterinsenker

3

Zocor

69

Cholesterinsenker

4

Vioxx

58

Antirheumatikum

5

Norvasc

57

Blutdrucksenker

6

Selipran

56

Cholesterinsenker

7

Seropram

56

Antidepressivum

8

Seretide

46

Asthma

9

Reniten

45

Blutdrucksenker

10

Zyprexa

40

Schizophrenie

11

Fosamax

40

Osteoporose

12

Cosaar

40

Blutdrucksenker

13

Aprovel

38

Blutdrucksenker

14

Plavix

38

Thrombozytenaggregations-Hemmer

15

Nexium

37

Magensäurehemmer

Billigstes Generikum Amanol

Citalopram Ecosol

Limitation

Limitation

Pantozol

33

Magensäurehemmer

17

Deroxat

33

Antidepressivum

Paroxetin-Mepha

18

Sandimmun Neoral

31

Immunsuppressivum

Ciclosol

19

Diovan

29

Blutdrucksenker

20

Torem

29

Blutdrucksenker

21

Agopton

27

Magensäurehemmer Blutdrucksenker

22

Atacand

27

Efexor

26

Antidepressivum

24

Zoloft

23

Antidepressivum

25

Celebrex

23

Antirheumatikum

26

Fluctine

22

Antidepressivum

Fluocim

27

Voltaren

22

Antirheumatikum

Diclo-basan

28

Aspirin

20

Thrombozytenaggregations-Hemmer

29

Stilnox

20

Schlafmittel

30

Augmentin

20

Antibiotikum

Quelle: santésuisse 2004

Amicosol Co-Amoxi-Mepha clavu-basan

Limitiert und trotzdem in den Top 30 In der Liste der Top 30 treten drei Medikamente mit Limitationen auf. Es ist erstaunlich, dass Medikamente, die nur für bestimmte Indikationen kassenpflichtig sind, einen so hohen Umsatz aufweisen. Es fragt sich, ob die Limitationen zu breit formuliert werden, so dass praktisch kaum Einschränkungen erfolgen. Als Beispiel fällt Plavix auf Platz 14 auf, das nur in ganz bestimmten Fällen kassenpflichtig ist. Da es 14-mal teurer ist als das ähnlich wirkende Aspirin Cardio, müssen solche Limitationen unbedingt befolgt werden, damit das Geld am richtigen Ort aufgewendet wird, und das Medikament einen Zusatznutzen entwickeln kann (siehe auch Artikel S. 10/11).

Drei Cholesterinsenker in den Top 6

Vasocor

16

23

Limitiertes Anwendungsgebiet

Sandimmun Neoral, das durch Ciclosol ersetzt werden könnte.

Limitation

In den Top 6 werden drei Plätze durch Blutfettsenker belegt. Hier zeigt sich, dass die schweizerische Gesundheitspolitik eindeutig die medikamentöse Behandlung der Bevölkerung zu Lasten der Prävention priorisiert. In diesem Bereich könnte durch Förderung einer gesundheitsrelevanten Lebensweise, z.B. bezüglich körperlicher Bewegung, Ernährung, Gewichtskontrolle, Alkohol- und Zigarettenkonsum sowie bezüglich schädigender Verhaltensmuster (Stress, Depression usw.) die Bevölkerung «entmedikalisiert» werden. Es braucht jedoch nicht nur die individuelle Verantwortlichkeit, sondern auch gesellschaftspolitische Massnahmen wie z.B. ein Rauchverbot in allen öffentlich zugänglichen Gebäuden, verstärkte Gesundheitsförderung in Schulen usw. In gesundheitsfördernden Massnahmen steckt noch ein erhebliches Potenzial zur Senkung des Medikamentenkonsums und zur nachhaltigen Förderung der Lebensqualität.  (SW)


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Ein interdisziplinäres Projekt zur Förderung der Compliance

Medikamentenpass hilft Kosten sparen Die aktive Beteiligung und die Umsetzung der Therapievorschläge bei der Behandlung einer chronischen oder kurzzeitigen Erkrankung darf nicht nur bei den Erkrankten ansetzen, sondern muss auch die Ärzte und Apotheker einbinden. Mit einem neuen Instrument – dem Medikamentenpass zur Complianceförderung – soll die Kommunikation und die aktive Beteiligung aller Beteiligten verbessert werden.

Unnötige Kosten im Gesundheitswesen durch Non-Compliance Der unwirtschaftliche Einsatz von Arzneimitteln stellt ein immenses Sparpotenzial in unserem Gesundheitswesen dar. Studien zeigen, dass nur gerade ein Drittel der Patienten die Medikamente korrekt einnehmen. Die höchsten Raten der Non-Compliance finden sich bei Personen mit Asthma, Diabetes mellitus, Hypertonie und Rheuma. Gemäss internationalen Studien wären u.a. zirka sechs Prozent der Hospitalisationen und rund zehn Prozent der ambulanten ärztlichen Leistungen durch Befolgen der Therapievorschläge vermeidbar. Die Fol-

Foto: Prisma

D

ie Behandlung einer chronischen oder kurzzeitigen Erkrankung erfordert von den Betroffenen eine aktive Beteiligung, um eine möglichst hohe Lebensqualität beibehalten oder zurückerlangen zu können. Nebst einer Veränderung des Lebensstils stellen meist auch medikamentöse Behandlungspläne eine der vielen Massnahmen der Gesundheitserhaltung dar. Beide Massnahmen erfordern von den Betroffenen Eigenverantwortung zur Mitbestimmung und Umsetzung der Therapieentscheidungen. Das Ausmass der aktiven Beteiligung und die Umsetzung der Therapievorschläge werden als Compliance bezeichnet. Die Compliance ist situationsabhängig und kann sich während eines Behandlungsverlaufs drastisch ändern. Einflüsse wie die soziale Unterstützung durch die Bezugsperson, die Komplexität der Medikamententherapie oder auch die kommunikativen und didaktischen Fähigkeiten des Gesundheitspersonals beeinflussen die Compliance. Es ist bekannt, dass insbesondere bei chronischen Krankheiten die Bereitschaft zur medikamentösen Compliance im Verlauf sehr unterschiedlich ist.

rer eine effizientere Verwendung der ausgegebenen Gelder. Dem effizienten Einsatz der Arzneimittel hat sich eine Gruppe aus Vertretern der Pharmaindustrie und Krankenversicherer, genannt «Pharmaday», mit dem Ziel angenommen, die Compliance bei Personen mit chronischen koronaren Herzkrankheiten zu verbessern.

Medikamentenpass zur Complianceförderung

Die Behandlung einer Erkrankung erfordert von allen Beteiligten ein aktives Mitmachen.

gen von Non-Compliance, verursacht durch nicht eingenommene Medikamente, bilden nicht nur unnötige Zusatzkosten und schränken die Lebensqualität ein, sondern zeichnen sich auch für volkswirtschaftliche Einbussen bezüglich Produktivität, Fehlzeiten durch Arzt-/Spitalbesuche und vorzeitige Todesfälle verantwortlich.

Von guter Compliance profitieren alle Akteure im Gesundheitswesen Es ist bekannt, dass bei koronaren Herzkrankheiten die Erhöhung der Compliance für alle Beteiligten gewinnbringend ist. Für die Patienten kann eine Arzneimitteltherapie eine bessere Lebensqualität bedeuten, für die Pharmafabrikanten, Apotheker und Ärzte einen zufriedenen Patienten als Kunden und für die Krankenversiche-

Mit einem Medikamentenpass, der in dieser Form noch nie entworfen wurde, soll die Compliance der Erkrankten, des Arztes und des Apothekers erhöht werden. Bei den Patienten soll die aktive Beteiligung durch die Messung des Blutdruckes und entsprechender Dokumentation im Medikamentenpass gefördert werden. Diese Dokumentation gibt einerseits Aufschluss über die Compliance, andererseits über den Therapieerfolg. Der Arzt und Apotheker ihrerseits notieren die Medikamentenabgabe und überprüfen den Therapieerfolg sowie die Compliance anhand der Blutdruckwerte. Mit diesen verschiedenen Ansatzpunkten soll eine vermehrte Kommunikation zwischen den verschiedenen Personen erreicht werden. Zurzeit ist ein Vor-Pilotprojekt in Zürich (Projektleiter: Prof. Dr. W. Vetter, Klinikdirektor der medizinischen Poliklinik des Universitätsspitals Zürich) und in Lausanne (Projektleiter: Dr. O. Bugnon, Pharmacie de la PMU, Lausanne) zur Prüfung der Akzeptanz des Medikamentenpasses bei den verschiedenen Marktplayern im Gange. Erste Resultate sind im Herbst 2004 zu erwarten. Eine interdisziplinäre Zusammensetzung zur Ausarbeitung von Massnahmen im Gesundheitswesen findet sich selten. Wir hoffen, dass der Medikamentenpass ein Gewinn für alle wird.  (SW)


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Medikamente: Trotz Massenproduktion ständig teurer

Nicht jede «Innovation» ist innovativ Der Konsument ist sich gewöhnt, dass der Fortschritt zu besseren Produkten oder tieferen Preisen, höherer Qualität und Innovation führt. Im täglichen Leben ändert sich unser Warenkorb laufend, und ehemals teure Luxusgüter sind längst zu erschwinglichen Gebrauchsgegenständen geworden. Und wie verhält es sich mit Medikamenten? Während Jahrhunderten vom Apotheker nach einem Rezept vom Arzt für viele Patienten individuell hergestellt, werden sie heute meistens grossindustriell gefertigt und sind zur Massenware geworden.

E

s wird wohl niemand in Abrede stellen, dass Medikamente in den letzten Jahrzehnten zum Allgemeingut geworden sind – trotzdem steigen die Therapiekosten stetig weiter an. Fakt ist auch, dass die Forschung enorme Fortschritte gemacht hat und Medikamente wie Antibiotika, Psychopharmaka, Impfstoffe und Hormone unsere Gesellschaft nachhaltig verändert haben. Insgesamt haben wir in den letzten Jahrzehnten eine sehr hohe Qualität der medizinischen Versorgung erreicht. Auch aus diesem Grund wird die Entwicklung neuer Präparate immer schwieriger und auch teurer. Um diese, für die Pharmafirmen ungünstigen Faktoren möglichst gering halten zu können, wird versucht, mit Marketingmethoden den Markt zu erweitern. So werden etwa Lizenzpräparate, die die gleiche Substanz wie das Originalpräparat enthalten, zum gleichen Preis wie das Original verkauft. Da durch dieses Angebot eine Mengenausweitung entsteht, die weder im Interesse des Patienten noch des Krankenversicherers ist, sollten Lizenzpräparate jedoch zu einem tieferen Preis verkauft werden. Für den Patienten spielt es nämlich keine Rolle, welchen Phantasienamen sein Originalpräparat trägt, solange die Präparate die gleiche Wirkung haben. Wird ein analoges Präparat, d.h. ein Präparat mit vergleichbarer Wirkung entwickelt, stellt sich bei der Beurteilung die Frage des Grenznutzens. So rechtfertigt sich etwa ein Mehrpreis, wenn das Medikament nachgewiesenermassen weniger Nebenwirkungen hat. Bei schweren chronischen Leiden etwa ist es besonders wichtig, dass nicht nur die Wirkung, sondern auch die Nebenwirkungen untersucht

werden. Dies trifft beispielsweise für die Behandlung der Schizophrenie zu. Zwar wurden in den letzten dreissig Jahren in der Behandlung dieser Krankheit grosse Fortschritte erzielt, doch haben alle Medikamente unangenehme Nebenwirkungen. U.a. leiden viele Patienten an einer Gewichtszunahme. Nun ist aber auch das neuste dieser Medikamente, Zyprexa, nicht ohne Nebenwirkungen und hat trotzdem Tagestherapiekosten, die viermal höher sind, als diejenigen des Standardpräparates Haldol. Obschon also Zyprexa eine erwünschte Erweiterung des Medikamentenspektrums, aber kein eigentlicher Durchbruch bedeutet, gehört es bereits heute zu den zehn meist verkauften Medikamenten.

Wenn Marketing günstiger ist als Forschung Besonders bei Langzeitbehandlungen sollten solche Preisunterschiede hinterfragt werden. Dies trifft auch für blutdrucksenkende Medikamente zu, die dank raffinierter Marketingstrategie zu den umsatzstärksten Produkten zählen. Der Preisunterschied von solchen analogen Präparaten zum vergleichbaren Blutdrucksenker Captopril liegt zwischen 25 bis 50 Prozent, obwohl zahlreiche wissenschaftliche Publikationen keine signifikanten Unterschiede belegen. Für die Firmen hat es sich in diesem Fall gelohnt, viel grössere Mittel ins Marketing und Co-Marketing als in die Forschung fliessen zu lassen. Auch die neuen COX-2-Hemmer, die zur Behandlung rheumatischer Erkrankungen und Schmerzzustände eingesetzt werden, gehören zu den umsatzstärksten Medikamenten, obschon sie wesentlich teurer sind als die älteren nicht stero-

idalen Entzündungshemmer. Immer wieder belegen neue Studien, dass die entzündungshemmende Wirkung der beiden Medikamentengruppen keine signifikanten Unterschiede aufweist. Magen-DarmProbleme sind etwas seltener, aber auch bei dem COX-2-Hemmer muss gelegentlich die Behandlung wegen gastrointestinalen Beschwerden abgebrochen werden.


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Bereits ist ein weiterer COX-2-Hemmer mit einem noch höheren Preis dazugekommen. Eine seltene Nebenwirkung dieses Medikamentes sind allergische Hautreaktionen, die lebensbedrohlich sein können. Es liegen genügend Gründe vor, diese Medikamente zurückhaltend zu verschreiben, da der Zusatznutzen umstritten ist.

Eine Tasse Tee ist günstiger als eine entsprechende Kapsel

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schwerden trotzdem zunehmen, wird der Arzt Antra Mups verschreiben. Wie alle anderen Protonenpumpenhemmer ein sehr wirksames Medikament, das schon manches Magengeschwür und manchen Spitaleintritt verhindert hat. Die Rollkuren mit Silbersalzen sind längst Medizingeschichte. Oft können aber Patienten mit Refluxkrankheiten ebenso gut mit dem billigeren Ranitidin, einem H2-Rezeptoren-Antagonisten, behandelt werden. Weniger Alkohol und Nikotin sowie eine gesunde Ernährung würde eine Verminderung des Umsatzes der Protonenpumpenhemmer, die in der Schweiz Spitzenplätze in der Rangliste der meistverkauften Medikamente einnehmen, zur Folge haben.

Vom Sinn und Unsinn der Konkurrenzprodukte Nachdem man in der Volksmedizin die fiebersenkende und antirheumatische Wirkung der Weidenrinde erkannt hat, hat man deren Inhaltsstoffe isoliert. Vor etwa Foto: Prisma

Liegt der Zusatznutzen vor allem im Komfort für den Patienten, wie bei den Hormonpflastern im Vergleich zu den Tabletten, sollten die Mehrkosten wohl kaum durch die soziale Krankenversicherung getragen werden. Dies gilt auch für andere Medikamente wie z.B. Pfefferminzölkapseln bei leichten Magen-Darmbeschwerden. Anstatt eine Tasse Pfefferminztee zu trinken, wird lieber eine Kapsel geschluckt. Nach einer durchzechten Nacht hilft vielleicht eine Tasse Pfefferminztee zu wenig, und der Apotheker wird seinem Kunden Alucol empfehlen. Sollten die Be-

Eine echte Innovation bewährt sich am Markt und soll nicht noch zusätzlich mit einem höheren Medikamentenpreis belohnt werden.

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100 Jahren wurden daraus in Deutschland und der Schweiz Aspirin und Alcacyl entwickelt. Beide Medikamente werden noch heute gegen Fieber und Schmerzen eingesetzt. Vor zehn Jahren wurden Aspirin und Alcacyl als Aspirin Cardio und Tiatral mit der neuen Indikation als Thrombozytenaggregationshemmer – notabene zum doppelten Preis der alten Schmerzmittel – kassenpflichtig. Trotzdem ist es eine kostengünstige Langzeittherapie, und der Mehrpreis durch die neue Indikation gerechtfertigt. Das neu entwickelte Konkurrenzpräparat Plavix ist im Vergleich dazu sehr teuer, die Wirkung vergleichbar und bezüglich Nebenwirkungen bietet es keine Vorteile. Ungerechtfertigterweise hat es Aspirin Cardio auf einen hinteren Rang der Liste der meistverkauften Medikamente verdrängt. Den Spitzenplatz in der Liste der meistverkauften Medikamente nehmen die Statine ein, Medikamente zur Senkung des Cholesterinspiegels. Der Nutzen dieser Medikamente ist bewiesen. Doch bei der Aufnahme in die Spezialitätenliste anfangs der 90er-Jahre wurden die Statine für Risikopatienten limitiert und zudem mit niedrigeren Dosen therapiert, was auch niedrigere Kosten bedeutet. Durch die Dosiserhöhung und Aufhebung der Limitatio erfolgte eine Mengenausweitung, die bis jetzt noch keine Preissenkung zur Folge hatte. Eine Senkung der Medikamentenkosten könnte zusätzlich durch Prävention wie mehr Bewegung und Diät erreicht werden. Diese Beispiele zeigen, dass lange nicht jedes Medikament, das im Marketing als «Innovation» verkauft wird, tatsächlich auch innovativ ist. In der Tat dürften in den letzten Jahren neu lancierte Medikamente nur in ganz wenigen Fällen echte Innovationen sein. Dass dennoch bei etlichen Medikamenten ein Innovationszuschlag bei der Preisbestimmung gewährt wird, ist unverständlich. Der «Mehr-» oder sogar «Minderwert» kann bei der Markt­ einführung oft noch kaum beurteilt werden, da noch zu wenig Erfahrungen vorliegen. Manche Medikamente verschwinden wieder unauffällig vom Markt, andere werden mit Marketingmethoden zu Verkaufsschlagern und einige wenige wurden zum unentbehrlichen Therapieklassiker. Echte Innovationen haben einen Innovationszuschlag gar nicht nötig.  (CW)


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Leistungsorientierte Abgeltung (LOA): Erste Ziele erreicht

Ertragsneutralität als oberstes Ziel santésuisse und der Schweizerische Apothekerverband haben die ersten gemeinsamen Ziele, die sie sich für das neue Abgeltungssystem für Apotheker gesteckt haben, erreicht. Sie können dem ­Parlament und dem Bundesrat bestätigen, dass bei der Einführung von LOA die Ertragsneutralität auf der Distributionsseite eingehalten wurde, wie dies im Tarifvertrag festgelegt ist. Für 2004 ist die Verbesserung des Systems sowie die Ausarbeitung eines angepassten Vertrags vorgesehen, der 2005 in Kraft treten soll.1

Foto: Prisma

zent). Im Jahr 2002 entspricht die Entwicklung des Bruttoertrages der Distribution und Abgabe (+ 1,39 Prozent) lediglich der Hälfte der Zunahme der abgegebenen Packungen (+ 3,05 Prozent). Auf der Grundlage der Fakturierungsdaten der Apotheker kann man feststellen, dass die folgenden Ziele erreicht wurden: 1. Durch den LOA-Tarifvertrag konnte die Entwicklung des Distributions- und Abgabe-Anteils stabilisiert werden. 2. Die Entlöhnung des Apothekers ist für die pharmazeutische Dienstleistung nun unabhängig von der Entwicklung der Medikamentenpreise. 3. Verglichen mit dem alten System sind die Medikamentenkosten im Jahr 2002 dank LOA um über 100 Millionen Franken weniger stark gestiegen (KSB: 56 Millionen, LOA-Effekt: 46 Millionen).

Fazit

Die leistungsorientierte Abgeltung (LOA) für Apotheker hat sich bewährt.

A

ls gemeinsames Ziel halten sowohl santésuisse als auch der Schweizerische Apothekerverband den Systemwechsel unter Einhaltung der Neutralität des Bruttoertrages im Distributionsbereich fest. Die Entwicklungskurve des Bruttoertrages im Distributionsbereich (s. Grafik: blau

bzw. blau und grün) zeigt einen klar abgeflachten Verlauf. Seit der Einführung der leistungsorientierten Abgeltung (LOA) im Jahr 2001 lässt sich – bereits im Einführungsjahr – feststellen, dass sich der Bruttoertrag der Distribution und Abgabe nicht stärker entwickelt hat als die Zunahme der abgegebenen Packungen (+ 2,4 Pro-

santésuisse und der Schweizerische Apothekerverband arbeiten nun gemeinsam an einer Rationalisierung der Medikamentenkosten. Dies soll durch eine Optimierung des Kosten/Nutzen-Verhältnisses der Arzneimitteltherapien, vor allem durch den vermehrten Einsatz von Generika, erreicht werden.   (SAV)

1

In diesem Artikel wurden nur die Medikamente der «Spezialitätenliste» des BSV berücksichtigt, welche rezeptpflichtig sind (Listen A und B von Swissmedic), von der obligatorischen Grundversicherung übernommen werden und welche von den Apotheken, die über die Abrechnungszentrale OFAC (Genf) abrechnen, im Tiers-Payant-System an die Krankenversicherer verrechnet werden. Die Daten dieser ca. 1100 Apotheken wurden auf die ca. 1650 Schweizer Apotheken hochgerechnet.


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Entwicklung der Umsatzanteile der Apotheken (SL, Listen A+B, Tiers payant) 1400 Quelle: SAV

1200 1000 800 600 400 200 0

1997

1998

Anteil Hersteller (ex factory)

1999

2000

Anteil Grossist + Apo - KSB (KSB = Kostenstabilisierungsbeitrag)

2001

2002

Anteil Tarif (LOA-Taxen)

Detaillierte Erklärung der Grafik 1. Die roten Balken zeigen die Entwicklung des Industrieanteils, d.h. den Umsatz mit den betroffenen Medikamenten (SL A+B) zu Fabrikabgabepreisen. Die jährliche Zunahme dieses Umsatzes beträgt im Durchschnitt in den fünf betroffenen Jahren fast 10 Prozent, während die Anzahl abgegebener Packungen (Absatz) zwischen zwei und drei Prozent pro Jahr gestiegen ist. Dies zeigt, dass die Kostenentwicklung in diesem Sektor in erster Linie auf die progressive Einführung von neuen, teureren Produkten zurück zu führen ist. 2. Die blauen Balken zeigen den Ertrag der Distribution ohne MWSt, d.h. den Anteil des SL-Preises, den sich Grossisten und Apotheker teilen. Bereits im Jahr 2000 ist eine abgeschwächte Zunahme erkennbar, welche auf die Unterzeichnung der Vor-Vereinbarung zurückzuführen ist: Angesichts des festgestellten Wachstums haben sich die Apotheker bereit erklärt, bis zur Einführung der preisunabhängigen Abgeltung 3,2 Prozent ihres Umsatzes an die Krankenversicherer zurück zu erstatten. Im Jahr 2001 ist ein starker Rückgang dieses Distributionsertrages zu beobachten, der auf die

Umstellung des Anteils des SL-Preises im Distributionsbereich zurück zu führen ist: Per 1.7.2001 hat das BSV die Publikumspreise im Durchschnitt um zehn Prozent gesenkt, ohne die Ex factory-Preise zu verändern. Dadurch wurde das Budget für die Finanzierung der pharmazeutischen Leistungen der Apotheker generiert. Diese Leistungen erscheinen im Jahr 2001 ab dem 1. Juli und sind in der Grafik grün dargestellt. 3. Der grüne Balken (Ertrag durch den Leistungstarif) ist im Jahr 2002 grösser. Dies bedeutet jedoch keine Zunahme, sondern kommt daher, dass im Jahr 2001 die Leistungstaxen nur während rund drei Monaten abgerechnet wurden, während sie 2002 das ganze Jahr hindurch zum Tragen kamen. 4. Der Gesamtertrag der Distribution und der pharmazeutischen Apothekerleistungen, d.h. die blauen und grünen Balken zusammen genommen, zeigt eine klar abgeflachte Entwicklung.


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Parallelimporte von patentgeschützten Medikamenten

Mehr Wettbewerb im Medikamentenmarkt Hauptgrund für die stetig steigenden Medikamentenkosten sind die Preise: Ältere preisgünstige Medikamente werden ständig durch neuere, teurere Präparate ersetzt. Renommierte Ökonomen sind überzeugt: Parallelimporte würden den Druck auf die Preise erhöhen und zu mehr Wettbewerb führen.

I

m Unterschied zum Marken- oder Urheberrecht hat der Inhaber eines Industriepatents die Möglichkeit, Parallelimporte seines patentgeschützten Produkts aus einem Land zu verbieten, in dem das gleiche Produkt billiger ist. Dieses Exklusivrecht gilt in der Regel während 20 Jahren. Der «Erfinder» soll dadurch die Möglichkeit haben, die oft hohen Forschungsinvestitionen zu decken. Medikamente beispielsweise fallen unter diese Kategorie. Wenn Patienten und Konsumenten ins Ausland reisen, bekommen sie die direkten Folgen des Parallelimportverbots plastisch vor Augen geführt: Das gleiche Medikament ist in der Schweiz nämlich häufig teurer als im Ausland. Diesen Preisunterschied berappen die Krankenversicherer. Kein Wunder also, dass die Medikamente heute 20 Prozent der Gesamtkosten in der Grundversicherung ausmachen. In Zahlen ausgedrückt sind das 3,7 Milliarden Franken (ohne Spitalmedikamente). Auf einen Versicherten entfallen so je nach Kanton durchschnittlich zwischen 320 und 750 Franken pro Jahr.

Höchste Zeit zu handeln Der Bundesrat hat sich mit der Thematik befasst. Er hat Studien zur Auswirkung der vollständigen Zulassung von Parallelimporten bei patentgeschützten Arzneimitteln und Konsumgütern in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse der Untersuchungen wurden im November 2002 in einem Bericht veröffentlicht. Der Bundesrat sprach sich darin gegen Parallelimporte aus. Die positiven Auswirkungen solcher Importe

seien für die Schweizer Konsumenten wirtschaftlich gesehen geringer als ursprünglich angenommen. Eine von IMS Global Consulting durchgeführte Studie in Grossbritannien, Deutschland, Schweden, Holland und Dänemark zeigt indes, dass dank mehr Wettbewerb zwischen den Vertriebsnetzen 635 Millionen Euro eingespart werden können. Davon gehen 421 Millionen direkt an den Konsumenten. Von den Gegnern von Parallelimporten wird etwa argumentiert, die Gewinne durch Parallelimporte würden bei den Importeuren hängen bleiben und gar nicht den Prämienzahlern zugute kommen. Es ist aber durchaus möglich, bei der Freigabe von Parallelimporten dafür zu sorgen, dass der Wettbewerb zwischen den Importeuren und dem Vertrieb (Grossisten, Apotheker und Ärzte) für einen echten Preiswettbewerb zugunsten der Konsumenten sorgt. Trotz der ablehnenden Haltung des Bundesrates zu Parallelimporten ist die Thematik nicht vom Tisch. Die Europäische Union, der wichtigste Handelspartner der Schweiz, hat nach jahrelangen Verhandlungen Parallelimporte innerhalb der Gemeinschaft zugelassen. In einem kürzlich erschienenen Beitrag in «Die Volkswirtschaft» (Nr. 10/2003), dem Magazin für Wirtschaftspolitik des Volkswirtschaftsdepartements, gehen die Ökonomen Rolf Weder und Guido Barsuglia erneut auf das Thema ein. Fazit ihres Beitrags: gleich welches Szenario, der Konsument profitiert in jedem Fall von einer solchen Liberalisierung. Die Finan-

zierung der Forschung würde nur marginal tangiert, da die Schweizer Hersteller ja 90 Prozent ihres Umsatzes im Ausland erwirtschaften. Sie könnten sogar noch davon profitieren, da Schweizer Medikamentenimporte dazu beitragen würden, gewisse Produkte auf den umliegenden Märkten zu verknappen, was einen Preisdruck nach oben zur Folge hätte. Angesichts der Grösse der Märkte


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Foto: Prisma

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Parallelimporte beflügeln den Wettbewerb und setzen die Medikamentenpreise unter Druck.

könnten die Forschungsausgaben sogar überkompensiert werden. Somit profitieren alle davon.

Lösungsvorschläge Die Schlussfolgerungen der beiden Ökonomen lassen aufhorchen. Sie sind der Ansicht, dass, falls es dem Bundesrat um die Auswirkungen auf die Gesamtwohlfahrt der Schweiz gehe, er wohl mit der

Nicht-Aufhebung des Parallelimportverbots falsch entschieden habe. Der Bundesrat argumentiert nicht zuletzt mit negativen Auswirkungen auf den Forschungsstandort Schweiz und auf Konsumenten in ärmeren Ländern. Lösungen gibt es aber auch hier. Man könnte Entwicklungsländern beispielsweise Rabatte auf Ex factory-Preisen gewähren und den Wiederimport dieser

Produkte verbieten. Die Medikamentenverpackungen müssten sich allerdings klar unterscheiden, so dass diese Produkte für den Zoll erkennbar wären. Für die Krankenversicherer geht es aber vor allem um die ungerechtfertigten Preisunterschiede zwischen der Schweiz und den Nachbarländern. Es gibt keinen ersichtlichen Grund, Parallelimporte aus den Nachbarländern weiter zu verbieten. (YS)


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Im Gespräch: BAG-Direktor Thomas Zeltner

«Vorbeugen ist besser als Heilen» Mit der Eingliederung des Bereiches Kranken- und Unfallversicherung aus dem Bundesamt für Sozialversicherung ins Bundesamt für Gesundheit (BAG) anfangs dieses Jahres ist der Verantwortungsbereich von Thomas Zeltner stark ausgeweitet worden. Der BAG-Direktor äussert sich zu den vielfältigen Problemen im Gesundheitswesen sowie zur KVG-Reform.

infosantésuisse: Die Abteilung Krankenversicherung untersteht seit anfangs Jahr Ihrer Direktion. Wozu dieser Wechsel vom BSV zum BAG? Thomas Zeltner: Kranken- und Unfallversicherung sind und sollen Sozialversicherungen bleiben. Sie sorgen dafür, dass bei uns, im Gegensatz etwa zur USA, niemand wegen Krankheit in Armut stürzt. Daran soll nichts ändern. Thematisch gehören allerdings Krankheit und Unfall zum Gesundheitswesen, und darum ist es sinnvoll, die beiden Bereiche in das Amt zu integrieren, das für die Gesundheitspolitik generell zuständig ist. Zur Zeit haben wir in der Krankenversicherung zwei grosse Problemfelder: • Einerseits verändert sich das Krankheitsspektrum; wir haben immer mehr Chronischkranke und Langzeitpatienten. • Anderseits ist die ganze Kostenentwicklung sehr stark von der Anbieterseite verursacht. Wir müssen deshalb versuchen, die Anbieterseite mit vernünftigen Anreizen in den Griff zu bekommen. Das BAG und Sie selber stehen den Ärzten und Leistungserbringern näher als es das BSV und seine Verantwortlichen waren. Heisst das auch, dass Sie die Akzente etwas anders setzen werden? Wir verstehen uns als ein patientenorientiertes Amt. Es gehört zu unseren Aufgaben, die Interessen der Verbraucher in vielen Bereichen wahrzunehmen. Ein Haupt-

prinzip unserer Arbeit heisst: «Vorbeugen ist besser als Heilen». Das ist nicht nur eine Maxime für das Individuum, sondern hilft auch, die Kosten besser in den Griff zu bekommen. Vorbeugen gehört zu den Kernkompetenzen unseres Amtes. Wir hoffen, damit auch im Bereich Krankenversicherung einen Beitrag leisten zu können. Dazu kommt, dass durch die Veränderung des Krankheitsspektrums und den mannigfaltigen Informationsmöglichkeiten der Arzt gegenüber dem Individuum immer mehr eine Beratungsfunktion wahrnehmen muss. «Healthy Choices» sagen dem die Amerikaner. Das heisst, die richtigen Entscheide für die Gesundheit treffen. Diese Entwicklungen zu berücksichtigen, gehört zu einer effizienten Aus- und Weiterbildung, wo wiederum unser Amt zuständig ist. Dass aber die Ärzte die neue Funktion immer noch nicht so wahrnehmen, wie es wünschbar wäre, hängt auch mit den ungünstigen Anreizen in System zusammen. Wollen sie den Krankenversicherern mehr Präventionsaufgaben aufbürden? Wenn ja, wäre das für die Kostenentwicklung nicht kontraproduktiv? Schon jetzt hat die Krankenversicherung Verantwortung im Präventionsbereich. Dabei gibt es verschiedene Arten von Präventionsmassnahmen. Nehmen wir zum Beispiel die Impfungen, die noch immer das effizienteste Präventions­ instrument bilden. Ich halte es für wichtig, dass die Krankenversicherung diese weiterhin mitfinanziert. Aber effektive Prä-

vention muss vor allem an den Verhältnissen und am Verhalten der Individuen arbeiten. Das fängt bei ganz einfachen Sachen an. Zum Beispiel in den Kantinen, wo Früchte zur Verfügung stehen müssen. Und es geht weiter bis zur Sicherheit auf den Strassen und im Quartier. Prävention muss sich mit der Zeit auf das Verhalten der Leute und somit auf ihre Gesundheit auswirken. Diese Form von Prävention gehört sicher nicht mehr zu den Aufgaben der Krankenversicherer. Soll und kann die Kostenentwicklung in Gesundheitswesen und Krankenversicherung überhaupt gebremst werden?


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Foto: Keystone

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sehr neue Leistungen, sondern die Mengenausweitung bei an sich unbestrittenen Leistungen. Manche Länder haben versucht, sie mit staatlichen Regelungen wie Globalbudgets und anderen Planungsmassnahmen in den Griff zu bekommen. Staatliche Regelungen sind aber unflexibel. Die Qualität der Versorgung leidet, die Wartezeiten werden länger und die Unzufriedenheit der Bevölkerung wächst. So hat Norwegen zwar kaum ein Kostenproblem, dafür lange Wartezeiten. In der Schweiz setzen wir mehr auf wettbewerbliche Elemente, eingebettet in staatliche Rahmenbedingungen. Wie lassen sich hier Kosten sparen? Die Einführung der Vertragsfreiheit ist eine Möglichkeit. Ich erhoffe mir damit die Förderung wirtschaftlicher Abgeltungssysteme, das heisst mehr Pauschalabgeltungen statt Abrechnung jeder einzelnen Leistung. Der Widerstand gegen die Aufhebung des Vertragszwangs ist aber gross. Die Massnahme wird im Parlament wahrscheinlich eine Mehrheit finden, aber dann kommt es zur Volksabstimmung. Es ist deshalb wichtig, schon jetzt immer wieder Unterstellungen und Übertreibungen zu widerlegen. Welche zum Beispiel?

«Wir nehmen die Interessen der Verbraucher in vielen Bereichen wahr»: BAG-Direktor Thomas Zeltner.

Das Gesundheitswesen ist ein wichtiger ökonomischer Faktor für unser Land. Es erbringt einen hohen Nutzen für die Bevölkerung. Das wird viel zu wenig betont. In den politischen Diskussionen geht es nur immer um die Kosten. Es ist eine Illusion zu glauben, man könnte diese Kosten in Zukunft senken. Denn wir leben länger, die Medizin macht ständig Fortschritte, und wir haben immer höhere Ansprüche an die Medizin. Ich meine, es ist noch verkraftbar, wenn die Gesundheitskosten, gemessen am BIP (Bruttoinlandprodukt), von heute 11 Prozent auf 12 bis 13 Prozent steigen. Natürlich müssen wir Massnahmen treffen, um den Kostenan-

stieg zu bremsen, vor allem in der obligatorischen Krankenversicherung, für die wir alle solidarisch aufkommen müssen. Die Frage ist nur, was tun. Wo sehen Sie Sparmöglichkeiten? Ein Patentrezept gibt es nicht. Das sieht man schon daran, dass mit wenigen Ausnahmen alle Staaten in Westeuropa und Nordamerika, gleich welches Gesundheitssystem sie haben, mit Kostenproblemen zu kämpfen haben. Ein Einsparpotenzial besteht noch bei Leistungen, die wünschbar, aber nicht unbedingt notwendig sind. Das Problem sind jedoch nicht so

Dass die Vertragsfreiheit die freie Arztwahl abschaffe. Dabei wissen wir, dass die Versicherer weiterhin einen Grossteil der Ärzte unter Vertrag nehmen müssen, und jeder Versicherte die Kasse wechseln kann, sollte ausnahmsweise sein bevorzugter Arzt von seiner bisherigen Versicherung keinen Vertrag erhalten. Die FMH warnt trotz ständig steigender Ärztezahl vor einem – zumindest partiellen – Ärztemangel. Wie ernst ist diese Warnung zu nehmen. Ist sie nicht nur rein taktischer Natur als Argument gegen Zulassungsbeschränkungen und Vertragsfreiheit? In ländlichen Regionen ist es tatsächlich für Ärzte, die die Praxis aufgeben, da und dort fast nicht mehr möglich, einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu finden. Das spricht aber nicht gegen, sondern eher für die Vertragsfreiheit. Wo es zu wenig Ärzte hat, sitzen die Ärzte im Falle der


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Vertragsfreiheit sogar am längeren Hebel und können bessere Vertragsbedingungen aushandeln. Das Gleiche gilt bezüglich der Spezialitäten. In Spezialgebieten, wo wir heute zu viele Ärzte haben, wird es Einschränkungen geben, dort, wo wir zu wenig haben, aber nicht. Wir haben aber doch eine vergleichsweise hohe Ärztedichte. Das stimmt. Und wie Vergleiche zwischen den Kantonen zeigen, besteht zwischen der Ärztedichte und den Kosten des Gesundheitswesens ein direkter Zusammenhang. Leistungen und Qualität werden aber von der Bevölkerung bei steigender Dichte nicht als besser empfunden. Und wie steht es heute mit den Chancen von jungen Ärzten, eine Praxis zu eröffnen? Die Eröffnung einer Praxis scheint für junge Ärzte nicht mehr so attraktiv. Die Administration wird immer aufwändiger. Denken wir an TARMED, an die Anforderungen der Informatik usw. Eine mögliche Lösung sind Gruppenpraxen, HMO und andere Netzwerke. Junge Ärzte fahren mit der Aufhebung des Vertragszwangs sicher besser als mit Zulassungsbeschränkungen. Was sagen Sie zum Thema Rationierung? Der medizinische Fortschritt bringt laufend neue und meistens teurere Behandlungsmöglichkeiten. Noch sind sie dank der Krankenversicherung der ganzen Bevölkerung zugänglich. Wie lange noch?

Im Moment hat es im System noch Reserven. Zum Beispiel im stationären Sektor, wo wir im internationalen Vergleich bei der durchschnittlichen Aufenthaltsdauer und vor allem bei der Spitaldichte an der Spitze liegen. Und trotz hohen Ausgaben für das Gesundheitswesen ist auch die Bereitschaft zur Solidarität noch intakt. Das Stichwort Solidarität führt uns zum Thema KVG-Reform. Neben der Vertragsfreiheit gibt vor allem die geplante Anhebung des Selbstbehalts auf 20 Prozent zu reden. Wie verhält sich diese Massnahme mit der Solidarität? Wir wollen die Solidarität beibehalten. Deshalb haben wir ja die Obergrenze des Selbstbehalts bei 700 Franken belassen. Ziel ist es, dass die relativ gesunden Personen, die aber doch immer wieder Gesundheitsleistungen beziehen, sich überlegen, ob jede Leistung wirklich nötig ist. Solche Überlegungen auf der Mikroebene (bei jedem Patienten) haben Auswirkungen auf der Makroebene. Die Erhöhung des Selbstbehaltes auf 20 Prozent dürfte einen Entlastungseffekt für die Prämien von rund drei Prozentpunkten haben. Auswirkungen auf die Prämien, aber im umgekehrten Sinn, hat die geplante Reform der Spitalfinanzierung. Werden die Kosten, inklusiv Investitionen, künftig im Verhältnis von 50 zu 50 von Kantonen und Versicherern übernommen, so kommen auf die Grundversicherung massive Mehrkosten zu. Uns ist wichtig, dass in privaten und öffentlichen Spitälern Leistungen bezahlt,

Zur Person Thomas Zeltner hat an der Universität Bern Recht und Medizin studiert und mit dem Doktorat abgeschlossen. Er hat mehrere Jahre als Leiter Stab Medizin am Berner Inselspital gearbeitet, bevor er 1991 Direktor des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) wurde. Wichtige Aufgaben des BAG sind die Koordination und Planung der Gesundheitspolitik, die Suchtprävention (Tabak, Alkohol, Drogen), die Bekämpfung von AIDS und anderen Infektionskrankheiten, das Heilmittelrecht

und der Verbraucherschutz. Nach der Eingliederung des Bereiches Kranken- und Unfallversicherung aus dem Bundesamt für Sozialversicherung ins Bundesamt für Gesundheit anfangs dieses Jahres ist der Verantwortungsbereich von Thomas Zeltner stark ausgeweitet worden. Ihm ist neu auch die Aufsicht über die Krankenversicherer übertragen. Der 57-jährige Thomas Zeltner ist verheiratet und lebt in Bern.

statt Kosten und Defizite gedeckt werden. Über den Kostenteiler wurde noch kaum gesprochen. Wir müssen das notwendige Zahlenmaterial sammeln und genau anschauen. Was wird im Bereich der Medikamentenproblematik getan, was kann noch getan werden? Das neue Heilmittelgesetz (HMG) enthält neue Ansätze für kostendämpfende Massnahmen. Weichen stellen kann man auch in den Spitälern. Man muss hier die Patienten nicht immer auf die neusten und teuersten Medikamente einstellen, wenn ältere günstige oder Generika zur Verfügung stehen. Schliesslich ist es wichtig, dass die den Ärzten und Spitälern beim Medikamenteneinkauf gewährten Vergünstigungen den Patienten weitergeben werden. Wir wollen aber auch weiterhin auf die Spezialitätenliste Einfluss nehmen. Alte Produkte kann man in vielen Fällen beibehalten und muss sie nicht durch neuere ersetzen. Denn neuere sind nicht zwangsläufig wirksamer. Und schliesslich ist viel Aufklärungsarbeit nötig, damit Konsumenten und Patienten genügend sensibel werden und vermehrt kostengünstigere Medikamente verlangen. Zum Schluss, Herr Zeltner, weiss man, wo der Hebel in erster Linie anzusetzen ist, damit sich die Bevölkerung in Zukunft gesünder verhält? Die grössten Risiken für die Gesundheit sind eigentlich bekannt. Es sind in allen industrialisierten Ländern dieselben: • der Tabakkonsum • der Alkoholverbrauch • AIDS/HIV, die illegalen Drogen • die Essgewohnheiten • die fehlende Bewegung. In diesen Bereichen kann man für die Entlastung der Gesundheitskosten noch viel tun. Hier ist mit gross angelegten koordinierten Kampagnen viel zu erreichen. Beispiele wie das nationale AIDS-Programm zeigen, dass abgestimmte Massnahmen in der Familie, in der Schule, in der Politik, in den Medien und in vielen anderen Kanälen am erfolgreichsten sind. Die ganze Gesellschaft ist da gefordert.

I nt erv iew: Wa lt er F r ei /Yv es S ey dou x


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Gesundheitspolitik am Scheideweg

Weg vom Ego – hin zum Anderen Unter dem Titel «Die Gesundheitsfalle» ist im Econ-Verlag ein gesellschafts- und gesundheitspolitisch bedeutsames Buch erschienen. Die Gesundheitsfalle, eine Variante der Fortschrittsfalle, bestehe darin, so der Autor Klaus Dörner, Arzt und Psychiater, dass heute am liebsten nur noch von Gesundheit, kaum mehr von Krankheit die Rede sei. «Alle Welt verkauft Gesundheit als höchstes Gut, um unter dieser Tarnung umso erfolgreicher alles Gesunde in unseren Lebenswelten in Krankes und Behandlungsbedürftiges zu verwandeln». Im Interesse der Gesundheitsindustrie würden die Menschen mit einer leidensfreien Gesellschaft geködert. Klaus Dörner: Die Gesundheitsfalle. Woran unsere Medizin krankt/ Zwölf Thesen zu ihrer Heilung, Econ-Verlag 2003, 200 S., Fr. 31.–

U

m sich aus dieser Falle zu befreien, fordert Dörner, mit der fixen Idee, sich immer noch gesünder und fitter fühlen zu müssen, Schluss zu machen. Der Autor steht im Ruf eines Querdenkers, aber logisch – oft bis zur letzten Konsequenz – sind seine Gedankengänge und Schlüsse allemal. So stellt er fest, dass die Medizin den Mechanismen des Marktes unterliegt und oftmals künstliche Bedürfnisse erzeugt. Diese wiederum produzieren mehr Kranke, und mehr Kranke kosten mehr Geld. Mehr Kosten aber untergraben oder zerstören gar das Gesundheitssystem. Soweit Kostensenkungen überhaupt möglich sind, werden diese in der Regel durch die Mengenausweitungen mehr als kompensiert. Dörner liegt es fern, Ärzte, Firmen oder Patienten aufs Korn zu nehmen, er will lediglich auf Risiken und Gefahren einer Entwicklung aufmerksam machen, die der Gesundheit mehr schaden als nützen könnte. Jenen, die sich von übertriebener Sorge um die eigene Gesundheit leiten lassen, gibt er folgendes zu bedenken: «Natürlich können wir real unendlich viel für unsere Gesundheit tun; das hat aber kaum, oft sogar gar nichts damit zu tun, ob und in wel-

chem Mass wir uns gesund fühlen – allein Letzteres zählt. So kann das Paradox zustande kommen: Je mehr ich für meine Gesundheit tue, je gesundheitsbewusster ich lebe, desto weniger gesund fühle ich mich, desto weniger gesund bin ich». Heute leben viele Menschen in einer geradezu panischen Angst vor jeder Art von Krankheit, bis sie anfangen, unter der eigenen Gesundheit zu leiden.

Radikales Umdenken gefordert Dörner plädiert für ein radikales Umdenken, vor allem für ein Umfühlen im Sinne einer Abkehr von einem überzogen-egoistischen Verhalten und der Hinwendung zu mehr Verantwortung für die Mitmenschen. Erst wenn wir uns nicht nur um uns selbst sorgen, sondern auch um die Menschen in der Familie, in der Nachbarschaft und der weiteren Umgebung, können wir uns aus der Gesundheitsfalle befreien. Dass die biblische Aufforderung, die Last des Anderen mitzutragen, psychotherapeutisch von grosser Bedeutung ist, lässt sich kaum bestreiten. Das Mitleiden und die Hilfeleistung können wesentlich dazu beitragen, persönliche Befriedigung und inneres Gleichgewicht als wichtige Voraussetzung für Gesundheit und Wohlbefinden zu finden. Dörners Credo «Weg vom Ego- hin zum Anderen» ist sicher mehr als nur ein frommer Wunsch. Dörner dürfte jedoch seinen altruistischen Appell etwas überspannen, wenn er fordert, dass auch «der schwierigste oder pflegebedürftigste Sorgebedürftige» das Recht und die Möglichkeit haben müsse, in seiner Kommune (Gemeinde) seine Wohnung, seine Lebenswelt zu finden. Die Konsequenz der vom Autor anvisierten «Deinstitutionalisie-

rung», das heisst der Auflösung von Behinderten- und Betagtenheimen, ist zweifellos gut gemeint, sie hat jedoch – realistisch gesehen – kaum eine echte Chance, abgesehen davon, dass damit den Behinderten und Betagten nicht unbedingt und sicher nicht in jedem Fall geholfen wäre.

Das Recht auf den eigenen Lebenstil Dörner präsentiert ein kritisches, teilweise gar provozierendes Buch, wobei aber die vielen positiven Ansätze nicht zu übersehen sind. So das Beispiel für solidarisches Handeln beim Umgang mit der Aidsepidemie, die in Teilen der westlichen Welt zu einer engagierten Bewegung aus Betroffenen, Angehörigen und weiten Teilen der Bevölkerung führte. An diesem Beispiel bestätige sich eindrucksvoll, dass der Schutz der Schwachen und Kranken die Würde der Gesunden sei. Positiv ist auch zu werten, dass dem Menschen das Recht auf einen ihm angemessenen Lebensstil zuerkannt wird, wobei aber jeder einzelne die Verantwortung für sein Tun und Lassen und die Konsequenzen für Fehlverhalten selber tragen muss. Auch wenn die von Dörner entwickelten Thesen nicht in allen Teilen vorbehaltlose Zustimmung finden und vorwiegend auf die deutschen Verhältnisse abgestimmt sind, sind sie doch als wertvolle Denkanstösse zu werten. Das Buch verdient vor allem auch wegen seiner Bezüge auf den Heidelberger Philosophen Hans-Georg Gadamer besonderes Interesse. Nach Gadamer handelt es sich bei der Gesundheit nicht um ein Produkt, nicht um ein «wohlumgrenztes Ding», sondern um einen Zustand, der von jeher durch Begriffe des Gleichgewichts charakterisiert wird.  (Z)


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Kanton St. Gallen: Initiative für bezahlbare Krankenkassenprämien

Prämienzahlende entlasten Am 16. Mai wird im Kanton St. Gallen über die Initiative für bezahlbare Krankenkassenprämien abgestimmt. Insgesamt 18 Organisationen haben diese Initiative eingereicht und verlangen eine deutliche Verbesserung bei der Prämienverbilligung. Der Kanton St. Gallen wird verpflichtet, mindestens 80 Prozent der Prämienverbilligungsgelder des Bundes zu beziehen und diese an die Bevölkerung weiterzugeben. Heute spart er zu Lasten der Bevölkerung rund 60 Millionen Franken.

Foto: Prisma

geben, dass viele Prämien sinken werden, denn ein Ja verpflichtet den Kanton St.Gallen, dass er sein veraltetes und unsoziales System der Prämienverbilligung verbessert, und er die Mittel des Bundes für diesen Zweck besser ausschöpfen muss. Zur Zeit bezieht der Kanton St. Gallen lediglich 54,4 Prozent der Bundesmittel für die Prämienverbilligung. Das liegt nur wenig über dem gesetzlichen Minimum. St. Gallen zählt damit zu den fünf knausrigsten Kantonen in der Schweiz. Die meisten Kantone sind viel grosszügiger, obwohl sie über weniger Finanzmittel verfügen. Thurgau beispielsweise beansprucht 100 Prozent der Prämienverbilligung, beide Appenzell mehr als 70 Prozent.

Prämienverbilligung muss umgesetzt werden

Initiative für bezahlbare Krankenkassenprämien: Am 16. Mai entscheiden die StimmbürgerInnen des Kantons St. Gallen über eine Erhöhung der Prämienverbilligungsgelder des Bundes.

D

ie ständig steigenden Krankenkassenprämien geben seit Jahren zu grossen Diskussionen Anlass. Jeden Herbst folgt ein neuer Erhöhungsschub. Auch im Kanton St. Gallen stiegen in den letzten Jahren die Prämien im Schnitt um acht Prozent. Zahlte

eine Familie mit zwei Kindern vor vier Jahren noch 432 Franken im Monat, sind es heute bereits 565 Franken oder 6840 Franken pro Jahr. Mit einem Ja zur Initiative für bezahlbare Krankenkassenprämien ist jetzt seit vielen Jahren erstmals die Möglichkeit ge-

Im Krankenversicherungsgesetz ist klar vorgesehen, dass die Prämien verbilligt werden müssen. Der Bund reserviert dafür im Jahr rund 3,4 Milliarden Franken. Im Kanton St. Gallen könnten mit Annahme der Initiative statt 118 Millionen Franken neu 174 Millionen Franken an Prämienverbilligung an die Bevölkerung weitergegeben werden. Zusätzliche 56 Millionen Franken also, die für Familien mit kleineren und mittleren Einkommen, aber auch für Rentnerinnen und Rentner sowie Alleinstehende mit schmalem Budget dringend nötig sind. Mit einem Ja zur Initiative muss der Kanton statt nur 54,4 Prozent künftig 80 Prozent der Bundesmittel für die Prämienverbilligung einsetzen.  (PD) Unter www.bezahlbare-praemien.ch können Sie Ihre Prämienverbilligung selber berechnen.


TARMED

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infosantésuisse  5 / 04

Sand im Getriebe bei der Umsetzung von TARMED?

Mangelhafte Rechnungsstellung beeinflusst die Kostenneutralität Seit Anfang Jahr werden die ambulanten ärztlichen Verrichtungen nach TARMED abgerechnet. Dass sich Spitäler und Ärzte mit der Anwendung schwer tun, macht die Leistungsabwicklung für die Krankenversicherer nicht einfacher. In Mitleidenschaft gezogen wird auch die Sicherung der Kostenneutralität.

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ach einem Vierteljahr mit TARMED stellen die Krankenversicherer etwas ernüchtert fest, dass die Leistungserbringer ihre Hausaufgaben nicht oder nur mangelhaft gemacht haben. Die Probleme, denen sie in ihrem Alltag begegnen, sind: • Die Ärzte und Spitäler haben sich teilweise schlecht auf die Einführung von TARMED vorbereitet. Daraus resultiert eine verspätete oder nicht korrekte Rechnungsstellung. • Das einheitliche Rechnungsformular, Norm unter TARMED, wird (noch) nicht verwendet. • Die Diagnoseangabe fehlt auf dem Rechnungsformular, was die Kontrolle der Stimmigkeit von Diagnose und Tarifpositionen verunmöglicht. • Viele Leistungserbringer sind noch nicht in der Lage, elektronisch abzurechnen. Die mit TARMED gesuchte Effizienzsteigerung findet (noch) nicht statt. • Die Dignität kann nicht automatisch überprüft werden, weil die FMH diese Datenbank noch nicht erstellt hat. • Tarifpositionen werden (vom elektronischen System) zu Tarifblöcken zusammengefasst, die standardmässig zur Anwendung kommen. Konsequenz: Unnötige Positionen werden in Rechnung gestellt. Dass mit den genannten Problembereichen der Alltag der Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter der Krankenversicherer unnötig erschwert wird, ist die eine Seite der Medaille. Die andere, dass all diese Aktivitäten kostenrelevant sind. Das Konzept zur Kostenneutralität impliziert eine technisch und zeitlich korrekte Rechnungsstellung und im Gefolge die entspre-

chende Leistungsabrechnung. Eine zeitliche Verzögerung bei der Abrechnung beeinflusst die Datengrundlage und somit auch die Interpretation der Effekte.

Verschiebungen im Leistungsspektrum Ebenfalls kostenrelevant und damit erschwerend für die Kostenneutralität wären Leistungsverschiebungen. Sämtliche Varianten sind denkbar: von der Arztpraxis in Spital ambulant (öffentlich), von Spital ambulant (privat) in Spital ambulant (öffentlich), von Spital ambulant in Spital stationär. Aus Leistungsverschiebungen resultieren Verschiebungen in den für die Kostenneutralität massgebenden Kosten. Die Gefahr dabei: falsche, weil überhöhte Taxpunktwerte in den einen Bereichen, nach Ende der Kostenneutralität (Rück-) Verschiebung der Leistungen in den lukrativeren Bereich. Definitive Aussagen zu diesem Problembereich können zum heutigen Zeitpunkt noch nicht gemacht werden.

Mit Argusaugen und den entsprechenden Zahlen Ziel des Kostenneutralitätskonzeptes ist und bleibt für die Krankenversicherer, dass erstens am Ende der Kostenneutralitätsphase der technisch korrekte Taxpunktwert festgelegt werden kann und dass zweitens allfällige Überschreitungen des vereinbarten Kostendaches während der Einführungsphase vollständig kompensiert werden. Die Krankenversicherer treffen dagegen die folgenden Vorkehren: • Sie richten ihr Augenmerk speziell darauf, ob die oben genannten Effekte auftreten. • Sie werden zu Beginn der Kostenneutralität nur dann die Taxpunktwerte anpassen, wenn diese Effekte ausgeschlossen werden können. • Sie werden die Kostenneutralität über die Einführungsphase hinaus weiterführen, um nachgelagerte Effekte beobachten und belegen zu können.   (UVO)

Von den Kompetenzen Gebrauch machen Nationalrat Felix Gutzwiller hat im vergangenen Dezember beim Bundesrat eine Interpellation eingereicht, um vom Bundesrat zu erfahren, was er gegen eine allfällige Kostenexplosion nach Ende der Kostenneutralitätsphase vorzukehren gedenke. Der Bundesrat betonte in seiner Antwort vom 25. Februar 2004, dass im Krankenversicherungsbereich die Tarifautonomie im Vordergrund stehe. «Sollte sich TARMED

aus Sicht der Versicherer nicht bewähren und es tatsächlich zu einer Kostenexplosion kommen, können und müssen die Tarifpartner entsprechend ihrer Verpflichtung zur Wirtschaftlichkeit von ihren Kompetenzen Gebrauch machen.» Der Bundesrat werde jedoch das TARMED-Projekt begleiten und im Rahmen des Beschwerdeverfahrens seine bisherige Rechtsprechung in Tariffragen weiterführen. (UVO)


service Atupri

Allergiekampagne 2004

Personelle Veränderungen in der Geschäftsleitung

Zu Risiken und Nebenwirkungen ...

Auf den 1. Juli stehen in der Atupri Geschäftsleitung personelle Veränderungen bevor. So wird der Vorsitzende der Geschäftsleitung, Richard Zumstein, per Ende Juni 2004 in den Ruhestand treten. Richard Zumstein übernahm die Unternehmensführung im November 2000. In seine Amtszeit fielen markante Veränderungen wie der Neuauftritt unter dem Namen Atupri sowie die im Mai 2003 vorgenommene Reorganisation des Unternehmens mit dem Wechsel zur Prozessorganisation. Zu Richard Zumsteins Nachfolger bestimmte der Stiftungsrat Christof Zürcher (43), bisheriger stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsleitung und Leiter des Bereichs Leistungen. Christof Zürcher ist ausgebildeter Betriebsökonom FH und wird im Sommer seine Betriebswirtschaftsausbildung an der Universität Zürich mit dem Executiv MBA abschliessen. (pd)

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Mit einem Allergiemarkt im Stadttheater Bern und dem «Roll-Out» des «Allergietrams» startete die Patientenorganisation aha! eine nationale Informations- und Präventionskampagne. Neben den weit verbreiteten Allergien auf Pollen- und Hausstaubmilben werden auch die selteneren, dafür oft lebensgefährlichen Allergien auf Nahrungsmittel und Insektengift thematisiert. Mit der Allergiekampagne soll das Verständnis für Ursachen, Risiken und Prävention gefördert werden. Das aha! Team ist von März bis September mit Information und Beratung unterwegs. Weitere Informationen: www.ahaswiss.ch bzw. www.allergiehilfe.ch

Centris

EGK-Gesundheitskasse

Neue Organisationsstruktur

Führungswechsel

Die Centris AG ist seit mehreren Jahren ISO-zertifiziert. Um die Servicequalität weiter zu verbessern, werden die Abläufe ab sofort noch konsequenter prozessorientiert organisiert. Aus diesem Grund wurden die Bereiche «Strategische Projekte» und «Produkte Management» neu geschaffen. Der

Bereich «Strategische Leitung» steht unter der Leitung von Simon Schreier; der Bereich «Produkt Management», dem alle Produkte inklusive die entsprechenden Entwicklungsressourcen sowie das «Problem-, Change- und Release-Management» angehören, leitet Andreas Wälchli. (pd)

Krankenkassenwechsel 2004

Franchise 1500 Franken: Jeder Siebte hat Kasse gewechselt Je stärker die P ­ rämienerhöhung und je höher die Franchise, desto grösser ist die Bereitschaft zum Kassenwechsel. Wie die Resultate einer Studie zeigen, hat ein Siebtel der von der Prämienerhöhung besonders betroffenen Versicherten mit Ma-

ximalfranchise von 1500 Franken Ende des letzten Jahres die Krankenkasse gewechselt. Insgesamt haben rund 364 000 Versicherte Ende des vergangenen Jahres die Kasse gewechselt. Dies sind zwei Drittel mehr als im vergangenen Jahr. (pd)

Der Stiftungsrat der EGKGesundheitskasse hat dem Wunsch von Rolf Barfuss entsprochen, dass er sich ein Jahr früher als geplant von der operativen Führung der EGK-Gesundheitskasse zurückziehen kann. Herr Barfuss wird dem Stiftungsrat jedoch weiterhin für spezielle Aufgaben zur Verfügung stehen. Dank dem langjährigen Einsatz von Rolf Barfuss ist die EGK unter seiner Leitung zu einem gesamtschweizerischen Anbieter im Krankenversicherungsbereich geworden. Ad interim übernimmt der bisherige Stellvertreter Peter Rickenbacher die Leitung der EGKGesundheitskasse. (pd)




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