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175 JAHRE CARTIER
Santos de Cartier in Gelbgold Louis Francois Cartier (1819-1904)
„Les must de …“
Trinity de Cartier in Gelbgold, Rosegold und Weissgold mit Diamanten
CARTIER: 175 JAHRE – UND KEIN BISSCHEN LEISE
Kaum ein anderes französisches Unternehmen hat sowohl den Deutsch-Französischen Krieg von 1870 als auch die zwei Weltkriege des 20. Jahrhunderts und die zahlreichen Weltwirtschaftskrisen überlebt. Und selten sind jene Firmen die so erfolgreich über eine Zeitspanne vom Historismus des 19. Jahrhunderts über das Fin de Siécle, dem Jugendstil, den „goldenen Zwanziger Jahren“ des Art Deco bis hin zur Moderne und Pop-Art produzierten. Die Firma CARTIER hat die UP’S and DOWN’S des Weltgeschehens überstanden und ist heute ein weltweit agierendes Unternehmen, bekannt für Schmuck und Uhren, exklusive Parfums, Feuerzeuge, Lederwaren und Schreibgeräte.
Paris 1847, Louis Francois Cartier (18191904), Sohn eines Pulverhornmachers, übernimmt die Juwelierwerkstätte seines Meisters Adolphe Picard. Schon bald kann er prominente Persönlichkeiten zu seinen Kunden zählen, darunter Prinzessin Mathilde, Tochter von Kaiser Napoleons Bruder Jerome und Cousine von Kaiser Napoleon III. (1808-1873) für welchen sie am Kaiserhof, bis zu dessen Vermählung 1853 mit der um 18 Jahre jüngeren Eugénie de Montijo (1826-1920), als „Première dame“ (first lady) fungiert. Auch die junge Kaiserin kauft bei Cartier Schmuck, meist im Stil des Louis-seize, denn sie hat eine Vorliebe für die Zeit Maria Antoinettes, der unglücklichen Österreicherin auf französischem Thron.
Ab 1859 verkauft Louis Francois Cartier auch Taschenuhren und reich verzierte Schmuckuhren, sein Sohn Alfred (1841-1925) erweitert ab 1872 das Uhren Sortiment unter anderen mit Uhren von Vacheron & Constantin und Audemars Piquet. Die Geschäfte laufen so erfolgreich, dass Enkelsohn Louis (1875-1942) den Firmensitz 1899 in die luxuriöse Rue des la Paix verlegt, wo sich unter anderen bereits der Juwelier
Brosche aus der Panthére de Cartier Kollektion mit Cabouchen Die neue Cartier Home Kollektion
Jean-Benoit Martial, der Parfümeur Pierre-FrançoisPascal Guerlain und die Modeschöpfer Jacques Doucet und Charles Worth angesiedelt haben. Louis Cartiers Leidenschaft gilt vor allem den Uhren. Ab 1904 entwickelt er eine Herrenarmbanduhr, die er nach seinem Freund, dem brasilianischen Flugpionier Alberto Santos-Dumont (1873-1932) „Santos“ nennt und bringt sie 1911 in den Handel. Dieses Modell, sowie die Modelle „Tank“ aus dem Jahr 1917 und jenes von „Pasha“, der ersten wasserdichten Uhr, die Cartier 1932 für den Sultan von Marrakesch entwirft, zählen heute noch zu den Bestsellern der Firma. Und seine ab 1912 entwickelte Tischuhren, die „Les Pendules Mysterieuses“ mit Zeigern, die auf einer Kristallscheibe ohne sichtbare Bindung zum Uhrwerk zu schweben scheinen, sind heute begehrte Sammlerobjekte.
Cartier ist einer der wenigen Juweliere seiner Epoche, die fast ausschließlich in Platin arbeiten, auch das macht ihn bald zum berühmtesten Juwelier der Jahrhundertwende. Besonders schätzen die gekrönten Damen Europas seine Tiaras, zarte Modelle aus Platin und Diamanten in dem von ihm kreierten „Girlanden-Stil“. Anfang des 20. Jahrhunderts expandiert die Firma, 1902 wird eine Filiale in London errichtet, die von seinem Bruder Jacques geleitet wird. 1904 werden der Firma erste Auszeichnungen durch den englischen König Edward VII. und König Alfonso XIII. von Spanien verliehen. Zum Kundenkreis der 1908 gegründeten Filiale in St. Petersburg in Russland gehört auch die die russische Zarenfamilie. Bruder Pierre heiratet in die USA und eröffnet 1909 ein Geschäft in der Fifth Avenue in New York, seine Kundschaft sind Finanziers und Industrielle sowie Broadway-Stars.
Am Vorabend des 1. Weltkrieges lernt Louis Cartier der sich gerade in Scheidung befindet, Jeanne Toussaint (1887 – 1976), kennen. Die Tochter eines Spitzenhändlers aus Charleroi/ Belgien war im Alter von 13 Jahren von zu Hause
ausgerissen, nachdem der Stiefvater sie und ihre ältere Schwester missbraucht hatte. In Brüssel wird Jeanne die Geliebte des Grafen von Quinsonas, der ihr verspricht sie zu heiraten. Mit 16 Jahren nimmt dieser sie nach Paris mit und schenkt ihr den ersten Cartier Schmuck. Auf Druck seiner Familie bricht er sein Eheversprechen. Jeanne zieht zu ihrer Schwester nach Paris, welche ein Leben im Demi-Monde Milieu führt. Die unkonventionelle, exzentrische Jeanne bewegt sich in avantgardistischen Kreisen, unter ihren Freunden die Modeschöpferin Coco Chanel und der Illustrator George Barbier. Cartier beauftragt den Künstler 1914 ihm Zeichnungen für eine Werbekampagne zu liefern, die junge und moderne Frauen ansprechen soll. Dessen Entwurf: „Dame à la Panthére“ zeigt ein elegantes Art Déco Model, reich geschmückt mit langen Perlenketten, zu ihren Füssen ruht eine schwarze Raubkatze. Überliefert wird, dass Cartier diese Zeichnung wählt, da Toussaint, die er seine “Petite Pantheré” nennt, einen schwarzen Mantel aus Leopardenfell besitzt. Cartier stellt Jeanne, die bereits als Meisterin von bestickten Taschen Furore gemacht hatte, als Direktorin für Handtaschen, Accessoires und Objekte in seiner Firma an.
Jeanne lebt mit dem Industriellen Baron Pierre Hély d’Oisell (1887-1959) zusammen, auch er kann sie wegen seiner Familie nicht heiraten. Indessen hat sie eine Affäre mit Cartier. 1917 schenkt Cartier seinen Geliebten ein damals sehr beliebtes „Vanity Case“, ein kleines Schmink Etui, mit einem aufgesetzten Panther. Kurz darauf bringen sie gemeinsam eine Uhr in Form eines Leoparden auf den Markt, das Fell der majestätischen Raubkatze ist mit Diamanten mit Onyx besetzt, die Augen aus funkelnden Smaragden. 1924 heiratet Cartier die ungarische Gräfin Jacqueline Almassy und geht mit ihr 1933 nach Budapest, Jeanne macht er zur Direktorin der Juwelen Abteilung.
Jeanne ist fasziniert von der Farbenpracht des Orients, speziell von Indien, Persien und China. Sie überzeugt Cartier statt Platin nun das zeitgemäße Gelb Gold zu verwenden, entwirft opulenten dreidimensionalen Schmuck in Tierformen, wie Schlangen, Krokodile, Flamingos. Sie entwickelt ungewöhnliche Farbkompositionen, mixt Smaragde oder Amethyste mit Korallen und Türkisen.
Louis Cartier stirbt 1942, sein Bruder Pierre führt das Unternehmen noch bis 1947, seine Tochter und ihre
Der Klassiker Tank de Cartier
Skizze Trinity de Cartier
zwei Cousins teilen sich die Firma auf. Jeanne Toussaint bleibt bis in 1970 Art Direktor bei Cartier und bestimmt maßgebend die Schmucklinie. 1954 heiratet sie Baron Pierre Hély d’Oisell. Sie stirbt in Paris 1976. Auf Grund wirtschaftlicher Krisen verkaufen in den Sechzigerjahren die Erben Cartiers nach und nach ihre Anteile an verschiedene Personen. Erst in der 1970er Jahren gelingt es unter der Leitung von Robert Hocq and Joseph Kanoui die Unternehmen in Frankreich, England und USA wieder zusammen zu fügen und ein Wiederaufstieg als „Cartier Monde“. Die beiden entwickeln 1974 das Konzept „Les Must de Cartier“, das vom Design her und mit moderaten Preisen junge Käuferinnen ansprechen soll. Micheline Kanoui, Ehefrau von Joseph Kanoui, erweitert das Juwelenangebot von Cartier. Die Uhr „Santos de Cartier“, bei der Gold und Stahl zu einer gestalterischen Einheit verbunden sind, wird zu einem Erfolgshit.
Nach dem tragischen Unfalltod Robert Hocq 1979, er wird in der Nähe seines Büros am Place Vendome beim Überqueren der Straße von einem Auto gerammt, wird Joseph Kanoui Präsident von Cartier Monde und kauft sich 1988 mit 60% bei den der Schweizer Uhrenhersteller Baume & Mercier und Piaget sowie weiterer Luxuswarenhersteller ein. 1993 wird diese Gruppe von Luxusgüterherstellern zur Vendôme Luxury Group zusammengefasst und 1997 in den Compagnie Financière Richemont SA der südafrikanischen Familie Rupert eingegliedert.
Heute zählt Cartier zu den größten Juwelierunternehmen der Welt und liegt bei den Uhren auf Platz 4 der Weltrangliste. Die Uhrenmarken Cartier Ronde, Cartier Baignoire und Cartier Hypnose sind die beliebteste bei Frauen, die populärsten Herrenmodelle sind die Cartier Pasha, die Cartier Tank und die Cartier Santos. Das 1914 entwickelte und um 1980 wieder produzierte Modell Panthére de Cartier wird nicht mehr hergestellt, zählt jedoch immer noch zu den beliebtesten Klassikern der Luxusmarke. Bei dem modernen Cartier-Schmuck tauchen ebenfalls Elemente aus dem 20. Jahrhundert auf, so das bekannte „Schraubenmotiv“ von Cartiers frühen Uhren zum Beispiel auf dem LOVE-Armreif. Ein Bestseller ist auch der von Cartier 1924 entworfene „Trinity“ Ring.
Ring und Bracelet aus der Panthere Kollektion
Friend of Maison Monica Bellucci trägt Trinity
“KÖNIG DER JUWELIERE UND JUWELIER DER KÖNIGE.”
Edward VII. König von England von 1901-1910, über CARTIER
Bis heute schätzten Mitglieder des Hochadels und Adels den Schmuck von Cartier. So trägt die Herzogin von Cambridge (geboren 1982 als Catharine Middelton) Ehefrau des britischen Prinzen William, oft eine Cartier Ballon Bleu-Uhr. Bei ihrer Hochzeit schmückte sie die „Halo-Tiara“, welche König Georg VI. (1895-1952), für seine Frau, der späteren „Queen Mum“, bei Cartier anfertigen ließ.
Eine von Cartier angefertigte Nachbildung des berühmten Jeanne Toussaint – Kolliers war in der 2018 erschienenen amerikanischen Filmkomödie „Ocean’s 8“ zu sehen. Der Film handelt von dessen raffinierten Diebstahlsdurch eine Gruppe junger Frauen. Einzelne Szenen wurde in der berühmten Maison Cartier in der Fifth Avenue, New York, gedreht. Das Original wurde für den Maharadscha von Nawanagar, Oberhaupt eines Fürstenstaates in Britsch-Indien, einen leidenschaftlichen Sammler von Edelsteinen und Perlen, 1931 von Louis Cartier und Jeanne 1931 mit dem wohl größten fehlerlosesten Diamant der Welt (GIA = D flawless) genannt „Queen of Holland“ 136,25 Karat entworfen. Cartier setzte den Diamanten mit dem leicht bläulichen Schimmer in das Zentrum des Colliers, umgeben von seltenen Diamanten in Rosa, Gelb, Blau und Grün. 1960 kauft Cartier den Diamanten zurück, 1978 wird er von dem Diamant Händler William Goldberg, New York, nachgeschliffen und für eine kolportierte Summe von 6 Millionen Dollar an den Sammler Robert Mouawad, einem der reichsten Juwelenhändler Beiruts verkauft.
Eine kuriose Entdeckung machte ein Mitarbeiter von Cartier 1998 in einem Londoner Antiquitätenladen. Es war die Fassung der „Patiala“-Halskette, eines der kostbarsten Schmuckstücke aus dem Haus Cartier. 2930 Diamanten mit einem Gesamtgewicht von 962, 25 Karat, weitere sieben große Diamanten mit 18 bis 73 Karat und zwei Rubine bester Qualität waren damals verarbeitet worden. Zentraler Stein war der hellgelbe „De Beers“ –Diamant mit 234,65 Karat. Cartier hatte die Halskette 1928 für Bhupinder Singh of Patiala (1891-1938) angefertigt. Dieser war einer der berühmtesten und extravagantesten indischen Maharadschas. Er wurde in England erzogen, hatte 10 Ehefrauen und Dutzende Geliebte mit welchen er 88 Kinder zeugte. Er war ein hervorragender Kricket-und Polospieler und besaß das erste Flugzeug in Indien. Sein Sohn Yadavindra Singh erbte die Kette, einzelne Steine der Kette wurden damals aus wirtschaftlichen Gründen bereits verkauft. Zehn Jahre nach Indiens Unabhängigkeit 1947 verschwand auch die Platin-Fassung. Lediglich der „De Beers“ Diamant tauchte in den Achtzigerjahren wieder auf und wurde bei Sothebys in Genf für 3,16 Millionen Dollar angeboten. Cartier restaurierte die Kette mit synthetischen Steinen und stellte sie 2002 in New York aus.
Auch eine „Beinahe-Königin“ befindet sich unter Cartiers berühmtesten Kundinnen. Wallis Simpson (1896-1986) , die zweifach geschiedene Amerikanerin, derentwegen der englische König Edward VII auf den Thron 1936/37 verzichtete, wurde von ihm Mann, dem späteren Herzog von Windsor mit Juwelen geradezu überschüttet. 4,5 Millionen Pfund erzielte ihr Onyx - Dimant Panther Armband 2010, damals das teuerste Schmuckstück das je auf einer Auktion versteigert wurde. Eines der Lieblingsstücke der Herzogin, die eine ganze Sammlung des Cartiers Schmuckes besaß, unter anderem auch die berühmte Flamingo-Brosche, ist eine Tiger-Brosche aus dem Jahr 1949. Auf einem riesigen Saphircabochon von 152, 35 Karat, räkelt sich ein Panther, dessen Fell aus Diamanten und Saphiren besteht. 1987 kaufte Cartier das Schmuckstück für seine Sammlung zurück. Kleines Detail: Auch die einfachen Platineheringe des Herzogpaares wurden von Cartier angefertigt Ein Fürst, zwei Prinzen, ein Graf, ein Freiherr, ein Schauspieler und ein Playboy, ihre sieben Ehemänner brachten Barbara Huttons (1912-1979) letzthin um ihr Vermögen Die Enkelin von Frank W. Woolworth, dem Gründer der US Kaufhauskette, war einmal eine der reichsten Frauen der Welt. 1947 ließ sie bei Cartier eine Tiara anfertigen, die auch als Kollier getragen werden konnte. Verarbeitet wurden neben zahlreichen Diamanten einige wunderbare Smaragde, einst Eigentum der russischen Großherzogin Maria Pavlovna, (1890-1958) die Enkelin des russischen Zaren Alexander II. (18181881).
Für eine „Königin von Hollywood“, die Schauspielerin Elisabeth Taylor, entwirft in den Siebzigerjahren Cartier ein doppelreihiges Perlen-Kollier mit Rubinen und der „La Peregrina“ („Die Pilgerin“), einer einzigartigen Perle in der Größe eines Taubeneies. Dem Sklaven in Panama, der sie vor etwa 500 Jahren fand, schenkt der spanische Eroberer die Freiheit. 1679 kauft sie der spanische König Phillip II. (1527-1598) und schenkt sie 1556 seiner zweiten Frau Mary Tudor zur Hochzeit. Bis ins 19. Jahrhundert „pilgert“ die Perle von einem europäischen Königshaus zum anderen und gelangt schließlich in den Besitz der Familie Bonaparte. 1873 flüchtet Kaiser Napoleon III aus Frankreich und verkauft sie an den Duke of Abercorn. 1969 erwirbt sie der amerikanische Schauspieler Richard Burton für 37.000 Dollar und schenkt sie seine Frau Liz zum Valentinstag. 2011 erreicht das Schmuckstück mehr als 11 Millionen Dollar bei der Versteigerung bei Christies New York. Einen Teil des Erlöses spendet die Schauspielerin an ihre Liz Taylors AIDS-Stiftung.
Text: Eva von Schilgen