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Christoph Hempel

Harmonielehre Das groĂ&#x;e Praxisbuch Harmonie und Satz vom Choral bis zum Jazz


Kap. 4 | Das Grundmaterial – die Akkorde

1. Akkord und Harmonie Als Akkorde werden Klanggebilde bezeichnet, die sich aus mindestens drei gleichzeitig erklingenden Tönen zusammensetzen. Dabei kann das klangliche Resultat je nach Intervallaufbau sehr unterschiedlich sein: Ein Akkord kann aus Dreiklangstönen, aber auch aus einer dissonanten Ballung enger Intervalle bestehen. Ein Zusammenklang von drei oder mehr Tönen wird oft auch als Harmonie bezeichnet; im musikalischen Sprachgebrauch werden diese Begriffe vielfach synonym verwendet. Die Harmonielehre grenzt die Begriffe »Akkord« und »Harmonie« aber gegeneinander ab: Z Der Begriff Harmonie bezeichnet generell eine Klangeinheit, die durch das Zusammenwirken von Tönen entsteht, wobei die Töne nicht gleichzeitig erklingen müssen. So kann die Harmonie auch Resultat z. B. eines polyphonen oder einstimmigen Satzes sein, der auch harmoniefremde Töne enthalten kann. »Harmonie« ist als Kategorie dem Begriff »Akkord« übergeordnet und nicht an bestimmte Formen der Akkordbildung gebunden. Zugleich ist der Begriff »Harmonie« innerhalb der abendländischen Tradition meist auf tonartbezogene, konsonante Zusammenklänge beschränkt. Die Begriffe »Harmonie« und »harmonisch« werden von Autoren seit der Antike bis heute so unterschiedlich verstanden, dass eine umfassende Definition kaum möglich ist. Bsp. 4.1 zeigt die Harmonie E-Dur in Form eines gebrochenen Akkordes (a), zweier verschiedener Akkordgestalten (b, c) und in Gestalt einer einstimmigen Melodie mit einigen leitereigenen, aber harmoniefremden Tönen (d). Der Hörer ordnet alle Klanggestalten derselben Harmonie zu. d a b c

 

 





  

    

  

  

    

Akkord und Harmonie o Kap. 3, S. 38

G } Harmoniefremd, leiterfremd Harmoniefremde Töne o Kap. 9, S. 281

Bsp. 4.1

Z

Der Begriff Akkord dagegen bezeichnet das Zusammenklingen von Einzeltönen in einer konkreten Gestalt. Das Ergebnis kann klanglich sehr unterschiedlich sein, etwa bei einer dissonanten Ballung großer und kleiner Sekunden (»Cluster«, Bsp. 4.2 a), einer mehrfachen Schichtung des gleichen Intervalls (»Quartenakkord«, b), einem Dreiklang aus zwei Terzen und einer Quarte (c) oder einer gänzlich freien Intervallkonstruktion (d).

G } Cluster


56

Kap. 4

 

a

 

     

b      

c

Das Grundmaterial

die Akkorde

d

   

 

    

Bsp. 4.2 a–d

Eine Harmonie kann sich also in ganz unterschiedlichen Akkordgestalten konkretisieren, während umgekehrt auch Zusammenklänge, die keine Harmonie repräsentieren, als Akkorde bezeichnet werden. Die begriffliche Trennung von Harmonie und Akkord trägt der Tatsache Rechnung, dass unterschiedliche Akkordgestalten die gleiche Harmonie in immer wieder anderen Farben erscheinen lassen können, was durch unterschiedliche Instrumentierungen noch verstärkt werden kann.

2. Naturtonreihe und Dreiklang, »Naturgegebenheit« eines Tonsystems Seit dem 14. Jahrhundert wird der Durdreiklang (trias harmonica) als Basis der Harmoniebildung angesehen. Grundlage ist die Erkenntnis, dass sich der Durdreiklang aus benachbarten Tönen der Naturtonreihe ableiten lässt. Die Töne der Naturtonreihe stehen zueinander in ganzzahligen (»harmonischen«) Frequenzverhältnissen, und alle Töne der Naturtonreihe vom 1. bis zum 6. Naturton sind im Durdreiklang enthalten; der 4., 5. und 6. Naturton bilden seine Grundstellung. Bsp. 4.3 zeigt die Naturtonreihe auf C mit Hervorhebung des Durdreiklangs. Auf jedem anderen der zwölf Töne lässt sich eine entsprechende Naturtonreihe aufbauen. Die Zahlen geben die Positionen auf der Naturtonreihe an und repräsentieren gleichzeitig die Frequenzproportionen; die Intervalle werden also nach oben kontinuierlich enger. Dies ist der Grund, warum der 7. und der 11. Oberton nicht der notierten Tonhöhe entsprechen, sondern etwas tiefer klingen, wie im Beispiel zu hören ist.

 

           1

Bsp. 4.3

  2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12


2. Naturtonreihe und Dreiklang, »Naturgegebenheit« eines Tonsystems

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In signalartigen Motiven klassischer Werke, aber auch in Volksliedern mit entsprechender Textassoziation findet man die direkte Verbindung zwischen Melodie, Dreiklang und Naturtonreihe (Bsp. 4.4 bis Bsp. 4.7).

  



  

Bsp. 4.4: Ludwig van Beethoven (1770 1827): 3. Sinfonie op. 55, Hauptthema des 1. Satzes

   

   

  

Bsp. 4.5: Ludwig van Beethoven: Violinkonzert op. 61, 3. Satz

  

    

  

Bsp. 4.6: Ludwig van Beethoven: 5. Sinfonie op. 67, aus dem 2. Satz

 

   

Wohl - auf

in Got - tes

   schö - ne Welt,

   

le - be - wohl, a - de.

Bsp. 4.7: Anfang des Volkslieds »Wohlauf in Gottes schöne Welt«

Im Hornquintensatz tritt die Naturtonreihe in einem zweistimmigen Satz auf, der typisch für den Einsatz von Naturhörnern und -trompeten ist. Bsp. 4.8 zeigt einen solchen Satz auf der Naturtonreihe von C. Die Zahlen geben die verwendeten Positionen der Naturtonreihe an. Der 11. Naturton (eingeklammert) wird vom Spieler mithilfe des Ansatzes abwärts auf die notierte Tonhöhe korrigiert.

  6

4

8

9

 

 

5

6

11

12

 

 

 

8

9

10

10

Bsp. 4.8: Hornquintensatz als Ausschnitt der Naturtonreihe auf c

Dur- und Molldreiklang werden in der tonalen Harmonik als Konsonanzen behandelt. Sie verlangen keine Auflösung und können als Ruhepunkte im harmonischen Verlauf oder als Abschluss eines Musikstücks dienen. Alle anderen Dreiklänge und Vierklänge verlangen eine Dissonanzauflösung bzw. ein Weiterfließen des harmonischen Verlaufs. Dies gilt allerdings nicht für alle Epochen. Die Auffassung von Konsonanz und Dissonanz hat sich im Verlauf der Musikepochen allmählich gewandelt: In der Musik


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Konsonanz o Kap. 3, S. 44

Kap. 4

Das Grundmaterial

die Akkorde

des Mittelalters galten nur Einklang, Oktave und Quinte als reine, schlussfähige Zusammenklänge, während im Jazz, in der modalen Harmonik und in vielen Musikstilen des 20. Jahrhunderts auch andere Zusammenklänge als der Dreiklang als Anfangs- und Schlussklang dienen können ganz zu schweigen von vielen außereuropäischen Musiktraditionen, denen die uns vertraute Polarität zwischen Dissonanz und Konsonanz gänzlich fremd ist. Die Beispiele 4.9 4.11 zeigen an drei Schlüssen die unterschiedlichen Konsonanzauffassungen vom 15. Jahrhundert bis heute.

  

   

    

    

  

 

  

 

 

 

 

 

 

Bsp. 4.9: Schluss einer Motette von Guillaume Dufay (15. Jahrhundert)

  

 

  

       

 

 

 

 

 

       

 

 

 

Bsp. 4.10: Schluss eines Choralsatzes von Johann Sebastian Bach (18. Jahrhundert)

  

G¨7 

      

  

F

    

    

 

Bsp. 4.11: Schluss einer Jazz-Klavierimprovisation in einem erweiterten F-Dur (20. Jahrhundert)

Von der Renaissance bis zum 20. Jahrhundert versuchten Musiktheoretiker immer wieder, aus der Existenz des Durdreiklangs in der Naturtonreihe eine elementare Naturgegebenheit des gesamten abendländischen Tonsystems abzuleiten. Kunst jedoch ist Produkt menschlichen Gestaltungswillens, und eine allzu direkte Gleichsetzung von Entwicklungsformen der Kunst und Gesetzmäßigkeiten der Natur ignoriert die Autonomie kultureller Entwicklung. Es stellt sich die Frage, ob der Siegeszug, den das drei-


2. Naturtonreihe und Dreiklang, »Naturgegebenheit« eines Tonsystems

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klangsbasierte Tonsystem um die Welt angetreten hat, als Konsequenz einer natürlichen Überlegenheit angesehen werden kann oder einfach nur eine kulturelle Spätfolge der Kolonisation ist. Auch wenn das auf Durdreiklang, Naturtonreihe und Konsonanz beruhende Tonsystem zweifellos für Jahrhunderte die Basis der abendländischen Musik bildete und heute noch bildet, lassen einige Unstimmigkeiten dieses Tonsystems an der Berechtigung des Attributs »naturgegeben« zweifeln: 1. Das Problem mit dem Molldreiklang: Seit der Antike gilt die Auffassung, dass einfache Zahlenproportionen wohlklingenden, konsonanten, grundlegenden Intervallen entsprechen, dass also Intervalle und Zusammenklänge von Tönen, die im unteren Bereich der Naturtonreihe liegen, als konsonanter empfunden werden als höher liegende Zusammenklänge. Der Durdreiklang, der aus benachbarten Naturtönen niederer Ordnungszahl besteht, wird demnach als konsonant und wohlklingend empfunden. Eine ebenbürtige Rolle in tonaler Harmonik spielt aber der Molldreiklang, dessen Ableitung aus der Naturtonreihe weniger einfach ist: Innerhalb der Naturtonreihe ergibt er sich erst zwischen den Tönen mit den Ordnungszahlen 10 : 12 : 15. Die Musiktheorie behalf sich bei der Ableitung des Molldreiklangs mit Begründungen wie »Eintrübung des Durdreiklangs« oder der Vorstellung einer Spiegelung an einer horizontalen Achse (»dualistische« Theorie). Bsp. 4.12 zeigt das Modell der »Untertonreihe«. Im oberen Kasten liegt die Naturtonreihe, beginnend mit c 1, im unteren die gespiegelte Reihe, beginnend mit c 2; alle Intervalle sowie ihre Reihenfolge sind hier umgekehrt, daher ist der erste grundständige Dreiklang ein Molldreiklang mit den Ordnungszahlen 6, 5 und 4. Diese »Untertonreihe« existiert nur als Denkmodell und entspricht nicht den physikalischen Tatsachen, liefert aber eine scheinbar »natürliche« Erklärung für den Molldreiklang.      

 1

2

3

4

5

6

     6

5

4

3

2

1

Bsp. 4.12

2. Das verwendete Stimmungssystem: Seit dem 18. Jahrhundert wird vorwiegend in der gleichschwebenden Temperatur musiziert. In diesem Stimmungssystem erklingen die Intervalle Terz und Quinte nicht in den Proportionen 4 : 5 : 6, sondern leicht abweichend gestimmt; das Ohr hört die leicht unharmonischen Proportionen »zurecht«. In der reinen Stimmung, in der Grundton, Terzton und Quintton im Verhältnis 4 : 5 : 6 schwingen, klingt der Terzton 14 Cent (etwa ein Siebentel eines Halbtons) tiefer, der

Tonsystem o Kap. 3, S. 40


60 G } Cent

Kap. 4

Das Grundmaterial

die Akkorde

Quintton 2 Cent (ein Fünfzigstel eines Halbtons) höher als in der uns vertrauten gleichschwebenden Temperatur. Bei mehrmaligem Hinhören kann man die feinen Unterschiede erkennen. Beispiel 4.13 erklingt zuerst in gleichschwebender, dann in reiner Stimmung.

 

Bsp. 4.13

G } Grundständiger Akkord

3. Das Problem mit dem Quartsextakkord: Der Dreiklang mit den Schwingungsproportionen 4 : 5 : 6 ist nicht der tiefste Dreiklang, der in der Naturtonreihe enthalten ist. Der Quartsextakkord mit den Proportionen 3 : 4 : 5 liegt noch darunter, ist also als erste Dreiklangsform in der Naturtonreihe enthalten; er müsste daher als noch konsonanter, »grundlegender« als der grundständige Dreiklang wirken. Tatsächlich wird er aber, obwohl auch aus »harmonischen«, d. h. ganzzahligen Proportionen gebildet, über weite Abschnitte der Musikgeschichte bis heute als dissonant oder zumindest als eine schwächere Alternative zum grundständigen Dreiklang empfunden. 4. Das Problem mit der Quarte: Das Intervall der Quarte liegt in der Naturtonreihe zwischen Quinte und großer Terz, müsste also als konsonantes Intervall aufgefasst werden. In der kompositorischen Praxis galt die Quarte in bestimmten satztechnischen Zusammenhängen aber als dissonantes Intervall, z. B. im zweistimmigen Satz des 16. und 17. Jahrhunderts. Bsp. 4.14 zeigt die Naturtonreihe auf C mit den Dreiklängen in der zweiten Umkehrung (Schwingungsproportionen 3 : 4 : 5), der Grundstellung (4 : 5 : 6) und der ersten Umkehrung (5 : 6 : 8), jeweils durch Klammern markiert.

 

  1

3

  6 4

5

 

7

8

2

Bsp. 4.14: Naturtonreihe mit dem Dreiklang in der zweiten Umkehrung (Schwingungsproportionen 3 : 4 : 5), der Grundstellung (4 : 5 : 6) und der ersten Umkehrung (5 : 6 : 8)


3. Dreiklänge: Dreiklangsstufen, Intervallaufbau und Grundtonempfindung

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3. Dreiklänge: Dreiklangsstufen, Intervallaufbau und Grundtonempfindung Ein Dreiklang ist eine dreitönige Harmonie aus zwei übereinander liegenden Terzen mit einer Quinte als Rahmenintervall. Man unterscheidet vier Dreiklangstypen: Durund Molldreiklang, verminderter und übermäßiger Dreiklang. Die Notenbilder der vier Dreiklangstypen sind bezüglich der Stammtöne gleich; lediglich durch die Versetzungszeichen werden der Dreiklangstyp und die Art der Quinte verändert.

3a. Dreiklangsbestimmung nach Intervallen Man kann einen Dreiklang nach den in ihm enthaltenen Intervallen bestimmen: Durund Molldreiklang werden durch die Aufeinanderschichtung einer großen und einer kleinen Terz (bzw. umgekehrt) gebildet; Rahmenintervall ist die Quinte. Der Dreiklang enthält also drei Intervalle. Beim Durdreiklang (s. Bsp. 4.15a) liegt eine große Terz unten und eine kleine Terz oben. Beim Molldreiklang (b) liegt eine kleine Terz unten und eine große Terz oben. Rahmenintervall beim Dur- und Molldreiklang ist eine reine Quinte. Der verminderte Dreiklang (c) enthält zwei kleine Terzen. Rahmenintervall ist eine verminderte Quinte. Der übermäßige Dreiklang (d) enthält zwei große Terzen. Rahmenintervall ist eine übermäßige Quinte. a. Durdreiklang reine Quinte



b. Molldreiklang reine Quinte

 kleine Terz

große Terz

verminderte Quinte

kleine Terz Bsp. 4.15 a–d

kleine Terz

kleine Terz

c. verminderter Dreiklang

große Terz

d. übermäßiger Dreiklang übermäßige Quinte

 große Terz

große Terz


62

Kap. 4

Das Grundmaterial

die Akkorde

3b. Dreiklangsbestimmung nach Stufen Man kann einen Dreiklang aber auch nach den in ihm enthaltenen Stufen bestimmen. Als Dreiklangsstufen bezeichnet man Grundton sowie (auf den Grundton bezogen) Terzton und Quintton. Im Sprachgebrauch bedeutet der Ausdruck »Durterz«, dass der Terzton des Dreiklangs eine große Terz über dem Grundton liegt, der Ausdruck »Mollterz«, dass der Terzton des Dreiklangs eine kleine Terz über dem Grundton liegt. Statt den mittleren Ton des Dreiklangs »die Terz« zu nennen, wie oft zu lesen ist, sollte man, um Missverständnisse zu vermeiden, die Dreiklangsstufe mit dem korrekten Begriff »Terzton« und die anderen beiden Stufen entsprechend mit »Grundton« und »Quintton« bezeichnen. Die »Terz« ist ein Intervall, nicht ein einzelner Ton! Die Bestimmung eines Dreiklangs nach Dreiklangsstufen geht von dem Umstand aus, dass die Stufen in beliebigen Akkordpositionen und Dichtegraden des Dreiklangs ihre Qualität behalten. Das Prinzip der Umkehrbarkeit von Dreiklängen beruht also darauf, dass die Töne eines Dreiklangs in ihrer Anordnung vertauscht werden können, ohne dass die Empfindung der Harmonie und die Bedeutung der Dreiklangsstufen innerhalb der Harmonie sich ändern. Der Dreiklangs-Quintton bleibt immer Quintton, gleichgültig ob der Dreiklang in einfacher dreistimmiger Grundstellung oder vielstimmig, in einer Umkehrung, in weiter oder enger Strukturlage erklingt. Das ermöglicht die Identifikation durch das Gehör auch in komplexen Akkordstrukturen. Außerdem wird bei dieser Betrachtungsweise der Zusammenhang mit den Stufen der Tonleiter deutlich, aus deren Material die Dreiklänge bestehen. Besonders offensichtlich ist dies beim Grundton: Das Empfinden des untersten Tones als Grundton der Dreiklangsharmonie überträgt sich auch auf ganze musikalische Passagen, denen ein Dreiklang zugrunde liegt. Wir können für einen Abschnitt eines Musikwerks einen Grundton hörend empfinden eben den Grundton des zugrunde liegenden Dreiklangs. Bsp. 4.16 zeigt vier Dreiklänge, die in Aufbau, Lage und Tonart unterschiedlich sind, sowie jeweils den zugehörigen Grundton, den das Ohr spontan ermittelt.

 

  

  

   

  

Bsp. 4.16

Die »Naturgegebenheit« des Grundtonempfindens kann aus der Naturtonreihe abgeleitet werden (Naturklangtheorie): Der tiefste der drei Dreiklangstöne wird gleichsam als »Basis« empfunden. Eine Dominanz des 4. gegenüber dem 5. und 6. Naturton, also des Grundtons gegenüber dem Terzton und Quintton des Durdreiklangs, kann außerdem von der


3. Dreiklänge: Dreiklangsstufen, Intervallaufbau und Grundtonempfindung

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akustischen Gegebenheit abgeleitet werden, dass das Obertonspektrum des Grundtons die beiden anderen Töne (oktavversetzt) enthält, jedoch nicht umgekehrt. Dreiklänge können neben den zwei Terzen und der Quinte auch deren Komplementärintervalle enthalten. Diese treten auf, wenn man den Dreiklang umkehrt oder mit Tonverdopplungen darstellt. Dur- und Molldreiklänge erhalten also sechs, verminderte und übermäßige Dreiklänge vier Intervalle, wie Bsp. 4.17 zeigt: große und kleine Terzen und Sexten sowie reine, übermäßige und verminderte Quarten und Quinten. Durdreiklang



kl. 6

gr. 3

verm. 5

gr. 6

kl. 3

überm. 4

kl. 6

gr. 3

r. 4

übermäßiger Dreiklang gr. 3

 r. 5

gr. 6

gr. 6

kl. 6

gr. 3

r. 4

verminderter Dreiklang kl. 3



r. 5

kl. 3

Molldreiklang

gr. 6

kl. 3

G } Spektrum, Obertonspektrum

 üb. 5

kl. 6

verm. 4

Bsp. 4.17

Dur- und Molldreiklänge enthalten alle konsonanten Intervalle, entweder als einfaches, als zusammengesetztes (oktavversetztes) Intervall oder als Komplementärintervall. Die »Dreiklangsmelodik« unzähliger Liedmelodien und melodischer Themen bedient sich dieser Intervalle.

G } Komplementärintervall

3c. Varianten des verminderten Dreiklangs Der verminderte Dreiklang kann zwei abweichende Formen haben, die sich hinsichtlich des Terztons vom Grundmodell unterscheiden: den »hartverminderten« und den »weichverminderten« Dreiklang. Der »hartverminderte« Dreiklang besteht aus einer großen und einer verminderten Terz sowie dem Rahmenintervall einer verminderten Quinte. Die Komplementärintervalle sind kleine Sexte, übermäßige Sexte und übermäßige Quarte. Beim »weichverminderten« Dreiklang ist die Reihenfolge der Terzen umgekehrt: Er besteht aus einer verminderten und einer großen Terz sowie ebenfalls dem Rahmenintervall der verminderten Quinte. Die Komplementärintervalle sind übermäßige Sexte, kleine Sexte und übermäßige Quarte. Die erste Umkehrung des weichverminderten Dreiklangs gehört als »Akkord mit übermäßiger Sexte« zum Standardrepertoire klassischer Harmonik; er leitet dort in der Regel einen Halbschluss ein (Bsp. 4.19).

Halbschluss o Kap. 11, S. 464


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