Katharina Bradler: Musizieren und Glück - Leseprobe

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Zum Glück Einleitende Gedanken über Glück, Musizieren und Perspektiven der Musikpädagogik Katharina Bradler

Musizieren und Glück Weder Musik noch Glück lassen sich in Worte fassen. Beide Begriffe entziehen sich einer genauen Beschreibbarkeit. Das liegt nicht zuletzt an ihrer semantischen Tragweite, die auch und vor allem in emotionaler Tiefe und Subjektivität wurzelt. Wenn von Musiziermomenten oder glücklichen Momenten die Rede ist, geht es meist um unverfügbare Momente. So reizvoll und erstrebenswert sie sind, so unerklärlich und unplanbar bleiben sie. Und doch scheint es Haltungen, Einstellung und Deutungen zu geben, die Glück den Boden bereiten. Musik und somit Musizieren birgt genau wie Glück oder Glücklichsein zahlreiche Implikationen, die an Zeitalter, an gesellschaftliche und biografische Kontexte gebunden sind. Entsprechend scheint nur eine perspektivische Annäherung an das Thema möglich. Eben dies möchte vorliegender Sammelband leisten: indem Musikpädagoginnen und Musikpädagogen einen jeweils eigenen Zugriff – einmal mehr wissenschaftlich, einmal mehr poetisch und persönlich – auf die Phänomene Musizieren und Glück präsentieren. Diese Form der approximativen Auseinandersetzung aus unterschiedlichen Perspektiven wird dem komplexen Gegenstand gerecht, ohne ihn seines Zaubers zu berauben. Doch warum gehören Musik im Allgemeinen bzw. Musizieren im Speziellen und Glück zusammen? Was heißt Glück und warum ist es relevant für das Fach Musikpädagogik, dessen Priorität auf den ersten Blick doch auf Lehr- und Lernprozessen zu liegen scheint? Antworten hierauf geben die unterschiedlichen Beiträge in diesem Sammelband. Ergänzend und einführend soll an dieser Stelle ein Überblick zeigen, was es mit dem so schwer zu fassenden Begriff Glück auf sich hat. Was bedeutet „Glück“? Es folgen daher zunächst einige Überlegungen zur Etymologie und Historie des Begriffs. Nach diesem kurzen allgemeinen Abriss wird gefragt, inwieweit glückliche Momente, Glücklichsein bzw. das Glück mit dem Musizieren zusammenhängen. Anschließend wird der Bezug des Themas zum Fach Musikpädagogik hergestellt und ein Überblick über die einzelnen Beiträge gegeben. 7


Glück – Zur Etymologie Im Gegensatz zu anderen Sprachen kennt die deutsche Sprache lediglich das eine Wort „Glück“, „um körperlich-sinnliche oder sinnerfüllte, intensiv-glühende oder transzendenzlastige, zufällig sich einstellende oder durch eigenes Streben errungene Glückszustände zu benennen“ (Hörisch 2011, 13). Eine reichere sprachliche Differenzierung ist im Altgriechischen zu finden, wo zwischen techné, eudaimonía und makariótes unterschieden wird. Im Französischen werden sogar chance, bonheur, félicité, fortune und béatitude differenziert, ähnlich dem Englischen, in dem luck, happiness, felicity, chance, bliss und beatitude für Glück stehen können (vgl. Hörisch 2011, 13). Das deutsche Verb „glücken“ verweist auf eine „transsubjektive Macht, die dennoch ein Subjekt betrifft“ (ebd.). Dies kommt in der „Es glückt“-Formulierung zum Tragen: Sie deutet einerseits darauf hin, dass etwas (das Glück) passieren kann, das heißt es stößt dem (passiven) Menschen zu. Andererseits enthält es darüber hinaus Anteile von Subjektivität und Aktivität, die die Möglichkeit einer persönlichen Steuerung suggerieren. Diese beiden Komponenten spiegeln sich in anderen Sprachen in den Begriffspaaren luck und happiness (engl.), eutychia und eudaimonía (griech.), fortuna und beatitudo (lat.), chance und bonheuer (frz.) wider. Im Deutschen sind diese beiden Formen von Glück etwa mit Glückhaben und Glücklichsein zu übersetzen. Erstes beschreibt ein Glück von außen, das sich – mehr oder weniger zufällig1 – ereignet, das heißt einem Menschen zustößt; zweites meint ein Glück, das einen längerfristigen Zustand kennzeichnet, so etwa ein gelungenes Leben im Sinne von Wohlergehen (vgl. Bien 1999, 74-75). Wilhelm Schmid verwendet hier die Ausdrücke „Zufalls- und Wohlfühlglück“. Beim Zufallsglück fällt Menschen etwas unvermutet zu und günstig für sie aus (vgl. Schmid 2014, 10); zum Wohlfühlglück gehört all das, was als positiv gilt, darunter gesund sein, sich wohlfühlen, angenehme Erfahrungen machen, kurz: das Wohlergehen des Menschen (vgl. Schmid 2014, 16). Dem Wortursprung nach ist „Glück“ auf das mittelhochdeutsche „gelücke“ zurückzuführen (Grimm 1858/1991, 226). Hier offenbart sich das Wort „Lücke“ als dem „Glück“ verwandt. Es deutet darauf hin, dass Glück nicht ohne Mangelerfahrungen, das heißt nicht ohne zu (er)füllende Lücke, also das Nicht-Glück (bzw. Unglück) zu denken ist. Schmid weist darauf hin, dass gerade ein moderner Glücksbegriff, der einen hohen Maßstab des Lebens festmacht, die Gefahr berge unglücklich zu machen. Wie nah Glück und Unglück sich stehen, zeigt sich auch in Beiträgen dieses Sammelbandes.2 Schmid greift diese Antinomie in seinem „Glück der Fülle“ auf.3 Im Gegensatz zum Zufalls- und Wohlfühlglück umfasst dieses neben der positiven Seite immer auch die negative, das heißt das Unangenehme und Schmerzliche, mit dem zurechtzukommen ist (vgl. Schmid 2014, 28). Diese Form des Glücks ist auch bzw. besser zu verstehen als Sinnhaftigkeit des Lebens, die aus einer geistigen Haltung zustande kommt, die die Polarität des Lebens bejaht und sie auszubalancieren weiß. 8


Glück – Zur Bedeutung in verschiedenen Zeitaltern Nicht weit weg vom „Glück der Fülle“ ist der antike Glücksbegriff, den ebenfalls eine philosophische Lebenseinstellung charakterisiert. In der griechischen Antike ist Glück nicht bzw. nicht nur durch äußere Güter bestimmt, sondern durch eine innere Verfasstheit des Menschen. Es steht in der Regel in einer ethischen Dimension, das heißt in enger Verbindung mit moralischem Handeln. So auch bei Platon (428/27-348/47 v. Chr.): Glück ist ihm zufolge durch eine seelische Verfassung zu erlangen, die mit einer sittlichen, vernunftbestimmten Lebensführung verbunden ist. Wer gut lebt, wird glücklich. Das gute Leben ist ein philosophisches (vgl. Horn 2011 a, 118; Kos 2006, 137). Bei Aristoteles (384-322 v. Chr.) kommen äußere und innere Glücksgüter zusammen. Es gehört zur Wesenheit des Menschen, nach Glück (eudaimonía) zu streben. Durch ein tugendhaftes Leben ist eine Teilhabe an der metaphysisch bestimmten Glückseligkeit möglich.4 Im Hellenismus wird Glück mehr und mehr Sache der Privatpersonen: Weil politischer Halt schwindet, besteht der Weg zum Glück darin, sich Ziele zu setzen, die man aus eigener Kraft erreichen kann (vgl. Kos 2006, 137). Bei den Stoikern ist solch ein Ziel die Tugendhaftigkeit. Sie ist hier – im Gegensatz zu Aristoteles – rein intellektualistisch zu verstehen und mündet in einer asketischen Lebenspraxis. Äußere Güter spielen keine Rolle; wichtig für das Erlangen von Glück ist eine vom materiellen Wohlbefinden unabhängige innere Verfassung des Menschen. Eine ähnliche Glückskonzeption vertritt auch Epikur (341-271/70 v. Chr.). Wie bei den Stoikern ist diese teleologisch konzipiert. Im Gegensatz zur Stoa ist Glück bei Epikur jedoch mit der Empfindung von Lust verbunden. Damit sind allerdings nicht maßlose Begierden gemeint, vielmehr gilt eine vollkommene Unlustfreiheit als maximaler Erfüllungszustand. Das Glück ist aus „eigener Macht“ zu erreichen und liegt in der ataraxia, einer Unaufgeregtheit (vgl. Horn 2011 b, 127). Als an die antike Tradition anknüpfend können die Ansichten des christlichen Kirchenvaters Augustinus (354-430) betrachtet werden. Denn auch nach ihm gehört es zur Natur des Menschen, nach dem Glück zu streben. Dieses Streben wird nun theologisch aufbereitet. Das höchste Ziel ist dann ein Leben bei Gott (vgl. Horn 2011 c, 133). Irdische (Glücks-)Güter dürfen lediglich gebraucht, erst das endgültige Heil Gottes darf genossen werden. Das Glück liegt in der durch Gott geschenkten Gottesschau (vgl. Kos 2006, 138). Thomas von Aquin (1225-1274) entschärft diese strenge Position und spricht dem Menschen im Diesseits eine unvollkommene Teilhabe am Glück zu, nämlich da, wo der Mensch in seinem Handeln durch die Tugenden das Gute verwirklicht. Vollkommenes Glück besteht auch bei ihm in der Gemeinschaft mit Gott, in der jenseitigen Gottesschau (vgl. ebd.). In der Neuzeit erfolgt eine Wende zum Subjekt. Während zuvor noch davon ausgegangen war, dass ein allgemeiner Begriff des Glücks möglich ist, wird dies zuneh9


mend in Zweifel gezogen. Im Vordergrund steht die Frage, ob ein gutes Leben auch ein gerechtes ist bzw. sein kann, und ob mit dem guten, moralisch richtigen Leben das Erlangen von Glück verbunden ist. Moral und (individuelles) Glück scheinen nicht mehr zwingend zusammenzuhängen. (Glücks-)Ziele werden individuell gesetzt. Dabei sind Glückserfahrungen oft mit sinnlicher Lust verbunden statt mit Tugend. Ein für alle Menschen bedeutungsgleiches Strebens- und Lebensziel scheint es nicht mehr zu geben (vgl. Kos 2006, 138). So wendet sich z. B. Immanuel Kant (1724-1804) gegen die in der Antike liegende Eudaimonia-Tradition. Er geht von einem sinnlich bestimmten Glücksbegriff aus, der nicht mehr teleologisch ausgerichtet ist. Ziel der Wirklichkeit und des Handelns ist nicht die Glückseligkeit, sondern die Freiheit. Prinzipien der Glückseligkeit sind nur Maximen der Selbstliebe und können daher keine Kriterien der Moralität abgeben. Unter Glückseligkeit versteht Kant die Befriedigung von Neigungen und das Erfüllen persönlicher Wünsche – dies wiederum steht der sittlichen Orientierung und nicht zuletzt dem kategorischen Imperativ entgegen. Moralität und Glücksbegehren gehen demnach nicht zusammen (vgl. Kos 2006, 139; Mitscherlich-Schönherr 2011, 183-185). Als „Zeitalter der hedonistischen Glücksphilosophie“ (Schefczyk 2011, 163) kann die britische Moralphilosophie des 18. und 19. Jahrhunderts bezeichnet werden. Darin spielen die Leitbegriffe „Lust“ und „Unlust“ eine zentrale Rolle. Im Vordergrund steht die Mehrung von Lust und Glückszuständen. So auch im hedonistisch orientierten Utilitarismus: John Bentham (1748-1832) etwa entwirft einen lustquantifizierenden Utilitarismus, der sich am größten Glück der größten Zahl orientiert (vgl. Kos 2006, 138). John Stuart Mill (1806-1873) hingegen macht eine qualitative Steigerung zum Kriterium von Glück. Sie spiegelt sich in dem häufig zitierten Satz wider: „It is better to be a human being dissatisfied than a pig satisfied; better to be Socrates dissatisfied than a fool satisfied“ (zit. nach Schefczyk 2011, 172). Sigmund Freud (1856-1939) sieht als Vorbild unseres Glücksstrebens die geschlechtliche Liebe (vgl. Freud 1994, 48-49). Glück gilt für ihn als Lusterfahrung, die an physiologische Bedingungen geknüpft ist, das heißt als Befriedigung libidinöser Regungen. In diesem Sinne ist das Glück momenthaft und nicht dauerhaft. Als momenthaft beschreibt auch Mihály Csíkszentmihályi (*1934) das Glück. Der Begründer der Flow-Theorie hat Glücksmomente mit Methoden der modernen Psychologie erforscht. Er charakterisiert sie als Zustand, „bei dem man in eine Tätigkeit so vertieft ist, dass nichts anderes eine Rolle zu spielen scheint“ (Csíkszentmihályi 2001, 16). Dieser kommt durch eine Tätigkeit zustande, die mit Anspannung, Anstrengung, Aufmerksamkeit und Konzentration einhergeht. Auf einem schmalen Grat zwischen Über- und Unterforderung kann der oder die Ausführende im Tun völlig aufgehen und ist für Momente scheinbar der Welte entrückt.5 Csíkszentmihályi geht davon aus, dass der Zustand gezielt herbeiführbar ist. 10


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