musikschule )) DIREKT 054/2015

Page 1

5.2015

Das Hamburger OK-Modell Erfolgsgeschichte MUBIKIN (Ko)Operation gelungen – Lehrkraft tot

musikschule )) DIREKT Zwischen Enthusiasmus und Frust Der tiefgreifende Wandel des Schulsystems und damit des Musikschulsystems schreitet unvermindert fort und schlägt sich in einer anhaltend hohen Nachfrage nach Kooperationen zwischen allgemein bildenden Schulen und Musikschulen nieder, der die Musikschulen oft kaum nachkommen können. Doch obwohl bei den meisten Lehrkräften eine grundsätzliche Begeisterung für Kooperationen durchaus vorhanden ist, ist der Arbeitsalltag vieler Musikpädagoginnen und -pädagogen eher von Frustration geprägt als von Erfolgserlebnissen. Disziplinprobleme mit Schülerinnen und Schülern, Auseinandersetzungen mit Erzieherinnen oder Lehrkräften der allgemein bildenden Schulen, mangelhafte Organisation und andere Probleme gehören zu den Alltagserfahrungen. Dafür ist auch die Bildungspolitik verantwortlich zu machen, die es bisher versäumt hat, die musikalische Bildungslandschaft bewusst neu zu strukturieren und zu gestalten. Berufsbilder verschwimmen oder werden beliebig, Zuständigkeiten und Berufsfelder prallen aufeinander, jeder scheint ungeachtet seiner Ausbildung alles unterrichten zu können, an vielen Schulen herrschen hinsichtlich Organisationsstrukturen chaotische Zustände. Dabei müsste die Bildungspolitik nicht einmal selbst ein Modell zur Neustrukturierung der musikalischen Bildungslandschaft entwickeln, denn bereits 2013 hat Hans Jünger als erster ein Modell musikalischer Bildung geschaffen, das die Potenziale, Ziele und Aufgaben der schulischen und außerschulischen musikalischen Bildungsinstitutionen und Lehrkräfte umfassend beschreibt und Zuständigkeiten bzw. Abgrenzungen von Berufsgruppen klar skizziert. Dieses Modell stellen wir Ihnen in dieser Ausgabe vor. Doch nicht nur auf der bildungspolitischen Ebene gibt es Probleme, sondern auch in der alltäglichen Zusammenarbeit zwischen schulischen und außerschulischen Pädagogen. Ein erheblicher Teil ist dabei mangelhafter Kommunikation geschuldet. Dies stellt für die beteiligten Lehrkräfte eine oft erhebliche Belastung dar und gefährdet den Erfolg von Kooperationen. Was Lehrkräfte tun können, um erfolgreich zu kommunizieren und zusammenzuarbeiten – auch wenn die Rahmenbedingungen nicht immer optimal sind –, zeigt Micaela Grohé in ihrem Beitrag. musikschule )) DIREKT wird sich aufgrund der unverminderten Aktualität auch weiterhin mit dem Thema Kooperation befassen, mit der Absicht, auf diese Weise einen Teil zum Gelingen von Kooperationen beizutragen. Anja Bossen

Stadtklang 2015 Nach einer Forsa-Umfrage wünscht sich jeder zweite Bundesbürger, dass die Geräuschkulisse eines Orts stärker in der Stadtplanung berücksichtigt werden soll. Dabei geht es nicht nur um störende, sondern auch um angenehme Geräusche. Daher ruft das Bundesministerium für Bildung und Forschung die Bevölkerung mit der Aktion Stadtklang 2015 auf, noch bis 10. Oktober schöne oder typische, interessante oder auch störende Geräusche in ihrer Stadt via Smartphone, Tablet oder Aufnahmegerät einzufangen und auf eine digitale Klangkarte zu laden. Der bisherige Favorit der angenehmen Geräusche ist Vogelgezwitscher, doch auch Musik im städtischen Umfeld wird sehr geschätzt. www.stadtklang2015.de

) Sie haben Fragen, Anregungen, Tipps oder Hinweise für die Redaktion? ) Sie möchten sich kritisch äußern zu unseren Themen und Beiträgen oder haben Vorschläge für neue Themen? Schreiben Sie uns: info@musikschule-direkt.de


2

musikschule )) DIREKT 5.2015

Orientierung und Kompetenz

Das Hamburger OK-Modell beschreibt die unterschiedlichen Aufgaben musikalischer Bildung im Allgemeinen und des Schulfachs Musik im Besonderen. Es hilft, die jeweiligen Anforderungen an die Unterrichtenden zu bestimmen und die Arbeitsteilung zwischen Lehrkräften mit unterschiedlicher Ausbildung zu klären.

Schulmusik und Musikschule Für Leo Kestenberg war die Sache noch recht einfach: In seiner programmatischen Schrift Musikerziehung und Musikpflege, mit der er 1921 ein Gesamtkonzept für die musikalische Bildung in Preußen vorlegte, ging er von einer klaren Arbeitsteilung zwischen „Schulmusik“ und „Musikschule“ aus. Kindergärten, Volksschulen und Höhere Lehranstalten sollten Kinder und Jugendliche an die Musik im Allgemeinen heranführen, Privatmusiklehrer, Musikschulen und Konservatorien sollten die Spezialausbildung für Gesang oder Instrumentalspiel übernehmen. Für jede der beiden Aufgaben sollte es entsprechend ausgebildete Lehrkräfte geben: den Studienrat für Musik in der allgemein bildenden Schule, die staatlich geprüfte Instrumental- bzw. Gesangslehrerin in der Musikschule.1 Seit etwa 20 Jahren lässt sich ein Verschwimmen der Zuständigkeiten beobachten, ein stetig zunehmender „grenzüberschreitender Verkehr“, und zwar vor allem in eine Richtung: Immer mehr Musikschullehrkräfte finden ihr Tätigkeitsfeld in der allgemein bildenden Schule. Dabei lassen sich zwei Konstellationen unterscheiden:

Hans Jünger

) In der einen übernehmen Lehrkräfte Aufgaben, auf die sie eigentlich nicht vorbereitet sind: Musikschullehrkräfte werden für den allgemein bildenden Musikunterricht eingesetzt, wo es an Schulmusikern fehlt. So war es z. B. in den 1990er Jahren, als einige Bundesländer die „verlässliche“ Halbtagsgrundschule einführten und schlagartig den gewachsenen Lehrerbedarf in den musischen Fächern abzudecken hatten.2 ) In der anderen Konstellation übernimmt eine Institution Aufgaben, die ihr traditionell nicht zukommen: Die allgemein bildende Schule bietet Instrumental- und Gesangsunterricht an und beschäftigt dafür Musikschullehrkräfte. Verstärkt geschieht dies, seit die Ergebnisse von PISA 2000 eine bundesweite Ganztagsschulkampagne angestoßen haben und der ausgeweitete Nachmittagsunterricht der allgemein bildenden Schule in Konkurrenz zu den bisherigen Unterrichtszeiten der Musikschule getreten ist. Dieses Problem wird häufig dadurch gelöst, dass man das Musikschulangebot unter das Dach der Ganztagsschule holt.3 Die Skepsis der Schulmusikerverbände gegenüber dieser Entwicklung ist groß. Symptomatisch die Kontroverse um die Deutungshoheit über den Begriff Musikunterricht, die 2011 von Äußerungen der damaligen Arbeits- und Sozialministerin Ursula von der Leyen ausgelöst wurde. Als sie davon sprach, das von ihr gestartete „Bildungspaket“4 sorge dafür, dass nun endlich jedes Kind Musikunterricht bekommen könne, war die Empörung bei AfS und VDS groß – nicht etwa, weil zehn Euro im Monat viel zu wenig sind, son-

dern weil die Ministerin Instrumentalunterricht gemeint, aber „Musikunterricht“ gesagt hatte: Dieser Begriff sei dem vorbehalten, was Schulmusiker in der allgemein bildenden Schule veranstalten.5 Solche Empfindlichkeiten sind wohl weniger Ausdruck einer Konkurrenz zwischen den beiden Berufsgruppen Schulmusiker und Musikschullehrer als vielmehr Symptom für eine weit verbreitete Unsicherheit über die Funktionen des Schulfachs Musik. Seit Kestenberg haben sich die Rahmenbedingungen für musikalische Bildungsangebote stark verändert. Dennoch hat es seither keinen Versuch mehr gegeben, die Aufgaben für die verschiedenen Bildungsträger zu beschreiben. Zwar sind seit den 1970er Jahren eine ganze Reihe musikdidaktischer Konzeptionen vorgelegt worden, doch diese sind in aller Regel auf den zweistündigen Pflichtunterricht an der allgemein bildenden Schule fokussiert und blenden alle übrigen musikerzieherischen Aktivitäten weitgehend aus. Erst im vergangenen Jahrzehnt ist aus vielen Diskussionen und Erprobungen im Rahmen der Hamburger Musiklehrerausbildung ein Konzept entstanden, das die musikalische Bildung als Ganzes in den Blick nimmt. Das OK-Modell macht den Versuch, von einem konstruktivistischen Bildungsbegriff ausgehend zu skizzieren, wie Schulen die Lernenden beim musikalischen Bildungsprozess unterstützen können.6 Dieses Modell kann dabei helfen, die Arbeitsteilung zwischen Schulmusik- und Musikschullehrkräften, insbesondere bei der Zusammenarbeit in der allgemein bildenden Schule, näher zu bestimmen.


© Veit Mette

Musikschullehrkräfte in der allgemein bildenden Schule: das Hamburger OK-Modell

Orientierung und Kompetenz Das Modell geht von drei Prämissen aus. Aus ihnen lassen sich Aufgaben ableiten, die sich einem Menschen stellen, der sich musikalisch bilden will. 1. Musik, in welcher Form auch immer, bereichert das Leben. Wer ein gutes Leben führen will, muss sich also eine oder mehrere musikalische Tätigkeiten aneignen und sie ausüben: Er muss in einem Chor singen, in einer Band spielen, ins Konzert gehen, CDs sammeln usw. 2. Zur Ausübung musikalischer Tätigkeiten braucht man Kompetenzen. Wer sich musikalisch betätigen will, muss also die entsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten erwerben. 3. Man kann nicht alle musikalischen Tätigkeiten erlernen und ausüben. Man muss also zwischen den Möglichkeiten wählen. Um aber eine Wahl treffen zu können, muss man diese Möglichkeiten kennen lernen, das heißt die in Frage kommenden Tätigkeiten ausprobieren. Wenn man jemanden dabei unterstützen will, sich musikalisch zu bilden, kann man das auf folgende Arten tun: 1. Man kann ihn mit musikalischen Tätigkeiten bekannt machen. Man kann ihn beispielsweise Instrumente ausprobieren lassen, damit er sich für oder gegen Instrumentalunterricht entscheiden kann, oder man konfrontiert ihn mit außereuropäischer Kunstmusik, um seinen musikalischen Erfahrungshintergrund zu erweitern. 2. Man kann ihn bei der Auswahl musikalischer Tätigkeiten beraten. Wenn man bei ihm z. B. eine gute Stimme, ein gutes

Gehör und Spaß am Singen feststellt, kann man ihm eine Gesangslehrerin vermitteln, und wenn er gerne tanzt, wird man ihm einen entsprechenden Tanzkurs empfehlen. 3. Man kann ihm musikalische Kenntnisse und Fähigkeiten vermitteln, die er bei den von ihm gewählten Tätigkeiten benötigt. Wenn er z. B. Trompeter oder Geiger werden will, kann man ihm das Notenlesen beibringen, und wenn er gerne in die Oper geht, kann man ihn über die Funktion von Leitmotiven informieren. 4. Man kann ihm die Ausübung des Gelernten ermöglichen, indem man ihm Gelegenheit zur Ausübung der selbst gewählten Tätigkeiten gibt. Man kann ihn z. B. in einem Chor mitsingen lassen oder in ein Konzert mitnehmen. Die ersten beiden Möglichkeiten – Bekanntmachen und Beraten – hängen eng mitei-

nander zusammen und lassen sich unter dem Begriff „Orientierung“ zusammenfassen. Entsprechendes gilt für Erwerb und Anwendung von Fähigkeiten: Für diese beiden Aufgaben steht das Schlagwort „Kompetenz“. Die knappste Umschreibung der Funktionen musikalischer Bildungsangebote ist somit die Abkürzung „OK“.

Pflicht und Wahl Der wichtigste Unterschied zwischen den beiden Bildungsaufgaben Orientierung und Kompetenz besteht darin, dass der Kompetenzerwerb eine Wahlentscheidung voraussetzt: Bevor sich jemand ernsthaft darum bemüht, musikalische Fähigkeiten zu erwerben, muss er die entsprechende Tätigkeit ausüben wollen. Selbstverständlich kann man die Aneignung von Wissen und Können auch erzwingen – das geschieht ja

O

K

Orientierung Beratung

Kompetenz Anwendung

Pflichtsituationen

Wahlsituationen

3


4

musikschule )) DIREKT 5.2015

ion Diskuss

Diskutieren Sie mit: info@musikschule-direkt.de

„Bedürftige Kinder sollen in der Freizeit nicht ausgeschlossen sein, sondern bei Sport, Spiel und Kultur mitmachen“, heißt es auf der Website des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zum Bildungspaket. Allerdings stehen dafür gerade einmal zehn Euro monatlich zu Verfügung. Viele Kommunen bieten daher bedürftigen Familien weitere Vergünstigungen: So erhalten etwa Kinder mit der Bonn-Card 50 % Rabatt beim Besuch der städtischen Musikschule, in Stuttgart sind

es mit entsprechendem Ausweis gar 90 %. Jedoch: Bisher werden ausschließlich diejenigen Musikschüler mit kommunalen Mitteln und Landesmitteln unterstützt, die eine der kommunalen Musikschulen besuchen. Wenn Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien dagegen ihre Ausbildung an zertifizierten freien oder privaten Musikschulen absolvieren, sind diese bis auf die geringen Bildungs- und Teilhabegutscheine von weiterer Förderung ausgeschlossen.

tagtäglich in unseren Schulen, wenn Schüler und Schülerinnen nicht aus Interesse, sondern wegen eines Schulabschlusses lernen. In Bezug auf Schreiben, Rechnen und andere lebensnotwendige Fähigkeiten mag das auch legitim sein. Im Bereich der Musik jedoch gibt es keine Rechtfertigung für erzwungenes Lernen, denn in unserer heutigen Gesellschaft kann man von keiner musikalischen Fähigkeit sagen, dass jeder sie braucht. Deswegen sollte nachhaltiges, über bloßes Ausprobieren hinausgehendes Musiklernen grundsätzlich freiwillig stattfinden.7 Orientierung dagegen setzt keine Wahlentscheidung voraus. Ganz im Gegenteil: Orientierung ist die Voraussetzung für eine Wahlentscheidung, wenn diese vernünftig, das heißt überlegt und begründet sein soll. Wer vor der Frage steht, ob er Klavier lernen will, der muss zuvor erfahren, wie ein Klavier aussieht, wie es sich anhört, wie man darauf spielt, wofür man es verwenden kann, was es kostet usw. Denn was man nicht kennt, dafür kann man sich nicht entscheiden. Deshalb ist es auch legitim, Kinder und Jugendliche mit musikalischen Möglichkeiten zu konfrontieren, ohne dass sie danach verlangt haben, z. B. in Situationen wie dem schulischen Musikunterricht, an dem die Schüler vielleicht bereitwillig, aber jedenfalls nicht freiwillig teilnehmen. Orientierung als Pflicht, Kompetenz als Kür – da scheint die traditionelle Arbeitsteilung, wie sie auch Kestenberg seiner Konzeption zugrunde legte, fast eine logische Folge zu sein: Die allgemein bildende Schule (die wegen der Schulpflicht obligatorisch für alle ist) sorgt für das Kennenlernen, die Musikschule (die mehr oder weniger freiwillig besucht wird) für das Könnenlernen. Doch so einfach ist es nicht mehr und war es wohl auch nie.

Das liegt zum einen daran, dass an allgemein bildenden Schulen in den vergangenen vierzig Jahren immer mehr und immer vielfältigere Wahlangebote eingerichtet worden sind. Immer schon gab es, zumindest an den Gymnasien, Chor und Orchester, in denen man auf freiwilliger Basis musikalische Fähigkeiten anwenden und musikalische Tätigkeiten ausüben konnte. Heute werden aber auch alle möglichen anderen Ensembles angeboten: Bigbands und Rock-Bands, Samba- und Flötengruppen, Tanz- und Computer-AGs usw. Dazu kommt immer häufiger, oft in Verbindung mit den jeweiligen Ensembles, Instrumental- und Gesangsunterricht. Auch das gab es vereinzelt schon früher, z. B. wenn ein Schulmusiker einer begabten, aber mittellosen Schülerin Klavierunterricht gab. Heute leisten sich manche Schulen ein umfangreiches Angebot an Gruppenund Einzelunterricht für Blas-, Streich-, Zupf-, Tasten- und Schlaginstrumente, und zwar nicht nur als Schnupperkurs (wie im Projekt JeKi, das z. B. im Ruhrgebiet und in Hamburg Grundschulkinder erste Erfahrungen mit dem Erlernen eines Instruments machen lässt und damit der Orientierung dient), sondern mit dem Anspruch auf ernsthaften und nachhaltigen Kompetenzwerb. Andererseits können auch Musikschulen und Privatmusiklehrkräfte nicht immer davon ausgehen, dass bei ihren Schülerinnen und Schülern eine Wahl stattgefunden hat. In vielen Fällen dürften es die Eltern sein, die für ihr Kind entschieden haben. Das bedeutet, dass auch hier die Aufgabe der Orientierung ansteht, des Bekanntmachens mit den Möglichkeiten, des Ausprobierenlassens, der Beratung als Unterstützung für eine eigenständige Entscheidung. Die Lehrkräfte haben es also sowohl in der allgemein bildenden Schule als auch

in der Musikschule mit sehr unterschiedlichen Unterrichtssituationen zu tun, und sie müssen sich bei ihren didaktischen Entscheidungen immer fragen: Sind meine Schülerinnen und Schüler zur Teilnahme verpflichtet oder nehmen sie freiwillig teil? Und was ist mein Ziel: dass sie etwas kennen oder dass sie etwas können?

Wer die Musik bezahlt, bestimmt die Melodie? Oder: Chancengleichheit für alle?

Lehramt und Diplom Instrumentalunterricht in der allgemein bildenden Schule – das kann man durchaus als Übergriff empfinden, und zwar in beiden Richtungen: ) Aus Sicht der Musikschulen und Privatmusiklehrkräfte ist es ein Einbruch in die eigene Domäne, und für diejenigen, die dort ihren Lebensunterhalt verdienen, stellt die staatliche Konkurrenz möglicherweise ein ökonomisches Problem dar: In der Regel ist der Instrumentalunterricht in der allgemein bildenden Schule kostengünstiger als Privatmusikunterricht, oft sogar kostenlos. ) Aus Sicht der Schulmusiklehrkräfte kann es als Bedrohung empfunden werden, wenn in der allgemein bildenden Schule schlechter bezahlte Musikschullehrkräfte eingesetzt werden, insbesondere dann, wenn sie dort fehlendes Personal ersetzen sollen und mit allgemein bildendem Musikunterricht beauftragt werden: Die Schulträger könnten auf die Idee kommen, dass man Musikunterricht auch billiger haben kann, als wenn man teure Schulmusiklehrkräfte beschäftigt. Aus Sicht der Nutzer musikalischer Bildungsangebote steht allerdings eine andere Frage im Vordergrund: Wer erteilt welchen Unterricht und wie qualifiziert ist er für diese Aufgabe? Schon für Kestenberg war es ein vorrangiges Anliegen, dass die Lehrkräfte an ihrem


5

Der Bundesverband Deutscher Privatmusikschulen (bdpm) veröffentlichte im Frühjahr ein Rechtsgutachten von Josef Ruthig (Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europarecht und Rechtsvergleichung an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz), das der Landesverband Rheinland-Pfalz des bdpm in Auftrag gegeben hatte. Das Gutachten beschäftigt sich mit der Frage, ob die aktuelle Regelung der Förderung von Kindern und Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien rechtlich haltbar ist.

Die Förderpraxis in Rheinland-Pfalz gleicht der in anderen Bundesländern. Aus diesem Grund sind die Ergebnisse des Gutachtens bundesweit von Bedeutung. Die Kernergebnisse des Gutachtens: ) Die derzeitige Ausgestaltung der Musikschulförderung ist verfassungsrechtlich problematisch. Sie ist gleichheitswidrig, intransparent und erzeugt keine Teilhabegerechtigkeit. ) Durch die derzeitige Förderpraxis wird im tatsächlichen Ergebnis der Zweck, sozial

Benachteiligte, besonders Begabte oder Schüler mit Einschränkungen zu fördern, nicht erreicht. ) Einer großen Zahl von Musikschülern wird durch die beschriebenen landespolitischen Regelungen der Zugang zu staatlicher Förderung verwehrt. ) Es bestehen erhebliche und begründete Zweifel daran, dass die derzeitige Förderpraxis einer europarechtlichen Überprüfung standhalten würde.

jeweiligen Platz hinreichend für ihre Aufgaben ausgebildet waren.8 Er initiierte die Einrichtung von Ausbildungsstätten, die Entwicklung von Studiengängen und den Erlass von Prüfungsordnungen für Schulmusik und Musikpädagogik. Damit hat er wesentlich dazu beigetragen, dass es heute gut qualifizierte Lehrkräfte für alle Bereiche der musikalischen Bildung gibt. Jetzt muss nur noch dafür gesorgt werden, dass diese Lehrkräfte auch an den richtigen Stellen eingesetzt werden. Die Zuordnung der Schulmusiker zur allgemein bildenden Schule, der Diplommusikerzieher zur Musikschule entspricht heute nicht mehr der tatsächlichen Arbeitsteilung zwischen den Institutionen. Kriterium für die Auswahl der Lehrkraft muss die konkrete Aufgabe des jeweiligen Bildungsangebots sein.

zudifferenzieren, muss die Lehrkraft darüber hinaus auch alternative Möglichkeiten von Musik kennen und zeigen können, z. B. nicht-abendländische und außereuropäische Volks-, Kunst- und Popmusik. Orientierung findet meist im Pflichtunterricht statt, an dem die Schülerinnen und Schüler nicht freiwillig teilnehmen. Da es sich dabei in der Regel um Klassenunterricht handelt, die Lehrkraft es also mit großen Lerngruppen zu tun hat, muss sie die Methoden des Classroom Management beherrschen. Wenn es um Orientierung als Erfahrungshintergrund geht, werden die Schülerinnen und Schüler oft mit „unpopulärer“ Musik konfrontiert, das heißt mit Musik, der sie kein spontanes Interesse entgegenbringen. Deshalb muss die Lehrkraft wissen, wie man Kinder und Jugendliche zur Auseinandersetzung mit Unbekanntem und Fremdartigem motiviert. Zweifellos wird man auf diese Aufgaben am gezieltesten durch ein Schulmusikstudium vorbereitet. In manchen „O-Situationen“ der ersten Art (Orientierung als Entscheidungshilfe) kann es allerdings auch hilfreich sein, Spezialist für eine bestimmte musikalische Praxis zu sein. Das trifft z. B. für das sogenannte Instrumentenkarussell zu, eine Veranstaltungsform, die sowohl an allgemein bildenden wie an Musikschulen bekannt ist: Alle Schülerinnen und Schüler dürfen nacheinander verschiedene Musikinstrumente ausprobieren und werden in Bezug auf ihre Vor- und Nachteile beraten. Hier sollte im Idealfall jedes Instrument von einer entsprechenden Instrumentallehrkraft vorgestellt werden. Ähnlich liegt der Fall bei dem Hamburger Projekt „Jedem Kind ein Instrument“: In der 2. Klasse lernen die Grundschulkinder verschiedene Instrumente kennen, um sich am Schuljahresende für eines

entscheiden zu können. Dieser Unterricht wird zwar von einer Schulmusiklehrkraft organisiert, für die nötigen Fachkenntnisse sind aber die unterschiedlichen Instrumentallehrkräfte zuständig, die übers Jahr verteilt in die Klasse kommen.

Aufgabe: Orientierung Unterrichtssituationen, in denen es vorrangig um Orientierung geht, erfordern eine Lehrkraft, die sich einen breiten Überblick über musikalische Möglichkeiten verschafft hat. Dabei ist zwischen zwei Funktionen von Orientierung zu unterscheiden: ) Orientierung als Entscheidungshilfe: Wenn es darum geht, Schülerinnen und Schülern bei der Entscheidung für oder gegen die Aneignung musikalischer Tätigkeiten zu helfen, muss die Lehrkraft mit den in unserer Gesellschaft in Frage kommenden musikalischen Praxen hinreichend vertraut sein und auch die Methoden beherrschen, die man braucht, um Schülerinnen und Schüler mit diesen Praxen bekannt zu machen. ) Orientierung als Erfahrungshintergrund: Wenn es darum geht, den musikalischen Horizont der Schülerinnen und Schüler zu erweitern und ihr „Bild von Musik“9 aus-

Aufgabe: Kompetenz Unterrichtssituationen, in denen es vorrangig um nachhaltigen Kompetenzerwerb geht, erfordern nicht so sehr den breiten Überblick (wie es in „O-Situationen“ der Fall ist), sondern vor allem vertiefte Kenntnisse und Fähigkeiten, und zwar auf zwei Ebenen: ) Einerseits muss die Lehrkraft die jeweilige Tätigkeit beherrschen, etwa ein bestimmtes Instrument gut spielen können. ) Andererseits muss sie das methodische Know-how besitzen, um Schülerinnen und Schülern beim zielgerichteten Aufbau der entsprechenden Fähigkeiten helfen zu können. Kompetenzerwerb für selbst gewählte Tätigkeiten findet in unterschiedlichen Sozialformen statt, im Einzel- oder Gruppenunterricht wie z. B. Instrumentalunterricht, aber auch in großen Lerngruppen wie z. B. Chor oder Tanzkurs. Jede dieser Unterrichtsformen verlangt von der Lehrkraft spezifische methodische Fähigkeiten. Das gilt vor allem auch in Bezug auf die Lernmotivation. Zwar sollte im Fach Musik ein Kompetenzerwerb, der über Ausprobieren und Schnupperkurs hinausgeht, grundsätzlich freiwillig stattfinden.10 Doch auch dann, wenn man von einem prinzipiellen Einverständnis der Schülerinnen und Schüler mit den Lerninhalten ausgehen kann, muss die Lehrkraft motivieren können. Allerdings geht es nicht, wie bei Orientierung als Erfahrungshintergrund, darum, Vorbehalte gegenüber dem Frem-


6

musikschule )) DIREKT 5.2015

www.ok-modell-musik.de Auf diesen Seiten diskutiert Hans Jünger mit KollegInnen und Studierenden, wie guter Unterricht aussehen sollte. Wer sich an dieser Diskussion beteiligen möchte, kann ihm eine e-mail schreiben. Außerdem findet man dort die wichtigsten Aussagen des OK-Modells, Antworten auf häufig gestellte Fragen, Anleitungen zum Planen von tätigkeitsorientiertem Unterricht, Ideen und Materialien für einen tätigkeitsorientierten Unterricht sowie ausführlichere Darstellungen einzelner Aspekte zum Download.

den abzubauen, sondern – fast im Gegenteil – um Ausdauer bei der Beschäftigung mit dem Bekannten. Zum Kompetenzerwerb gehört nämlich auch Üben und Trainieren – Handlungen, die nicht immer als Vergnügen empfunden werden. Hier braucht die Lehrkraft ein Methodenrepertoire, um mit Abwechslung und Humor Langeweile und Überdruss vermeiden zu können. Gleich ob Musikschule oder allgemein bildende Schule: für qualifizierten Instrumental-, Gesangs- und Tanzunterricht benötigt man Musikschullehrkräfte. Sie sind Experten auf ihrem jeweiligen Gebiet. Bei der Leitung von Chören, Orchestern, Bands kommen sowohl Musikschullehrkräfte als auch Schulmusiker in Frage, sofern sie sich auf Ensembleleitung spezialisiert haben.

Musikschullehrkräfte und allgemein bildende Schule Was können Musikschullehrkräfte zum Musikunterricht der allgemein bildenden Schule beitragen? Diese Frage kann nun vor dem Hintergrund des Hamburger OK-Modells folgendermaßen beantwortet werden: ) Im Wahlbereich (das heißt auf freiwilliger Basis) werden Instrumentalspiel, Gesang und Tanz als Einzel- und als Gruppenunterricht angeboten. Dieser Unterricht wird von entsprechend qualifizierten Musikschullehrkräften erteilt. ) Im Wahlbereich werden außerdem Chor, Orchester, Band und Tanzensemble angeboten. Diese Ensembles werden von entsprechend qualifizierten Musikschul- oder Schulmusiklehrkräften geleitet. ) Im Pflichtunterricht werden die Schülerinnen und Schüler unter anderem mit verschiedenen Instrumenten bekannt ge-

macht, die sie erlernen können. Hierbei arbeiten Musikschullehrkräfte (als Spezialisten für das jeweilige Instrument) und Schulmusiklehrkräfte (als Spezialisten für Classroom Management) im Tandem zusammen. Auf die übrigen Aufgaben des Schulfachs Musik sind Musikschullehrkräfte nicht vorbereitet: Wenn Schulklassen mit nordafrikanischer Popmusik oder mit den Funktionen der Filmmusik bekannt gemacht werden sollen, braucht man Schulmusiklehrkräfte. Auch die Bewertung von Schülerleistungen oder die Erarbeitung von Curricula erfordert eine entsprechende Ausbildung. Musikschullehrkräfte sollten es ablehnen, mit Aufgaben betraut zu werden, für die sie nicht qualifiziert sind. Das ist leichter gesagt als getan. Schulen sind leider nicht selten in der Situation, dass sie abwägen müssen, was schlechter ist: den Musikunterricht ausfallen zu lassen oder eine nicht dafür qualifizierte Lehrkraft damit zu beauftragen. Außerdem gibt es erfahrungsgemäß immer wieder „Naturtalente“, die eine Schulklasse angemessen auf einen Opernbesuch vorbereiten können, auch wenn sie „nur“ Instrumentalunterricht gelernt haben; es gibt ja auch gelegentlich Schulmusiker, die akzeptablen Trompetenunterricht erteilen, ohne ein Studium der Instrumentalpädagogik absolviert zu haben. Doch Notfallsituationen und Ausnahmetalente eignen sich nicht als Leitlinie. Grundsätzlich sollte man, gerade im Bildungsbereich, verlangen, dass die dort Tätigen für ihre Tätigkeit hinreichend ausgebildet sind. Wird diese Forderung erfüllt, besteht kein Grund zur Eifersucht zwischen Schulmusikern und Musikschullehrkräften, und einer guten Zusammenarbeit zum Wohl von Kindern und Jugendlichen steht nichts im Wege. ))

Dr. Hans Jünger hat 20 Jahre lang an einer Hamburger Gesamtschule Musik unterrichtet, dann 15 Jahre lang an der Hamburger Universität Musiklehrer und -lehrerinnen ausgebildet.

1

vgl. Leo Kestenberg: Musikerziehung und Musikpflege, Leipzig 1921, S. 30 ff., 53 ff. 2 Jüngstes Beispiel für diese Entwicklung ist ein Konzept des brandenburgischen Bildungsministeriums, das die allgemein bildenden Schulen ermutigt, Musikschullehrer als Ersatz für fehlende Schulmusiker zu beschäftigen: Land Brandenburg. Ministerium für Bildung, Jugend und Sport: Lehrkräfte an Musik- und Kunstschulen: Chancen für Unterricht an Brandenburgs öffentlichen Schulen, Presseinformation vom 18.12.2014, www.mbjs.brandenburg.de//sixcms/detail.php/ bb1.c.385325.de (Stand: 24.8.2015). 3 Der Deutsche Musikrat hat 2004 ein Positionspapier zu „Musik in der Ganztagsschule“ verabschiedet, in dem die Kooperation von allgemein bildender Schule und Musikschule propagiert wird: Deutscher Musikrat: Musik in der Ganztagsschule. Positionspapier, 2004, www.musikrat.de/ musikpolitik/tagungen-kongresse/musik-in-derganztagsschule.html (Stand: 24.8.2015). 4 Gemeint ist das Gesetz zum Bildungs- und Teilhabepaket von 2011, das für hilfebedürftige Kinder und Jugendliche unter anderem einen Zuschuss von monatlich zehn Euro für die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben vorsieht: Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Bildungspaket, 2011, www.bildungspaket.bmas.de (Stand: 24.8.2015). 5 „Der Begriff ,Musikunterricht’ ist verbandlich und bildungspolitisch ganz eindeutig definiert. […] (Er meint) ausschließlich den allgemein bildenden Unterricht an den verschiedenen Schulformen, zu dessen Erteilung man sich mit einem Lehramtsstudium qualifiziert.“ Jürgen Terhag/Ortwin Nimczik: „Bildung – Musik – Kultur: Zukunft gemeinsam gestalten. 1. Bundeskongress Musikunterricht 2012“, in: AfS aktuell 33/2012, S. 33. 6 vgl. Hans Jünger: Das OK-Modell. Tätigkeitsorientierte Musikpädagogik, 2014, www.ok-modellmusik.de (Stand: 24.8.2015). 7 Hier muss zumindest erwähnt werden, dass es eine Ausnahme von dieser Regel gibt: Beim Erwerb der sogenannten „Zeitfensterkompetenzen“ ist Freiwilligkeit nachrangig, denn diese Fähigkeiten können ab einem bestimmten Alter kaum noch erlernt werden. Das betrifft den Gebrauch der Stimme und das musikalische Gehör sowie den Gebrauch des Bewegungsapparats und das „Rhythmusgefühl“. Daher ist es in Kindergarten, Grundschule und Beobachtungsstufe legitim, die Kinder notfalls mit extrinsischen Mitteln zum Singen und Tanzen zu motivieren. 8 vgl. Kestenberg, S. 82 ff. 9 Eine Formulierung von Hermann J. Kaiser: „Von ‚musikalischer Bildung‘ zum ‚Bild von Musik‘“, in: Musikforum 3/2004, S. 10 -15. 10 Ausnahme: „Zeitfensterkompetenzen“ (Anm. 7).


7

Erfolgsgeschichte

Mark Derbacher

Das Programm MUBIKIN vereint vorbildlich InstrumentalpädagogInnen und Fachkräfte in Kita und Grundschule Das Programm MUBIKIN – Musikalische Bildung für Kinder und Jugendliche in Nürnberg, gegründet zu Beginn des Schuljahrs 2011/12, ermöglicht in acht Schulbezirken mit 36 Kindergärten rund 2 500 Kindern vom vorletzten Kindergartenjahr bis zum Ende der 2. Klasse eine professionelle musikalische Bildung. Wesentliche Elemente sind neben der Ausstattung von Kindergärten und Schulen mit Musikinstrumenten die spezifische Weiterbildung der pädagogischen Fachkräfte und der Unterricht durch MusikpädagogInnen von der Musikschule Nürnberg, der im Tandem mit den Fachkräften bzw. Lehrkräften in den Einrichtungen abgehalten wird. In diesem Schuljahr wird es an den beteiligten Schulen erstmals auch Anschlussangebote für rund 700 Kinder der 3. und 4. Klassenstufe geben. Damit steigt auch der Bedarf an qualifizierten MusikpädagogInnen. Wir sprachen mit Ines HollandMoritz, einer Mitarbeiterin der ersten Stunde.

Was hat Sie bewogen, bei MUBIKIN mitzumachen?

Ich hatte gerade in Nürnberg begonnen, ein Aufbaustudium für vokales und instrumentales Musizieren in großen Gruppen und für elementare Musikpädagogik aufzunehmen, als ich einen Aufruf der hiesigen Musikschule las, die dringend Musikpädagogen für ein neues Projekt suchte, in dessen Rahmen Unterricht in Schulen und Kindergärten gegeben werden sollte. Ohne zu wissen, was da im Detail auf mich zukommt, fand ich das eine hervorragende Ergänzung zu meinem Aufbaustudium. Und nach vier Jahren Tätigkeit für MUBIKIN kann ich sagen, dass sich das Studium und die praktische Arbeit in der Tat gegenseitig befruchten.

Was geht der Anstellung an der Musikschule voraus?

Das geht ganz klassisch vor sich mit Bewerbung, Vorunterrichten, einem anschließenden Gespräch und dem Warten auf einen hoffentlich positiven Bescheid. Der große Unterschied im Vergleich zu anderen Initiativen und Projekten besteht darin, dass man wirklich den Vertrag in der Hand hat, bevor man das erste Mal in eine Einrichtung geht. Und man wird gemäß TVöD bezahlt, während man sonst oft nur einen Vertrag auf Honorarbasis bekommt. Das bedeutet einerseits eine bessere soziale Absicherung, andererseits habe ich das auch als eine Form von Anerkennung für unsere Arbeit empfunden.

die Unterrichtseinheiten kein starrer Lehrplan vorgesehen, wir können uns also im Rahmen des Konzepts frei bewegen und auch mal Dinge ausprobieren. Und wir können den Unterricht im Tandem mit einer Erzieherin bzw. Lehrkraft der Einrichtung abhalten, was uns zusätzliche Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Wie beurteilen Sie die Effektivität des Programms?

Aus meiner Sicht ist MUBIKIN mit seiner Verankerung im regulären Unterrichtsgeschehen sehr realistisch und fundiert aufgezogen. Auch die schrittweise Erweiterung spricht dafür, dass es sich hier nicht um ein Strohfeuer, sondern um ein langfristig angelegtes Programm handelt.

Wurden Sie beim Einstieg begleitet?

Das Besondere an MUBIKIN für uns Musikpädagogen ist ja, dass wir zwar bei der Musikschule angestellt sind, aber den Unterricht immer in Kindergarten oder Schule im Rahmen des regulären Betriebs bzw. Unterrichts halten. Da ist es schon gut, wenn man wie hier üblich von einer Betreuerin der Musikschule zum Kennenlernen in die Einrichtung begleitet wird. In der Regel werden bei diesem ersten Treffen auch die Räumlichkeiten besichtigt. Wenn eine Einrichtung neu im Programm mitmacht, muss zum Beispiel die Lagerung der Musikinstrumente geklärt werden. Wie sieht der Unterrichtsalltag in der Einrichtung aus?

Zu Beginn ist es eine verkehrte Welt. Da wir zu den Kindern kommen und nicht umgekehrt wie sonst in der Musikschule, sind die Kinder diejenigen, die uns zeigen, wo es in der Einrichtung langgeht. Und man muss sich mit den Gegebenheiten zurechtfinden, die räumlich natürlich nicht immer optimal sind. Andererseits ist für

Würden Sie diese Arbeitsmöglichkeit weiterempfehlen?

Unbedingt, jedenfalls allen, die gerne Kindern in der Gruppe Musik vermitteln. Die Musikschule und auch die Einrichtungen nehmen einem viele organisatorische Dinge ab und gehen auf Wünsche zur zeitlichen Gestaltung ein, sodass man sich effizient aufs Wesentliche konzentrieren kann. Man ist nach TVöD angestellt und besser abgesichert als in vielen anderen Projekten. In Jahresgesprächen mit der Einrichtung, an denen auch die stellvertretende Leitung der Musikschule teilnimmt, kann man sich über Verbesserungsmöglichkeiten konstruktiv austauschen. Aber das Wichtigste ist, dass man bei den Kindern tatsächlich etwas Positives bewirken kann. )) www.mubikin.de

Dr. Mark Derbacher arbeitet für die Stiftung Persönlichkeit, Mitbegründerin und Treiberin von MUBIKIN.


8

musikschule )) DIREKT 5.2015

(Ko)Operation gelungen – Lehrkraft tot Micaëla Grohé

Zu Risiken und Nebenwirkungen von Kooperationen zwischen Schulen und außerschulischen Partnern Idealfall In vielen Rahmenlehrplänen steht die Empfehlung, mit außerschulischen Partnern zu kooperieren. Die Möglichkeiten sind zahlreich und die Lust bei engagierten (Musik-) Lehrerinnen ist groß. Wenn alles gut läuft, hält sich der Organisationsaufwand in Grenzen, weil sich die Protagonistinnen bereits kennen: Frau B trifft Frau A bei einer Veranstaltung, man kommt ins Gespräch, freut sich über die gleiche Wellenlänge, Brainstorming, Projektidee, Terminsondierung, einige Mails, Antrag bei der Schulleitung, Information der Fachkolleginnen (Unterrichtsausfall), der Schüler („Das wird ganz toll!“) und der Eltern („Wir bieten Ihren Kindern etwas Besonderes“). Wenn alles gut läuft, hat die Musiklehrerin bis dahin etwa zehn Stunden „unsichtbare“ Arbeit investiert und freut sich auf die Zusammenarbeit. Frau A arbeitet kompetent und erfolgreich mit der Klasse von Frau B, beide tauschen sich zwischendurch über den Arbeitsprozess aus, unterstützen sich. Die öffentliche Aufführung ist für alle ermutigend und eine große Bereicherung. Frau A und Frau B haben voneinander gelernt und die Kinder haben davon profitiert.

Worst Case Wenn alles schlecht läuft, sind die bürokratischen Hürden dazu angetan, dass Frau B vor der Detailplanung alles hinzuschmeißen droht, weil das unlustbetonte Ausfüllen komplizierter Formulare für unbekannte Sachbearbeiter frustrierend ist und die Überzeugungsgespräche mit der Schulleitung an deren Desinteresse scheitern. Wenn Frau B sich vorgenommen hat, sich über diese Schwierigkeiten hinwegzusetzen, weil man eben mit so etwas rechnen

muss, nimmt sie Kontakt zum Kooperationspartner auf – sagen wir: einem Orchester. Sie bittet um den Besuch eines Profi-Musikers (in dieser Bezeichnung liegt schon ein Teil des Problems), der der Klasse etwas über sein Instrument, seinen Werdegang und seinen Berufsalltag erzählen soll. Ihr wird Herr C vermittelt, mit dem sie nach vielem Hin und Her einen Termin vereinbart. (Dass Frau B an der zeitlichen Einteilung des Schulvormittags nichts ändern kann, war nicht so leicht zu vermitteln.) Herr C kommt zum vereinbarten Termin in die Schule, verirrt sich auf dem Weg zum Musikraum, macht eine säuerliche Bemerkung über den Lärm im Schulhaus, packt sein Horn aus und beginnt seinen Vortrag. Nach wenigen Sätzen wird Frau B klar, dass die Ausdrucksweise von Herrn C für ihre Schüler schwer verständlich ist. Es wäre unhöflich, ihren Kooperationspartner zu unterbrechen, um ihm zu sagen, er solle anders sprechen. Deshalb passt sie gut auf, damit sie der Klasse den Vortrag später in altersgerechter Form wiederholen kann. Nach einer Viertelstunde werden die Kinder unruhig. Frau B versucht mit Blicken und einigen Pschts die Disziplin aufrechtzuerhalten. Endlich greift Herr C zum Instrument! Er spielt den dritten Satz aus Hindemiths Hornsonate. Je länger er spielt, desto unruhiger wird die Klasse, weil die Schüler nichts mit dem Stück anfangen können. Herr C bemerkt anscheinend nichts, er findet, dass die Schüler froh sein können, dass sie mal hochkarätige Musik und einen richtigen Musiker hören, statt sich wie sonst mit einer Art Verschnitt zufrieden geben zu müssen. Einen grenzwertigen Scherz über Lehrer versucht Frau B zu überhören, aber er wird noch tagelang in ihr rumoren. Für die Fragen der Schüler,

die erleichtert aufatmen, weil sie sich wieder beteiligen dürfen, bleibt leider wenig Zeit. An welchen Stellen Frau B solche Schwierigkeiten beim nächsten Anlauf vermeiden könnte, liegt auf der Hand: Sie kann im Vorfeld mit Herrn C über die Stücke sprechen, die er vorspielt, und diese im Unterricht vorbereiten. Sie kann auch versuchen, Herrn C auf das Alter, die Bedürfnisse und Interessen ihrer Schüler einzustimmen. Was ihr kaum gelingen dürfte: die Vorbehalte von Herrn C gegenüber Lehrerinnen im Allgemeinen und Schulmusikern im Besonderen aus dem Weg zu räumen.

Langfristige Kooperationen Die häufigste Kooperation, meist über längere Zeiträume, ist die Kooperation zwischen (Grund-)Schule und Musikschule. Da diese oft von übergeordneten Stellen angebahnt werden, die hoffen, dass sich der Rest schon ergeben wird, entstehen manche Schwierigkeiten, die gutwilligen und kompetenten Lehrkräften die Arbeit erschweren (siehe Tabelle). Was kann man tun, um diese Schwierigkeiten zu vermeiden? Zunächst liegt die Verantwortung bei den Schulleitungen, aber da diese nicht die Folgen ihrer mehr oder weniger verbindlichen Vereinbarungen ausbaden müssen, sind die Musikschullehrkräfte gut beraten, wenn sie ihr Schicksal an der Schule selbst in die Hand nehmen. In manchen Bundesländern werden langfristige Kooperationen durch offiziell eingesetzte Koordinatoren begleitet, die für beide Seiten Ansprechpartner sind. Wenn diese ihre Arbeit gut machen, gibt es zu Beginn ein Treffen, bei dem sich beide Seiten kennen lernen, sich über die Voraussetzungen und ihre Vorstellungen


9

Schwierigkeiten seitens der Schule

Schwierigkeiten seitens der Musikschule

Die Schule bewirbt den Instrumentalunterricht zu einem ungünstigen Zeitpunkt oder in ungeeigneter Form, sodass sich zu wenige Interessenten melden.

Die Musikschulleitung bekundet Interesse, aber die Werbung im Kollegium ist unzureichend, sodass sich kaum Kolleginnen bereiterklären, Unterricht an der Schule anzubieten.

Musiklehrerinnen überschätzen die finanziellen Möglichkeiten der Eltern.

© Veit Mette

Die Musikschullehrkraft wird als Manövriermasse und damit als (untergeordneter) Dienstleister angesehen.

austauschen und Vereinbarungen treffen. Dies ist vor allem deshalb so wichtig, weil später unter Umständen die Akteure zu ganz verschiedenen Zeiten in der Schule arbeiten und kaum noch Zeit und Gelegenheit ist, sich zu verständigen. Wenn ein erstes Treffen nicht zustande kommt, empfehle ich, wenigstens einen telefonischen Kontakt herzustellen. Diese Telefonnummer kann auch später sehr nützlich sein, wenn es um Verhaltensauffälligkeiten einzelner Schüler oder Fragen der Raumausstattung geht. Anders als an der Musikschule hat Musik als künstlerisches Fach an der Schule meist einen sehr niedrigen Status: schön, aber im Zweifelsfall verzichtbar. Schule ist ein hierarchisch strukturiertes System, in dem viele gewöhnt sind, sich mit Mängeln zu arrangieren, und jeder sehen muss, wie er zurechtkommt. Die daraus resultierenden Brüskierungen sollte man nicht persönlich nehmen, sondern z. B. antworten: „Ah, Sie machen das hier so! Das war mir nicht klar. Vielen Dank für den Hinweis.“*

Die Musiklehrerinnen begegnen der Musikschullehrkraft mit Misstrauen, betrachten sie als eine bedrohlichen Konkurrenz. Die Klassenlehrerin greift ohne vorherige Absprache wiederholt in den Unterricht ein, um „für Ordnung zu sorgen“. Damit irritiert sie die Kooperationspartnerin und schwächt ihr Ansehen bei den Schülern. Niemand macht sich die Mühe, der Musikschullehrkraft die nötigen Schlüssel zu geben. Der Hausmeister ist nicht informiert und sorgt dafür, dass schulfremde Personen das Haus verlassen. Auf die räumlichen Bedürfnisse, die notwendigen Instrumente etc. wird keine Rücksicht genommen (Raumänderung, Auslagerung der Instrumente). Niemand informiert die Musikschullehrerin über Änderungen in der Zusammensetzung der Gruppe. Niemand informiert die Musikschullehrerin über Stundenplanänderungen, Wandertage etc. Es fehlen Ansprechpartner, vor allem nachmittags, wenn das Sekretariat nicht mehr besetzt und die Schulleitung schon gegangen ist.

Präventive Maßnahmen Die zu Beginn getroffenen Vereinbarungen sollten schriftlich fixiert werden: Raumvergabe, Raumausstattung, Zeiten (auch: Öffnungszeiten der Schule), Gruppengröße und -zusammensetzung, Terminplan der Schule, Information über kurzfristige Änderungen, Schlüssel, Telefonnummern oder E-Mail-Adressen, Name und Telefonnummer des Hausmeisters, der Klassenleiterin oder der Musiklehrerin. An manchen Schulen ist die Sekretärin diejenige mit der größten Entscheidungsbefugnis. Wenn alles nichts nützt, kann man sich meist an die Reinigungskräfte wenden: Sie haben alle Schlüssel. Manche Menschen kann man gewinnen, wenn man sie zu einem

Konzert einlädt, andere durch Smalltalk. Am wirkungsvollsten ist eine möglichst authentische Mischung aus Selbstbewusstsein und freundlicher Beharrlichkeit. Konjunktive sind kontraproduktiv! Schulmusikerinnen können im Vorgespräch versuchen, etwas über die Gruppenleitungskompetenzen ihres Kooperationspartners zu erfahren. In jedem Fall ist es gut, wenigstens zu Beginn eine Hospitation anzubieten oder etwas über die Schüler zu erzählen, die in der Gruppe oder Schule üblichen Regeln zu erläutern, Räume und

Die ausgehandelten Konditionen für Verträge mit Eltern der kooperierenden Schule sind dem Sekretariat unbekannt. Eine Lehrkraft wird abgeordnet, die zu wenige Schüler hat. Der Lehrkraft gelingt es nicht, sich auf schwierige Gruppen einzustellen. Die Musikschullehrerin fühlt sich als Künstlerin, begegnet der Musiklehrerin mit Überheblichkeit und weiß die pädagogische Erfahrung der Klassenlehrerin nicht zu schätzen. Die Musikschullehrerin merkt zwar, dass sie mit dem Gruppenunterricht oder mit einzelnen Schülern überfordert ist, holt sich aber keine Hilfe. Die Musikschulleitung informiert ihre Kolleginnen unzureichend über die Bedingungen, sodass diese unsicher auftreten, Fehler machen und mangelhaft vorbereitet sind. Die Vereinbarungen zwischen den Kooperationspartnern sind ungenau und die Einhaltung wird nicht kontrolliert. Die Musikschulleitung wiegelt bei Konflikten ab; es fehlt die Bereitschaft zu vermitteln oder zu unterstützen. Der Informationsfluss zwischen Leitung, Sekretariat, Fachbereich und kooperierender Lehrkraft ist schleppend. Es fehlen Ansprechpartner, die sich für die Durchführung der Kooperation zuständig fühlen bzw. offiziell diese Funktion haben.

Materialien zu zeigen und eventuell ein Fach zur Verfügung zu stellen, wo die Musikschullehrkraft ihre Materialien deponieren kann. ))

* weitere Tipps in: Micaëla Grohé: Der Musiklehrer-Coach, Esslingen 2010.

Micaëla Grohé ist Musik- und Deutschlehrerin an einem Berliner Gymnasium, Referentin in der Lehrerfortbildung und Autorin musikpädagogischer Fachbücher.


10

musikschule )) DIREKT 5.2015

Was man so hört …

)) „Was sich nicht gehört“: Unter dieser Überschrift habe ich Sie, liebe Leserinnen und Leser, in der April-Ausgabe nach Ihrer Einstellung zu Tabus und No-Gos im Instrumentalpädagogikberuf befragt.1 Meine Absicht war es, zu den Phänomenen unseres Berufs, über die häufig nur ungern oder gar nicht gesprochen wird, einen leichteren Zugang zu finden, sodass darüber ein offener und ehrlicher Austausch in unserer Berufsgemeinschaft möglich wird. Ich habe dafür die Form eines Preisausschreibens gewählt: Konkret galt es, zu 14 Fragen zu verschiedenen Tabus und NoGos aus jeweils drei vorgegebenen Antwortmöglichkeiten diejenigen auszuwählen, die nach Lesermeinung am besten beschreiben, wie man sich als „guter Instrumentalpädagoge“ verhält. Bei den Formulierungen war eine Gratwanderung zwischen Ernsthaftigkeit und ironischer Provokation durchaus gewollt und auch gar nicht zu vermeiden: Nicht nur, dass man geteilter Meinung darüber sein kann, ob es sich überhaupt gehört, so ernste Themen wie Alkoholabhängigkeit, sexuelle Übergriffe oder Diebstahl von Musikschuleigentum in der Form eines simplifizierenden Preisausschreibens zu behandeln. Auch einige der Antwortmöglichkeiten konnten zunächst absurd erscheinen und zum Teil sogar ein Schmunzeln hervorrufen, etwa wenn ein Lehrer seinen intensiven Knoblauchgeruch nach dem Mittagessen mit einem „nicht zu teuren Parfüm überdeckt“, ein Kollege eine kurzfristige Freistunde „sinnvoll“ für seine Urlaubsrecherche im Lehrercomputer nutzt oder eine Lehrerin einen vereinbar-

ten kollegialen Hospitationstermin mit einer vorgetäuschten Krankheit kurzfristig absagt. Allerdings, und das macht gleichzeitig betroffen an diesen Beschreibungen, sind diese Verhaltensweisen in unserem Beruf nach meinen Erfahrungen und nach Erzählungen im Kollegenkreis tatsächlich anzutreffen. Dass das Thema und die Form der Aufbereitung den Nerv der Leserinnen und Leser von musikschule )) DIREKT getroffen haben, zeigen die außergewöhnlich zahlreichen und interessanten Reaktionen. Autor und Redaktion freuen sich sehr darüber und bedanken sich bei allen Teilnehmern, die sich die Zeit zum Nachdenken genommen und von ihren Erfahrungen zum Thema wie auch darüber hinaus zu anderen Aspekten des Berufs berichtet haben. Nachfolgend eine kleine Auslese aus den Zuschriften.

Tabu-Kategorien und „dumme Antworten“ Die im Artikel beschriebenen Beispiele sind noch steigerungsfähig. Dies ist die Quintessenz einer Zuschrift. Ungeschminkt beschreibt eine Leserin ihre Erfahrungen: ) „Gender“: verbale und körperliche Übergriffe von erwachsenen Schülern auf die Lehrerin; ) „Olfaktorisches“: erstaunlich, auf welch vielfältige Weise sich Lehrerin und Schüler gegenseitig im Geruchssinn belästigen können!; ) „Kollegiales“: wenn man unter dem NichtEngagement von Kollegen leidet, weil es untereinander unausgesprochen bleibt.

Bernd Dahlhaus

Eine andere Leserin berichtet von ihrer Erfahrung, dass sie „dumme Antworten bekommen“ habe, als sie eine Suchtkrankheit eines Kollegen im Team angesprochen hatte, dass sie diese Erfahrung aber nicht davon abhalten werde, auch in Zukunft solche Dinge anzusprechen. In beiden Zuschriften wird deutlich, dass es persönliche Souveränität und Mut braucht, um Tabus und No-Gos auf eine für alle Beteiligten annehmbare Art anzugehen. Hilfreich dabei ist unter anderem, die eigene positive Absicht auch aus der Perspektive der anderen Beteiligten zu überprüfen sowie grundsätzlich die (versteckten) Bedürfnisse und Absichten aller Beteiligten von deren wahrnehmbarem Verhalten zu unterscheiden.

Online-Kommunikation als zweitbeste Lösung Losgelöst vom Tabu- und No-Go-Thema spricht eine Leserin in ihrer Zuschrift das Problem vieler Honorarkräfte an Musikschulen an, aus Zeitmangel sowie auch aufgrund fehlender oder zu geringer finanzieller Wertschätzung kaum Konferenzen besuchen zu können oder zu wollen. Die Nichtteilnahme ist natürlich sowohl für den Einzelnen wie auch für das Musikschulteam mit vielen Nachteilen verbunden, wenn nämlich darunter das Zugehörigkeits- und Gemeinschaftsgefühl, der gegenseitige Informationsstand und insgesamt die Identifikation mit der Schule und dem Arbeitsort leiden. Dabei handelt es sich natürlich auch um ein Tabuthema, wenn sich Honorarkräfte mit anderweiti-


© stockyimages_fotolia

11

Tabus und No-Gos im Instrumentalpädagogikberuf – Leserreaktionen

gen Terminverpflichtungen entschuldigen, statt ehrlich zu sagen, dass sie die Teilnahmevergütung als nicht angemessen betrachten. Die Leserin fragt deshalb, ob es bereits Erfahrungen mit Internet-Konferenzen für Instrumentallehrkräfte gebe. Die Nachfrage von musikschule )) DIREKT bei den Musikschulverbänden ergab, dass vor allem private Musikschulen in Bezug auf die Kommunikation zwischen LehrerInnen und Leitung häufig sehr fortschrittlich in der Nutzung von Online-Technologien sind. So beispielsweise in einer privaten Musikschule in Bonn, in der in jedem Unterrichtsraum ein Computer vorhanden sei, mit dem der Lehrer oder auch mehrere Lehrer aus mehreren Räumen mit dem Musikschulleiter via Skype kommunizieren bzw. konferieren könnten. Des Weiteren fragt die Leserin nach Angeboten zu Supervision im Internet, weil ihr diesbezügliches Interesse in ihrem Kollegium auf keine Resonanz gestoßen sei. Hier ergab die Recherche von musikschule )) DIREKT, dass es verschiedene Angebote zum Online-Coaching im Internet gibt. Hierbei ist allerdings abzuwägen, ob die größere Distanz bzw. Anonymität bei Online-Supervision, -Coaching und -Beratung im Einzelfall ein Vorteil sein kann oder eine leibhaftige Präsenz aller Beteiligten doch zumindest für Gruppensupervisionen und Lehrerkonferenzen vorzuziehen ist. Eine dritte Anregung der Leserin betrifft das Thema „Interessenvertretungen von Honorarkräften an Musikschulen“. Hierfür macht sich die Fachgruppe Musik der Gewerkschaft ver.di stark.2

Engagierte zukünftige KollegInnen Die Redaktion erhielt auch zwei Zusendungen von Instrumentalpädagogik-Studierenden der Hochschule für Musik Detmold. Dort hatte die für Berufskunde verantwortliche Professorin Reinhild Spiekermann den Beitrag in ihrem Seminar behandelt und damit intensive Diskussionen ausgelöst. Mich hat beeindruckt, welche umfangreichen und tiefgehenden Gedanken sich die Studierenden bereits in ihrer Ausbildung (auch) zu Tabus und No-Gos in ihrem zukünftigen Beruf machen. Zu wünschen ist, dass solch vorbildliches Engagement in Zukunft auch belohnt wird: mit einer Festanstellung an einer pädagogisch und kommunikativ „fitten“ Musikschule.

Selbstironie als Zeichen fachlicher Souveränität Eine Ausnahme unter den Einsendungen war die folgende: Sehr geehrter Herr Dahlhaus, vielen Dank für die vielen Anregungen. Ich werde sie alle mal ausprobieren. Meinen Sie, das geht alles auf einmal, oder sollte ich den Knoblauch- und Weingenuss vielleicht von dem Verhältnis mit meinem sechzehnjährigen Schüler zeitlich trennen? Egal, wenn er sich abmeldet, kann ich ihn ja privat unterrichten … Ach so, das Buch Nr. B habe ich noch nicht, Sie brauchen es mir aber auch nicht zu schicken, da ich mich selbstverständlich nicht weiterbilde. Mit freundlichen Grüßen …

Und Sie? – Sie wissen, wie es läuft! Liebe Leserinnen und Leser, in den Musikschulen sind Sie die Expertinnen und Experten vor Ort. Schreiben Sie uns Ihre Erfahrungen, Ihre Wünsche, Anliegen und Ideen, damit wir auch zukünftig (noch mehr) auf Ihre Interessen eingehen können. Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldungen, Meinungen und Anregungen. info@musikschule-direkt.de

Natürlich kann man diesen Text unterschiedlich deuten. – Für mich hat die Leserin in kreativer Weise den Stil des Preisausschreibens auf ihre Antwort übertragen und zeigt damit, dass sie mit einer Portion Selbstironie auf ihren Beruf blicken kann – was manchmal ganz entlastend sein kann. )) 1

www.schott-musikpaedagogik.de/de_DE/material/instrument/um/musikschuledirekt/issues/showarticle,39297.html 2 https://musik.verdi.de

Bernd Dahlhaus ist Musikpädagoge und Coach. Er leitet die Agentur für Musikpädagogik musikbäume. www.musikbaeume.de


12

musikschule )) DIREKT 5.2015

„Eulenburg PluScore“ – Partituren lesen, hören und bearbeiten

Meine App )) Es gibt bereits ganze Orchester oder auch einzelne Musiker, die ein schmuckes Tablet aufs Notenpult stellen und davon spielen. Doch vor allem im Unterricht und zum privaten Studium bietet das elektronische Lesen von Partituren Vorteile. Man braucht nun kein ganzes Regal voll Partituren, sondern die Dateien können platzsparend einfach auf dem Speichermedium abgelegt werden. Wie Bärenreiter (Study Score Reader) folgt auch der traditionelle Anbieter Eulenburg (Schott) nun dem Trend und entwickelte mit PluScore eine Partitur-App für Android und iOS. Ein gutes Programm und sicherlich die Zukunft in Schulen und Musikschulen sowie im Musikstudium. Allerdings: Ohne Strom und vollem Akku läuft natürlich nichts. Die nach wie vor erhältlichen Print-Ausgaben sind da weniger abhängig von Ladegerät und Akkustand. Ein größeres Tablet sollte man bei solchen Partitur-Apps allerdings schon haben. Die Darstellung auf einem Smartphone oder iPhone ist zwar prinzipiell möglich, aber bei einer komplexen Partitur kaum praktikabel. Nach dem kostenlosen Download von PluScore aus den bekannten Shops (Google Play/App Store) wird der vierte Satz aus Mozarts „Jupitersinfonie“ frei zur Verfügung gestellt. Außerdem gibt es eine sechsseitige, didaktisch aufgebaute Einführung zum Partiturlesen mit dem Titel „Wer liest, hört mehr“. So kann man schon mal ohne Kosten einen Test starten. Beim Kauf liegen die Partituren dann zwischen

musikschule )) DIREKT erscheint

alle zwei Monate als Supplement zu üben & musizieren

Matthias Corvin

10 und 15 Euro. Momentan stehen ca. 50 Partituren zur Auswahl, gegen Ende des Jahres sollen es 100 sein. Und das Angebot soll kontinuierlich erweitert werden. Neben dem Notentext ist auch, wie in Druckausgaben, ein informatives Vorwort enthalten. Als willkommener Zusatz werden jeder Partitur außerdem Einspielungen beigefügt (aus dem hochwertigen Katalog der Deutschen Grammophon). Bei Mozarts „Jupitersinfonie“ etwa ist das die Einspielung von Les Musiciens du Louvre unter der Leitung von Marc Minkowski (2006). Sie ist bequem über den Audioplayer der Navigationsleiste abrufbar. So kann man unterwegs – etwa im Zug – eine Partitur mit Kopfhörer studieren. Einziges Manko dabei ist, dass es keinen mitlaufenden Balken gibt, der die Seiten automatisch blättert. Vielleicht kann man das in Zukunft ändern; es wäre im Alltag jedenfalls sinnvoll. Ein Beispiel aus der Praxis: Eine Partitur wird im Musikunterricht vom Tablet des Lehrers (mit entsprechendem Adapter oder kabellos) an einen Beamer übertragen. Über den Kopfhöreranschluss (oder Bluetooth) ist der Anschluss mit einer Musikanlage oder einer Bluetoothbox möglich. Die ganze Klasse kann jetzt mitlesen und mithören, der Lehrer muss aber laufend die Seiten umblättern. Das wäre mit einem automatischen Blättermodus wie in der App Perform Pro (Paragoni) viel komfortabler. Solche Programme richten

sich natürlich stärker an aufführende MusikerInnen. Durchdachter ist die Bearbeitungsfunktion, mit der man in der Partitur mit verschiedenen Farben Einzeichnungen vornehmen kann. Einen breiteren Pinsel-Marker, einen feineren Stift bzw. ein Textfeld stellt die App zur Verfügung. So steht der gemeinsamen Analyse nichts im Weg. Jederzeit lassen sich die Anmerkungen mit einem Radiergummi auch schrittweise rückgängig machen. Dem Studierenden bietet diese Funktion natürlich ebenfalls Möglichkeiten, „seine“ Partitur entsprechend zu modifizieren und einzurichten. Selbstverständlich ist auch das Vergrößern oder Zoomen auf einzelne Notensysteme mit den Fingern möglich – wie man es von der Arbeit mit einem Tablet ohnehin gewohnt ist. Auch gibt es einen Übersichtsmodus zum schnellen Finden einzelner Seiten – wie in PDF-Readern. Im „Bücherregal“ lassen sich die heruntergeladenen Partituren bequem ablegen und von dort aus starten. Insgesamt eine sehr nützliche App, die zeitgemäß ist und schon einmal das rudimentäre Lesen und Bearbeiten der Partituren erlaubt. ))

Kennen Sie eine App, die Sie anderen Lehrkräften empfehlen möchten? Schreiben Sie uns: info@musikschule-direkt.de

Redaktion: Anja Bossen und Rüdiger Behschnitt Ständige Mitarbeiter: Jürgen Simon und Bernd Dahlhaus Layout: Rüdiger Behschnitt Grafik: Nele Engler


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.