3.2016
Musik kopieren, aufführen, downloaden Online-Fortbildung für Lehrkräfte Singen – keine (reine) Mädchensache
musikschule )) DIREKT Was, wenn? Über den Zustand der musikalischen Bildung wird viel geklagt. Man befindet sich seit Jahren in der Defensive, wird von bildungspolitischen Entscheidungen überrollt. Im musikalischen Bildungsbereich tätige Menschen können schon lange nur noch reagieren und nicht mehr agieren. Doch der immer tiefere Graben zwischen politischem Geschwätz über die Wichtigkeit musikalischer Bildung und der Realität hat bisher nur wenig sichtbare Folgen. Widerstand in der musikpädagogischen Zunft regt sich kaum – wie auch, wenn man sich in einer steten Bittstellerhaltung befindet, inmitten einer Konkurrenzgesellschaft, in der der Mangel immer größer und die Verteilungskämpfe immer heftiger werden. Eine andere Realität scheint den meisten gar nicht mehr vorstellbar. Doch wie wäre es, einfach nicht jeden bildungspolitischen Blödsinn mitzumachen? Was wäre, wenn Institutionen erklärten, dass sie aufgrund fehlender Mittel bestimmte Aufgaben nicht mehr erledigen können? Was wäre, wenn Studierende ausreichende, unbefristete Dozentenstellen zwecks kontinuierlicher Betreuung und Zeit für Bildung forderten, statt sich irgendwie durch die bildungsfeindliche Bachelor- und Master-Zwangsjacke des Studiums zu wursteln? Was wäre, wenn Wissenschaftler nur im Rahmen der ihnen zugewiesenen staatlichen Mittel forschten und die Freiheit von Lehre und Forschung verteidigten, statt ununterbrochen zu versuchen, Drittmittel zu gewinnen? Doch das sind nur Fantasien über eine andere Realität. Denn garantiert steht immer schon jemand in der zweiten Reihe bereit, der erklärt, dass er unter sogar noch viel schlechteren Bedingungen in der Lage sei, eine Institution zu führen, zu forschen, noch mehr Drittmittel einzuwerben oder Menschen musikpädagogisch bzw. musikalisch zu qualifizieren. Solange das so ist, wird sich nichts ändern. Am Ende bleibt eine Scheinwelt musikalischer „Bildung“ übrig, in der unter einer mit letzten Kräften aufpolierten Oberfläche aus bunten Hochglanzpublikationen zwar keine Bildungsziele mehr erreicht werden, aber irgendetwas getan wird. Die Frage ist allerdings, welches Selbstverständnis Lehrkräfte, Ausbildende und Wissenschaftler von ihrer Tätigkeit dann überhaupt noch haben (können): eigentlich nur, dass das, was sie tun, (hoffentlich) zumindest nicht schadet. Bildung geht anders. Anja Bossen
Nicht nur InstrumentalpädagogInnen, sondern auch freie JazzmusikerInnen leben mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 12 500 Euro am Rande des Existenzminimums. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Instituts für Kulturpolitik der Universität Hildesheim im Auftrag des Darmstädter Jazzinstituts, der Union Deutscher Jazzmusiker und der Interessengemeinschaft Jazz Berlin, an der sich 2 000 professionelle JazzmusikerInnen beteiligten. Die Durchführung wurde von der Staatsministerin für Kultur, Monika Grütters, sowie den Bundesländern Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Berlin finanziell unterstützt. Neben der finanziellen Situation wurden auch biografische Merkmale, Berufspraxis, Vernetzung sowie die soziale und persönliche Situation erfasst. Die Studie schließt mit Handlungsempfehlungen an die Politik. www.jazzstudie2016.de/jazzstudie2016_small.pdf
) Sie haben Fragen, Anregungen, Tipps oder Hinweise für die Redaktion? ) Sie möchten sich kritisch äußern zu unseren Themen und Beiträgen oder haben Vorschläge für neue Themen? Schreiben Sie uns: info@musikschule-direkt.de
2
musikschule )) DIREKT 3.2016
Alles verboten?
Frank Bauchrowitz
Musik kopieren, aufführen, downloaden: eine neue Broschüre gibt Tipps Folgende Frage stellt sich wohl jeder Musiker und jede Musikerin regelmäßig: „Ist das juristisch überhaupt zulässig, was ich da tue?“ Eine neue Broschüre von Rechtsanwalt Frank Bauchrowitz gibt kurz und knapp Tipps, was im Umgang mit fremder Musik juristisch zulässig ist.
)) Viele Musikerinnen und Musiker kommen irgendwann an den Punkt, an dem sie unsicher sind, ob sie mit ihrem Handeln juristisch im „grünen Bereich“ sind oder ob sie sich bereits in der Grau- oder Verbotszone bewegen. Juristische Fragen werden im Musikbereich oftmals aus dem Bauch heraus beantwortet oder manchmal auch ganz verdrängt. Niemand möchte sich juristisch unkorrekt verhalten. Aber ebenso wenig möchten sich Musikerinnen und Musiker in der eigenen Kreativität von juristischen Vorschriften eingrenzen lassen. Schon gar nicht vom komplizierten deutschen Urheberrecht. Allerdings waren die Medien in den vergangenen Jahren voll von Meldungen, die auf die Abmahnwellen von Rechtsanwaltskanzleien hinwiesen. Die Unsicherheit unter den praktizierenden Musikerinnen und Musikern wuchs stetig.
Herausforderung Urheberrechtsgesetz Wer als juristischer Laie willens ist, sich das Urheberrechtsgesetz zur Hand zu nehmen, um in Erfahrung zu bringen, was erlaubt ist und was nicht, steht vor einer großen Herausforderung. Viele Paragrafen sind nur schwer verständlich und sehr allgemein formuliert. Die Möglichkeiten der legalen Werknutzung ohne gesonderte Erlaubnis der Urheber sind oft versteckt. Es gibt im Gesetz viele verwirrende Querverweise.
Wie soll sich ein Laie hier zurechtfinden? Das Gefühl, mit einem Urheberrechtsverstoß einen großen Fehler zu begehen, wird spätestens dann erzeugt, wenn in § 106 Abs. 1 UrhG folgender Wortlaut entdeckt wird, der diesmal sehr klar und eingängig ist: „Wer in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ohne Einwilligung des Berechtigten ein Werk oder eine Bearbeitung oder Umgestaltung eines Werkes vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Leser Schritt für Schritt abarbeiten können, wenn sie ein Werk auf eine bestimmte Art legal nutzen möchten. Zudem sind die Wege genannt, die gegangen werden müssen, wenn eine Erlaubnis (Lizenz) für die Nutzung eines Werks notwendig ist. Die Broschüre enthält aber an den jeweils relevanten Stellen auch genaue Begriffsdefinitionen. So wird beispielsweise erläutert, was „gemeinfrei“ bedeutet, wie lange die Schutzfristen laufen und wie diese berechnet werden sowie wann von einer „öffentlichen Aufführung“ auszugehen ist.
Was darf ich ohne Erlaubnis?
Noten vervielfältigen
Die neue Broschüre Musik kopieren, aufführen, downloaden – Alles verboten? setzt deshalb bei folgenden Fragen an: „Was darf ich ohne die Erlaubnis des Rechteinhabers alles mit einem Werk machen?“ und „Wie komme ich in den übrigen Fällen an eine (gegebenenfalls kostenpflichtige) Erlaubnis, um das Werk zu nutzen?“ In fünf Teile untergliedert werden systematisch die für Musikerinnen und Musiker in der Praxis relevanten Themenbereiche dargestellt. Jeder Teil wird durch kurze allgemeine Anmerkungen zu den juristischen Grundsätzen des Nutzungsbereichs eingeleitet. Anschließend wird weiter untergliedert in Nutzungsarten (z. B. Noten kopieren, Noten abschreiben) und gegebenenfalls Nutzungskontext (z. B. private Nutzung, Unterricht an einer Musikschule, Hochschule oder allgemein bildenden Schule). Was erlaubt ist, wird genau erläutert; natürlich auch, was verboten ist.
Zunächst wird umfassend darauf eingegangen, in welchen Fällen Noten vervielfältigt werden dürfen. Es wird beschrieben, wann Noten fotokopiert oder abgeschrieben werden dürfen oder auch wann man sie scannen darf. Zusätzlich wird erläutert, welche Voraussetzungen heruntergeladene Noten aus dem Internet erfüllen müssen, damit man sie ohne gesonderte Erlaubnis nutzen darf. Darüber hinaus wird auch immer erläutert, in welchen Kontexten die Noten dann (gegebenenfalls in welchem Umfang) verwendet werden dürfen, also ob nur ein privater Einsatz möglich ist oder ob die Kopien auch im Unterricht oder für eine öffentliche Aufführung verwendet werden dürfen. Für die Fälle, in denen das Gesetz keine freie Nutzungsmöglichkeit vorsieht, wird auf die Wege zum Erwerb einer Lizenz eingegangen, also zum Beispiel auf die Möglichkeiten und den Umfang einer Lizenz durch die Verwertungsgesellschaft Musikedition.
Checklisten und Begriffsdefinitionen
Texte vervielfältigen
Am Ende jedes Abschnitts gibt es jeweils eine Checkliste, die die Leserinnen und
Auch die Fälle, in denen Texte (keine Liedtexte!) lizenzfrei verwendet werden kön-
© zhu difeng_fotolia
3
nen, wurden in die Broschüre mit aufgenommen, da die Frage nach den Nutzungsmöglichkeiten von Texten oft im Zusammenhang mit denen von Noten auftritt, beispielsweise in Musikhochschulen, allgemein bildenden Schulen und im privaten Bereich.
Die Broschüre gibt Aufschluss darüber, unter welchen Voraussetzungen dies ohne eine Lizenz der Schöpfer des ursprünglichen Musikwerks möglich ist. Es wird aber auch beschrieben, wie und von wem eine entsprechende Erlaubnis erlangt werden kann, wenn die Voraussetzungen für eine kostenfreie Nutzung nicht vorliegen.
Musik aufführen und abspielen Im dritten Teil geht es um die öffentliche Aufführung oder das Abspielen von Kompositionen. In diesem Rahmen wird zunächst erklärt, wann das Gesetz überhaupt von einer öffentlichen Aufführung ausgeht, weil die urheberrechtlichen Beschränkungen nur für diesen Bereich gelten. Anschließend wird auf praxisrelevante Einzelfälle eingegangen, z. B. das Aufführen von Musik bei Konzerten, in Discos, bei Familienfeiern und bei Hauskonzerten. Selbstverständlich wird auch in diesem Teil erläutert, in welchen Fällen eine Aufführungslizenz für den öffentlichen Bereich nicht notwendig ist. Zudem sind mögliche Wege für die Erlangung von Aufführungslizenzen bei der GEMA bzw. direkt bei den Berechtigten beschrieben.
Kompositionen bearbeiten In der praktischen Arbeit mit Musik nimmt die Anpassung an die eigenen Bedürfnisse oder die des Ensembles bzw. der Band großen Raum ein. Das kann z. B. in Form von Neuarrangements, Veränderungen oder Kürzungen von Musikwerken geschehen. Oft kommen aber auch Neuvertextungen und Neuvertonungen von Musikwerken oder die Übersetzungen von Liedtexten vor. Manchmal sollen andere Musikwerke oder Teile davon aber auch als Grundstock für neue Kompositionen dienen.
Download, Stream, Kopie und Sample Im letzten Teil geht es dann um die Frage, wie fremde Musikaufnahmen genutzt werden können. Dabei wird näher darauf eingegangen, unter welchen Voraussetzungen z. B. CDs oder mp3-Dateien kopiert, Radiosendungen aufgenommen oder Musikdateien aus dem Internet heruntergeladen werden dürfen. Zudem gibt es kurze Ausführungen zur Nutzung von Soundsamples. Der Fokus der Broschüre liegt immer auf der Frage: „Was ist erlaubt?“ Und: Sofern eine Autorisierung notwendig ist, wird immer beschrieben, wie der Nutzer und die Nutzerin eine Lizenz erlangen können. Besonderes Augenmerk wurde darauf gerichtet, die Ausführungen leicht verständlich zu gestalten. Wo es ging, wurde auf die Angabe von Paragrafen verzichtet, um die Lesbarkeit der Broschüre möglichst angenehm zu gestalten. ))
Frank Bauchrowitz ist Rechtsanwalt in den Bereichen Urheberrecht und Musikvertragsrecht. Er ist Dozent für Musikrecht und Karriereentwicklung an verschiedenen Musikhochschulen und für andere Anbieter aus dem Musikbereich. www.musikerkanzlei.de
Kostenlose Broschüre Die Broschüre „Musik kopieren, aufführen, downloaden – Alles verboten?“ steht auf der Internetseite des Autors in der jeweils aktuellen Version kostenfrei als Download bereit: www.musikerkanzlei.de Gedruckte Exemplare (zurzeit Stand Januar 2016) können per e-mail bezogen werden unter: info@musikerkanzlei.de – Jeweils zehn Exemplare kosten 15 Euro zzgl. Versandkosten.
4
© MaFiFo_fotolia
musikschule )) DIREKT 3.2016
Netzreise
Jana Buschmann
Sich online fortbilden anstelle von Online-Fortbildung
Endlich war es soweit: zwei Nächte lang surfen durch das Internet auf der Suche nach empfehlenswerten Online-Fortbildungen für Instrumentallehrkräfte. Mein Spürsinn war geweckt. Allerdings musste ich mich schnell umorientieren, nachdem Stichworte wie „Online-Fortbildung“, „digitale Schulung“ und „E-Learning“ bei Suchmaschinen, musikpädagogischen Institutionen und Verbänden weitgehend ins Leere liefen. Woran kann das liegen? Das Internet könnte doch im Gegensatz zu Präsenzfortbildungen ein ortsunabhängiges Fortbilden im geschützten Raum bedienen. Eigene Forschungen1 im Kontext von digitalen Fortbildungen für Musiklehrkräfte an Grundschulen im ländlichen Raum zeigen Schwierigkeiten auf, die dafür ursächlich sein können. Sie bilden den Ausgangspunkt meiner Netzreise.
Videokonferenzen Am „Tag der Wissenschaften“ des Luckenwalder Friedrich-Gymnasiums im Jahr 2014 wurden verschiedene Vermittlungsformen während einer 90-minütigen LiveFortbildung zum Thema „Singen in der Schule“ mit Sender an der Universität Potsdam und Empfänger im Informatikraum des Gymnasiums mit 25 Schülerin-
nen und Schülern getestet. Während in der Wirtschaft Videokonferenzen erfolgreich zur Informationsvermittlung eingesetzt werden, brachte dieser Versuch, obwohl gute Software (GoToMeeting von Citrix) wie auch Hardware auf beiden Seiten zur Verfügung standen, ernüchternde Ergebnisse: Netzwerkschwankungen unterbrachen immer wieder die Verbindung, Zeitverzug stellte sich ein, der von Birgit Jank, Leiterin des Lehrstuhls für Musikpädagogik und -didaktik an der Universität Potsdam, vor Ort in der Schule überbrückt werden musste. Für eine komplexe Medienübertragung (z. B. Videos) war das Internet der Schule im Download zu schwach, sodass ein Rückgriff auf die im Vorhinein übertragenen Videos erforderlich war. Die Wissensvermittlung in Form eines Powerpoint-Vortrags mit eingebundenen Fotos, Grafiken und Statistiken fesselte die Aufmerksamkeit der Lernenden, das Einstudieren eines Kanons oder eine Gruppendiskussion waren hingegen eine große Herausforderung für beide Seiten: Eine Übertragungsverzögerung von ein bis zwei Sekunden im Bild bei korrekter Audioübertragung und die Spiegelung des Dirigenten waren kräftezehrend, ebenso der Umstand, die nonverbalen Reaktionen der
Schülerinnen und Schüler aufgrund des stockenden Bildes nicht ablesen zu können. Das Potenzial dieses Formats wird letztlich erst im Jahr 2017 zu bewerten sein, denn dann sollen die in der Digitalen Agenda 2014-2017 beschlossenen Leitlinien zur bundesdeutschen Digitalpolitik umgesetzt sein. Hierzu zählt vor allem, flächendeckend den Mindeststandard von 2 MB/s im Download zu erfüllen. Nur vereinzelt finden sich im Netz zeitsynchrone Fortbildungsmöglichkeiten für Instrumentallehrkräfte. So bietet etwa eine Online-Musikschule unter www.musikschuleonline.com explizit Fortbildungen in den bereichen Komposition und Arrangement: „Hallo, Musikerzieher! Wie wäre es mit einer ,Fortbildung‘ – wir machen Sie gerne fit in Komposition und Arrangement. Wann haben Sie eigentlich zuletzt ein neues Instrument gelernt?“, heißt es dort. Als Vorteile werden aufgezählt: keine Vertragsbindung, flexible Unterrichtslänge und Termine, kostenlose Videoaufnahmen der Stunde zum Nachlernen und ein allerorts verfügbarer Materialservice. Zusammenfassend lässt sich für zeitsynchrone Vermittlungsangebote über Videokonferenz, bei der im besonderen Maß die Musizierpraxis berücksichtigt wird, eine
5
Damit der Funke beim Musizieren durchs Netz fließen kann, muss man nicht nur ein geeignetes Online-Portal finden, sondern braucht auch die notwendige technische Ausstattung.
Eins-zu-Eins-Beschulung feststellen. Für ein Online-Gruppenmusizieren von mehreren Plätzen aus, wie es für musikpädagogische Fortbildungen wünschenswert wäre, sind meinen Untersuchungen und Recherchen zufolge die netzwerkbedingten Voraussetzungen (noch) nicht geeignet.
E-Learning und Community E-Learning-Plattformen sind meist von Institutionen und großen Interessengruppen organisiert und zeichnen sich durch Interaktion der Teilnehmenden aus. Sie weisen einige erwähnenswerte Vorteile auf, um Projekte ort- und zeitunabhängig mit verschiedenen Gestaltern verwirklichen zu können. Der Treff im virtuellen Raum ermöglicht, multimediale Materialien zu besichtigen und zu bearbeiten, im ChatBereich Fragen zu diskutieren oder gar an Live-Acts teilzunehmen. Einige gelungene Beispiele für künstlerische Projekte, die im Rahmen einer E-Community entstanden sind, listet z. B. die Website der Jeunesses Musicales Deutschland auf: www.jmd.info/ projekte/e-community-musik. Ein Beispiel für internationalen fachwissenschaftlichen Austausch ist das Afghanistan Music Research Centre – www.amrc-music.org/afghanistan-music-research-centre/e-learning/ online-seminar –, ein gemeinsames Projekt der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar und der Friedrich-Schiller-Universität in Jena: „Im Wintersemester 2014/ 2015 lernten sieben Studierende aus Weimar und zehn aus Kabul […] zusammen über eine eigens entwickelte E-LearningPlattform. […] Online diskutierten sie Fra-
gen des Musikmanagements und der Musikpädagogik. Über eine Moodle-Plattform konnten sie sich austauschen und gemeinsam die gestellten Aufgaben erarbeiten.“ Nachteilig ist die aufwendige Verwirklichung solcher E-Learning Plattformen für Privatpersonen, denn die Erstellung einer später auch lebendigen E-Learning-Plattform bedarf einer professionellen Anlage und Betreuung, wie sie häufig nur bei Institutionen zu finden ist. An dieser Stelle meiner Reise durchs Web wird ein Perspektivwechsel notwendig, um weitere Online-Formen zu erschließen, die ein Fortbilden ermöglichen. Die Perspektive verschiebt sich von: „Wer bietet mir eine Online-Fortbildung an?“ zu: „Wie kann ich mich selbst im Internet fortbilden?“ Der Perspektivwechsel erfordert jedoch nun vom Lernenden, sich selbstorganisiert und -reflektiert dem Lernprozess zu stellen, wofür sich Medien-Plattformen und Datenbanken sehr gut eignen.
Video-Plattformen Die bekannteste Video-Plattform ist sicher YouTube. Sie bietet ihren Nutzern eine systematische Suche, Präsentation und Integration von Videos an. Kein anderes Format im Internet hat die musikalische Wissensaneignung so revolutioniert wie Video-Plattformen. Vor zwanzig Jahren war es noch extrem zeitaufwendig, AudioAufnahmen gesuchter Werke in Bibliotheken oder Geschäften zu erhalten, nur um beispielsweise Interpretationsimpulse für einen Jazzstandard zu erhalten. Heute lie-
gen unzählige Videos von hochkarätigen Künstlerinnen und Künstlern mehrerer Jahrzehnte vor, wodurch nicht nur Gestaltungsvarianten verglichen, sondern auch spiel- oder gesangstechnische Raffinessen beobachtet werden können. Neben Konzertaufnahmen gibt es auch Lehr- und Lernvideos auf solchen Plattformen. Sie werden als Tutorials und Podcasts bezeichnet, wobei Tutorials in der Regel eher rudimentäre Anwendungen auf Instrumenten zeigen wie beispielsweise das Stimmen eines Instruments. Podcasts hingegen werden in der Hochschullehre als Ergänzung oder wesentlicher Bestandteil von Veranstaltungen eingesetzt, um Lernenden Vorlesungen, Diskussionen und Experimente zeit- und ortsunabhängig zur Verfügung zu stellen. In der Regel sind es kontinuierlich erscheinende und downloadbare Folgen zu einem bestimmten Anwendungsbereich. Für Musikpädagogen und -pädagoginnen besonders interessant sind Aufzeichnungen von Meisterklassen, z. B. in den YouTube-Kanälen von Music Academy of the West, Royal College of Music, Manhattan School of Music und vielen anderen.
Mediatheken Die Kombination mehrerer Medien auf einer Plattform wird als Mediathek bezeichnet. Online-Mediatheken von kulturellen Institutionen wie Rundfunk, Konzert- und Opernhäusern, Festivals, Musikhochschulen und vielen mehr ermöglichen es, kostenlos – teils auch kostenpflichtig – Konzerte, Interviews und Konzerteinführun-
6
musikschule )) DIREKT 3.2016
ie mit! S n e h c Ma Link-Tipps der Redaktion www.musicademy.de Interaktive Lernplattform für SchülerInnen und Studierende mit großem Angebot an Unterrichtsmaterialien für Lehrkräfte www.sofasession.com Online Jam Community, auf der sich Musiker aus aller Welt vernetzen können, um online miteinander zu musizieren oder Songs zu tauschen www.agogix.de Onlineportal für Musikschulen und ihre Bildungspartner mit Forum, Projektvorstellungen und Ideenwerkstatt www.blog.leopold.rocks Blog von leopold.rocks, einem Treffpunkt und Tool für freie Musiklehrer unter dem Motto: „Worüber Musiklehrer so reden“ www.nachschlage.net Portal für vier umfangreiche Lexika, darunter „Komponisten der Gegenwart“ (KDG) mit über 850 KomponistInnen des 20. und 21. Jahrhunderts www.fortbildung-online.lernnetz.de Kostenlose Webinare für Lehrkräfte live zu Hause, interessante Themen auch für InstrumentalpädagogInnen, z. B. Urheber- und Medienrecht www.schubert-online.at Größte digitale Sammlung von Schubert-Autografen, Erst- und Frühdrucken, dazu Digitalisate von Briefautografen und Lebensdokumenten www.liederprojekt.org Umfangreiches, kostenloses Liedarchiv mit Noten, gesungenen Fassungen sowie über 170 Podcasts mit Hintergrundinformationen www.miz.org Das Deutsche Musikinformationszentrum ist die zentrale Informationseinrichtung zum Thema „Musik und Musikleben in Deutschland“
Wie lautet Ihr Link-Tipp? Wo finden Sie online praktische Hilfen und Ideen für Ihren Unterricht? Empfehlen Sie unseren Leserinnen und Lesern Ihren persönlichen Link-Tipp. Schreiben Sie an: info@musikschule-direkt.de
gen, Dokumentationen und Porträts zu verfolgen. Beispielsweise bieten die Berliner Philharmoniker jede Saison über 40 Live-Übertragungen an in High-Definition sowie Archiv-Konzerte aus fünf Jahrzehnten: www.berliner-philharmoniker.de/education/mediathek. Auf der Homepage der Berliner Philharmoniker ist die Mediathek dem Education-Sektor zugeordnet, denn sie fördert musikalische Bildung in der Auseinandersetzung mit Werken, Instrumenten, Komponisten, Künstlern und Musikkulturen. Die meisten Verlage hingegen verwenden für ihre multimedialen Angebote eher weniger den Begriff Mediathek, vermutlich aufgrund ihrer Wurzeln in den Printmedien.
Online-Datenbanken für Musik Meine Reise durchs Netz endet mit dem Fund zweier Perlen: Im Mozart-Institut in Salzburg entsteht die DME, die Digitale Mozart-Edition, welche neben der kostenlos erhältlichen Neuen Mozart-Ausgabe (Notentext und kritische Berichte) auch Briefe, Dokumente und Opernlibretti digital zur Verfügung stellt. Die internationale Stiftung Mozarteum ermöglicht in Verbindung mit dem Packard Humanities Institute (Kalifornien) mit dieser Website, Mozarts Kompositionen für wissenschaftliche und pädagogische Zwecke zu verwenden: www.dme.mozarteum.at/DME/main/index. php. Die zweite Perle hält sich noch verborgen: Voraussichtlich im Jahr 2017 wollen die Verlage Bärenreiter und Metzler in langfristiger Zusammenarbeit mit der bibliografischen Datenbank RILM die Musikenzyklopädie Die Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG) online stellen: www.mgg-online.com. Das Referenzwerk für Musikforschung, unterteilt in Sach- und
Personenteil, umfasst in der digitalen Version sowohl die unveränderte Druckausgabe (1994-2008) als auch eine aktualisierte Fassung mit Korrekturen, Revisionen und neuen Artikeln. Abonnenten sollen regelmäßig Updates erhalten.
Am Ende der Reise Mein Resümee am Ende der Entdeckungsreise durch das Netz: Es gibt nur wenige für Instrumentallehrkräfte geeignete Online-Fortbildungsangebote. Um diese für das Lernen effektiv nutzen zu können, bedarf es schnellerer Netzwerkverbindungen. Und auch dann bleibt immer noch die Frage offen, ob der Funke beim Musizieren durchs Netz fließt. Dennoch: Auch nach derzeitigem Stand können sich experimentierfreudige Instrumentallehrkräfte selbstständig über Portale und Datenbanken fortbilden und dadurch eine für viele Jugendliche gängige Lernpraxis kritisch reflektieren. ))
1
Jana Buschmann: „Dorf im DIGI-TAL? Digitale Fortbildung für Musiklehrer im ländlichen Raum“, in: Musikforum 2/2015, S. 34 f.
Jana Buschmann begleitet im Rahmen ihrer Promotion am Lehrstuhl für Musikpädagogik und Musikdidaktik der Universität Potsdam das Fortbildungsprojekt „Belcantare Brandenburg“ und lehrt dort im Rahmen der Musiklehrerausbildung.
© Christian von Polentz_transitfoto.de
7
Ergebnisse einer Umfrage unter Berliner Musikschullehrkräften
„Ich liebe meinen Beruf, aber …“ Annette Breitsprecher
)) Ende 2012 erließ die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft trotz heftigen Protestes seitens der Lehrkräfte und Schülereltern, der auch von viel musikalischer Prominenz unterstützt wurde, neue „Ausführungsvorschriften Honorare an den Musikschulen“. Ziel war, die Selbstständigkeit der zu 93 % als freie Mitarbeiter beschäftigten Lehrkräfte rechtlich abzusichern, denn im Vorfeld hatte die Deutsche Rentenversicherung anlässlich einer Betriebsprüfung an der Musikschule Marzahn-Hellersdorf festgestellt, dass von abhängigen Beschäftigungsverhältnissen auszugehen sei. In der Folge wurden alle bestehenden Honorarverträge gekündigt. Die Musikschullehrkräfte waren gezwungen, neue Verträge zu unterschreiben, welche die vorher schon schwierigen Arbeitsbedingungen weiter verschärften und im Sinne einer intendierten Vergrößerung des „unternehmerischen Risikos“ die Lasten weiter auf den Rücken der Honorarkräfte verschoben. Unter anderem wird nun für jedes Unterrichtsverhältnis ein gesonderter „Einzelauftrag“ erteilt, einen Anspruch auf ein bestimmtes Kontingent gibt es nicht. Die bisherige monatliche pauschale Honorarzahlung wurde ersetzt durch Einzelstundenabrechnung. Dies führt aufgrund von Ferienzeiten und Feiertagen zu stark schwankenden Einnahmen und zu langen Phasen, in denen überhaupt kein Geld fließt. Eine Rück-
lagenbildung ist angesichts der ohnehin niedrigen Einkünfte häufig schwierig bis unmöglich. Zwar sagte die Bildungssenatorin in einer Sitzung des Abgeordnetenhauses im September 2013: „Wir werden auf jeden Fall evaluieren. Wir werden uns das in den nächsten Monaten ganz genau anschauen. Und dann werden wir sehen, was passiert.“1 Jedoch: Wie auch immer diese Evaluation ausgesehen haben mag, bei den betroffenen Lehrkräften hat niemand nachgefragt. Der Abschlussbericht des zuständigen Staatssekretärs lässt nicht den Eindruck aufkommen, dass der Senat Handlungsbedarf sieht: „Die Honorarregelungen für freiberufliche Musikschullehrerinnen und Musikschullehrer sind für diese Personengruppe vorteilhaft, da sie weit über die Leistungen für andere freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hinausgehen.“2 Deshalb haben die Aktiven der Fachgruppe Musik in ver.di Berlin-Brandenburg und die Landes-Lehrervertretung der Berliner Musikschulen e. V. (LBM)3 ihrerseits evaluiert: Die etwa 1 600 Honorarkräfte der bezirklichen Berliner Musikschulen wurden im Herbst 2015 schriftlich mittels eines halbstandardisierten Fragebogens befragt.4 Die Fragen bezogen sich mehrheitlich direkt auf die Auswirkungen der neuen Ausführungsvorschriften; vereinzelt wurden auch Fragen darüber hinaus gestellt, sofern dies zur Beurteilung der Gesamt-
situation wesentlich erschien. Die vollständige Auswertung ist auf der Internetseite der Fachgruppe Musik im ver.di-Landesbezirk Berlin-Brandenburg einsehbar. Im Folgenden sind die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst.
Zufriedenheit, Beschäftigungsdauer und Motivationslage „Sehr zufrieden“ oder „ziemlich zufrieden“ mit ihrer beruflichen Gesamtsituation sind insgesamt 25 %, „eher unzufrieden“ oder „sehr unzufrieden“ 75 %. Setzt man die Zufriedenheit mit der beruflichen Situation in Beziehung zur Beschäftigungsdauer, so fällt auf, dass unter den BerufseinsteigerInnen die Unzufriedenheit besonders hoch ist. Unter denjenigen, die weniger als fünf Jahre an einer Berliner Musikschule arbeiten, sind insgesamt 84 % „sehr unzufrieden“ oder „eher unzufrieden“ (gegenüber 73 % bei den über zwanzig Jahre Beschäftigten). Angesichts eines in die Jahre gekommenen Kollegiums (55 % der Lehrkräfte üben ihre Tätigkeit seit mehr als zwanzig Jahren aus) lässt dies nichts Gutes erwarten im Hinblick auf den Gewinn von Nachwuchskräften. Weiter wurden die KollegInnen befragt, ob sie seit der Einführung der Ausführungsvorschriften vermehrt über berufliche Alternativen nachdenken. Die Antworten zeigen eine deutliche Entwicklung: Zwei
8
musikschule )) DIREKT 3.2016
Nachdenken über Alternativen, jetzt 1%
Einfluss der Ausführungsvorschriften auf die Bereitschaft zum Engagement
Einnahmen 2013 (ausschließlich Musikschularbeit) 28 % 25 %
13 % 16 %
28 %
11% 8%
Drittel aller freiberuflichen Berliner Musikschullehrkräfte denken mittlerweile „öfter“ oder „häufig“ über berufliche Alternativen nach (Grafik 1) – gegenüber einem Drittel vorher. Gefragt nach ihrer Bereitschaft, sich über die reine Unterrichtstätigkeit hinaus an der Musikschule zu engagieren, gaben die KollegInnen an, dass diese massiv gesunken sei: Zwar ist sie bei 43 % immer noch „sehr hoch“ oder „eher hoch“. Aber nur für 5 % haben sich die neuen Ausführungsvorschriften in dieser Hinsicht positiv ausgewirkt. Bei 26 % dagegen ist die Bereitschaft „geringfügig“, bei 41 % sogar „stark gesunken“ (Grafik 2). Diese Angaben zeigen ein deutliches Zerstörungspotenzial der neuen Ausführungsvorschriften im Hinblick auf die Qualität der Musikschularbeit in Berlin.
Einkünfte und Rente 42 % der Musikschullehrkräfte leben ausschließlich von dieser Tätigkeit, 58 % haben auch (zum Teil aber nur geringe) weitere Einkünfte. Einnahmen (im Sinne von Betriebseinnahmen; zur Ermittlung eines Bruttoeinkommens sind also noch Betriebsausgaben abzuziehen) von mehr als 20 000 Euro erzielen in der Gruppe derer, die ausschließlich von der Musikschularbeit leben, lediglich 29 % (Grafik 3). Die Rentenerwartungen sind durchweg katastrophal. Betrachtet man die Gesamtheit der Befragten, so liegt der Anteil derjenigen, deren Rentenerwartung 800 Euro übersteigt, bei 8 % (Grafik 4). Zum Vergleich: Der derzeitige Richtwert, bei dessen Unterschreitung die Deutsche Rentenversicherung dazu rät zu prüfen, ob ein Anspruch auf Grundsicherung besteht, liegt bei 789 Euro. Die Entwicklung der Einnahmen im Jahr 2014 ist bei den KollegInnen nach der Um-
geringfügig gestiegen stark gesunken
stellung auf die Einzelstundenabrechnung unterschiedlich verlaufen, wobei negative Entwicklungen häufiger sind als positive. Sehr grob kann man bei einem Drittel der Befragten von einer positiven Entwicklung, bei einem Drittel von Stagnation und bei einem Drittel von negativer Entwicklung sprechen (Grafik 5).
Honorierung „Sonstiger Tätigkeiten“ Mit dem Unterrichtshonorar sind die Unterrichtserteilung „sowie die hierfür notwendigen Vor- und Nacharbeiten (z. B. Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, Vorbereitung und Aufräumen des Unterrichtsraumes, Beschaffung von Unterrichtsmaterialien)“5 abgegolten. Für sogenannte „Sonstige Tätigkeiten“ ist ein Honorar in Höhe von ca. 11 Euro/45 Minuten vorgesehen. Es kann aber nicht jede Lehrkraft einfach tun, was aus ihrer Sicht im Rahmen qualitativ hochwertiger Arbeit zu tun wäre – jedenfalls nicht, sofern sie dafür honoriert werden möchte. „Sonstige Tätigkeiten“ müssen im Vorfeld beantragt und dann musikschulseitig beauftragt werden. Andernfalls gibt es kein Geld. Die detaillierte Nachfrage nach einzelnen Tätigkeiten ergab: Lediglich die Fachbereichskonferenzen bekommt eine Mehrheit (60 %) mittlerweile honoriert. Gesamtkonferenzen werden einer Minderheit von 32 % honoriert, bei Elterngesprächen ist die Honorierung die Ausnahme (10 %). Die Frage, ob abgesehen von Gesamtkonferenzen, Fachbereichskonferenzen und Elterngesprächen andere „Sonstige Tätigkeiten“ honoriert werden, wurde von lediglich 24 % mit „ja“ beantwortet. 76 % erhalten also kein Honorar für alle anderen „Sonstigen Tätigkeiten“.
1% keine Angaben
über 30 000 Euro
27 500 – 30 000 Euro
kein Einfluss stark gestiegen geringfügig gesunken
22 500 – 25 000 Euro
häufig
20 000 – 22 500 Euro
öfter
26 %
15 000 – 20 000 Euro
nie selten keine Angaben
1%
10 000 – 15 000 Euro
4% 31%
4% 3% 3%
1%
25 000 – 27 500 Euro
41%
5 000 – 10 000 Euro
20 %
unter 5 000 Euro
35 %
Bürokratie und Verwaltung Diesbezüglich fällt das Urteil vernichtend aus: Fast drei Viertel der Musikschullehrkräfte bemerken stark negative Auswirkungen auf die für sie wichtigen Verwaltungsabläufe durch die Einführung der neuen Ausführungsvorschriften und die damit einhergehende Umstellung auf die Einzelstundenabrechnung (Grafik 6). Hierbei ist der eigene monatliche Zeitaufwand für die – nicht honorierte – Erstellung des Leistungsnachweises (der sich bei 49 % auf 30 bis 60 Minuten beläuft, bei immerhin 10 % aber über zwei Stunden liegt) nur ein Problem unter vielen. Hinzu kommen häufig fehlerhafte und/oder unverständliche Honorarabrechnungen, verspätete Honorarzahlungen (nur 22 % der KollegInnen gaben an, ihr Honorar immer pünktlich zu erhalten), verspätete oder gar nicht funktionierende Vertragsänderungen und Schülervermittlungen, Kommunikationsprobleme mit nicht oder nur schwer erreichbaren Verwaltungsmitarbeitern und Fachgruppenleitern, allgemein klimavergiftender Stress infolge Überlastung der Funktionsträger.
O-Töne zum Berufsbild Die offene Schlussfrage lautete: „Wenn Sie möchten, beschreiben Sie abschließend, was Ihnen am Beruf des Musikschullehrers besonders wichtig ist.“ Sie wurde von gut der Hälfte der Befragten beantwortet. Hinsichtlich einer systematischeren Auswertung der teils sehr umfangreichen Texte sei auf die vollständige Umfrageauswertung verwiesen.6 Im Folgenden sollen die Betroffenen selbst zu Wort kommen. ) „Freude an Musik vermitteln. Kulturgut weitergeben. Kinder stärken, indem sie merken, was sie können. Positive Gemeinsam-
9
Rentenerwartung (alle Befragten)
Einnahmenentwicklung (alle Befragten) 1%
Auswirkungen auf relevante Verwaltungsabläufe 1%
keine Angaben
8%
über 1 000 Euro
3%
900 – 1 000 Euro
2%
800 – 900 Euro 700 – 800 Euro 600 – 700 Euro 500 – 600 Euro
3%
8%
2%
22 % 24 %
15 %
3%
17 %
6%
28 %
9%
73 %
15 %
unter 500 Euro 59 %
keitserlebnisse schaffen durch gemeinsames Musizieren. Aufzeigen und Erleben des Zusammenhangs von eigenem Beitrag/Leistung und Erfolg.“ ) „Der Instrumentalunterricht deckt viele Lernbereiche ab, die in der Schule nicht oder nur unzureichend gefördert werden. Ich halte ihn insbesondere in einer Zeit, in der die Schulen sich zu einem großen Teil auf Auswendiglernen und spröde Logik konzentrieren, für einen unverzichtbar wichtigen Bestandteil der Bildung unserer zukünftigen Gesellschaft. Dazu beizutragen, ist mir wichtig.“ ) „Mir ist der Gedanke Musikschule nach wie vor wichtig, deswegen bin ich auch immer noch da und engagiere mich auch als Lehrersprecherin. Das geht allerdings nur, weil mein Mann den Hauptanteil unseres Einkommens verdient. Ich liebe die pädagogische Arbeit und die jahrelange persönliche Verantwortung, die Samen zum Keimen zu bringen, schätze auch die Möglichkeit, mit Kollegen zusammen Dinge auf die Beine zu stellen.“ ) „Um meinen Lebensunterhalt angemessen bestreiten zu können, bin ich darauf angewiesen, sehr viel zu arbeiten. Um beruflich fortzukommen, würde ich mich gerne öfter fortbilden, dazu fehlt mir aber oft die Kraft … Ich bin 55 Jahre alt und mit der beruflichen Situation plagen mich schon erhebliche existenzielle Sorgen, die ich früher nicht in diesem Ausmaß wahrgenommen habe. Manche Aktivitäten habe ich inzwischen aufgegeben, so gestalte ich die Schülervorspiele einfacher als früher, weil mir zur Vorbereitung die Zeit fehlt. Besondere Ängste plagen mich, gesund zu bleiben. Zwar bin ich relativ fit, jedoch wäre es schrecklich, irgendwann schwer zu erkranken, allein aus Existenzgründen. Schon jetzt versuche ich, immer zu arbeiten, auch wenn ich nicht ganz gesund bin.“
stark gestiegen (> 2 %) geringfügig gestiegen geringfügig gesunken gleich geblieben keine Angaben stark gesunken (> 2 %)
Schlussbetrachtung Angesichts dieser Ergebnisse darf stark bezweifelt werden, dass die Behauptung aus dem Leistungs- und Qualitätsentwicklungsbericht der Senatsverwaltung7 haltbar ist, der bundesweit einmalig hohe Grad der Unterrichtsleistung durch freiberufliche Lehrkräfte stelle für die eigentliche Unterrichtserteilung und deren Qualität kein messbares Problem dar. Vielmehr raubt die vermehrte Belastung mit fachfremden Beschäftigungen neben zeitlichen Ressourcen auch psychische Kräfte, die für die inhaltliche Arbeit notwendig wären. Die Umstellung auf Zahlung nach Leistungsnachweis vergrößert die existenzielle Unsicherheit massiv. Dies befördert die Abwanderung von Lehrkräften in andere Tätigkeitsfelder. Das vielfach erlebte Missverhältnis zwischen eigener Leistung und Entlohnung führt in innere Emigration oder in Gratifikationskrisen. All das hat selbstverständlich Einfluss auf die Qualität der Arbeit. Eine ambitionierte Musikschulpolitik, welche die Musikschule nicht nur in Sonntagsreden lobt, muss Arbeitsbedingungen bieten, die den Lehrenden ein existenzsicherndes Einkommen ermöglichen.8 Nur dann können diese dauerhaft qualitativ hochwertige Arbeit leisten. Sie muss (genau entgegengesetzt zur Zielrichtung der Ausführungsvorschriften) alles tun, um die Integration des gesamten Personals in die jeweilige Musikschule zu fördern, denn gute Musikschularbeit lebt vom kollegialen, engagierten und diskursiven Miteinander vieler kreativer Menschen und braucht eine kompetente Steuerung. Deshalb bedarf es eines grundlegenden Umdenkens, will das Land Berlin sich nicht von professionellen Lehrkräften und damit vom Ziel einer tatsächlichen musikali-
keine Angaben geringfügig positiv geringfügig negativ
keine Veränderung stark negativ
schen Bildung verabschieden. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse als zugrunde liegendes Geschäftsmodell für das Betreiben einer öffentlichen Bildungseinrichtung sind nicht hinnehmbar. ))
1 vgl. Plenarprotokoll der 35. Sitzung des Abgeordnetenhauses am 12. September 2013, S. 3440. 2 vgl. Arbeitsbedingungen der Honorarkräfte an Musikschulen und Volkshochschulen – Schlussbericht – 47. Sitzung des Hauptausschusses vom 6. November 2013. 3 Die Kosten für diese Publikation hat ver.di übernommen, wofür an dieser Stelle seitens des LBM e. V. ausdrücklich gedankt sei. 4 Es kann allerdings nicht mit letzter Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Gesamtheit vollständig erreicht wurde. 5 vgl. Ausführungsvorschriften über Honorare der Musikschulen (AV Honorare MuS) vom 10. Juli 2012. 6 https://musik.verdi.de/themen/nachrichten/ ++co++71a17c1a-2260-11e6-b3f8-525400438ccf 7 vgl. Zweiter Leistungs- und Qualitätsentwicklungsbericht Musikschulen, hg. von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft, Dezember 2014, S. 25-27. 8 Die von Senatsseite immer wieder ins Feld geführte Argumentation, dass die Berliner Honorare relativ hoch seien, verfängt nicht: Es ist zwar richtig, dass anderswo freie MitarbeiterInnen noch schlechter bezahlt werden. Aber anderswo beträgt die Quote der Freien auch nicht über 90 Prozent. Der derzeitige Honorarsatz liegt bei 22,27 Euro. Die zugrunde liegende Honorarordnung war ursprünglich ein Instrument für die Honorierung von Nebentätigkeiten von Menschen, die hauptberuflich andere Dinge taten. Von einem tatsächlichen Selbstständigen-Honorar kann also nicht die Rede sein. Zudem missachtet das einseitige Argumentieren mit der Honorarhöhe gegebene Schwierigkeiten durch die Rahmenbedingungen, etwa durch Haushaltssperren, Schwierigkeiten im Hinblick auf Raumressourcen u.s.w., die dazu führen, dass nicht in existenzsicherndem Umfang unterrichtet werden kann.
Annette Breitsprecher unterrichtet Klavier, Kammermusik und Korrepetition an der Musikschule Fanny Hensel in Berlin.
10
musikschule )) DIREKT 3.2016
Singen – doch keine (reine) Mädchensache? Monika Oebelsberger
Gendersensibler Singunterricht bietet großes Potenzial für die Entwicklung von Persönlichkeitsmerkmalen bei Jugendlichen
„Die Jungen kommen im Durchschnitt dem Musikunterricht nicht so entgegen wie die Mädchen, sie sind weniger fleißig und von dem Ideale rhythmischer und harmonischer Bändigung weit entfernt: das hängt mit ihren besten Jungeneigenschaften zusammen, die sie hoffentlich nie verlieren werden.“1
)) Dieses Zitat aus dem Jahr 1930 könnte in zeitgemäßer Diktion der gegenwärtig vorhandenen, über Medien und Sachbücher transportierten „moralischen Panikmache über die Krise der Männlichkeit und die Benachteiligung der Jungen“2 entsprechen. Die Problemlage der Jungen wird im Sinne eines „Boys Turn“ in den Erziehungswissenschaften vermehrt in den Fokus genderbezogener Debatten genommen: „jungenfeindliche Lern- und Leistungskulturen an Schulen […], eine zu einseitige Mädchenförderung zulasten der Jungen und schließlich der Feminismus mit einer eindeutigen Deutungshoheit über Geschlechterfragen“3 werden schnell als „Schuldige“ für die Problemlage von Jungen verortet. Vereinfachung, Dramatisierung und Ideologisierung genderspezifischer Positionen werden damit deutlich in den Vordergrund gebracht und (ungewollt) verfestigt. Handbücher und Sammelbände zu Jungen- bzw. Mädchen-Pädagogik, eigene Produktlinien für Jungen bzw. Mädchen oder spezielle Bildungsangebote für Jungen bzw. Mädchen sind nur einige „Outputs“
einer Pädagogik, die durch geschlechtergetrennte Maßnahmen letztendlich zu einer Manifestation der Geschlechterunterschiede beiträgt.
Genderbezogen und sensibel Welche Bedeutung haben solche Tendenzen für die Musikpädagogik? In unserem Zusammenhang genauer nachgefragt: Welche Rückschlüsse müssen wir MusikpädagogInnen in Bezug auf das Singen daraus ziehen? Andreas Lehmann-Wermser bedauert in seinem elektronischen Artikel „Vom Verschwinden der Jungen aus der Musikdidaktik“4 die nahezu ausschließlich mädchenorientierte Sichtweise und fordert eine ebenso intensive Beschäftigung mit speziell jungenbezogenen Problemlagen. Damit formuliert Lehmann-Wermser die Notwendigkeit eines „Boys Turn“ für die Musikpädagogik sehr früh (2002). Lucy Green hat in einer vielbeachteten Untersuchung an englischen Schulen aus der Sicht der Lehrenden festgestellt, dass Singen als „Girls Job“ gesehen wird: 64 Prozent der befragten Lehrenden geben an, dass Mädchen im Singen erfolgreich („successful“) sind, demgegenüber wird den Jungen kein Erfolg zugeschrieben (0 %).5 Mit dieser Analyse wird eine Erwartungshaltung der Lehrenden festgemacht, die – abgesehen von einer problematischen Fragestellung (erfolgreiches Singen?) – in der Musikpädagogik auch eine generalisierende Wirkung zur Folge hat. Jürgen Budde
beschreibt in seinem Aufsatz „Wie Lehrkräfte Geschlecht (mit)machen“6 die Problematik solcher Generalisierungen und fordert einen Dreischritt: „Zuerst eine Dramatisierung der Differenz um die Bedeutung von Geschlecht in der konkreten Situation zu analysieren, in einem zweiten Schritt sollte dann ausdifferenziert werden, dass es nicht nur die Jungen und die Mädchen gibt, sondern eine Bandbreite von Heterogenitäten. Und zum dritten ist es sinnvoll, in der konkreten Interaktion stärker auf entdramatisierende Aspekte zu setzen.“7 Es sei also notwendig, die soziale Kategorie Gender „in den Köpfen aller an der Schule beteiligten“ noch stärker zu dramatisieren, für den pädagogischen Alltag würde allerdings eine „stärkere Entdramatisierung eine Perspektive gendersensibler Pädagogik für den Abbau von Geschlechterstereotypen bieten“.8 Die Wahrnehmung solcher Tendenzen kann pädagogische Interventionen nur dann sinnvoll beeinflussen, wenn sie das Deutungs- und Handlungspotenzial der PädagogInnen erweitert und nicht vereinfachend und vor allem nicht generalisierend einengt. Entscheidend ist das grundsätzliche Wissen dahinter, dass es sich eben nur um Tendenzen handelt und nicht für alle Mädchen und alle Jungen angenommen werden darf. Für das konkrete pädagogische Handeln bedeutet das, dass LehrerInnen genderbezogen, sensibel und flexibel in der jeweiligen Unterrichtssituation handeln müssen. Dazu ist eine entsprechende gendersen-
© highwaystarz_fotolia
11
sible Grunddisposition der Lehrperson Voraussetzung, die Bezug nimmt auf die vielfältigen Unterschiede innerhalb beider Geschlechtergruppen. Solchermaßen werden in der Geschlechterfrage aufgeworfene Probleme und Fragestellungen nicht lediglich als alleiniges Resultat biologischer Vorgegebenheit hingenommen. Soziale Prozesse, die im Prinzip auch veränderbar und steuerbar sind, müssen als entscheidende Faktoren geschlechtsbezogener Konzipierungen erkannt werden und erfordern jeweils situationsbezogenes Reagieren. Fehlt diese umfassende gendersensible Grunddisposition, läuft man Gefahr, den oben beschriebenen Dreischritt in ein vereinfachendes methodisches Grundmuster zu verengen, das den Schluss nahelegen könnte, dass man gendersensible Pädagogik auf diesem Grundraster problemlos abhaken kann. Besonders gefährlich ist es dann, wenn ein wenig reflektierter Umgang mit vorgefassten, gleichsam standardisierten Jungen- und Mädchenbildern, eine Verengung pädagogischen Handelns zur Folge hat. So gesehen ist aus heutiger Sicht eine „Entdramatisierung“ als Perspektive gendersensibler Pädagogik auch für die Musikpädagogik durchaus von Bedeutung, denn „dramatisierendes“ Verhalten trägt dazu bei, Geschlechtsstereotypen zu verstärken und damit wiederum den Spielraum für die je individuelle Entwicklung sowohl von Jungen als auch von Mädchen einzuengen.
Entdramatisierung nötig Eine Dramatisierung findet dann statt, wenn das Geschlecht zu einem alleinigen Kriterium für pädagogisches Handeln wird, das dann wiederum genderpolarisierend und -dramatisierend wirkt: Genau das passiert, wenn z. B. einem Jungen, der
sich entgegen allen Erwartungen für den Chor interessiert, höchste Aufmerksamkeit geschenkt wird und die Lehrkraft ihrer Begeisterung über einen singenden Jungen freien Lauf lässt. Damit wird einerseits den Mädchen signalisiert, dass es durchaus normal ist, dass sie singen wollen, denn es ist ja – wie oben beschrieben – ein „Girls Job“. Mädchen, die singen, entsprechen also durchaus den genderstereotypen Erwartungen und sind so gesehen nichts Außergewöhnliches. Anders bei dem Jungen: Ihm wird deutlich signalisiert, dass es etwas ganz Besonderes sei, wenn er zum (Chor-)Singen kommt. Damit wiederum wird ihm rückgemeldet, dass es eigentlich nicht den Rollenerwartungen an Jungen entspricht, wenn einer singen will. Genderunterschiede werden solchermaßen wieder festgeschrieben und verstärkt bzw. auch dramatisiert. Eine Entdramatisierung müsste vielmehr darauf abzielen, dem unter Umständen einzigen Jungen im Chor die Möglichkeit dieses Erlebnisraums tatsächlich zu eröffnen und erfahren zu lassen, ohne ihn und die Mädchen ständig daran zu erinnern, dass er ja eigentlich etwas tut, was den Normerwartungen an Jungen nicht entspricht. Geschlechtsrollenstereotypen engen beide, Mädchen und Jungen, ein. Differenzierung und Integration, Erweiterung von Handlungs- und Deutungsmustern, das Bewusstmachen festgefahrener, geschlechtsbezogener und einengender Verhaltensmuster, das Angebot neuer, jeweils ungewohnter Umgangsformen und Verhaltensweisen für Jungen und Mädchen sind für einen Musikunterricht, der die Genderperspektive in ihrer Vielfältigkeit berücksichtigt und umsetzen will, unverzichtbare Voraussetzung. Gerade im Handlungsfeld Singen kann gendersensibler Musikunterricht für die Entwicklung von Persönlichkeitsmerkma-
len Entscheidendes leisten: Jungen und Mädchen können unterschiedliche Qualitäten stimmlichen Ausdrucks und Einsatzes für sich erproben und (wieder) gewinnen, die eine Erweiterung und Differenzierung in Kommunikation und künstlerischem Gestalten ermöglichen. Das Handlungsfeld Singen stellt ein hohes Potenzial für eine Entdramatisierung der Genderfrage zur Verfügung. Singen als „Girls Job“ zu denken, ist kontraproduktiv: Zahlreiche Beispiele für gelungene Aktivierungen von Jungen in Chören und Ensembles zeugen davon. Sehr viele von diesen gelungenen Initiativen sind allerdings in reinen Jungenchören und -ensembles zu finden. Das lässt zumindest die Frage offen, ob es angebracht ist, in bestimmten Entwicklungsphasen Jungen und Mädchen in getrennten Formationen singen zu lassen. ))
1 Richard Münnich: Jale. Ein Beitrag zur Tonsilbenfrage und zur Schulmusikpropädeutik, Lahr 1930, S. 10; zit. nach Andreas Lehmann-Wermser: „Vom Verschwinden der Jungen aus der Musikdidaktik“, in: Zeitschrift für Kritische Musikpädagogik, Mai 2002, http://home.arcor.de/zfkm/lehmannw1.pdf (Stand: 22. September 2011). 2 Edgar Forster/ Barbara Rendtorff (Hg.): Jungenpädagogik im Widerstreit, Stuttgart 2011, S. 13. 3 ebd. 4 Andreas Lehmann-Wermser, a. a. O. 5 Lucy Green: Music, Gender, Education, Cambridge 1997, S. 151. 6 Jürgen Budde: „Wie Lehrkräfte Geschlecht (mit) machen – doing gender als schulischer Aushandlungsprozess“, in: Sabine Jösting/Malwine Seman (Hg.): Gender und Schule. Geschlechterverhältnisse in Theorie und schulischer Praxis, Oldenburg 2006, S. 45-60. 7 ebd., S. 58. 8 ebd.
Prof. Dr. Monika Oebelsberger ist Leiterin des Departement für Musikpädagogik am Mozarteum Salzburg.
12
musikschule )) DIREKT 3.2016
„Biophilia“ – Björks multimediales Gesamtkunstwerk
Meine App )) Die isländische Künstlerin Björk ist eine herausragende Erscheinung in der – „Musikwelt“, möchte man schreiben. Doch hier fängt das Problem der Einordnung bereits an. Denn auch wenn man sie nur als Musikerin betrachtet, hätte der gut sortierte Plattenhandel mehrere Möglichkeiten, ihre CDs abzulegen: mindestens gleichberechtigt unter „Pop“ und „Neue Musik“ oder „Avantgarde“. Doch Björk ist eben noch viel mehr: Interpretin, Komponistin, als Medienkünstlerin immer auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen, Videokünstlerin, als Performerin eine begnadete Selbstdarstellerin. Im Frühjahr 2015 wurde Björk im New Yorker Museum of Modern Art (MoMa) als erste „Popmusikerin“ mit einer Retrospektive geehrt. Nicht zuletzt kann Björk mit Fug und Recht auch als Pädagogin bezeichnet werden. Ihrem achten Studioalbum Biophilia lag zunächst die Idee zugrunde, Kindern und musikalischen Laien mithilfe interaktiver Medien musikalische Grundbegriffe näherzubringen. Frustriert von ihrem eigenen Musikunterricht, entwarf sie zunächst Pläne, ein leer stehendes Haus in Reykjavik zum Musikmuseum umzubauen, in dem jeder Raum einen musikalischen Gedanken hätte repräsentieren sollen. Unzählige weitere Ideen flossen in das Mammutprojekt Biophilia ein: die Darstellung von Phänomenen der Natur mittels Musik, eigens entwickelte elektronische Instrumente wie eine „Gravitationsharfe“, eine „singende Teslaspule“ oder eine über-
musikschule )) DIREKT erscheint
alle zwei Monate als Supplement zu üben & musizieren
Rüdiger Behschnitt
dimensionale Spieldose, genannt „Sharpsichord“. Für die Umsetzung ihrer übersprudelnden Fantasien gerade recht, brachte Apple 2010 das iPad auf den Markt. Hierin erkannte Björk die Chance, ihre Ideen umzusetzen, und verwendete das neue Tablet nicht nur zum Komponieren und zur Livesteuerung ihrer futuristischen Instrumente, sondern entwickelte ein Konzept für ein App-Album, dessen Erscheinen als herkömmliche Audio-CD nur die kleinstmögliche Manifestation darstellte. Die App Biophilia (iOS für 12,99 Euro, Android für 9,99 Euro) entführt uns in nahezu unendliche Weiten und enthält nicht nur alle zehn Songs der CD, sondern einen ganzen Kosmos an kunstvollen 3DAnimationen, Filmen, interaktiven Spielen und Hintergrundinformationen. Nach dem ersten Öffnen der App fliegen wir – wie bei Raumschiff Enterprise – in die Tiefen des Kosmos, bis sich Sternkonstellationen herausbilden, die sich zu einer kristallinen Struktur formen. Schon dies ein Abbild von Björks Intention, Makround Mikrokosmos zu erforschen: Handelt es sich tatsächlich um Sterngebilde oder ist dies bereits ein Blick in die molekulare Struktur, die alles im Innersten zusammenhält? Jeder Stern entspricht einem Song, mit dem Finger können wir die 3D-Struktur hin und her wenden und verformen, um uns schließlich durch Antippen für einen Stern (= Song) zu entscheiden. Wählen wir z. B. den Song Hollow, erreichen wir eine Menü-Oberfläche mit den
Möglichkeiten „play“, „animation“, „lyrics“, „score“, „credits“ und „read more“. Unter „score“ läuft der Song instrumental mit Partitur und Cursor ab; der Text ist unterlegt. Abteilung „lyrics“ bietet den reinen Text zum Lesen, „credits“ nennt die beteiligten Künstler. Unter „animation“ können wir den Song in Originalgestalt mit Björks Gesang hören, dazu eine grafisch animierte Darstellung. Hintergrundinformationen erhalten wir unter „read more“. Der Menüpunkt „play“ schließlich öffnet einen Film zum Song, der uns immer tiefer in die menschliche DNA-Struktur hineinzieht. Da Björk im Vorfeld der Entstehung von Biophilia intensiv mit National Geographic zusammengearbeitet hat, sollte man davon ausgehen, dass die mehrfach millionenvergrößerte Darstellung der Produktion menschlicher Proteine wissenschaftlich fundiert ist. In einem Spiel kann man Enzyme zu neuen DNA-Strängen formen. Alle diese Angebote beziehen sich, wir erinnern uns, nur auf einen Song! Doch auch zu jedem anderen der zehn Songs sind ähnliche oder auch ganz andere Möglichkeiten zu entdecken. Wer mehr über Biophilia und die Einsatzmöglichkeiten im Unterricht erfahren will, findet Informationen unter www.biophiliaeducational.org. Willkommen bei Björk – CD war gestern! )) Kennen Sie eine App, die Sie anderen Lehrkräften empfehlen möchten? Schreiben Sie uns: info@musikschule-direkt.de
Redaktion: Anja Bossen und Rüdiger Behschnitt Ständige Mitarbeiter: Jürgen Simon und Bernd Dahlhaus Layout: Rüdiger Behschnitt Grafik: Nele Engler