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Musizieren in der zweiten Lebenshälfte Das Verfahren der Kollegialen Beratung Steuern und Finanzen für Selbstständige
musikschule )) DIREKT Kevin und Chantal in der Musikschule Ich bin zusammen mit weiteren Kollegen bei einer Geigen-Kollegin eingeladen. Wir sitzen gemütlich bei Wein und Käse zusammen und diskutieren mal wieder die Probleme, die JeKi & Co. für die Musikschullehrkräfte mit sich bringen. JeKi steht dabei nicht nur für JeKi selbst, sondern für die Ganztagsproblematik, schwieriger werdende Kinder, Inklusion und andere Probleme, die der Musikschullehrer von heute vor allem in Kooperationen so hat. Ich erzähle von dem Buch Isch geh Schulhof – Unerhörtes aus dem Alltag eines Grundschullehrers (Bastei Lübbe, Mühlheim 2012), das ich kürzlich gelesen habe und das mich begeistert hat, weil es die Probleme, die wir gerade besprochen haben, richtig schön auf den Punkt bringt. Der Autor Philipp Möller beschreibt darin seine Unterrichtserfahrungen als (Musik-)Lehrer an einer Berliner Brennpunkt-Grundschule. Alle in der Runde nicken wissend, als ich davon erzähle. Genau so ist es. Ich fasse mein Lieblingskapitel aus dem Buch zusammen, in dem es um „Chantalisierung“ und „Kevinisierung“ geht, und frage in die Runde, wer den berühmt-berüchtigten Ausspruch einer Lehrerin kennt, „Kevin“ sei kein Name, sondern eine Diagnose: „Kevin“ als fleischgewordene Häufung von ADHS, vergessenem Ritalin, Bildungsferne und alleinerziehenden Müttern, die morgens nicht aus dem Bett kommen – und „Chantal“ als weibliches Pendant. Kann jemand von uns diese „Diagnose“ aus seinem eigenen Unterricht bestätigen? Hat überhaupt schon mal jemand einen Kevin oder eine Chantal unterrichtet? Ich jedenfalls nicht – nicht einen einzigen Kevin hatte ich in 25 Jahren Musikschulunterricht, und auch keine Chantal. Die Kolleginnen und Kollegen grübeln. Leonie, Sarah und Marie-Sophie, Torben, Jasper und Niklas-Elias lassen sich finden, neuerdings auch Muhammed, Murat, Gülay oder Mirna, allerdings nur im JeKi-Unterricht und nicht an der Musikschule. Dann sagt unsere Gastgeberin: „Doch, ich hatte mal einen Kevin. Der war neun und sehr gebildet. Als ich mit ihm einen Bach-Choral spielte, fragte ich ihn, ob er denn wisse, was ein Choral sei. Kevin antwortete: ,Doch, das weiß ich. Das wächst auf dem Meeresboden‘.“ Schade, dass niemand von uns schon mal eine Chantal im Unterricht hatte. Anja Bossen
)) „Kinder zur Musik bringen“ – und nicht nur solche, deren Eltern es sich leisten können. Diesem Ziel haben sich mit dem gleichnamigen Projekt die Städtische MaxBruch-Musikschule Bergisch-Gladbach, der Rheinisch-Bergische Kreis, der Kinderschutzbund Rhein-Berg und das Jobcenter Rhein-Berg im Rahmen des Bildung- und Teilhabepakets verschrieben. In vier verschiedenen Kursen können Kinder von 15 Monaten bis ins Jugendalter im Chor singen, den Rhythmus des Sambas fühlen, im Eltern-Kind-Kurs schnuppern und eine Klangwerkstatt erleben. Die Kooperationspartner haben es sich zum Ziel gesetzt, allen Kindern, ganz unabhängig von der finanziellen Situation ihrer Eltern, zu ermöglichen, Musik zu erleben und kennenzulernen. Sogar eine kostenfreie Teilnahme ist möglich. Das Projekt beginnt am 1. Oktober 2014 und ist zunächst auf ein Jahr ausgelegt. Wenn es erfolgreich verläuft, soll es über den 30. September 2015 hinaus fortgesetzt werden. Die Kurse dauern je sechs Monate. ))
) Sie haben Fragen, Anregungen, Tipps oder Hinweise für die Redaktion? ) Sie möchten sich kritisch äußern zu unseren Themen und Beiträgen oder haben Vorschläge für neue Themen? Schreiben Sie uns: info@musikschule-direkt.de
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Herausforderungen für Pädagogik und Angebote der Musikschulen
Musizieren in der zweiten Lebenshälfte Der demografische Wandel wird häufig umschrieben mit der Kurzformel „Älter – bunter – weniger“. Dahinter verbergen sich die Alterung der Gesellschaft, die externe und interne Migration sowie das Sinken der Bevölkerungszahl. Alle drei Trends haben Auswirkungen auf die Entscheidungen von Kultureinrichtungen und insbesondere auf die strategische Ausrichtung von Musikschulen.
)) Für die Wirtschaft und auch für die Musikschulen stellt das Marktsegment der Älteren sowohl quantitativ als auch hinsichtlich der finanziellen Möglichkeiten künftig eine sehr wichtige Zielgruppe dar. Wer auf die speziellen Bedürfnisse dieser Menschen einzugehen vermag, hat gute Chancen auf wirtschaftliches Wachstum und Stabilität. Bei den Ausgaben für Kulturangebote liegen die 50- bis 65-Jährigen weit vorne mit durchschnittlich 100 bis 250 Euro pro Jahr. Sie stellen besonders hohe Ansprüche an die Qualität. Spartenspezifisch betrachtet rangiert die Musik auf der Beliebtheitsskala der älteren Erwachsenen ganz oben: Zu 70 bis 80 Prozent nennen sie das Hören von Musical, Oper und Operette als beliebteste Freizeitbetätigung.1 Musik ist ein Lebenselixier für Jung und Alt. Menschen in ihrer zweiten Lebenshälfte entdecken für sich selbst beispielsweise die Musik, von der sie bereits in frühen Jahren fasziniert waren, als prägendes Element ihres Alltags wieder. Entweder beginnen sie, ein Musikinstrument zu erlernen, oder sie knüpfen an einst erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten wieder an. Aktives Musizieren, Singen oder Tanzen kann bis ins hohe Alter hinein wieder zu einer lebendigen Erfahrung werden und soziale Netzwerke fördern und stärken.
Vorsicht vor neuen Klischees von den „jungen Alten“! Das in der Werbung und Konsumforschung gezeichnete Idealbild einer mobilen, konsumfreudigen Generation 50 + trifft nur auf etwa 20 bis 30 Prozent der Menschen dieser Altersgruppe zu.2 Dem entspricht auch das Interesse am Kulturleben in der Region: Jeweils knapp ein Drittel der Befragten sind „stark oder sehr stark“ am Kulturgeschehen interessiert (30 %) bzw. „wenig oder überhaupt nicht“ (31 %); 39 Prozent der Befragten bezeichnen dieses Interesse als „durchschnittlich“. Neben dem Alter wird die kulturelle Partizipation primär durch die Gesundheit, die Schulbildung, die wirtschaftliche Lage, einen eventuellen Migrationshintergrund sowie das soziale und familiäre Umfeld beeinflusst.
Hohe Bildungsmotivation im Alter Das Gros der Menschen im Alter zwischen 50 und 70 Jahren ist davon überzeugt, dass künstlerische Fertigkeiten (z. B. ein Instrument spielen oder ein Bild malen zu können) durchaus auch noch im Alter erlernbar sind. Ein Drittel der bisher nicht künstlerisch Aktiven zeigt zudem Interesse an entsprechenden Angeboten. Das Interesse der Generation 50+ an künstlerischen Tätigkeiten könnte auf mittlere Sicht dazu genutzt werden, auch Musikschulen trotz des demografischen Wandels optimal auszulasten. Nötig sind dafür geeignete Angebote, wie sie zunehmend von Musik- und Kunstschulen, Chören und Laienorchestern, Volkshochschulen und kirchlichen Bildungseinrichtungen sowie anderen Trägern der kulturellen Bildung bereitgestellt werden.
Asmus J. Hintz
Die bevorzugten Gruppenkonstellationen für Angebote zur künstlerisch-kreativen Eigenaktivität in der Freizeit werden von den befragten Personen wie folgt angegeben: 37 Prozent bevorzugen Teilnehmer „in meinem Alter“, 37 Prozent fühlen sich eher wohl in einer altersgemischten Teilnehmergruppe und 25 Prozent ist es „persönlich egal“. 29 Prozent sind schon einmal in der Freizeit künstlerisch aktiv gewesen, 22 Prozent gehen aktuell einem künstlerischen Hobby nach. Von diesen spielen elf Prozent aktuell ein Musikinstrument und elf Prozent geben an, die Musik als früheres Hobby ausgeübt zu haben. In dieser Gruppe sind die 60- bis 69-Jährigen am stärksten vertreten. Drei Prozent der Befragten ohne künstlerische Hobbys sind auf jeden Fall interessiert, geeignete Angebote aufzusuchen. Allerdings: Der Anteil von Neueinsteigern bei künstlerisch-kreativer Eigenaktivität liegt unter älteren Menschen derzeit nur bei einem Prozent.3 Das Gros der heute Aktiven war auch in jüngeren Jahren schon kulturell engagiert.
Musikvermittlung für ältere Erwachsene Im Alter noch ein Instrument erlernen? Die Antwort lautet: Ja! Zu unterscheiden ist zwischen Wiedereinsteigern und Anfängern. Wer früher ein Instrument gespielt oder gesungen hat, kann relativ leicht die latent vorhandenen Fähigkeiten aktivieren und darauf aufbauen: Obwohl längere Zeit nicht praktiziert, sind sie abrufbar und durch Übung zu entwickeln. Das körpereigene Instrument, die Stimme, steht allen Menschen zur Verfügung. Die Fertigkeit des Singens kann auch im Erwachsenenalter leicht erworben, wieder
© Inken Kuntze-Osterwind
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aktiviert und verbessert werden. Generell gilt: Anfänger haben vergleichsweise mehr Herausforderungen zu meistern, aber das Gehirn des älteren Erwachsenen kann neue Informationen rasch und ökonomisch verarbeiten. Die Feinmotorik und die Beweglichkeit der Finger sind bis ins hohe Alter trainierbar. Beim Musizieren werden Hirnareale aktiviert, die bei anderen Tätigkeiten nicht angesprochen werden. Es kann wie ein Fitnesstraining für das Gehirn wirken und auch im Alter die kognitive Leistungsfähigkeit stärken, somit als „Chance bewusster Lebensgestaltung“ verstanden werden. Wichtige Erfolgsfaktoren sind die Auswahl der Musikstücke, des Instruments sowie die Lernsituation. Musik und eigenes Musizieren bieten vielfältige Möglichkeiten mit positiven Auswirkungen auf die Lebensgestaltung. Im Folgenden wird über die Erfahrungen eines Pilotprojekts berichtet, das der Verfasser von 2004 bis 2006 in Hamburg mit 80 Erwachsenen im Alter von 48 bis 78 Jahren durchgeführt hat.4 Im Mittelpunkt stand die Erprobung von Handlungsmodellen mit dem Schwerpunkt Musikvermittlung für Menschen ab 50 Jahren. Es wurde gesungen, mit verschiedenen Instrumenten musiziert und ein allgemeiner, auf die Erfahrungen und die Lebenssituation der Teilnehmer abgestimmter Austausch über Musik im Gespräch oder anlässlich verschiedener Vorträge gepflegt. Das Musikvermittlungsangebot sollte den Interessenten größtmögliche Freiheit in der Auswahl der Einzelaspekte überlassen. Hinsichtlich der inhaltlichen Angebote wurden die Teilnehmer in drei Gruppierungen eingeteilt: ) Menschen, die gern mit Gleichgesinnten in altersgemischten Gruppen ihren Interessen nachgehen möchten. Hierunter gibt
es aktive und passive Musikhörer, ehemalige und aktive Instrumentalisten sowie solche, die musikalisch vor- und musikalisch unerfahren sind. ) Menschen, die sich aufgrund ihrer Handicaps und Sorgen in altersähnlichen Gruppen ihre Bedürfnisse erfüllen und Freude erleben möchten. ) Menschen, die nach Anregungen suchen, wie sie ihr Leben allein oder in der Gruppe angenehmer, freudvoller und abwechslungsreicher gestalten können. Grundsätzlich zeigte sich in allen drei Gruppen, dass ältere Erwachsene einen hohen Selbstanspruch und daraus resultierend größere Versagensängste hatten. Der „Beschäftigungsstatus“ reichte von VollBerufstätigen, Frühpensionierten, Rentnern, Hausfrauen und -männern bis zu Menschen mit gesundheitlichen Handicaps. Die Freizeitbetätigungen der älteren Erwachsenen zum Zeitpunkt des Pilotprojekts bestanden aus Singen im Chor, Yoga, Fitness und Sport, Reisen, dem Kontakt mit Enkelkindern sowie der Nutzung allgemeiner kultureller Angebote (Theater- und Konzertveranstaltungen, Ausstellungen).
Erkenntnisse aus dem Pilotprojekt Die älteren Erwachsenen zeigten Ansprüche und Erwartungen5 ) an das Angebot: andere Lernatmosphäre, musikalische Aktionen, kein aufbauender Unterricht, interessante Vorträge, Musik „zum Anfassen“ erleben ) an sich selbst: eigene Fähigkeiten entdecken, das Alter annehmen und schauen, was geht; entdeckendes Lernen praktizieren, Aktivitäten selbst planen, eigene Lernkonzepte entwickeln ) an das Programm: Geselligkeit und Austausch haben einen großen Stellenwert,
nichts „Verschultes“; leichte Anforderung, kein strenges Curriculum ) an die Materialien: viele bildhafte Darstellungen, geringer Textumfang, große Schrift, klare Botschaften ) an das Musizieren: Wahl und Wechsel eines Schwerpunktinstruments sollten innerhalb des Programms möglich sein, im Ensemble musizieren und gemeinsam singen; möglichst rasch seinen Wunschtitel spielen, etwas über den Komponisten erfahren, das Original anhören und sich darüber austauschen ) an weitere inhaltliche Komponenten: moderierte „Fantasiereisen“ mit Musikunterstützung, kreatives Schreiben bzw. Malen, Rhythmus und Tanz, „Wellness“ mit Musik, Musik zum Mitspielen und Musizieren ohne häusliches Üben ) an die Rahmenbedingungen: bequeme Sitzplätze in ausreichender Zahl, Möglichkeiten zum Gespräch und Austausch untereinander, flexible Angebotszeiten. Außer der Möglichkeit zum Erlernen der Instrumente Klavier, Keyboard, E-Gitarre, E-Bass, akustische Gitarre, Saxofon, Querflöte sowie von Popgesang wurden Vorträge oder Workshops zu folgenden Themen angeboten: „Musik hören – aber wie?“, „Gesungene Konflikte – Don Giovanni, ein Mann zwischen Himmel und Hölle“, „CDProduktion heute – Wie kann ich mit einem Laptop CDs produzieren?“, „Drumsland – Geschichte und Funktion des Schlagzeugs“, „Von Orfeo bis Starlight Express – Entwicklung von Oper, Operette, Musical“, „Das Fundament – Kontrabass und Bassgitarre“, „Frühkindliche Musikalisierung – Wie lernen Kinder?“, „Malerische Fähigkeiten der Musik – Bilder vertonen“, „Gitarrenwelt – Wozu braucht man so viele verschiedene Gitarren?“ Was gefiel den Erwachsenen an den Vorträgen und Workshops?6
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„Natürlich werde ich meinen Kindern, Enkelkindern und Freunden erzählen, welche tollen Angebote zum Musizieren es für sie alle gibt, und ihnen den Besuch dieser Einrichtung empfehlen.“ * ) die Themen ) die Vorträge der Gastdozenten ) die Nähe zu den Dozenten (praktisch zum Anfassen) ) die Möglichkeit, Fragen stellen zu können ) die Möglichkeit, ausprobieren zu können ) ernst genommen zu werden, egal wie „dumm“ die Frage ist ) das Aha-Erlebnis ) der Einsatz von Instrumenten oder der Stimme ) die einfache Orientierung im Notensystem ) die schnellen Erfolgserlebnisse ) der Spaß in der Gruppe
Bedeutsame Aspekte ) Programm: Das Programm für den Instrumentalunterricht sollte sich besonders für den Gruppenunterricht eignen und zusätzlich das Selbststudium fördern. ) Stundeneinstieg: u. a. mithilfe von Moderationsmethoden (Kartentechnik oder MindMapping), um die (Tages-)Bedürfnisse abzufragen. ) Gruppenarbeit: Alle zwei Wochen 90 Minuten Unterricht, aufgeteilt in 45-minütige Programmmodule, außerdem Probeunterricht nach Bedarf zum Kennenlernen unterschiedlicher Instrumente; fünf bis zehn Minuten Konzertvortrag durch die Lehrkraft oder eine andere Fachkraft, Kommunikation und Geselligkeit – sinnvoll und bedürfnisorientiert über die 90 Minuten verteilt. Zwischen den Terminen steht den Teilnehmenden idealerweise der Raum auch ohne Moderator(in) zur Verfügung. ) Gruppenleitung: weg von der Lehrerrolle, eher als Moderator, Coach, Begleiter, Berater, Kommunikator wirken; bedürfnisorientiertes Begleiten der Gruppe, zuhören können und dadurch helfen, Stimmungen aufzufangen und zu kanalisieren.
Konsequenzen für Musikschulen Das Programm für die Musikvermittlung sollte im Schwierigkeitsgrad leicht ansteigendes Material anbieten und für Zusammenkünfte der Interessenten in regelmäßigen Zeitabständen konzipiert sein (wöchentlich oder 14-tägig). Bewährt haben sich Treffen mit Clubcharakter, das heißt, die Kommunikation unter den älteren Erwachsenen erhält einen größeren Stellenwert als bei herkömmlichen Unterweisungs- oder Unterrichtssituationen. Um dieses Anliegen zu unterstützen, kann die gemeinsame Zeit beispielsweise aufgeteilt werden in zwei Arbeitseinheiten mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung und einer ausreichend bemessenen Pause dazwischen. Auch Quereinsteiger finden leicht den inhaltlichen Anschluss an eine bestehende Gruppe, wenn die Lieder, Mitspielsätze und Klangspiele auch ohne Voraussetzungen musikalisch umsetzbar sind und das bereits Gelernte in den Ensembles regelmäßig gefestigt wird. Die Musikvermittlungsangebote haben vielfach (wiedererwachende) Lebensfreude bei den Teilnehmern ausgelöst. Durch spezielle Angebote für Menschen ab der Lebensmitte erweitert sich der Kreis derjenigen, die ihr Leben mit Musik gestalten und bereichern können. Musikangebote für diese Altersgruppe steigern deren Lebensqualität und fördern die Teilnahme am öffentlichen Leben (Anschluss an Gruppen, Aufsuchen eines Treffpunkts außerhalb der eigenen Wohnung, Vorführung des Gelernten vor anderen). Musikschulen sollten durch entsprechende Musikvermittlung künftig verstärkt heterogenen Bevölkerungsschichten unterschiedliche Wege zur Musik anbieten, An-
näherung und Verständnis für Musik in ihrer Vielfalt bewirken. Es lohnt sich, ältere Menschen zu ermutigen, das eigene Musizieren, in welcher Form und auf welcher Fähigkeitsstufe auch immer, als selbstverständlichen Bestandteil ihres Lebens zu verstehen und ihnen eine Perspektive für eine sinnerfüllte Lebensgestaltung im Alter aufzuzeigen. Das Überleben der Musikschulen hängt u. a. davon ab, ob und wie sie es schaffen, verstärkt Angebote für ältere Erwachsene zu entwickeln. Denn diese werden in wenigen Jahren die Mehrheit der Bevölkerung repräsentieren. ))
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Untersuchung „Kulturbarometer 50 +“ des Zentrums für Kulturforschung. 2 vgl. Zentrum für Kulturforschung: „KulturBarometer 50 +. Zusammenfassung von Ergebnissen der Repräsentativumfrage mit ersten Schlussfolgerungen“ (2007), siehe z. B. www.kulturvermittlung-online.de/pdf/kurztheseninfo.pdf (Stand: 23. Juli 2014). 3 vgl. Hans Hermann Wickel: „Bedeutung des Musizierens für ältere Erwachsene“, Luzern 2012, www.hslu.ch/download/m/forschung%5Cmusikalter/m-musik-alter-2012-Wickel-ppt.pdf (Stand: 23. Juli 2014). 4 vgl. Asmus J. Hintz: „Wenn ältere Erwachsene zum Instrument greifen“, in: neue musikzeitung 4/2007, www.nmz.de/artikel/wenn-aeltereerwachsene-zum-instrument-greifen (Stand: 23. Juli 2014). 5 Die hier geschilderten Ergebnisse sind nach wie vor gültig. 6 Die Reihenfolge der Nennungen gibt keine Priorität an. * Feedback eines Teilnehmers eines Musikvermittlungsangebots für ältere Erwachsene.
Asmus J. Hintz ist Professor am Institut für Kultur- und Medienmanagement an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg mit den Schwerpunkten Mitarbeiterführung, Personal- und Organisationsentwicklung sowie Geschäftsführer der conmusica gmbh – Institute for Modern Music Education.
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Was im Unterricht urheberrechtlich zu beachten ist
Auf der sicheren Seite Auch beim Singen und Musizieren an der Musikschule oder im Kindergarten stellen sich urheberrechtliche Fragen. Rechtsanwalt Christian Vranckx erläutert, was erlaubt ist und was vermieden werden sollte.
) Viele Lehrkräfte sind unsicher, inwieweit sie bei ihrer Arbeit urheberrechtliche Vorschriften einhalten müssen. Gilt das Urheberrechtsgesetz denn überhaupt für das Singen und Musizieren an der Musikschule? Christian Vranckx: Auch beim Musizieren in der Musikschule müssen einige rechtliche Regeln beachtet werden. Wie immer gilt bei Musikstücken, dass der Urheberrechtsschutz erst 70 Jahre nach dem Tod des Komponisten erlischt. Dann ist das Werk „gemeinfrei“, z. B. ein altes Volkslied. Es darf auf unterschiedlichste Weise verwertet werden, das heißt, es darf gesungen werden, die Noten oder Liedtexte können kopiert werden oder man darf ein Video mit singenden Schülerinnen und Schülern ins Internet stellen. ) Aber auch gemeinfreie Lieder können geschützt sein, oder? Christian Vranckx: Das ist richtig. Wenn zum Beispiel ein Künstler ein gemeinfreies Lied auf CD aufgenommen hat, steht ihm ein Leistungsschutzrecht zu – also der Schutz für die Interpretation, die Tonaufnahme. Man darf die CD dann grundsätzlich nicht kopieren, das Lied aber selbst auf CD einsingen.
) Bedeutet dies im Umkehrschluss, dass aktuelle Stücke in der Musikerziehung nicht eingesetzt werden dürfen? Christian Vranckx: Hier ist die Verwertungsform entscheidend. Auch aktuelle Werke dürfen in Kitas oder Musikschulen gesungen oder gespielt werden. Ob bei öffentlichen Aufführungen, an denen Verwandte teilnehmen, Abgaben an die GEMA zu leisten sind, ist umstritten und hängt vom Einzelfall und der Größe der Veranstaltung ab. Bei Aufführungen von Kindern ohne Eintritt, bei denen der musikpädagogische Aspekt im Vordergrund steht, müssen keine Lizenzgebühren gezahlt werden. ) Darf ich eine CD mit Hörbeispielen aus verschiedenen CDs für meine Schülerinnen und Schüler zusammenstellen? Christian Vranckx: Hier muss man wieder unterscheiden: Sind die Werke „gemeinfrei“ und bestehen keine Leistungsschutzrechte, wie vorhin beschrieben, kann ich das bedenkenlos tun. Sobald aber aktuelle Werke dabei sind, wäre dies eine Vervielfältigung der Hörbeispiele, die eigentlich nur für private Zwecke zulässig ist. Allerdings dürfen kleine Teile eines Werks, z. B. zwei Arien aus einer Oper, oder Werke geringen Umfangs wie ein Lied zu Unterrichtszwecken kopiert werden. Dies betrifft sowohl Musik als auch Text. Wenn Sie aber z. B. eine ganze CD mit unterschiedlichen Liedern zusammenstellen, seien es nun Versionen von Künstlerinnen und Künstlern oder selbst eingesungene Lieder, handelt es sich um eine „Sammlung“. Diese CD darf nicht in Mu-
Christian Vranckx
sikschulen eingesetzt werden, in Kitas nach herrschender Auffassung aber schon. Auch dann darf die CD aber nur im Unterricht und zu dessen Vor- und Nachbereitung verwendet werden. Eine Weitergabe an die Eltern dürfte in keinem Fall gestattet sein. ) Was raten Sie Lehrkräften, um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein? Christian Vranckx: In der Kindergruppe oder im Unterricht darf alles gespielt und gesungen werden! Volkslieder oder andere gemeinfreie Werke dürfen außerdem bedenkenlos auf eigene Tonträger eingespielt und den Kindern mit nach Hause gegeben werden. Werke, deren Komponist noch nicht 70 Jahre tot ist, würde ich weder kopieren noch auf CD einspielen. ) Gibt es etwas, das auf jeden Fall vermieden werden sollte? Christian Vranckx: Die Todsünde ist das Einstellen nicht gemeinfreier Werke, Lieder und Liedtexte ins Internet. Hier können kostspielige Abmahnungen drohen. Aber auch das Kopieren von Noten ist nur zulässig, wenn vorher eine Vereinbarung mit der VG Musikedition geschlossen wurde. Diese kann aber für wenig Geld und sehr unbürokratisch abgeschlossen werden. ))
Dr. Christian Vranckx ist Partner der Rechtsanwaltskanzlei rohwedder | partner in Mainz. Zu den Schwerpunkten seiner Arbeit zählen das Urheber- und Lizenzrecht.
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Von „EÜR“ bis „KAP“
Reinhild Spiekermann
Ein ungeliebtes, aber wichtiges Thema: Steuererklärung für freiberufliche Instrumentallehrkräfte Wir beenden unsere sechsteilige Serie zur Selbstständigkeit von Instrumentalpädagogen mit einem Beitrag zum Thema „Steuern und Finanzen“.
)) Wer sich als Instrumentallehrkraft selbstständig machen möchte, muss sich beim zuständigen Finanzamt anmelden, das heißt die Aufnahme einer selbstständigen (freiberuflichen) Tätigkeit mitteilen. Hierzu reicht ein klassischer Einzeiler: „Hiermit melde ich zum … [Datum] eine selbstständige Tätigkeit als Instrumentallehrer [oder Musiklehrer] an.“ Das Finanzamt übersendet dann einen Fragebogen zur steuerlichen Erfassung („Aufnahme einer gewerblichen, selbstständigen (freiberuflichen) oder land- und forstwirtschaftlichen Tätigkeit“). Alternativ kann man sich das Formular auch bei der Bundesfinanzverwaltung herunterladen (www.formularebfinv.de, Formular-ID: 034250) und sofort ausgefüllt mitschicken. Im Fragebogen werden zunächst persönliche Identifikationsmerkmale abgefragt (u. a. die Steueridentifikationsnummer, die 2008 jede in Deutschland gemeldete Person vom Bundeszentralamt für Steuern erhalten hat). Unter Art der Tätigkeit ist „Freie Musiklehrkraft“ einzutragen – das Unterrichten eines Instruments stellt kein Gewerbe dar. Nach Abfrage weiterer Daten – u. a. Anschrift des Unternehmens, Kommunikationsverbindungen, Beginn der Tätigkeit, eventuell weitere Betriebsstätten, Gründungsform (in der Regel zunächst Neugründung) – müssen dann „Angaben zur Festsetzung der Vorauszahlungen“ gemacht werden. Während bei Arbeitnehmern jeden Monat die Lohnsteuer automatisch einbehalten wird, muss der Selbstständige quartalsweise Steuervorauszahlungen leisten. Diese bemessen sich
nach dem voraussichtlichen Jahresgewinn, der sorgfältig und realistisch geschätzt werden sollte. Es ist sinnvoll, für diese Vorauszahlungen Rücklagen zu bilden, selbst wenn zu Beginn einer Berufstätigkeit der Verdienst häufig noch niedrig ist und wenig (oder gar keine) Steuern gezahlt werden müssen. Die Art der Gewinnermittlung ist die Einnahmenüberschussrechnung. Im letzten Teil des Formulars geht es um Anmeldung und Abführung der Umsatzsteuer, die sogenannte Kleinunternehmerregelung bzw. um eine eventuell erlangte Umsatzsteuerbefreiung.
Einkommensteuererklärung Das deutsche Steuergesetz kennt sieben Einkunftsarten, die als Gewinn- bzw. Überschusseinkünfte kategorisiert werden. Als Freiberufler erzielt man „Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit“, was zu den Gewinneinkünften gehört. (Als TVöD-Lehrkraft hat man „Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit“, die Überschusseinkünfte darstellen.) Die Höhe der zu entrichtenden Einkommensteuer hängt maßgeblich vom Gewinn ab. Dieser Gewinn ist im Rahmen einer Gewinnermittlung zu benennen. Dies geschieht in Form einer Einnahmeüberschussrechnung. Auf ein Steuerjahr bezogen werden alle Einnahmen erfasst, sodann steuerrelevante Ausgaben (Betriebskosten) davon abgezogen: Die Differenz ist der Gewinn, auch Einkünfte oder Einkommen genannt. Liegen die Einnahmen unter 17 500 Euro, reicht dem Finanzamt eine formlose Aufstellung von Einnahmen, Ausgaben bzw. dem ermittelten Gewinn. Wer über dieser Grenze liegt, muss seine Einnahmenüberschussrechnung auf dem amtlichen Formular „EÜR“ machen. Somit benötigt man bei einer Steuererklärung auf jeden Fall
folgende Formulare: den Hauptvordruck (für persönliche Angaben, Sonderausgaben, Kinderbetreuungskosten etc.), die Anlage „S“ für die selbstständigen Einkünfte und gegebenenfalls die Anlage „EÜR“. Weitere Anlagen können je nach individueller Situation dazukommen (z. B. Anlage „Kind“, Anlage „KAP“ für die Erklärung von Zinseinkünften). Das schlussendlich zu versteuernde Einkommen wird ermittelt, indem vom Gewinn noch Sonderausgaben (z. B. Vorsorgeaufwendungen, Kirchensteuer), außergewöhnliche Belastungen, eventuelle Freibeträge für Kinder oder auch der Alleinerziehendenentlastungsbetrag abgezogen werden. Liegt das zu versteuernde Einkommen unter dem Grundfreibetrag von derzeit 8 354 Euro, muss man gar keine Steuern entrichten. In den ersten Berufsjahren können durchaus Verluste entstehen, die als Verlustvortrag oder Verlustrücktrag mit Einkünften anderer Jahre verrechnet werden können. Freiberufler müssen ihre Steuererklärung elektronisch übermitteln und unterschreiben. Zur Erstellung der Steuererklärung kann man das Steuerprogramm ElsterFormular (kostenlos unter www.elsterformular.de) nutzen, für die elektronische Unterschrift muss man sich unter www.elsteronline.de mit der Steueridentifikationsnummer registrieren und eine Authentifizierungsvariante wählen.
Betriebseinnahmen und -ausgaben Auf der Einnahmenseite stehen in erster Linie Honorare aus Unterrichtstätigkeit und Auftrittsgagen. Aber auch Tantiemen von Verwertungsgesellschaften, Verkaufserlöse (z. B. aus dem Verkauf eines Instruments, das bislang Teil des Betriebsvermö-
© Cordula Obergassel, HfM Detmold
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gens war) oder Einnahmen in Geldeswert (sollte der Schüler beispielsweise in Sachleistungen „bezahlen“) sind Einnahmen. Welche typischen Betriebsausgaben können beim Instrumentallehrer anfallen? Grundsätzlich unterscheidet das Finanzamt zwischen Kosten, die man für die private Lebensführung hat, und denen, die berufsbedingt entstehen und damit steuermindernd geltend gemacht, also „von der Steuer abgesetzt“ werden können. Hierzu zählen Arbeitsmittel wie Noten, Fachbücher und -zeitschriften, Instrumentenzubehör, aber auch Instrumente selbst. Bei Bürokosten können beispielsweise Telekommunikationskosten, aber auch die Anschaffung eines PCs mit Zubehör geltend gemacht werden. Der Anteil beruflicher bzw. privater Nutzung sollte prozentual ermittelt und entsprechend belegt werden. Bei Wirtschaftsgütern, die brutto mehr als 1 190 Euro kosten, erfolgt eine Verteilung des Kaufpreises auf die Nutzungsdauer (Angaben hierzu z. B. unter www.bundesfinanzministerium.de, Suchwort: AfA-Tabelle; bei Musikinstrumenten muss man gegebenenfalls eine realistische Frist selbst ansetzen oder sich auf Finanzgerichtsurteile beziehen). Diese „Absetzung für Abnutzung“ wird zeitanteilig, nämlich monatsgenau erfasst. Handelt es sich um geringwertige Wirtschaftsgüter zwischen 178,50 Euro und 1 190 Euro brutto, dann kann man sie in einen Sammelposten einstellen und auf fünf Jahre abschreiben. Voraussetzung ist aber, dass sie selbstständig nutzbar sind, was bei Peripheriegeräten mitunter zu Problemen führen kann. Nur bei geringwertigen Wirtschaftsgütern unter 178,50 Euro erfolgt eine sofortige Absetzung im Ganzen. Fahrtkosten zur Betriebsstätte (z. B. zum angemieteten Atelier), zu Auftritts- und Probenorten oder zum Instrumentenbauer
sind absetzbar. Bewerbungs- und Akquisekosten gehören zu den absetzbaren Kosten (unabhängig, ob sie zum Erfolg führten oder nicht), auch Beiträge zu Berufsverbänden oder spezifischen Versicherungen. Betriebsausgaben werden weiterhin ausgelöst durch ein angemietetes Studio, einen externen Unterrichtsraum o. Ä. Beim häuslichen Arbeitszimmer gilt jedoch, dass die anfallenden Kosten für Heizung, Strom, Wasser, Miete/Schuldzinsen, Hausratversicherung etc. (anteilig in Relation zur gesamten Wohnfläche) nur dann in voller Höhe absetzbar sind, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen Betätigung darstellt. Es darf sich außerdem nicht um ein Durchgangszimmer oder eine Arbeitsecke handeln, auch darf der Raum nicht mit Gegenständen bestückt sein, die privat genutzt werden. Der Steuerabzug ist auf 1 250 Euro beschränkt, wenn man bei Unterrichtstätigkeit außerhalb das häusliche Arbeitszimmer lediglich zum Üben, Proben oder für Unterrichtsvorbereitungen nutzt und hierfür kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Da es in diesem Bereich viele Auffassungsunterschiede zwischen Musikern und Finanzamt gegeben hat und gibt, ist es hilfreich, sich über einschlägige Gerichtsurteile aktuell zu informieren (z. B. unter www.mediafon.net, Suchwort: Arbeitszimmer). Auch hinsichtlich der Absetzbarkeit von Bildungskosten (Aus- und Weiterbildung) gibt es immer wieder neue Informationen, hilfreich ist hier das jeweils aktuelle Finanztest spezial „Steuern“ (www.test.de).
er aufschlagen (bzw. den ermäßigten Steuersatz von sieben Prozent). Diese muss er dann ans Finanzamt abführen, jedoch kann er vorher die Mehrwertsteuer, die er selbst für Produkte und Dienstleistungen bezahlt hat, abziehen („Vorsteuerabzug“). „Kleinunternehmer“ können wählen, ob sie Umsatzsteuer erheben oder nicht. Kleinunternehmer ist man, wenn die Einnahmen im Vorjahr 17 500 Euro, im laufenden Jahr 50 000 Euro nicht überschreiten. Die Option, Umsatzsteuer zu bezahlen und auf die „Kleinunternehmer“-Regelung zu verzichten, sollte man nur wählen, wenn man auf der Betriebsausgabenseite hohe Mehrwertsteuern zu zahlen hat, was eventuell bei Anfangsinvestitionen (Anschaffung von Instrumenten, Inventar) der Fall sein kann. Für selbstständige Instrumentallehrkräfte ist es jedoch fast immer sinnvoll, eine Umsatzsteuerbefreiung zu beantragen: Entweder ist die Musikschule, an der man als Honorarkraft arbeitet, umsatzsteuerbefreit (Beleg geben lassen) oder man beantragt die Befreiung bei der zuständigen Landesbehörde (unter Umständen mit Kosten verbunden). Die Hilfe eines Steuerberaters kann gerade zu Beginn einer freiberuflichen Tätigkeit sehr sinnvoll sein, insbesondere was die Komplexität des Themas „Umsatzsteuer“ angeht. Was einem aber keiner abnimmt: sämtliche Belege strukturiert zu sammeln und zehn Jahre aufzubewahren. Einen Vorteil hat es jedoch: Man hat jederzeit die Übersicht über die Geschäftsentwicklung und den wirtschaftlichen Erfolg seines Unterfangens! ))
Umsatzsteuer Grundsätzlich muss jeder Freiberufler auch Umsatzsteuer erheben, also auf Produkte und Leistungen 19 Prozent Mehrwertsteu-
Reinhild Spiekermann ist Studiengangsleiterin für instrumentalpädagogische Studiengänge an der Hochschule für Musik Detmold.
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musikschule )) DIREKT 5.2014
Reden hilft
Anja Bossen
Das Verfahren der Kollegialen Beratung
)) Die Anforderungen an Musikschullehrkräfte sind in den vergangenen zehn Jahren immens gestiegen und steigen weiter. Daraus resultieren neue Anforderungen und Probleme für die Lehrkräfte. Hier setzen Fortbildungen an. Allerdings ist nicht vorgesehen, dass die Lehrkräfte nach Abschluss der Fortbildung auch im Unterrichtsalltag einen Ansprechpartner haben, mit dem sie über problematische Situationen sprechen und sich beraten lassen können. Musikschullehrkräfte „sollen“: ) Sie sollen Einzel-, Gruppen- und Großgruppenunterricht erteilen, Menschen aller Alters- und Bevölkerungsgruppen unterrichten – binnendifferenziert und inklusiv natürlich, das Ganze in verschiedenen Unterrichtsmodellen. ) Sie sollen mit Kitas, Schulen, Seniorenheimen, Kirchen und soziokulturellen Zentren kooperieren und Community Musicians werden. ) Sie sollen sich weiterbilden und sozialpädagogische, politische und therapeutische Aufträge erfüllen. ) Sie sollen gesellschaftliche Verwerfungen reparieren und Transfereffekte erzeugen. Doch wie sollen sie all diese Ansprüche im Berufsalltag bewältigen, jenseits von Fortbildungen, die meist nicht die Gelegenheit bieten, die spezifische Situation der einzelnen Lehrkraft in den Blick zu nehmen? So steigt der Frust vieler Musikschullehrkräfte, die durch die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit zu „Einzelkämpfern“ gemacht werden. Die Unterrichtsqualität leidet. Vor allem aber leiden die Lehrkräfte. Was im Alltag der Lehrkräfte an allgemein bildenden Schulen möglich ist, nämlich
mit Kollegen, die die Probleme nachvollziehen können und teils sogar dieselben Schülerinnen und Schüler unterrichten, problematische Situationen auf Konferenzen oder im Lehrerzimmer zu besprechen, geht für viele Musikschullehrkräfte nicht; sei es, weil ihre Musikschule gar kein Lehrerzimmer hat, sie sich dort wegen unterschiedlicher Unterrichtszeiten nicht sehen können oder in unterschiedlichen Gebäude unterrichten. In die Kollegien von allgemein bildenden Schulen sind sie ebenfalls nicht eingebunden, sodass die Möglichkeiten des Austauschs äußerst gering sind.
Hilfe zur Selbsthilfe Professionelle Beratungsangebote wie z. B. Supervision durch den Arbeitgeber sind bisher die Ausnahme. Was den Musikschullehrkräften also bleibt, ist, auf eigene Kosten Seminare zu belegen, in denen ihre individuellen Probleme im Kreis der Seminarteilnehmer thematisiert werden können. Doch zum Verfahren der Supervision, bei der jemand „von außen“ engagiert wird, und statt selbst zu finanzierender Seminare gibt es eine Alternative als „Hilfe zur Selbsthilfe“: das Verfahren der Kollegialen Beratung. In allgemein bildenden Schulen wird dieses Verfahren schon länger angewendet. Hier kann im Kollegenkreis in geschützter Atmosphäre, ohne jemanden „von außen“ und ohne Kosten über alle Probleme im Zusammenhang mit beruflichen Anforderungen gesprochen werden. Ziele der Kollegialen Beratung sind eine Professionalisierung des Lehrerhandelns, die Bewälti-
gung von Belastungen des Berufsalltags und die Persönlichkeitsentwicklung, z. B. das Finden eigener Stärken und von Rollen, das Bearbeiten von überhöhten Ansprüchen und die Entwicklung einer gesunden Distanz zum Beruf. Es geht jedoch ausdrücklich nicht darum, sich den bestehenden Strukturen anzupassen, sondern um ein selbstorganisiertes Beratungs-, Stütz- und Reflexionssystem.
Wie es funktioniert Die Kollegiale Beratung sollte idealerweise in einer Gruppenstärke von vier bis acht TeilnehmerInnen stattfinden. Die Teilnahme ist freiwillig. Zunächst wird ein Moderator bestimmt, der auf die Einhaltung der genau festgelegten Regeln achtet und gegebenenfalls ein Protokoll führt. Weiter muss bestimmt werden, wer einen „Fall“ (eine Situation/ein Problem) eingibt und wer berät. Derjenige, der als „Falleingeber“ bestimmt wurde, verbalisiert seine spezifische Situation und stellt sie so nachvollziehbar wie möglich dar, während die Beratenden zuhören bzw. später nachfragen, wenn ihnen etwas unklar geblieben ist. Der Ratsuchende nimmt schließlich einen Perspektivwechsel von „innen“ nach „außen“ ein und erhält am Ende Ideen von seinen KollegInnen darüber, wie sein Problem möglicherweise zu lösen wäre. Das Beraterteam hat die Aufgaben zuzuhören, Ursachen zu analysieren, nachzufragen und Lösungsvorschläge zu machen (in genau dieser Reihenfolge), ohne den Ratsuchenden zu kritisieren oder ihn als Person in Frage zu stellen. Der gesamte
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Linktipp Wer die Kollegiale Beratung ausprobieren möchte, kann sich unter http:// paedagogik.homepage.t-online.de/ ko_berat.htm informieren und dort auch die einzelnen Verfahrensschritte und Regeln herunterladen.
Kollegiale Beratung kann zur Selbstreflexion des eigenen Lehrerverhaltens, der eigenen Verantwortlichkeit und zu einer Klärung der Lehrerrolle anregen
Ablauf der Beratung folgt in einem genau festgelegten, verbindlichen Zeitrahmen für jeden einzelnen Schritt; insgesamt dauert ein Verfahren zu einem „Fall“ ca. 65 Minuten. Es kann sinnvoll sein, nach dem ersten Einholen von Ratschlägen aus dem Kollegenkreis ein zweites Treffen in nicht zu geringem zeitlichen Abstand (mehrere Wochen) durchzuführen, damit man Zeit hat, das, was man aus der Beratung angenommen hat, auszuprobieren und umzusetzen. Das können unter Umständen auch mehrere verschiedene Strategien sein, deren Erprobung in der Praxis Zeit benötigt. Das Ergebnis kann dann in einem Folge-Treffen besprochen werden, vor allem auch, wenn die gewählte Strategie nicht zum Erfolg geführt hat, das Problem also nicht gelöst ist. Dann kann man über Alternativen zur ersten Strategie sprechen, denn ein „Rezept“ für die Lösung eines Problems gibt es nicht. Ein „Fall“ kann also nochmals aufgenommen werden. Alle „Fälle“ werden von den Lehrkräften selbst eingebracht, sodass keine Vorbereitung nötig ist. Wichtige Prinzipien sind die Freiwilligkeit der Teilnahme, eine Gruppe, in der Vertrauen herrscht, und die unbedingte Einhaltung aller Regeln und vorgeschriebenen Schritte. Persönliche Angriffe und unkontrollierte Emotionen machen die Kollegiale Beratung zunichte.
Was kann die Kollegiale Beratung leisten, was nicht? Durch die strengen Regeln können die KollegInnen innerhalb eines geschützten
Raums offen über ihre Belastungen sprechen. Kollegiale Beratung kann zur Selbstreflexion des eigenen Lehrerverhaltens, der eigenen Verantwortlichkeit und zu einer Klärung der Lehrerrolle anregen oder auch tiefer liegende Probleme (z. B. zwischen Kollegen) zum Vorschein bringen. Sie kann zutage fördern, dass nicht alle Probleme von den Lehrkräften verursacht und damit auch nicht von ihnen zu lösen sind, weil sie außerhalb ihres Einflussbereichs liegen. In diesem Fall hilft noch so viel Reden nicht. Die Beratung kann dann aber dazu beitragen, sich zu einer nicht zu ändernden Situation so oder so zu verhalten. Aber auch, wenn durch die Beratung keine endgültig zufriedenstellende Lösung erreicht werden kann, kann das Gespräch dennoch für die Ratsuchenden entlastend sein. In der Regel fühlen sich viele Lehrkräfte schon deutlich besser, wenn sie merken, dass sie mit ihren Nöten und Problemen keineswegs allein dastehen, sondern andere Lehrkräfte ähnliche Probleme haben. Kollegiale Beratung ist also mehr als ein Austausch, aber weniger als eine Therapie. Durch die gezielte und zeitlich genau festgelegte Arbeit an konkreten beruflichen Situationen und durch die Lösungsorientierung wird ein Abdriften in allzu viele Wiederholungen von bereits Gesagtem und von Meinungsäußerungen im Sinne von „früher war alles besser“ verhindert. Was die Kollegiale Beratung nicht leisten kann, ist, therapeutisch wirksam zu werden. Hier liegen ganz klar ihre Grenzen. Natürlich kommen innerhalb des ge-
schützten Raumes manchmal auch sehr persönliche Probleme auf den Tisch. Aber die Kollegen sind keine Therapeuten, sodass sie nicht überfordert werden dürfen. Stellt sich während der Kollegialen Beratung heraus, dass jemand so schwerwiegende Probleme hat, dass ihm der Rat der Gruppe auf keinen Fall weiterhelfen kann, ist sie nicht das richtige Verfahren für den Ratsuchenden. So positiv die Kollegiale Beratung für die Ratsuchenden auch sein kann, besteht allerdings ein Wermutstropfen darin, dass sie zumindest von Honorarkräften in ihrer Freizeit zu absolvieren ist. Im Interesse der Musikschulleitungen wäre es allerdings, dieses Verfahren an ihrer Schule einzuführen und zu vergüten, mindestens für die Lehrkräfte, die in Kooperationen mit Kitas oder Schulen arbeiten. Denn diese sind prinzipiell denselben Belastungen ausgesetzt wie Erzieherinnen oder Lehrkräfte an allgemein bildenden Schulen. Die Lehrkräfte sind das Kapital der Musikschulleiter, und wer stets steigende Ansprüche an die Lehrer stellt, muss auch dafür sorgen, dass sie damit zurechtkommen. Was sich in der freien Wirtschaft längst herumgesprochen hat – dass Mitarbeiter, die sich im Betrieb wohlfühlen, engagiertere Arbeit leisten und sowohl psychisch als auch physisch gesünder sind als Mitarbeiter, denen es nicht gut geht und die sich nicht gut behandelt fühlen –, ist an so manche Musikschule leider noch nicht vorgedrungen. Wem seine MitarbeiterInnen jedoch wichtig sind, der wird auch etwas für sie tun. ))
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Für ein gutes Selbstmanagement der Instrumentalpädagogik
Eine stimmige Branche?
Bernd Dahlhaus
) Lehrer einer Musikschule gehen bewusst wertschätzend miteinander um, besonders bei künstlerisch, pädagogisch und organisatorisch unterschiedlichen Auffassungen und Fähigkeiten. ) Eine Musikschulleiterin berichtet bei der monatlichen Musikschulleitersupervision von ihrer Selbsterkenntnis, in vielen Gesprächssituationen mehr auf ihre eigene Meinung fokussiert zu sein, statt wirklich offen und respektvoll mit den Mitarbeitern zu kommunizieren. ) Ein Regionalvorsitzender eines Dachverbands für Musikberufe erfüllt nicht nur zuverlässig seine Amtspflichten, sondern vermittelt den Mitgliedern seines Bezirks auch persönlich, in der Gemeinschaft willkommen zu sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Eingangsbeispiele beschreiben, wie wir uns unsere Berufspraxis wünschen. Selten werden solche Wünsche in dieser Weise in Gesprächen unter Lehrkräften, in Versammlungen oder Sitzungen wie auch in Fachzeitschriften konkret und detailliert formuliert. Unsere Wünsche und die dahinterstehenden Bedürfnisse sind leitend für ein gutes Selbstmanagement für Instrumentalpädagogen. In den vorangegangenen Beiträgen der Artikelreihe ging es um Ideen und Anregungen, wie der Einzelne denken und handeln kann, um seine Berufsqualität zu verbessern. In diesem Beitrag möchte ich die zentralen Merkmale eines guten Selbstmanagements1 auf das kollegiale Miteinander in der Instrumentalpädagogik beziehen. Ich verstehe Musikschulkollegien, musikund instrumentalpädagogische Interessenvertretungen, Vereine und (Berufs-)Verbände, Arbeits- und Projektgruppen als instrumentalpädagogische Systeme. Die Kommunikations- und Verhaltensmuster
im Miteinander zeigen, wie ein solches System „tickt“: Wer spricht mit wem wie wann und wo worüber und welche offenen und verdeckten „Spielregeln“ im System gibt es (Sitzordnung, Rituale, Umgang mit Zeitdruck, Loyalitätserwartungen …)? Diese Muster können zum großen Teil durch Selbstbeobachtung und zusätzlich durch Rückmeldungen von außen bewusst gemacht und auf ihre Nützlichkeit (oder auch „Menschlichkeit“) hinterfragt werden.2 Einschränkende Muster lassen sich so nach gemeinsamer Absprache und mit entsprechender Einübung verändern. Richten die Mitglieder eines Systems ihre Aufmerksamkeit auf die eigenen Muster des kommunikativen Umgangs untereinander, offenbaren sich im individuellen Erleben der Systemwirklichkeit bedeutsame Unterschiede: Einer „offiziellen Wirklichkeit“, der alle Systemmitglieder zustimmen „müssen“, weil es moralisch oder satzungsgemäß „richtig“ ist oder es sich dem Kodex des Systems entsprechend „so gehört“, steht häufig eine andere, vom einzelnen Mitglied individuell erlebte Wirklichkeit gegenüber. Diese ist weniger logisch-rational fassbar; häufig ist sie intuitiv mit einem Gefühl von Unstimmigkeit, mit einer individuell erlebten Dissonanz verbunden. Wenn beispielsweise ein Leiter einer Musikschule bekundet, dass ihm die fachlichen Ideen seiner Mitarbeiter am Herzen liegen, können die Mitarbeiter sein Verhalten ganz anders, nämlich als „irgendwie nicht stimmig“ erleben. Häufig werden diese inneren Dissonanzzustände aus Scham, Resignation oder sogar Furcht vor Sanktionen unterdrückt, sodass die dahinter liegenden Bedürfnisse nicht als wertvolle Informationen im System genutzt werden können. Auf diese Weise wird langfristig Potenzialentfaltung verhindert („Dienst nach Vorschrift“). Aus
dieser Perspektive schätze ich, dass viele Musikschulen weniger als die Hälfte ihres „Leistungsvermögens“ umsetzen. Die Informationen aus dem Dissonanzerleben der Mitglieder sind ebenso wie die Erfahrungen, Ideen, Zweifel und Befürchtungen der Mitglieder Ressourcen, die im System vorhanden sind und zur Weiterentwicklung des Betriebsklimas und letztlich zur Existenzsicherung des Systems genutzt werden können.3 Stattdessen werden dem System von einer übergeordneten Entscheidungsebene (meist wissenschaftlich legitimierte) Maßnahmen, Konzepte, Projekte und Programme übergestülpt, das heißt mit finanziellen Ressourcen ausgestattet und zur Umsetzung verordnet, um so eine Systemoptimierung zu erreichen (Stichworte: „Qualitätsmanagement“, „Vernetzung“ und „Kooperationen“, „Breitenmusikalisierungsprogramme“, „Interkultureller Unterricht“ sowie jüngst „Inklusion“).
Musikförderung von innen Die musikpolitischen Forderungen nach angemessener Vergütung von Instrumentallehrkräften, nach besserer Ausstattung der Musikschulen sowie nach einer musikpädagogisch seriösen Konzeption zur sinnvollen Ergänzung von schulischer und außerschulischer musikalischer Bildung sind ohne Zweifel wichtig und dringend. Dennoch ist anzunehmen, dass mit Erfüllung dieser Forderungen weder die Arbeitsqualität noch die Berufszufriedenheit von InstrumentalpädagogInnen automatisch und nachhaltig steigen würden. Eine (notwendige!) finanzielle Besserstellung der verschiedenen instrumentalpädagogischen Arbeitsgebiete verbessert nicht per se die Beziehungs- und Kommunikationsqualität in deren Systemen. Diese Qualitäten sind
© Cordula Heuberg
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Selbstmanagement für Instrumentalpädagogen – Teil 4 aber Grundlage für Wohlbefinden, Zufriedenheit und Leistungsfähigkeit der Beteiligten. Die Beziehungs- und Kommunikationsmuster in instrumentalpädagogischen Systemen können bewusst gemacht werden, indem die Aufmerksamkeit u. a. auf folgende Aspekte gerichtet wird:4 ) Inwieweit werden Prozessmuster im System (Kollegium, Verband, Arbeitsgruppe) gezielt und regelmäßig reflektiert und auf ihre gewünschten und unerwünschten Auswirkungen hin überprüft? ) Worüber und auf welche Art wird üblicherweise im System gesprochen? Worum „kreist“ das System? Worüber wird nicht gesprochen, welche Themen gelangen erst gar nicht in die Kommunikation? ) Welche Art von Rückmeldekultur wird im System gepflegt? Werden bewusst interne und externe Feedbackschleifen initiiert? Wo bestehen „blinde Flecke“ im System und wie wird mit ihnen umgegangen? ) Inwieweit werden die „offizielle Wirklichkeit“ und die individuell erlebten Wirklichkeiten im System abgeglichen? Werden individuelle Dissonanzzustände als Systemressourcen bewusst genutzt? ) Wird Vielfalt und Unterschiedlichkeit im Sinne einer „ertragenen Differenz“5 im System gewünscht oder (offen oder verdeckt) zu Einheitlichem reduziert? ) Wie werden Entscheidungen im System getroffen, legitimiert und kommuniziert? ) Wie wird Hierarchie im System gelebt? Welche Mustermerkmale zeichnen das (offene oder verdeckte) „Führen“ und das „Folgen“ im System aus? ) Wie wird im System mit Unsicherheiten, Ambivalenzen und Unentscheidbarem umgegangen? ) Welche offenen oder verdeckten Spielregeln gibt es zu Ritualen, Arbeitsabläufen und Verhaltensweisen aller Beteiligten? ) Was macht den Geist des Systems aus?
Aus welchem Sinn speist sich das Miteinander („wofür?“) und wie wird das Bewusstsein dafür in der Alltagsroutine lebendig gehalten?
Künstlerisch-pädagogische Selbstanwendung Mustertransfer Die Fähigkeit, die beschriebenen Muster in instrumentalpädagogischen Systemen wahrzunehmen, sie reflektieren und verändern zu können, bestimmt nicht nur die Qualität im fachlichen Miteinander, sondern hat auch einen hohen Einfluss auf die Qualität des Unterrichtens. Ersetzt man in den vorangegangenen Reflexionsfragen das Wort System durch das Wort Unterricht, wird die Parallelität beider Bereiche deutlich: Sowohl bei einer Verbandsversammlung als auch im Unterricht wird mit Unterschiedlichkeit umgegangen, werden Entscheidungen getroffen und Hierarchie gelebt. Die Prägung oder zumindest Beeinflussung des Unterrichtens durch Mustererfahrungen in instrumentalpädagogischen Systemen wird weder von den Beteiligten in der Praxis noch von den meisten AutorInnen instrumentaldidaktischer Konzepte realisiert oder explizit berücksichtigt. Ein Transfer von Lernerfahrungen aus dem einen in den anderen Bereich könnte im Sinne einer angewandten Weiterbildung vielfältige Verbesserungen bewirken. Fachbereichskonferenzen würden so zum Übungsfeld für Gruppenunterricht, und Lehrkräfte würden im Umgang miteinander das (mehr) leben, was sie auch an ihre Schüler weitergeben möchten. Das Künstlerische des Pädagogen Die in den vergangenen 15 Jahren stark ausgeweitete „Breitenmusikalisierung“ in
der Instrumentalpädagogik hat u. a. dazu geführt, dass in der Praxis viele Lehrkräfte primär mit unterrichtsmethodischen Aspekten und der Suche nach geeigneter Spielliteratur beschäftigt waren und sind – in der Hoffnung, damit die Anforderungen der (neuen) anspruchsvollen Arbeitskontexte bewältigen zu können. Hierbei gerieten übergreifende didaktische Aspekte sowie das genuin Künstlerische aus dem Blick. Das Künstlerische zeigt sich u. a. in einem stimmigen Selbstausdruck beim Musizieren und in einer fachlichen und persönlichen Reife im kommunikativen Austausch mit anderen. Die Ausrichtung auf das Künstlerische sollte auch im einführenden Instrumentalunterricht Kern und Ziel instrumentalpädagogischer Bemühungen sein und zu einem wesentlichen Teil die berufliche Identität eines Instrumentallehrers ausmachen. Hier erleben Schüler häufig intuitiv an vielen InstrumentallehrerInnen einen Widerspruch zwischen dem, was der Lehrer im Unterricht als ihm (musikalisch) wichtig benennt (seiner Botschaft) und dem, was dieser Musiklehrer selbst musikalisch-künstlerisch verkörpert (seiner inneren Haltung). Wird ein Lehrer von Schülern als künstlerisch authentische Persönlichkeit erlebt, hat dies positive Auswirkungen auf die Unterrichtsqualität. Musik für Worte Instrumentalpädagogen bzw. deren Interessenvertreter, Funktionäre und Vorgesetzte weisen auf Probleme, Missstände und die dramatischen Folgen weiterer Finanzkürzungen in der Instrumentalpädagogik in der Regel mit Worten hin. Brandgespräche, Erklärungen und Petitionen sind als dringende Maßnahmen in den vergangenen Jahren ausgiebig und glücklicherweise oft erfolgreich getätigt worden.
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Impulse Wie schätzen Sie Ihre Fähigkeiten ein, die beschriebenen Muster wahrzunehmen und zu kommunizieren? Durchdenken Sie die obigen Musterfragen für ein instrumentalpädagogisches System, in dem Sie Mitglied sind.
An welchen Textstellen empfanden Sie beim Lesen dieses Beitrags Störgefühle? Wofür sind diese Informationen nützlich und wie könnten Sie konstruktiv damit umgehen?
Sie dabei die Kommunikationen im System, ohne die Eigenschaften der Kommunizierenden oder die vermuteten Gründe für das Verhalten zu bewerten.
Welche Erfahrungen haben Sie mit hilfreichen Mustern in Systemen?
Was könnten Sie konkret in dieser Woche tun, um die Qualität im Miteinander eines instrumentalpädagogischen Systems zu verbessern?
Wie gehen Sie mit inneren Dissonanzzuständen um?
Tauschen Sie sich mit Kollegen über Mustererfahrungen aus. Beschreiben
Dennoch: Forderungen zu stellen – so berechtigt diese auch sind –, ist musikpolitisch keine große Kunst (mehr). Ergänzend könnten Instrumentalpädagogen das eigene Medium nutzen, um auf ihre Anliegen und auf das, worum es beim Musizieren(lernen) geht, aufmerksam zu machen. So könnten sich zum Beispiel Instrumentalpädagogen zusammentun, um gemeinsam eine Veranstaltung zu entwickeln, welche die vielfältigen Perspektiven des Musiklehrerberufs zum Inhalt hat. Musiklehrkräfte könnten ein kreatives, kritisches, vielleicht auch ein bisschen selbstironisches und vor allem für Zuhörer attraktives abendfüllendes Programm gestalten, mit dem sie künstlerisch auf (ihre) Probleme im Unterricht und im Beruf hinweisen und gleichzeitig für sich und das Musizieren werben. Und sofern sie die dafür notwendige Zeit und Energie nicht als zusätzlichen beruflichen Arbeitsaufwand betrachten, sondern Freude an dieser Art Kreativität haben, könnten die Beteiligten ihre eigene musikalische und kollegiale Begeisterung wieder (oder mehr) ausleben. Zusätzlich hätte solch ein Projekt vielfältige weiterbildende Aspekte.
ratur finden sich hierzu Konzeptbegriffe wie Selbstkompetenz, Selbstmanagement, Empowerment und andere. In einer Forschungsstudie mit dem Titel „Individuelle Förderung im instrumentalen Gruppenunterricht. Ein Aspekt von Lehrendenkompetenzen im Programm ‚Jedem Kind ein Instrument‘“ empfehlen Thomas Busch und Ulrike Kranenfeld, „durch Aus- und Weiterbildung zur Förderung von Selbstwirksamkeitserwartungen von Lehrenden beizutragen“.6 Die Aussage entspricht dem Trend, der seit einigen Jahren in vielen Bereichen der Gesellschaft zu beobachten ist. Hierbei wird angestrebt, sich sowohl im Beruf, in Fragen der Gesundheit, der Gestaltung von Beziehungen und der eigenen Identität selbst zu optimieren und dazu innere Ressourcen nicht nur zu nutzen, sondern auf Effizienz zu trimmen.7 Will der Einzelne seine Überlebenschancen verbessern, muss er das Letzte aus sich herausholen. Unterschwellig bürden wir uns dadurch gegenseitig die Verantwortung für Wohlbefinden, Glück und Erfolg auf und erwarten vom Einzelnen Willenskraft und den Glauben an eine grundsätzliche Machbarkeit. Auf diese Weise verlieren wir aus den Augen, dass wir die Gemeinschaft brauchen, um überleben zu können, dass nur in einem guten Miteinander die Möglichkeiten zu einer Weiterentwicklung vorhanden sind. Für die Instrumentalpädagogik bedeutet dies, dass sich Musiklehrer einerseits um ihr persönliches Selbstmange-
Selbst- und Systemmanagement Mittlerweile weist auch die wissenschaftliche Musikpädagogik darauf hin, dass die inneren Ressourcen des Instrumentalpädagogen einen entscheidenden Einfluss auf gelingenden Unterricht haben. In der Lite-
musikschule )) DIREKT erscheint
alle zwei Monate als Supplement zu üben & musizieren
ment kümmern und andererseits gleichzeitig auf ein gutes Management in den instrumentalpädagogischen Systemen achten sollten. Eine wirkliche Verbesserung der Berufsqualität gelingt nur in der Verbindung beider Bereiche und wenn diese Erkenntnis Auswirkungen auf die Ausund vor allem die Weiterbildung von InstrumentalpädagogInnen hat. )) 1
Als Stichpunkte seien genannt: Selbstbeobachtung und -reflexion, Selbstregulation und Kompetenzerleben. Siehe den Beitrag „Der Musiklehrerberuf als Passion?!“ in: musikschule )) DIREKT. Supplement zu üben & musizieren 6/2013, S. 7-9. 2 vgl. Fritz B. Simon: Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus, Heidelberg 2006. 3 s. hierzu auch die Beiträge „Plädoyer für die Zwickmühle“ in: musikschule )) DIREKT. Supplement zu üben & musizieren 1/2014, S. 6-8 und „Leidige Gewohnheiten verändern. (Wie) Geht das im Instrumentalpädagogikberuf? in: musikschule )) DIREKT. Supplement zu üben & musizieren 3/2014, S. 10-12. 4 vgl. Fritz B. Simon: Einführung in die systemische Organisationstheorie, Heidelberg 2007. 5 Hans Joas: „Die kulturellen Werte Europas. Eine Einleitung“, in: ders./Klaus Wiegand (Hg.): Die kulturellen Werte Europas, Frankfurt am Main 2005, S. 11-39. 6 in: Andreas Lehmann-Wermser/Martina KrauseBenz (Hg.): Musiklehrer(-Bildung) im Fokus musikpädagogischer Forschung, Münster 2013, S. 99-115. 7 vgl. das Kapitel „Vom Wertewandel zum Wertesampling“ in: Heiner Barz/Wilhelm Kampik u. a.: Neue Werte – Neue Wünsche. Future Values. Wie sich Konsummotive auf Produktentwicklung und Marketing auswirken, Düsseldorf 2001, S. 69-94.
Bernd Dahlhaus ist Musikpädagoge und Coach. Er leitet die Agentur für Musikpädagogik musikbäume, e-mail: info@ musikbaeume.de, www.musikbaume.de
Redaktion: Anja Bossen und Rüdiger Behschnitt Layout: Rüdiger Behschnitt Grafik: Nele Engler