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1 Würdeverständnisse: Eine Übersicht
from Tierwürde
In einem ersten Schritt gilt es zu klären, was unter dem Begriff «Würde » zu verstehen ist. Ich werde deshalb im Folgenden relevante und konkrete Verständnisse des Begriffs «Würde» skizzieren und diskutieren. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass dieses Kapitel der Übersicht und teils auch dem Verwerfen unterschiedlicher Würdeverständnisse dient. Eine Verteidigung des Gebrauchs des Begriffs «Würde» leistet dieses Kapitel nur am Rande : Es gibt Autor*innen, die bezweifeln, dass der Würdebegriff sinnvoll angewendet werden kann. Die Forderung, den Begriff «Würde» fallenzulassen, wird beispielsweise von Rüdiger Bittner (2017) stark gemacht, so wie auch Ruth Macklin (2003) den Begriff « Würde» als « a useless concept » bezeichnet, weil der Würdebegriff vage sei und nichts zu einer ethischen Debatte beitragen könne.1 Anstatt diese Sichtweise zu kritisieren, werde ich im Folgenden darstellen, dass der Würdebegriff sinnvoll auf bestimmte Subjekte angewendet und auch gewinnbringend in ethischen Debatten eingebracht werden kann, zumindest dann, wenn eine präzise Definition des Würdebegriffs angegeben wird.
Letzteres ist wichtig, denn Peter Bieri (2013) beispielsweise wendet sich nicht gegen die Verwendung des Würdebegriffs an sich, er ist aber der Meinung, dass wir keine Definition des Würdebegriffs brauchen. In seiner Vagheit entspreche der Würdebegriff gerade dem, wie wir ihn im Alltag verwenden. Es mag stimmen, dass
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1 Wie dies bereits Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche im 19. Jahrhundert getan haben: So schrieb Schopenhauer « Allein dieser Ausdruck ‹Würde des Menschen›, ein Mal von Kant ausgesprochen, wurde nachher das Schiboleth aller rath- und gedankenlosen Moralisten, die ihren Mangel an einer wirklichen, oder wenigstens doch irgend etwas sagenden Grundlage der Moral hinter jenen imponirenden Ausdruck ‹Würde des Menschen› versteckten, klug darauf rechnend, daß auch ihr Leser sich gern mit einer solche Würde angethan sehen und demnach damit zufrieden gestellt seyn würde» (Schopenhauer 2007, S. 64). Und Nietzsche schrieb: « Wir Neueren haben vor den Griechen zwei Begriffe voraus, die gleichsam als Trostmittel einer durchaus sklavisch sich gebarenden und dabei das Wort ‹Sklave› ängstlich scheuenden Welt gegeben sind: wir reden von der ‹Würde des Menschen› und von der ‹Würde der Arbeit›. Alles quält sich, um ein elendes Leben elend zu perpetuieren; diese furchtbare Not zwingt zu verzehrender Arbeit, die nun der vom ‹Willen› verführte Mensch ( oder richtiger, menschliche Intellekt) gelegentlich als etwas Würdevolles anstaunt. Damit aber die Arbeit einen Anspruch auf ehrende Titel habe, wäre es doch vor allem nötig, daß das Dasein selbst, zu dem sie doch nur ein qualvolles Mittel ist, etwas mehr Würde und Wert habe, als dies ernstmeinenden Philosophien und Religionen bisher erschienen ist» (Nietzsche 1980, S. 275).
wir im Alltag den Begriff «Würde» für diverse Phänomene benutzen. Das bedeutet aber meines Erachtens nicht, dass wir daraus schliessen müssen, dass ein Begriff auch tatsächlich vage sein soll, um möglichst viele verschiedene Phänomene umfassen zu können. Der Würdebegriff, den ich in dieser Arbeit skizzieren werde, soll tatsächlich möglichst viele unserer wohlüberlegten Intuitionen einfangen, nicht aber zum Preis der begrifflichen Klarheit. Sie bildet eine wichtige Voraussetzung, um in einer Debatte Fortschritte erzielen zu können : Nur wenn sich Gegner*innen und Befürworter*innen auf denselben Begriff beziehen, lassen sich sinnvolle Diskussionen führen.
Ziel dieser Arbeit ist zu prüfen, ob sich der Würdebegriff auch auf nichtmenschliche Tiere anwenden lässt. An dieser Stelle möchte ich eine mögliche Entgegnung vorwegnehmen, nämlich dass der Würdebegriff im Hinblick auf Menschen auf eine andere Art und Weise verstanden werden sollte als im Hinblick auf nichtmenschliche Tiere, das heisst, dass ein homonymes Verständnis des Würdebegriffs bevorzugt werden sollte. Das würde bedeuten, dass der Begriff «Würde » zwei verschiedene Würdeverständnisse umfassen sollte. Es könnte beispielsweise im Hinblick auf Menschen von Würde als Haltung und im Hinblick auf nichtmenschliche Tiere von Würde als Wert gesprochen werden. Meine Herangehensweise ist eine andere: Ausgangspunkt bildet in dieser Arbeit ein synonymes Verständnis des Würdebegriffs. Ich untersuche, ob sich ein Würdebegriff präzisieren lässt, der sowohl auf Menschen als auch auf nichtmenschliche Tiere zutrifft und der zugleich im Einklang mit unseren sprachlichen und moralischen Intuitionen steht. Ich gehe von einem synonymen Würdeverständnis aus, weil es zum einen keineswegs offensichtlich ist, dass ein Würdebegriff definiert werden kann, der sich auf menschliche und nichtmenschliche Tiere anwenden lässt. Doch genau dies werde ich in dieser Arbeit darstellen. Zum anderen hat ein synonymes Verständnis des Würdebegriffs einige Vorteile gegenüber der homonymen Alternative: Zum einen verfügen wir dann nur einmal über den sprachlichen Ausdruck « Würde». Zum anderen sieht sich das homonyme Würdeverständnis mit Problemen konfrontiert, zum Beispiel, dass der sprachliche Ausdruck « Würde» zwei Begriffe umfasst, die auf verschiedene Art und Weise ausdifferenziert werden, wie es beispielsweise im Schweizer Recht der Fall ist. Dort werden die Würde des Menschen und die Würde des Tieres nicht als synonyme, sondern als homonyme Begriffe betrachtet, denn Würde wird zwar in beiden Fällen als Wert verstanden, doch meint « Wert » im Hinblick auf Menschen und nichtmenschliche Tiere jeweils nicht dasselbe : Die Würde des Menschen gilt absolut, die Würde des Tieres ist abwägbar. Im Schweizer Recht scheint die Würde des Tieres vorwiegend deshalb nicht absolut verstanden zu werden, weil wir sonst unsere Gewohnheiten zu stark ändern müssten und es für Menschen einen Verzicht auf die Nutzung von nichtmenschlichen Tieren bedeuten würde. Denn Ziel ist, dass bestimmte Rechte vom Würdebegriff abgeleitet werden können und diese für Menschen und Tiere unterschiedlich ausfallen sollen. Doch dies ist ein schlechter Grund, einen Begriff anderweitig aus-