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KIF2022 - COLLAGE / MONTAGE
ist das Thema der diesjährigen Open-AIR-Ausstellung "KUNST im FLUSS" an den Ufern der Flüsse Urft und Olef, deren plötzliche Wassermassen vor einem Jahr in der Nacht vom 14./15. Juli 2021 unvorstellbare Verwüstungen in Schleiden und Gemünd anrichteten und auch unsere damalige Ausstellung mit sich rissen. Bis heute sind die traurigen Folgen der zerstörerischen Flut in weiten Teilen der Eifel und anderen Regionen im Westen Deutschlands immer noch sichtbar. Auch unser "KunstForumEifel" mitten in Gemünd war und ist betroffen und wird wohl erst zum Jahresende wieder öffnen können. Viele Wunden sind noch offen und noch lange nicht geheilt. Viele Menschen verloren Haus und Hof, nicht wenige gar ihr Leben durch die große Katastrophe.
Über zwei Jahre Corona, die große Flut im Westen Deutschlands 2021, schon vier Monate Krieg in der Ukraine - Europa muss sich neu erfinden. Dazu müssen die Versatzstücke des globalistischen Irrsinns demontiert und in der schmerzhaften Bewusstwerdung einer wachsenden westlichen Wohlstandsverwahrlosung zerlegt und wieder neu zusammengesetzt werden. Im "Rasenden Stillstand" (Paul Virilio) des globalen Kommunikationsraums, in der grenzenlosen Flut der Bilder und Informationen muss das menschliche Dazwischen wieder greifbar, sichtbar werden - in einer neu geschaffenen Wirklichkeit außerhalb der vierten Dimension der Lichtgeschwindigkeit in der digital vernetzten Welt, wo selbst die Kriegsmaschinerie körperlos und unsichtbar geworden ist und als "Cyber War" im interstellaren Nebel von SciFi-Comics verschwindet.
Dabei gilt es, die Schwitter’sche Frage nach "Sinn und Unsinn" in der Kunst wieder neu zu stellen. Gegen den Wahnsinn des I. Weltkrieges feierte er mit dem Berliner DADA-Zirkel Anfang der 20er Jahre den Triumph der Kunst über die (Kriegs)Maschine. "Wir lachten alles aus. Wir lachten über uns selbst, wie über Kaiser, König und Vaterland, Bierbauch und Schnuller … erst das Lachen garantierte den Ernst, mit dem wir unsere Anti-Kunst betrieben auf dem Weg zur Entdeckung unserer selbst." (Hans Richter) - Die Berliner DADA-Messe von 1920 hielt der fragwürdigen Nachkriegsgesellschaft ihren Zerrspiegel vor, Hannah Höch collagierte, montierte und klebte 1919 ihren "Schnitt mit dem Küchenmesser durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche". Doch DADA war schon wenig später aus der Öffentlichkeit verschwunden. Das tragische Ende dieser Zeitepoche ist bekannt.
Schon 1912 führt die Collage aus der Hand der damaligen Kubisten Picasso und Braque zu einem radikalen Wandel des künstlerischen Bildverständnisses. Im Gegensatz zum traditionellen Tafelbild und der erschaffenen Wirklichkeit des künstlerischen Genies ging es nun um den sichtbaren Prozeß als neues Prinzip der künstlerischen Wirklichkeitsaneignung. Ähnlich die spätere Äußerung des Amerikaners Robert Rauschenberg in den 1960er Jahren: "Ich will nicht, dass ein Bild wie etwas aussieht, das es nicht ist, und ich bin der Meinung, dass ein Bild wirklicher ist, wenn es aus Teilen der wirklichen Welt gemacht ist." Für die Künstler des frühen 20. Jahrhunderts war dieser Prozeß des Klebens und Zusammenfügens von alltäglichen Fundstücken, der Collage und Montage von Bildern der Wirklichkeit richtungsweisend und ist es bis heute geblieben. "Man kann auch mit Müllabfällen schreien, und das tat ich, indem ich zusammenleimte und nagelte. Ich nannte es MERZ … Kaputt war sowieso alles, und es galt, aus den Scherben neues zu bauen." (Kurt Schwitters)
Max Ernst’s künstlerische Offenbarung „Ce n’est pas la colle qui fait le collage“ fand sich rückwirkend im 19. Jahrhundert bestätigt in den naiven Bildern der "malenden Putzfrau" Séraphine Louis, deren Arbeiten ihrerseits auf Klebearbeiten aus dem 17. Jahrhundert und die Scherenschnitte der damals hoch geschätzten Amsterdamerin Johanna Koerten verweisen. Und schon im Japan des 12. Jahrhunderts finden sich geklebte Papier-Collagen mit den "Waka"-Versen der Dichterin Ise. Zahlreiche andere Vorläufer lassen sich finden in den vergangen Jahrhunderten, doch erst mit Beginn des 20. Jahrhunderts finden diese Klebe- und Montagepraktiken erst in den kubistischen Arbeiten eines Georges Braque und Pablo Picasso Eingang in die Kunst und sind bis heute wichtiger Bestandteil und Ausdrucksmittel einer künstlerisch schöpferischen Aneignung von Wirklichkeit geblieben.
Hinzugekommen ist die digitale Welt und Wirklichkeit des Heute. Raum und Zeit sind quasi aufgehoben, so wie ehedem das Diktat der Zentralperspektive im künstlerischen Schaffensprozeß mit Beginn des 20. Jahrhunderts keine Rolle mehr spielte. Dreidimensionale räumliche Entfernungen spielen heute keine Rolle mehr im globalen Miteinander - von einigen Superreichen einmal abgesehen, die sich in den Orbit schießen lassen, um sich im Nichts ihrer eigenen Schwerelosigkeit meinen feiern und fühlen zu müssen. Dabei ist man heute in Bruchteilen von Sekunden fast überall auf der Welt, kann teilnehmen am Weltgeschehen in Echtzeit.
Und in diesem Sinne ist auch die Ausstellung zu verstehen. Die ausgestellten Arbeiten haben wir über die sogenannte Sozial-Media Plattform INSTAGRAM gefunden und verschiedene Künstlerinnen und Künstler in Europa und Amerika kennengelernt und angefragt. Verbunden mit etwas Zeit und Arbeit ist es uns so mit der Ausstellung hoffentlich gelungen, den Geist nicht nur der Flutkatastrophe mit der stofflich gewordenen künstlerischen Wirklichkeit zahlreicher Kunstwerke an den Ufermauern von Urft und Olef vielleicht nicht unbedingt ganz und gar in seine Flaschen zu verweisen, aber vielleicht zu besänftigen.
Jürgen A. Roder