sensor Mainz #116 April 2022

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sensor 04/22

Russland

Krieg und Frieden Ein Blick auf die russische

Herus-Vorsitzender Alexander de Faria e Castro und der russisch-orthodoxe Priester Alexander Kalinski

Bevölkerung in Wiesbaden

Nikita Emakov demonstriert auf dem Dernschen Gelände gegen den Krieg in seiner Heimat

Kai Pelka

Dirk Felllinghauer

Olga Zaitseva-Herz und die ukrainische Nationalhymne

Dirk Felllinghauer

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Die Stadt Wiesbaden verbindet eine lange Historie mit Russland. Eine Kapelle, ein Friedhof, Tschaikowsky, Turgenjew, Dostojewskij, Gogol, die Tochter Puschkins, Strawinsky und Mahler Jawlensky – alle diese großen Russen waren von Wiesbaden angezogen. Nicht umsonst wurde Wiesbaden „die russischste Stadt“ in Deutschland genannt. Mit der russisch-orthodoxen Kirche auf dem Neroberg wurde der Grundstein für die russische Gemeinde in Wiesbaden gelegt. Zahlreiche Kurgäste aus Moskau und St. Petersburg logierten im 19. Jahrhundert in der Weltkurstadt Wiesbaden. Auch Zar Nikolaus II. Die Zahlen sind ganz sicher nicht mehr ganz aktuell, doch bereits Ende 2021 lebten in Wiesbaden fast 6.000 Menschen mit russischer sowie mehr als 1.500 Menschen mit ukrainischer Herkunft. Manche von ihnen helfen gemeinsam den Kriegsopfern, andere tragen den Konflikt bis hierher. Anti-Kriegs-Demos Rund 3.000 Gäste zählen Palast Promotion und das Kulturzentrum Schlachthof bei ihrer Kundgebung #WIstandwithukraine auf dem Dernschen Gelände direkt hinter dem Wiesbadener Rathaus. Gekommen ist auch die aus der Ukraine stammende Bela Jasnogorodska. Aufs Dernsche Gelände haben die 85-Jährige ganz selbstverständlich

ihre Nachbarn aus einer Senioreneinrichtung in Klarenthal begleitet, die Spätaussiedler aus Russland sind. „Ich bin hier, weil ich keinen Krieg will. Wir sind doch alle Menschen“, betont Michail Aumann. Er spricht auf Russisch und seine Nachbarin übersetzt. Anfeindungen aufgrund seiner Sprache habe er seit Putins Krieg noch nicht erlebt. Eine junge Ukrainerin hat bis zu diesem Zeitpunkt ganz unterschiedliche Erfahrungen mit Menschen aus ihrem Bekanntenkreis gemacht. Unter den Russischstämmigen gebe es zwar viel Hilfsbereitschaft. Aber mit anderen habe sie bereits keinen Kontakt mehr. „Manche schreiben mir sogar: Warum gehst du nicht in die Ukraine zum Kämpfen“, so Daryna. Doch sie hilft ihren Landsleuten lieber hier, etwa mit ihren Sprachkenntnissen. Und sie teilte vorübergehend ihr WG-Zimmer mit Nikita Emakov. Der 23-Jährige, dessen Familie in Kiev lebt, war zu Besuch in Wiesbaden und wollte eigentlich am 24. Februar – dem Tag des Kriegsbeginns - in die Ukraine zurückfliegen. Jetzt ist er in Wiesbaden gestrandet, wo er gerade ein Zimmer in einer Gemeinschaftsunterkunft gefunden hat und zunächst mal Deutsch lernen will. Sprach-Probleme Für Menschen, die sich für Geflüchtete engagieren, könnte es

aber auch interessant sein, das Ukraninische zu lernen, findet Irina Batalski. Die Erbenheimerin wäre jedenfalls bereit, es zu unterrichten. Sie selbst habe als Schriftstellerin sowohl auf Russisch als auch auf Ukrainisch publiziert und stelle sich derzeit die Frage, in welcher von beiden Sprachen sie in Zukunft schreiben möchte. Wenn denn ihre derzeit herrschende literarische Sprachlosigkeit gewichen sei. Ihrem fünfjährigen Sohn gegenüber sei sie jedenfalls neutral geblieben. Auf seine Frage, was denn ein Krieg sei, habe sie ihm geantwortet, dass schlechte Menschen gekommen seien, um gute Menschen umzubringen. Ohne dabei zu benennen, wer die schlechten Menschen seien. Sportlich bleiben will auch Waldemar Streib, der Deutsch-Russische Wurzeln hat. In der Sportschule des ehemaligen Bundesliga-Ringers sei ein 16-jähriger Ukrainer aktiv, der gerade aus seiner Heimat geflohen sei. Nicht nur mit ihm spreche der Trainer russisch und habe dabei bislang noch keine Ressentiments zu spüren bekommen. „Aus welchem Grund sollte ich schräg angemacht werden. Es gibt viele russischsprachige Menschen aus vielen Ländern“, so Streib. Manche Wiesbadener sind derzeit dennoch vorsichtig mit der Wahl ihrer Worte. „Ich spreche fünf Sprachen und habe

einige Kollegen, mit denen ich sonst russisch spreche, aber im Moment reden wir lieber deutsch“, sagt Bagrat Jakobian. Der 59-Jährige, der heute im Schelmengraben wohnt, gehört zu denjenigen, die noch aus der Sowjetunion geprägt sind. Zwei Jahre lang ist der Armenier einst in der Ukraine stationiert gewesen, wo zwei seiner Cousins nach wie vor leben. Miteinander reden „Am wichtigsten ist es, dass wir alle nicht aufhören, miteinander zu reden“, findet Yuliya Walser. Die gebürtige Russin, die in Wiesbaden unter anderem ihre Muttersprache unterrichtet, habe von zwei Schülerinnen erfahren, dass diese von Unbekannten auf der Straße unflätig beschimpft worden seien, weil sie sich auf Russisch unterhalten hätten. Weitere Vorfälle seien ihr im Vertrauen berichtet worden. Manchen fällt es im Moment schwer zu sprechen, sogar in der eigenen Familie. „Wir telefonieren jeden Tag, aber es ist sehr schwierig, weil man manchmal keine Worte hat. Man sieht sich einfach an und weiß nicht, was man sagen soll“, berichtet Julia Okruashvili von den Kontakten zu ihrer Familie in Russland. Als Pianistin ist für sie die Beteiligung an Benefizkonzerten ein Mittel, um ihre Stimme zu erheben. „Musik und Kunst ist das einzige, was bleibt zwischen den


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