sensor Mainz #114 Dezember / Januar 2021/22

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Interview

Von den Docks

Das ist es, wie ich mich definiere. Aber es ist Ihnen schon wichtig, den Menschen Mut zu machen, gerade in Zeiten wie diesen? Ich denke, ein Teil meiner Aufgabe ist, Menschen glücklich zu machen. Die Leute kommen und kaufen Tickets für meine Show und meine Alben, weil sie das Gefühl haben, dass sie dadurch ein bisschen glücklicher werden. Mit gefällt diese Vorstellung. Es ist ein Dienst an der Gemeinschaft.

Auf seinem neuen Album wechselt Sting wieder Stilrichtungen und beweist sein Gespür für Melodien und Ohrwurm-Refrains. Der Titel „The Bridge“ ist eine Metapher für die von Klimawandel und Pandemie

Eric Ryan Anderson

geprägte Zeit.

War es kräftezehrend, sich während der Pandemie neue Songs und Themen auszudenken? Nein. Es wäre stressig gewesen, keine Musik machen zu können. Denn Musik ist meine Therapie. Eigentlich wollte ich mit meinem Stück „The Last Ship“ auf Tournee gehen, aber wie alle anderen wurde ich von der Arbeit zurückgeschickt, und wir wussten eine Zeit lang nicht, wann die Zwangspause enden würde. Ich war deshalb sehr froh, dass ich in mein Studio gehen und versuchen konnte, Musik zu machen (lacht). Ohne sie wäre ich völlig verrückt geworden. Wie haben sich die Themen der Songs ergeben? Ich wollte nicht über die Pande-

mie oder den Lockdown schreiben, aber die Lieder, die entstanden sind, spiegeln wohl unbewusst etwas davon wider. Denn alle Figuren, über die ich schreibe, befinden sich in einem Zustand des Übergangs zwischen der Gegenwart und der Zukunft, zwischen Leben und Tod, Krankheit und Gesundheit, zwischen Beziehungen. Das wurde mir erst am Ende des Jahres klar, als ich mir die Lieder noch einmal ansah und dachte: Oh, das ist es, was sie alle verbindet! Und dann habe ich den Titelsong „The Bridge“ geschrieben. ... der eine Metapher für all das ist? Ich glaube, wir suchen alle nach einer Brücke in die Zukunft, wo wir

uns sicher und glücklich fühlen können. Das gilt für mich und für alle Menschen auf diesem Planeten. Wir sind alle mit diesem verrückten Klimawandel konfrontiert, mit der Pandemie, der sozialen Krise, der politischen Krise, Krieg. Ich kenne die Antwort auf diese Probleme nicht, aber ich glaube, wenn es eine Lösung gibt, dann ist sie in Empathie eingebettet: menschlichen Beziehungen, Liebe, Musik, Kunst, Kommunikation. Verstehen Sie sich als eine Art kulturellen Brückenbauer? Ich bin ein Sänger. Ich stehe auf einer Bühne, singe Lieder, und die Leute hören mir zu. Aber ich halte mich nicht für einen Brückenbauer. Ich bin einfach nur ein Sänger.

Politischer und sozialer Aufruhr sind allgegenwärtig. Sind das kreative Zeiten für einen Songschreiber wie Sie? Einige der größten Kunstwerke sind in Zeiten schrecklicher sozialer Konflikte oder Kriege entstanden. Aber der Klimawandel und die Pandemie sind radikale Krisen und real. Die Kunst ist wahrscheinlich unser einziger Ausweg: Musik, Poesie, Bücher. Was können wir sonst tun? Wie bereiten Sie sich aufs Songschreiben vor? Hören Sie sich Musik von anderen Künstlern an? Ich höre nicht sehr viel Musik. Ich bereite mich mental vor. Ich weiß, dass ich geduldig und zu einer bestimmten Zeit im Studio sein muss, um dort bis zum Abendessen zu arbeiten. Das habe ich mein Leben lang gemacht. Ein berühmter Golfer hat einmal gesagt: „Je härter ich übe, desto mehr Glück habe ich.“ Ich glaube, das trifft auch auf mich zu. Das Stück „Harmony Road“ handelt davon, wie es ist, in einem „Problemviertel“ aufzuwachsen. Kennen Sie das von sich selbst? Ich komme aus einer harten Stadt im Norden Englands. Dort gab es keine noblen Orte. Aber ich bin dankbar dafür. Denn meine Her-


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