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Die goldene Mitte

Umgesehen … entlang der Ländchesbahn –Station in Erbenheim auf dem Kirchplatz

In weitem Bogen erreicht die Regionalbahn der Linie 21 nach Niedernhausen zügig den Haltepunkt Erbenheim. Nach nur vier Minuten Fahrtzeit ab Wiesbaden Hauptbahnhof bin ich da. Ein vollkommen ungewohntes Wiesbaden-Gefühl ist es, im Stadtgebiet aus einem schienengebundenen Verkehrsmittel auszusteigen, und dann auch noch auf Neubau (!) und Aufbruch zu treffen (hiervon bitte mehr – anstelle einer Schienenphobie – für Wiesbaden!). Betriebszeiten wurden schrittweise erweitert, Takte verdichtet und der neu (!) gebaute Erbenheimer Bahnsteig ist seit 11. Dezember 2022 entscheidend herangerückt an die Berliner Straße.

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Ungefähres Oval, vielfältig umbaut Unter der hier ebenfalls neu errichteten Eisenbahnbrücke hindurch gelange ich nach wenigen Minuten linkerhand zur Wandersmannstraße und biege dort ein. Es wird ruhig. Nach 200 Metern erreiche ich einen auf den ersten Blick schwer überschaubaren Platz: Dieser bildet ein ungefähres Oval und ist vollständig umrahmt von einer geschlossenen Bebauung: ehemalige Bauernhöfe (erkennbar an den überdachten Toren), Fachwerkbauten, kleinstädtische Gründerzeithäuser, kleinere und größere Bauten, auch Neubauten sind verschachtelt und gestaffelt in großer Vielfalt. Ich suche nach einem Straßennamens- schild und finde – keines! Der Platz ist offiziell namenlos. An der Südund Westseite führt die Ringstraße entlang, im Norden und Osten verläuft die Wandersmannstraße. Die Platzfläche dazwischen ist ziemlich groß: ungefähr 150 Meter lang.

Am östlichen Ende befindet sich das ehemalige Rathaus (Schriftzug an der Platzseite) und am südlichen Rand –gut erhalten – die Dorfkirche (mit romanischen, gotischen und barocken Elementen). Der Baumbestand ist reichhaltig: Linden, Rosskastanien, Kirschen, Rotdorne, Hasel. Eingebettet in eine liebevoll erneuerte Pflasterung (von 2010) aus überwiegend alten Steinen finden sich – detailreich auf die Bebauung abgestimmt – sehr viele kleinere und größere Beete und Baumscheiben, bei näherer Betrachtung abwechslungsreich bepflanzt: diverse Büsche und vielfältige Stauden: Rosen, Lavendel, Malven, Goldlack, Anemonen, Königskerzen, Astern und einige mehr.

Ein Platz, sonst nichts

Ich streune hierhin und dahin, genieße die Atmosphäre – und staune: Alte Sandsteintreppchen sind erhalten, viele unterschiedliche Bänke finden sich, ein klassischer Holzlattenzaun umfasst einen kleinen Spielplatz, der gesamte Platz ist autofrei. Diese parken am Rand, spätestens auf drei Stellplätze folgt ein Baum. Der Platz ist vollkommen frei von Reklamen, Leuchtschriften und Werbung.

Ein auch heute geöffnetes Gasthaus („Zum Engel“ – seit 1637!) und die Dorfwaage mit kleinem Jugendstilhäuschen (1911 bis 2006 in Betrieb) fallen ins Auge.

Bürgerschaftliches Engagement

Das ehemalige Rathaus, das lange Jahre zuvor Erbenheims Schulhaus gewesen war, beherbergt das – vom Kulturamt unterstützte – Heimatmuseum, in dem neben dessen Ausstellungen auch Vereinssitzungen, Versammlungen und Trauungen stattfinden. Sein erster Vorsitzender, Gerhard Beil, spielte einst selbst als Kind auf diesem Platz, wie er mir berichtet. Es gebe eine ganze Reihe von Anwohner:innen vor Ort, auch die Freiwillige Feuerwehr und weitere, die auf diesem „gerne mit anpacken“. Der Ortsbeirat ruft auf einer bronzenen Gedenktafel für die Opfer des NS-Regimes „die Bürgerinnen und Bürger“ zum „aktiven und verantwortlichen Einsatz für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung“ auf. Bürgerschaftliches Engagement spielt hier, wo Beil selbst einst als Kind vor dem Haus seiner Großmutter gespielt hatte, nach wie vor eine spürbare Rolle.

Fazit: Aufenthaltsqualität: vielfältig gegeben / Raumgefühl: geborgen, ohne eng zu wirken / Optik: viele Naturmaterialien, Bebauung ringsum sehr abwechslungsreich, reichhaltiger Baumbestand / Besonderheit: Alt und Neu, Freifläche und Verkehrsraum, der große Platz und viele kleine Details bilden eine intakte Einheit / Gesamteinschätzung: eine „goldene Mitte“ des eingemeindeten ehemaligen DDorfes. Fahren Sie mal hin. Vielleicht per Ländchesbahn? (Die Bus..linien 5 und 15 bringen Sie ebenfalls ganz in die Nähe, zur Haltestelle „Egerstraße“).

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