Ab Seite 28: Karriereberatung und Stellenmarkt für technische Fach- und Führungskräfte
T E C H N I K W I RT S C H A F T G E S E L L S C H A F T 15. Januar 2016 · Nr. 1/2
www.vdi-nachrichten.com
Die nächste Ausgabe erscheint am 29. 1. 2016
Einzelpreis 3,00 Euro
6867
Foto: Getty Images
Videoüberwachung ist kein Allheilmittel
Karrieretelefon
VDI nachrichten, Düsseldorf, 15. 1. 16, rb
Personalexperten geben Tipps VDI nachrichten, Düsseldorf, 15. 1. 16, ps
Bei unserer telefonischen Karriereberatung stehen Ihnen Astrid Steinkötter, Personalreferentin M Plan, und Thomas Sundermann, Personalleiter Carcoustics, Rede und Antwort. ps
Donnerstag, 21. 1. 16, 14 Uhr bis 18 Uhr 0211 17600-401 Astrid Steinkötter 0211 17600-402 Thomas Sundermann
Technik & Gesellschaft
ten in der Silvesternacht in Deutschland fordern Politiker und Bürger mehr Videoüberwachung, wie sie in anderen europäischen Großstädten (Foto: London) zum Alltag gehört. Doch ihre Wirkung ist umstritten. Thomas Feltes von der Ruhr-Universität Bochum warnt: „Videoüberwachung ist nur so gut wie die Person, die in Echtzeit die Monitore beobachtet und Maßnahmen einleiten kann.“ Von intelligenter Überwachung mit Mustererkennungssoftware sind die Systeme noch weit entfernt. „Tanzen und eine Schlägerei könnten ähnlich aussehen“, weiß Sicherheitsexperte Nils Zurawski. rb -Seite 10
Abschied vom Absolutismus Management: Sauber, leise, komplett vernetzt – so stellen sich Forscher die Fabrik der Zukunft vor. Doch nicht nur die Werkshallen werden sich verändern. Auch die Führungskultur muss vielerorts angepasst werden. Zum neuen Leitbild wird der wohlinformierte, mündige Mitarbeiter. VDI nachrichten, Düsseldorf, 15. 1. 16, ciu
Steinkohle – vorletzte Ruhrpott-Zeche schließt -Seite 6
EU verspielt die Chance für mehr Recycling -Seite 7
Technik & Wirtschaft
Keine Langeweile auf dem Smartphone-Markt -Seiten 12 und 13
Big Data unterstützt das Team im Operationssaal -Seite 21
Technik & Finanzen
Industrie 4.0 – Manfred Wittenstein kann den Begriff kaum noch hören. Durch inflationären Gebrauch sei er zur „Plakette für manchen Unfug“ geworden, verdeutlichte er gegenüber den VDI nachrichten. Der Maschinenbau-Unternehmer fürchtet, dass die Debatte hierzulande Schlagseite hat. Es werde viel über neue Geschäftsmodelle, Fertigungstechnologien, Rechtsfragen und Datensicherheit diskutiert. Zu kurz kommen seiner Meinung nach zwei Fragen, die für den Erfolg der intelligenten Fabrik entscheidend sein könnten: Welchen Herausforderungen sieht sich das obere Management gegenüber? Wie geht es damit um? Immer häufiger müssten Führungskräfte außerhalb von hierarchischen Systemen für Ziele, Ori-
entierung und Konsequenz sorgen, konstatiert Wittenstein. „Zunehmende Geschwindigkeit und Vernetzung, die Gleichzeitigkeit und Interdependenzen von Ereignissen, unternehmensübergreifende Kooperationen und vieles mehr sorgen für zusätzliche Dynamik und Komplexität.“ Die Zeit des absolutistischen Managers ist für ihn abgelaufen: „Klassische Führung über hierarchische Mechanismen funktioniert in Zeiten von Industrie 4.0 immer weniger.“ Intelligenten Wertschöpfungsnetzwerken, die sich je nach Aufgabe immer wieder neu konfigurieren, gehörten die Zukunft. Diese aber stellten „enorme Anforderungen an die Kommunikation im Unternehmen“. Wittenstein hat in seinem Unternehmen dazu Kommunikationsforen eingerichtet, bei denen
Foto: Marijan Murat/dpa
Foto: privat
Foto: privat
Überwachung: Nach den Gewaltta-
„Klassische Führung funktioniert bei Industrie 4.0 immer weniger.“ Manfred Wittenstein, Chef der Wittenstein AG der Vorstand regelmäßig allen Mitarbeitern in kleineren Gruppen Rede und Antwort steht. Das ist Wasser auf die Mühlen von Sabine Pfeiffer. Die Professorin an der Uni Hohenheim hat in einer Studie festgestellt, dass die Belegschaft in den Fabriken fit ist und keine Angst vor Industrie 4.0 haben muss. Es hapere eher bei den Führungskräften. Die seien
Geldprofi Gottfried Heller: In Europa geht es aufwärts -Seite 24
Management & Karriere
Special Bauindustrie: Bedarf übersteigt Angebot -Seiten 28 und 29
Technik & Kultur: Kunst trifft auf die Digitalisierung -Seiten 38 und 39
Aus dem VDI -Seite 40
Börsenspiel: Mitmachen und gewinnen!
Mobile Maschinen oft sauberer als moderne Pkw
VDI nachrichten, Düsseldorf, 15. 1. 16, cb
VDI nachrichten, Düsseldorf, 15. 1. 16, pek
Ingenieurfonds: Alle Zähler stehen wieder auf null, unser Börsenspiel geht in die neue Runde. Wer bis 30. Juni den besten Aktienriecher beweist und die höchste Rendite erzielt, gewinnt ein MacBook. Doch an den Börsen bläst gerade mächtiger Gegenwind. Dass die Ingenieure auch bei stürmischen Zeiten einen küh-
Emissionen: Das Vorurteil scheint tief verwurzelt: Land- und Baumaschinen verschmutzen die Luft stärker als moderne Pkw. „Das hat mit der Realität leider wenig zu tun“, widerspricht Marcus Geimer, Leiter des Lehrstuhls für Mobile Arbeitsmaschinen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Das Problem sei, dass die
photo ] istock Foto: [M
len Kopf bewahren und die richtige Aktienstrategie parat haben, gilt es jetzt zu beweisen. Außerdem wird unter allen Mitspielern ein Tablet-PC verlost. cb -Seite 25
schlecht vorbereitet, die Führungskultur in Deutschland hinke hinterher. Was alle lernen müssten, sei, mit großen Datenmengen umzugehen. Man dürfe sich keine Illusionen machen, die Digitalisierung solle im Kern menschliche Arbeit ersetzen. Den viel beschworenen Satz „Der Mensch steht im Mittelpunkt“ könne sie so nicht sehen. Umso wichtiger sei es, jetzt die richtigen Weichen für die Zukunft zu stellen. „Das ist nur zu erreichen, wenn es auch durchgesetzt und zum Teil erkämpft wird“, sagt Pfeiffer. Um dem Mittelstand den digitalen Wandel zu erleichtern, hat das Forschungsministerium ein Förderprogramm erstellt, das am Mittwoch vorgestellt wurde. Kleine und mittlere Unternehmen sollen mit dieser Hilfe z. B. ihre Arbeitsorganisation auf den neuesten Stand bringen können. Die Veränderung des Arbeitsumfelds wird auch auf der VDI-Tagung „Industrie 4.0“ am 27. und 28. Januar in Düsseldorf ein Thema sein. cer/ps/ws n Seiten 2, 3, 8 und 16 bis 18
Emissionen für Pkw auf eine Strecke bezogen sind (g/km), wobei die der Land- und Baumaschinen in g/kWh gemessen werden – ein Bagger im Einsatz fährt eben keine Strecken. Es hapert an der Vergleichbarkeit. Dieses Manko hat eine aktuelle Studie des KIT beseitigt und widerlegt das lang gehegte Vorurteil mit Zahlen, Daten und Fakten. pek SSeite 19
2
MEINUNG
VDI nachrichten · 15. Januar 2016 · Nr. 1/2
Politisches Prisma
Schmusekurs Matthias Müller: Möchte das Vertrauen der US-Kunden in VW zurückgewinnen. Foto: Volkswagen AG
Während der Detroit Motor Show bemüht sich VW-Chef Matthias Müller um Imagepolitur. Schwer lastet der Skandal um manipulierte Dieselmotoren auf seinen Schultern. Um das Vertrauen der Amerikaner in VW wiederzugewinnen, steht der Rückkauf von über 100 000 Wagen im Raum. Darüber hinaus erweitert VW sein Gutscheinprogramm, dabei werden jedem vom Abgas-Skandal betroffenen Kunden 1000 $ geboten. Bundesverbraucherschutzminister Heiko Maas forderte bereits im November, dass betroffene deutsche VW-Kunden dieselben Hilfen vom Konzern erhalten wie jene in den USA. Doch wie es derzeit aussieht, müssen sich die meisten deutschen Kunden mit einer kleinen Plastikröhre in ihrem Fahrzeug zufriedengeben. Damit werden die Abgase reduziert. 1000 € Entschädigung – geschweige denn ein Rückkauf – bleibt wohl nur ein Wunschtraum. pek -Seite 19
Aufwertung Gerhard Bosch: Fürchtet, dass die berufliche Bildung auf der Strecke bleibt. Foto: Carolin Weinkopff/ Uni Duisburg-Essen
Das Image der industriellen Ausbildung müsse verbessert werden, fordert der Arbeitsmarktforscher Gerhard Bosch vom Institut Arbeit und Qualifikation an der Universität DuisburgEssen. Derzeit studieren in Deutschland 58 % eines Jahrgangs, 2003 waren es noch 39 %. Der Anteil der Arbeitsplätze, für die eine akademische Bildung vorausgesetzt wird, liegt aber nach seinen Angaben unter 25 %. Der Run auf Hochschulen führe dazu, dass „das Potenzial für gute Bewerber für die Berufsausbildung austrocknet“. Ein wichtiger Schritt zur Aufwertung der Berufsbildung ist nach Ansicht von Bosch die Gleichstellung von Meistern und Fachwirten mit Bachelor-Absolventen. Die Unternehmen müssten aber auch gute Perspektiven für beruflich Ausgebildete bieten. Wenn diese Perspektiven aber nur in Sonntagsreden vorkommen, wird der Run auf die Hochschulen anhalten. has
Nach Plan Patrick Graichen: Fordert Ausstieg aus der Kohle bis 2040. Foto: Agora
„Agora Energiewende“ heißt ein politischer Thinktank in Berlin, der sich Gedanken macht über – na klar, die Energiewende. Am Montag wurden seine Ideen zum Ausstieg aus der Kohle bekannt. Raus bis 2040 – in elf Punkten skizzieren die Hauptstädter, wie das gehen könnte. Denn es eilt, glaubt man Agora-Chef Patrick Graichen: „Wenn wir jetzt nicht offen über die Zukunft der Kohle reden, droht uns die gleiche Debatte wie einst bei der Atomkraft.“ Die Schließung der vorletzten Zeche im Revier ist ein guter Anlass, sich rechtzeitig Gedanken über den Kohleausstieg zu machen. Und der Zeitraum? Wer in die Leitstudie zur Energiewende der Bundesregierung schaut, stellt fest: Der weitgehende Rückzug der Kohle aus der Stromerzeugung steht da längst drin: Bis 2040 soll es so weit sein. swe -Seite 6 lschneider@vdi-nachrichten.com/hsteiger@vdi-nachrichten.com
„Bei Führung 4.0 ist konstruktives Stören erwünscht“ Management: Die Idee der intelligenten Fabrik fordert die deutsche Industrie heraus. Sie stellt nicht nur neue Anforderungen an die Ingenieurwissenschaften, sondern auch an die Betriebswirtschaft. Tradierte Managementmodelle stehen auf dem Prüfstand. Der Maschinenbauunternehmer Manfred Wittenstein erläutert, wie Industrie 4.0 die Führungskultur prägen wird.
kräfte außerhalb von hierarchischen Systemen für Ziele, Orientierung und Konsequenz sorgen. Zunehmende Geschwindigkeit und Vernetzung, die Gleichzeitigkeit und Interdependenzen von Ereignissen, Digitalisierung, das Verschmelzen verschiedener Technologien und Disziplinen, unternehmensübergreifende Kooperationen und vieles mehr sorgen für zusätzliche Dynamik und Komplexität. „Klassische“ Führung über hierarchische Mechanismen funktioniert seit Längerem immer weniger. Industrie 4.0 beschleunigt diese Entwicklung. Zugegeben: Auch ich weiß nicht, wie künftig optimale Führung – nennen wir Sie „Führung 4.0“ – aussieht. Und ganz gewiss habe ich in meinem Leben vieles falsch gesehen und falsch gemacht. In einem aber bin ich mir sicher: Man muss ständig auf der Suche nach Antworten sein. Es ist die ureigenste Aufgabe eines jeden Unternehmers, sich dieser Herausforderung zu stellen. Und bei aller Unsicherheit: Einige Muster zukunftsfähiger Führung sind schon erkennbar: Nachdem Hierarchien, die Dominanz eigener fachlicher Kompetenzen sowie die Strukturen des eigenen Unternehmens vielerorts an Bedeutung verlieren, gilt es, Mehrwert in intelligenten Wertschöpfungsnetzwerken zu schaffen. Diese Netzwerke werden sich je nach Aufgabenstellung immer wieder neu konfigurieren.
zentralen Konzernsteuerung einerseits, der dezentralen Unternehmenseinheiten andererseits definiert. VDI nachrichten, Igersheim, 15. 1. 16, ps Auf dieser konstitutionellen Basis aufbauend, findet seitdem für unsere „Industrie 4.0“ ist seit einiger Zeit in Top-Führungskräfte eine auf Dialog aller Munde, mitunter gar inflationär setzende, über mehrere Monate lauin Gebrauch und Plakette für so manfende Schulung statt, unser sogechen Unfug. Im Kern ist es jedoch nannter FührungsDialog. fraglos ein Thema von höchster ReleEs ist wichtig zu erkennen, dass ohvanz gerade für hoch entwickelte ne die richtige Geisteshaltung der einVolkswirtschaften und Schlüsselbranchen wie den Maschinen- und Anlazelnen Führungskräfte die definierten genbau. Für mein Unternehmen, mit „Rollen & Regeln“ nicht funktionieren seinem Anspruch, Weltmarktführer können, die Zielsetzung von mehr deauf dem Gebiet mechatronischer Anzentraler Autonomie und einem startriebstechnik zu sein, allemal. ken strategisch-normativen Überbau Inzwischen ist die cyber-physische nicht erreicht werden kann. Nur bei maximalem Verständnis auf Wertschöpfungsvision gezeichnet, die individueller Ebene lässt sich der Vorvolkswirtschaftlichen Potenziale für teil von Kleinteiligkeit nutzen, FühDeutschland wurden ermittelt. Die rung vervielfältigen, ohne dass HeteErgebnisse stimmen optimistisch. Auf rogenität zur Beliebigkeit verkommt. staatlicher, verbandspolitischer und Und nur dann entwickelt sich das Ununternehmerischer Ebene – überall ternehmen mit seinen dezentrawird heftig diskutiert über Fralen Einheiten hin zu einer stragen der Geschäftsmodellinnova„Bei uns steht der Vorstand allen tegischen Managementholding. tion, der Fertigungstechnologien Diese Managementholding soll und -prozesse, der rechtlich-in- Mitarbeitern in überschaubaren auch von außen als attraktives stitutionellen Gegebenheiten, Gruppen persönlich Rede und Antwort. Hochleistungsnetzwerk mit exder Datensicherheit, der AusSo minimieren wir Sickerverluste.“ zellenten Möglichkeiten zur Anund Weiterbildung der Mitarbeidockung wahrgenommen werter. Längst gibt es vielerorts be- Manfred Wittenstein, den, sich somit positiv aufladen eindruckende Umsetzungserfol- Aufsichtsratsvorsitzender der Wittenstein AG und immer wieder neu konfiguge von hohem Nutzen. rieren. Verständnis und Veränderung Und doch: Mich umschleicht seit Das Ausrichten dezentraler Intelligenz von innen nach außen – das ist der Langem der Verdacht, dass eine entund Autonomie auf übergeordnete Weg, für den wir uns entschieden hascheidende Frage zu wenig Beachtung Zielsetzungen, noch dazu bei einem ben. findet. Eine Frage, deren erfolgreiche immer größer werdenden BeeinflusUmfassend verstanden, stellt dieser sungsbereich – das ist die schwierige Beantwortung am Ende des Tages Weg enorme Anforderungen an die Aufgabe. Wie lässt sie sich lösen? Stakriegsentscheidend sein kann, die Kommunikation und den Austausch tisch, zentralistisch und entlang von Frage nämlich „Welchen neuen Heim Unternehmen. Das Durchdringen Berichtslinien: wohl kaum! Anpasrausforderungen sieht sich das obere der Organisation von innen nach ausungsfähig über Begeisterung und Management gegenüber und wie geht ßen führt – bildlich gesprochen – Orientierung dennoch kritisch-ratioes damit intelligent um?“ durch jeden einzelnen Mitarbeiter. nalistisch: schon eher! Nicht dass plötzlich alles anders Nur so kann das Gebilde als intelliDas eigene Unternehmen muss dawäre. Aber die Anforderungen an ergentes und anpassungsfähiges Hochrüber hinaus zu einem attraktiven folgreiche Führung sind gestiegen. leistungsnetzwerk funktionieren, nur und anschlussfähigen HochleistungsImmer häufiger müssen Führungsso entsteht auch nach außen die gebilde entwickelt werden, das für seigrößtmögliche Attraktivität und Anne Partner und Kunden ein zuverlässischlussfläche. ger Beschleuniger ist. Klar ist bei alleZur Person Wie gehen wir dabei konkret vor? dem auch: Dazu braucht es Multiplikatoren und „Satelliten“ – innerhalb Wir nutzen seit den Jahren der WirtManfred Wittenstein ist und außerhalb des eigenen Unternehschafts- und Finanzkrise regelmäßig Aufsichtsratsvorsitzender mens. Alleine kann niemand führen. Kommunikationsforen, auf denen der der Wittenstein AG, WeltAls vor mittlerweile fast zehn Jahren Vorstand allen Mitarbeitern in übermarktführer auf dem Gein meinem Unternehmen erkennbar schaubaren Gruppengrößen persönbiet der mechatronischen wurde, dass die im Kern recht zentralich Rede und Antwort steht. Auf diese Antriebstechnik. Der ehelistische Führung an ihre Grenzen Art und Weise erreichen wir größtmalige Präsident des stieß und dies nicht dem starken Unmögliche Authentizität und minimieVDMA und BDI-Vizepräternehmenswachstum alleine zugeren „Sickerverluste“. sident ist „Entrepreneur Der Vorstand trägt hier enorme Verrechnet werden konnte, machten wir des Jahres“ und Mitglied antwortung und ist Nukleus für die Inuns auf den Weg. Der Veränderungsin der Hall of Fame der telligenz des Unternehmens und seiprozess lief damals noch nicht unter weltbesten Unternehmer. ner Anschlussfähigkeit. Deshalb hader Überschrift „Industrie 4.0“. In eips ben wir uns bei der Auswahl unserer nem ersten Schritt haben wir „Rollen neuen Vorstandsmitglieder bewusst & Regeln“ für das Zusammenspiel der
VDI nachrichten · 15. Januar 2016 · Nr. 1/2
Einblicke: Manfred Wittenstein erläutert, wie er Führung 4.0 in seinem Unternehmen realisiert. Foto: Marijan Murat/dpa
für eine in Persönlichkeit und Fachdisziplin heterogene Gruppe junger Leute entschieden. Wir erhoffen uns davon eine hohe „Sendeleistung“ sowie große Anschlussfläche – intern und extern. Der gerade skizzierte Ansatz erscheint mir zielführend, doch ob er
wirklich zum Erfolg führt, weiß ich natürlich nicht. Und doch habe ich nicht zuletzt auch deshalb ein gutes Gefühl dabei, weil um die einzelnen Schritte jeweils intensiv gerungen wird. Sie sind Zwischenergebnisse eines permanenten Prozesses ohne aktionistische Hauruck-Maßnahmen. Auf den
Punkt gebracht: Auch „Führung 4.0“ ist wohl eher evolutionär als revolutionär. Und noch etwas möchte ich in aller Offenheit anmerken: Wenn es um die Weiterentwicklung des Unternehmens und dessen Führungskräfte geht, ist es nicht gut, im eigenen Saft zu schmoren. Achtsamkeit und Bescheidenheit sind hier gewiss die besseren Berater als Egozentrik und Überheblichkeit. Konstruktives Stören, fachliche Expertise und Erfahrungen von außen sind der Beifahrer, den man gerade bei schnellen Fahrten im Nebel ab und an sehr gut gebrauchen kann. Das gilt vor allem dann, wenn er das Auto (Unternehmen), den Fahrer (Unternehmer/Management) und die Strecke (Strategie) schon gut kennt. Mit der St. Galler Business School und ihrem Geschäftsführenden Direktor Christian Abegglen haben wir seit Jahren einen solchen Partner, der Wittenstein durch die verschiedenen Phasen der Unternehmensentwicklung begleitet. Diese Partnerschaft hat strategischen Charakter und durchzieht den hier beschriebenen Prozess als Konstante von Anfang an – vom Projekt „Rollen & Regeln“ über den „FührungsDialog“ bis hin zur Neukonfiguration des Vorstands. Warum erwähne ich das ausdrücklich? Weil ich unterstreichen möchte, dass es meines Erachtens geradezu
MEINUNG
3
„Führung-4.0-inhärent“ ist, sich auch in Führungsfragen zu vernetzen. Dabei schafft Konstanz das erforderliche unternehmensspezifische Wissen, ohne jedoch den Blick von außen zu vernebeln. Ich erwähne es zudem, weil noch etwas deutlich werden soll: Institutionelles Renommee ist womöglich ein taugliches Auswahlkriterium für den externen Partner. Überzeugungsfähigkeit, Glaubhaftigkeit und Vertrauen jedoch werden letztlich an Personen festgemacht. Daran wird sich nichts ändern. Womöglich ist es sogar so, dass der Erfolg von „Industrie 4.0“ davon abhängt, wie überzeugungsfähig, glaubhaft und vertrauensvoll die Führung ist. MANFRED WITTENSTEIN
VDI-Tagung Industrie 4.0 Am 27. und 28. Januar bietet das VDI Wissensforum auf der Fachtagung „Industrie 4.0“ eine Plattform zum Erfahrungsaustausch. Geleitet wird die Veranstaltung von Michael ten Hompel (TU Dortmund) sowie FraunhoferIML und Fraunhofer ISST. Das Tagungsprogramm finden Sie im Netz. ps - vdi-wissensforum.de
„Jetzt die Weichen richtig stellen“ Industrie 4.0: Für die Wissenschaftlerin Sabine Pfeiffer steht fest: Wer die aktuelle Komplexität in der Industrie beherrscht, mit den Unwägbarkeiten der Arbeitswelt umgehen kann, der hat mit Industrie 4.0 kein Problem. Mehr als zwei Drittel der Beschäftigten in den Fabriken sind fit für die neuen Aufgaben, hat sie in einer Studie festgestellt. VDI nachrichten. Hohenheim, 15. 1. 16, cer
VDI nachrichten: Gibt es ausreichend Ressourcen für die Gestaltung der neuen Aufgaben? Pfeiffer: Ja, unbedingt. Die Beschäftigten in der Industrie haben ein hohes Potenzial, das sie heute schon unter Beweis stellen.
Wir setzen bei einem hohen und breiten Qualifikationsniveau an, das seines Gleichen sucht. Dadurch können Lösungen für Industrie 4.0 entstehen, die so schnell keiner auf der Welt kopieren kann.
Haben die Mitbewerber diesen Ist das ein Wettbewerbsvorteil Qualifikationsvorteil nicht? Die zentralen Wettbewerber wie für die Wirtschaft? Wenn wir diesen Vorteil jetzt für China oder die USA sind an diedie Entwicklung der Technik und sem Punkt schlechter aufgestellt. Gestaltung von Industrie 4.0 ein- Wir haben eine Beschäftigtensetzen, und zwar von Anfang an, struktur, die im mittleren Bereich dann ist schon viel erreicht. Alle durch die duale Berufsausbildung Techniklösungen müssen auf das schon sehr gut qualifiziert ist. Aber besondere Arbeitskräftepotenzial auch die Ingenieurausbildung ist setzen, das wir in Deutschland ha- auf hohem fachlichem Niveau. ben, es nutzen und weiter fördern. Nutzen wir das, entsteht daraus eine sehr starke Ressource. Das schafft einen nachhaltigen WettSind die Fachkräfte in Deutschbewerbsvorteil, den man nicht so land denn etwas Besonderes?
Die Idee der Studie - Auf Basis der Daten der BIBB/BAuA-Befragung (die Studie sammelte 2012 Informationen über 20 000 Erwerbstätige und deren Arbeitsplätze) hat Sabine Pfeiffer die Frage untersucht: Haben die Beschäftigten ausreichende Kompetenzen für die Gestaltung von Industrie 4.0? - Dabei entstand der Arbeitsvermögen-Index (AV-In-
dex), der die Komplexität und Unwägbarkeit in der Arbeit abbildet. - Sabine Pfeiffer und Anne Suphan haben eine Kurzfassung (15 Seiten) ihrer Studie „Der Mensch kann Industrie 4.0“ im Netz veröffentlicht.
- sabine-pfeiffer.de/files/downloads/ 2015_Mensch_kann_ Industrie40.pdf
Sabine Pfeiffer - hat eine Ausbildung zur Werkzeugmacherin absolviert. Danach war sie im technischen Support von Industriefirmen tätig. Sie studierte Soziologie, promovierte an der FU Hagen. - Jetzt ist sie Professorin für Soziologie an der Universität Hohenheim in Stuttgart.
schnell mit noch so großem finanziellem Aufwand kompensieren kann.
Es ist also ein Vorurteil, dass die Beschäftigten in der deutschen Industrie nicht fit sind für die Digitalisierung? Die Beschäftigten in der Industrie haben gelernt, ihre Antworten jenseits von Schema F zu finden. Sie verlassen sich nicht nur auf ihr theoretisches Fachwissen. Erfahrung spielt eine große und wichtige Rolle. Natürlich haben wir in der Industrie auch schlecht qualifizierte Beschäftigte, aber die brauchten auch ohne Digitalisierung einen Weiterbildungsschub. Der Bedarf an Weiterbildung steigt für alle. Müssen Ingenieure bei Industrie 4.0 umdenken? Was Ingenieure immer noch nicht so richtig gut können, ist, sich von den technischen Möglichkeiten zu lösen und in die Rolle des Anwenders schlüpfen. Was sind die Lernthemen? Es gibt nur eine bahnbrechende neue Qualifikation: Wir alle müs-
sen lernen, mit großen Datenmengen umzugehen.
Braucht es dafür nicht auch andere Methoden des Lernens? Ja, das ist komplementär. In der Ausbildung sollten mehrere Berufe gemeinsam an einem Projekt arbeiten. Im Studium haben wir das Problem, dass die Ingenieurdisziplinen sich allenfalls noch im Grundstudium begegnen. Das muss sich ändern, und zwar systematisch so, dass es nicht der Kreativität des Lehrenden überlassen bleibt, ob was passiert. Sabine Pfeiffer sieht die Belegschaften in der deutschen Industrie Was ist mit den Führungskräfgut gerüstet, die Führungskräfte ten? Die sind schlecht vorbereitet. In seien eher das Problem. Foto: A. Amann der Führungsetage sehe ich den größten Bedarf an Weiterbildung. Führung nach den Prinzipien von beitsteilung zwischen Mensch 1.0, nach tayloristischen Arbeits- und Maschine oder Algorithmus. modellen, gibt es immer noch. Die Je partizipativer, desto besser sind die Lösungen. Führungskultur hinkt hinterher. Sie fordern: Einmischen, hinterfragen und mitgestalten – können das die Belegschaften? Manche meinen, Social Media mache quasi automatisch alles demokratischer und hierarchieloser. Das ist im Internet schon nicht so und im Unternehmen allemal nicht. Betriebe bleiben auch bei Industrie 4.0 hierarchisch. Unterschiedliche Interessen spielen eine Rolle – das wird sich nicht automatisch demokratisieren. Das muss man schon wollen. Die Frage ist nur, mit welchen Prozessen und wer darf gestalten? Genau, das ist die Gestaltungsfrage. Egal ob es smarte Handschuhe, die Datenbrille, der Roboter oder ein Software-Programm ist, die Frage ist doch immer, an welche Stelle setze ich eine sinnvolle Ar-
Also alles wird gut? Nein, so einfach ist das nicht. Man darf sich keine Illusionen machen, was die Digitalisierung in ihrem Kern will: Sie soll menschliche Arbeit ersetzen. Es gibt den viel beschworenen Satz „Der Mensch steht im Mittelpunkt“ – das sehe ich so noch nicht. Das ist nur zu erreichen, wenn es auch durchgesetzt und zum Teil erkämpft wird. Müssen wir Angst haben? Ja, wenn wir nicht gut gestalten. Gerade jetzt haben wir ein Zeitfenster, in dem viele Weichen zu stellen sind. K. HEIMANN
Langfassung des Interviews - vdi-nachrichten.com/heimann-online