4 minute read

SPECIAL: Hauptstadt der Hunde - SIEGESSÄULE Kompass Winter/Frühjahr 2020

Foto: Alexander Krämer - gearimages.de

HAUPTSTADT DER HUNDE

Im hundefreundlichen Berlin schlüpfen Menschen gerne in die Rolle des Vierbeiners. Puppy-Play trifft einen Nerv – auch weil der Fetischtrend sehr verspielt ist

Menschen in Hundemasken trotten auf allen vieren an der Leine hinter einem stolzen „Herrchen“ (oder „Frauchen“) her – längst ein gewohnter Anblick auf Berliner Fetisch-Veranstaltungen oder dem CSD. Im letzten Jahr sind die Zahlen der menschlichen „Puppys“ regelrecht in die Höhe geschossen – woher aber kommt die Begeisterung der Berliner*innen für das tierische Theater? Als „Human Pupplay“ oder „Puppy-Play“ wird das Rollenspiel bezeichnet, bei dem eine Person in die Rolle eines Pups/Puppys (Englisch für „Welpen“) schlüpft. Das Gegenstück dazu ist der „Handler“ oder Trainer, also die Person, die den Puppy erzieht. Anders als beim Dogplay – sozusagen der älteren, strengeren Schwester des Pupplays – geht es den verspielten Puppys wenig bis gar nicht um BDSM-Praktiken oder Erniedrigung. „Pupplay ist eher ein sozialer Fetisch“, erklärt Puppy Phil (32), der seit dem Easter Berlin 2018 in der Pupplay-Community aktiv ist – und es schon im Jahr drauf beim bundesweiten Wettbewerb„Puppy Germany 2019“ auf den zweiten Platz schaffte. „Für mich ist Pupplay wenig bis gar nicht sexuell behaftet“, erklärt Phil. „Natürlich gibt es auch einige, die Pupplay auf sexueller Ebene praktizieren, aber ein Großteil der Community lebt diesen Fetisch im sozialen Miteinander aus.“Dazu gehöre vor allem gemeinsames Spielen, Kuscheln und Herumalbern. In Gruppen-Rollenspielen wie dem sogenannten Rudel – einem Zusammenschluss aus mehreren Puppys – können Hierarchien wie die des Alpha, Beta und Omega ausgelebt werden. Im Gegensatz zu dem klassischen Master-Slave-Rollenverhältnis übernimmt das Herrchen im Pupplay eher die Rolle einer Aufsichtsperson und eines Versorgers, berichtet Phils Verlobter Mario (45), der mittlerweile in die Herrchen-Rolle hineingewachsen ist. Eine weitere Besonderheit ist der individuelle Puppy-Name, den sich die Pupplayer*innen selbst aussuchen oder der ihnen von ihrem „Herrchen“ oder „Frauchen“ gegeben wird.

Alles, was das Puppy-Herz begehrt

Und wie wird man ein Puppy? Wie bei jeder Art von Rollenspiel findet das meiste in der Fantasie statt, im Headspace (Gedankenwelt), in den sich die Pupplayer*innen begeben. Um das Hirn anzuregen, tragen die meisten Puppys Ausrüstung. Manches ist unerlässlich: Das Pupplay auf allen vieren erträgt man mit Knieschonern einfach länger. Davon abgesehen gibt es inzwischen ganze Köter-Kollektionen, inklusive Hundemaske, Halsband mit personalisierten Hundemarken, Tail (Schwanz) oder Pfoten. Bei den Materialien ihrer Outfits sind den Pupplayern keine Grenzen gesetzt – die Ausstattungen gibt es in Leder und Gummi, viele Puppys tragen aber auch Sportklamotten. Dabei muss das Gear nicht unbedingt teuer sein, sagt Phil: „Die günstigsten Masken aus Neopren, die besonders für Anfänger zum Ausprobieren geeignet sind, findet man online für zehn Euro. Einsteigermodelle sind gut geeignet, um zum Beispiel herauszufinden, was für ein Material man überhaupt mag.“ Das beliebteste Modell mit Standardqualität gibt es aus Neopren in verschiedenen Farben für unter 100 Euro. Nach oben hin ist die Preisgrenze offen. Die teuerste Maske, die Phil kennt, ist komplett aus Metall und kostet 2.000 Euro. Das Neopren eignet sich besonders gut für Open-Air- Veranstaltungen wie Hundewiese, CSD oder das Fetisch festival Folsom – einfach weil seine Struktur vor Sonne und Regen gleichermaßen schützt. Bestellen kann man Masken zum Beispiel im Berliner Online-Shop Fetish-Pets-Store, der seit 2007 die gesamte Petplay-Szene deutschlandweit versorgt. Neben Neopren bietet der Shop auch Materialien wie Leder, Silikon, Latex und Kunstfell an. Shop-Betreiber Florian erklärt sich die große Anhängerschaft des Pupplays so: „Ein Puppy ist leicht handzuhaben und in den Räumlichkeiten viel flexibler als beispielsweise ein Pony. Für eine spontane Session reicht es schon, sich eine Maske aufzuziehen.“ Fetish to go, sozusagen.

Phil the Gothic Pup: „Für mich ist Pupplaywenig bis gar nicht sexuell“

Foto: Alpha Pup Arco

All in: keine Trennung nach Geschlecht

Hinzu kommt das soziale Miteinander, das beim Pupplay großgeschrieben wird. Die Szene ist sehr kommunikativ und durch Seiten wie pupplay.de bundesweit vernetzt. Auch Phil arbeitet dort als Administrator und Grafiker mit. In Berlin veranstaltet die Seite unter anderem am ersten Samstag jedes Monats einen Stammtisch im Prinzknecht. Andy, der als Herrchen und Trainer drei verschiedene Puppys betreut, geht regelmäßig dorthin. „Mir war von Anfang an klar, dass ich zu verkopft bin, um selbst in die Puppy-Rolle zu schlüpfen“, erzählt der 59-Jährige, „aber als Herrchen oder Trainer fühle ich mich sehr wohl. Innerhalb kurzer Zeit kamen die ersten Puppys auf mich zu.“ Eine Besonderheit an der Community sei, dass typische schwule Schönheitsideale keine Rolle spielten, sagt Andy. Anders als bei vielen Fetischen verzichtet das Pupplay auch auf eine strikte Trennung nach Geschlecht oder sexueller Orientierung. In Sachen Inklusion agiert die Hundeszene als Vorreiterin: Der jährliche Siegertitel „Puppy Germany“, der seit 2018 gekürt wird, ist geschlechtsneutral. Die Mehrheit der Mitwirkenden definiert sich dennoch als cis männlich. Innerhalb des letzten Jahres ist die Online-Community enorm gewachsen. Mittlerweile interessieren sich auch viele Jugendliche dafür. Um den unter 18-Jährigen einen Safe Space zu bieten, in dem sie in das Pupplay hineinschnuppern können, hat der Berliner Stammtisch mittlerweile seine Öffnungszeiten erweitert: Da das Prinzknecht eine Bar nur für Erwachsene ist, treffen sich die Teilnehmer*innen in den Sommermonaten draußen – zum Rumtollen im Tiergarten.

von Elliot Zehms

Alles für den Hund: Online-Netzwerke und News auf www.pupplay.de, gegründet 2018 von Puppy Finn, auch auf Telegram und Facebook: www.facebook.com/puppysdeutschlandseite. Noch mehr News auf: www.puppygermany.de

Rob mit seinem Lieblingsspielzeug

Foto: Alexander Krämer - gearimages.de

This article is from: