Kopenhagen en miniature Kids' City | Baumeister

Page 1

Wie eine richtige Stadt hat auch die Kinderstadt in Kopenhagen ein rotes Feuerwehrhaus. SEITE 18

SEITE 32

SEITE 46

SEITE 58

FOTO: R ASMUS HJORTSHØJ/COAST

SEITE 68

5 Ideen: K i d s‘ C i t y n e g a h n e p i n Ko Kinde rga rten in Wü ren lingen e l u h c s f r o d l a W i n Be r l i n ­ r e d n i k s b e i r Bet e t t ä t s s e g a t n e g n i z t i D n i Fa m i l i e n ze n t r u m i n Pontoi se

19


20

Ideen TITELTHEMA SPIELRÄUME

Kopenhagen en miniature

Architek ten: Cobe/Nord Architects

Kritik: Kasper Læg ring

Fotos: Rasmus Hjortshøj/ Coast

1

Wie schaff t man Platz für 750 Kinder? Die Architekten sollte n Tagesstätte und Jugendclub für das Quartier an einem O rt zusammenfassen. So entstand Kids’ Cit y.

21


22

Ideen

23

1

Ein Glücksfall für die Kinderstadt war das dreieckige Grundstück, das ebenso wie die angrenzende, freie Siedlung Christiania ehemaliges Militärgelände ist.


24

Ideen

1

M

an kann es als ein beinahe unmögliches Unterfangen bezeichnen, heutzutage in der Innenstadt von Kopenhagen etwas von Grund auf neu zu bauen. Doch die „Kids‘ City“ in Christianshavn ist eine sel­ tene Ausnahme der Regel. Das insgesamt 11.000 Quadratmeter große Gelände die­ ser „Kinderstadt“ ist ganz auf die Bedürf­ nisse der Altersstufen 0 bis 18 Jahre ausge­ richtet. Die von Cobe und Nord Architects entworfene und im Jahr 2016 eingeweihte Kids‘ City integriert die alltäglichen Akti­ vitäten von über 700 Kindern, da es Kin­ dergarten und Jugendclub in einer gro­ ßen Tagesstätte vereint. Das dreieckige Grundstück ist einzigartig, denn es grenzt auf der einen Seite direkt an einen Kanal und auf der anderen Seite an den nördlichen Teil der Freistadt Chris­ tiania, einer 1971 gegründeten alternati­ ven Wohnsiedlung. Der beinahe ländliche wirkende Refshale-Weg trennt die Kids‘ City vom heute weltberühmten Christia­ nia. Bei beiden Orten handelt es sich um ehemaliges Militärgelände. Der inselarti­ ge Charakter des Gebiets wird zudem verstärkt, indem hier der östliche Teil des Stadtteils Christianshavn endet. Auf der anderen Seite der Prinsessegade liegt der Haupteingang der Kinderstadt, innerhalb eines sehr gemischten städtebaulichen Umfelds, geprägt von einer unscheinba­ ren Blockrandbebauung aus den 1880erund 1970er-Jahren. Stadt in der Stadt

Der Eingang zur Kinderstadt an der Prinsessegade ist weithin sichtbar als Stadttor ausgebildet.

Im dicht bebauten Christianshavn werden neue öffentliche Einrichtungen dringend benötigt. Für die Kids‘ City entwickelten Cobe und Nord ein Konzept, bei dem die 4.400 Quadratmeter große Fläche des Gebäudeensembles in kleinere Einheiten aufgeteil t wurde, die zusammen die Miniaturstadt bilden. So entstand eine hauptsächlich aus schlichten zweistöcki­ gen Gebäuden bestehende Stadt in einer Stadt, eine Ansammlung von anschei­ nend zufällig auf dem Gelände verteilten Baukörpern. Da jedoch viele der Gebäu­ de entlang der Straßenseiten miteinander verbunden sind, wirkt das Ensemble wie eine Art zickzackförmige, niedrige Block­ randbebauung. Die sehr individuell gestalteten Gebäude wurden mit verschiedenen Materialien wie Metall, Ziegel, Holz und Glas verklei­ det, wobei vor allem der Kontrast zwi­ schen hellgelbem Mauerwerk und matt­ schwarzen Fassadenplatten hervorsticht. WEITER

25


26

Ideen

27

1

Jede Funktion bekommt ein eigenes Haus Zwischen den „Quartieren“ liegen „Parks“, die unterschiedlich als Spielflächen gestaltet sind.

mit einem bestimmten Fassadenmaterial als Erkennungszeichen. Nur die Fensterrahmen aus Alu sind überall gleich.


28

Ideen

29

1 Zudem sind einige Bauten in unterschied­ lichen Winkeln zueinander angeordnet. Manche Gebäudeeinheiten besitzen Sat­ teldächer oder überstehende Fassaden, die gleichzeitig als Brüstung fungieren und somit die Spielbereiche auf den ver­ einzelten Flachdächern umschließen. Be­ trachtet man alle Gehäuse von der Straße aus, so sind diese oberen Spielplätze nicht erkennbar. Eine Ausnahme bilden die Baukörper mit Holzfassaden: Deren verti­ kale Holzbänder bilden ein klar lesbares Zaunelement, mit dem der Bau jeweils ge­ krönt wird. Schlichte quadratische Alumi­ niumfenster wurden in unterschiedlichen Größen in die Fassaden gesetzt. Es gibt nur wenige speziell angefertigte Bauelemen­ te – wie etwa die Metallschiebeläden mit „Schweizer Käse“-Rundfenstern.

D

Die Kinder aus den Quartieren ringsum können von 0 bis 18 Jahre in der Kids‘ City bleiben und dort heimisch werden.

as Konzept der Stadt in der Stadt ist keine bloße Metapher. Die riesige gelbe Kasten­ trägerkonstruktion, die wie eine Brücke diagonal über zwei Gebäude gespannt wurde, krönt das große Eingangstor an der Hauptstraße Prinsessegade. Hier beginnt eine der beiden internen Erschließungs­ straßen, die das Gelände durchqueren. Der industriell wirkende Baukörper, des­ sen Ästhetik mit den darunterliegenden Gebäuden stark kontrastiert, umschließt einen Sportkäfig für Ballspiele, der über eine Treppe im Innenhof zugänglich ist. Ein weiteres herausragendes Element der Kids‘ City, das sich an der Straßenseite be­ findet, ist ein zurückgesetztes Glasgebäu­ de mit Satteldach, das wie ein Gewächs­ haus aussieht. Hierbei handelt es sich um das Gemeinschaftsrestaurant. Doch sein Erscheinungsbild ist kein Zufallsprodukt, denn im zweiten Geschoss bauen die Kin­ der tatsächlich Gemüse an und lernen, wie Nahrungsmittel erzeugt werden. Weitere „öffentliche“ Gebäude entdeckt man, sobald man sich tiefer in die kleine Stadtlandschaft wagt: Eine leuchtend rote „Feuerwache“ inmitten des Geländes ist gleichzeitig ein raffiniertes Spielhaus und das „Rathaus“ – ein großes keilförmiges, glänzend schwarzes Gebäude nahe des Kanals – eine Versammlungshalle. Auch wenn nicht unmittelbar aus der räumli­ chen Anordnung der Gebäude ersicht­ lich, so enthält die Kids‘ City unterschied­ liche Funktionsbereiche für die verschie­ denen Altersgruppen. Die jüngeren Kin­ der zwischen null und sechs Jahren sind in den Einrichtungen nahe der Ecke Prinses­ segade und Refshalevej untergebracht, die Gebäude der Kinder von sieben bis 13 WEITER


30

Ideen

31

1

Jahren befinden sich im engen Südost­ winkel des Geländes, während der Be­ reich zur linken Seite der „Golden Gate“ an der Prinsessegade den Kinder im Alter von 14 bis 18 Jahren vorbehalten ist.

PRINSESSEGADE

4

Vielfalt in jeder Hinsicht

6

6

3 Eine Stadt für Kinder

6 Das Raumprogramm 2

für über 700 Kinder

N

A

L

7

A

war einfach zu groß,

K

REFSHALEVEJ

um es in einem einzigen Gebäude

1

unterzubringen. Daher haben sich die Architekten die Stadt Kopenhagen zum Vorbild genom­ men – mit seinen

M 1: 2 . 0 0 0

unterschiedlichen 7

Quartieren, die jeweils entweder 1 Feuerwehr 6

2 Rathaus 3 Restaurant

6

4 Stadttor Lageplan

mus und der Postmoderne ab. Stattdessen entschieden sie sich für eine Architektur, die auf der von Rem Koolhaas eingeführ­ ten Hybridisierung funktionaler Program­ me beruht und den Überraschungsmo­ ment kultiviert. Dementsprechend ähnelt das Golden Gate dem Container-Element des Büros „PLOT“ auf dem Jugendzentrum Sjakket (2007), das sich ebenfalls in Ko­ penhagen befindet. Und doch scheinen Cobe und Nord mit diesem Projekt seltsa­ merweise eine Art spielerischen Postmo­ dernismus wiederzubeleben, der typisch für Tegnestuen Vandkunstens Schaffens­ phase der 1980er-Jahre ist. Während es Letzteren gelang, traditionelle und industrielle Materialien so zu kombinieren, dass das Ganze mehr ergibt als die Summe seiner Teile, kann die Kids‘ City in dieser Hinsicht nur stellenweise überzeugen. Insgesamt jedoch stellt das Projekt eine notwendige und großzügig konzipierte Bereicherung für das dicht bebaute Stadt­ quartier dar. Der kompositorische Um­ gang der Architekten mit dem Ort ver­ dient besondere Beachtung. Die Wieder­ einführung des Konzepts der Stadt in Stadt ist ein gewagter und gelungener Schach­ zug.

BAUHERR: Stadt Kopenhagen ARCHITEKTEN: Cobe und Nord Architects, Kopenhagen PROJEKT TEAM: Dan Stubbergaard, Rune Boserup, Frederik Lyng, Greta Tiedje, Chloé Blain, Dimitrie Grigorescu, Cristina Matos, Rodrigo Bandini dos Santos, Hannes Kalau vom Hofe, Andrea Pieretti, Christian Sander, Martin Jonsbak Nielsen WETTBEWERB: 2012, erster Preis FERTIGSTELLUNG: 2017 STANDORT:

Aus dem Englischen

Christianshavn,

von Sigrid Ehrmann

Kopenhagen, Dänemark

von his­t orischen oder öffentlichen Funktionen geprägt werden: wie Stadt­

5 Turm

tor, Rathaus, Stadi­

6 Fahrrad-Parkhaus

on, Restaurant,

7 Fabrik

Feuerwehr, Tiefga­

8 Strandhotel

rage oder Säge­ werk.

8

Mikkel Reedtz Morris,

M 1:1. 0 0 0

Die urbane Atmosphäre wird durch eine unterschiedliche Materialität der Boden­ beläge weiter verstärkt. Zu den umliegen­ den Straßen hin sind die internen Erschlie­ ßungsstraßen und Durchgänge mit As­ phalt gepflastert. Die Straßenmöbel be­ stehen aus Beton. Dringt man weiter ins Innere der Stadt vor, wechseln die Beläge allmählich in weichere Materialien wie Gras, Sand und Holzdecks. Die Landschaft wird jedoch eher von der Architektur als von der Natur geprägt, da die neu ge­ pflanzten Bäume noch zu klein sind, um mit der artifiziellen Umgebung zu konkur­ rieren. Funktioniert also das Konzept der Stadt in der Stadt? Mit dem Prinzip der typologi­ schen Kombinatorik fanden die Architek­ ten eine gelungene Antwort auf die problematischen Rahmenbedingungen hin­ sichtlich der vielfältigen Beschaffenheit der Straßenränder, unterschiedlichen Ge­ bäudehöhen und -dichte sowie der vari­ ierenden architektonischen Qualität. Dar­ über hinaus wird durch die Kombination einer durchweg zweigeschossigen Be­ bauung und der Heterogenität der Materi­ alien ein ausgewogenes Verhältnis zwi­ schen Einheitlichkeit und Flexibilität her­ gestellt. Die abwechslungsreiche Kompo­ sition der Fassaden ermöglicht Einblicke in die Aktivitäten im Inneren der Gebäu­ de, des Golden Gate und anderer peri­ pherer Räume. Ebenso bilden diese Bau­ werke ein überzeugendes Konzept und bekräftigen den anhaltenden Einfluss von Aldo Rossis städtebaulichen Ideen. Jedoch erscheint die Umsetzung des Ent­ wurfs weniger erfolgreich als das spieleri­ sche Konzept, auf dem er beruht. Denn die Modularität der seriell hergestellten Fens­ ter und Paneele der kastenförmigen Bau­ körper wirkt der angestrebten Bric-àBrac-Atmosphäre entgegen. Das leichte Mauerwerk wirkt deplatziert, da es vom industriellen Charakter der Fassaden ab­ lenkt. Der Übergang zum Bürgersteig ist nicht durchdacht. Der schmale Betonso­ ckel wirkt wie ein Kompromiss, der dem Gebäude weder Eigenständigkeit noch eine Beziehung zum Untergrund gewährt. Auch die Auswahl der Bodenbeläge scheint eher von den geringen Unterhalts­ kosten als von ästhetischen oder ökologi­ schen Erwägungen beeinflusst worden zu sein. Im Zuge der „New Wave“ in der dänischen Architektur der 2000er-Jahre lehnten jun­ ge Architekten das Erbe des Funktionalis­

5


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.