Zu Hause statt Pflegeheim

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Sonja Fröse, Margit Krüger

Zu Hause statt P�legeheim Möglichkeiten, Maßnahmen, Fördermittel. Für ein langes Leben in den „eigenen vier Wänden“



Die Autorinnen Sonja Fröse ist examinierte Krankenschwester mit stationärer und ambulanter Berufspraxis, ausgebildete Qualitätsbeauftragte und Pflegedienstleitung. In der Vergangenheit hat sie bereits mehrere Fachbücher für Pflegefachkräfte veröffentlicht. Mit diesem Buch wendet sie sich nun direkt an die Senioren und deren Angehörige. Im Rahmen ihrer Tätigkeit als pflegefachliche Begutachterin kommt sie täglich mit Senioren zusammen. Margit Krüger arbeitet als selbstständiger Gesundheits-Coach mit Schwerpunkt Ernährung. Sie verfügt über langjährige Managementerfahrung in gehobener Position im Dienstleistungssektor. Ihr Ziel war es stets, Wohlbefinden und Zufriedenheit zu schaffen. Den Bezug zum Thema häusliche Betreuung bekam sie durch ihre Mutter, zu der sie ein sehr enges Verhältnis hatte. Nach längerer Krankheit starb ihre Mutter im Alter von 91 Jahren im Zuhause der Tochter. Vorangegangen war eine intensive Zeit der Pflege, zum Schluss mit Betreuung und Unterstützung eines Palliativmediziners.

Impressum: Druck: FINIDR, Czech Republic Satz und Umschlaggestaltung: Röser MEDIA GmbH & Co. KG, Karlsruhe ISBN 978-3-944360-13-3 © 2020 SingLiesel GmbH, Karlsruhe www.singliesel.de Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte, Zeichnungen, Bilder oder Aufnahmen durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier oder unter Verwendung elektronischer Systeme.


Sonja Fröse, Margit Krüger

Zu Hause statt Pflegeheim Möglichkeiten, Maßnahmen, Fördermittel. Für ein langes Leben in den „eigenen vier Wänden“


Zu Hause statt Pflegeheim

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1. Vorbemerkungen zum Gebrauch und Aufbau des Buches . . . . . . 11 1.1 Allgemeines zur Wohn- und Lebenssituation von Senioren . . . . . . . . 16 1.2 „Du musst nie ins Heim!“ – Mögliche Grenzen der häuslichen Versorgung �������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 22

2. Allgemeine Anpassungen Ihres Zuhauses . . . . . . . . . . . . . . . . .29 2.1 Sorgen Sie für angenehmes Raumklima . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.2 Schaffen Sie zeitgemäße bauliche Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2.3 Lassen Sie die Elektroinstallationen und -geräte zeitgemäß anpassen ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������44 2.4 Achten Sie auf bedarfsgerechte Lichtverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . 49 2.5 Gestalten Sie Treppen, Stufen und Bodenbeläge im Innenbereich bedarfsgerecht ���������������������������������������������������������������������������53 2.6 Rampen, Lifte und Aufzüge im Innenbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

3. Verbesserung der Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 3.1 Die Wichtigkeit des Telefons und anderer ­ Kommunikationsmöglichkeiten ��������������������������������������������������������������������������� 68 3.2 Personenbezogene Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3.3 Halten Sie eine Notfall-Telefonliste bereit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 3.4 Erhöhen Sie die häusliche Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 3.5 Modernisieren Sie Türen, Fenster und ­Schließsysteme . . . . . . . . . . . 93

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Inhaltsverzeichnis

4. Steigerung des Komforts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 4.1 Machen Sie es sich leichter, näher und bequemer . . . . . . . . . . . . . 102 4.2 Achten Sie auf die Wirkung von Farben und Materialien �������������������������������������������������������������������������������������������������������������������106 4.3 Achten Sie auf altersgerechte Möbel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 4.4 Bewahren Sie Sauberkeit und Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 4.5 Gestaltungsmöglichkeiten im Eingangsbereich innerhalb der Wohnung ���������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 116

5. A npassungen und Veränderungen in Badezimmer und Dusche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 6. Anpassungen und Veränderungen im Wohnzimmer . . . . . . . . 129 7. Anpassungen und Veränderungen in ­der Küche . . . . . . . . . . . . 131 8. Anpassungen und Veränderungen im Schlafzimmer . . . . . . . . 135 9. Veränderungen im Außenbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 9.1 Treppen und Rampen im Außenbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 9.2 Gestalten Sie den Außen-Eingangsbereich ­übersichtlich und komfortabel ���������������������������������������������������������������������������������������������������������� 141 9.3 Gestalten Sie Ihren Garten und Balkon ­altersgerecht . . . . . . . . . . . . 145 9.4 Briefkasten und Paketbox . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

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10. Spezielle Wohnraumanpassung bei Demenz . . . . . . . . . . . . . . 150 11. S pezielle Wohnraumanpassung bei Sehminderung und Blindheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 12. Spezielle Veränderungen bei Schwerhörigkeit und Gehörlosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 13. Haustiere im Seniorenhaushalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Mobilität außerhalb Ihres Zuhauses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Grundbegrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Aufgaben und Ziele von Beratungsstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Praktische Hilfen zur Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 Finanzielle Förderungsmöglichkeiten für Veränderungen des Zuhauses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Wohnungsnot und mögliche Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Altersarmut im eigenen Zuhause . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Ländliche und städtische Versorgungsmöglichkeiten und Dienstleistungen für Senioren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 Betreutes Seniorenwohnen als perfekte Lösung?! . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 24-Stunden-Versorgung im eigenen Zuhause . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 Smart Home und Smartspeaker für Senioren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

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Inhaltsverzeichnis

Literaturnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Kontakt- und Adressdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 Bildnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

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Vorwort

Vorwort Liebe Leserinnen und Leser, unser Buch soll ein erster Impulsgeber sein für Senioren, für deren Angehörige, aber auch für jüngere Menschen, die vorbeugen wollen; für alle Menschen, die sich Gedanken darüber machen, wie sie ihr Zuhause für die Zukunft möglichst praktisch und sicher gestalten, um darin möglichst lange wohnen bleiben zu können. Anpassungen können nicht nur für den eigenen Bedarf sinnvoll sein, sondern auch, um körperlich eingeschränkten Freunden und Familienmitgliedern die Möglichkeit zu geben, uns weitgehend selbstständig zu erreichen und zu besuchen! Natürlich möchten die meisten Menschen in ihrer eigenen Wohnung oder im eigenen Haus so lange wie möglich wohnen bleiben. Denn daran hängen viele schöne Erinnerungen, man fühlt sich geborgen und sicher. Vieles hat seinen angestammten Platz und ist vertraut. Im Laufe des Lebens verändern wir unsere Einrichtung mehrfach – aus dem Kinderzimmer wird ein Teenagerzimmer und nach der „ersten eigenen Bude“ folgt ein Heim für die (neu gegründete) Familie. Wieso sollten wir also nicht auch weiterhin, bei Bedarf oder mit zunehmendem Alter, unsere Wohnung an die aktuellen Gegebenheiten anpassen, um möglichst lange ein sicheres und komfortables Leben in den eigenen vier Wänden führen zu können? Bereits mit wenigen Veränderungen können große Erleichterungen erzielt werden. Für mehr Sicherheit muss nicht immer Schönheit oder Wohlbefinden weichen. Die Wohnung wird nicht in ein Krankenzimmer umgewandelt. Wir möchten Sie und Ihre Angehörigen dabei unterstützen, dass Sie möglichst lange, zugleich aber auch komfortabel und sicher, in Ihrem Zuhause weiterleben können, auch wenn vielleicht erste Einschränkungen vorhanden sind. Veränderungen rufen häufig Unsicherheit und Ängste hervor – dies soll durch Bilder und einfache Erklärungen vermieden werden. Das Buch soll auch Angehörige unterstützen, bei Bedarf notwendige Überzeugungsarbeit zu leisten. Um diesen Ratgeber möglichst seniorenfreundlich zu gestalten, haben wir uns für eine eindeutige und angepasste Sprache entschieden. Auf Hinweise im Internet haben wir weitgehenst verzichtet. Ihre Sonja Fröse und Margit Krüger 9



Vorbemerkungen zum Gebrauch und Aufbau des Buches

1. Vorbemerkungen zum Gebrauch und Aufbau des Buches Dies ist ein „Seniorenbuch“, auch wenn das für uns heute noch sehr ungewöhnlich klingt. Schließlich gibt es im Buchhandel keinen entsprechenden Bereich, so wie es ihn für Kinderbücher gibt. Wieso eigentlich nicht? Seien Sie mit uns die Vorreiter. Wir haben uns viele Gedanken gemacht, wie wir dieses Buch seniorenfreundlich gestalten können, ganz getreu dem Motto: Größtmögliche Selbstständigkeit und hoher Komfort! Unsere ersten Ansprechpartner sind Sie: die Seniorinnen und Senioren selbst. Checklisten (Merk- und Kontrolllisten) Wir Deutschen gelten als überaus gewissenhaft und organisiert. Vielleicht haben Sie auch das Bild vor Augen, wie ein freundlicher Herr mit Lesebrille, Arbeitskittel und Klemmbrett eine Kontrollliste abhakt? So haben wir uns das auch gedacht, nur dass Sie dieses Buch dafür in Händen halten und bequem bei sich zu Hause sitzen. In den Kapiteln finden Sie Checklisten zur Überprüfung des derzeitigen Ist-Zustandes und erste Hinweise zu Veränderungen. Die Gliederung orientiert sich an den einzelnen Zimmern einer Wohnung oder eines Hauses sowie an drei Besonderheiten: Demenz; Seheinschränkungen und Blindheit; Hörminderung und Gehörlosigkeit. Wir sind keine Architektinnen und keine Fachhandwerkerinnen! Unsere Vorschläge entspringen unserer eigenen Arbeit mit betagten Menschen und sollen ein erster Anstoß für eine weitere Beratung und der Beginn eines Umsetzungsprozesses sein. Suchen Sie sich bitte professionelle Hilfe zur Umsetzung Ihrer Vorhaben! Ansprache Überwiegend werden wir Sie direkt ansprechen. Teilweise werden wir eine allgemeine Anrede nutzen. Wenn wir von uns sprechen, dann sind immer die Autorinnen mit gemeint. Wir möchten den Begriff „Senior/Seniorin“ verwenden, unabhängig von der Definition des statistischen Bundesamtes oder anderer Institutionen. Wie Sie wissen, gibt es ein biologisches und ein gefühltes Alter. 11


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Wenn wir einen Vorschlag machen, dann ist dies kein Befehl. Wir mögen Wörter wie „bitte“ oder „gerne“ – entgegen dem Sprichwort: „Höflichkeit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr!“ Kommunikation Muss man mit Senioren anders sprechen als mit anderen Personen? – Wir sprechen doch mit Kindern häufig auch anders als mit Erwachsenen. Und wer versteht schon die Sprache der Teenager, wenn er oder sie nicht im gleichen Alter ist? Unserer Meinung nach muss man mit Senioren anders sprechen – angepasst eben. Wir vermeiden Anglizismen (englische Wörter) und Fremdwörter. Wir bemühen uns, für dieselben Dinge immer dieselben Wörter zu verwenden, auch wenn mehrere Wörter möglich wären. Dies ist nicht unserer Einfallslosigkeit geschuldet, sondern dem besseren Verständnis. Wir vermeiden unbekannte Abkürzungen und nutzen nur allgemein bekannte Abkürzungen. Bilder Bilder sagen mehr als tausend Worte. Die hier verwendeten Bilder haben wir speziell für dieses Buch selbst ausgesucht. Die Nutzung und Benennung von Produkten und Herstellern dient ausschließlich Informationszwecken. Die Bilder sollen möglichst aussagefähig sein. Und, falls gewünscht, sollen die Produkte einfach erhältlich sein. – Angehörige oder Berater können die Bilder nutzen, um ihre Erklärungen nachvollziehbarer zu machen. Kontaktadressen Kennen Sie folgende Situation? Ihnen wird etwas erklärt, Sie finden es toll, wollen loslegen. Sie wissen allerdings nicht, wie – weil Ihnen nicht gesagt wurde, wie Sie an die notwendigen Materialien kommen! Kontaktadressen finden Sie im Anhang – in Form von Straßennamen, Ortschaften und Telefonnummern. Umbauten und Änderungen für jeden Geldbeutel Die Anregungen umfassen schnell durchzuführende kleine Veränderungen – hierfür verwenden wir als Symbol ein Sparschwein. Thematisiert werden auch größere bauliche Veränderungen und Umbauten, für die sowohl größere finanzielle Mittel als auch die schriftliche Genehmigung des Eigentümers oder eine behördliche Genehmigung notwendig sind. Ein entsprechendes Musterschreiben an den Eigentümer finden Sie unter Kapitel 2. Lassen 12


Vorbemerkungen zum Gebrauch und Aufbau des Buches

Sie sich bitte in jedem Fall vor größeren Umbauten und Veränderungen individuell für Ihre Bedürfnisse beraten! Wohnraumanpassungen in unserem Sinne können aber auch in Änderungen des bisherigen Verhaltens oder in der Einführung von bestimmten Regeln bestehen. Geschenke „Geschenke erhalten die Freundschaft“, sagt man. Aber oft fehlt eine sinnvolle Idee. Anregungen für Geschenke, die Senioren das Leben leichter machen, sind mit einem Geschenke-Symbol markiert. Wo findet sich was? Wie Sie feststellen werden, fehlen einige Räume in unserer Auflistung, wie zum Beispiel das Esszimmer, das Arbeitszimmer oder das Gästezimmer. Wir haben uns um Übersichtlichkeit bemüht, aber jeder hat eine andere Auffassung, was wie zusammengehört. Alles Wissenswerte zu Stühlen und Sitzgelegenheiten finden Sie unter „Seniorenmöbel“ oder unter „Wohnzimmer“. Alles rund um Betten und Matratzen im Kapitel „Schlafzimmer“. Stöbern Sie im Stichwortverzeichnis. Es ist sehr ausführlich, um Sie durch entsprechende Schlüsselwörter auf interessante Themen aufmerksam zu machen. Lassen Sie sich bitte inspirieren, sich mit Dingen zu befassen, die auch Sie betreffen könnten. Sie werden innerhalb des Buches Verweise zu anderen Kapiteln finden, da sich einige Punkte ergänzen oder überschneiden. Sehen Sie dies bitte als Wegweiser. Sätze, die uns wichtig sind, haben wir, falls notwendig, wiederholt. Denn mancher wird das Buch als Nachschlagewerk benutzen und es nicht von vorne bis hinten durchlesen – was Sie aber selbstverständlich gerne tun dürfen. Bezugspersonen Wir haben uns um eine gewisse Neutralität in Bezug auf Angehörige, Familienmitglieder und Personen aus Ihrem Bekanntenkreis bemüht – daher möchten wir hierfür den Begriff „Bezugspersonen“ benutzen. Der Familienbegriff ist nicht erst seit einigen Jahren „bunt“ – im Sinne von unterschiedlich und individuell. Es gibt die traditionelle Familie und die Patchwork-Familie. Als Regenbogenfamilie gilt eine Familie, die zwei Väter oder zwei Mütter hat. Menschen leben in unterschiedlichen Gemeinschaften zusammen. Egal, in welchen Beziehungsformen Sie leben – als „Leih-Oma“ oder „Nachbarschafts-Großvater“: Hauptsache, Sie haben nette und fürsorgliche Menschen 13


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in Ihrem Umfeld. Fühlen Sie sich also bitte auch angesprochen, wenn Sie keine Kinder haben, aber vielleicht sehr nette Nachbarn, die sich kümmern. – Bezugspersonen eben! Perspektivwechsel Unter der Kategorie „Perspektivwechsel“, das mit dem Symbol markiert ist, lesen Sie die Gedanken derer, die sich „von außen“ um Ihre Sicherheit und Ihr Wohlbefinden sorgen. Angehörige, Bezugspersonen, jüngere Menschen, (Wohnraum-)Experten und professionell Pflegende nehmen Situationen und die häuslichen Gegebenheiten anders wahr als die Betroffenen selbst. Sie waren noch nicht alt und noch nicht in der gleichen Situation wie ein Senior – das heißt nicht, dass ihre Argumente oder Sorgen nicht ernstgenommen werden sollten. Der Einfachheit halber werden in der Kategorie „Perspektivwechsel“ immer die Gedanken einer Tochter denen ihrer Mutter oder ihres Vater gegenübergestellt. Diese Gedanken entstehen nicht zwangsläufig. Sie werden auch häufig nicht genauso geäußert. Und bitte fühlen Sie sich auch angesprochen, wenn Sie in einem anderen Bezug zueinander stehen. Weise Worte von bekannten Personen Wir haben einige Zitate und Sprichwörter eingefügt. Viele kluge Menschen haben in der Vergangenheit überlegenswerte, aber auch erheiternde Dinge geäußert, die man durchaus auf unsere Thematik beziehen kann. Die Aussagen sollen zum Nachdenken anregen, und vielleicht leisten sie auch weitere Überzeugungsarbeit, notwendige Schritte zu beginnen. Außerdem hat ein bisschen Humor noch nie geschadet!

Man kann dir den Weg weisen, gehen musst du ihn selbst. (Bruce Lee)

Hilfsmittel auf Rezept Hilfsmittel sind bewegliche Gegenstände, die ⚫⚫

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Erkrankungen, altersbedingte Einschränkungen oder Behinderungen ausgleichen sollen den Erfolg einer Krankenbehandlung sichern sollen


Vorbemerkungen zum Gebrauch und Aufbau des Buches

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einer drohenden Behinderung vorbeugen die Selbstständigkeit erhöhen oder wiederherstellen.1

Hilfsmittel können beispielsweise Duschhocker oder Badewannenlifter sein, Kompressionsstrümpfe, Gehstock oder Rollator, Hörgeräte und vieles mehr. In der sogenannten Hilfsmittel-Richtlinie ist die Verordnung von Hilfsmitteln durch Ärzte und Krankenhäuser geregelt. Dort sind spezielle Hilfsmittel gelistet, die dann vom Arzt verschrieben werden können. Nicht alle Hilfsmittel sind in dem Verzeichnis gelistet. Sogenannte „Gegenstände des täglichen Lebens“ werden nicht von der Krankenkasse übernommen. Dazu zählen zum Beispiel Seniorenbetten, Alltagshilfen in Form von speziellem Besteck oder sprechende Uhren. Auch Gegenstände, deren Preis nur gering ist, werden von den Kassen nicht bezahlt. Solche Produkte sind in Sanitätshäusern, speziellen Versandhäusern oder gut sortierten Kaufhäusern erhältlich. Informationen über Hilfsmittel, die ärztlich verordnet werden können und deren Kosten überwiegend von der Krankenkasse übernommen werden, sind in diesem Buch in einem Rahmen markiert. Hilfsmittel unterliegen nicht der Budgetierung im Rahmen des Gesundheitsstrukturgesetzes und belasten nicht das Arznei-, Verband- oder Heilmittelbudget des Arztes!2 Für ein Hilfsmittel ist meist ein Eigenanteil zu zahlen, maximal jedoch 10 Euro. Es besteht die Möglichkeit einer „wirtschaftlichen Aufzahlung“3 – das heißt, dass die Kasse die Kosten im Rahmen der Leistungspflicht übernimmt und dass Sie einen gewissen Betrag dazuzahlen können, um dafür ein höherwertiges Hilfsmittel zu bekommen. Ihre Bereitschaft, dazuzuzahlen, bestätigen Sie per Unterschrift auf einer „Mehrkostenerklärung des Versicherten“. Hilfsmittel sind meist in Sanitätsgeschäften erhältlich. Kranken- und Pflegeversicherungen (= Leistungs- oder Kostenträger) arbeiten mit bestimmten Sanitätshäusern zusammen. Ihre Krankenversicherung sagt Ihnen, an welches Sanitätshaus Sie sich wenden können.

Beraten lassen

Passendes Produkt auswählen

Hilfsmittel­rezept vom Hausarzt/Facharzt holen

Produkt erhalten (mitnehmen/ liefern lassen)

Ablauf 1: Schematische Darstellung zum Erhalt bestimmter Hilfsmittel

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Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses über die Vorordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Hilfsmittel-Richtlinie/HilfsM-RL) vom 21.12.2011, in Kraft getreten am 03.10.2018 Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG) (Verbraucherzentrale, 2018)

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Discounter und Warengeschäfte bieten immer wieder in Sonderaktionen Hilfsmittel zum Privatkauf an. Hier zahlen Sie das Produkt komplett selbst und erhalten keine fachliche Beratung oder Einweisung zur Handhabung. Menschen mit einem anerkannten Pflegegrad, die zu Hause leben, erhalten Pflegehilfsmittel von ihrer Pflegekasse: Die Kasse übernimmt nach der Bewilligung die Kosten. Spezielle Beratungen zu einzelnen Hilfsmitteln gewährleisten die Pflegestützpunkte in Deutschland, Pflegedienste, Reha-Servicestellen oder Wohnraumberatungsstellen.

1.1 A llgemeines zur Wohn- und Lebenssituation von Senioren

„Das Alter spielt keine Rolle, es sei denn, man ist ein Käse.“ (Helen Hayes)

Im Zusammenhang mit dem Thema „Wohnen im Alter“ wird häufig über spezielle Wohnformen wie betreutes Wohnen, barrierearme Wohnungen, Seniorenwohnen oder Wohngemeinschaften nachgedacht und geschrieben. Die vorausschauende und seniorengerechte Anpassung des individuellen Zuhauses gemäß den eigenen Befindlichkeiten und Gegebenheiten wird erst in neuester Zeit zunehmend thematisiert. Häufig werden Wohnraumanpassungen bei Behinderungen und Pflegebedürftigkeit gemäß des Elften Sozialgesetzbuches angesiedelt. Dabei möchten doch die meisten möglichst lange zu Hause wohnen bleiben. Dass dies jedoch nicht ohne entsprechende Vorkehrungen und Anpassungen gelingt, sollte klar sein. Solange die körperlichen und geistigen Fähigkeiten intakt sind, mag kein Grund zum Handeln gesehen werden. Sind jedoch schon erste Einschränkungen in der Selbstständigkeit auffallend, ist es Zeit, etwas zu tun. Aber was? Statistisch gesehen sind alle Personen über 65 Jahre Senioren – unabhängig von der körperlichen und geistigen Fitness. Im Oktober 2019 lebten in Deutschland insgesamt 17,88 Millionen Senioren.

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Vorbemerkungen zum Gebrauch und Aufbau des Buches

Abbildung 1: Darstellung aufgrund der Daten des statistischen Bundesamtes (www.statista.com, Zugriff am 20.10.2019)

Speziell zu beachten sind auch die Senioren mit Migrationshintergrund. 1,4 Millionen der 65-Jährigen sind migrantische Senioren, und die Zahl wird bis 2030 auf 2,8 Millionen steigen.4 Deren Lebensplanung war häufig so, dass sie sich ursprünglich einen Rückzug in die alte Heimat vorstellten, welcher jedoch aus vielerlei Gründen nicht stattfand. Manche sitzen noch immer im wahrsten Sinne des Wortes auf gepackten Koffern. Dementsprechend genügsam sind manchmal die Wohnverhältnisse. Die Versorgung durch die Familie ist häufig sichergestellt, aber diese Strukturen passen sich den Gegebenheiten in der Wahlheimat an. Die einzelnen Familienmitglieder arbeiten oder haben selbst Familie oder wohnen in weiter Entfernung. Alternativen zur familiären Hilfe sind häufig unbekannt, weil man sich auf die altbewährten Abläufe der Versorgung verlassen hat. Hinzu kommen Sprachbarrieren und Unkenntnis des Sozialsystems. Kulturell bedingt fällt es schwer, Hilfe von außen anzunehmen. Sowohl das Handwerk als auch einzelne Hersteller und Anbieter haben den „Markt“ erkannt und beginnen, sich um die „Best Ager“ und „Silver Ager“, also die noch fitten und agilen Senioren, zu bemühen und sie als kaufkräftige Kundschaft zu umwerben. Das Angebot für seniorengerechte Badumbauten, schwellenfreie Zugänge, Seniorenwohnungen und Ähnliches steigt. Der Bedarf allerdings auch.

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Flyer des Diakonischen Werks Berlin Stadtmitte e.V. „Interkulturelle BrückenbauerInnen in der Pflege“, Stand Februar 2019

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Gemäß einer Befragung5 nach Gründen für einen Umzug im Alter (Mehrfachnennung möglich – Frage: „Was wären für Sie Gründe, im Alter noch mal umzuziehen?“) wurden folgende Antworten gegeben: ⚫⚫ ⚫⚫ ⚫⚫

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wenn ich ohne Hilfe nicht mehr alleine wohnen könnte (82 %) um bessere Versorgungsmöglichkeiten zu haben (53 %) wenn die neue Wohnung besser meinen Bedürfnissen entsprechen würde (52 %) aus finanziellen Gründen (32 %) wenn sich die Anzahl der Mitbewohner ändert (24 %) um zu meinen Kindern/Verwandten zu ziehen (19 %) weiß nicht (10 %)

„Einsamkeit ist gefährlich. Sie macht süchtig. Wenn du erst einmal merkst, wie friedlich und ruhig dein Leben sein kann, wirst du zukünftig viele Menschen meiden.“ (unbekannter Verfasser)

Alleinlebigkeit im Seniorenalter Bei „Single-Haushalt“ denken wir stets an Haushalte mit jüngeren Menschen, die derzeit nicht in einer Partnerschaft leben. Geht es Ihnen auch so? Dabei sind die meisten Single-Haushalte Seniorenhaushalte. Knapp die Hälfte der Frauen über 65 und 20 % der Männer im gleichen Alter leben allein.6 Allein zu leben bedeutet, Entscheidungen für sich selbst zu treffen. Die Verantwortung selbst zu tragen und auch mit den Konsequenzen selbst klarkommen zu müssen. Im Laufe der Jahre, in denen Menschen allein wohnen, stellen sich Routinen und Gewohnheiten ein, die das Zusammenleben mit anderen erschweren können. Auch dies mag ein Grund sein, wieso man nicht in ein Heim ziehen möchte. Gerade wenn es um Zeitabläufe oder Geräuschpegel geht, sind die Empfindungen häufig unterschiedlich. Ähnlich sieht es bei Temperaturregelungen oder Gerüchen aus. Allein zu leben muss nicht mit Einsamkeit einhergehen. Auch kann nicht generell von einer „ungewünschten Situation“ ausgegangen werden. Hinsichtlich der Wohngestaltung ist es ein Unterschied, ob ein Senior allein in einer Wohnung wohnt oder ob ein Paar oder gar eine Zweckgemeinschaft zusam5 6

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www.statista.de, Veröffentlichung 17.01.2011, Zugriff am 16.10.2019 Pressemitteilung Nr. 49 vom 04.12.2018, Quelle: www.statis.de


Vorbemerkungen zum Gebrauch und Aufbau des Buches

menlebt. Auch hier bestimmen unterschiedliche Gegebenheiten die individuellen Bedürfnisse. Konkret gesprochen: Was dem einen gefällt, missfällt vielleicht dem anderen! (Etwa in Bezug auf Lärm oder Stille bei Schwerhörigkeit und Lärmempfindlichkeit.) Was für den einen hilfreich wäre, ist für den anderen unangenehm oder gar schädlich. Allein zu leben hat auch Vorteile. So muss weniger Rücksicht genommen werden. Individuelle Gestaltungsmöglichkeiten in Bezug auf die Häuslichkeit, aber auch auf den Lebensstil sind auslebbar. Ausreichend Raum für sich selbst zu haben, kann ein Luxus sein: sein eigenes Reich selbst zu gestalten, einen Rückzugsort zu haben, um sich mit sich selbst oder mit Dingen zu befassen, die einem Spaß machen. Wohnen im Eigentum oder zur Miete Über die derzeitigen Wohnsituationen von Senioren wurden Untersuchungen angestellt. Tabelle 1: Wohnsituationen von Senioren. (Quelle www.statista.com, Zugriff am 20.10.2019. Es entsteht bei den Prozentzahlen ein insgesamt höherer Wert als 100, vermutlich begründet durch Mehrfachnennungen.)

70 bis 74 Jahre alt 75 bis 79 Jahre alt über 79 Jahre alt

Eigenes Haus in Prozent (in Millionen) 49,3 (2,06) 49,8 (2,09) 53 (2,45)

Eigentumswohnung in Prozent (in Millionen) 10,3 (0, 43) 9,2 (0,39) 7,3 (0,34)

Zur Miete in Prozent (in Millionen) 40 (1, 67) 40,9 (1, 72) 39,3 (1,82)

Wohngemeinschaft in Prozent (in Millionen) 3,2 (0, 13) 1,7 (0,07) 1,9 (0,09)

Der Tabelle ist zu entnehmen, dass mehr als 50 % der Senioren im Eigentum leben. Zugleich ist Folgendes bekannt: „Selbstgenutztes Wohneigentum oder Mietwohnungen befinden sich dabei überwiegend in älterer Bausubstanz. Viele der Gebäude sind weder barrierefrei noch barrierearm. Sie weisen zahlreiche Hindernisse zur und in der Wohnung auf. Gerade in den Bädern sind altersgerechte Maßnahmen notwendig, um Stürze und Unfälle möglichst zu vermeiden.“7 Diese Diskrepanz zwischen fehlender oder unzureichender Ausstattung des eigenen Zuhauses und dem Wunsch, dort verweilen zu wollen, gilt es zu minimieren. 7

Vorwort in: Forschungen Heft 147, Wohnen im Alter – Marktprozesse und wohnungspolitischer Handlungsbedarf. Hrsg.: Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS), Berlin 2011

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Dabei sollten Investitionen ins Eigentum gerade auch hinsichtlich des Werterhalts oder der Wertsteigerung überlegt werden. Wer zur Miete wohnt, ist aber ebenso in der Pflicht, sich um entsprechende Anpassungen zu bemühen. Gerade in genossenschaftlichen oder öffentlichen Wohnungen, aber auch im privatwirtschaftlichen Bereich bei persönlichen und langjährigen Mietverhältnissen sind Gespräche über Wohnraumanpassungen häufig Erfolg versprechend. So kann der Eigentümer um die schriftliche Einwilligung zu Umbaumaßnahmen gebeten werden (entsprechender Musterbrief unter Kapitel 2). Der Eigentümer ist schließlich an einem langfristigen und problemfreien Mietverhältnis interessiert. Und bereits kleine Veränderungen führen zu mehr Sicherheit und Komfort. Perspektivwechsel: Veränderungen Tochter Mutter Der lange dunkle Flur ist überhaupt nicht Ich möchte nicht jeden Tag Dreck und Lärm zeitgemäß und einladend. Der Teppichwegen irgendwelcher Umbauten. Soll ich boden ist abgetreten und schmutzig. Es ist denn auf einer Baustelle leben? gar kein Platz, um sich bequem die Schuhe Es lohnt sich doch gar nicht, so einen Aufan- und auszuziehen oder den Mantel auf- wand zu betreiben. Lasst doch einfach alles zuhängen. beim Alten. Die Gardinen schlucken das ganze Licht. Die Wo soll ich denn hin, während hier umgesind so lang und schwer, da tue ich mich ja baut wird? schon schwer, die abzunehmen. Ich möchte mein Zuhause so gemütlich beIm Badezimmer kann man sich kaum umhalten, wie es jetzt ist. drehen, und die Badewanne steht dort So ein Umbau ist teuer – ich weiß zwar ungenutzt. – Wobei ich gar nicht möchte, nicht, wieviel es kostet, aber man bekommt dass diese alte Badewanne benutzt wird, ja nichts geschenkt. Vielleicht kann man ja am Ende passiert noch etwas. nur etwas Kleines machen … Einige der Fliesen haben einen Sprung, Was soll denn alles gemacht werden? Ich da kann ich wischen, wie ich will, es sieht weiß gar nicht, was man machen lassen immer schmuddelig aus. Die Keramik wird kann und wie lange das dauern wird? gar nicht mehr richtig sauber. Mutter bekommt eine gute Rente, sie soll es schön und sicher haben. Ich kümmere mich gerne, aber ich möchte mich nicht streiten. Bitte fühlen Sie sich auch angesprochen, wenn Sie in einem anderen Bezug zueinander stehen.

Pflegebedürftige in der eigenen Häuslichkeit Familien werden immer wieder als der „größte Pflegedienst Deutschlands“ betitelt. Eine Versorgung zu Hause durch die eigenen Angehörigen, bei Bedarf auch ergänzt durch die Hilfe eines ambulanten Pflegedienstes, ist derzeit die häufigs20


Vorbemerkungen zum Gebrauch und Aufbau des Buches

te Wohnform für Pflegebedürftige. Dabei ist nicht statistisch erfasst, in welcher genauen „Art“ die Versorgung stattfindet. Sicherlich gibt es viele verschiedene Wohnmöglichkeiten, darunter auch vielfach das Leben mit Familienmitgliedern im gleichen Haus, aber in getrennten Wohnungen, oder im Nachbarhaus. Die räumliche Nähe zu dem Pflegebedürftigen macht Pflege häufig erst möglich. Das Leben mit Senioren im selben Haushalt scheint in dem aktuellen Familienbegriff nicht enthalten zu sein. Dabei kann dies durchaus eine für alle bereichernde Wohnform sein – mit den Eltern, Schwiegereltern oder Großeltern unter einem Dach zu leben und so generationenübergreifend die Vorteile des Zusammenlebens zu genießen und die Aufgaben des Alltags gemeinsam zu bewältigen. Es werden zuweilen eher negative Witze und Kommentare über Schwiegermütter oder Erbonkel gemacht, wenn die ihren Besuch ankündigen. Während Scheidungskinder häufig bei jedem Elternteil ein eigenes Zimmer haben und regelmäßig pendeln, ist dies für Senioren keine bekannte Lebensform. Wieso jedoch nicht mal ein paar Monate bei dem einen Familienmitglied und dann wieder bei einem anderen verbringen: So lernt man sich gut kennen – die Senioren den stressigen Alltag der Jungen und umkehrt die Jungen die Gewohnheiten, Einschränkungen und Interessen der Senioren.

Abbildung 2: Die meisten Menschen werden zu Hause durch Familienmitglieder, Bekannte oder auch mit Hilfe eines ambulanten Pflegedienstes versorgt.8

Sieht man sich die Altersverteilung der ambulant versorgten Pflegebedürftigen an (s. Abb. 3), ist davon auszugehen, dass die meisten Betroffenen noch mehrere Jahre in ihrem Zuhause auf Hilfe angewiesen sein werden, sodass sich bauliche Veränderungen durchaus „lohnen“. Auch für die pflegenden Angehörigen und 8

Statistisches Bundesamt, Statistik über Pflegebedürftige, Stand Dezember 2018

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die Mitarbeiter der ambulanten Pflegedienste sind entsprechende Wohn- bzw. Arbeitsgegebenheiten wichtig, um die Versorgung langfristig und in guter Qualität durchführen zu können. Grundsätzlich lohnen sich Umbauten und Anpassungen in jedem Alter.

Abbildung 3: Von den Menschen, die zu Hause versorgt werden, sind die Meisten über 60 Jahre alt.9

1.2 „ Du musst nie ins Heim!“ – Mögliche Grenzen der häuslichen Versorgung

„Ich habe nie gesagt, dass es einfach sein würde. Ich habe nur gesagt, dass es sich lohnt.“ (Friedensreich Hundertwasser)

Der Wunsch, möglichst lange zu Hause zu leben, ist meist auch unter schweren Bedingungen erfüllbar.10 Trotzdem sehen wir uns verpflichtet, darauf hinzuweisen, dass der Verbleib, die Versorgung und die Pflege in Ihrem Zuhause unter bestimmten Bedingungen nicht mehr möglich sein könnte. Dies ist in erster Linie dann der Fall, wenn Ihre Versorgung nicht sichergestellt ist. Zu Hause bleiben kann auch derjenige nicht, für den oder für dessen Mitbewohner Gefahr für Leib und Leben besteht! 9 Bundesministerium für Gesundheit, Alter der Pflegebedürftigen in Deutschland, Stand Juli 2018 10 Siehe „Harte Tage, gute Jahre“ von Christiane Tramnitz über eine Sennerin, die noch 93-jährig auf ihrer Alm lebte (ohne Strom und Heizung) und im Alter auch dort versorgt wurde.

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Vorbemerkungen zum Gebrauch und Aufbau des Buches

Es kann keine vollständige Auflistung aller Fälle geben, anbei finden Sie jedoch einige Beispiele: ⚫⚫

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fehlende Pflegepersonen und keine Möglichkeit, mehrfach täglich (und nächtlich) Hilfestellungen zu erhalten (Eigengefährdung) fehlende Akzeptanz und Annahme notwendiger Hilfe, die durch vorhandene Pflegepersonen und/oder den Pflegedienst ausgeführt werden muss (Eigengefährdung) anhaltende Aggressivität und körperliche Gewalt gegenüber sich selbst oder den Pflegepersonen (Eigen- und Fremdgefährdung) inadäquater Umgang mit Feuer, Gas, Strom oder anderen gefährlichen Stoffen (Eigen- und Fremdgefährdung)

Häufig wird innerhalb der Familie (oder zwischen Eheleuten, Eltern und Kindern) das Versprechen gegeben, dass ein Familienmitglied im Fall notwendiger Hilfe und Pflege nicht ins Heim müsse. Dieses Versprechen kann nicht unter allen Umständen eingehalten werden! Eine mehrfach tägliche und nächtliche Versorgung des Pflegebedürftigen, dazu die eigene Familie mit Kindern, Berufstätigkeit oder manchmal auch das eigene hohe Alter sowie eigene Erkrankungen – all das kann die Grenzen des Machbaren überschreiten.

„Allein kannst du viel erreichen. Zusammen mit anderen erreichst du alles.“ (unbekannter Verfasser)

Daher gehört zu einem Verbleib im eigenen Zuhause auch ein gut funktionierendes Netzwerk aus Hilfspersonen und Dienstleistern, die die einzelnen anfallenden Tätigkeiten übernehmen oder unter sich aufteilen. Die Organisation eines solchen Netzwerks kann viel Zeit und Kraft kosten. Je schneller und je mehr geplant werden muss, desto schwerer fällt es. Deshalb ist es wichtig, notwendige Hilfen in Anspruch zu nehmen. Alternative Lösungen und zusätzliche Hilfen sind jedoch oft unbekannt. Teilweise fehlt auch die Bereitschaft, sie anzunehmen. Oder sie werden viel zu spät in Anspruch genommen.

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Zu Hause statt Pflegeheim

wach sein und schlafen, atmen, Körpertemperatur regulieren

sich bewegen, waschen und kleiden, ausscheiden, essen und trinken

Mensch kommunizieren, Raum und Zeit gestalten

für Sicherheit sorgen, sich als Mann/Frau/Kind fühlen, Sinn finden

Ablauf 2: Schematische Darstellung der Aktivitäten des täglichen Lebens nach Liliane Juchli

Alle Handlungen, die ein Mensch tut, lassen sich in diese 12 „Aktivitäten des täglichen Lebens“ unterteilen. Dabei spielt das Alter oder die Gesundheit des Menschen keine Rolle. Diese Aktivitäten gilt es zu befriedigen oder auszugleichen. Zwischenzeitlich gibt es auch andere und neuere Modelle, aber letztlich ist die Grundannahme jeweils gleich. Können einzelne Aktivitäten nicht mehr selbst ausgeführt werden, ist Unterstützung notwendig. Mal mehr – mal weniger. Besprechen Sie in aller Ruhe und ohne Schuldzuweisungen die Möglichkeiten und Grenzen der Versorgung und Hilfe, die durch die Familie und/oder mit den vorhandenen (personellen) Hilfen und finanziellen Mitteln möglich sind. Solche Grenzen in der Versorgung sollten auch in eine Patientenverfügung einfließen. Eine Patientenverfügung ist ebenso notwendig, wenn es darum geht, im Notfall oder im Sterbefall zu entscheiden, wie vorgegangen werden soll. Fehlende Handlungsanweisungen können dazu führen, dass falsche Entscheidungen getroffen werden oder Entscheidungen, die nicht in Ihrem Sinne sind. Sollte die pflegende Bezugsperson den eigenen Beruf aufgeben müssen, um die Pflege zu gewährleisten, kann dies massive Einschränkungen für das zukünftige Leben bedeuten (für die eigene Gesundheit, die spätere Rente, den Wiedereinstieg in den Beruf). Eine veränderte Situation erfordert deshalb auch eine veränderte Hilfestruktur. Der Wunsch, möglichst lange zu Hause zu leben, scheint manchmal nicht ganz durchdacht zu sein. Es gehört mehr dazu, als nur im gleichen Gebäude wie eh und je wohnen zu bleiben. Einhergehend mit diesem Wunsch kann es sein, dass Senioren Hilfebedarf nicht mitteilen oder herunterspielen. „Ich kann das schon …“ (mich selbst waschen, die Medikamente zeitgerecht einnehmen, ...). Oder: „Das mach ich (noch) selbst …“ (staubsaugen, in die Badewanne ein- und aussteigen, auf Leitern steigen, …) – diese Sätze mögen dem eigenen Selbstwertgefühl gut24


Vorbemerkungen zum Gebrauch und Aufbau des Buches

tun, sind aber eher Beweise einer Falscheinschätzung oder Überschätzung der eigenen Kräfte. Die eigene Wahrnehmung bezüglich der persönlichen Fähigkeiten stimmt mitunter nicht überein mit der Wahrnehmung von außen (durch Freunde, Familie, Bezugspersonen oder Experten). Manchmal ist die jüngere Person erstaunt, welchen Einfallsreichtum oder auch welche Mühseligkeit im Alltag Senioren aufwenden müssen. Manchmal ist es notwendig, dass ein Senior über den „eigenen Schatten springt“ und um Hilfe bittet oder Hilfe zulässt. Sicherlich ist es nicht schön, zugeben zu müssen, dass scheinbar einfache Handlungen nicht mehr oder nur noch unter größter Mühe möglich sind. Dennoch ist gerade das die Basis, auf der ein sicheres und angenehmes Verbleiben im eigenen Zuhause möglich ist. Aus der Sicht der Bezugspersonen ist es schwierig, erahnen zu müssen, bei welchen Tätigkeiten Hilfe nötig ist, und dann auch noch darum bitten zu müssen, diese Hilfe leisten zu dürfen. Perspektivwechsel: Hilfe annehmen Tochter Mutter sollte nicht mehr allein in die Badewanne steigen. Es ist zu gefährlich. Falls sie ausrutscht, kann ihr keiner helfen. Sie lebt allein zu Hause, und alle Nachbarn sind tagsüber arbeiten. Wir sollten uns nach einem Hilfsmittel erkundigen und ausprobieren, was möglich ist. Vielleicht könnte sie auch erst noch ihren Bademantel anlassen, wenn ich ihr in die Badewanne oder in die Dusche helfe. Dann muss sie sich nicht genieren.

Seniorin Ich möchte niemandem zur Last fallen. Es wird schon irgendwie gehen. Manche Dinge sind nicht so wichtig. Da muss ich eben Abstriche machen. Dann sind eben keine Blumen auf dem Balkon gepflanzt. In die Badewanne getraue ich mich nicht mehr. Da habe ich schon zu viele schlimme Dinge gehört. Von meiner Tochter möchte ich mich aber nicht waschen lassen. Aber manche Dinge müssen gemacht werden, das sehe ich ein. Vielleicht könnte sie mir die Haare waschen? – Ja, das ginge. Bitte fühlen Sie sich auch angesprochen, wenn Sie in einem anderen Bezug zueinander stehen.

„Alle wollen alt werden, aber keiner will es sein!“ (Gustav Knuth)

Es wurden spezielle Einschätzungslisten entwickelt, mit denen man möglichst wertneutral Fähigkeiten und Defizite von Senioren ermitteln kann. Solche Einschätzungen oder „Assessments“ sind für unterschiedliche Bereiche vorhanden. Es geht dabei um das Wohnumfeld, um Ernährung, Sturzgefahr, Bewegung oder 25


Zu Hause statt Pflegeheim

den Gemütszustand. Die Einschätzungen werden üblicherweise im Rahmen von Krankenhausaufenthalten oder vor und nach einer Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt. Dabei soll professionell und wertneutral abgeschätzt werden, welche Defizite und Fähigkeiten vorhanden sind. Es soll festgestellt werden, ob ein selbstständiges Leben zu Hause möglich ist. Falls nicht, soll herausgefunden werden, welche Unterstützung in welchem Umfang notwendig ist. Wir empfehlen Schreiben Sie und Ihre Bezugsperson unabhängig voneinander auf, bei welchen Tätigkeiten Sie Hilfe benötigen. Vergleichen Sie die Antworten und begründen Sie jeweils Ihre Einschätzung. Stimmen Fremd- und Eigenwahrnehmung überein? Können Sie Hilfe annehmen? Wie stellen Sie sich selbst Hilfe oder Unterstützung vor? Was wäre für Sie ein Grund, die Wohnung aufzugeben? Hilfe muss organisiert werden. Daher finden Sie nachfolgend eine Übersicht, welche Tätigkeiten oder Aufgaben in Ihrem Zuhause anfallen und wer sie dort – abgesehen von freiwilligen Hilfeleistenden – übernehmen könnte. Tabelle 2: Mögliche Dienstleistungen in der Häuslichkeit Viele Helfer für viele Aufgaben

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Anfallende Tätigkeiten Einkaufen: Lebensmittel Einkaufen: Sonstiges (Hygiene- und Drogerieartikel, Reinigungsmittel, Kleidung, Elektro-Artikel, Möbel, Medikamente, Papierwaren, Bücher/Zeitungen)

Dienstleister Lebensmittellieferant Lieferdienste, Versandhäuser, Elektrofachgeschäft mit Vor-Ort-Service, „Homeshopping“-Fernsehen, Begleitdienste (um selbst in das entsprechende Geschäft zu kommen), Internet Kochen, Mahlzeitenzubereitung Hauswirtschaftsdienst, Essen auf Rädern, Pflegedienst, Mietkoch Wohnungsreinigung, Müllentsorgung, Hausmeister, Fenster- und GardinenreiniFensterputzen, Gartenarbeiten, Treppengungsdienst, Garten- und Landschaftsbau, hausreinigung, Schneebeseitigung, GehReinigungsdienst, Hauswirtschaftsdienst, wegreinigung Winterdienst Postangelegenheiten und Schriftverkehr Schreibbüro, Hausverwaltung, Notar, Ver(persönlich und geschäftlich), Regelung von mögensverwaltung, Rechtsbetreuung, finanziellen Angelegenheiten, Rechnungen, Steuerberater, Bevollmächtigter Versicherungen Begleitung außer Haus, Kurzreisen Taxi, Fahrdienste, Begleitdienst, Busunternehmen (Tagesfahrten), Mobilitätsdienst, Sonderfahrbus, Pflegedienst Persönliche Hygiene (Haarwäsche, Fußpfle- Pflegedienst, Frisör, Fußpfleger, Kosmetikege) und Pflege rin Haustierversorgung Hundeausführdienst, ehrenamtliche Hilfe, Pflegedienst, Hauswirtschaftsdienst


Zu Hause statt P�legeheim Möglichkeiten, Maßnahmen, Fördermittel. Für ein langes Leben in den „eigenen vier Wänden“ Tipps für ein langes Leben im eigenen Zuhause! Eine der größten Sorgen im Alter ist, die geliebte eigene Wohnung aufgeben zu müssen. Dieses Buch soll ein erster Impulsgeber sein, wie Sie Ihr Zuhause für die Zukun�t praktisch und sicher gestalten, um darin möglichst lange wohnen zu können. Die Autorinnen

Sonja Fröse ist examinierte Krankenschwester mit stationärer und ambulanter Berufspraxis, ausgebildete Qualitätsbeau�trage und P�legedienstleitung. Margit Krüger arbeitet als selbstständiger Gesundheits-Coach mit Schwerpunkt Ernährung. Sie verfügt über langjährige Managementerfahrung in gehobener Position im Dienstleistungssektor.

„Länger im Alter zu Hause wohnen.“ Wie das geht und welche Fördermöglichkeiten es gibt, erfahren Sie in diesem Buch. – Alle Wohnbereiche werden berücksichtigt; vom Wohnzimmer über die Küche bis hin zum Badezimmer. – Mit Checklisten zur Überprüfung des derzeitigen Ist-Zustandes und Hinweisen zu Veränderungen. – Mit Tipps zu praktischen Hilfsmitteln für den Alltag und Kontaktadressen. – Nicht zu vergessen: Fördermittel und Zuschüsse für die Wohnraumanpassung, damit Sie noch lange in Ihren „eigenen vier Wänden“ leben können.


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