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Filmvorstellung »Goldrausch« von Charlie Chaplin

GOLDRAUSCH

Text: BARBARA EICHHAMMER

Die Stummfilm-Komödie GOLDRAUSCH (1925) avancierte schnell zum beliebtesten Film von CHARLIE CHAPLIN. Mit seinen Slapstick-Elementen kreierte Chaplin einige der bekanntesten komödiantischen Szenen der Filmgeschichte: Seine unnachahmliche Komik imSchrecklichen findet etwa ihren Höhepunkt im Verspeisen einerSchuhsohle mit perfekten Tischmanieren. Ein kleiner Überblick. Ganz vornehm wie einen erlesenen Truthahn tranchiert ein Goldsucher seinen Schuh, genüsslich dreht er die Schuhbänder wie Spaghetti auf einer Gabel auf und verspeist sein dürres Erntedankmahl mit unnachahmlicher Eleganz. Diese Szene aus GOLDRAUSCH (1925) avancierte zu einer der einprägsamsten der FILMGESCHICHTE .

Charlie Chaplin vollführt darin eine unvergleichliche Parodie auf das traditionelle, US-amerikanische Thanksgiving-Dinner. Seiner schrecklichen Lage als verarmter Tramp ringt er angesichts des Nahrungsmittelmangels die wahre Komik im Tragischen ab, die so charakteristisch für Charlie Chaplins Hollywood-Filme wurde. Das Schreckliche wird hier zum bewussten Lacher, indem er die missliche Situation seines Protagonisten in humorvoller Weise porträtiert. Mit GOLDRAUSCH schrieb Charlie Chaplin Filmgeschichte: Die Stummfilm-Komödie zählt laut American Film Institute zu den 100 besten amerikanischen Filmen aller Zeiten. Chaplins Komödie greift dabei den berühmten Klondike-Goldrausch und auch die damit verbundenen Entbehrungen und Schicksalsschläge der Goldsucher auf. Im Mittelpunkt der Handlung steht das Leben eines mittellosen Goldgräbers (CHAR-LIE CHAPLIN) am Ende des 19. Jahrhunderts, der dem Ruf nach Abenteuer und Vermögen nach Alaska folgt.

Ich gehe immergern im Regen spazieren, so dass keiner mich weinen sieht.

- Charlie Chaplin

Während eines Schneesturms sucht er Schutz in einer einsamen Berghütte. Dort trifft er auf den Verbrecher BLACK LARSEN, verliebt sich in die heimische Saloon-Tänzerin und sucht sein Glück im Gold. Die Goldsuche dient dabei als wirkmächtige Metapher für das unaufhörliche Streben nach Materiellem in einer kapitalistischen Gesellschaft. Chaplin macht seinen Goldsucher zum modernen Glücksritter und vermittelt damit auch eine implizite Kritik am Kapitalismus, die ihn während der McCarthy-Ära in den fünfziger Jahren unter Kommunistenverdacht stellte. Trotz seiner Tollpatschigkeit und fast schon tragischen Misere findet der Tramp scheinbar am Ende das Glück in der Liebe. Allein schon sein Outfit wird Kult: Mit Melone und Spazierstock präsentiert sich Chaplins Tramp als liebenswerter und naiver Zeitgenosse. Bedeutsam ist bei Goldrausch, wie die Figur des Tramp als Außenseiter und Einzelgänger am Rande der Gesellschaft präsentiert wird. Ein Leben im Marginalen – daraus bestand die eigentliche Tragik der Figur, der Chaplin immer wieder komische Momente abzuringen versuchte. So steht der einsame Goldgräber sogar an Silvester allein in der Kälte beim traditionellen »Auld Lang Syne«-Singen.

Slapstick

Die unnachahmliche Komik in GOLDRAUSCH beruht vor allem auf den berühmt gewordenen Slapstick-Szenen des Filmes. CHARLIE CHAPLIN zelebriert darin das Tollpatschige und Körperliche geradezu als Humorform. Mit seiner charakteristischen MIMIK und GESTIK ist er bis heute unerreicht in seiner komischen Darbietung.

Das Leben ist eine Tragödie, wenn man es in Nahaufnahmen betrachtet, aber eine Komödie von Weitem.

- Charlie Chaplin

Der Begriff »SLAPSTICK« geht übrigens auf das traditionelle italienische Theater des 16. Jahrhunderts zurück: In der COMMEDIA DELL’ARTE bezeichnete das Wort Schlaghölzer, die etwa von Clowns für komische Prügeleien verwendet wurden und dabei ein lautes Geräusch erzeugten. Im Gegensatz zu geistreichen Dialogwitzen zieht der Slapstick seine Komik aus wortlosen Situationen. Der Humor ist dabei immer physisch: Körperbetonte Prügeleien, Verfolgungsjagden, Tortenschlachten oder Explosionen zählen seit den Anfängen der Filmkomödie genauso zum Standardrepertoire wie Stolpern, Fallen und tollpatschige Missgeschicke. Immer gerät dadurch ein fester Ablauf ins Stocken, Routinen werden gestört und Ordnung prinzipiell in Frage gestellt. Es fällt nicht nur die Figur im wörtlichen Sinne beim Slapstick; ins Fallen gerät sozusagen auch die konventionelle Ordnung der Dinge. SLAPSTICK fordert somit auch beständig unsere Vorstellungen vom Alltag heraus, was wir als normal ansehen oder als feste Handlung begreifen. So finden die physischen Elemente bei Mr Bean, »Kevin allein in New York« oder in Jim-Carrey-Filmen ihre Anwendung.

Zur Filmikone wurde Charlie Chaplin mit seiner Figur des Tramp: Der von ihm erfundene arme Landstreicher wurde durch sein unverkennbares Auftreten weltweit zu seinem Markenzeichen. Melone, Spazierstock und Schnurrbart machten ihn zur Kultfigur. Eigentlich waren TRAMPS zu dieser Zeit Wanderarbeiter, die für diverse Jobs durch die USA zogen. Chaplins Tramp zeigte sich mit dem charakteristischen Zweifingerschnurrbart, zu weiter Hose, überdimensionierten Schuhen, einer zu engen Jacke, einer zerbeulten Melone auf dem Kopf und Benehmen eines wahren Gentlemans. So drehte er seinen Spazierstock und zeigte seinen typischen Wackelgang. Millionen von Menschen auf der ganzen Welt brachte er damit zum Lachen. Der Vagabund kämpfte dabei als einsamer Außenseiter in seinen Filmen stets gegen feindlich gesinnte Institutionen oder Menschen, seien es also Polizisten oder Gauner.

Die Filmikone Charlie Chaplin

Auch bei CHARLIE CHAPLINS Biografie (1889-1977) sind Komik und Tragik eng miteinander verbunden, wie ihr im sisterMAG Porträt über ihn noch lesen werdet. Seine Kunst frei ausüben zu dürfen, ohne Zensur oder Furcht vor politischer Verfolgung, war für Chaplin privat ein lebenslanges Thema. Geboren in Großbritannien als Sohn von Unterhaltungskünstlern, wuchs er in einem Londoner Armenviertel unter kargen Verhältnissen auf. Bereits mit fünf Jahren trat Charlie in Londoner Gaststätten und Music Halls auf.

In den Stummfilmstudios Hollywoods wurde er 1914 zum internationalen Filmstar. Vielseitig, wie er war, machte er seine Karriere in Hollywood nicht nur als Schauspieler, sondern auch als Regisseur, Drehbuchautor, Komponist und Filmproduzent. CHARLIE CHAPLIN spielte in der Hälfte seiner neunzig Filme die Rolle als TRAMP. Auch nachdem der Tonfilm längst eingeführt war, drehte Chaplin weiter Stummfilme wie MODERNE ZEITEN (1936). Seine Filme waren allesamt Kassenschlager: Weltweit bis zu 300 Millionen Zuschauer zählte jeder einzelne seiner Kinohits. Sein Sinn für Humor angesichts tragischer Umstände traf eindeutig den Zeitgeist während der turbulenten Kriegsjahre und der Goldenen Zwanziger. Als beliebtester Stummfilmkomiker seiner Zeit gründete er zusammen mit der Schauspielerin MARY PICKFORD die Filmgesellschaft United Artists, die ihm finanzielle und kreative Schaffensfreiheit bot. CHAPLIN genoss eine unvergleichliche Popularität, geriet aber auch immer wieder wegen seiner politischen Botschaften ungerechtfertigterweise in die Kritik. Er bot beispielsweise dem Nationalsozialismus im Zweiten Weltkrieg mit seiner Hitler-Parodie DER GRO-SSE DIKTATOR (1940) auf künstlerischer Ebene die Stirn. Die US-Zensurbehörde setzte ihm aber einige Hindernisse. So sollte der Film zunächst gar nicht freigegeben werden. 1952 wurde er zudem des Kommunismus verdächtigt: Die USA verweigerte ihm während der McCarthy-Ära die Wiedereinreise. Wegen dieser politischen Verfolgung musste er fortan in Europa als Schauspieler und Regisseur arbeiten. Bis heute zählt Charlie Chaplin zu den bedeutendsten Komikern der Filmgeschichte des 20. Jahrhunderts, wie auch eine Auszeichnung des American Film Institute belegt. Die Hollywood-Organisation machte ihn zur Nummer 10 der größten männlichen amerikanischen FILMLEGENDEN.

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