29. & 30. Jänner 2014
Kino der Orte 1
Eos Kino Eos, die Göttin der Morgenröte, avancierte auch zur Namenspatronin eines legendären Wiener Kinos, das 1921 in den Räumen der ehemaligen Militärschule eröffnet wurde. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurde der nach einem Umbau 1930/31 Sascha Filmpalast benannte Betrieb im 3. Wiener Gemeindebezirk, Ecke Ungargasse/Rennweg, durch Brandbomben völlig zerstört. Die damalige Geschäftsführerin Hermine Kunesch übersiedelte in den Theater- und Vortragssaal des Herz-Jesu-Klosters in der Landstraßer Hauptstraße 137a, 1930/31 erbaut von Architekt Felix Angelo Pollak. Das neu adaptierte Kino wurde nach dem ursprünglichen Namen des Sascha Filmpalastes wieder Eos Kino genannt. Betrieben wurde es bis zur Schließung 2004 vom Ehepaar Huber. Imposant war das Kino mit seinem großzügigen Balkonbereich, der großen Leinwand und einer Gesamtbestuhlung von immerhin 603 Plätzen. Beeindrucken konnte auch der hohe Foyerbereich mit Büffet, Kartenhäuschen und kultiger Ausstattung im Design der 1950er-Jahre. Als letzte Vorstellung zeigte das Eos Kino am 12.10.2004 den Film FAHRENHEIT 9/11 von Michael Moore (USA 2004). Im ehemaligen Foyerbereich ist heute ein Humana-Shop untergebracht. (Thomas Jelinek)
Eos Kino (Humana Shop), Landstraßer Hauptstraße 137a, 1030 Wien filmheft # 11
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KINO DER ORTE 1 EOS KINO
Programm 1
MI 29.1.2014, 20:00 NUOVO CINEMA PARADISO I 1988 REGIE, DREHBUCH Guiseppe Tornatore KAMERA Blasco Giurato MUSIK Ennio Morricone MIT Philippe Noiret, Jacques Perrin, Salvatore Cascio, Marco Leonardi, Antonella Attili, John Wood PRODUKTION Cristaldi/RAI-Tre/Forum Pictures/Les Films Ariane FORMAT s/w und Farbe, OF mit engl. UT 123 Minuten
Nicht selten hat die Liebe zum Kino ihre Wurzeln in der Kindheit. Bislang unbekannte Welten eröffnen sich, Verbotenes kann heimlich beobachtet werden, Neugier und Staunen wechseln einander ab. NUOVO CINEMA PARADISO (I 1988) erzählt von Salvatore Di Vita (genannt Toto), einem Regisseur, der schon in seiner Kindheit der Faszination des Kinos erliegt. Nachdem der Vater des Jungen von der russischen Front nicht zurückkehrt, wird Alfredo, der Filmvorführer des sizilianischen Ortskinos, zur männlichen Bezugsperson. Toto schleicht sich heimlich in den Vorführraum, beobachtet seinen väterlichen Freund beim Umrollen und Einspannen der Filmrollen. Er ist dabei, wenn der Gemeindepfarrer Zensurschritte einfordert. Die zensurierten Filmstreifen sammelt Toto, blickt
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sie sehnsüchtig gegen das Licht gerichtet an, um die Szenen letztlich nachzuspielen. Als besonders verwerflich gelten Kuss-Szenen, die das sizilianische Dorfpublikum nie zu sehen bekommt. Kino- und Filmgeschichte werden lebendig, wenn vom stummen und tönenden Film, von Zensur und Klebestellen, von der Gefahr des Nitrofilms und der Errungenschaft des Sicherheitsfilms anschaulich und emotional erzählt wird. Stummfilmklassiker mit Stan Laurel und Oliver Hardy, Western mit John Wayne oder erotische Aufnahmen der Bardot flimmern von der Leinwand, während die unmittelbare Reaktion der Zuschauer in den Fokus genommen wird: Freude und Spannung, Erregung und Empörung lassen das Kino als den zentralen Erlebnisort erscheinen. Allen voran werden im Dunkeln Verbindungen geknüpft, Beziehungen angebahnt, die mitunter ein Leben lang halten. Parallel dazu gibt NUOVO CINEMA PARADISO auch Einblick in kulturgeschichtliche und gesellschaftliche Entwicklungen der 1940erund 1950er-Jahre, die sich sowohl im Kinoschaffen als auch in der Rezeption und Reaktion vor Ort widerspiegeln. 1990 wurde NUOVO CINEMA PARADISO als bester fremdsprachiger Film mit dem Oscar ausgezeichnet. Regisseur Tornatore verlieh man bei den
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Seite 16: NUOVO CINEMA PARADISO, I 1988 Seite 17: THE DREAMERS, UK/F/I 2003
Filmfestspielen in Cannes 1989 den großen Preis der Jury. Philippe Noiret wurde 1989 für seine Darstellung des Alfredo als bester Schauspieler mit dem Europäischen Filmpreis geehrt. (Karin Moser)
Programm 2
DO 30.1.2014, 20:00 THE DREAMERS UK/F/I 2003 REGIE Bernardo Bertolucci DREHBUCH Gilbert Adair KAMERA Fabio Cianchetti MUSIK Broadcast MIT Michael Pitt, Eva Green, Louis Garrell u.a. PRODUKTION RPC/Peninsula Films/Fiction Films FORMAT Farbe, OF 115 Minuten
Bernardo Bertolucci führt mit THE DREAMERS mitten hinein in den gebrochenen Traum von 1968: Vor der Cinémathèque begegnet der USamerikanische Student Matthew dem eigenwilligen Geschwisterpaar Théo und Isabelle. Aus dem ungleichen Gespann wird, begünstigt durch die Abwesenheit der (bzw. aller) Eltern, nicht nur eine verschworene Gemeinschaft von Kinogängern, sondern auch eine ungewöhnliche Wohngemeinschaft. Während auf der Straße der gesellschaftliche Umbruch geprobt wird, macht es sich das cinephile Trio in der eleganten Weitläufigkeit der
elterlichen Pariser Bleibe gemütlich. Filmszenen werden nachgestellt, man ergeht sich im Spiel mit Verweisen, die Rebellion scheint nur ein Hintergrundgeräusch zu sein, ein Spektakel im Abseits. Doch die Versuchsanordnung gesellschaftlicher Abkehr birgt explosives Potenzial, erzeugt die Nähe der drei Ungleichen doch eine sich verdichtende erotische Spannung. Das Rituelle beginnt zu kippen, das Ungeschönte und das Grausame sind die unvermeidlichen Folgen. Die aufkeimende Liebe ist durch das Referenzfeld des Filmischen gekennzeichnet, das von Bertoluccis subtilen Kommentar auf gesellschaftliche Zustände noch überhöht wird. Am Rande der Selbstzerstörung entlangschlitternd, geraten auch die isolierten Verhältnisse der Liebenden durcheinander. Die insular anmutende Utopie, die sich im bürgerlichen Wohnraum entfaltet, endet schlussendlich nicht nur wieder im Kino, sondern auch auf der Straße. Der Traum von der Veränderung hat sich ausgeträumt, als Gewalt an die Stelle von Philosphie zu treten scheint. Bertoluccis Film, der bewusst Fragen offen lässt oder auch ausspart, ist eine Verbeugung vor den Kräften des Kinos, ihren zahlreichen Vertretern, die er auch wirkungsvoll ins Bild setzt. (Thomas Ballhausen)
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