KINO DER ORTE 5 METRO KINO 25., 26. & 27. April 2014 Johannesgasse 4, 1010 Wien Bereits im Jahr 1840 richtet der Cafétier Josef Georg Daum in den weit verzweigten Gewölben des Hauses Johannesgasse 4 mit dem Neuen Elysium eine biedermeierliche Erlebniswelt ein. Der heute bestehende Kinosaal wird 1892 vom Kaufmännischen Verein erbaut, 1924 eröffnet hier das Moderne Theater, Architekt Percy A. Faber kreiert das noch original erhaltene Ambiente des Hauses. 1928 wird der spätere Hollywood-Regisseur Otto Preminger Co-Direktor in dem nun Komödie genannten Stadttheater. Ein schwerer Bombentreffer in den letzten Kriegstagen durchlöchert die Saaldecke, aber schon kurz danach errichtet der Theateravantgardist Leon Epp im stark devastierten Gebäude die legendäre »Insel in der Komödie«. Nach wirtschaftlichen Misserfolgen muss Epp das Theaterexperiment beenden, 1951 übernimmt das städtische Kinounternehmen KIBA den Standort und eröffnet das Metro als prestigeträchtiges Premierenkino. Nach einem neuerlichen Betreiberwechsel 1999 gelingt es dem Filmarchiv Austria 2002 das von der Schließung bedrohte Metro zu retten. Bis Herbst 2014 erfolgt der Ausbau zu einem innerstädtischen Kinokulturhaus, das sich über drei Etagen erstrecken wird. KINO DER ORTE gewährt mit Filmen und Baustellenführungen erste Einblicke in die hier entstehende Kinowelt.
Programm 1 Fr 25.4.2014, 20:00 KUNDGEBUNG FÜR KAISER FRANZ JOSEPH VOR DEM BRIGITTENAUER-KINO ANLÄSSLICH SEINES GEBURTSTAGES A ca. 1910 PRODUKTION unbekannt s/w, stumm, 2 Minuten ZUR KINOAUSSTELLUNG A 1912 PRODUKTION Pathe Frères s/w, stumm, 2 Minuten EIN K.U.K FELDKINO-ZUG WÄHREND DES ERSTEN WELTKRIEGES A 1917 PRODUKTION Sascha-Messter-Film s/w, stumm, 2 Minuten AUFNAHMEN DES KINO REICHENAU IN PAYERBACH-REICHENAU A 1919 PRODUKTION unbekannt s/w, stumm, 11 Minuten
ERÖFFNUNG DER KÄRNTNER LANDESHANDWERKERAUSSTELLUNG 1911 UNTER DEM EHRENPROTEKTORATE VON ERZHERZOG KARL FRANZ JOSEPH A 1911 PRODUKTION Hermann Prechtl s/w, stumm, 5 Minuten IDEALE FILMERZEUGUNG A 1914 PRODUKTION Sascha-Film s/w, stumm, 7 Minuten ORLAC’S HÄNDE A 1924 REGIE Robert Wiene BUCH Ludwig Nerz, Robert Wiene MIT Conrad Veidt, Fritz Kortner, Carmen Cartellieri, Alexandra Sorina s/w, stumm mit dt. Zwischentiteln, Ausschnitte: 30 Minuten Live-Musikbegleitung: Florian C. Reithner Zur Steigerung der Attraktivität ihres Angebotes entwickelten Wanderkinobesitzer die Strategie, ihre Programme mit selbst gedrehten Aufnahmen lokaler Ereignisse zu bereichern. Sie stellen die Wurzeln des nonfiktionalen Kinos in Österreich dar. Während die filmische Chronik von professionellen Produzenten zur Wochenschau weiterentwickelt wird, bleibt die Darstellung des eigenen Kinos und seines Publikums – eingebettet etwa in ein »Stadtbild« – bis zum Ende der Stummfilmzeit ein vitales Genre, das heute einzigartige Einblicke in die Frühzeit des Mediums gewährt. IDEALE FILMERZEUGUNG bietet den Übergang zum Fiktionalen an: Film selbst wird zum Hauptdarsteller und eröffnet mit den Mitteln des Phantastischen und der Animation einen publikumsgerechten Zugang zu allen Stufen der Filmproduktion. Die Mittel des Filmischen stehen auch im Mittelpunkt des Ausschnitts aus dem österreichischen Klassiker ORLAC’S HÄNDE: In diesem Meisterwerk des CALIGARI-Regisseurs Robert Wiene finden sich nicht nur Spuren expressionistischer Ästhetik, sondern auch die Reflexion grundlegendster Elemente des Mediums Film: Bewegung, Beschleunigung und Sensation verbinden sich mit einer tragischen Liebesgeschichte wechselseitigen Missverstehens. Am Anfang der Filmhandlung steht demgemäß eben nicht nur Romantik, sondern das tragische und unerwartete Ende einer Zugsreise in Form eines Unfalls: Pianist Orlac verliert dabei seine Hände, die in einer auf das klassische Horrorgenre vorausweisenden Inszenierung von einem wohlmeinenden mad scientist durch diejenigen des hingerichteten Verbrechers Vasseur ersetzt werden. Orlac, der diesen neuen, ihm in vielerlei Hinsicht fremden Händen ein unheimliches Eigenleben und gar die Erinnerung an eine kriminelle Vergangenheit zuschreibt, sieht sich von ihnen verleitet und schließlich übermannt. Doch er und seine ihn liebende Frau erweisen sich im Verlauf der sich entfaltenden, kammerspielgleichen Schreckensgeschichte als Spielfiguren des skrupellosen Nera. Dieser perfide, kühl kalkulierende Mastermind des Bösen, der selbst die Techniken der Projektion und des Kinos für sich zu nutzen versteht, ist der unheimliche Drahtzieher des düster gehaltenen Horrorfilms, der souverän Kontrollverlust und Rückgewinnung wirklichkeitsstiftender Deutungshoheit thematisiert. ORLAC’S HÄNDE zählt berechtigt zu den echten Klassikern eines Genres, dessen spätere Produktionen sich immer noch an ihm messen lassen müssen.
Programm 2 Sa 26.4.2014, 20:00
PHÖNIX AN DER ECKE A 1982 REGIE, DREHBUCH Peter Patzak KAMERA Dietrich Lohmann MUSIK Peter Zwetkoff MIT Rainer Egger, Hanno Pöschl, Fritz Ligthart, Robert Hoffmann, Ljubo Dimhoff Farbe, 90 Minuten Rot und verheißungsvoll leuchten die Neonröhren. Phönix Lichtspiele – steht da zu lesen. Es ist das titelgebende Kino am Eck (Drehort waren die Breitenseer Lichtspiele). Der Filmvorführer sitzt geistesabwesend vor dem ratternden Projektor. Ein Mann mit Anzug und dunkler Brille geht einen verrucht ausgeleuchteten Korridor entlang, vorbei an Damen in knappen Kostümen. Plötzlich steht der Filmvorführer in der Tür und schießt auf ihn. Ist es eine Szene aus dem Film, der da gerade im Kino läuft? Man weiß es nicht genau. KOTTAN-Regisseur Peter Patzak, ein sturer und ideenbefeuerter Kopf, wenn es um die Sprengung her-
kömmlicher Erzählweisen und medialer Realitäten geht, lässt in PHÖNIX AN DER ECKE (A 1982) seiner Liebe zum surrealen Spiel freien Lauf. Kino passiert hier überall, nicht nur im Kinosaal, sondern vor allem im Kopfraum des Protagonisten, des jungen Filmvorführers mit der New-Wave-Frisur. Er ist ein Drifter und Träumer, verunsichert, unbeteiligt, weltverweigernd. »Könntest du dir vorstellen, dass die Wirklichkeit interessanter ist, als du sie siehst, sehen willst?«, wird er gefragt. »Nicht wirklich«, antwortet er. Der Film folgt konsequent seiner Wahrnehmung, die Grenze zwischen Realität und Vision ist dabei nicht gegeben. Eine junge Frau kommt vor, die er vergöttert, oder auch Hanno Pöschl als Unterweltler, der ihn in seine Machenschaften verstrickt. Die Handlung ist aber Nebensache. Es geht vielmehr um den Bilderstrom, der hier einer ganz eigenen, inneren Logik folgt. Patzak inszeniert ihn mit großer Lust an Licht und Farbe, entlang beklemmender Gänge, schattenverhangener Wohnräume, kalter Neubauten, finsterer Hinterhöfe oder rauchgeschwängerter Tanzlokale – aus heutiger Sicht nimmt sich sein Film auch als Streifzug durch das nächtliche Wien der 1980er-Jahre aus (der markante Soundtrack – u.a. Klaus Nomi – tut sein Übriges dazu). Unheimliche Figuren tummeln sich hier: gespenstisch schweigende GangsterTypen, festlich gekleidete »Untote«, eine aufgezwirbelte Über-Mutter. Es ist ein Kabinett der Angst, der Begierde und Verführung, ein freudianischer Fiebertraum – schrill, schaurig, schwermütig. Eine sträflich vernachlässigte Fernsehproduktion und in seinem eigentümlichen Ineinandergreifen von Kino und Surrealismus wahrscheinlich Peter Patzaks persönlichster Film.
Programm 3 So 27.4.2014, 20:00
HIMMEL ODER HÖLLE A 1990 REGIE, DREHBUCH Wolfgang Murnberger KAMERA Fabian Eder MUSIK Robert Stiegler. Kurt Hintermayr MIT Adi Murnberger, Fabian Weidinger, Johannes Habeler, Lukas Habeler, Ines Ledwinka Farbe und s/w, 75 Minuten Vorfilm: CARMEN A 1999 REGIE, BUCH Anja Salomonowitz KAMERA Hannes Anderwald MIT Carmen Dido Martinek Farbe, 23 Minuten Das Kino ist ein höchst intimer Ort. Im Dunkel des Raums ist man, so die gern gebrauchte, wirkungsspezifische Redensart im Kino-Kontext, ganz mit sich und den Bildern, allein mit seinen Wünschen, Ängsten, Sehnsüchten; es ist ein Ort der Flucht, der Reflexion, der Konfrontation. Es kann aber auch Lebensraum sein und damit ganze Biografien, ganze Alltagsabläufe definieren. In seiner herausragenden, einst hymnisch gefeierten Kindheitserinnerung HIMMEL ODER HÖLLE (A 1990) erzählt Regisseur Wolfgang Murnberger mit sehr viel Hingabe von seinem Leben im elterlichen Dorfkino in Wiesen, Burgenland, vom Großwerden zwischen Schlachthof, Großelternschlafzimmer und Filmvorführung. Das Kino wird hier als umfassender Erfahrungsraum etabliert, als Umschlagplatz kindlicher Neugier und Abenteuerlust: Das »Herunterkletzeln« von Zensurbalken auf Aushangfotos für »Sexler«, das Klauen von Naschereien aus der Büffetvitrine, das Hundejagen durch die Sitzreihen – Wolfgang Murnberger legt seine Geschichte als poetisch-assoziativen, in seiner (Alltags-)Beobachtung genau gezeichneten Bilderbogen an und folgt dabei entschieden der Perspektive seiner jungen Protagonisten (die Erwachsenen haben hier eine Stimme, aber kein Gesicht). Gleich zu Beginn streifen die Kinder durch den Wald, spielen Cowboy und Indianer. Es kommt, wie es kommen muss: Duell. Murnberger inszeniert es ganz im Stil eines Italo-Western, mit spannungsgeladener Zeitlupe zu einem suggestiven Score, mit messerscharfen Blicken und lässigem Zucken in den Mundwinkeln. Eine schönere, beispielhaftere Szene für die Durchdringung von Kino und Kindheit ist nicht zu denken. HIMMEL ODER HÖLLE: Ein vielsagender, zeitloser, absolut unverzichtbarer Film. Eine Großtat. Im Vorprogramm zu sehen: Anja Salomonwitz´ eindringliches Dokuporträt CARMEN (A 1999) über die Kinoarbeiterin Carmen Martinek. Bereits als kleines Mädchen hat Martinek aka Dido eine deutlich körperliche Nähe zum Kino als Ort verspürt. Ein Gefühl, das sich bis ins Erwachsenenalter hinein noch gesteigert hat: Sie schläft nicht nur im Kinosaal, wie sie sagt, sondern auch mit ihm, sieht ihn als Beziehungspartner und hat ihm auch schon einen Heiratsantrag gemacht. Intimer kann die Liebe zum Kino nicht sein. Kuratoren: Thomas Ballhausen, Karin Moser, Lukas Maurer
Informationen Spielort HOFBURG Hofburg, Michaelerkuppel (Treffpunkt Innerer Burghof, Kaisertor), 1010 Wien METRO KINO Johannesgasse 4, 1010 Wien Tickets Normalpreis: Euro 7,50 Ermäßigter Eintritt: Euro 5,– für Mitglieder des Filmarchiv Austria, des Club Ö1, Standard-AbonnentInnen und StudentInnen, sowie für InhaberInnen von Tickets bzw. Jahreskarten von: Freier Eintritt bei allen Veranstaltungen von Kino der Orte für Mitglieder des Filmarchiv Austria! Abonnement für Mitglieder Abonnement für 10 Vorstellungen (max. 2 Karten pro Vorstellung): Euro 45,– Mitgliedschaft im Filmarchiv Austria Es können Jahresmitgliedschaften für 2014 (Euro 25,–) und Zweijahresmitgliedschaften für 2014 & 2015 (Euro 40,–) gelöst werden Infos + Ticketreservierung office@filmarchiv.at, Tel.: 01/216 13 00
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