KINO DER ORTE – DAS PROJEKT Schon in den letzten beiden Jahren hat sich das Filmarchiv-Projekt KINO DER ORTE der Suche nach den öffentlichen Räumen der Film- und Kinogeschichte dieser Stadt verschrieben. Das Filmarchiv-Projekt KINO DER ORTE 2014 ist eine Hommage an die eigentlichen Schauplätze des Kinos: ehemalige, heute vergessene, umfunktionierte und aus dem kollektiven Gedächtnis verschwundene Wiener Kinos werden jeweils für zwei Tage noch einmal geöffnet und bespielt. In den alten Lichtspielhäusern sind Filme und Geschichten zu sehen, die das Kino über sich selbst erzählt hat. Zu entdecken sind dabei auch die Relikte einer seinerzeit nahezu flächendeckenden Topografie öffentlicher Dunkel- und Sehräume, die für Jahrzehnte die urbane Kultur geprägt haben. KINO DER ORTE ist ein Projekt des Filmarchiv Austria in Zusammenarbeit mit St. Balbach Art Produktion, Wien.
KINO DER ORTE 7 CAMERA KINO (Währinger Bürgertheater) 25. & 26. Juni 2014 Gentzgasse 119, 1180 Wien Im 18. Wiener Gemeindebezirk wurde am 8.11.1912 das Währinger Bürgertheater in der Gentzgasse 119 als vornehmes Vorstadtkino mit 311 Sitzplätzen eröffnet. Als Eigentümer und Direktor übernahm 1918 August Racek die Leitung des Filmtheaters. Er sollte das Kino bis zu seinem Tod 1958 leiten. Das Kino wurde Anfang der 1970er-Jahre umgebaut und unter der neuen Bezeichnung Camera Kino mit dem Peter-Weck-Film HAUPTSACHE FERIEN wiedereröffnet. Trotz dieser Erneuerungen und Bemühungen musste das Camera Kino am 11.1.1979 schließen (letzter Film: SCHLOSS DER VAMPIRE). Am 1.9.1979 kam es unter dem neuen Besitzer, der OSTAG, mit dem Film LOUIS UNHEIMLICHE BEGEGNUNG MIT DEN AUSSERIRDISCHEN zur Wiedereröffnung. Es gab auch Retrospektiven im Rahmen der Viennale und eine Kooperation mit dem Filmclub Action. Trotz aller Bemühungen musste das Haus am 30.9.1985 erneut schließen (letzter Film: INTERLUDE mit Oskar Werner). Der Versuch, das Kino ab 29.2.1986 als Pornokino (CALIFORNIA CATS) zu etablieren, war von kurzer Dauer und ebenfalls erfolglos. Nach seiner endgültigen Schließung wurde der Kinosaal als Probebühne der Wiener Volksoper genutzt, seit vielen Jahren steht dieses Kinojuwel aus der frühen Stummfilmzeit leer.
Programm 1 Mi 25.6.2014, 20:00 THE LAST PICTURE SHOW USA 1971 REGIE Peter Bogdanovich DREHBUCH Larry McMurtry, Peter Bogdanovich, basierend auf dem gleichamigen Roman von Larry McMurtry KAMERA Robert Surtees MUSIK Phil Harris, Johnny Standley u.a. MIT Timothy Bottoms, Jeff Bridges, Cybill Shepherd u.a. PRODUKTION Columbia Pictures Corporation, BBS Productions FORMAT s/w, OF 127 Minuten Peter Bogdanovichs Film ist nicht zuletzt auch als ein Teil seiner eigenen Erinnerungsarbeit, angesiedelt zwischen autobiografischer Reflexion und Statement zum filmischen Schaffen in den USA, zu begreifen: In einer schäbigen und tristen texanischen Kleinstadt fristet eine Gruppe Teenager Mitte der 1950er-Jahre ein trauriges Dasein. In der ernüchternden Welt, eingespannt zwischen den historischen Konstanten des Zweiten Weltkriegs und der Korea Krise, exisitieren sie in einem Schwebezustand des Älterwerdens und Nicht-erwachsen- werden-wollens. Die gelebten Vorbilder der Elterngeneration sind wenig erstrebenswert, die alltäglichen Verbindlichkeiten gerinnen zu schäbigen, frustrierenden Erfahrungen in einem desolaten System sozialer Beziehungen. Intimität wird zur Strategie kurzlebiger Ausbruchsversuche, als Liebe missverstandene Körperlichkeit zum Stolperstein des auch unter den Jugendlichen fragilen Gefüges. Der in aller Verzweiflung gelebte, romantisch durchdrungene Aufschub wird dabei nicht zuletzt im Kino manifest, einem Ort positiv besetzter Nostalgie und lebbarer Widerständigkeit. Bogdanovich inszeniert die inneren Krisen und äußeren Enttäuschungen seiner Figuren aber nicht über zu entschlüsselnde cineastische Referenzen, sondern als deutlich ausgestellte alternative Wahrnehmung der Zeit: Glück ist der erhoffte, richtig eingelöste Zeitpunkt, eine temporale Kategorie, die nicht nur ein (nicht aufgerufenes) revolutionäres Potenzial integriert, sondern als sehnende Haltung in Bezug auf das, was hätte sein können, erfahrbar wird. THE LAST PICTURE SHOW führt eine trügerische Idylle des Stillstands und der Standbilder vor. Melancholischer ist das Scheitern von Emanzipation und Eigenständigkeit selten eingefangen worden.
Programm 2 Do 26.6.2014, 20:00 THOSE AWFUL HATS USA 1909 REGIE D.W. Griffith KAMERA G.W. Blitzer MIT Mack Sennett, Flora Finch, Robert Harron, u.a. PRODUKTION: American Mutoscope & Biograph Company FORMAT s/w, stumm ca. 2 Minuten WIE SICH DER KIENTOPP RÄCHT D 1912 REGIE, DREHBUCH Gustav Trautschold KAMERA Hermann Saalfrank MIT Gustav Trautschold, Kitty Dewall, Käthe Samst, Hanns Kräly u.a. PRODUKTION Eiko-Film GmbH FORMAT s/w, stumm mit dt. ZT ca. 18 Minuten SHERLOCK JR. USA 1924 REGIE Buster Keaton DREHBUCH Jean C. Havez, Joseph A. Mitchell, Clyde Bruckman KAMERA Byron Houck, Elgin Lessley MIT Buster Keaton, Kathryn McGuire, Joe Keaton u.a. PRODUKTION Buster Keaton Productions FORMAT s/w, OF mit engl. ZT 45 Minuten THE HEART OF THE WORLD CAN 2000 REGIE, DREHBUCH, KAMERA Guy Maddin MIT Leslie Bais, Caelum Vatnsdal, Shaun Balbar u.a. PRODUKTION Jody Shapiro FORMAT s/w, OF mit engl. ZT 6 Minuten Live- Musik: Gerhard Gruber Griffiths THOSE AWFUL HATS ist dem anarchisch anmutenden Körperhumor der Frühzeit des Kinos verbunden: Das Publikum im Kinosaal möchte doch eigentlich nur die Vorstellung genießen, doch die immer üppiger ausfallenden Hüte der in den Saal nachkommenden und ihre Plätze möglichst ungünstig einnehmenden Damen erregen lautstarkes Missfallen. Die Lösung des Problems ist ebenso surreal wie effektiv. Auch WIE SICH DER KIENTOPP RÄCHT demonstriert die Gnadenlosigkeit des Kinos: Professor Moralski, ein ausgesprochener Gegner des Films und satirische Personifizierung der (durchaus realen und historisch belegten) reformeifrigen Sittenwächter, hat den Unmut der Filmfabrik Filmmer auf sich gezogen. Kurzerhand wird eine Schauspielerin engagiert, die dem Moralapostel den Kopf verdrehen soll.
Immer dabei: Das Kamerateam und ihr Apparat. Die Aufführung des »neuesten! sittenwidrigen Films« gerät für Moralski zur erwarteten Katastrophe. Auch in diesem Fall ist die Aufregung im Kinosaal groß – und überaus unterhaltsam. Mit Buster Keatons SHERLOCK JR. verhält es sich ähnlich: Der von einem Nebenbuhler hereingelegte Filmvorführer träumt sich in die Filmhandlung hinein, löst den Fall um eine gestohlene Uhr und gewinnt seine Liebste doch noch – während in der (sogenannten) Wirklichkeit die Dinge ebenfalls einen für ihn günstigen Verlauf nehmen. Dass das Kino nicht nur straft oder die Liebe zu retten vermag, zeigt der abschließende Kurzfilm THE HEART OF THE WORLD. Ausnahmeregisseur Guy Maddin legt in diesem mehrfach ausgezeichneten Werk seine mit parodistischen Untertönen durchwirkte Verneigung vor deutschem Expressionismus und russischem Agitprop vor: Eine Wissenschaftlerin, in ihrer Zuneigung zwischen zwei Brüdern hin- und hergerissen, macht während ihrer Beobachtungen eine schreckliche Feststellung – das Herz der Welt wird versagen. Der drohende Stillstand bedeutet das Ende der Welt. Während ringsum mit fast schon fröhlicher Verzweiflung das Ende erwartet wird, stößt die Mutige zum Kern der Erde vor und belebt das Herz neu. Sie ist der Ausdruck des Kinos, das nichts weniger leistet, als Tag für Tag die Welt zu retten. Kuratoren: Thomas Ballhausen, Karin Moser
Informationen Spielort CAMERA KINO (Währinger Bürgertheater) Gentzgasse 119, 1180 Wien Tickets Normalpreis: Euro 7,50 Ermäßigter Eintritt: Euro 5,– für Mitglieder des Filmarchiv Austria, des Club Ö1, Standard-AbonnentInnen und StudentInnen, sowie für InhaberInnen von Tickets bzw. Jahreskarten von Theatermuseum, Weltmuseum Wien, Schauspielhaus, brut, WUK, TAG, WestLicht, 21er Haus und Österreichische Nationalbibliothek. Freier Eintritt bei allen Veranstaltungen von Kino der Orte für Mitglieder des Filmarchiv Austria! Abonnement für Mitglieder Abonnement für 10 Vorstellungen (max. 2 Karten pro Vorstellung): Euro 45,– Mitgliedschaft im Filmarchiv Austria Es können Jahresmitgliedschaften für 2014 (Euro 25,–) und Zweijahresmitgliedschaften für 2014 & 2015 (Euro 40,–) gelöst werden Infos + Ticketreservierung tickets@filmarchiv.at, Tel.: 01/216 13 00
www.filmarchiv.at