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KLASSIKER: DIESE PISTEN MÜSST IHR KENNEN
ES GIBT ABFAHRTEN, DEREN RUF EINFACH LEGENDÄR IST UND DIE OFT BEKANNTER SIND ALS DAS DAZUGEHÖRIGE SKIGEBIET. STRECKEN, DIE AUF JEDE WUNSCHLISTE EINES AMBITIONIERTEN SKIFAHRERS GEHÖREN UND AUCH DURCH IHRE GESCHICHTE ZUM KLASSIKER WURDEN.
Text und Fotos: Stefan Herbke
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ZELL AM SEE: TRASS EINE ECHTE DIRETISSIMA
Die baumfreie Wiesenkuppe der knapp 2.000 Meter hohen Schmittenhöhe hoch über dem malerischen Zeller See ist eine Aussichtsloge erster Klasse. Sogar Kaiserin Elisabeth (Sissi) oder Kaiser Franz Josef I. kamen einst hier herauf, um den Sonnenaufgang samt Blick auf die Hohe Tauern und das Kitzsteinhorn zu genießen. Mit der Eröffnung der Schmittenhöhebahn am 31. Dezember 1927 – übrigens die erste Seilbahn in Salzburg und die fünfte in Österreich – wurde ein regelrechter Besucheransturm ausgelöst. Zwei Jahre später wurden die ersten Abfahrten markiert, wobei diese wild durchs Gelände führten. Der Seilbahnbetreiber war nur für das Bergauf verantwortlich.
Sportliches Aushängeschild des Skigebietes ist bis heute die im Jahr 1938 angelegte Trass, die quasi in direkter Linie von der Schmittenhöhe (1.955 m) zur Talstation (945 m) führt und reichlich Standvermögen erfordert. Eine Abfahrt, wie man sie schöner kaum bauen könnte: Nach einem sanften Start über einen aussichtsreichen Rücken mit Traumblick auf das Kitzsteinhorn folgen die wunderbaren Skihänge der Breiteckalm, ehe es ans Eingemachte geht. Gleich unterhalb der beliebten Einkehrstation, die seit dem Jahr 1942 Anlaufstelle für Skifahrer
ist, startet die eigentliche Trass, die von Anfang an exakt dem Bergrücken folgt. Lediglich an einer Stelle unterbricht eine kurze Querung den Abfahrtsrausch über gut vier Kilometer und rund 1.000 Höhenmeter. Beim Trasslauf, einer Veranstaltung, zu der sich jeder anmelden kann und die Hermann Maier vor seiner Weltcupkarriere mit Streckenrekord gewann, verwandelt sich die Strecke jedes Jahr im Januar in einen Riesentorlauf mit 110 Toren. Manchmal ist die tiefschwarze Abfahrt sogar ein Tiefschneeparadies. Zwar präpariert die Schmittenhöhebahn nach nächtlichen Neuschneefällen gleich in der Früh ihre Pisten, doch die Trass bleibt unberührt. Erst wenn der Powder komplett durchpflügt wurde, wird die Strecke frisch gewalzt.
So breit und perfekt präpariert wie heute war die Trass natürlich nicht immer. Früher war die bis zu 70 Prozent steile Strecke eine schmale, mit meterhohen Buckeln gespickte Schneise durch den Bergwald. Schlüsselstelle war der steile, häufig vereiste Schlusshang, der unten im eiskalten Bach endete. Gleich geblieben ist eine Challenge, bei der man die Trass möglichst schnell abfährt – um unten wieder in genau die Kabine zu steigen, mit der man gerade eben auf die Schmittenhöhe gefahren ist.
DOLOMITEN: LAGAZUOI SKIFAHRERISCHES AUSHÄNGESCHILD DER DOLOMITEN
Die außergewöhnliche Lage des Lagazuoi hat zwei Seiten. Die negative: Im Ersten Weltkrieg verlief auf diesem unübersehbaren Felsklotz oberhalb des Falzaregopasses die Front zwischen den Österreichern (die den Gipfelkamm sicherten) und den Italienern (die sich durch den Berg nach oben gruben). Die positive Seite: Der Rundblick über die Dolomitenwelt mit den Tofanen vis-à-vis ist selbst für die an landschaftlichen Höhenpunkten reichen Dolomiten außergewöhnlich. Das wussten auch Ugo Pompanin und seine Freunde, wobei hinter ihrem Plan einer Seilbahn – die im Februar 1964 eröffnet wurde – eine Vision stand: Neben der Attraktivität als Ausfl ugsziel erkannten sie, dass man von hier aus gleich in mehrere Täler abfahren konnte. Jahre vor der Gründung von Dolomiti Superski und einem tälerübergreifenden Skikarussell in den Dolomiten sahen sie bereits den Lagazuoi als verbindendes Element zwischen den Gebieten Cortina d’Ampezzo, Alta Badia und Cinque Torri.
Die Pläne waren groß, so dass Pompanin am Lagazuoi auch eine Hütte baute. Doch verwirklicht wurden nur Teile des Plans. Von Alta Badia muss man selbst heute noch mit Bus oder Taxi zum Falzaregopass fahren, und auch die geplanten Abfahrten über die Forcela Col dei Bos und durch das einmalige Travenanzestal wurden nie gebaut. Von Cortina d’Ampezzo aus soll die bestehende Lücke in diesem Winter endlich geschlossen werden – rechtzeitig vor den Alpinen Skiweltmeisterschaften 2021, so zumindest der Plan.
Abgesehen davon sind die mehrmals verbreiterten Pisten von der Bergstation am Lagazuoi (2.732 m) zurück zum Falzaregopass (2.105 m) und Richtung Armentarola ein skifahrerisches Aushängeschild von Dolomiti Superski. Kein Wunder, denn auf der knapp neun Kilometer langen Piste Armentarola begeistert oben die Weite einer faszinierenden Schneedünenlandschaft; mit der Scotonihütte und dem legendären Grillteller wartet ein Pfl ichtstopp am Pistenrand; dann schwingt man direkt an Felswänden und gefrorenen Wasserfällen entlang; und unten im Fanestal lässt man die Ski laufen, bis im Flachstück die Pferdegespanne warten, die einen gegen Gebühr zum nächsten Lift und damit ins Skigebiet von Alta Badia ziehen. Ein Traum, vor allem in der Früh. Wer etwa im Rifugio Lagazuoi (www.rifugiolagazuoi.com) kurz oberhalb der Bergstation übernachtet – die Hütte wird auch heute noch von der Familie Pompanin bewirtschaftet – darf sich über außergewöhnliche Stimmungen beim Sonnenunter- und -aufgang sowie eine perfekt präparierte Abfahrt freuen. Denn wer vor neun Uhr (und damit vor der ersten Seilbahn) startet, hinterlässt mit Sicherheit als erster seine Spuren auf dem frisch ausgerollten Pistenteppich.
Infos: www.lagazuoi.it, www.dolomitisuperski.com
SEXTEN: HOLZRIESE FÜR KÖNNER EIN TRAUM, FÜR ANDERE EINE MUTPROBE
Manchmal sollte man besser gut zuhören. Denn wenn Skikenner von der Holzriese sprechen, man aber Holzwiese versteht und dabei an eine wunderbar leichte, blaue Piste denkt, wird man schnell von der Realität eingeholt. Denn bei der Holzriese im Skigebiet 3 Zinnen Dolomiten handelt es sich um eine durch und durch schwarze, also schwere Abfahrt, die als steilste täglich präparierte Piste Italiens gilt. Dabei hat der Name Holzriese mit Skifahren gar nichts zu tun. Eine Holzriese war einst für die Bauern Mittel zum Zweck, um die auf vier Meter Länge gekürzten Baumstämme auf schnellstem Weg ins Tal zu transportieren.
Nachdem im Jahr 1966 das Skigebiet Rotwand oberhalb von Bad Moos bei Sexten eröffnet wurde – damals ging es noch mit einem Korblift bergauf, der für die Bergfahrt über eine halbe Stunde benötigte – und man in der zweiten Ausbauphase eine anspruchsvolle Strecke suchte, nutzte man kurzerhand den vorhandenen, engen Kanal, fällte links und rechts noch ein paar Bäume und schon hatte man eine Abfahrt. Die war an der breitesten Stelle vielleicht 25 Meter breit, teilweise aber nur acht Meter schmal und mit der damaligen Ausrüstung nur etwas für echte Könner.
Anfangs versuchte man, die Piste einzutreten, doch die meisten Helfer kamen nur bis zur Hälfte, bevor sie – am Beginn des eigentlichen Steilstücks – wieder abrutschten. Kein Wunder, immerhin weist die mittlerweile unter dem Namen Holzriese 2 bekannte Strecke (der obere, Holzriese 1 genannte Teil wurde erst im Jahr 2005 gebaut) ein Gefälle von bis zu 72 Prozent auf. Daher war die Holzriese früher nach Neuschnee eine Tiefschneeabfahrt (für die ersten Skifahrer), am zweiten Tag war alles durchgefroren und bockhart, und danach wurden die Buckel mit jedem Tag größer.
Schlüsselstelle war ein kleiner Absatz auf der Hälfte, den viele übersahen. Wer hier zu schnell war, den hat es regelrecht herauskatapultiert. Dennoch suchten viele die Herausforderung und fuhren oft schneidig in den Steilhang ein. Die älteren Liftler können sich an so manch lustige Anekdote und einige spektakuläre Stürze erinnern.
Doch das ist Schnee von gestern. Nachdem in einer Nacht- und Nebelaktion die am Helm vorhandene Pistenraupe mit Winde „ausgeliehen“ wurde – die Skigebiete gehörten damals noch nicht zusammen und waren Konkurrenten – und die versuchsweise Präparierung des Steilhangs erfolgreich war, wurde die Holzriese schließlich ausgebaut. Dank Beschneiung und täglicher Präparierung präsentiert sie sich heute in einem Top-Zustand. Geblieben ist allerdings die Steilheit, sodass die Holzriese viele immer noch Überwindung kostet und eine echte Herausforderung ist.
Infos: www.dreizinnen.com
MEHR ...
... legendäre Skiabfahrten zum Nachlesen gibt es in dem neuen Buch „111 Skipisten, die man gefahren sein muss“. Die Autoren Christoph Schrahe, Thomas Biersack und Stefan Herbke haben sich im deutschsprachigen Alpenraum umgeschaut und spannende Geschichten zu den Abfahrtsklassikern zusammengetragen.