Republikmaßstab

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Republikmaßstab

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Es ist einfach zu dieser Zeit eine Art gewesen, sein Gefühl des nicht Reinpassens auszudrücken. Und das fing damit an, dass man sich dann einfach eine Sicherheitsnadel durchs Ohr gepiekt hat oder eine Klo-Kette umgehängt hat. Das war erst mal gar nicht so in Kategorien, sondern man hat einfach eine Möglichkeit gehabt zu kommunizieren – „Ich gehöre nicht dazu!“


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Editorial

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Interview R

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Klassenkampf

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Punk und die Kirche

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Einblicke

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Die Aussteiger - das sind all die Normalen.

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Punkbands in der DDR Geschichte des Punks in der DDR

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Ich sitze auf dem Absatz zur Haust端r, unendliche Langeweile zerm端rbt mich.


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Ostberlin, Ende der Siebziger. Pankow. Bonzenviertel, Q3A Blöcke. Drei parkende Autos auf der ganzen Straße. Trabant 601, Trabant Kombi, Wartburg Tourist. Ich sitze auf dem Absatz zur Haustür, unendliche Langeweile zermürbt mich.

Punk Stunde Null Michael „Pankow“ Boehlke


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Wochenende ist das Schlimmste! Nichts los. Aus dem Küchenfenster im ersten Stock plärrt das Radio. Von sieben bin zehn in Spreeathen: „Und es hat euch gefallen, sing alle noch mal mit, von Rostock bis nach Sonneberg ob Schulze oder Schmidt …“ Ich will weg. Von zu Hause, von der Schule, raus aus dem Osten. Nachts werfe ich mit Nachbar Köppi alle Scheiben im ersten Stock unserer Schule ein. Die Bullen kommen. Wir rennen in die Laubenkolonie, knacken eine Laube, verstecken uns da und hinterlassen sie verwüstet.
Am darauf folgenden Tag ist die gesamte Schule zum Fahnenappell angetreten. Nach der üblichen Begrüßung „Seidbereit-immer-bereit“ und den Planerfüllungsversprechungen unseres Direktors fällt mein Name. Ich muß vortreten und bekomme einen Tadel wegen der wiederholten Weigerung, meine mit „AC/DC“ bemalte Jeansweste nicht in der Schule zu tragen. Außerdem ist es verboten, mit einer Plastiktüte in die Schule zu kommen. Ich trage meine Schulbücher in einer Woolworth-Tüte. Auf meinem Weg nach Hause sehe ich einen Mercedes Benz mit dem begehrten Stern auf der Kühlerhaube, dem Inbegriff von Freiheit, der alle auf den Westen projizierten Sehnsüchte bündelt. Wieder in der Schule, tausche ich den „Stern der Freiheit“ gegen die aktuelle Ausgabe der Bravo. Zum ersten Mal sehe ich ein Bild der Sex Pistols. Endlich Erlösung. Mein Seelenzustand, verkörpert durch Johnny Rotten. Respektlos, rotzig, trotzig.
Meine permanente Unruhe drängt mich zum Handeln. In der Jugendmode klaue ich mir ein Sakko und sprühe ein AnarchieZeichen darauf. Ich zerreiße mein T-Shirt und schneide mir die Haare. Die ersten Punks lerne ich im Plänterwald kennen. Sie kommen aus Köpenick und Schöneweide, also aus dem Süden Ostberlins. Pankow liegt im Norden, für sie „am Arsch der Welt“. Schnell habe ich meinen Namen weg: „Pankow“. Wenn wir Glück haben, spielt der DJ zwei oder drei Punktitel. Das ist dann unser Auftritt. Wir proben den ersten Pogo. Nach der Disko gibt es regelmäßig Schlägereien. Rocker, Blueser, Ordner. Zum Glück haben wir den Langen. Der hat früher mal geboxt. Als ich mit der S-Bahn von Pankow nach Schöneweide zu Meissner fahre, werde ich von drei Typen zusammengeschlagen. Ich komme mit Nasenbeinbruch und zermatschtem Auge bei ihm an, erhalte aber die ersehnten ersten Punktapes mit den Sex Pistols „Never mind the bollocks“ und The Stranglers „No more heroes“.


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Ne, ich hatte schwarze, hochtupierte Haare, wenn sie denn hochtupiert waren, weil die hinten hielten ja immer nicht. Das war immer zu schwierig, im Osten irgendwas zu kriegen, was die Haare so hoch gestellt hat. Eine schwarze Hose hatte ich an…

Wie war Dein Leben damals - wie hat es sich angefühlt? Mein Leben war scheiße. Also erst mal mit 16, da war ja die Schule aus. Und da wollten wir nach Prag. Und dann haben wir uns gesagt, naja die hat ja ein paar Kronen, die Feuerstake, und dann haben wir gesagt, ok dann fahren wir nach Prag ins Uklebko oder wie das hieß. Und hauen da die Kohle auf den Kopf und machen uns da einen Lustigen. Campen dann irgendwo und machen uns da irgendwie einen lustigen Tag oder ein paar lustige Tage. Und dann sind wir aber nicht nach Prag gekommen, also im Zug haben sie uns rausgeholt an der Grenze. Da hat unser Vater damals dafür gesorgt, dass die speziell nach uns gesucht haben. Und dann haben sie uns am Zug rausgeholt und dann haben sie nach Bad Schandau gebracht und haben uns ein paar Tage festgehalten in so einer Stasi-Baracke. Mit welcher Begründung? Erst gar keine Begründung. Dann Einzelverhöre, das war ganz kurios. Also so ominös, wie du das so aus Büchern und Filmen kennst. Da hast du so einen Arbeitsraum und an einem Ende einen großen Schreibtisch, und da sitzt denn ein bisschen erhöht der Verhörer und du sitzt irgendwo in der Ecke auf einem Stuhl, einen einzelnen Stuhl. Damit du gleich das Gefühl hast, du bist ein Wurm. Ja und dann haben sie uns vorgeworfen, wir wollten über die Grenze nach Westdeutschland flüchten, also über die tschechische Grenze und wir hätten ja Verwandtschaft da - Edith und Gert. Da bin ich im Verhör aus allen Wolken gefallen. Also ich war ja noch ein dummes, naives Kind. Da habe ich ja nie dran gedacht. Naja und dann haben sie uns gehen lassen. Aber das war mal wieder ernüchternd. Das hat uns mal, beziehungsweise mir, wenn wir jetzt bloß von mir reden, mal wieder die Grenzen unseres Landes gezeigt. Das war scheiße. Und dann bin ich in die Lehre, und das erste Jahr Lehre war auch totaler Kack. Ich hatte überhaupt keinen Bock auf die scheiße. Jeden Tag so zeitig aufstehen und jeden Tag irgendwelcher theoretischer Müll. Ne, fürchterlich. Und so schleppte sich das erste Jahr dahin und im zweiten Jahr kam dann irgendwie so ein bisschen Begeisterung für den Beruf. Dann wurde es auch ein bisschen angenehmer. Ich habe mich ein bisschen für Technik interessiert und so. Und dann wurde es ein bisschen angenehmer, da hat es denn auch Spaß gemacht der Beruf. Ja und dann kam die Wende. Ach ne, ne, halt! Quatsch! Dann bin ich zur Armee gegangen. Ja genau. Irgendwann kam irgendjemand in die Berufsschule und hat uns gefragt, ob wir drei Jahre zur Armee gehen wollten. Wenn wir Drucker werden wollten, aber dann müssten wir 3 Jahre zur Armee gehen. Und da hab ich gesagt Ja. Wie war das mit Medien, zum Beispiel der Bravo. Ich habe oft gelesen, dass viel über die Bravo kam. Ach so, ne Bravo haben wir nicht bekommen, wir unsere Familie. Also haben wir uns solche Blattel dann immer mal geborgt über irgendwelche Spezis, Freunde und was weiß ich, Schulbekanntschaften. Und so Klamotten …? haben wir uns eigentlich schon so… An was hab ich mich orientiert - Ich hab mich an dem orientiert, was als Szene in Halle Neustadt so gängig war. Was du hier und da gesehen hast und was dir gefallen hat. Ein bisschen was aus der Bravo und ganz stark, wenn man auf diesen Trip geht mit diesen, wie nannte man das denn damals, die Grufti-Szene, diese schwarz gekleideten, wie hieß denn die? Weiß ich gar nicht mehr. Heute heißt das Gothics. Damals hieß das, kann ich dir nicht sagen wie das hieß. An unseren bekannten Familie Loose. Die haben mich da stark geprägt. Beim großen Loose haben wir uns die Haare schwarz gefärbt und ins Zuckerwasser rein und so. Also das sollte alles in Richtung Gruft eben. Ich kann dir nicht mehr sagen, wie das damals hieß, wie wir uns genannt haben.


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Vielleicht musste man sich ja auch gar nicht nennen. Ne, ich hatte schwarze, hochtupierte Haare, wenn sie denn hochtupiert waren, weil die hinten hielten ja immer nicht. Das war immer zu schwierig, im Osten irgendwas zu kriegen, was die Haare so hoch gestellt hat. Eine schwarze Hose hatte ich an, sowieso schwarze Sneakers, so hohe habe ich mir gekauft im Exquisit. Da bin ich in meinen letzten Ferien drei Wochen lang mit Looses Kirchenklauen gefahren nach Betschental. Und dann haben wir jeden Tag in der Kaufhalle, bei uns gegenüber vom Haus die Kaufhalle, haben wir jeden Tag, also 20 Kilo Kirschen abgegeben. Die haben die für mehr angekauft, als sie sie verkauft haben. Also der Einkaufspreis war höher als der Verkaufspreis. Das war schön. Also wir sind Abends mit dem Fahrrad, die zwei Looses, also der große Loose, der mittlere Loose - ich weiß nicht mehr wie die hießen, Sven, nicht Enrico, sondern der andere, Frank und Raik mit zwei Eimern an der Lenkerstange mit dem Fahrrad nach Betschental rüber. Den großen Berg hoch - ich weiß nicht ob du das noch kennst - war jedenfalls jedes Mal eine Tortur, und dann haben wir die zwei Eimer jeder voll gemacht, haben die Kirschen geklaut. Und mit den zwei Eimern an der Lenkerstange sind wir dann zurück nach Neustadt, dann haben wir die Kirschen zuhause in die Badewanne, kaltes Wasser an, dann haben die sich vollgesaugt, sind richtig schwer geworden. Und früh um Fünf sind wir an die Kaufhalle und haben die verkauft. Da haben wir innerhalb von drei Wochen haben wir sehr gutes Geld gemacht, ich kann es dir nicht mehr sagen, 600,00/700,00 Ostmark. Für 200,00 Ostmark habe ich mir dann im Exquisit so hohe schwarze Sneakers geholt. So Basketballschuhe? Ja, genau solche. Aber war natürlich irgendwelcher Mist aus dem Westen aussortiert, also was die da wahrscheinlich qualitativ nicht verkaufen konnten, weiß ich nicht. Hätten vielleicht im Westen 20 Mark gekostet. Ich kann’s dir nicht sagen, naja. Und dann hatte ich diverse an roten Samtpullovern, ich weiß nicht woher. Dann hatte ich, das waren so die Popperzeiten und dann kamen die Gruftizeiten. Dann hatte ich, die Omi hatte mir weiße T-Shirts, Unterhemden gebatigt. Ja, eins gelb und eins lila. Und zwar das mit Ärmeln gelb, glaube ich, und das Trägerunterhemd lila. Und das habe ich dann immer so übereinander gezogen, oder irgendwie ein Netzhemd drüber oder irgendwas schlag mich tot. War jedenfalls eine wilde Zeit. Irgendwie warst du sehr kreativ, was Klammotten anging, weil wir hatten ja nix. Also wir hatten ja keine, wir haben uns ja aus dem Westen nie irgendwie was, na ja doch schon, aber dann immer bloß mal einen Pullover und. Dann haben die ja meistens etwas geschickt, was du nicht wolltest, das kennst du ja. Und dann hast du halt angefangen, dir irgendwie kreativ selber an deinem Style irgendwie zu basteln. Aus all diesen Teilen ist da was zusammen gekommen. War ja auch ganz nett. Und da hatte ich ein gutes Stück. Das war so ein Lederkappi, so ein achteckiges Lederkappi, so Lenin-Kappi oder frag mich was. Das hatte ich dann auch mal eine Zeitlang auf dem Kopf. War recht lustig.

Hast du überhaupt über Politik nachgedacht? Ach ja, laufend. Ja? Würdest du im Nachhinein sagen, das war eine politische Jugend? Naja, aufgrund der Tatsache, dass ich immer die Schnauze voll hatte von dem Land. Weil dieses Land… Also ich hab mich immer eingesperrt gefühlt. Also erst mal aufgrund unserer Familienvergangenheit und irgendwie bin ich irgendwann an einen Punkt gekommen, da war mir das alles zu eng und zu spießig dieses Land. Das war eine Katastrophe. Du bist drei Stunden Richtung Norden gefahren, dann war Schluss, und du bist drei Stunden Richtung Süden gefahren mit dem Zug, und dann war auch Schluss. Und alles war grau und überall war alles gleich. Also das war ganz schlimm. Ich hab das als belastend und schlimm empfunden damals. Und wir haben uns natürlich oft Gedanken gemacht. Also die Leute, mit denen ich zusammen war. Das war jetzt nicht das primäre Gesprächsthema, wann geht der Staat zugrunde oder weiß ich nicht, aber es war oft Thema. Und ich kann mich erinnern, ich war schon damals der Meinung, nichts ist von Dauer. Ich habe zwar nicht geglaubt, dass ich das erleben werde, dass das alles mal zusammenbricht. Aber ich, also das nichts von Dauer war, also das war …? Das war mir eigentlich schon klar. Ich hatte bloß nicht damit gerechnet, dass ich diese Umbruchzeit so erlebe. Ich kann mich auch erinnern, wir haben uns mal bei der Armee unterhalten mit dem Dicken, den kennst du vielleicht noch, und da haben wir uns gestritten, wir hatten auch was getrunken. Also nicht gestritten, aber es war ein Streitgespräch, und ich hab da nur gesagt, das kann gar nicht sein, das kann gar nicht von Dauer sein sowas. Das geht nicht. Nichts ist von Dauer. Er war immer der Meinung, nein, es geht so weiter und es ist ja alles so festgefahren. Naja und dann kam das schneller als man dachte. Über das Ganze stülpt sich ja dieses pseudosozialistische DDR-System, dem du ja auch gefallen musst, damit du ein einigermaßen ruhiges oder normales Leben hattest. Wenn du jetzt immer überall da Anecker warst und immer ein eigenständiger Kopf, dann musstest du natürlich immer mit Repressalien und mit irgendwas rechnen. Jetzt könnte das Gegenargument kommen, ja andere haben das ja auch gemacht. Ja die anderen, die das gemacht haben, schaffen sich dann aber ihre Bestätigung und ihr Wohlbefinden auf einer anderen Seite. Also z. B. irgendwelche Bürgerrechtler, die Kontakt hatten, die hatten Kontakt im Westen. Also es hieß dann erst mal, über irgendwelche Ecken. Dann hieß das erst mal, ja wir machen nicht im


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Verborgenen wie du und anonym wie du kleiner Wurm in Halle, wenn du da irgendwas gesagt hättest. Der zweite Punkt ist, die hatten Zugang zu so einer Szene, d. h. also, die hatten immer Leute, wo sie hingehen konnten und konnten sagen, ah… ja. Ich meine, kein Mensch hält alleine Druck ewig aus. Das ist fakt. Wenn du da nicht irgendwie eine Gegenwelt hast, wo du dich festhalten kannst oder irgendwas, da versuchst du dich natürlich irgendwie in einem anderen System irgendwo ein bisschen anzupassen, weil du musst ja überleben. Geht nicht anders. Wie soll ich ihn dir beschreiben. Also du hast immer im Hintergrund das dumpfe Gefühl, das war es. Du warst ja jung, im Prinzip warst du ja uralt, weil du warst ja gefangen in dem System. Hattest immer das dumpfe Gefühl, was ist denn das für eine Scheiße und so sieht mein Leben jetzt aus. Ja damit hast du dich eigentlich schon so im Hintergrund abgefunden. Und wenn du aber angefangen hast explizit darüber nachzudenken und ein bisschen Logik in die Sache reingebracht hast, da war mir fast klar, nichts ist von Dauer. Ich meine, das haben sie uns ja immer so gelernt. Und wenn du ein bisschen aufpasst auch in der Schule, dann war es ja logisch, dass nichts von Dauer ist. Selbst gute Systeme wie das Römische Reich, darüber haben wir ja nichts gelernt, weil da hätten sie sich wahrscheinlich gefürchtet, sind irgendwann zerbrochen an sich selbst. Selbst Systeme, die so gut aufgebaut sind, soziale Systeme, dass wir alle Eventualitäten bedenken, versuchen zu bedenken, brechen irgendwann zusammen, weil sie eben nicht alle Eventualitäten bedenken können der menschlichen Natur. Das ist einfach so. Früher oder später ist Schluss. Ich weiß jetzt nicht, ob das so ein Geistesblitz war damals, aber das war mir eigentlich schon klar? Ich hab bloß nie damit gerechnet, dass ich das erleben darf. Das war schön. Das kam ja gerade zur richtigen Zeit für unsere Generation. War sehr schön. Wie hat Dein Umfeld reagiert? Also ich hatte ja immer, ich war also gegenüber Lehrern oder was Autoritäten darstellten, die dich erziehen sollten oder dich formen sollten, das haben sie ja immer so schön… formen, haben sie auch wirklich so gesagt, die Eierköpfe. Ja die mussten es ja akzeptieren, das mal das erste. Ab und zu war mal einer dabei, der hat gesagt, du machst das. Aber gut, das hat du dann halt nicht gemacht. Oder du hast es gemacht, je nach dem, was für Konsequenzen im Raum standen. Und dann hatte sich die Sache erledigt. Aber größtenteils habe ich festgestellt, oder wenn ich halt so drüber nachdenke, haben die später sich doch an ein bisschen Farbe erfreut und haben das dann auch so akzeptiert. Aber es gab natürlich immer wieder welche, also so junge Leute mehr, wenn wir in der Szene unterwegs waren, dann warst sowieso akzeptiert. Und die Jugend um dich rum, das war die Jeansjugend, die hat es dann auch akzeptiert, weil sie fanden das dann auch so lässig und cool. Und dann haben sie sich ein bisschen damit geschmückt, dass einer dabei war. Und ab und zu gab es das halt, da erinnere mich an was, da sind wir aus einem Zug gestiegen in Leipzig, frühmorgens und wollten in die Lehrwerkstatt. Und da gab es dann ab und zu solche alten Männer, so Spießer mit hinter gekämmten Haaren und Stilkamm hinten drinne, alle in ihrer DDR-Uniform, die dich da bemault haben. Aber die zwei, drei Erlebnisse, die ich an solche Sachen habe, da haben sich dann meistens meine Spezis mit denen verbale Wortgefechte geliefert. Also ich brauchte da noch nicht mal was sagen. Die haben den dann halt beschimpft. Ich hatte ja auch noch zu der Zeit einen merkwürdigen großen Ohrring im linken Ohr, also irgendwie so ein Gehänge. Also ich kann es nicht mal beschreiben, ich hatte nicht nur so einen Stecker drin, sondern irgendwie irgendwas baumelndes, hängendes. Naja, es musste auffallen. Ja und ansonsten, also in meiner Lehre und so, dann haben die Autoritäten, die haben das eigentlich mehr oder weniger akzeptiert. Und in der Schulzeit, da gab es wohl ab und zu so Ansätze von Autoritäten, die versucht haben, dich da irgendwie zu verbieten oder umzuerziehen, aber denen hast du dich einfach widersetzt. Das war ja dann schon die Zeit, und dann konnten wir da raus. Da bist du natürlich in ihrer Wertigkeit hinten runter gefallen, und dann haben sie es dich dann auch spüren lassen. Ob es dann bei Zensuren war oder irgendwie in ihrem Ansehen, oder wenn es darum ging, auf die EOS zu gehen, da warst du natürlich unten durch. Aber ansonsten, haben wir uns da nichts verbieten lassen. Wir haben gemacht, was wir wollten. Ja, und wenn du das in gewissen Grenzen gemacht hast und nicht permanent auf der Straße rumgerannt bist und rufst „scheiß Bullen“ oder so, dann haben sie dich eigentlich mehr oder weniger leben lassen müssen. Was sollten sie machen, die Eierköpfe. Ja also auf der Beobachtungsliste standen wir garantiert, also da bin ich mir zu 98 % sicher. Aber es hatte jetzt nie so verheerende Konsequenzen. Verheerende Konsequenzen aus der heutigen Sicht, aus der Rückschau, weil ich nicht weiß, was unser Vater damals gedreht und gemacht hat, oder an unserem Lebensweg oder an meinem Lebensweg rumgeschraubt hat. Aber ich hab heute nicht so einen Leidensdruck, dass ich sagen könnte, na ja gut, ich hab nicht studiert wegen ihm. Ich würde mir deswegen mein Leben vermiesen heute oder… Hat sich auch so ganz gut entwickelt alles. Glück gehabt. Also wenn solche Leute mehr Macht gehabt hätten, dann wäre es natürlich wahrscheinlich ein bisschen peinlicher gewesen. Aber sie waren ja auch bloß kleine Spießer, begrenzte und haben da versucht, ein bisschen irgendwie an irgendwelchen Rädchen zu drehen. Ja, nächste Frage. Was war deine Lieblingsband, und warum und wie ist man an die Musik gekommen? Ah, schön. Meine Lieblingsband war damals erstens Die Ärzte. Nein nein, erst war es …?, zuallererst war es ziemlich unstrukturiert. In der Schulzeit haben wir uns einfach an die Hitparaden im Westen orientiert und haben alles mitgeschnitten, was am Montag, oder da gab es irgendwie eine Jugendsendung, so eine Mitschneid-Jugendsendung von Radio NDR, also Norddeutscher Rundfunk, 20.00 Uhr. Aber ich kann dir nicht mehr sagen, wie das hieß, und da haben wir uns halt viel so mitgeschnitten. Meistens waren es aber so die üblichen Hits, nicht so eine bestimmte Musikrichtung. Dann zum Ende der


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Schulzeit hin kristallisierte sich so dieses … also dieses elektronische depressive Gejaule raus. Aber wie gesagt, ich kann dir nicht mehr sagen, wie man das nannte, diese Musikrichtung. Das war ja kein Punk, was war denn das. Das war doch so ein depressives Gehäule. New Wave. New Wave, ja genau. Ja, so könnte man das bezeichnen. Ein depressives Gejaule, kann man so vergleichen. War aber schön, da konnte man sich drinne wälzen. Kennst du The Forest von The Cure. Kennst du, ja? Also das höre ich heute noch gerne, aber eigentlich ist es ja fürchterlich. Und wenn man dann mal in so einer Grundstimmung war, ähm… Das war erst ausschlaggebend. Und als ich in der Lehre war, in der Lehre gab es da so eine militärische Grundausbildung für 2/3 Wochen, das war ja Usus im Osten, einmal im Jahr irgendwo, wenn du dann ein bisschen älter warst, irgendwo in so ein pseudomilitärisches Lager einsperren oder irgendwie so einen pseudomilitärischen Unterricht machen. Und da bin ich irgendwie über so einen Lehrkollegen, mit dem ich auch im Internat war, an Die Ärzte gekommen. Von da an haben wir nur solchen Punkrock, Spaß-Punkrock gehört. Das war lustig, das war richtig schön. Und die haben damals auch noch richtig gute Musik gemacht, Die Ärzte. Was bleibt, also was ist davon übrig geblieben? Also was jetzt speziell von der DDR-Vergangenheit übrig geblieben ist, das weiß ich nicht. Was übrig geblieben ist, ist natürlich auf alle Fälle mein Querulantentum, auch in meinem heutigen Job als Betriebsrat. Und was als Erkenntnis hängen geblieben ist, da haben wir vorhin schon drüber gesprochen, nichts ist von Dauer. Das kann ich dir so sagen. Mich verwundern heute noch Leute, die sagen, alles ist heute so und da muss man sich halt einrichten und so. Also das verwundert mich heute noch. Gerade meine Generation, alle die aus der Zeit kommen, und alle, die aus dem Osten kommen, die müssen doch wissen, dass erstens nichts von Dauer ist und zweitens, dass man alles verändern kann. Und das alles erst mal anfängt mit kleinen, mit ganz kleinen Schrittchen. Und wenn das alles so zusammenkommt, dann kann man was bewegen. Also die Erkenntnis ist geblieben. Und was ist noch geblieben? Denke ich unser ziemlich, also was das angeht, starker Charakter, auf Veränderungen einzugehen und mit neuen Situationen umzugehen. Wie würdest du dieses Ganze, was du jetzt alles erzählt hast, dieses ganze Lebensgefühl, das da geherrscht hat, kann man das noch mal so zusammenfassen, dass man sagt, okay, das hat sich so und so angefühlt. Das war ja jetzt sehr differenziert. Auf der einen Seite hast du gesagt, es war relativ scheiße und frustrierend, auf der anderen Seite gab es auch immer wieder gute Momente. Kann man da irgendwie eine Zusammenfassung ziehen? Also ich habe erst jetzt mit über 40 angefangen, meine Jugend, ich habe jetzt auch angefangen, alles ein bisschen aufzuarbeiten und den zu treffen, und den zu treffen, und den zu treffen aus der damaligen Zeit. Die ganzen letzten 15 Jahre habe ich versucht, das zu verdrängen, meine Jugend, weil ich überhaupt keine gute Erinnerung daran hatte. Ich stelle erst jetzt die letzten zwei Jahre zunehmend und vermehrt fest, da gab es doch lichte Momente und es war ja doch nicht alles so schlecht. Die letzten 15 Jahre hatte ich ein dunkles, ein sehr dunkles Gefühl, wenn ich an die Zeit zurück gedacht habe, und habe es am liebsten verdrängt. Ich habe die Zeit als sehr bedrückend empfunden. Die Ohnmacht eines jungen Menschen oder vieler junger Menschen in so einem totalitären System. Totalitär, das hört sich so staatstragend an, im Prinzip war es ja ein System der Spießer. Wenn dieses Spießertum, wenn das dann so anfängt wie so eine Krake Macht über dich, deinen Körper und deine Gedanken zu ergreifen, das fand ich schon sehr sehr frustrierend und bedrückend. Und klein, ganz klein – das habe ich dir so oft gesagt, ich habe das als ganz klein empfunden. Ich kam mir vor, wie in einem kleinen Bundesland, in Thüringen. Und heute, wenn du es heute mit Thüringen vergleichst, du reist von Landesgrenze zu Landesgrenze – so habe ich das empfunden. Fürchterlich, und alles gleich gemacht, alles grau. Im Übrigen leide ich heute noch im Winter so unter diesen Winterdepressionen. Ich habe jetzt gestern oder vorgestern, bei uns ist der ganze Schnee weggetaut, und trotzdem ist alles grau. Jetzt ist aber dieses Westdeutschland oder das Deutschland heut, das ist ja schon recht farbenfroh und bunt. Wenn du mal genau drauf achtest, die Autos sind bunt und die Häuser haben mal die Farbe und mal die Farbe. Und meistens sind sie ja sowieso, das sieht ja nicht alles so grau aus wie damals, und trotzdem bedrückt mich diese Jahreszeit, weil sie immer wieder so, weil die leuchtenden Farben fehlen und weil alles so grau ist, so einen leichten Grauton hat. Und damals war ja alles grau, aber richtig grau. Ich weiß gar nicht, hast du noch Erinnerung daran? Ja schon, das habe ich noch im Kopf, ja. Da war alles grau, da war sogar der Baum grau. Das war fürchterlich. Wenn du in so einer Stadt wie Halle warst, da war jeder Baum grau. Das war ganz schlimm. Das sind so meine Erinnerungen, kleines spießiges graues Land und dementsprechend nur noch Dickköpfe um die Gedanken der Menschen. Aber dass es nicht so war, dass ich da einer Selbsttäuschung unterliege, zeigt ja die Tatsache, dass es anders gekommen ist. Also es kann ja nicht so, da muss ja was gewesen sein. Da muss ja irgendein Keim gewesen sein, sonst wäre es ja nicht so weit gekommen. Also die Hoffnung stirbt zuletzt. Es hat aber lange gedauert, bis ich das begriffen habe. Das ist ja erst so die letzten 2, 3, 4 Jahre so richtig gekommen.


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Da war alles grau, da war sogar der Baum grau. Das war fürchterlich. Wenn du in so einer Stadt wie Halle warst, da war jeder Baum grau. Das war ganz schlimm. Das sind so meine Erinnerungen, kleines spießiges graues Land und dementsprechend nur noch Dickköpfe um die Gedanken der Menschen.


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Schulzeit hin kristallisierte sich so dieses … also dieses elektronische depressive Gejaule raus. Aber wie gesagt, ich kann dir nicht mehr sagen, wie man das nannte, diese Musikrichtung. Das war ja kein Punk, was war denn das. Das war doch so ein depressives Gehäule. New Wave. New Wave, ja genau. Ja, so könnte man das bezeichnen. Ein depressives Gejaule, kann man so vergleichen. War aber schön, da konnte man sich drinne wälzen. Kennst du The Forest von The Cure. Kennst du, ja? Also das höre ich heute noch gerne, aber eigentlich ist es ja fürchterlich. Und wenn man dann mal in so einer Grundstimmung war, ähm… Das war erst ausschlaggebend. Und als ich in der Lehre war, in der Lehre gab es da so eine militärische Grundausbildung für 2/3 Wochen, das war ja Usus im Osten, einmal im Jahr irgendwo, wenn du dann ein bisschen älter warst, irgendwo in so ein pseudomilitärisches Lager einsperren oder irgendwie so einen pseudomilitärischen Unterricht machen. Und da bin ich irgendwie über so einen Lehrkollegen, mit dem ich auch im Internat war, an Die Ärzte gekommen. Von da an haben wir nur solchen Punkrock, Spaß-Punkrock gehört. Das war lustig, das war richtig schön. Und die haben damals auch noch richtig gute Musik gemacht, Die Ärzte. Was bleibt, also was ist davon übrig geblieben? Also was jetzt speziell von der DDR-Vergangenheit übrig geblieben ist, das weiß ich nicht. Was übrig geblieben ist, ist natürlich auf alle Fälle mein Querulantentum, auch in meinem heutigen Job als Betriebsrat. Und was als Erkenntnis hängen geblieben ist, da haben wir vorhin schon drüber gesprochen, nichts ist von Dauer. Das kann ich dir so sagen. Mich verwundern heute noch Leute, die sagen, alles ist heute so und da muss man sich halt einrichten und so. Also das verwundert mich heute noch. Gerade meine Generation, alle die aus der Zeit kommen, und alle, die aus dem Osten kommen, die müssen doch wissen, dass erstens nichts von Dauer ist und zweitens, dass man alles verändern kann. Und das alles erst mal anfängt mit kleinen, mit ganz kleinen Schrittchen. Und wenn das alles so zusammenkommt, dann kann man was bewegen. Also die Erkenntnis ist geblieben. Und was ist noch geblieben? Denke ich unser ziemlich, also was das angeht, starker Charakter, auf Veränderungen einzugehen und mit neuen Situationen umzugehen. Wie würdest du dieses Ganze, was du jetzt alles erzählt hast, dieses ganze Lebensgefühl, das da geherrscht hat, kann man das noch mal so zusammenfassen, dass man sagt, okay, das hat sich so und so angefühlt. Das war ja jetzt sehr differenziert. Auf der einen Seite hast du gesagt, es war relativ scheiße und frustrierend, auf der anderen Seite gab es auch immer wieder gute Momente. Kann man da irgendwie eine Zusammenfassung ziehen? Also ich habe erst jetzt mit über 40 angefangen, meine Jugend, ich habe jetzt auch angefangen, alles ein bisschen aufzuarbeiten und den zu treffen, und den zu treffen, und den zu treffen aus der damaligen Zeit. Die ganzen letzten 15 Jahre habe ich versucht, das zu verdrängen, meine Jugend, weil ich überhaupt keine gute Erinnerung daran hatte. Ich stelle erst jetzt die letzten zwei Jahre zunehmend und vermehrt fest, da gab es doch lichte Momente und es war ja doch nicht alles so schlecht. Die letzten 15 Jahre hatte ich ein dunkles, ein sehr dunkles Gefühl, wenn ich an die Zeit zurück gedacht habe, und habe es am liebsten verdrängt. Ich habe die Zeit als sehr bedrückend empfunden. Die Ohnmacht eines jungen Menschen oder vieler junger Menschen in so einem totalitären System. Totalitär, das hört sich so staatstragend an, im Prinzip war es ja ein System der Spießer. Wenn dieses Spießertum, wenn das dann so anfängt wie so eine Krake Macht über dich, deinen Körper und deine Gedanken zu ergreifen, das fand ich schon sehr sehr frustrierend und bedrückend. Und klein, ganz klein – das habe ich dir so oft gesagt, ich habe das als ganz klein empfunden. Ich kam mir vor, wie in einem kleinen Bundesland, in Thüringen. Und heute, wenn du es heute mit Thüringen vergleichst, du reist von Landesgrenze zu Landesgrenze – so habe ich das empfunden. Fürchterlich, und alles gleich gemacht, alles grau. Im Übrigen leide ich heute noch im Winter so unter diesen Winterdepressionen. Ich habe jetzt gestern oder vorgestern, bei uns ist der ganze Schnee weggetaut, und trotzdem ist alles grau. Jetzt ist aber dieses Westdeutschland oder das Deutschland heut, das ist ja schon recht farbenfroh und bunt. Wenn du mal genau drauf achtest, die Autos sind bunt und die Häuser haben mal die Farbe und mal die Farbe. Und meistens sind sie ja sowieso, das sieht ja nicht alles so grau aus wie damals, und trotzdem bedrückt mich diese Jahreszeit, weil sie immer wieder so, weil die leuchtenden Farben fehlen und weil alles so grau ist, so einen leichten Grauton hat. Und damals war ja alles grau, aber richtig grau. Ich weiß gar nicht, hast du noch Erinnerung daran? Ja schon, das habe ich noch im Kopf, ja. Da war alles grau, da war sogar der Baum grau. Das war fürchterlich. Wenn du in so einer Stadt wie Halle warst, da war jeder Baum grau. Das war ganz schlimm. Das sind so meine Erinnerungen, kleines spießiges graues Land und dementsprechend nur noch Dickköpfe um die Gedanken der Menschen. Aber dass es nicht so war, dass ich da einer Selbsttäuschung unterliege, zeigt ja die Tatsache, dass es anders gekommen ist. Also es kann ja nicht so, da muss ja was gewesen sein. Da muss ja irgendein Keim gewesen sein, sonst wäre es ja nicht so weit gekommen. Also die Hoffnung stirbt zuletzt. Es hat aber lange gedauert, bis ich das begriffen habe. Das ist ja erst so die letzten 2, 3, 4 Jahre so richtig gekommen.


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Keine Chance für Punks und Popper Warum BRD-Medien die Auseinandersetzungen dieser Jugendgruppen zum „Klassenkampf“ hochstilisieren wollen

Punks überfallen Popper und schlagen sie zusammen, Popper stürmen Punk- Lokale und demolieren sie. „Zwei Jugendbewegungen üben den Klassenkampf“, so kolportieren es die BRD-Medien, und das hört sich sehr gewaltig an. Jugendbewegungen? Klassenkampf? Die Punk-Welle entstand Ende der 60er Jahre in englischen Slums. Jugendliche Arbeitslose, die sich im ihre Zukunft betrogen sahen, wollten aufbegehren. Ihr Mittel: Auffallen, scharfes Abgrenzen von dem auf „heile Welt“ getrimmten bürgerlichen Spießerleben. Sie stachen sich Sicherheitsnadeln durch die Wangen, trugen zerschlissene schmutzige Kleidung und Hundeketten als Schmuck, verunstalteten ihre Frisuren. Sie verschrieben sich dem Chaos, ihre Losung war Schockieren im jeden Preis. Gemäß dem Begriff „Punk“, was soviel wie Abfall, Mist, Müll bedeutet. Heute kann man in der BRD vielerorts die Epigonen jeder betrogenen und

Junge Welt No. 284 02.12.1980


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irregeleiteten jugendlichen Anbeter des Geschmacklosen treffen. „Ich habe keine Lehrstelle bekommen, da wird man eben so.“ antwortete einer von ihnen in einer Rundfunksendung auf die Frage, wie man Punk wird. Und ein anderer: „Ich war 18 Monate im Knast, ein paar Jahre im Heim, dann stand ich auf der Straße, von allen verstoßen, bis ich Leute fand, die genauso waren wie ich.“ Die BRD-Punks von heute verstehen sich selbst als eine Gruppierung „die sich gegen das Stinknormale auflehnt, gegen Bullen, gegen Spießbürger, gegen Popper.“ Ein Popper ist in den Augen eines Punks ein rotes Tuch wie der Punk für den Popper ein „Wegwerfmensch“. Popper setzen sich fast ausschließlich aus Oberschülern zusammen, und sie interessieren sich für nichts außer sich selbst. Ihre Devise: „Hauptsache, ich bin schön, was kümmert mich, was sonst noch läuft.“ Popper sind superelegant gekleidet. V-Pullover, Schal, College-Slipper oder Cowboy-Stiefel, Hosen oben weit und unten eng, alles in teuersten Boutiquen gekauft, sind Pflicht. Die Haare, vorn lang, hinten kurz, werden täglich gewaschen und gefönt, sonst ist man „prolo“. Überhaupt ist alles „prolo“, was nicht popper ist. Zum Beispiel Proble- me jedweder Art. Ein Popper hat keine Sorgen, keine Probleme, er gehört zur Elite. Er ist nicht gegen irgend etwas und nicht für irgend etwas, und er ist unpolitisch. Was er braucht, um von seinesgleichen anerkannt zu sein, ist Geld, mithin gutverdienende Eltern. Und Interesse für die Popper-Partys, bei denen bei maßvollem Champagnergenuß und seichter Diskomusik in gepflegter Sprache über Belanglosigkeiten geschwatzt wird. Oben erwähnte Rundfunksendung charakterisiert die Popper so: „Nach dem Abitur möchten sie am liebsten in Pension gehen, mit den Zuwendungen eines Generaldirektors, versteht sich.“


Klassenkampf

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Sicher wollten das viele wirklich, denn die Zukunft der Gymnasiasten sieht in der BRD auch nicht allzu rosig aus. Nur die wenigsten erhalten einen Studienplatz, au- ßerdem gibst es schon jetzt 35.000 arbeitslose Akademiker. Durchschnittlich 60 Hochschulabsolventen bewerben sich um einen einzigen Arbeitsplatz in einem Großunternehmen.

Doch so grundverschieden, wie es scheint, sind Popper und Punks nicht. Verschie- den ist nur die Art und Weise ihrer Absage an ein sinnvolles Leben. Der BRD-Sozialwissenschaftler Hendrik Bussiek schreibt: „Den meisten Jugendlichen bleiben nur zwei Arten, auf die zunehmend zukunftslose empfundene Welt zu reagieren: Entweder sie beugen sich dem äußeren Anpassungsdruck – nach außen hin –, spiegeln das Akzeptieren der überkommenden Werte vor, gehen also eine Art Kompromiß auf Zeit ein, oder sie sind nicht imstande, eine gewisse Minimalan- passung zu erreichen, denn verfallen sie in die totale Abwehr – in die Resignation oder Aggression.“ Weil die Methoden des „Aussteigens“ aus der Realität – die Punks schockieren die ihnren feindlich gesinnte Umwelt, die Popper versuchen sie zu ignorieren – sich gegenseitig ausschließen, geraten sich die beiden Gruppierungen in die Haare. Und natürlich ist das Klassenkampf – Klassenkampf von oben gegen Punks und Popper, gegen die Jugend schlechthin. Die bürgerlichen Medien reiben sich die Hände, Punk-PopperGeschichten werden immer gern gelesen, die Behörden geben sich ratlos, wie dem Problem der Jugendlichen beizukommen wäre. Tatsächlich


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jedoch sind die Verantwortlichen sehr zufrieden mit der Existenz dieser „Jugendbewegungen“. Eben weil Popper und Punks keine Bewegungen sind. Sie haben sich beide dem Stillstand verschrieben, rebellieren gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse mit untauglichen Mitteln oder halten ganz still. Prädikat: ungefährlich fürs System. Die Modewellen zukunftsgestörter Jugendlicher haben in den westlichen Ländern seit Jahr und Tag einander abgelöst. Als Extreme stehen sich die brutalen Rocker- banden und die reine Liebe predigenden Blumenkinder gegenüber. Und so wird in der zitierten Rundfunksendung das beruhigende Fazit gezogen: Nach Punks und Poppern wird die Zeit kommen, wo statt geschlagen wieder gestreichelt wird. Welch hoffnungsvoller Trost. Und wann kommt die Zeit, in der es für die Jugend wieder Arbeit und eine sinnvolle Perspektive gibt?

Junge Welt Gegründet: 1947 Seit dem 1. März 1952 führte sie den Untertitel Organ des Zentralrats der FDJ. Die Auflage überschritt 1977 die Millionengrenze und lag Anfang 1990 bei 1,6 Mio. Exemplaren, damit war sie zuletzt die auflagenstärkste Tageszeitung der DDR, noch vor dem SED-Zentralorgan Neues Deutschland.


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Es ist einfach zu dieser Zeit eine Art gewesen, sein Gefühl des nicht Reinpassens auszudrücken. Und das fing damit an, dass man sich dann einfach eine Sicherheitsnadel durchs Ohr gepiekt hat oder eine Klo-Kette umgehängt hat. Das war erst mal gar nicht so in Kategorien, sondern man hat einfach eine Möglichkeit gehabt zu kommunizieren – „Ich gehöre nicht dazu!“

Wie war Dein Leben damals und wie hat es sich angefühlt? Ja, wie hat sich das damals angefühlt. Es hat sich pubertär angefühlt, bezwängend, ratlos, kontrolliert. Und dazu hat dann auch diese Zeile aus dem Sex Pistols-Song gepasst „Don’ t know what I want, but I know how to get it“. Und wie bist Du dann zu Punks gekommen? Von dort aus? Das muss mit 16/17 gewesen sein in der Schule, in der ostdeutschen Provinz. In einer Schule, wo Kurzhaarschnitt Pflicht war, wo Wehrsport im Sportunterricht gemacht wurde, Handgranatenweitwurf, Eskaladierwand, stillgestanden. Da bin ich irgendwie über Kassettenkopien an die Musik gekommen. Und aus dem Radio mitgeschnittene Sachen? Ja, das waren aus dem Radio mitgeschnittene Sachen. Platten gab es da keine. Okay, wann gab es da einen Zeitpunkt, wo Du gesagt hast, oder wo Du jetzt im Nachhinein sagen kannst, okay, ab dann und dann, das war dann Punk. Also da war ich Punk oder da hätte ich mich im Nachhinein selber so bezeichnet. Gab es diesen Zeitpunkt? Den gab es so nicht, weil ich nie Punk gewesen bin. Es ist einfach zu dieser Zeit eine Art gewesen, sein Gefühl des nicht Reinpassens auszudrücken. Und das fing damit an, dass man sich dann einfach eine Sicherheitsnadel durchs Ohr gepiekt hat oder eine Klo-Kette umgehängt hat. Das war erst mal gar nicht so in Kategorien, sondern man hat einfach eine Möglichkeit gehabt zu kommunizieren – „Ich gehöre nicht dazu!“ Dass es sich dann zu so einer fast Sekte entwickelt hat, ich sage mal Punk, das war erst viel später. Und dass es so dogmatisch geworden ist und dass sich dann auch andere Gruppierungen aus diesem ganzen Gefühl heraus entwickelt haben, z. B. Skins oder auch Rocker, das hat sich dann aufgesplittet. Aber am Anfang war es erst mal so ein Sammelbecken für Leute, die aus der Reihe getanzt sind. Und was hat Dich an diesem Sammelbecken am meisten fasziniert? Was hat Dich da getragen? Gut fand ich erst mal, dass da so ein Zusammenhaltgefühl war, dass das Ich als Freak akzeptiert worden ist. Was ich auch an dieser Idee gut fand, das war die Idee der Selbstermächtigung. Also man kann selber was machen, man kann jetzt einfach Musik machen. Das war so Dilettantismus, der ist da positiv gesehen worden. Man kann seine Klamotten selber nähen, man macht alles selber. Man pfeift einfach auf den Rest.


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Schön, sehr schön. Wie hat Dein Umfeld darauf reagiert? Na das Umfeld hat mit Ablehnung reagiert. Aber es hat irgendwie auch in das Gefühl der Zeit gepasst, da war ja so eine Stimmung von Paranoia. Man hat sich rausgenommen und ist dadurch zum Feindbild geworden für andere Leute und man hatte auch selbst ein Feindbild – die Spießer. Meinst Du, da gab es bei diesem Feindbild die Spießer, gab es da noch etwas, was besonders DDR-spezifisch war? Denn das Feindbild des Spießers würde man ja jetzt genauso bei Jugendlichen im selben Alter, in derselben Zeit in Hamburg antreffen? Meinst Du, da gab es noch Sachen, die so nur in der DDR funktioniert haben, oder die sich in der DDR ganz anders angefühlt haben? Ich vermute, dass man die Frage so nicht stellen kann. Man kann das bestimmt nicht vergleichen, aber man hat in der DDR unter diesem Zwang, unter diesem Druck gelebt und hat sich aus diesem Gefühl heraus geäußert. Es gab ja gar keinen Vergleich. Plötzlich hat man sich eingezwängt gefühlt. Das haben bestimmt andere Menschen auch. Du hast vorhin beschrieben, dass es da so ein Gruppengefühl gab, was eher eingrenzend als ausgrenzend war und Du das als Sammelbecken empfunden hast. Hat sich das über die Zeit dann später geändert? Ist das immer so geblieben? Gab es weiter so einen starken Zusammenhalt? Also so wie ich das erlebt habe, war das am Anfang relativ undogmatisch, da hat man sich so durch einige Zeichen definiert – gefärbte Haare, aber das musste auch nicht sein, Militärjacke. Aber das war alles nicht so wichtig. Später ist es dann alles komplexer geworden. Dann gab es viel Punks, dann gab es plötzlich Fun-Punks, dann gab es Hardcore-Punks. Dann sind viele Leute auch z. B. zu den Skinheads dann gegangen, oder sind Rocker geworden. Das habe ich nur am Anfang so empfunden, dass es sehr eingrenzend gewesen ist. Hast Du jemals das Gefühl gehabt, dass es in der Zeit an irgendeinem Punkt eine Radikalisierung gab? Also ich weiß nicht. Also für mich hat sich das Lebensgefühl radikalisiert, nachdem ich meinen Zwangswehrdienst in der Nationalen Volksarmee abgeleistet habe. Danach habe ich das Leben als Radikaler empfunden, als Gewalttätiger. Ich fing ja an, Kampfsport zu machen und auch wieder Klamotten zu tragen. Ob sich die Leute an sich radikalisiert haben, das kann schon sein. Leute, die radikaler drauf waren, die sind dann oft wirklich zu den Skins gegangen. Okay, ein paar waren auch Antifa dann. Leute, die eher so kreativ drauf waren, sind dann eher in den kreativ…? in Prenzlauer Berg gegangen. Die haben sich bestimmt auch nicht mehr als Punks definiert. Was irgendwie dann nur noch die wenigsten haben, eben die sogenannten Hardcore-Punks. Dann gab es auch Leute, die mit so RAF-Ideen geliebäugelt haben. Ich vermute auch, aus einfach so einem Gewaltfetischismus heraus. Aber ich denke auch, dass es diese Radikalität und Gewalttätigkeit auch in der Zeit gewesen ist, aber auch sich durch diesen ganzen Druck und Depressionen in der DDR auch noch verstärkt hat. Ja, ich habe das schon als ziemlich gewalttätig empfunden auch. Also es gab viel Schlägereien, körperliche Auseinandersetzungen. Überhaupt, nicht nur jetzt in irgendwelchen Jugendkulturen, sondern überhaupt. Man hat es oft erlebt, dass es Schlägereien gab und körperliche Auseinandersetzungen. Ja, das hatten wir auch schon mal im ersten Gespräch, diesen Moment, wo ich Dir auch gesagt habe, dass es trotz dessen ich so jung war, dass das mein Eindruck von den späten DDR-Jahren war, dass da viele Leute mit so einem Gewaltfetisch unterwegs waren, dass irgendwie komischerweise dieser Druck auf die Menschen an manchen Stellen mit so einem spielerischen Sadismus rausgekommen ist. Ja. Und wenn man machtlos ist, dann arbeitet man natürlich am einzigen, was einem zugänglich ist, dann der Körper, ja. Aber das war ja auch z. B. die Zeit, wo Schwarzenegger halt ein Held gewesen ist. Das war ja auch die Zeit, wo der Mensch die Idee des Roboters versucht hat, sich einzuverleiben - Schulterpolster und geometrische Haarschnitte. Das war auch schon so eine Zeit. Habe ich so empfunden. Ja. So ein Moment der Entmenschlichung. Ja. Wobei ich sagen würde, der Roboter der 80iger Jahre, der war äußerlich. Man hat sich so verkleidet, oder man hat Lacklederklamotten getragen, man hatte irgendwelche geometrischen Haarschnitte und so was. Aber das waren noch Sachen, die man angelegt hat. Aber der Roboter der 90iger, der ist dann unter die Haut gegangen, als die Leute dann anfingen, unter der Haut auch zu modifizieren. Da ist der Roboter verinnerlicht worden. Und in den 80igern ist er vielleicht, ich möchte nicht sagen erfunden, aber eingeführt worden. Ja. Ich würde Dich gerne noch ein bisschen zu der Rolle der Kirche und der Punkbewegung in der DDR ausfragen. Und zwar habe ich jetzt gelesen oder habe während der Recherche viel gelesen, dass die Kirche in ihren Räumen Punk-Konzerte zugelassen hat, dass sie dort veranstaltet werden durften. Wie würdest Du die Rolle der Kirche in der


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DDR-Punkbewegung sehen? Also vielleicht erst mal, was sind Deine persönlichen Eindrücke davon? Wie hast Du das empfunden? Und dann aber auch, was für ein Ausmaß hatte das für alle? Also richtig ist, dass die Kirche Räume halt zur Verfügung gestellt hat für Konzerte und dass viele Konzerte in Kirchenräumen stattgefunden haben. Fast die einzige Möglichkeit, außer in Privaträumen gewesen ist, Konzerte zu machen. Man kann auch sagen, dass die Kirche auch teilweise so Jugendarbeit gemacht hat, indem sie die Plätze auch bereitgestellt hat, wo Leute sich treffen konnten. Weil sonst, das muss man auch wissen, gab es eigentlich wenig Möglichkeiten, sich an öffentlichen Plätzen aufzuhalten. Also man hat sich auf dem Alexanderplatz getroffen, aber ist dann ständig von der Polizei auch verstreut worden. Und Diskotheken oder Cafés haben regelmäßig sogenannte Punk-Verbote ausgesprochen, wo man nicht reingekommen oder auch nicht bedient wurde eben. Gleichzeitig hat es natürlich einen gewissen Beigeschmack, weil für mich persönlich fühlte es sich schon irgendwie institutionalisiert auch ein bisschen an. Also ich bin da nicht gerne gewesen, weil ich mich nicht institutionalisieren, instrumentalisieren lassen wollte – vielleicht. Okay. Ja, kann ich mir gut vorstellen. Das ist auch so ein Thema, über das ich die ganze Zeit jetzt immer nachgedacht habe, während ich das Thema bearbeitet habe, welche Rolle die Kirche da in diesem Zusammenhang gespielt hat. Ja, das hört ja bei Punks nicht auf. Es gab ja immer wieder den Mythos, dass die Kirche viel auch für die Gegenbewegung zur DDR, sozusagen für den Untergrund getan hat, indem sie eben Räume zur Verfügung gestellt hat, Technik zur Verfügung gestellt hat und solche Geschichten. Ja. Und man fragt sich natürlich, was Leute, DDR-Kirchenleute oder überhaupt Kirchenleute mit Punks zu tun haben, also wo da die Berührungspunkte sein mögen. Das ist nicht so ganz klar. Wo zwei Philosophien sozusagen konträr zueinander laufen, die sich dann aber doch da finden sollen. Ja, dann fragt man sich, wo die sich finden sollen. Ja gut, das muss jeder selber beantworten. Was würdest Du sagen, wie stehst Du heute zu Punks? Was ist aus der Zeit für Dich übrig geblieben? Also zu Punk kann ich nichts sagen, aber die Zeit ist vorbei. Die 80iger, die sind Geschichte, die sind so weit weg, dass man die sich ansehen kann, dass man die zitieren kann – die sind Geschichte. Empfandest Du die – ist eigentlich eine dumme Frage, weil natürlich war das prägend, aber im Nachhinein betrachtet, ist es für Dich eine gute Zeit oder eine finstere Zeit? Was für ein Gefühl hast Du, wenn Du über die Zeit nachdenkst? Über die 80iger? Über Deine 80iger, ja. Ich grenze mich aus. Meine 80iger waren ziemlich paranoid. Die waren nicht schön.


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Schön, sehr schön. Wie hat Dein Umfeld darauf reagiert? Na das Umfeld hat mit Ablehnung reagiert. Aber es hat irgendwie auch in das Gefühl der Zeit gepasst, da war ja so eine Stimmung von Paranoia. Man hat sich rausgenommen und ist dadurch zum Feindbild geworden für andere Leute und man hatte auch selbst ein Feindbild – die Spießer. Meinst Du, da gab es bei diesem Feindbild die Spießer, gab es da noch etwas, was besonders DDR-spezifisch war? Denn das Feindbild des Spießers würde man ja jetzt genauso bei Jugendlichen im selben Alter, in derselben Zeit in Hamburg antreffen? Meinst Du, da gab es noch Sachen, die so nur in der DDR funktioniert haben, oder die sich in der DDR ganz anders angefühlt haben? Ich vermute, dass man die Frage so nicht stellen kann. Man kann das bestimmt nicht vergleichen, aber man hat in der DDR unter diesem Zwang, unter diesem Druck gelebt und hat sich aus diesem Gefühl heraus geäußert. Es gab ja gar keinen Vergleich. Plötzlich hat man sich eingezwängt gefühlt. Das haben bestimmt andere Menschen auch. Du hast vorhin beschrieben, dass es da so ein Gruppengefühl gab, was eher eingrenzend als ausgrenzend war und Du das als Sammelbecken empfunden hast. Hat sich das über die Zeit dann später geändert? Ist das immer so geblieben? Gab es weiter so einen starken Zusammenhalt? Also so wie ich das erlebt habe, war das am Anfang relativ undogmatisch, da hat man sich so durch einige Zeichen definiert – gefärbte Haare, aber das musste auch nicht sein, Militärjacke. Aber das war alles nicht so wichtig. Später ist es dann alles komplexer geworden. Dann gab es viel Punks, dann gab es plötzlich Fun-Punks, dann gab es Hardcore-Punks. Dann sind viele Leute auch z. B. zu den Skinheads dann gegangen, oder sind Rocker geworden. Das habe ich nur am Anfang so empfunden, dass es sehr eingrenzend gewesen ist. Hast Du jemals das Gefühl gehabt, dass es in der Zeit an irgendeinem Punkt eine Radikalisierung gab? Also ich weiß nicht. Also für mich hat sich das Lebensgefühl radikalisiert, nachdem ich meinen Zwangswehrdienst in der Nationalen Volksarmee abgeleistet habe. Danach habe ich das Leben als Radikaler empfunden, als Gewalttätiger. Ich fing ja an, Kampfsport zu machen und auch wieder Klamotten zu tragen. Ob sich die Leute an sich radikalisiert haben, das kann schon sein. Leute, die radikaler drauf waren, die sind dann oft wirklich zu den Skins gegangen. Okay, ein paar waren auch Antifa dann. Leute, die eher so kreativ drauf waren, sind dann eher in den kreativ…? in Prenzlauer Berg gegangen. Die haben sich bestimmt auch nicht mehr als Punks definiert. Was irgendwie dann nur noch die wenigsten haben, eben die sogenannten Hardcore-Punks. Dann gab es auch Leute, die mit so RAF-Ideen geliebäugelt haben. Ich vermute auch, aus einfach so einem Gewaltfetischismus heraus. Aber ich denke auch, dass es diese Radikalität und Gewalttätigkeit auch in der Zeit gewesen ist, aber auch sich durch diesen ganzen Druck und Depressionen in der DDR auch noch verstärkt hat. Ja, ich habe das schon als ziemlich gewalttätig empfunden auch. Also es gab viel Schlägereien, körperliche Auseinandersetzungen. Überhaupt, nicht nur jetzt in irgendwelchen Jugendkulturen, sondern überhaupt. Man hat es oft erlebt, dass es Schlägereien gab und körperliche Auseinandersetzungen. Ja, das hatten wir auch schon mal im ersten Gespräch, diesen Moment, wo ich Dir auch gesagt habe, dass es trotz dessen ich so jung war, dass das mein Eindruck von den späten DDR-Jahren war, dass da viele Leute mit so einem Gewaltfetisch unterwegs waren, dass irgendwie komischerweise dieser Druck auf die Menschen an manchen Stellen mit so einem spielerischen Sadismus rausgekommen ist. Ja. Und wenn man machtlos ist, dann arbeitet man natürlich am einzigen, was einem zugänglich ist, dann der Körper, ja. Aber das war ja auch z. B. die Zeit, wo Schwarzenegger halt ein Held gewesen ist. Das war ja auch die Zeit, wo der Mensch die Idee des Roboters versucht hat, sich einzuverleiben - Schulterpolster und geometrische Haarschnitte. Das war auch schon so eine Zeit. Habe ich so empfunden. Ja. So ein Moment der Entmenschlichung. Ja. Wobei ich sagen würde, der Roboter der 80iger Jahre, der war äußerlich. Man hat sich so verkleidet, oder man hat Lacklederklamotten getragen, man hatte irgendwelche geometrischen Haarschnitte und so was. Aber das waren noch Sachen, die man angelegt hat. Aber der Roboter der 90iger, der ist dann unter die Haut gegangen, als die Leute dann anfingen, unter der Haut auch zu modifizieren. Da ist der Roboter verinnerlicht worden. Und in den 80igern ist er vielleicht, ich möchte nicht sagen erfunden, aber eingeführt worden.


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Es ist einfach zu dieser Zeit eine Art gewesen, sein Gefühl des nicht Reinpassens auszudrücken. Und das fing damit an, dass man sich dann einfach eine Sicherheitsnadel durchs Ohr gepiekt hat oder eine Klo-Kette umgehängt hat. Das war erst mal gar nicht so in Kategorien, sondern man hat einfach eine Möglichkeit gehabt zu kommunizieren – „Ich gehöre nicht dazu!“


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Punk und die Kirche

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1979 ging das in Erfurt los mit der Offenen Arbeit. Es wurde möglich, etwas Neues zu beginnen. Ein Experiment. Es gab eine Gruppe von Menschen in der DDR, die versuchten, anders zu leben. Sie trugen Jeans und lange Haare. Sie hatten nirgends einen richtigen Platz, bei der FDJ nicht und bei der Kirche auch nicht. Denn die Kirche war eher bürgerlich ausgerichtet.

Wir haben versucht, Formen zu entwickeln, damit solche Leute bei der Kirche mitmachen konnten. Das ist gelungen, seit 1980 gab es wöchentliche Treffen. Es hat sich schnell gezeigt, dass jene, die kamen, etwas mit Kunst, Kultur und Musik zu tun hatten. Wir haben bald kleine Konzerte in Kirchenräumen organisiert. Das war spektakulär, uns besuchten plötzlich zwei-, dreihundert Leute, die alle nicht in das offizielle Jugendbild passten. Ende 1980 kamen auch junge Erwachsene, die anfingen, Punks zu sein, die das gut fanden. Ihre Frisuren und die Kleidung entwickelten sich in diese Richtung. Sie kannten die Offene Arbeit und haben gelegentlich geguckt, was das so ist. Die erste große Sache hat sich im Herbst 1980 entwickelt, mit den „Vorpunks“. Wir haben ihnen die Möglichkeit gegeben, ein Konzert zu machen, das war sensationell. Im Johannes-Lang-Haus fand das erste Konzert statt. Die Creepers waren auch Weimer und Schleim-Keim aus Stotternheim. Die Besucher waren unan- gepasste Intellektuelle, auch noch mit langen Haaren, die eher vom kulturellen Hintergrund des Rock kamen. Das mischte sich noch mit den ersten Punks und normalen Jugendlichen. Vor dem Fest fand ein Kinderfest statt, es war eine Gesamtveranstaltung vom Nachmittag an. Das eigentliche Konzert fand im großen Saal im ersten Stock statt, dort passten dreihundert Leute rein. Vielleicht waren zweihundert da und wir hatten nicht die richtige Vorstellung von Statik, deshalb mussten wir manchmal das wilde Tanzen stoppen. Wir hatten Angst um den Saal. Die freitragende Decke hat geschwungen, sie hat es bis heute ausgehalten. Seit 1980 ist die Offene Arbeit observiert worden. Wir dachten immer, wir werden abgehört, aber inzwischen wissen wir, dass die Staatssicherheit mit Personen präsent war. Sie waren im Nebel versteckt, heute sagt man IM. Damals sagten wir Spitzel. Wir sind eher naiv gewesen. Über 45 IMs haben im Laufe der Jahre unsere Arbeit „betreut“.

Offene Arbeit in Erfurt Wolfgang Musigmann Diakon seit 1979 für die Offene Arbeit und den Evangelischen Kirchenkreis Erfurt tätig


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Für die Staatssicherheit war es eigentlich nicht denkbar, dass es Punks gibt. Weil hier ja alles in Ordnung war in der DDR. Es ist ja angeblich alles für die Jugend gemacht worden. Sie dachten, das ist ein Phänomen der dekadenten, bürgerlichen, kapitalistischen Gesellschaft. Plötzlich waren die Punks da, bei uns in der Offenen Arbeit. Das war ein wichtiger Grund, uns zu beobachten. Natürlich auch die Friedens- und Umweltarbeit. Oder dass Schriftsteller, die nicht im Verband waren, bei uns lesen konnten. Dass Ausstellungen stattfanden von Künstlern, die sonst nicht ausstellen durften. Das frei gesprochen werden konnte. Die Punks wussten nicht wohin in Erfurt. Bei uns wurden sie nicht schräg angemacht, konnten in Ruhe ein Bier trinken. Schnaps gab es nicht, aber Bier, Wein und Cola. Zu einer gewissen Musikkultur gehört auch, dass man einen Schluck dazu trinkt. Die Kirchenoberen deckten das. Superintendent und Propst, die entsprechenden Gremien. Kreiskirchenrat und so weiter. Da gab es ein Grundvertrauen gegenüber meiner Person und allen anderen, welche die Offene Arbeit entwickelt haben. Wir sind in Erfurt mehr unterstützt als gebremst worden. Ein Punkkonzert war für uns religiös, weil es eingebettet war in eine Gesamtveranstaltung. Die hieß Werkstatt, es fand auch immer ein Gottesdienst statt. Das brauchte man nicht anmelden, weil ein gewisser Rahmen drum herum war. Bei dem ersten Konzert lief das so, dass mich die jungen Leute angesprochen haben. Die wollten was machen. Alles weitere lief über Mundpropaganda. Dieter Ehrlich kam ins Lang-Haus und ich habe ein paar kennen gelernt, die schon mehr Punk waren als er. Man kannte das nicht, als 1980 das erste Mal angefangen wurde, Pogo zu tanzen. Ich wusste von Woodstock, aber das war mir neu. Die haben sich an keine gesellschaftlichen Normen gehalten, Kippen wurden auf dem Fußboden ausgemacht. Das war schon blöd, weil andere das immer wegräumen durften. Wir mussten die Kirchenräume ja im schicken Zustand übergeben, dafür hatten die kein Verständis. Zum nächsten Konzert habe ich dann Bands eingeladen, über Personen oder Briefkontakte. Die Bands haben von uns die Fahrtkosten bekommen und Getränke frei. Eintritt haben die Konzerte nie gekostet. Die Dresdner Band Zwitscherma- schine spielte, die waren schon professionell, haben auch eine gute Anlage mitgebracht. Sascha Anderson war dabei, der hatte ein anderes Format, eine Musikaus- bildung und war etwas älter. Anlagen wurden sonst irgendwie zusammengestü- ckelt, jeder hat einen Teil mitgebracht. Das zweite Konzert fand im Erdgeschoss des Lang-Hauses statt. So hatten wir das Problem mit der Decke nicht. Bei dem Punk-Konzert im Sommer 1981 waren zwei alten Damen aus einem Schwerhörigenkreis dabei. Die sagten hinterher, ach war das schön, wir haben endlich mal wieder Musik gehört! Der Propst Heino Falcke war zugegen, der war richtig durchgeschwitzt. Wir hatten die Fenster zugelassen, wegen der Anwohner. Das Konzert fand nachmittags statt, so fünfzehn bis achtzehn Uhr. Danach ist die Punktruppe zu einer privaten Party weitergezogen. Die Werkstatt lief über zwei Tage, mit mehreren Bands, Gemeindefest, politischem Anspruch, Vortrag, Kinderfest, liturgischem Abend. Die Punks waren abends weg.

Dieter Otze Ehrlich Sänger der Band Schleim-Keim. Zwitschermaschine Gegründet: 1979 Cornelia Schleime Ralf Kerbach Matthias Zeidler Art-Punk Band aus Dresden.

Sascha Anderson Schriftsteller und Teil von Zwitschermaschine IM David Menzer, IM Fritz Müller. IM Peters Wurde Anfang der 90er Jahre enttarnt.


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Einblicke

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Mit dem Rest der Gesellschaft, ihren Normen, Moralvorstellungen, Vorschriften und ihrer Blindheit und Ignoranz, hatten wir gebrochen.

Anfang 1981 war unsere Gruppe auf über 100 Leute angewachsen. In jeder Diskothek strömten uns Leute zu. Wir trafen uns täglich und waren immer so 40, 60 oder bis 100 Leute, die natürlich mächtig im Stadtbild auffielen. Wir wurden zu einer Macht und die Schlägereien ließen, auch durch unsere Diplomatie, nach. Wir hatten keinerlei Interesse an Schlägereien, erstens, weil wir uns in Ruhe treffen wollten, und zweitens, weil wir nicht unnütz in das Rampenlicht gerückt werden wollten und bemüht waren, unseren, durch hetzerische Pressemeldungen über Punks, schlechten und ungerechtfertigten Ruf aufzubessern, Sympathisanten zu finden und zu wachsen. Mit dem Rest der Gesellschaft, ihren Normen, Moralvorstellungen, Vorschriften und ihrer Blindheit und Ignoranz, hatten wir gebrochen. Wir waren anders und wollten gegen den Rest der Welt anrennen. In dieser Zeit war Selbstdisziplin oberstes Gebot. Nichts durfte geschehen, was dem Image der Gruppe schadete. Paßte jemand nicht ins Bild, erfuhr er die Treffpunkte nicht. War er aufdringlich, wurde er verwarnt, hörte er nicht, wurden ihm die Sachen weggenommen, damit er nicht wie ein Punk rumlief und dem Ansehen der Gruppe schadete. Dies war er Ursprung des Ruppens. Auch Punks aus dem Westen wurden damals geruppt (von Rupfen) und zwar genau dann, wenn sie wessimäßig nen Affen machten, Modepunks waren oder sich arrogant verhielten. Waren sie in Ordnung, blieben sie unbehelligt und konnten sich frei unter uns bewegen. Die hierbei erbeuteten Badges, Nietengürtel, Armbänder, Ohrringe dienten dann dem Sieger als Trophäe. Im Verlauf des Jahres 1981 bis 1982 entartete das Ruppen und fand in den eigenen Reihen statt. Unbekannte Punks wurden ihrer Sachen beraubt, nur um sich selbst zu bereichern und ohne zu prüfen, ob sie vielleicht in Ordnung waren. Die sektiererischen Strukturen der ersten Generation (bis Anfang 1981) lösten sich auf und existierten nur noch in abgewandelter Form, so daß sich 1981 vieles änderte. Aus einer durch und durch verschworenen Geheimgesellschaft wurde ein loser Verein, in dem jeder kommen und gehen konnte. Aus dem No Fun der ersten Generation wurde das Spaß-Haben der zweiten Generation. Die Punks, auch die Alten, waren der Meinung, daß allein das Bestehen der ständigen Repressalien des Staates dazu berechtigte, Punk zu sein. Wer nicht voll bei der Sache wäre, würde ohnehin schnell das Handtuch werfen. Der Staat würde die Auslese übernehmen, die wir in Anbetracht der Masse der Hinzuströmenden sowieso nicht mehr hinkriegten. Aus der Qualität war eine Quantität geworden, würde sie wieder eine neue Qualität erzeugen? Von nun an konnte man tun und lassen was man wollte, und der am Anfang gerade Weg voller edler Ritterregeln wurde oft krumm, da auch miese Charaktere, die sich in der ersten Generation nicht hätten durchsetzen können, Geltung erlangen konnten. In dieser Zeit spielten nun auch Äußerlichkei- ten wie Haartracht, Boots, Badges, Lederjacken eine wesentlich größere Rolle. Die OstArbeitsschuhe G5 waren nicht mehr gefragt, es mußten für viele schon „Springer“ und etwas später „Doc Martens“ sein, einige wollten den Westpunks in nichts nachstehen. Uns war es immer egal gewesen, wie man rumlief, Hauptsache, war ein Typ, auf den man sich verlassen konnte und der war kreativ.

Klaus Michael Macht aus diesem Staat Gurkensalat: Punk und die Exerzitien der Macht


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Ab Anfang 81 setzte die erste große Verfolgungswelle der Punks durch den Staat eine. Mit unerhörter Brutalität wollte der Staat nicht zulassen, was er nicht verhindern konnte. Festnahmen, Verhaftungen, der Druck der Behörden, Polizei, Betriebe, Schulen und Lehrausbildungsstätten war so stark, daß viele eingeschüchtert absprangen, sich ihren Auflagen gemäß der Gruppe fernhielten oder ihr Äußeres veränderten.

Diese erste Verfolgungswelle der Punks wurde damals von der Kriminalpolizei durchgeführt. Wir nahmen an, daß es sich dabei um eine politische Abteilung der Kriminalpolizei handelte, die K1. Sie fand in den Südbezirken Berlins, in den Revieren Wendenschloßstraße und der VP-Inspektion Johannisthal statt. Hier wurden alle Punks, vornehmlich aus den Südbezirken Berlins, wo es die meisten gab, vorgeladen, verhört, zu ihren politischen Ansichten befragt, zum Thema Anarchismus, zu Aufschriften auf der Kleidung, zum Bekanntenkreis und ähnlichem. Man wurde verwarnt und aufgefordert, sich von der Gruppierung fernzuhalten. Es wurde ein Datum zur endgültigen Zerschlagung der Punk-Szene im April festgelegt. Erste Anwerbungen zum IM wurden hier gemacht. Die ersten Leute wurden mit untergeschobenen Delikten verurteilt. Die Urteile waren übertrieben und unverhältnismäßig hart. Sid, damals ach Erkner genannt, wurde verhaftet und verurteilt, weil er sich gegen drei andere ältere Jugendliche, die ihn wegen seines Aussehens überfielen erfolgreich zur Wehr setzte. Muse, der ausnahmsweise wirklich etwas getan hatte (er hatte im Suff eine Laube aufgebrochen und ein Luftgewehr gestohlen), ging ab und wohl noch einige andere mehr. Auch mir versuchte man damals Einbrüche und eine Serie von Vergewaltigungen unterzuschieben und ich hatte den Kopf voll, herauszufinden und entlastende Zeugen zu benennen für Ereignisse, die teilweise über ein Jahr zurücklagen. Sie verurteilten wissentlich Unschuldige, wie Sid und Major, die sie ins Gefängnis sperrten, mit gnadenloser Härte der Urteile, die ihr ganzes Leben ruinierten: beide bekamen um die fünf Jahre Berlin-Verbot, Meldepflicht, Arbeitsplatzbindung und nur einen provisorischen Personalausweis, der jeden Bullen zu Willkür ermächtigte. Bei Verstoß gegen die Auflagen ging man erneut in den Knast, so daß Sid wegen ein und derselben Sache fünfmal im Gefängnis war.

Major mußte als Berliner Eingeborene in ein kleines, abgeschiedenes sorbisches Dorf ziehen. Dort galt sie als Fremde und noch dazu als Kriminelle. Das Haus, das man ihr zuwies, war eine heruntergekommene Kate. Sanitäre Einrichtungen gab es in der Hütte nicht. Im ganzen Dorf gab es auch sonst nichts, außer einer Kneipe, in der man sich zulöten konnte. Das nächste Dorf war eine halbe Busstunde entfernt, d.h. sie hatte ja ohnehin Auflagen der Meldepflicht und durfte das Dorf nur dann verlassen, wenn sie zur Arbeit mußte. Sie hatte dabei die Zeiten einzuhalten und der Dorf-ABV überwachte dies. Von seiner Gnade war es abhängig, ob sie größere Einkaufsbummel, einen Kinobesuch oder sonstiges machen durfte. Auch ihre Berliner Verwandtschaft oder gar Freunde durften sie nur mit Sondergenehmigung besuchen. Die Perversion, mit der die Polizei und Justiz vorgingen, die unvorstellbar brutalen Übergriffe durch diese, sollten mein Denken und Handeln nachhaltig beeinflussen. Spätestens hier hatte man die Bestätigung für alles subversive Tun und Handeln. Spätestens jetzt durfte man sich Staatsfeind nennen. Ich war Punk aus politischen Überlegungen, Punk war der


Einblicke

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Ausdruck meines Protestes und anarchistischen Denkens. Die Verbissenheit, mit der ich dies jedoch in der Folge durchzog, war Resultat der Ereignisse aus dieser Zeit. War ich bisher zaghafter Zweifler und wissender Andersdenkender, wurde ich spätestens jetzt aus der Ungerechtigkeit heraus ein unversöhnlicher Staatsfeind und orientierte all mein Tun und Handeln daran. Auch Major hatte sich noch vor ihrer Verhaftung die Plakette mit der Aufschrift „Ich bin Staatsfeind“ angesteckt. Der Grund waren tägliche Überfälle der Polizei auf ihre Wohnung. Majors Wohnung war Anlaufpunkt für Punks und einige übernachteten hier, weil sie zu Hause wegen ihres Aussehens rausgeflogen waren. Auch ich zählte dazu. Angesichts der täglich aufkreuzenden Polizei hatten wir schon bestimmte Verhaltensregeln gelernt. Man konnte sich gegen das Eindringen der Polizei nicht wehren oder ihnen den Zutritt verweigern, denn sie beschafften ihn sich mit Gewalt. Wenn man sie nicht reinlassen wollte, wurde man an der Wohnungstür zusammengeschlagen. Die Polizei stürmte herein, man sperrte alle ins Zimmer, pickte sich einen raus, brachte ihn in die Küche, wo er von mehreren Bullen zusammengeschlagen wurde. Er wurde abtransportiert. Sie griffen sich den nächsten, zerrten ihn in die Küche. Am Ende hatte man auf diese Art alle Anwesenden, einschließlich der Mädchen, zusammengeschlagen und abtransportiert. Sie wurden während der gesamten Fahrt zum Polizeirevier auf den Rücksitzen des Riesenaufgebotes an Bullenschleudern geschlagen und noch die halbe Nacht auf dem Polizeirevier immer wieder bedroht und geschlagen. Ich kam an diesem Tag spät nach Haus und fand die Wohnung in einem katastrophalen Zustand vor. Die ganze Küche, Schränke, Gardinen, Herd, Wände, ja sogar die Decke waren mit Blut bespritzt. Auf dem Küchenfußboden befanden sich Blutlachen und vieles war Bruch. Major hatten sie nicht mitgenommen, aber sie war unfähig irgend etwas zu tun, so daß ich die Küche säuberte. Die zusammengeschlagenen Jugendlichen waren im Alter von 15 bis 18 Jahren. Anzeige gegen die Polizei zu stellen, wäre Selbstverhöhnung gewesen. Einige Eltern versuchten dies wohl auch, aber es wurde unter den Tisch gekehrt und es wurde mit Gefängnis gedroht. Einige habe ich zwei Tage später mit Veilchen und Prellungen gesehen, einige waren krankgeschrieben und konnten aufgrund der Schwellungen nicht zum Treffpunkt kommen. Kurz darauf kam Sid ins Gefängnis, wenig später Major und Muse. Gerüchte über die Mitarbeit bei der K und Stasi wurden in die Welt gesetzt. Keiner der Verurteilten bekam Freiheitsstrafen unter einem Jahr, und alle bekamen Bewährungsstrafen im Anschluß, die Auflagen gemäß §48 verbunden waren. [...] Im gesamten Stadtgebiet von Berlin gab es ein sogenanntes Gaststättenverbot für Leute, die wie Punks aussahen. Dazu kam ein Rundschreiben heraus, das auf die öffentlichen Einrichtungen verteilt wurde. Die Gaststättenbesitzer hatten Angst, ihre Lizenzen zu verlieren. Noch 1987 wurde die Gaststätte „Franken“ in Berlin-Mitte geschlossen und die Gewerbegenehmigung entzogen, da sich in dieser freundlichen Wirtschaft subversive Langhaarige und Punks trafen, obwohl sich die Verbote derweil gelockert hatten. In dieser Zeit habe ich aber auch erlebt, daß Gastwirte uns in die Hinterzimmer baten, die eigentlich für geschlossene Gesellschaften bereit standen und von den anderen Gästen nicht eingesehen werden konnten. Die paar Mark für Bier, die sie an solch kleinen Gruppen verdienten, dürften das Risiko nicht aufgewogen haben.
[...] Ab 1981 wurden nun immer wieder Ultimaten herausgegeben, an denen die Punkbewegung, so wurde sie fortan von den staatlichen Stellen genannt, von der Bildfläche verschwunden sein sollte. Staatliche Stellen bezeichneten dies auch als Zerschlagung der Punkbewegung oder die Lösung des Punkproblems! Man wurde das Gefühl der Verwandtschaft des Wortes zur Endlösung der Jugendfrage nicht los. Viele Punks trugen deshalb 1981 dicke fette Judensterne. In der gesamten Gesellschaft geächtet, verfolgt, verhaftet, vorgeführt und endgelöst, fühlten sich die Punks als die Juden von heute.

Klaus Michael Macht aus diesem Staat Gurkensalat: Punk und die Exerzitien der Macht


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Ausdruck meines Protestes und anarchistischen Denkens. Die Verbissenheit, mit der ich dies jedoch in der Folge durchzog, war Resultat der Ereignisse aus dieser Zeit. War ich bisher zaghafter Zweifler und wissender Andersdenkender, wurde ich spätestens jetzt aus der Ungerechtigkeit heraus ein unversöhnlicher Staatsfeind und orientierte all mein Tun und Handeln daran. Auch Major hatte sich noch vor ihrer Verhaftung die Plakette mit der Aufschrift „Ich bin Staatsfeind“ angesteckt. Der Grund waren tägliche Überfälle der Polizei auf ihre Wohnung. Majors Wohnung war Anlaufpunkt für Punks und einige übernachteten hier, weil sie zu Hause wegen ihres Aussehens rausgeflogen waren. Auch ich zählte dazu. Angesichts der täglich aufkreuzenden Polizei hatten wir schon bestimmte Verhaltensregeln gelernt. Man konnte sich gegen das Eindringen der Polizei nicht wehren oder ihnen den Zutritt verweigern, denn sie beschafften ihn sich mit Gewalt. Wenn man sie nicht reinlassen wollte, wurde man an der Wohnungstür zusammengeschlagen. Die Polizei stürmte herein, man sperrte alle ins Zimmer, pickte sich einen raus, brachte ihn in die Küche, wo er von mehreren Bullen zusammengeschlagen wurde. Er wurde abtransportiert. Sie griffen sich den nächsten, zerrten ihn in die Küche. Am Ende hatte man auf diese Art alle Anwesenden, einschließlich der Mädchen, zusammengeschlagen und abtransportiert. Sie wurden während der gesamten Fahrt zum Polizeirevier auf den Rücksitzen des Riesenaufgebotes an Bullenschleudern geschlagen und noch die halbe Nacht auf dem Polizeirevier immer wieder bedroht und geschlagen. Ich kam an diesem Tag spät nach Haus und fand die Wohnung in einem katastrophalen Zustand vor. Die ganze Küche, Schränke, Gardinen, Herd, Wände, ja sogar die Decke waren mit Blut bespritzt. Auf dem Küchenfußboden befanden sich Blutlachen und vieles war Bruch. Major hatten sie nicht mitgenommen, aber sie war unfähig irgend etwas zu tun, so daß ich die Küche säuberte. Die zusammengeschlagenen Jugendlichen waren im Alter von 15 bis 18 Jahren. Anzeige gegen die Polizei zu stellen, wäre Selbstverhöhnung gewesen. Einige Eltern versuchten dies wohl auch, aber es wurde unter den Tisch gekehrt und es wurde mit Gefängnis gedroht. Einige habe ich zwei Tage später mit Veilchen und Prellungen gesehen, einige waren krankgeschrieben und konnten aufgrund der Schwellungen nicht zum Treffpunkt kommen. Kurz darauf kam Sid ins Gefängnis, wenig später Major und Muse. Gerüchte über die Mitarbeit bei der K und Stasi wurden in die Welt gesetzt. Keiner der Verurteilten bekam Freiheitsstrafen unter einem Jahr, und alle bekamen Bewährungsstrafen im Anschluß, die Auflagen gemäß §48 verbunden waren. [...] Im gesamten Stadtgebiet von Berlin gab es ein sogenanntes Gaststättenverbot für Leute, die wie Punks aussahen. Dazu kam ein Rundschreiben heraus, das auf die öffentlichen Einrichtungen verteilt wurde. Die Gaststättenbesitzer hatten Angst, ihre Lizenzen zu verlieren. Noch 1987 wurde die Gaststätte „Franken“ in Berlin-Mitte geschlossen und die Gewerbegenehmigung entzogen, da sich in dieser freundlichen Wirtschaft subversive Langhaarige und Punks trafen, obwohl sich die Verbote derweil gelockert hatten. In dieser Zeit habe ich aber auch erlebt, daß Gastwirte uns in die Hinterzimmer baten, die eigentlich für geschlossene Gesellschaften bereit standen und von den anderen Gästen nicht eingesehen werden konnten. Die paar Mark für Bier, die sie an solch kleinen Gruppen verdienten, dürften das Risiko nicht aufgewogen haben.
[...] Ab 1981 wurden nun immer wieder Ultimaten herausgegeben, an denen die Punkbewegung, so wurde sie fortan von den staatlichen Stellen genannt, von der Bildfläche verschwunden sein sollte. Staatliche Stellen bezeichneten dies auch als Zerschlagung der Punkbewegung oder die Lösung des Punkproblems! Man wurde das Gefühl der Verwandtschaft des Wortes zur Endlösung der Jugendfrage nicht los. Viele Punks trugen deshalb 1981 dicke fette Judensterne. In der gesamten Gesellschaft geächtet, verfolgt, verhaftet, vorgeführt und endgelöst, fühlten sich die Punks als die Juden von heute.


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Die Schule ist eine Maschine, die Politik ist eine Maschine und die Karriere auch. Wer sie richtig zu bedienen weiß, wer Irene Böhmes „abgegriffene Münzen“ in die richtigen Schlitze steckt, der bekommt, was er braucht.

Sonne, Sonntagnachmittag, lazy afternoon im Ost-Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg. Vor dem „Wiener Cafe“ sitzt die Kundschaft bei Eiskaffee oder Bier, mittendrin ein Punker mit halb abrasiertem, halb grün gefärbtem Schopf. Das zerrissene T-Shirt des jungen Mannes trägt die Aufschrift „Chaos“. Drei Stunden später, ein paar Straßen weiter. Aus der Freiluftgaststätte „Pratergarten“ überträgt der DDR-Rundfunk live eine Unterhaltungssendung. Biedere Bürger in Schlaghosen und mit Plastiksonnenbrille hocken neben kahlgeschorenen Hundehalsbandträgern beim Bier. Reglos beobachten sie, wie sich eine Kapelle und ihre Go-go-girls mühen, Freude aufkommen zu lassen. Auch ein SchwulenPärchen steht dabei und lauscht der Combo, die den Uralt-Hit „Copacabana“ zum besten gibt. Bürgerwelt und Szenenwelt: Kein anderer Fleck in der SED-Republik ist von diesem Gegensatz so geprägt wie das Viertel rechts und links der Schönhauser Allee. Dort stehen an den Hauswänden nicht mehr nur die Bekenntnisse der Fußball-Fans („BFC Union“) oder der Rock-Gemeinde („AC/DC“). Dort wird es auch politisch. An den Hintereingang des S-Bahnhofs Schönhauser Allee hat einer die West-Berliner Hausbesetzer-Devise gemalt: „Legal, illegal, scheißegal!“ Die A sind eingekreist, natürlich, die Friedensrune der Pazifisten findet sich fast an jeder Straßenecke. Eine Wand der Gethsemane-Kirche ist mit der Verheißung verziert worden: „Jesus lebt - Jesus ist grün!“ Ab und an gehen staatliche Tüncher gegen die Spray-Sprüche zu Werke. Der Namenszug der verbotenen polnischen Gewerkschaft „Solidarnosc“ auf einer Mauer

DER SPIEGEL Wenn du unten bist, tauchst du ab 03.10.1983


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am Helmholtzplatz verschwand schon nach einem Tag unter weißem Anstrich. Und die Kachelwände am U-Bahnhof Luxemburgplatz, die öfter mal Umwelt- und Peace-Parolen zieren, sind durch die häufige Anwendung von Reinigungschemikalien fleckig geworden. Bürger und Szene versuchen sich abzugrenzen, so gut es geht. Als sich am 13. Februar 1982 zum erstenmal in der DDR 5000 Jugendliche vor und in der Dresdener Kreuzkirche zu einem Friedensforum versammeln, finden sich gegenüber dem Gotteshaus ältere Gäste zum Variete im „Cafe Prag“ ein. Während sie bei Torte, Schnaps und Bier Kunstturnern und Jongleuren zusehen, werden unten auf dem Altmarkt Antikriegslieder zur Gitarre gesungen. Das Ost-Berliner Kabarett „Die Distel“, nach Ansicht einer Funktionärstochter „das Amüsierkabinett der Genossen“, zeigt am 9. Mai 1983 ein Sonderprogramm zum Jahrestag der Bücherverbrennung. Es geht familiär zu, in einer Art Talkshow werden Veteranen des sozialistischen Kampfes vorgestellt. Die Kabarettisten begrüßen die SED-Funktionäre im Publikum. Kaum einer unter den Zuschauern, der nicht das Parteiabzeichen trägt. Wer in der Pause mal um den Block geht, dem wird die Feststimmung versaut. Meter weg vom Ort der sozialistischen Familienfeier schleppt ein Jugendlicher sein schweres Kofferradio die Straße rauf und runter. Der Lautstärkeknopf ist bis zum Anschlag aufgedreht, der Song des West-Rockers Udo Lindenberg an SED-Chef Erich Honecker kommt gut zwischen den hohen Hauswänden der Clara-ZetkinStraße: „Du ziehst Dir doch heimlich auch gerne mal die Lederjacke an, / und schließt Dich ein auf‘‘m Klo und hörst West-Radio, / hallo, Erich, kannst‘‘ mich hören ...“ Die Punker, die Aussteiger, die Alternativen in der DDR ziehen sich nicht, wie es ihre Vorgänger, die Hippies und Dissidentenzirkel taten, in eine privatprotestlerische Kleinkultur zurück. Sie machen sich öffentlich breit. Die ersten Ost-Berliner Punker tauchten vor gut zwei Jahren auf. Damals, im Frühjahr 1981, schlichen sich zwei Dutzend Kahlgeschorene noch heimlich zu einer Fete der Evangelischen Studentengemeinde in der Invalidenstraße. Wenn ein Wartburg der Volkspolizei langsam vorbeipatrouillierte, huschten sie hinter die nächste Litfaßsäule oder verzogen sich ins Gebüsch. Eine Band spielte auf dem Fest Punkmusik: Keiner der Veranstalter hatte sie so richtig gekannt, sonst wäre die Gruppe wohl nicht eingeladen worden. Sommer 1983 in einem Hinterhof in der Schliemannstraße, Bezirk Prenzlauer Berg.


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Es ist Betrieb an diesem Samstagabend. In ein paar Stunden soll die Gruppe „Vorbildliche Planerfüllung“ aus Gera aufspielen. Bis dahin musiziert eine unbekannte Fünf-Mann-Band. Als Bühne dient ein Sperrmüll- und Trümmerberg im dritten Hinterhof. Von dem Text, den der Sänger mit der Schweißerbrille herausschreit, sind nur Fetzen zu verstehen: „Schnee fällt aus Benzinkanistern über dieses todlangweilige Land.“ Die anderen vier fallen immer wieder in den Refrain ein: „Das ist die Schuld der Väter! Das ist die Schuld der Väter!“ Bis schließlich einer der Gäste über ein Verstärkerkabel stolpert und der Strom wegbleibt. Auch der DDR-Rundfunk beginnt sich vorsichtig auf neue Töne einzustellen. Regelmäßig stellt der Jugendfunk Amateurgruppen vor, mit Texten wie: „Ich sitz‘‘ vor der Glotze/schütte Schnaps in mich rein“, oder: „Zerrissen wie diese Zeit/geh‘‘ ich auf dem schmalen Grat zwischen ‚‘Bitterkeit‘‘ und ‚‘nie was riskieren‘‘.“ Heute gehören Punker zum Straßenbild, nicht nur in Ost-Berliner Vierteln wie Prenzlauer Berg, sondern auch in Dresden, Halle und anderswo. Bands wie „Keks“ aus Ost-Berlin und „Juckreiz“ aus Thüringen liefern ihnen die Musik. Und wenn es auch bloß Wasserfarbe ist, die sie zum Haarefärben kaufen können - Spaß macht es doch: Jede HO-Kaufhalle und jedes Bekleidungsgeschäft ist ein punkiges Einkaufsparadies. Denn eine Subkultur, die sich unmodern und antimodisch gibt, die den nostalgischen Tick für die Nierentisch-Epoche pflegt, braucht im anderen Deutschland nicht lange nach geeignetem Ambiente zu suchen: Für die Punks ist die Rückreise in die fünfziger Jahre kurz, weil deren Ästhetik in der DDR von heute noch immer allgegenwärtig ist. Die Kleidung der Bürger, die Einrichtung der Wohnzimmer, die schrillen Farben der Trabant-Autos („Trabis“), die sterilen Mitropa-Gaststätten, die Waschpulver-Kartons und Fertigsuppen-Schachteln könnten von westlichen New-Wave-Designern gestylt worden sein: real existierender Punk im sozialistischen Deutschland. Gern greift deshalb die West-Berliner Szene seit Jahren auf die tiefgefrorenen Fifties vor der Haustür zurück: In der Bleibtreustraße bietet Laden an Laden die PlasteKlamotten nach DDR-Machart an, der abgelegenste heißt „Intershop“. Rockgruppen im Westteil der Stadt nennen sich „Interzone“, „White Russia“ oder „Leningrad Sandwich“. Und die Mauer ist längst zur Reklamewand für Rockkonzerte und Plattencover geworden.


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Jenseits der Mauer hat der Spaß schnell ein Ende. Ost-Punks, die sich für das West-Berliner Szeneblatt „Tip“ und das Hamburger Links-Blatt „Konkret“ hatten ablichten lassen, landeten hinter Gittern. Sie haben keine Fürsprecher: So wie in den sechziger Jahren den Langhaarigen, so schlägt heute den Geschorenen der Mißmut des DDR-Normalbürgers entgegen. In einer thüringischen Kleinstadt (30 000 Einwohner) lud ein Mitglied der kirchlichen „Jungen Gemeinde“ die dort bestehende Gruppe von fünf Punks in die elterliche Ausflugsgaststätte ein. Als der Vater, ein selbständiger Wirt, zwei Irokesenköpfe erblickte, verlor er die Fassung - die beiden mußten durstig wieder abziehen. Empörte Bürger werden auch mal handgreiflich. Bei der Volkspolizei findet ein Punker keine Hilfe: Vielleicht ist ja der Beamte, an den er sich wendet, derselbe, der ihn gestern wegen „asozialen Verhaltens“ vom Marktplatz oder aus einer Kneipe vertrieben hat. Vor allem die Transportpolizei tut sich hervor. In Halle, Potsdam, Leipzig und anderswo wurden grell gefärbte Jugendliche mit Punkausrüstung sistiert: Wer verreisen wollte, durfte den Bahnhof nicht betreten, wer ankam, wurde nicht hinausgelassen. Schlechte Karten haben Punker erst recht in der Schule und auf der Lehrstelle: In die Zeugnisse schreiben Lehrer und Meister nicht nur Fachzensuren, sondern auch ausführliche Beurteilungen über die Persönlichkeit. Auch wenn sich einer entschließt, die grüne Haarfarbe rauszuwaschen und das Hundehalsband an den Nagel zu hängen, bleibt das Blatt in seiner Kaderakte ein ganzes staatsbürgerliches Leben lang. Und doch lassen sie sich das bittersüße Gefühl nicht vermiesen, Bürgerschreck zu sein, aufzufallen im Einheitsgrau, den Staat zu verhohnepiepeln. Auf der Suche nach zünftigem Outfit haben die DDR-Punker all die staatlichen Abzeichen für gutes Lernen, die Banner für besondere Kollektivleistungen, die kleinen rot-goldenen Embleme zum 30. Jahrestag der DDR-Gründung und die Medaillen zum Tag der deutsch-sowjetischen Freundschaft entdeckt. Zwischen den Buttons von WestFreunden mit Anarcho-Parolen, dem Bekenntnis zur Rockgruppe „Sex Pistols“ oder der Aufforderung „Piss off“ findet sich auf den Jacken vieler DDR-Punker das gesammelte Blech der sozialistischen Leistungsgesellschaft. Wer so den Staat und seine „Freie Deutsche Jugend“ (FDJ) verhöhnt, landet schnell auf dem Revier. Verhör auf der Polizeiwache in Magdeburg: „Was unterstehen Sie sich, solche Abzeichen zu tragen?“ „Die hab‘‘ ich mal bei der FDJ gekriegt.“ „So verkommen, wie Sie herumlaufen, ist das eine Provokation, eine Verunglimpfung des Staates und des Jugendverbandes.“ Solche „Gespräche“ mit Respekts-


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personen sind dem DDR-Jugendlichen vertraut. Wer von der Norm abweicht, gerät in die Mühle. „Gespräche“ kommen etwa auf Jugendliche zu, die einen Platz an der Erweiterten Oberschule, dem Gymnasium der DDR, haben wollen und sich nicht gleich freiwillig für drei Jahre Dienst in der Nationalen Volksarmee (NVA) verpflichten. Gespräche mit Jugendoffizieren, Gespräche mit Lehrern, Gespräche mit der FDJ-Leitung der Schule, Gespräche mit dem Direktor, Gespräche mit allen zusammen. Beide Seiten wissen, daß solche Termine nicht der Wahrheitsfindung dienen, die Gesprächspartner tauschen nur vorgestanzte Argumente aus. Jugendliche Nonkonformisten sehen sich obendrein mit einem neuen Problem konfrontiert. Früher drohte der Staat damit, ihnen die Karriere im Sozialismus zu versauen. Nun müssen viele damit rechnen, daß ihnen der Staat die Zukunft gar nicht mehr sichern kann: In der DDR, bisher von Mangel an Arbeitskräften geplagt, stehen die ersten Arbeitslosen auf den Fluren der Arbeitsämter bei den Stadtbezirksverwaltungen. Ein Ost-Berliner Elektriker, der seit einem halben Jahr auf Stellensuche ist: „Bei uns im Fernsehen bringen sie manchmal so Reportagen aus dem Westen: Arbeitsamt morgens um achte, schlotter, frier, Thermoskanne. Und zum Reporter sagen sie dann: Ja, ich komme jetzt schon seit einem Jahr hierher. Daran mußte ich denken, wie ich neulich morgens um achte beim Arbeitsamt von meinem Stadtbezirk in der Reihe stand.“ Die Arbeitsämter haben neuerdings sogar an zwei statt, wie voriges Jahr, an einem Tag in der Woche auf. Die „Arbeitssuchenden“, so der offizielle Begriff, erhalten acht Mark pro Tag an Unterstützung. Zwar sind nach sozialistischem Arbeitsrecht Massenentlassungen nicht möglich. Doch Werktätige, die etwa wegen Suff am Arbeitsplatz früher Disziplinarstrafen erhielten, werden heute auch schon mal gefeuert. Und wer selber in der Hoffnung kündigt, er werde jederzeit einen neuen, ja besseren Job bekommen, der kann nun sein blaues Wunder erleben. Die Schilder mit der Aufschrift „Wir stellen ein ...“ die früher an fast jedem DDRBetrieb aushingen, sind selten geworden. Kein Wunder: Im Stahlwerk Henningsdorf etwa sind Schmelzöfen erkaltet, weil die Rohstoffe fehlen. Und im Ost-Berliner Kabelwerk Oberspree mangelt es an Kupfer, viele Werktätige fegen seit Monaten nur noch die Hallen. In Henningsdorf wurde ein Einstellungsstopp vorläufig wieder aufgehoben. „Es sollte auf jeden Fall vermieden werden“, so ein Arbeiter, „daß es ein Gerede über Arbeitslosigkeit gibt.“


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Intern redet man offener: Man müsse sich, so der Sekretär der Parteigruppe in der Redaktion einer Fachzeitschrift, wohl oder übel „darauf einstellen, so eine Art Arbeitssuchendenheer zu haben“. Die theoretische Parteipresse aber behandelt das alles als Problem bei der Umsetzung von Arbeitskräften im Zuge der sozialistischen Rationalisierung. So sehen es auch nach wie vor die Wirtschaftsleiter: Sie müssen ja die eigentlich arbeitslosen Werktätigen von Abteilung zu Abteilung oder von Betrieb zu Betrieb verschieben. Dennoch summieren sich die Einzelfälle zur sozialen Größe; Zahlen kursieren: In Schwerin sollen es 2000 Arbeitslose sein, in Ost-Berlin gar 30 000. Solche Schätzungen mögen übertrieben sein. Doch der Druck auf die Arbeitsplätze schlägt durch auf die Ausbildungssituation der Jugendlichen. Polizeiwache in Ost-Berlin: Im Vernehmungszimmer sitzen sich unter dem gerahmten Porträt von Erich Honecker ein Punker und ein Polizist gegenüber. Der Beamte väterlich zu dem Photographen-Lehrling: „Menschenskind, seien Sie doch froh, daß Sie überhaupt noch eine Ausbildung bekommen. Die nächste Generation hat es da viel schwerer als ihr, das können Sie mir glauben.“ Junge Leute sehen ihre Chancen auf eine Bildungskarriere schwinden. „Die sind nicht mehr so wie noch vor ein paar Jahren“, hat eine Frau aus der Ost-Berliner kirchlichen Jugendarbeit beobachtet, „Abitur und so steht nicht mehr an erster Stelle. Sie haben wohl das Gefühl, daß es das alles nicht wert ist. Daß lebenslängliche Anpassung sich gar nicht lohnt.“ Das spüren auch die, die sich schon um einen Studienplatz beworben haben; einer erzählt: „Ich habe ein sehr gutes Abitur und wollte Medizin studieren. Nachdem ich mich auch noch auf drei Jahre für die Armee verpflichtet hatte, dachte ich, jetzt ist alles klar. Wäre es ja früher auch gewesen. Jetzt bekomme ich zu hören, ich sei ja gesellschaftlich nicht besonders aktiv. Mit anderen Worten: Ohne Parteimitgliedschaft läuft das nicht mehr.“ Als Ausweichstudiengänge wurden dem verhinderten Mediziner Marxismus-Leninismus, Betriebswirtschaft oder eine Ingenieurschule angeboten. Wer früher unbedingt studieren wollte, konnte immer noch zu den Pädagogen gehen, wenn sonst gar nichts mehr lief. Auch dieser Notnagel aber ist nun ausverkauft. Eine alte Logik kippt: Je höher die Wurst gehängt wurde, desto eifriger schnappten die Jugendlichen früher danach. Heute winken viele nur noch ab. Sie möchten nicht so werden wie die Älteren, die sie als lebendige Beispiele vor Augen haben - den Bruder, der nun Lehrer ist und sich immer verdrücken muß, wenn West-Besuch kommt; die Freundin aus der kirchlichen Friedensgruppe, die


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Eine alte Logik kippt: Je höher die Wurst gehängt wurde, desto eifriger schnappten die Jugendlichen früher danach. Heute winken viele nur noch ab.


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sich unter Tränen vom Pastor verabschiedet: Sie habe jetzt einen Studienplatz, den wolle sie so gern, und in der Gruppe würde sie auch gern weiterarbeiten, aber es gehe eben nur eins von beidem.

Auch an den Eltern, besonders wenn sie im Sozialismus Erfolg hatten, mögen sich viele nicht mehr orientieren. Unter Punkern und Pazifisten in der DDR finden sich zahlreiche Söhne und Töchter hoher Funktionäre. „Es sind Mumien“, kritisiert ein Diplomatensohn aus Potsdam, der zur Zeit als Fensterputzer arbeitet, seine Eltern. Und ein 19jähriger Punker sieht seine Karriere-Eltern so: „Das Spießbürgerliche hat mich angekotzt. Ich bin gegen das Deutschsein. Der Deutsche ist für mich ein Kleinbürger und ein Spießer von Natur aus. Mich stört dieses ganze Getue, diese Maske, die da ist, die keiner abnimmt.“ Die 22jährige Tochter eines hochgestellten SED-Funktionärs will nur noch raus: nach Paris, nach Rom, der Ausreiseantrag ist gestellt. Weil sie von ihrer Malerei nicht leben kann, jobbt sie drei Tage in der Woche bei einem alten Zahnarzt. Der gestreßte Vater tut ihr leid: „Leute wie er, die tatsächlich praktische Verantwortung haben, also nicht bloß Ideologie ablassen, sind die ärmsten Schweine. Sie kennen die Probleme und können doch nichts ändern. Wenn du ganz unten bist, tauchst du ab, und wenn du Nummer eins oder zwei bist, schwebst du drüber.“ Die junge Frau sagt es ohne Anteilnahme. Die Kaste, in der ihre Eltern leben, die Oberklasse der DDR, ist nicht ihre Welt. Seit Jahren schon bietet ihr das Milieu der privaten Kunstausstellungen und Debattierzirkel ein neues Zuhause, das sie in ihrer Familie nie gefunden hat: „Glaubst du vielleicht, ich weiß mehr als du, was die untereinander reden, was bei denen abläuft? Ich sah meinem Vater immer bloß an, wie entnervt er war, wenn er irgendwann fünf Stunden nach Dienstschluß in seinem Dienst-Volvo nach Hause gefahren wurde. Erzählt wurde nie was, Kommunikation kaputt - auch andersherum.“ Deshalb versuchen die verlorenen Kinder der Machtelite ihre kleinen Fluchten, entdecken Kunst und Philosophie, Kirche und Religion. Sie schlagen sich durch mit Jobs bei Privatbetrieben, bei der Kirche, als Friedhofsgärtner, Müllfahrer oder Putzfrau. Auch diese Jugendlichen verkriechen sich, wie ihre Eltern, in Nischen der sozialistischen Gesellschaft. Doch während die Jungen auf diese Weise ein anderes Leben vorführen wollen, brauchen die Älteren ihre Nischen - das Wochenendhaus, das Familienleben, den Freundeskreis - um von den Strapazen ihrer öffentlichen Rolle auszuspannen.


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Ganz entspannt im Hier und Jetzt der Arbeiter-und-Bauern-Republik lebt sich es auch, wenn man genug trinkt. Da hat die DDR bald Weltniveau erreicht - ähnlich wie bei Ehescheidung, Selbstmorden oder Umweltverschmutzung. Damit es in den Nischen schön gemütlich bleibt, greifen immer mehr Bürger zur Flasche. Die Lage schilderte ein Infostand beim Dresdner Kirchentag im Juni: „In einer Stadt von 30 000 Einwohnern gibt es 600 ärztlich erfaßte Alkoholkranke (DDRDurchschnittszahlen). Umgerechnet auf Dresden bedeutet das demnach 10 000! Die Dunkelziffer ist noch größer.“ Bei einer Befragung männlicher Jugendlicher zwischen 14 und 18 Jahren durch die „Arbeitsgemeinschaft für die Abwehr der Suchtgefahr“ gab nur ein Viertel an, überhaupt keinen Alkohol zu trinken. Knapp die Hälfte tankt den Stoff an jedem Wochenende. Am liebsten trinkt man in der Familie oder im Freundeskreis. Aber in den nach Feierabend entvölkerten Straßen von Rostock, Erfurt oder Halle ist das Problem nicht zu übersehen: Belebt werden die Bürgersteige dann meist nur noch von Angetrunkenen. Die SED hat inzwischen Anti-Suff-Kampagnen gestartet, um den volkswirtschaftlichen Schaden einzudämmen. Die Psychiatrien in den staatlichen Krankenhäusern sind überfüllt. In den Nervenkliniken der Bezirke trifft man sich zur früher im Sozialismus verpönten Gruppentherapie nach westlichem Muster. „Das sind die Kosten für diese ewige Schizophrenie, das ständige Doppelleben“, sagt ein bekannter Filmemacher, um gleich anschließend seine Gäste zu fragen: „Einen nehm‘‘ wir doch noch?“ Wie diese Nischenmentalität funktioniert, hat die frühere Redakteurin des Ost-Berliner Kulturblatts „Sonntag“, Irene Böhme, beschrieben. Mit „vier abgegriffenen Münzen“ vergleicht sie die „sozialistischen Spielregeln“: —d er graue Markt, auf dem privat ein großer Teil der materiellen Versorgung geregelt wird; — der klassengerechte „Stammbaum“, der beim sozialen Aufstieg mitentscheidet; — die von Partei und Volk hochgeschätzte „Bildung“, Vorbedingung für den Karrierestart; — die vorzeigbare „Gesinnung“. Diese Normen waren einmal ein Fortschritt, waren überschaubare Instrumente gegen die Willkür des Stalinismus. Den aber kennen die Kids von heute nicht mehr aus eigener Erfahrung. Sie reiben sich an dem, was danach gewachsen ist, sie verachten „die Maske, die keiner abnimmt“ - Kommunikation kaputt.


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Die Erfahrung, sich in der Öffentlichkeit ewig maskieren zu müssen, ist ihnen allen gemeinsam - dem pazifistischen Schüler und dem rotzigen Punker, dem frommen Jung-Gemeindler und dem alternativen Töpfer, dem Liedermacher und dem subkulturellen Literaten. Die Schule ist eine Maschine, die Politik ist eine Maschine und die Karriere auch. Wer sie richtig zu bedienen weiß, wer Irene Böhmes „abgegriffene Münzen“ in die richtigen Schlitze steckt, der bekommt, was er braucht. Und manchmal einen ordentlichen Zuschlag. Lebenstüchtig ist, wer die realsozialistische Grundregel beherrscht: Sag dem Staat, was er hören will, und greif dir, was du kriegen kannst. Wenn es einen gemeinsamen Nenner gibt für die unterschiedlichen Formen des Protests, für das Rumoren in der DDR-Jugend, dann ist es das Unbehagen an diesem Doppelleben. Die FDJ verbreitet, in der 1982 erschienenen Broschüre „Aus erster Hand. Junge Leute in der DDR“, einen solchen Generationskonflikt gebe es nicht. Die SEDJugendorganisation hat damit sogar, wenn auch unbeabsichtigt, recht: Die Verschiebung der gesellschaftlichen Wertvorstellungen gibt mehr Zündstoff her als für einen nur kurzlebigen Streit zwischen jung und alt. Zwar ziehen die meisten Familien die Notbremse, seitdem die Kinder massenhaft die Termine der Christenjugend frequentieren, rücken verängstigte Mütter und saure Väter den Pfarrern und Gemeindearbeitern auf die Bude. „Seit mein Sohn zu Ihrer Jungen Gemeinde geht, Herr Pfarrer, hat er dauernd Ärger mit seinem Staatsbürgerkundelehrer“, klagt ein Vater. Und eine Mutter kündigt an: „Wenn das nicht aufhört mit Ihren Politabenden, verbiete ich meiner Bettina, weiter da hinzugehen.“ Doch was da rumort, treibt auch manchen Alten um: Das Unbehagen der Jungen steckt an, der Bazillus macht auch vor Schrankwänden nicht halt. Ein Wohnzimmer in Weimar. Die erste Kiste Radeberger Pils ist schon leer, allmählich fallen die Meinungshüllen. Die Gastgeberin hat Sorgen. Ihr Mann, ein geachtetes und gutbezahltes Glied der Gesellschaft, sei verrückt geworden: „Zur Reservistenübung will er nicht einrücken, stellt euch mal vor, was das heißt!“


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Vor zwei Jahren war er noch hingegangen, maulend zwar wie alle, aber doch selbstverständlich wie alle. Nun sitzt er auf dem Sofa und betrachtet milde lächelnd seine hysterische Frau und die erschrockene Freundesrunde. Ja, er denke da an so ein paar amerikanische Filme, da sei das beschrieben, wie ihm zumute sei: „Irgendwann sagt ein Mann ‚‘nein‘‘. Stellt sich gegen alle anderen und geht seinen Weg.“ Sicher, er könnte auch weitermachen wie bisher. Der Einkauf im Exquisit-Shop ist immer drin, er liebt sein Hobby, fährt zweimal pro Jahr „anständig in Urlaub“. Die Frau ergänzt: „Und jetzt haben sie ihm auch noch geflüstert, daß er bei der Reserveübung im Sommer einen ganz bequemen Job haben kann!“ Und nun das, ein Verweigerer in der Familie. Die Gastgeberin blickt sich hilfesuchend um: „Sagt ihr doch was, ist das nicht Wahnsinn?“ Vor einer Stunde hatte sie noch ganz anders geredet, als ein junger Pfarrer in der Runde für Veränderung in kleinen Schritten plädierte. Ein Onkel, so erzählte der Geistliche, habe sich in seinem Betrieb als überzeugter Christ standhaft geweigert, der Partei beizutreten, auch dem Druck des Kaderleiters habe er widerstanden. Die Kollegen hätten das schließlich geschluckt. Wenn bloß einer mal Haltung zeige, so der Pfarrer, dann könne das viel bewegen. Dem Hausherrn hatte die Geschichte gefallen, die Gastgeberin aber hatte dem Theologen vorgehalten: „Woher du bloß deine ewige Geduld nimmst“, nein, das bringe sie nicht fertig, so könne gar nichts vorangehen. Als es dann um ihren eigenen Mann, den Reservedienst-Verweigerer, geht, ist es vorbei mit den starken Worten. Das ist es, was DDR-Jugendliche abstößt von der älteren Generation: das Nebeneinander von griesgrämiger Dauernörgelei im privaten Kreis und tadellosem Wohlverhalten in der Öffentlichkeit. Die Alten haben den Jungen wenig gegeben, worauf sie stolz sein könnten. Die in Westneid und Opportunismus erstickte Selbstachtung wollen sie sich jetzt zurückholen. Die meisten, die sich öffentlich als Bürgerschreck, Umweltschützer oder Pazifisten, als Diener oder als junge Christen bekennen, bezeichnen sich demonstrativ als DDRBürger. West-Voyeure mögen sie nicht besonders, und außer Landes zu gehen empfinden sie meist als Schande - egal ob freiwillig oder gezwungen. Die aus Ost-Berlin, Jena und andernorts Ausgebürgerten, die jetzt in West-Berlin leben, fühlen sich als Exilanten und trauern zwar nicht ihrem Staat, wohl aber ihrem Land nach. Die Ost-Berliner Rockgruppe „Pankow“ antwortete auf die Frage, ob sie mit ihren rotzigen Texten wie „Komm aus dem Arsch“ die Gleichaltrigen zum Aussteigen oder zum Einsteigen bewegen wolle, mit einer Umwertung dieser westlichen Begriffe: „Es gibt bei uns einen Hang vieler Leute, wie du sagst, auszusteigen. Aber nicht in


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dem Sinne, wie es im Westen ist: also nicht arbeiten gehen. Die Leute hier steigen aus, indem sie sich privatisieren, indem sie den Job machen, da sind, ihn erfüllen und dann nach Hause gehen, und dann geht ihre Welt los samt Fernseher und Freizeithobbys. Das hat auch seine Ursachen. Wir finden das unheimlich bedrückend, daß sich zu wenig Leute verantwortlich fühlen, wie sie leben, und Mut haben, gegen das, was sie stört, vorzugehen und einfach aktiver leben.“

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Punkbands in der DDR

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BERLIN

Ahnungslos 1980 – 1981

Alternative 13 1978 – 1980

Aufruhr zur Liebe 1983 – 1986

Background 1987 – 1989

Band ohne Namen 1983

Bandsalat 1980 – 1981

Betonromantik 1983 – 1984

Der Bruch 1988 – 1989

Die Schnitzlers 1985 – 1986

Einfach 1984 – 1985

Einzelhaft 1984 – 1985

Fatale 1986

5 Wochen im Ballon 1982

Grabnoct 1987 – 1988

Kalabatek Exzek 1986 – 1989

Kein Talent 1985 – 1986

Klick & Aus 1983 – 1985

Koks 1980 – 1982

Licht aus 1979

the Leistungsleichen 1981 – 1983

Namenlos 1983 – 1987

Planlos 1980 – 1983

Probealarm 1980

Rauscharm 1983 – 1984

Reasors Exzess ~ 1985 – 1990

Rosa Beton 1979 – 1983

Saalschutz 1980 – 1983

Sabotage 1984 – 1988

Sendeschluß 1980 – 1983

Skunks 1981 – 1983

Tim Reefke hat Vertrauen 1986 – 1988

Tapetenwechsel 1981 – 1983

Unerwünscht 1982 – 1984

Weiterverarbeitung Zerfall 1980 – 1983 1984 – 1987

DRESDEN

Paranioa 1983 – 1985

Zwitschermaschine 1979 – 1983

EISENACH

Die fanatischen Frisöre 1986 – 1989

EISENBERG

Die deutschen Kinder 1983 – 1989

ERFURT

Blutgruppe III 1986

Konstruktives Liebes Kommando 1984

Nachholebedarf 1981 – 1982

Neues Werk 1983 – 1984

Scheißhaufen ~ 1985 – 1987

Schleim-Keim 1981 – 1995

Spinnhaus Frohe Zukunft 1984

FRANKFURT ODER

Antitrott 1983 – 1987

Axyl 1983

Papierkrieg 1987 – 1989

HALLE SAALE

Die Ambulanten Musikaten 1989

Die letzten Recken 1987 – 1990

K.V.D. 1988 – 1997

HERMSDORF

Ulrike am Nagel 1988 – 1989

Ugly Hurons 1989

JENA

Sperma Combo 1986 – 1989


49 | 56

KARL MARX STADT

Anna bumsen 1985 – 1989

Die Gehirne seit 1983

LEIPZIG

Die Zucht 1982 – 1985

Halbgewalkte Hert.Z. Anarchistische Untergrundbewegung 1983 – 1984

LUGAU

Kotzübel 1984 – 1985

POTSDAM

L‘Attentat 1983 – 1988

Pffft… ~ 1984 – 1997

Schwarzer Kanal ~ Wutanfall seit 1988 1981 – 1984A

MAGDEBURG

Anti X ~ seit 1986

Restbestand 1981 – 1983

Vitamin A 1982 – 1985

Reaktion 1985 – 1987

ROSTOCK

Virus X 1980 – 1985

Zwecklos 1983 – 1989

STRAUSBERG

Nachbarn 1980

SUHL

Andreas Auslauf 1984 – 1987

WEIMAR

Brennende Zahnbürsten 1982

Der Rest (KG Rest) 1984 – 1987

Küchenspione ~ seit 1987

Creepers 1979 – 1981

Meldepflicht 1986 – 1987

Madmans ~ seit 1979

SÖMMERDA

Pale Skull 1985 – 1986

Mehrzweckorchester Fröhliche Note 1983 – 1984

Timur & sein Trupp ~ 1986 – 1992


Punkbands in der DDR

50

Punkbands in der DDR

Ahnungslos 1980 – 1981

Alternative 13 1978 – 1980

Aufruhr zur Liebe 1983 – 1986

Background 1987 – 1989

Band ohne Namen 1983

Bandsalat 1980 – 1981

Betonromantik 1983 – 1984

Der Bruch 1988 – 1989

Die Schnitzlers 1985 – 1986

Einfach 1984 – 1985

Einzelhaft 1984 – 1985

Fatale 1986

5 Wochen im Ballon 1982

Grabnoct 1987 – 1988

Kalabatek Exzek 1986 – 1989

Kein Talent 1985 – 1986

Klick & Aus 1983 – 1985

Koks 1980 – 1982

Licht aus 1979

the Leistungsleichen 1981 – 1983

Namenlos 1983 – 1987

Planlos 1980 – 1983

Probealarm 1980

Rauscharm 1983 – 1984

Reasors Exzess ~ 1985 – 1990

Rosa Beton 1979 – 1983

Saalschutz 1980 – 1983

Sabotage 1984 – 1988

Sendeschluß 1980 – 1983

Skunks 1981 – 1983

Tim Reefke hat Vertrauen 1986 – 1988

Tapetenwechsel 1981 – 1983

Unerwünscht 1982 – 1984

Weiterverarbeitung 1980 – 1983

Zerfall 1984 – 1987

DRESDEN

Paranioa 1983 – 1985

Zwitschermaschine 1979 – 1983

EISENACH

Die fanatischen Frisöre 1986 – 1989

EISENBERG

Die deutschen Kinder 1983 – 1989

ERFURT

Blutgruppe III 1986

Konstruktives Liebes Kommando 1984

Nachholebedarf 1981 – 1982

Neues Werk 1983 – 1984

Scheißhaufen ~ 1985 – 1987

Schleim-Keim 1981 – 1995

Spinnhaus Frohe Zukunft 1984

FRANKFURT ODER

Antitrott 1983 – 1987

Axyl 1983

Papierkrieg 1987 – 1989

HALLE SAALE

Die Ambulanten Musikaten 1989

Die letzten Recken 1987 – 1990

K.V.D. 1988 – 1997

HERMSDORF

Ulrike am Nagel 1988 – 1989

Ugly Hurons 1989

JENA

Sperma Combo 1986 – 1989

BERLIN


51 | 56

KARL MARX STADT

Anna bumsen 1985 – 1989

LEIPZIG

Die Zucht 1982 – 1985

LUGAU

Die Gehirne seit 1983

Halbgewalkte Anarchistische Untergrundbewegung 1983 – 1984

Hert.Z.

L‘Attentat 1983 – 1988

Pffft… ~ 1984 – 1997

Schwarzer Kanal ~ seit 1988

Kotzübel 1984 – 1985

MAGDEBURG

Anti X ~ seit 1986

Restbestand 1981 – 1983

Vitamin A 1982 – 1985

POTSDAM

Reaktion 1985 – 1987

ROSTOCK

Virus X 1980 – 1985

STRAUSBERG

Nachbarn 1980

SUHL

Andreas Auslauf 1984 – 1987

WEIMAR

Brennende Zahnbürsten 1982

Der Rest (KG Rest) 1984 – 1987

Küchenspione ~ seit 1987

Creepers 1979 – 1981

Zwecklos 1983 – 1989

Meldepflicht 1986 – 1987

Madmans ~ seit 1979

Wutanfall 1981 – 1984A

SÖMMERDA

Pale Skull 1985 – 1986

Mehrzweckorchester Fröhliche Note 1983 – 1984

Timur & sein Trupp ~ 1986 – 1992


Geschichte des Punks in der DDR

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Geschichte des Punks in der DDR

1977

1979

1982

1977/78 wurde Punk westlicher Prägung in DDRZeitschriften als „Mittel im Arsenal bürgerlicher Ideologien, mit denen die Volksmassen manipuliert werden“ erwähnt. Über das Phänomen Punk in der DDR wurde bis zur Wende 1989 das Blauhemd des Schweigens gebreitet.

1979 tauchte dann in der DDR selbst eine dem sozialistischen Selbstverständnis fremde Spezies auf, die ersten vereinzelten Punks wurden gesichtet. Schwankten die Reaktionen der Bürger zunächst zwischen Schock und Volksbelustigung, so waren sich Bevölkerung und Staatssicherheit in ihrer Reaktion bald einig.

Bis 1982 hatte sich, vorerst in Berlin und Leipzig, eine Szene formiert, die, im Gegensatz zu ihrer Überschaubarkeit, nur schwer zu kontrollieren war und einige Punkbands wie Koks, Skunks, Rosa Extra, Wutanfall, Planlos und Schleim-Keim hervorbrachte. Im selben Jahr hatten sich die zunächst ratlose Kripo und die orientierungslose Staatssicherheit auf die Punks eingeschossen. „Härte gegen Punks“ wurde zur Stasidirektive, von „Zersetzung der Szene“ war die Rede.

Durch eine liberalere Haltung gegenüber den Künstlern und Intellektuellen wollte die SEDFührung die Kluft zwischen Bevölkerung und Führung überbrücken. Dies änderte sich abrupt 1976 durch die Ausbürgerung von Wolf Biermann. Dieser Vorgang löste energische Proteste aus und führte zu einer Unterschriftensammlung bei namhaften Künstlern und Schriftstellern – für die SED ein ungeheuerlicher Akt. Zahlreiche prominente Unterzeichner wurden anschließend unter Druck gesetzt und so zur Ausreise in die Bundesrepublik getrieben, einige auch verhaftet. 1979 eskalierte die Auseinandersetzung und führte zum Ausschluss von zahlreichen berühmten Mitgliedern aus dem Schriftstellerverband.

1973 akkreditierte die DDR zum ersten Mal Korrespondenten von ARD, ZDF sowie von Zeitungen und Zeitschriften aus der Bundesrepublik Deutschland. Sie durften sich innerhalb gewisser Grenzen frei bewegen, wurden dabei aber vom MfS überwacht. Viele Reportagen und Interviews wurden vom MfS inszeniert.

Die ersten Friedenszirkel fanden 1972/1973 in Königswalde und Meißen statt. Eines der bekanntesten Seminare der Bürgerrechtsbewegungen, „Konkret für den Frieden“, startete mit einer Beteiligung von 37 Friedensgruppen und 130 Teilnehmern in Berlin und vertrat 1988 über 250 Gruppen aus der gesamten DDR. Diese Gruppen erhielten im Laufe der Jahre Aufmerksamkeit in der Bevölkerung und waren ein Triebmotor für die Entstehung der breiten oppositionellen Basis in den 1980er Jahren. Seit 1980 verwendete die Friedensbewegung in der DDR das Symbol Schwerter zu Pflugscharen, das ein Bibelzitat aus dem Michabuch (Mi 4,3 EU) mit einer von der Sowjetunion errichteten Skulptur verband. Im Frühjahr 1982 kam es deswegen zu massiven Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und den Evangelischen Kirchen einerseits und staatlichen Stellen.

Im Zuge der Verbesserung der Beziehungen wurde auch der Häftlingsfreikauf zunehmend organisierter geregelt. Dabei bezahlte die Bundesrepublik der DDR eine bestimmte Summe Devisen oder Waren, um im Gegenzug politische Gefangene freizukaufen, die anschließend in die Bundesrepublik ausgebürgert wurden. 1971 ließ die DDR die Sperrzonen an der innerdeutschen Grenze auflösen oder verkleinern, baute gleichzeitig jedoch Selbstschussanlagen auf, die auf ihren Grenzstreifen gerichtet waren.


53 | 56

1983 Bis 1983 registrierte die Staatssicherheit in einer Art Underground-Zählung DDR-weit gerade mal ein paar hundert Punks, wahrscheinlich existierten zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als 25 Bands. Nur etwa 10 von ihnen traten überhaupt aus der Illegalität der Keller heraus und gaben einige wenige Konzerte in Ateliers oder Kirchenräumen. Das Jahr stellte dennoch einen vorläufigen Höhepunkt dar, was Anzahl und Umfang der Aktivitäten einer präsenzzeigenden Szene betraf. Allerdings trifft dasselbe auch für die Präsenz und die Aktivitäten der Staatssicherheit zu. Es folgte eine Repressionswelle aus „Zuführungen“, sog. „BerlinVerboten“, „Arbeitsplatzbindungen“, Verhaftungen und Einberufungen zur Nationalen Volksarmee, um das „Punk-Problem“ zu lösen. Die Drangsalierungen fielen ungleich schärfer aus als in den Jahren zuvor und auch danach. Sie trafen einzelne Punks oder ganze Bands mit voller Härte. Mit dem Druck von außen stieg auch der Druck innerhalb der Szene.

1984 Die Entwicklung ab 1984 stellt eine Zäsur dar zwischen einer ersten und einer zweiten Generation von DDR-Punks. In diesem Jahr trat die Parteiführung zudem eine erste große Ausreisewelle los. Im selben Jahr war die Urpunkgemeinde fast vollständig von der Bildfläche verschwunden und praktisch nicht mehr existent. Wer nicht durch die „Zersetzungsmaßnahmen“ der Staatssicherheit neutralisiert wurde, lief entweder Spießruten durch die Behörden, um in Richtung Westen zu gehen, oder emanzipierte sich von der Szene und ging auch im Osten neue Wege. Die Szenereste wechselten nicht selten ins Lager der Skins oder gingen in einer zweiten Generation von Punks auf, die in den folgenden Jahren ungeheuren Zulauf erhielt.

Spätestens ab 1985 tauchten Punks auch in den Bezirksstädten von Rostock bis Suhl auf. Die Staatssicherheit sah sich nicht mehr nur mit einer überschaubaren und klar zu identifizierenden Punkszene konfrontiert, sondern mit einer Gegenkultur, die sich in viele Subszenen spaltete. Trotz Zuträgern, die direkt aus der Szene kamen, aber naturgemäß ohne jede subkulturelle Kompetenz, war es den Geheimdienstlern unmöglich, zwischen Punks, Peacepunks, Hardcorepunks, Artpunks, Skinheads sowie einer Avantgarde-Szene, die sich in experimenteller Musik erging und in exzessiven Performances austobte, zu unterscheiden,. Durch die einmalige und seltsame Konstellation von Punk und Kirche ergaben sich Kontakte zu oppositionellen Umwelt- und Menschenrechtsgruppen. Die Staatssicherheit reagierte auf das SzeneChaos zunehmend chaotisch. Ungeachtet aller Verhinderungsbemühungen wurde Punk sicher nicht zum Mainstream, aber doch zu einer Alltagserscheinung. Die freigesetzte Energie griff, doppelt frei vom nicht vorhandenen Markt und von der Staatsdoktrin des Sozialistischen Realismus, aus den Kellern und wenigen Szenetreffs auf die Ateliers junger Künstler über. Punk gewann Einfluß auf die Arbeitsweise und Lebenshaltung werdender Künstler und suchte, aufgegangen in gegenkulturellen Anwandlungen, letztlich auch die Stätten der sozialistischen Hochkultur, also Studenten an Hochschulen und Universitäten, heim.

1984 siedelten ungewöhnlich viele (40.900) Personen in die Bundesrepublik um. Zahlreiche Ausreisewillige flüchteten in die deutsche Botschaft in Prag oder die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin, um eine schnellere Bearbeitung ihrer Ausreiseanträge zu erzwingen, kehrten nach entsprechenden Zusagen jedoch wieder zurück.

In der Sowjetunion wurde 1985 Michail Gorbatschow zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei gewählt. Als De-facto-Herrscher der Sowjetunion versuchte er den Verfall des Kommunismus durch die Einführung von Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umstrukturierung) aufzuhalten.

Durch die Infiltration von Spitzeln und das so gesäte Mißtrauen untereinander hatte die Szene ihre Unschuld verloren.

1985/89

1990

Zwischen 1985 und 89 begegnete die Staatssicherheit dieser Entwicklung mit einer Kombination aus Repression, Unterwanderung und dosierter Vereinnahmung. Punk blieb jedoch das sichtbare Symptom einer Krise, aus einer überschaubaren Szene wurde eine Bewegung.

Nach 1990 waren viele der Underground-Aktivisten zunächst damit beschäftigt, in den ungeordneten Verhältnissen der neuen Ordnung die Lage zu sondieren und im Westen anzukommen. Einige vereinzelten sich, etliche andere taten sich, nach Jahren der Trennung in Ost von West und dem Ende freundschaftlicher oder künstlerischer Allianzen, wieder zusammen. Viele der Republikflüchtlinge kehrten von sonstwoher zurück und markierten das alte Revier neu.

1987 fehlten im Neuen Deutschland beim Abdruck einer Rede Gorbatschows die Abschnitte mit dessen scharfer Kritik an seinen Amtsvorgängern. Im selben Jahr nahm Kurt Hager, ein Mitglied des SEDPolitbüros, in einem fingierten Interview mit dem westdeutschen Nachrichtenmagazin Stern zu den Reformen in der Sowjetunion Stellung mit den Worten: „Würden Sie, nebenbei gesagt, wenn Ihr Nachbar seine Wohnung neu tapeziert, sich verpflichtet fühlen, Ihre Wohnung ebenfalls neu zu tapezieren?“. Zahlreiche sowjetische Zeitungen und Filme wurden in der DDR verboten: unter anderem die Monatszeitschrift „Sputnik“, einzelne Ausgaben der „Neuen Zeit“ und fünf antistalinistische Filme.

Während man sich in der Sowjetunion bei den Wahlen zum ersten Kongress der Volksdeputierten zum ersten Mal zwischen mehreren Kandidaten entscheiden konnte, stand in der DDR bei den Kommunalwahlen im Mai 1989 weiterhin nur die Einheitsliste zur Auswahl. Als offizielles Ergebnis wurde 98,85 Prozent angegeben. Zum ersten Mal konnten zahlreiche Regimekritiker eine Fälschung der Ergebnisse beweisen. Es kam in der Folge zu zahlreichen Demonstrationen, die von Volkspolizei und MfS aufgelöst wurden. Gorbatschow lehnte eine Intervention von Sowjet-Truppen gegen mögliche Unruhen ab.

1988 erklärte Honecker offiziell die Ablehnung der sowjetischen Reformpolitik.

1985

Honecker reagierte auf diese Demonstrationen im August 1989 mit dem Spruch „Den Sozialismus in seinem Lauf, hält weder Ochs noch Esel auf“. Zunehmend zeigte die Parteiführung ihre Unfähigkeit, die Realität in der DDR und drängende Probleme zu erkennen oder darauf zu reagieren.

1994 Doch erst um 1994/95 entstanden wirklich sichtbare bzw. hörbare Resultate alter subkultureller Seilschaften, die über die frühere Randexistenz hinauswiesen - allein dadurch, daß zum Beispiel Bands, die einst im Osten wurzelten, mit Musikern aller Couleur und Nationalitäten glücklich verschmolzen. Label wurden ins Leben gerufen, Bands gingen neu an den Start, Platten wurden aufgenommen, Bücher geschrieben. Dem gingen bereits 1990 Hausbesetzungen, Kneipen- und Verlagsgründungen voraus. Das alles waren nicht die Nachwehen, sondern die langfristigen Folgen subkultureller Umtriebe in Ostberlin, Leipzig, Dresden, Erfurt, Karl-Marx-Stadt …


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RepublikmaĂ&#x;stab


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Bachelor-Arbeit WS 2010 Prüfer: Prof. Michael Hubatsch Prof. Brigitte Hartwig Texte: Michael „Pankow“ Boehlke, Junge Welt, DER SPIEGEL, Wolfgang Musigmann, Klaus Michael Interviews: R und T Bilder: Uwe Reichenberg Gestaltung: Sebastian Kirmse Druck: Druckhaus Mitte Schrift: Aaux Pro Danke an Uwe Reichenberg, T und R Für Uki Tabletti



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