Solidarität 1/2018

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Ausgabe Februar 1/2018

THEMA Trends in der Entwicklungszusammenarbeit AKTUELL Faire Spielsachen

Das Magazin von


2 EDITORIAL Liebe Leserinnen und liebe Leser Haben Sie diese Zahlen auch schon gelesen? – Die acht ­Menschen in unseren Projekten weder Strom noch sauberes reichsten Menschen der Welt haben mit 426 Milliarden Wasser haben; wenn sie sterben, weil sie sich den Besuch ­Franken mehr Vermögen als die ärmere Hälfte aller Welt­ bei der Ärztin nicht leisten können; wenn sie kaum genug zu essen haben und ihre Kinder nicht zur bewohnerInnen zusammen. Wir mögen Schule schicken können. Hier setzen wir den sogenannten «Global Ultra High auch in Zukunft an. Um Armut wirksam Net Worth Individuals», wie BankerInnen zu bekämpfen, braucht es vor allem solche Superreichen zu bezeichnen pfle­ kompetente und begeisterte Mitarbeitegen, ihren Wohlstand natürlich gönnen. rInnen und Partnerorganisationen, die Extreme Ungleichheit schadet aber vor Ort gut zuhören, genau analysieren unseren Wirtschaften und spaltet die ­ und dann Missstände unerschrocken Gesellschaft, anstatt sie in schwierigen und weitsichtig anpacken. Zeiten zusammenzuschweissen. Als neues Führungsduo freuen wir uns Solidar Suisse setzt sich für jene Mendarauf, gemeinsam mit unseren über schen auf der Kehrseite der pulsierenhundert Mitarbeiterinnen und Mitar­ den Wirtschaft ein, die für Banken wahrFelix Gnehm und Barbara Burri beitern weiter an diesen Fähigkeiten scheinlich als «Global Ultra Low Worth Co-Direktion Solidar Suisse Individuals» – sprich: totale Habenichtse – zu ­ feilen. Ihre tatkräftige Unterstüteingestuft werden. Denn es geht nicht an, dass einige wenige zung, liebe Leserinnen und Leser, trägt dazu bei, dass immer mehr haben und viele immer weniger. Es braucht mehr die Ver­mögen, Chancen und Möglichkeiten dieser Welt ein solidarisches Engagement für die Armen dieser Welt. Wir ganz klein wenig gleicher und gerechter verteilt werden. ­können und wollen nicht akzeptieren, dass die Geldspeicher Herzlichen Dank dafür! der globalen Dagobert Ducks überquellen, während die Barbara Burri und Felix Gnehm

MEDIENSCHAU

18.12.2017 Zürich betritt Neuland in Nahost Drei Projekte hat die Stadt Zürich im Libanon 2016 und 2017 zusammen mit dem Hilfswerk Solidar Suisse bereits umgesetzt: So wurde in Homin el Fawkaa eine Schule renoviert, in Kaakyet El Jeser ein Gesundheitszentrum instand gesetzt und in Qsaibet ein neuer Brunnen gebohrt. «Das sind nicht reine Flüchtlingsprojekte, sondern sie sollen gleichermassen den Einheimischen nützen», sagt Christina Wandeler vom Präsidialdepartement. So sei es bei der Schulrenovation darum gegangen, dass überhaupt für alle Kinder – einheimische wie Flüchtlingskinder – die nötigen Schulbänke und sanitären Anlagen vorhanden sein würden.

15.12.2017 Fair Play? Fair Toys! Kaum etwas wird an Weihnachten so ­intensiv beworben wie Spielsachen. Das Problem: Der grösste Teil davon wird in Asien unter ausbeuterischen Arbeits­ bedingungen produziert. So schuften die Arbeiterinnen und Arbeiter in chinesischen Spielzeugfabriken 11 Stunden an sechs Tagen der Woche und verdienen dabei doch weniger, als sie zum Über­ leben brauchen. Die Betriebe verletzen internationale Abkommen und chinesisches Arbeitsrecht, geben aber letztlich nur den Preisdruck ihrer Auftraggeber weiter. (…) Wenn Sie gerne faires Spielzeug verschenken möchten, hält Solidar wertvolle Tipps für Sie bereit.

26.11.2017 Die dunkle Seite der Barbie-Puppe Undercover-Bericht zeigt, wie in China unter unwürdigen Bedingungen Spielzeug hergestellt wird (…). Die Fabriken treten das chinesische Arbeitsrecht mit Füssen. Die Angestellten müssen überall exzessive Überstunden leisten. (…) Dass die Ange­ stellten bereit sind, so viel zu schuften, hängt mit dem mickrigen Salär zusammen. Der Monatslohn beträgt umgerechnet 250 US-Dollar. «Davon kann in China niemand leben», sagt Solidar-Suisse-Kampagnen­ leiterin Simone Wasmann. Wenn die Angestellten mit Chemikalien hantieren, wissen sie selten, welchen Gefahren sie sich aussetzen geschweige denn, dass sie ausreichend geschützt werden müssten.


INHALT 3 THEMA Wohin geht die Entwicklungs­zusammenarbeit?

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Das Geld muss in die Unterstützung der Armen fliessen 6 Ist duale Berufsbildung ein Erfolgsrezept für Entwicklung? 8 Der zunehmende Einfluss von China als Geldgeber bedroht die Organisationsfreiheit in Asien

10

Jorge Lampião, Solidar-Landes­ koordinator in Moçambique, sagt, was es braucht, damit Entwicklungs­ zusammenarbeit wirkt 11 STANDPUNKT Für eine nachhaltige Entwicklung müssen Frauen einbezogen werden 13

THEMA

Wie muss Entwicklungszusammenarbeit ausgestaltet sein, damit sie zum Erfolg führt? Durch welche aktuellen Trends wird sie gefördert oder gefährdet?

4

AKTUELL Wofür sich die neue Co-Direktion 15 von Solidar einsetzen wird No Billag: Verteidigen wir die Medienvielfalt

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Solidar kämpft gegen die miserablen Arbeitsbedingungen in der chinesischen Spielzeugindustrie 17 EINBLICK Die ehemalige Strassenhändlerin Verónica López engagiert sich in 18 Nicaragua für deren Rechte KOLUMNE 9 NOTIZEN PINGPONG

12 & 14

17 AKTUELL Mit Drache und Fair-Toys-Magazin gegen die unwürdigen Arbeitsbedingungen in der chinesischen Spielzeugindustrie.

14 IMPRESSUM

Herausgeber: Solidar Suisse, Quellenstrasse 31, Postfach 2228, 8031 Zürich, Tel. 044 444 19 19, E-Mail: kontakt@solidar.ch, www.solidar.ch, Postkonto 80-188-1 Mitglied des europäischen Netzwerks Solidar Redaktion: Katja Schurter (verantwortliche Redaktorin), Marco Eichenberger, Lionel Frei, Eva Geel, Cyrill Rogger

Layout: Binkert Partner, www.binkertpartner.ch / Spinas Civil Voices Übersetzungen: Milena Hrdina, Katja Schurter, Jean-François Zurbriggen Korrektorat: Jeannine Horni, Catherine Vallat Druck und Versand: Unionsdruckerei/subito AG, Platz 8, 8201 Schaffhausen Erscheint vierteljährlich, Auflage: 37 000

Der Abonnementspreis ist im Mitgliederbeitrag inbegriffen (Einzelmitglieder mindestens Fr. 70.–, Organisationen mindestens Fr. 250.– pro Jahr). Gedruckt auf umwelt­ freundlichem Recycling-Papier. Titelbild: Ein angehender Schneider in Burkina Faso mit seinem Ausbilder. Foto: Andreas Schwaiger. Rückseite: So hat sich Solidar 2017 gegen die Ausbeutung von ArbeiterInnen in chinesischen Spielzeugfabriken engagiert.


4 Junge Frauen in Burkina Faso holen die Schule nach, um anschliessend eine berufliche Ausbildung zu machen.

INTERNATIONALE ZUSAMMENARBEIT WOHIN? Gerade in Zeiten, in denen die Entwicklungszusammenarbeit häufig kritisiert wird, müssen wir uns die Frage stellen, wie wir unsere Arbeit erfolgreich gestalten. Was bewirkt ein stärkerer Fokus auf Berufsbildung zum Beispiel im Kosovo? Warum sind lokale Verankerung, Chancengleichheit und Umverteilung unabdingbar? Dies erfahren Sie auf den nächsten Seiten – und was es heisst, wenn Staaten mit Entwicklungs­zusammen­ arbeit wirtschaftliche Ziele anstreben oder wenn Geld­geber, denen Menschenrechte egal sind, immer wichtiger werden. Foto: Andreas Schwaiger


THEMA

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6 DIE UNGLEICHHEIT BEKÄMPFEN Kürzungsvorhaben und neue Finanzierungsformen bedrohen die Entwicklungszusammenarbeit. Dabei kann viel bewirkt werden, wenn das Geld auch wirklich in die Unterstützung der Armen fliesst. Text: Felix Gnehm, Fotos: Andreas Schwaiger und Joachim Merz

In Gorongosa, einer typischen Kleinstadt im Zentrum von Moçambique, herrscht Mangel an allen Ecken und Enden. Hier engagiert sich Solidar Suisse seit meh­ reren Jahren dafür, dass die Menschen mitreden können, wenn es um die Entwicklung ihrer Gemeinde geht. Diesen November trafen wir während einer Projektreise den Bürgermeister Moreze Joaquim Cauzande. «Eigentlich wurden uns vom Staat pro Jahr drei Millionen Meticais (ca. 50 000 Franken) für dringende Investitionen versprochen. Wir brauchen unbedingt zusätzliche Schulen, Brunnen und Gesundheitszentren. Leider erhalten wir 2017 jedoch aufgrund der schlech-

ten Wirtschaftslage nur ein Viertel des versprochenen Geldes.» Cauzande ist kein korrupter Machthaber, der in seine Tasche wirtschaftet, sondern ein engagierter ­Lokalpolitiker mit hohem Ansehen. Er jammert nicht, obwohl seine Stadt und der umliegende Distrikt schlicht unfassbare Statistiken aufweisen. Gerade ein Prozent aller Haushalte hat Strom. Durch den Distrikt – grösser als der Kanton Bern – führt nur eine einzige asphaltierte Strasse voller Schlaglöcher. 63 Prozent aller Menschen leben in Armut, also von weniger als zwei US-Dollar pro Tag. ­Zu­dem sind mehr als 12 Prozent mit HIV infiziert – eine der höchsten Raten der

Welt. Um solche Herausforderungen zu bewältigen, stehen dem Staat Moçambique jährlich 166 Schweizer Franken pro Kopf zur Verfügung – in der Schweiz ist es mit 8430 Franken pro Person das 50-Fache. Lokal verankert und sorgfältig umgesetzt Ähnlich wie in Moçambique ist die Situation in anderen sogenannt «Least de­ veloped countries», den «am wenigsten entwickelten Ländern». Darunter fallen ­ 48 Länder vor allem im Afrika südlich der Sahara. Ihre Wirtschaften sind schwach, die Menschen sind arm, die Qualität der


THEMA 7 Aktive BürgerInnen sorgen dafür, dass Bürgermeister wie Moreze Joaquim Cauzande (rechts)​das Gemeindebudget z. B. für den Zugang zu Wasser (links) einsetzen.

Bildung sowie der Gesundheits- und Wasserversorgung ist schlecht. Der Besuch im Solidar-Projekt in Gorongosa zeigt, wie wirkungsvoll Entwicklungszusammenarbeit sein kann. Lokal verankerte, gut geplante und sorgfältig umgesetzte Projekte können die Lebensbedingungen der Menschen hier nachhaltig verbessern: So haben die Projekte von Solidar Suisse in zwei Provinzen der Region mehr als 50  000 Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser und ­ sanitären Einrichtungen verschafft. Dies erleichtert den Alltag, erlaubt es Frauen, wirtschaftlichen T ­ ätigkeiten nachzugehen statt Wasser zu holen, und verbessert die Gesundheit der Menschen enorm. Aber hat eine solche Entwicklungs­zu­­sam­ men­arbeit eine Zukunft? Nicht wenige PolitikerInnen bestreiten dies und fordern, man solle «die Afrikaner in Ruhe lassen». In den Medien häufen sich kritische Stimmen, und das Parlament kürzt die Budgets für die internationale Zusammen­ arbeit. Doch das Beispiel Gorongosa zeigt: Wir tun auch künftig gut daran, Schweizer Gelder zur Bekämpfung der Armut und der immer drastischeren Ungleichheiten vor Ort einzusetzen – denn gegenwärtig bereichern die Rohstoff­ gewinne im Land einzig die Eliten. China und der Privatsektor als Hoffnungsträger? Die Entwicklungszusammenarbeit müsse sich ändern, heisst es vielerorts. Doch

l­eider geht es in die falsche Richtung: gleichheit zu reduzieren und die Armut zu Zwar haben die öffentlichen Budgets für besei­tigen, wie es die von 193 Staaten internationale Zusammenarbeit in den unterzeichnete Nachhaltigkeitsagenda der letzten 15 Jahren zugenommen. Nur Uno ­fordert. fliesst lediglich ein Fünftel der Gelder in die ärmsten Länder, der Rest geht an Ein gutes Leben für alle wirtschaftlich aufstrebende Regionen: Die Lücke zwischen Reich und Arm bleibt Länder wie Indien, Brasilien, China oder gewaltig. Hinter den weltweit 244 Mil­ die Türkei, die ihrerseits bereits als neue lionen MigrantInnen stehen krasse UnGeldgeber in der Entwicklungszusammen­ gleichheit und prekäre Lebensbedingunarbeit auftreten. Dabei stehen ganz un- gen. Zu Recht fordern sie ein besseres verblümt wirtschaftliche und machtpoli­ Leben. Deshalb müssen wir in den Industische Ziele an erster Stelle, während trieländern Verantwortung übernehmen, Menschenrechte, Gleichberechtigung oder wenn unser Konsumverhalten zur AusErmächtigung der Armen keinerlei Rolle beutung von Menschen in ärmeren Ländern führt. D ­arauf macht Solidar mit spielen. Erstaunlich ist auch, wie viel Hoffnung Kampagnen aufmerksam, die den Stimauf den Privatsektor als neuen Entwick- men der Menschen am Ursprung der lungsförderer gesetzt wird. Firmen und globalen Lieferketten Gehör verschaffen. Stiftungen sollen die immense Finanzie- Und wir tragen mit wirkungsvollen Ent­ rungslücke schliessen, die bei der Errei- wicklungs­pro­jek­ten dazu bei, die Armut chung der globalen Nachhaltigkeitsziele zu besei­tigen. Zum Beispiel, indem wir den Dialog zwider Uno klafft. Aber schen der Zivilgewird sich der PrivatNur ein Fünftel sellschaft und der sektor für Gegenden wie Gorongosa der Gelder fliesst in Regierung fördern. einsetzen? Kaum, die ärmsten Länder. Mit kon­kreten Fortschritten: sauberes denn da ist nichts Wasser, ein Einkomzu holen. Und wie die Debatte zu den Paradise Papers und men aus Gemüseanbau oder Berufs­ zur Steuervermeidung zeigt, tun grosse bildungsangebote, die Perspektiven für Firmen weiterhin alles, um ihre Profite Jugendliche schaffen. auch gegen das Gemeinwohl durchzusetzen. Es wäre geradezu naiv zu denken, dass aus denselben Firmenkassen Felix Gnehm ist Co-Direktor nun Gelder fliessen, um weltweit die Un- bei Solidar Suisse.


8 «DIE PRAKTISCHE ARBEIT KOMMT ZU KURZ» Führt die duale Berufsbildung zu Entwicklung? Die Arbeit von Solidar zeigt: Ja, wenn sie lokal angepasst ist und von allen mitgetragen wird. Text: Cyrill Rogger, Foto: Din Begolli «An der Schule haben wir nicht die Möglichkeit, in einer Werkstatt Produkte herzustellen. Die Praktikumswoche bei Bakalli Metall hat mir deshalb sehr gefallen», erzählt der 15-jährige Abion Krasniqi, der an der Berufsschule Metallverarbeitung lernt. Solche Praktika sind dringend nötig. Denn im Kosovo mangelt es an Fachkräften. Die Arbeitslosigkeit ist insbesondere bei den Jungen enorm hoch, weil die Ausbildung zu wenig auf das Berufsleben ausgerichtet ist. Kein Wunder also, dass man sich um die Verbesserung der Berufsbildung bemüht, etwa mit einer Praktikumswoche. Beschlossen wurde sie von einer Arbeitsgruppe mit VertreterInnen aus Wirtschaft und Behörden, Lehrkörper und Schülerschaft.

Fokus auf die Berufsbildung Die Berufsbildung ist traditionell ein Schwerpunkt der schweizerischen Ent­ wick­ lungs­ zusammenarbeit. Sie hat mit der neuen Agenda der Uno noch an ­Bedeutung g ­ ewonnen: Die internationale Gemeinschaft hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 ein «dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle zu fördern». Bundes­rat Johann SchneiderAmmann betonte an der Jahreskonferenz der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit 2017 denn auch, dass die Schweiz mit ihrer Erfahrung in der dualen Berufsbildung angesichts der fehlenden Perspektiven der Jugend weltweit einen

wichtigen Beitrag leisten könne. Und die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA hat für die Jahre 2017 bis 2020 ihr Budget für Berufs­bil­dungs­ projekte um 50 Prozent erhöht. Praktische Fähigkeiten lernen Die duale Berufsbildung als Schlüssel zur Entwicklung ist also zurzeit in aller Munde. Doch was ist das überhaupt? Duale ­Berufsbildung will bei den Lernenden die Verbindung von theoretischem Wissen und praktischen Fertigkeiten fördern. Und sie will die Zusammenarbeit zwischen Betrieb und Schule stärken. Damit das klappt, müssen beispielsweise die Fähigkeiten, die Arbeitskräfte brauchen, an der Berufsschule gelehrt werden.


KOLUMNE

THEMA 9

Abion Krasniqi kann bei einem Praktikum sein Talent für die Metallverarbeitung unter Beweis stellen.

Sommerpraktika, um den BerufsschülerInnen eine praktische Berufserfahrung zu vermitteln. Gemeinsam ist all diesen Projekten das Ziel, Jugendliche mit den nötigen Fähigkeiten auszustatten, damit sie in der ­Arbeitswelt Fuss fassen und ein Leben in Würde führen können. Dabei setzt S ­ olidar Suisse alles «An der Schule haben daran, die lokalen AkteurInnen (Schulen und Ausbilwir keine Werkstatt, Berufsverbände um Produkte herzustellen.» dungsstätten, und Behörden) zu mobilisieren. Sie sind es, welche die zugehen. Das ist jetzt nicht immer der Berufsbildung kontinuierlich und nachFall. Das weiss auch Elvira Mehmetaj, die haltig verbessern und dafür sorgen könin der Arbeitsgruppe die Interessen der nen, dass die jungen Menschen auch Auszubildenden vertritt: «Die praktische nach Projektabschluss besser auf die Arbeit kommt viel zu kurz. Eigentlich ­Arbeitswelt vorbereitet werden. möchte ich Küchenchefin werden in einem guten Restaurant, nur wo bekomme Wirksame Praktika ich die nötigen praktischen Qualifika­ Im Kosovo garantiert die Arbeitsgruppe tionen her?» aus lokalen InteressenvertreterInnen, dass die Verbesserungsmassnahmen von allen Einbezug der lokalen AkteurInnen mitgetragen und vorangetrieben werden. Damit Bildungsprojekte erfolgreich sind, Neben der Einführung zusätzlicher Ausmüssen sie an den Kontext angepasst bildungsmodule wird auch die Ausweisein und die lokalen AkteurInnen einbe- tung und höhere Qualität der Praktika in ziehen. Dies ist ein Grund, weshalb sie lokalen Betrieben angestrebt. Denn noch nicht einfach kopiert werden können. Noch fallen diese durchzogen aus. So war Elvira weniger Erfolg versprechend wäre es – Mehmetaj mit ihrem Praktikum in einem wie häufig in den Medien propagiert –, Hotel nicht ganz zufrieden: «Ich habe nur das über Jahrhunderte gewachsene sehr wenige der vielen Arbeiten in einem Schweizer Berufsbildungssystem eins zu Hotel ausführen können und musste vor eins in ein anderes Land exportieren zu allem Salate zubereiten.» Dennoch hält wollen. Solidar Suisse tut das Gegenteil: sie an ihrem Berufswunsch «Küchen­ Wir passen unsere zahlreichen Projekte chefin» fest. Denn dank der Mitarbeit in zur Integration von Jugendlichen in den der Arbeitsgruppe ist Elvira überzeugt, Arbeitsmarkt an die lokalen Probleme dass sie ihre Zukunft beeinflussen kann. und Rahmenbedingungen an. Für El Sal­ Abion Krasniqis Praktikumswoche hingevador heisst das etwa, dass wir Jugendli- gen war unmittelbar von Erfolg gekrönt: chen andere Perspektiven und Wege aus Der Betriebsleiter von Bakalli Metall war der Kriminalität eröffnen, in Burkina Faso so begeistert von seiner Arbeitsweise, verhelfen wir jungen Menschen, welche dass er ihn vom Fleck weg anstellte. die Grundschule vorzeitig abgebrochen haben, mit mass­ge­schnei­derten Ausbildungen zu einem gesicherten Einkom- Cyrill Rogger ist Programmleiter men. Und in Serbien organisiert Solidar Südosteuropa bei Solidar Suisse. ­ afür setzt sich auch die erwähnte ArD beitsgruppe im Kosovo ein. Damit die AbgängerInnen der Wirtschaftsschule im Fachbereich Tourismus in Zukunft nicht nur theoretische Fächer lernen, sondern auch die kommunikativen F ­ähigkeiten entwickeln, um mit ihren KundInnen um-

An der WM sollen Strassenhändle­ rInnen ihre Waren rund um die Stadien nicht verkaufen dürfen.

Hans-Jürg Fehr Präsident Solidar Suisse

KOVI kommt an Multinationale Konzerne sind in vielen Ländern zu mächtig, als dass der Staat sie zu irgendetwas zwingen könnte. Oder die nationale Elite ist zu korrupt, als dass sie die Multis in die Pflicht nehmen wollte. Die Resultate dieses unregulierten Wirtschaftens sind bekannt: weit verbreitete Missachtung der Menschenrechte und weit verbreitete Zerstörung der Umwelt durch Betriebe dieser Konzerne. Die Missstände sind derart gravierend, dass sich die Uno gezwungen sah, Leitlinien für multinationale Unternehmen zu erlassen. Aber das sind nur Empfehlungen. Die Mitgliedstaaten können sie umsetzen oder es bleiben lassen. Die meisten setzen sie nicht um, auch die Schweiz nicht. Das wollen Solidar Suisse und über 80 andere NGOs nicht länger tolerieren. Mit der Konzernverantwortungsinitiative (KOVI) wollen sie dem Bund die Kompetenz geben, die Multis mit Sitz in der Schweiz an die Kandare zu nehmen. Die mächtigen Konzerne werden verpflichtet, nicht nur in der Schweiz, sondern in allen von ihnen kontrollierten Betrieben in allen Gastländern die Menschenrechte und international anerkannte Umweltstandards einzuhalten. Sie müssen bestehende Missstände beseitigen, darüber Bericht erstatten, sich Kontrollen unterziehen und für Schäden haften, die sie trotz besseren Wissens verursacht haben. Die KOVI ist in der Bevölkerung gemäss Umfragen sehr beliebt, weil die Menschenrechte und der Umweltschutz hohe Akzeptanz geniessen. Wahrscheinlich können wir noch 2018 dafür sorgen, dass die Menschenrechte weltweit eingehalten werden müssen.


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Kambodschanische Arbeiterinnen verlassen die Fabrik nach Schichtende: Ihre Arbeitsrechte sind durch chinesische Investitionen bedroht.

Aufträge verschaffen und erst noch dafür sorgen, dass die chinesische Konsum­ güterindustrie ihre Waren im Ausland ­verkaufen kann. Fördern autoritärer Regimes Die Kehrseite der Entwicklung: Der wachsende Einfluss Chinas geht zumeist mit einer wachsenden Einschränkung von Menschenrechten und demokratischer Partizipation in den jeweiligen Ländern einher. Autoritäre Regimes können zunehmend ungehindert schalten und walten. Zum Beispiel in Kambodscha, wo die Regierung relativ fortschrittliche ­Gesetze zum Schutz der Arbeits- und Menschenrechte verabschiedet hatte: «Denn die USA und Europa machten den verbesserten Marktzugang für Kleider Text: Bernhard Herold, Foto: Andreas Schwaiger aus Kambodscha davon abhängig», erzählt Tola Moeun, Direktor der SolidarSeit einigen Jahren zeichnet sich in der lungsausgaben fliesst jedoch in Infra- Partnerorganisation CENTRAL, die sich Entwicklungszusammenarbeit (EZA) ein strukturprojekte, meist in Form von Inves- für die Rechte von ArbeiterInnen einneuer Trend ab: Die traditionellen Geld- titionsdarlehen. Das nützt vor allem China setzt. «China hingegen unterstützt das geber aus Westeuropa und Nordamerika selbst. Ein Beispiel dafür ist die soge- kambodschanische Regime bedingungswerden zunehmend abgelöst durch auf- nannte «Belt and Road Initiative» (BRI), los.» So macht China seine Finanzhilfe strebende Geberländer wie Indien, Brasi- eine Art moderne Seidenstrasse über nicht von der Respektierung demokratilien, Südafrika und – allen voran – China. Land und Meer. Das Prestigevorhaben scher Rechte abhängig und hat sich nicht Laut eigenen Angaben hat China von mit einem Investitionsvolumen von rund daran gestört, dass das Regime vergan2012 bis 2014 insgesamt 14,4 Mrd. US- 4400 Mrd. US-Dollar schliesst 65 Länder genen November die wichtigste Opposi­ in Asien, Afrika und Europa ein. Damit will tionspartei verboten hat. «Dies hat zu Dollar für EZA aufgewendet. China seine Vormachtstellung in Asien ­einem politischen Vakuum geführt. Gestärken, in Afrika weiter ausbauen und werkschaftsführerinnen und MenschenChina als neue Supermacht China investiert zudem massiv in Wirt- sich als neue globale Supermacht posi­ rechtsaktivisten sind zunehmend Repressalien ausgesetzt», stellt Moeun fest. schaftsaktivitäten in Entwicklungsländern. tionieren. Die Solidar-Projekte in KambodLaut einer Studie des US-amerischa sind zwar nicht akut gefährkanischen Forschungszentrums MenschenrechtsaktivistInnen det, doch die Bewegungsfreiheit Aids­data hat China in den Jahren 2000 bis 2014 insgesamt 354 sind zunehmend Repressalien von CENTRAL ist stark eingeschränkt, und jede Aktivität zuMrd. US-Dollar in 140 Ländern ausgesetzt. gunsten der ArbeiterInnen muss ausgegeben. Damit liegt ­ China dahingehend überprüft werden, nur knapp hinter den USA (395 Mrd.). Allerdings handelt es sich im Noch wichtiger ist jedoch der wirtschaft­ ob sie als politische Unterstützung der Falle der USA hauptsächlich um EZA liche Hintergrund: China kämpft mit riesi- Opposition ausgelegt werden könnte. im klassischen Sinn wie zum Beispiel gen Überkapazitäten. Dank der BRI kann Projekte zur Armutsbekämpfung. Der China in grossem Stil Arbeitskräfte im Bernhard Herold ist Programmleiter ­ ­Löwenanteil der chinesischen Entwick- Ausland einsetzen, chinesischen Firmen Asien bei Solidar Suisse.

CHINAS GELD FÖRDERT REPRESSION

China nimmt als Geldgeber immer mehr Einfluss auf Entwicklungsländer. Dies bedroht die Meinungsfreiheit in Asien.


THEMA 11 Gebannt verfolgen die TeilnehmerInnen das Geschehen an einer Gemeindeversammlung in Moçambique.

ZUSAMMENARBEIT AUF AUGENHÖHE Der Solidar-Landes­koordinator in Moçambique erklärt, was es braucht, damit Entwicklungs­zusammen­arbeit funktioniert. Text: Jorge Lampião, Foto: Joachim Merz

Seit der Unabhängigkeit im Jahr 1975 hat Moçambique stets ausländische Hilfe erhalten. Nach dem Ende des jahrelangen Bürgerkriegs hat die Entwicklungszusammenarbeit dazu beigetragen, dass die Gemeinden mit grundlegenden Dienst­ leistungen und sozialer Infrastruktur versorgt wurden. So wurden in den letzten 15 Jahren in jedem grösseren Dorf eine Schule und ein Gesundheitszentrum geschaffen. Bevölkerung will mitgestalten Zwingende Voraussetzung für diesen ­Erfolg ist, dass die Bedürfnisse der Bevölkerung in den Entwicklungsplan ihrer ­jeweiligen Gemeinde einfliessen. Das ist in Moçambique, wie in vielen anderen Staaten, nicht selbstverständlich. Solidar Suisse hat deshalb lokale Basisorganisationen geschult, damit die benachteiligte Bevölkerung die politischen und sozialen Veränderungsprozesse mitgestalten kann.

Wenn sich Menschen aus verschiedenen Bereichen zusammenschliessen, um ihre Interessen zu vertreten, kann dies viel ­bewirken. So hat der Druck aus der Zivilgesellschaft zum Beispiel dazu geführt, dass die Regierung das Landrechts- und das Arbeitsgesetz revidieren will. Zugang zu Informationen Mit der dank Projekten der Entwicklungszusammenarbeit verbesserten Schulbildung sinkt die Zahl der AnalphabetInnen. So können sich die Menschen den Zugang zu Informationen über Medien und soziale Netzwerke beschaffen. Auch wenn die lokalen Medien in ihrer Autonomie eingeschränkt sind und aufgrund ihrer begrenzten finanziellen Möglichkeiten von Wirtschaftsinteressen beeinflusst werden, ermöglichen sie besser informierte BürgerInnen. Diese nehmen an Diskussionen teil und getrauen sich eher, ihre Meinung zu sagen, auch wenn

das nicht allen gefällt. Sie verlangen ­Rechenschaft über die Tätigkeiten der ­Behörden und können auf Korruptionsverdacht reagieren, sei es in der Gemeindeverwaltung, in Gesundheitszentren oder in Schulen. Und dank aufmerksamer BürgerInnen kann Korruption besser bekämpft werden. Weiterhin viel zu tun Die demokratischen und wirtschaftlichen Fortschritte des Landes, das vom Internationalen Währungsfonds und der Weltbank auch als «Erfolgsmodell» bezeichnet wird, waren in den letzten Jahren bedroht – sei es durch die politischmilitärische Krise von 2013 bis 2016 oder den beinahe eingetretenen Staatsbankrott wegen der Verschuldung im CS-Kreditskandal (siehe Solidarität 3/2017). Um die gegenwärtigen Pro­ bleme zu überwinden, muss sich noch ­einiges verändern. Denn nach wie vor ist fast die Hälfte der Bevölkerung von ­Armut und Analphabetismus betroffen, insbesondere Frauen und die Menschen auf dem Land. Und in abgelegenen ­Orten ist die Beteiligung von Vertrete­ rInnen aus der Zivilgesellschaft häufig schwierig, weil Sitzungen oft nur dann durchgeführt werden, wenn es den lokalen Regierungen passt. Um erfolgreich zu sein, müssen sich Projekte der Entwicklungszusammen­ arbeit also gegen die Manipulation der BürgerInnenbeteiligung stellen, sie müssen den Einbezug aller marginalisierten Gruppen, insbesondere der Frauen, garantieren und eine Atmosphäre des Dialogs fördern: Darauf achtet Solidar bei seiner Arbeit ausdrücklich.


12 NOTIZEN

Absolutes Abtreibungs­ verbot in El Salvador In El Salvador ist Abtreibung sogar dann verboten, wenn das Leben der Frau gefährdet ist oder eine Vergewaltigung zur Schwangerschaft führte. Solidar Suisse

Re-Zertifizierung von Solidar Suisse Im vergangenen Dezember liess sich ­S olidar Suisse in seinem Qualitätsmanagementsystem «Qualität als Prozess QaP» rezertifizieren und hat seine Ergebnisse im Vergleich zur Erstzertifizierung um ganze 38 Prozent gesteigert. Die ­Auditorinnen der Schweizerischen Vereinigung für Qualitäts- und ManagementSysteme (SQS) attestierten Solidar eine

Solidar-Erfolg: Aus für Sklaverei in Qatar Das Ultimatum der ILO hat gewirkt: Ende Oktober 2017 gab die Regierung Qatars bekannt, dass sie den Schutz von Arbeits­ migrantInnen deutlich verbessern wird und damit der modernen Sklaverei in Qatar ein Ende setzt. Auch Solidar Suisse hat mit der Kampagne für eine faire Fussball-WM zum Erfolg beigetragen. Das neue Arbeitsgesetz zielt auf die Abschaffung des Kafala-Systems: die Grund­ lage für die Ausbeutung von Millionen von auslän­dischen Arbeitskräften, die in Qatar als Bauarbeiter oder Hausangestellte zu Tiefstlöhnen angestellt sind. So sollen die Arbeitgebenden ihre Beschäftigten künftig nicht mehr am Verlassen des Landes hindern dürfen. Ausserdem wird ein einheitlicher Mindestlohn für alle Arbeitskräfte eingeführt und das

und medico international schweiz haben Anfang Dezember an einer Veranstaltung im Rahmen der Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» über die fatale Gesetzgebung in El Salvador informiert. «Das absolute Abtreibungsverbot ist für den Tod ganz vieler Frauen verantwortlich», bringt es Diana López auf den Punkt. Die 19-Jährige engagiert sich bei einer Solidar-Partnerorganisation für die Lockerung des Abtreibungsverbotes in El Salvador, das bestimmt, dass Frauen, die abtreiben, mit acht Jahren Gefängnis bestraft werden. Noch härter bestraft wurden Frauen, die eine Fehlgeburt er­litten

hatten und denen vorgeworfen wurde, sie hätten ihr Baby umgebracht. Zum Beispiel Teodora Vásquez, die seit einer Totgeburt im neunten Monat bereits zehn Jahre im Gefängnis verbracht hat. Damals hatte sie den Notruf alarmiert, doch die Hilfe kam zu spät. Stattdessen erschienen mehrere Polizeibeamte und legten sie in Handschellen. Sie ­wurde zu 30 Jahren Haft wegen Mordes verurteilt. Beweismaterial, das für eine Totgeburt des Kindes sprach, war nicht berück­ sichtigt worden. Im Berufungsverfahren am 8. Dezember 2017 hat das Gericht das drakonische Urteil bestätigt.

professionelle Vorgehensweise in der ­Erarbeitung und Umsetzung der neuen Strategie. Aus diesem Prozess sind neue Instrumente entstanden: Controlling, Wirkungskonzept, Personalhandbuch und Neuausrichtung der Positionierung. Sie tragen alle zur weiteren Professionalisierung der Solidar-Arbeit bei. Verbesserungspotenzial sieht die SQS in einer systematischeren Herangehensweise an neue Prozesse.

Nothilfe für Rohingya in Bangladesch

auf «Rassenzugehörigkeit» basierende Lohnsystem abgeschafft. Die Ausweispapiere werden in Zukunft direkt vom Staat ausgestellt, so dass die Beschäftigten nicht länger auf ihre Arbeitgebenden angewiesen sind, um Ausweise zu erhalten. Und in jedem Betrieb werden ArbeitnehmerInnengre­mien eingerichtet, in welche die Beschäftigten ihre VertreterInnen wählen.

Seit September leistet Solidar Suisse für die aus Myanmar vertriebenen Rohingya in Bangladesch Nothilfe. In Kooperation mit der deutschen Arbeiterwohlfahrt (AWO) werden Flüchtlinge südlich von Cox’s Bazar mit dem Nötigsten versorgt. Geholfen wird mit Material für den Bau von Notunterkünften, Hygiene-Sets und Küchenutensilien. Denn die Zustände in den Flüchtlings­ lagern in Bangladesch sind katastrophal: Die meisten Flüchtlinge haben kein Dach über dem Kopf, keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, sie leiden an Hunger und sind traumatisiert. Bis Ende Jahr sind laut Schätzungen des UNHCR 650 000 Rohingya vor Gewalt und Verfolgung durch das Militär nach Bangladesch geflohen. Dies ist eine der weltweit grössten Fluchtbewegungen der letzten Jahrzehnte. Für die Nothilfe sind wir weiter auf Spenden angewiesen: www.solidar.ch/rohingya


STANDPUNKT 13

OHNE CHANCENGLEICHHEIT KEINE ENTWICKLUNG Für nachhaltige Entwicklung braucht es den Einbezug von Frauen. Doch Chancengleichheit ist noch lange nicht umgesetzt. Text: Ursula Keller, Genderbeauftragte der DEZA In der Agenda 2030 zu nachhaltiger Entwicklung sind die Gleichstellung der Geschlechter und die Rechte der Frauen substanziell verankert. Dies ist ein Erfolg und ein Zeichen dafür, dass inzwischen weitgehend ­ anerkannt ist, dass Entwicklung und ­Armutsbekämpfung ohne Geschlechtergleichstellung nicht zu realisieren sind. Erfolge und Grenzen des Gendermainstreamings Werfen wir einen Blick zurück: An der Weltfrauenkonferenz in Bejing 1995 wurde Gendermainstreaming als Strategie lanciert. Das Ziel war, die Gleichstellung nicht nur mit Frauenförderungsprojekten anzugehen, sondern als Querschnitts­ thema in alle Vorhaben der Entwicklungs­ zusammenarbeit zu integrieren. Diese Politik war insofern erfolgreich, als gänzlich genderblinde Projekte, in denen die Frauen schlicht vergessen werden, inzwischen die Ausnahme sind. In der praktischen Umsetzung zeigen sich aber auch Probleme, etwa eine T ­ endenz zur Bürokratisierung und die Verwässerung durch «Gender light»-­ Ansätze. So wird zwar festgehalten, wie viele Frauen und Männer an Projektaktvitäten teilnehmen, oder es gibt Massnahmen, um den Anteil von Frauen in lokalen Entscheidgremien – wie z. B. Wasserkomitees –

zu erhöhen. Zweifellos ein Schritt in die und über­wunden werden. Ähnliches gilt richtige Richtung. Trotz Fortschritten hält für die politische Partizipation: Sie misst sich jedoch die Kluft in der ökonomischen und poli­ Empowerment muss mit tischen Partizipation von der Anerkennung und Frauen hartnäckig. Auch soziale Normen, die FrauUmverteilung der unbezahlten en und Mäd­chen benachArbeit einhergehen. teiligen, und Gewalt gegen Frauen sind nach wie vor weit verbreitet – in ­ allen Ländern und sich zwar am leichtesten anhand der nu­jeder sozialen Schicht. merischen Vertretung in Entscheidungsgremien. In­wie­fern daraus EntscheiStrukturelle Hindernisse und dungsmacht und Einfluss folgen, hängt Rollenbilder überwinden aber von sozialen und politischen MachtWir müssen daher wieder vermehrt nach verhältnissen in Familie und Gesellschaft den strukturellen Ursachen von Ungleich- ab. Um Gleichberechtigung zu erreichen, heit fragen. Ökonomisches Empower- müssen ­daher Männer «mit im Boot sein» ment von Frauen ist nicht nur eine Frage – als direkte Zielgruppe, wenn es um die des besseren Zugangs zu Stellen, Fähig- Reflexion von Rollenbildern, Macht und keiten und Finanzen. Strukturelle Hin­ Gewalt geht, und als Alliierte für die Akdernisse, etwa die ungleich verteilte, zeptanz von sozialen Veränderungen und kaum wertgeschätzte unbezahlte Arbeit, Frauenrechten. sind mitzuberücksichtigen. Dass sie Als universelles Programm ermöglicht hauptsächlich von Frauen zusätzlich zur die Agenda 2030 einen neuen Zugang Erwerbs­ arbeit geleistet wird, bedeutet zu partnerschaftlichem Dialog, den es Mehrbelastung und verhindert, dass unbedingt auch für die Gleichstellung Frauen nachhaltig der Armutsspirale der Geschlechter und die Durchsetzung entkommen. Ökonomisches Empower- der Frauenrechte zu nutzen gilt. Denn ment muss daher mit einer Anerkennung neben Projekten an der Basis braucht es und Umverteilung der unbezahlten Ar- auch politische Rahmenbedingungen, beit ­einhergehen. Dies ist nur möglich, die solche Veränderungen zulassen und wenn gängige Rollenbilder hinterfragt fördern.


14 PINGPONG SOLIDAR-SUDOKU 6 1

Spielregeln

8

7 8

4

2 7

9 5

2

9

4

1

8 1

6

5

7

3

4 9

7

Lösungswort

9

Füllen Sie die leeren Felder mit den Zahlen von 1 bis 9. Dabei darf jede Zahl in jeder Zeile, jeder Spalte und in jedem der neun 3x3-Blöcke nur einmal vorkommen. Das Lösungswort ergibt sich aus den schraffierten Feldern, waagrecht fortlaufend, nach folgendem Schlüssel: 1=N, 2=U, 3=D, 4=E, 5=G, 6=L, 7=A, 8=B, 9=I Schicken Sie das Lösungswort an Solidar Suisse – mit einer Postkarte oder per E-Mail an: kontakt@solidar.ch, Betreff «Rätsel». 1.  Preis 2. Preis 3. Preis

eine Schürze aus Bolivien ein Schal aus Burkina Faso eine Tasche aus Bolivien

Einsendeschluss ist der 16. März 2018. Die Namen der GewinnerInnen werden in der Solidarität 2/2018 veröffentlicht. Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Von der Teilnahme ausgeschlossen sind Mitarbeitende von Solidar Suisse. Das Lösungswort des Rätsels in Solidarität 4/2017 lautete «Ungleichheit». Ursula Müller aus Schaffhausen und Ursula und Fritz Fuhrer aus Ependes haben einen Schal, Kurt Binggeli aus Spiez hat Hirseguetzli gewonnen. Wir danken den Mitspielenden für die Teilnahme und den Solidar-Partnerorganisationen ADDI und ATY in Burkina Faso für die Preise.

EINLADUNG

NOTIZ

Generalversammlung Solidar Suisse 2018 Am Dienstag, 8. Mai, um 16 Uhr im Volkshaus, Blauer Saal, Stauffacherstr. 60, 8004 Zürich

Südafrika: Cyril Ramaphosa ist ANC-Präsident

Programm 16 Uhr: Statutarische Geschäfte Eingeladen sind die Mitglieder von Solidar Suisse. Bitte melden Sie sich per E-Mail (kontakt@solidar.ch) oder Telefon (044 444 19 19) bis zum 29. März an. 18 Uhr: Öffentliche Veranstaltung So kämpft Solidar Suisse für ArbeitsmigrantInnen in Südostasien Aufgrund des Einkommensgefälles zwischen den Ländern migrieren in Südostasien viele Menschen, um zu arbeiten. Dies tun sie meist unter sehr prekären Bedingungen; sie haben keinen legalen Status und sind Ausbeutung und Diskriminierung ausgesetzt. Ein Kurzfilm der Solidar-Partnerorganisation Mekong Migration Network bietet einen Einblick in die Situation von MigrantInnen aus Burma und Kambodscha in Thailand. Anschliessend erzählt Sanjiv Pandita, Solidar-Koordinator für faire Arbeit in Asien, wie Solidar Suisse sich für die Rechte von ArbeitsmigrantInnen einsetzt und ihre Integration in die lokale Gesellschaft fördert. Fotos von John Hulme zum Thema geben einen visuellen Eindruck. www.solidar.ch/agenda

Am 18. Dezember 2017 hat der ANCParteitag Cyril Ramaphosa mit knapper Mehrheit zum neuen Parteipräsidenten gewählt. Er tritt damit die Nachfolge von Jacob Zuma an und hat gute Chancen, 2019 Präsident von Südafrika zu werden. «Cyrill Ramaphosa wird versuchen, die krasseren ­Formen von Korruption der Mittelklasse-UnterstützerInnen Zumas anzugehen. Vermutlich mit bescheidenem Erfolg a­ ngesichts der tiefen Verwurzelung von Korruption im ANC», kommentiert Ighsaan Schröder von der SolidarPartnerorganisation CWAO. «Aber Ramaphosas politisches Projekt ist ein anderes: günstigere Bedingungen für Big Business zu schaffen, damit sie auf Kosten der Arbeitnehmenden Profite machen können. Deshalb haben die Ratingagenturen positiv auf seine Wahl reagiert.»


AKTUELL 15 ​ elix Gnehm und Barbara Burri​haben F das Steuer von Solidar Suisse übernommen und freuen sich auf die Herausforderungen.

KÄMPFEN FÜR GLOBALE FAIRNESS Seit dem 1. Dezember 2017 hat Solidar Suisse eine neue Co-Leitung. Wohin soll die Reise gehen? Interview: Eva Geel, Foto: Andreas Schwaiger Barbara, du arbeitest schon über zehn Jahre für Solidar Suisse, und du, Felix, bist seit fünf Jahren Leiter der Abteilung Internationale Programme. Wieso nun der Wechsel an die Spitze von Solidar? Barbara Burri: Ich kenne Solidar tatsächlich schon lange in verschiedensten Funktionen. Nach einer Pause bin ich wieder zurückgekommen, weil ich mich mit den Werten, den Zielen und den Menschen identifiziere. So ist für mich zentral, dass wir konsequent mit engagierten, professionellen und gut verankerten Partnerorganisationen in den Ländern zusammenarbeiten. Felix Gnehm: In der Führungsposition können wir die Entwicklung von Solidar noch mehr voranbringen. Es ist eine tolle Chance, dies mit Barbara zu tun, die meine Visionen teilt, aber ganz andere Stärken hat: Sie ist eher prozessorientiert, ich bin eher inhaltlich ausgerichtet.

Gnehm: Das Herzstück unserer Arbeit – unser Einsatz für Menschenrechte, gegen Ausbeutung und für globale Fairness – bleibt bestehen. Benachteiligte Menschen sollen eine Stimme haben, um sich in ­politische Prozesse einbringen und sich gegen Ausgrenzung wehren zu können. Aber es gibt Herausforderungen, die uns sehr stark prägen werden in den nächsten Jahren. Nur ein Beispiel: Die Arbeitswelt ändert sich rasend schnell. Konzerne verschieben ihre Produktionsstätten in immer neue Länder. Um auf diese Bewegungen reagieren zu können, müssen wir unsere Kompetenzen weiterentwickeln. Burri: Die Probleme der Welt können nur grenzüberschreitend gelöst werden – wachsende soziale Ungleichheit, Ausbeu­ tung, erzwungene Migration und Klimawandel. Wir müssen uns besser vernetzen, um diese Herausforderungen gemeinsam mit anderen ­anzupacken.

Der EZA bläst ein steifer Wind ins Gesicht: Gelder werden gekürzt, Projekte von Solidar sind unmittelbar davon betroffen. Wie wollt ihr Solidar weiterbringen?

Die Kampagnenarbeit von Solidar zeigt solche Zusammenhänge auf … Gnehm: Genau. Die Spielsachen, die wir hier kaufen, werden von Frauen hergestellt, die zu einem Hungerlohn arbeiten

und ihre Kinder kaum ernähren, geschweige denn zur Schule schicken ­können. Solidar zeigt, dass wir alle etwas damit zu tun haben. Burri: Die Solidar-Kampagnen werden weltweit zur Kenntnis genommen. Unser Vorteil: Wir verbinden unsere Arbeit in den Ländern mit Kampagnen in der Schweiz. Das tun nicht viele Organisa­ tionen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Um mehr Wirkung zu erzielen, müssen wir unsere Anstrengungen noch verstärken. Die Bedingungen der ArbeiterInnen sind in vielen Ländern schlecht, Frauen sind nicht vor Gewalt, Kinder nicht vor Ausbeutung geschützt. Um ihre Situation zu verbessern, arbeiten wir vor Ort mit zivilgesellschaftlichen Organisa­tionen oder Gewerkschaften zu­ sammen. Und wir zeigen in der Schweiz, wie sie leben. Wir reden vom Lärm, vom schlechten Lohn, von den schlimmen ­Unterkünften, wir zeigen Bilder von schockierenden Zuständen. Damit sensibilisieren wir hierzulande die KonsumentInnen und machen Druck. Die Betroffenen merken dank unserer Arbeit schliesslich, dass sie nicht allein sind. Es gibt viele Herausforderungen. Wo setzt ihr Prioritäten? Burri: Wir müssen flexibler werden und trotzdem unsere Identität behalten. Die Überarbeitung unserer Strategie, die ab nächstem Jahr ansteht, ist genau das Richtige, um die Grundlage dafür zu legen. Gnehm: Wir sind felsenfest davon überzeugt, dass unsere Arbeit wichtig ist – der Einsatz für die Menschenrechte und ­gegen Ausbeutung, die Hilfe bei Kata­ strophen. Aber wir müssen das auch ­finanzieren können. Deshalb müssen wir die Wirkung unseres Tuns noch besser aufzeigen.

Eva Geel ist Leiterin Kommunikation bei Solidar Suisse.


16 © Chappatte in der NZZ am Sonntag, Zürich 5. November 2017, www.chappatte.com

NO BILLAG: ANGRIFF AUF DIE SOLIDARITÄT Warum die Explosion einer demokratie­ politischen Bombe verhindert werden muss. Text: Felix Gnehm, Cartoon: Chappatte

Wenn ich meinen Nachbarn für einen Bünzli halte, wäre es nicht eine gute Lösung, sein Haus in die Luft zu sprengen? Nein? Genauso muten jedoch die Ar­ gumente der SRG-GegnerInnen an: Das schweizerische Radio und Fernsehen hat Reformbedarf? Also weg damit. Und zwar mit der No-Billag-Initiative, die am 4. März zur Abstimmung kommt. Sie will die G ­ ebühren für die SRG abschaffen und entzieht dem öffentlichen TV und Radio damit die finanzielle Grundlage (75 Prozent der SRG-Einnahmen stammen aus dem Billag-Topf). Demokratie braucht ­Medienvielfalt  … Solidar Suisse unterstützt weltweit demokratische Prozesse und fördert zivilgesellschaftliches Engagement und Parti­ zipation. Die Meinungsvielfalt gehört da zwingend dazu. Aus unserer Arbeit rund um die Welt wissen wir: Information ist ein essenzielles Grundrecht. Auch arme, ausgegrenzte und verletzliche Menschen brauchen Zugang zu Information, die den

Namen verdient und sich nicht im quotenträchtigen Klamauk oder in der reinen Unterhaltung erschöpft.

tun wir das nicht. Erstens geben uns unsere SpenderInnen den Auftrag, die ­ Menschen hier für globale Fairness zu sensibilisieren. Dafür braucht es Medienvielfalt. Und zweitens finden politische Debatten zu brennenden globalen Themen weniger in privaten Sendern statt als in den SRG-Medien mit ihrem Versorgungs- und Informationsauftrag. Sie setzen – egal mit welchem Tenor – relevante Themen wie soziale Ungleichheit, mo­ derne Sklaverei, Jugendarbeitslosigkeit oder Flüchtlinge auf die Agenda. Im ­Blocher-TV lerne ich eher wenig darüber, wie ich mich gegen die Ausbeutung von kambodschanischen ArbeiterInnen einsetzen kann. Keine Entsolidarisierung Die Schweiz ist ein grosszügiges Land. Eine Nebenwirkung der No-Billag-Initiative wäre jedoch, dass sie der wohl schönsten, wirkungsvollsten und eindrücklichsten Solidaritätsbewegung der Schweiz den Boden entzieht: der Glückskette. Denn ohne SRG auch keine Glückskette. Und ohne die kraftvolle gemeinschaftliche Mobilisierung durch die Glückskette keine Hilfe für Millionen von Frauen, Kindern und Jugendlichen in Not. Koordinierte Hilfsaktionen wie nach dem Tsunami im indischen Ozean, dem

… international und in der Schweiz Wir dachten, der Einsatz für Demokratie, Meinungsbildung und Partizipation sei eher in unseren Schwerpunktländern in Afrika, Asien oder Lateinamerika notwendig. Nun zeigt sich aber, dass auch unsere Demokratie durch die Einschränkung der Meinungsvielfalt gefährdet ist. Es ist kein Zufall, dass hinter dem Angriff auf unsere MedienvielUnsere Demo­kratie ist durch falt vor allem f­inanziell gut dotierte Kräfte stehen, die die Einschränkung der ein hohes Eigeninteresse Meinungsvielfalt gefährdet. daran ­ haben, dass ihre eigenen Medienpro­dukte zu höheren Markt­anteilen kommen. Sie philippinischen Taifun Haiyan oder dem erhoffen sich Wachstum durch eine Erdbeben von Pakistan mit 70 000 Toten ­ schwache SRG. wären in diesem Ausmass wohl nicht Nun, Solidar Suisse könnte das Terrain in mehr möglich. dieser Debatte ja getrost anderen über- Wir sind überzeugt: Diesen demokratielassen und sich um die Menschen in fer- politischen Rückfall, diese Entsolidarisienen Ländern kümmern. Aus zwei Gründen rung dürfen wir nicht zulassen.


AKTUELL 17 Im Hauptbahnhof Zürich verteilen Kinder zusammen mit dem SolidarDrachen das Fair-Toys-Magazin.

DIE DUNKLE SEITE DER SPIELSACHEN Vor Weihnachten machte Solidar auf die unwürdigen Arbeitsbedingungen in der chinesischen Spielzeugindustrie aufmerksam. Text: Simone Wasmann, Foto: Susanne Hefti «Made in China» lese ich heute auf zwei von drei Spielsachen, die ich im Laden kaufe. Seit ich ein Gottenkind habe, ist das für mich auch privat ein Thema. Durch die Solidar-Kampagnenarbeit weiss ich natürlich ganz genau, was dahinter steckt. Spielzeugkonzerne wie Mattel, Hasbro oder Disney lassen in China billig und unter prekären Arbeitsbedingungen produzieren. Das belegt unser Toys-­ Report 2017. Überstunden, Gift und überfüllte Unterkünfte ArbeiterInnen schuften bis zu 140 Überstunden im Monat, damit wir uns über ein weiteres Weihnachtsgeschenk freuen können. Denn nur so erreichen sie einen Lohn, mit dem sie einigermassen über die Runden kommen. Auch der Arbeitsschutz ist ungenügend – mit schlimmen Folgen. Wenn beispielsweise Lösungsmittel mit Benzol zur Reini-

Druck auf die ganze Industrie nötig Um die Arbeitsbedingungen in der gesamten Spielwarenindustrie zu ändern, braucht es Druck: Deshalb engagiert sich Solidar mit investigativen Recherchen zu den Arbeitsbedingungen in ­China, Verhandlungen mit den Markenherstellern und Sensibilisierungskam­ pagnen in der Schweiz. Unsere vorweihnachtlichen Strassenaktionen in Zürich, Lausanne, Basel, Genf und Bern, bei denen wir mit einem lebensgrossen Drachen das Fair-Toys­ Magazin verteilten, haben gezeigt: Mit dem richtigen Format lässt sich das ­Interesse von Kindern und Erwachsenen gewinnen, und wir kommen ins Gespräch über die dunkle Seite der Spielwarenproduktion. Ich habe fürs Schenken inzwischen Strategien entwickelt. Am wichtigsten ist mir die Qualität: Das Material und das ­Interesse müssen lange halten. Bei Second-Hand-Spielsachen auf dem Flohmarkt greife ich dagegen gerne zu. Und wenn der Herzenswunsch mal ein ganz

gung oder in Klebstoffen eingesetzt werden, kann das zu Leukämie führen. Die Lebensumstände der Fabrik­an­ge­ stellten sind deprimierend. Meist essen und schlafen sie auf dem Kritische KundInnen Fabrikgelände und müssen dreckige Duschen und rudimen­ täre bringen die SpielwarenSchlafsäle, in die acht Per­sonen konzerne ins Schwitzen. gepfercht werden, in Kauf nehmen. Um das zu ändern, informiert Solidar spezielles Spielzeug ist, springe ich auch Suisse über den Zusammenhang zwi- über meinen Schatten. Mein Gottenkind ­ schen dem Konsum in der Schweiz und und ich schauen dann auf der Verpaden Produktionsbedingungen von Spiel- ckung, woher es kommt. Und ich erkläre zeug in China. Denn KundInnen, die ihr einmal mehr, was sich h ­ inter «Made in genau hinschauen, bringen die Spiel­ China» verbirgt. ­ warenkonzerne ins Schwitzen. Das fängt bereits bei den Kindern an. Zu Weih- Toys-Report und Fair-Toys-Magazin: nachten hat Solidar Suisse deshalb das www.solidar.ch/fairtoys Fair-Toys-Magazin lanciert: Es bietet spannende Einblicke in die Welt der Simone Wasmann ist KampagnenSpielsachen für Kinder im Alter von verantwortliche Faire Arbeit in Asien 4 bis 12 Jahren. bei Solidar Suisse.


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«ICH BEGANN MICH ZU WEHREN» Die ehemalige Strassenhändlerin Verónica López kämpft für die Rechte ihrer Ex-KollegInnen in Nicaragua. Text: Heysel Medrano, Foto: Solidar


EINBLICK 19 Damit begann Verónica López bereits mit 18 Jahren. Jung schwanger geworden, musste sie die Schule verlassen und zog zu ihrem Freund. Ihre Eltern konnten nicht für sie und ihre Tochter aufkommen. «Ich hatte kein Geld und keine Ahnung», sagt sie rückblickend. Zunächst verkaufte sie Milchreis in Ciudad Sandino, einer Stadt nahe der Hauptstadt Managua. Doch der Verdienst war zu klein. Deshalb ging ihr Freund zum Arbeiten nach Costa Rica. Dort fing er jedoch eine neue Beziehung an und liess Verónica López mit grössten finanziellen Prob­ lemen zurück. Auch sie fand eine neue ­Liebe. Er half ihr dabei, eine Garküche auf einem Markt in Managua zu installieren. Aber die Beziehung war schwierig. «Mein Freund war gewalttätig», erzählt López. «Zum Glück hatte ich mit 19 begonnen, mich bei der CTPC zu engagieren. Die Schulungen halfen mir, Selbstvertrauen aufzubauen. Irgendwann begann ich mich zu wehren.» Sie trennte sich von ihrem gewalttätigen Partner und zog zurück zu ihren Eltern. Ihren Marktstand liess sie in Managua zurück.

Verónica López hat sich mit Hilfe der Gewerkschaft CTCP eine neue Existenz aufgebaut.

«Nicht die Arbeit auf eigene Rechnung ist informell, sondern die nicaraguanische Wirtschaft», stellt Verónica López fest. Denn in Nicaragua wird etwa die Hälfte des Bruttoinlandprodukts sogenannt informell erwirtschaftet, sei es von Strassenhändlern, Putzpersonal oder Taxifahrerinnen. Die 28-jährige alleinerziehende Mutter weiss, wovon sie spricht: Sie ist die Jugendkoordinatorin in der Gewerkschaft CTCP für ArbeiterInnen auf eigene Rechnung. Und sie hat selbst als Strassenhändlerin gearbeitet.

Stets von Vertreibung bedroht Was sie in den CTCP-Kursen gelernt hatte, half ihr, sich wieder eine Existenz aufzubauen: Sie mietete einen Stand an der Universität, wo sie Erfrischungsgetränke verkaufte. Sie setzte sich für ihre Rechte und diejenigen anderer Strassen­ händlerInnen ein und übernahm immer mehr Aufgaben in der Gewerkschaft. Heute hat sie dort eine Führungsposition inne – als eine der Jüngsten und eine von ­ wenigen Frauen. «Ich begann zu glauben, dass ich etwas bewirken kann, und habe die Kraft, anderen ArbeiterInnen zu helfen – vor allem Frauen, die misshandelt wurden und emotionale Unterstützung brauchen», erzählt sie. Um dies noch b ­ esser tun zu können, begann sie, Psychologie zu studieren. Schlechter Ruf Auf eigene Rechnung Arbeitende haben einen schlechten Ruf in der Bevölkerung: «Viele sehen uns als kriminell an», weiss

López aus Erfahrung. «Dabei sind wir es, denen die Einkünfte gestohlen werden. Denn die Polizei ist mehr damit beschäftigt, uns zu vertreiben, als uns vor Kriminellen zu schützen.» Vertrieben zu werden heisst immer auch, Investitionen und Existenzgrundlage zu verlieren. Und die Arbeit im strömenden Regen oder unter der sengenden Sonne ist hart. Deshalb setzt sich die CTCP für würdige Arbeitsbedingungen und langfristige Bewilligungen ein – Fernziel ist die Integration ins Sozialversicherungssystem. Erfolgreiche Organisierung Einen grossen Erfolg erzielte die CTCP an einer zentralen Busstation in Managua. Obwohl dort die Nachfrage für die Dienste der auf eigene Rechnung Ar­ beitenden gross ist, wurden sie immer ­wieder drangsaliert und vertrieben. Nun haben sie ein verbrieftes Bleiberecht ­ ­erreicht. Sie wurden in die Planung einbezogen, und die Stadtverwaltung stellte Holzkioske zur Verfügung. Als ansprechbare CTCP-Mitglieder sorgen sie dort jetzt auch für mehr S ­ icherheit, Sauberkeit und KundInnenservice. Verónica López bestärkt diese neue Anerkennung darin, weitere Jugendliche, Frauen und Männer organisieren: «Damit ihre Bedürfnisse ­bei ­zukünftigen Projekten berücksichtigt werden.»

Heysel Medrano ist Mitarbeiterin des Solidar-Koordinationsbüros in Nicaragua.

Ihre Spende wirkt Mit Ihrem Beitrag von 100 Franken können zwei Jugendliche eine Weiterbildung besuchen, in der sie in Buchhaltung und dem Umgang mit KundInnen geschult werden und Vertrauen in ihre Fähigkeiten gewinnen. Dies trägt zu einem höheren Einkommen bei und fördert die Akzeptanz bei Behörden und in der ­Bevölkerung. www.solidar.ch/ctcp


KAMPAGNE FĂœR FAIRE SPIELSACHEN Was Solidar Suisse 2017 getan hat, um die Arbeitsbedingungen in chinesischen Spielzeugfabriken zu verbessern.


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