Solidarität 3(2019

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Das Magazin von Solidar Suisse | Ausgabe August 3/2019

IM FOKUS

Konzerne zur Rechenschaft ziehen


02 Editorial

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER

Felix Gnehm, Barbara Burri Co-Direktion Solidar Suisse

Die Forderungen der Konzernverantwortungsinitiative sind einfach: Sie will Menschen schützen, wenn ihre grund­ legenden Rechte verletzt werden, wenn ihre Gesundheit beeinträchtigt oder gar ihr Leben bedroht ist. Für Solidar Suisse ist die Initiative wichtig, damit unser globaler Ein­ satz gegen Ausbeutung und für faire Arbeit nicht vor Fabri­ ken, Konzernen und Banken haltmacht. Damit ArbeiterIn­ nen und insbesondere Frauen ein faires Einkommen erhalten, damit Kinder die Schulbank und nicht die Werk­ bank drücken. Aber braucht es sie wirklich? Können sich transnationale Firmen nicht freiwillig bessern? Die noch junge Beziehungsgeschichte zwischen Firmen und Menschenrechten zeigt, dass solche positiven Veränderun­ gen durchaus möglich sind. Einige Unternehmen haben ihre Produktion fair und nachhaltig gestaltet, nachdem heftig gegen ihr Umweltverhalten oder ihre Arbeitsrechts­ verletzungen protestiert worden ist. Auffällig ist jedoch, dass ein solcher Wandel vielfach nicht freiwillig geschah und auch viel zu selten. Solidar Suisse fordert daher zusammen mit 113 weiteren Organisationen, dass Schweizer Unternehmen und ihre Tochterfirmen nicht Menschenrechte verletzen und die Umwelt zerstören dürfen. Die Grenze zwischen Befürwor­ terInnen und GegnerInnen der Konzernverantwortungsinitiative verläuft nicht zwischen links und rechts oder zwischen Wirtschaft und NGOs. Eindrücklich wird dies auf den folgenden Seiten durch die Stimmen aus der Wirt­ schaft gezeigt. Zahlreiche Unternehmen haben mittlerweile verstanden, dass sie sich nicht hinter komplexen Lieferket­ ten verstecken und die Verantwortung auf die Herkunfts­ länder abschieben können. Sie übernehmen Verantwortung und gestalten ihre globalen Geschäftsbeziehungen fair und gerecht. Und sie setzen sich für die Initiative ein. Wie wir. Denn faire Geschäfte dürfen nicht freiwillig bleiben.

Felix Gnehm

Barbara Burri


Inhalt 03

INHALT 04

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Im Fokus – Konzern­verantwortungsinitiative 04 Unternehmen müssen für Schäden haften, die sie verursachen 08 Hier verletzen Schweizer Konzerne die Menschenrechte und Umweltstandards 09 Unternehmer Dietrich Pestalozzi macht sich für die Konzernverantwortungsinitiative stark

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10 Mit Lokalkomitees in den Abstimmungskampf: Machen Sie mit! 11 Sandra Cossart: Was das französische Gesetz für Konzernverantwortung bewirkt

12 Hingeschaut Bolivien: Jugendliche finden einen Weg aus der Arbeitslosigkeit Schweiz: Endlich ein Gesetz für nachhaltige Beschaffung

15 Festgehalten Aktuelles im Überblick

16 Anpacken Asien: Omana George kämpft für die Arbeitsrechte von prekär Beschäftigten

19 Mitkämpfen Aktiv werden mit Solidar Suisse

17 Kolumne 18 Sudoku und Medienschau 19 Impressum 20 Danke!


KONZERNVER­ANTWORTUNGSINITIATIVE

IM FOKUS –


Konzernverantwortungsinitiative 05

Glencore vergiftet Flüsse in Kolumbien. Syngenta verkauft tödliche Pestizide, die bei uns schon lange nicht mehr zugelassen sind. Socfin vertreibt BäuerInnen in Liberia. Immer wieder verletzen Konzerne mit Sitz in der Schweiz die Menschen­ rechte und ignorieren minimale Umweltstandards. Damit solchen Praktiken ein Riegel gescho­ben wird, unterstützt Solidar Suisse die Konzern­ verantwortungsinitiative.

KONZERNE MÜSSEN FÜR SCHÄDEN HAFTEN Was will die Konzernverantwortungsinitiative, warum braucht es sie und wie kann sie umgesetzt werden? Text: Katja Schurter, verantwortliche Redaktorin der Solidarität, Grafik: Konzernverantwortungsinitiative, Fotos: Brot für alle und Konzernverantwortungsinitiative

Glencore gehört zu den weltweit grössten Rohstoffkonzernen und hat seinen Hauptsitz in Baar im Kanton Zug. Immer wieder macht der Konzern mit negativen Schlagzeilen auf sich aufmerksam. Korruption, Menschenrechtsverletzungen und gravierende Umweltzerstörung gehören gemäss Recherchen von Organisationen, die sich für die Konzernverantwortungsinitiative zusammengeschlossen haben, zum Geschäftsmodell von Glencore, sei es in Kolumbien, Peru oder im Kongo. Für die Kautschuk-Plantage von Socfin in Liberia wurden Menschen von ihrem Land vertrieben, ohne entschädigt zu werden.

Konzerne müssen für Schäden geradestehen Häufig verhindern freiwillige «Corporate Social Responsibility»-Massnahmen von Konzernen nicht,


dass die Menschenrechte verletzt werden. Denn der Unternehmensgewinn zählt oft mehr als der Schutz von Mensch und Umwelt. Deshalb will die Initiative, dass die Konzerne für Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen haften, die sie oder ihre Tochterfirmen verursachen. Und sie greift mit der zivilrechtlichen Haftung auf ein bewährtes Mittel des Schweizer Rechts zurück.

Nur ein kleiner Teil der Unternehmen ist betroffen: Geltungsbereich der Initiative.

Dieses wirkt vor allem präventiv: Wenn Konzerne Gefahr laufen, für von ihnen angerichtete Schäden geradestehen zu müssen, ist Wegschauen keine Option mehr. Wiedergutmachung für Geschädigte Konkret ermöglicht die Initiative den Betroffenen, vor einem Schweizer Zivilgericht auf Schadenersatz zu klagen und eine finanzielle Kompensation für den erlittenen Schaden einzufordern. Die Beweislast liegt dabei bei der geschädigten Person. Sie muss aufzeigen, dass sie einen Schaden erlitten hat, der einen Verstoss gegen Menschenrechte oder internationale Umweltstandards darstellt, und dass der betreffende Konzern die fehlbare Tochterfirma kontrolliert. Weist die geschädigte Person alle diese Punkte nach, kann sich der Konzern dennoch aus der Haftung befreien, wenn er belegen kann, dass er die Verantwortung gegenüber seiner Tochterfirma wahrgenommen, also die Risiken abgeklärt und alle nötigen Instruktionen und Kontrollen durchgeführt hat. Für die Betroffenen bringt die Initiative endlich Zugang zu einem funktionierenden Justizsystem. Denn in vielen betroffenen Staaten sind die Rechtssysteme dysfunktional oder die Behörden korrupt. In mehreren Ländern bereits Realität In vielen anderen Ländern ist längst Tatsache, was die Initiative für die Schweiz fordert (siehe


Konzernverantwortungsinitiative 07

Die Glencore-Kohlemine El Cerrejón verschmutzt einen Fluss und macht Menschen und Tiere krank.

Seite 11). So laufen in den Niederlanden, in Kanada oder in Grossbritannien bereits heute Gerichts­ prozesse gegen Konzerne wegen Menschenrechtsverletzungen durch ihre Tochterfirmen. Die Menschenrechte und Umweltstandards einzuhalten, ist nicht eine dreiste Forderung einiger Realitätsfremder, wie es von den GegnerInnen der Initiative gern dargestellt wird: Sie entspricht vielmehr den Leitlinien der Uno und damit einem internationalen Konsens darüber, was richtig und anständig ist.

Wenn Konzerne Gefahr laufen, für Schäden zu haften, ist Wegschauen keine Option mehr. Die Konzernverantwortungsinitiative macht einige Grosskonzerne nervös. Deshalb behaupten sie, dass die Initiative den KMU schaden würde, obwohl die meisten von der Initiative ausgenommen sind (siehe Grafik). Zudem sagen sie, Konzerne würden – um ihren guten Ruf nicht zu gefährden – bereits heute auf freiwilliger Basis alles richtig machen. Diverse Beispiele von Menschenrechtsverletzungen (siehe Seite 8) sprechen eine andere Sprache. Breite Unterstützung Die meisten Schweizer Konzerne sind von der Initiative gar nicht betroffen, weil sie anständig arbeiten. Einige setzen sich jedoch über Umweltstandards hinweg und verletzen die Menschenrechte. So verschaffen sie sich durch Verantwortungslosigkeit Konkurrenzvorteile. Das will die Konzernverantwortungsinitiative unterbinden, was ihr auch immer grössere Unterstützung durch Politik und Wirtschaft einbringt. So unterstützen neben 114 NGOs aus allen Bereichen der Zivilgesellschaft – unter ihnen Solidar Suisse – auch

das «Wirtschaftskomitee für verantwortungsvolle Unternehmen» (siehe Seite 9) und die Plattform «Kirche für Konzernverantwortung» die Initiative. Sie kommt voraussichtlich im Frühling 2020 zur Abstimmung, es sei denn, das Parlament beschliesst im Herbst einen Gegenvorschlag, der das Anliegen angemessen aufnimmt (siehe Kasten). Damit es sich für Rohstoffhändler und andere Konzerne endlich nicht mehr auszahlt, Flüsse zu verschmutzen, Menschen zu vertreiben und Arbeitsrechte zu missachten.

Initiative und Gegenvorschlag Im Juni 2018 hatte der Nationalrat einen Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative angenommen, der einen Kompromiss darstellte – mit schmerzhaften Abstrichen für die InitiantInnen: Die verbindlichen Regeln gelten nur für sehr grosse Unternehmen, und die Haftungsbestimmungen sind stark eingeschränkt. Dennoch würde das Komitee die Initiative zurückziehen, wenn dieser Gegenvorschlag vom Parlament gutgeheissen würde. Denn gesetzliche Massnahmen träten so schneller in Kraft als mit einer Volksabstimmung. Im März 2019 verwässerte die Rechtskommission des Ständerats den Gegenvorschlag, sodass die Haftung faktisch verunmöglicht wird. Doch nicht einmal auf diesen weichgespülten Gegenvorschlag trat der Ständerat im März 2019 ein. Weil der Nationalrat Mitte Juni am Gegenvorschlag festhielt, liegt nun der Ball im Herbst wieder beim Ständerat. Noch ist sehr unklar, ob das Parlament tatsächlich einen akzeptablen Gegenvorschlag verabschiedet, und es ist gut möglich, dass wir 2020 über die Initiative abstimmen werden. Deshalb gilt es, möglichst viele Menschen über die Anliegen der Initiative zu informieren.


08 Konzernverantwortungsinitiative

Foto: Solidar

HIER VERLETZEN SCHWEIZER KONZERNE DIE MENSCHENRECHTE Kongo Glencore vergiftet Felder Die Glencore-Tochterfirma Kamoto Copper Company betreibt Kupfer- und Kobaltminen im Kongo. 2013 und 2014 gelangten Schadstoffe aus den Minen auf die Felder von 26 Bauernfamilien. Anfang 2018 kam es zu einer weiteren Umweltkatastrophe: Ein Deich auf dem Minengelände brach und zerstörte die Gärten und Felder von 460 Familien. Die Giftstoffe verseuchten die Böden, sodass auf den Feldern nichts mehr richtig wächst. Glencore hat nichts unternommen, um solche Umweltverschmutzungen zu verhindern. Mit der Konzernverantwortungsinitiative müsste das Unternehmen für Schäden aufkommen und den betroffenen Familien Wiedergutmachung bezahlen.

Burkina Faso Kinderarbeit in der Baumwollproduktion 250 000 Kinder schuften täglich auf Baumwoll­ feldern in Burkina Faso, wie ein Bericht von Solidar Suisse zeigt. Dabei hantieren sie mit gefährlichen Werkzeugen und sind giftigen Pflanzenschutzmitteln ausgesetzt, die zu Haut- und Atemwegserkrankungen führen. Davon profitieren auch Schweizer Baumwollhändler: die weltweit grösste Baumwollhändlerin Louis Dreyfus SA und die Reinhart AG. Diese unternehmen bis dato zu wenig, um die Situation in Burkina Faso nachhaltig und langfristig zu verbessern, waren aber nach der Veröffentlichung der Studie zu Gesprächen mit Solidar Suisse bereit. Die Annahme der Konzernverantwortungsinitiative würde dazu führen, dass Dreyfus und Reinhart alles unternehmen müssten, um nicht von Kinderarbeit zu profitieren. Foto: Public Eye

Indien Syngenta-Pestizide töten indische BäuerInnen Im zentralindischen Yavatmal wurden 800 BäuerInnen vergiftet, als sie auf Baumwollfeldern Pestizide ausbrachten. Über zwanzig von ihnen starben. Die LandarbeiterInnen verwendeten ein Insektizid, das von Syntega hergestellt wird und in der Schweiz verboten ist. Dessen Gefährlichkeit ist längst erwiesen. Das hindert Syngenta jedoch nicht daran, den Wirkstoff in Länder zu exportieren, wo er (noch) nicht verboten ist. Mit der Konzernverantwortungs­ initiative wäre das nicht mehr möglich: Da eine gefahrlose Anwendung des Pestizids nicht gewährleistet werden kann, dürfte es nicht mehr verkauft werden.

Liberia Vertreibung für Kautschuk-Plantage Weil der Kautschuk-Konzern Socfin und seine Schweizer Tochterfirmen ihre Plantagen erweitern wollen, mussten drei Dörfer weichen. Die Menschen wurden von ihrem Land vertrieben und nicht einmal entschädigt. Mit der Konzern­ verantwortungsinitiative müsste Socfin sicherstellen, dass die Menschenrechte und Umweltstandards eingehalten werden. Bei Verstössen könnte der Konzern vor Gericht zur Rechenschaft gezogen werden.


Konzernverantwortungsinitiative 09

«SICH ZU WEHREN, SOBALD ES VERBINDLICH WIRD, IST HEUCHLERISCH» Dietrich Pestalozzi hat 30 Jahre ein grosses Familienunternehmen geführt und ist überzeugt, dass die Konzern­ verantwortungsinitiative der Schweizer Wirtschaft nützen würde. Text: Katja Schurter, verantwortliche Redaktorin der Solidarität, Foto: Sandra Julius

«Dass Schweizer Firmen auch im Ausland die Menschenrechte einhalten müssen und die Umwelt nicht zerstören dürfen, ist für mich selbstverständlich», erklärt Dietrich Pestalozzi sein Engagement für die Konzernverantwortungsinitiative. «Viele tun das bereits freiwillig; für die, die es nicht tun, braucht es rechtliche Rahmenbedingungen.» Obwohl sich Pestalozzi vor fünf Jahren aus dem operativen Geschäft des Unternehmens zurückgezogen hat, ist von Ruhestand wenig zu spüren. Er ist weiterhin Verwaltungsratspräsident der Pestalozzi + Co AG, spielt Kontrabass in einem Kammer­ orchester – und engagiert sich im «Wirtschaftskomitee für verantwortungsvolle Unternehmen», das sich für ein Ja zur Konzernverantwortungsinitiative einsetzt. Pestalozzi ist sicher, dass sich die Initiative positiv auf die Schweizer Wirtschaft auswirken würde. Denn erstens sei es für Firmen gut, ihre Risiken im Griff zu haben, zweitens fänden sie mit einem guten Renommee bessere Leute, und drittens verbessere es das schlechte Image der Konzerne, wenn sie sich im Ausland korrekt verhalten. «Es ist heuchlerisch, wenn Unternehmen behaupten, sie würden ihre Verantwortung wahrnehmen, sich aber wehren, sobald es verbindlich wird», meint er. «Und es sollte doch in ihrem Interesse sein, dass auch ihre Konkurrenten die Menschenrechte und Umweltstandards einhalten müssen.» Forderungen einfach umsetzbar Die Pestalozzi + Co AG liefert Produkte aus Stahl und Metall auf Baustellen und an die metallverarbeitende Industrie. Das Familienunternehmen

mit 300 Angestellten ist in der Schweiz tätig. Die Hälfte der Rohstoffe der gehandelten Produkte stammt aus dem Ausland, zum Beispiel Aluminium und Kupfer. Hier werden Sorgfaltsprüfungen durchgeführt, zum Teil gestützt auf Labels, zum Teil mittels Lieferantenbefragung und Betriebsbesuchen. Was die Initiative fordert, findet Pestalozzi unproblematisch: «Die meisten Firmen prüfen ihre Lieferanten sowieso im Rahmen ihrer Managementsysteme. Neben Qualität, Lieferzuverlässigkeit und Preis müssten einfach Menschenrechte und Umweltstandards integriert werden.» Juristisch machbar und unternehmer­freundlich Pestalozzi engagiert sich, um der ablehnenden Haltung einiger Wirtschaftsverbände etwas entgegenzusetzen. «Ich bin schon etwas erstaunt, dass die Gegner ungeniert mit krass falschen Behauptungen operieren. Dabei ist die Initiative aus juristischer Sicht umsetzbar und unternehmerfreundlich», erklärt er. «Es werden ja nicht Schweizer Gesetze im Ausland angewendet, sondern internationale Normen – und dass im Haftungsfall Schweizer Recht gilt, ist im Interesse der Unternehmen. Denn als Unternehmer ziehe ich es vor, einen Prozess in der Schweiz zu führen, wo ich das Rechtssystem kenne.» Die 130 Mitglieder des Wirtschaftskomitees zeigen, dass die Wirtschaft keinen ablehnenden Block darstellt, sondern bezüglich der Initiative gespalten ist. Und: «Wir fahren in der Schweiz mit der Initiative keinen Sonderzug. Sie basiert auf internationalen Prinzipien der Vereinten Nationen, und in vielen Ländern gibt es ähnliche Regelungen.»


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BREITE ZUSTIMMUNG IN DER BEVÖLKERUNG Über 1000 AktivistInnen machten am ersten Aktionstag auf die Anliegen der Konzernverantwortungsinitiative aufmerksam. Text: Hannah Locher, Sekretariat der Konzernverantwortungsinitiative, Foto: Konzernverantwortungsinitiative

Die Kampagne für die Konzernverantwortungs­initi­ative nimmt Fahrt auf. Anfang Juni haben 1000 Freiwillige an 200 Orten in der ganzen Schweiz für die Konzernverantwortungsinitiative die Trommel gerührt. Die Reaktionen waren positiv: «Für viele ist es eine Selbstverständlichkeit, dass Konzerne dafür geradestehen sollen, wenn sie das Trinkwasser vergiften oder Menschen mit Gewalt von ihrem Land vertreiben», erzählt Markus Müller vom Lokalkomitee Rapperswil-Jona. Grosse Unterstützung auf lokaler Ebene Die Konzernverantwortungsinitiative kommt voraus­ sichtlich nächstes Jahr zur Abstimmung. Immer mehr Menschen aus allen politischen Lagern engagieren sich für die Initiative: Bereits jetzt haben sich schweizweit über 200 Lokalkomitees gebildet. Die Engagierten organisieren in Städten und Gemeinden Veranstaltungen und informieren mit Standaktionen die Bevölkerung. Zum Beispiel Mirjam Rüttimann aus Giswil im Kanton Obwalden: «In der Innerschweiz ist die Unterstützung für die Initiative recht gross, weil viele Menschen naturverbunden sind und es konsequent finden, dieses Anliegen zu unterstützen.» Dieses Engagement an der Basis ist für den Erfolg der Initiative zentral: Nur wenn unzählige

Menschen von Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung durch Konzerne mit Sitz in der Schweiz erfahren, hat die Initiative an der Urne eine Chance. Denn die GegnerInnen machen mit falschen Behauptungen wie zum Beispiel einer inexistenten Beweislastumkehr Stimmung gegen die Initiative. 20 000 Unterschriften an einem Tag Aus aktuellem Anlass wurden am 1. Juni auch Unterschriften für einen Protestbrief an Inter­holco gesammelt. Der Konzern mit Sitz in Baar steht in der Kritik, weil er im Kongo intakten Regenwald abholzt und so den vom Aussterben bedrohten Flachlandgorilla gefährdet. An diesem ersten Aktionstag wurden bereits über 20 000 Unter­schriften für den Protestbrief gesammelt, bei der Übergabe Anfang Juli hatten 52 000 Menschen unterschrieben. Machen Sie in Ihrem Lokalkomitee mit! Die Lokalkomitees werden in den kommenden Wochen und Monaten mit Veranstaltungen weiter auf die Konzernverantwortungsinitiative aufmerksam machen. Verena Hertig vom Lokalkomitee Aarau ist motiviert: «Wir wollen mit noch mehr Leuten aus Aarau ins Gespräch kommen. Der erste Aktionstag hat gezeigt, dass die meisten PassantInnen die Initiative eine gute Sache finden.» Interessierte, die sich in einem Lokalkomitee in ihrer Region engagieren möchten, können sich hier melden: www.konzern-initiative.ch/ lokalkomitees

In der Zürcher Gemeinde Wald unterschreiben PassantInnen den Protestbrief an Interholco.


Konzernverantwortungsinitiative 11

kungen ihrer Geschäftstätigkeit und der ihrer LieferantInnen zu kümmern.

In Frankreich gilt seit zwei Jahren ein Gesetz, das Konzerne verpflichtet, bei ihren Geschäften Mensch und Umwelt zu respektieren. Was es bewirkt, wollten wir von Sandra Cossart von der NGO Sherpa wissen. Interview: Lionel Frei, Mitarbeiter Kommunikation bei Solidar Suisse, Foto: Sherpa

Frau Cossart, als Leiterin von Sherpa setzen Sie sich dafür ein, dass Multis die Menschen­ rechte einhalten müssen. Was bewirkt das französische Gesetz zur Sorgfaltspflicht von Unternehmen? Es erlaubt, ein Unternehmen über seine ganze Lieferkette für Schäden zur Rechenschaft zu ziehen, basierend auf Prävention, Transparenz und Zugang zur Justiz für die Opfer. In der Schweiz versuchen die Lobbyverbände der Gross­­konzerne die Konzern­ verantwortungsinitiative und auch den viel schwächeren Gegenvorschlag zu verhindern. Gab es in Frankreich ähnliche Blockierungsversuche? Während des gesamten Gesetzgebungsprozesses übten gewisse Lobbys Druck auf Parlament

und Regierung aus. Die Debatte über die Sorgfaltspflicht hat sie gezwungen, das Thema – entgegen ihrer Gepflogenheiten – öffentlich zu diskutieren. Das Gesetz gilt seit 2017. Können Sie schon eine erste Bilanz ziehen? Leider nein. Unternehmen sind dem Gesetz unterstellt, wenn sie eine gewisse Mindestzahl von Angestellten haben. Wir schätzen, dass es sich dabei um 150 bis 250 Unternehmen handelt. Aber wir wissen nicht genau welche, weil die französische Regierung noch immer keine Liste dieser Firmen veröffentlicht hat. Das erschwert natürlich die Nachverfolgung. Zum Teil sehen die Unternehmen die Sorgfaltsprüfungspflicht als reines Reporting an. Es geht aber um mehr: die Pflicht, sich kontinuierlich um die Auswir-

Es wird auch gesagt, die Konzerne könnten der Sorgfaltspflicht wegen der komplexen Lieferketten nicht nachkommen. Wie sind die Erfahrungen in Frankreich? Die Unternehmen können sich nicht hinter langen Lieferketten verschanzen. Wenn diese die Einhaltung der Menschenrechte verunmöglichen, müssen die Produktionsmodelle hinterfragt werden. Das französische Gesetz zwingt die Unternehmen nachzuweisen, dass sie in ihrer Lieferkette das Risiko von Menschenrechtsverletzungen vermeiden. Sonst droht Schadenersatz für die Opfer. Können die aktuellen Initiativen in verschiedenen Ländern den Menschenrechtsverletzungen durch Konzerne ein Ende setzen? Es gibt eine generelle Tendenz, die Konzerne zur Verantwortung zu ziehen. Der Druck der Grosskonzerne auf diese diversen politischen und rechtlichen Projekte ist jedoch insofern erfolgreich, als noch zu oft nur Regelungen eingeführt werden, die bei Verstössen keine Sanktionen nach sich ziehen. Es braucht weitere Anstrengungen, damit die Multis global zur Rechenschaft gezogen werden können – so wie die Konzernverantwortungsinitiative.

NACHGEFRAGT

KONZERNE IN DIE VER ­ANTWORTUNG NEHMEN

In der Schweiz wird argumentiert, dass Unternehmen wegen zu strenger Gesetze das Land verlassen könnten. Ist dies in Frankreich geschehen? Die Arbeitgeberverbände haben auch hier stets davor gewarnt, doch es ist nichts dergleichen passiert.


«IHR SCHAFFT ES!» Die Jugendarbeitslosigkeit in Bolivien ist hoch. Ein Projekt von Solidar Suisse unterstützt Jugendliche erfolgreich beim Einstieg in die Arbeitswelt.

HINGESCHAUT

Text: Katja Schurter, verantwortliche Redaktorin der Solidarität, Foto: Vassil Anastasov

«Ich habe 2012 mein Studium der Kommunikationswissenschaft abgeschlossen», erzählt Maria Esther Gutierrez. «Aber ich habe keine Arbeit als Journalistin gefunden.» Die 29-Jährige ist eine von vielen jungen BolivianerInnen, die trotz guter Ausbildung den Einstieg in den Arbeitsmarkt kaum schaffen. Sie lebt in Viacha, einer Stadt mit 80 000 EinwohnerInnen 35 Kilometer westlich der Hauptstadt La Paz. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, speziell bei den unter 25-Jährigen, welche die Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Doch Arbeitslosenzahlen sagen wenig aus in einem Land, wo über 80 Prozent der Bevölkerung informell arbeitet, weil es kaum reguläre Arbeitsstellen gibt. Mit vereinten Kräften Nun hat es Maria Gutierrez endlich geschafft: Unser Gespräch findet während ihrer Sendung im Studio von Radio Letanias statt. Immer wieder springt die quirlige junge Frau auf, um ein Musikstück anzusagen, das Horoskop zu präsentieren oder eine Grussbotschaft zu verlesen.

Wie sollen die Jugendlichen zu Erfahrung kommen, wenn ihnen niemand eine Chance gibt? Die Festanstellung im Radio erhielt sie mit Hilfe des Solidar-Projekts «Ch’ama Wayna» – was in der indigenen Sprache Aymara «Jugendliche, ihr schafft es!» heisst. Hier werden junge Menschen von 18 bis 28 Jahren dabei unterstützt, eine Stelle zu finden oder ein eigenes Geschäft aufzubauen: mittels Runden Tischen, die Arbeitgebende, Behörden und Jugendliche zusammenbringen; über eine Arbeitsvermittlungsplattform, die von der Stadtverwaltung betrieben wird; und mit Kursen, die den Jugendlichen Sozialkompetenz, Bewerbungstechniken und die Grundlagen


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Links: Maria Gutierrez ist nun als Radiomoderatorin fest angestellt. Rechts: Mirjam Ventura schneidet einem Kunden in ihrem eigenen kleinen Salon die Haare.

der Selbständigkeit vermitteln. Die Arbeit gefällt Maria Gutierrez: «Wir bringen mit der Sendung eine gute Energie rüber.» Daniel Corbajal, der Inhaber von Radio Letanias, ist sehr zufrieden mit ihr. «Die Arbeitgebenden stellen nur Leute mit Erfahrung ein. Aber wie sollen die Jugendlichen dazu kommen, wenn ihnen niemand eine Chance gibt?», erklärt er seine Bereitschaft, bei Ch’ama Wayna mitzumachen. Runde Tische Daniel Corbajal hat am Runden Tisch teilgenommen, an dem Vereinbarungen getroffen werden, damit die Jugendlichen nicht als billige Arbeitskräfte ausgenützt werden. Auch Maria Gutierrez erhält nur dank der Unterstützung von Ch’ama Wayna von Corbajal den Mindestlohn. 94 von 283 im Projekt involvierten Jugendlichen haben in den Jahren 2017 und 2018 eine Stelle gefunden oder ein eigenes Unternehmen gegründet, 60 Prozent davon Frauen. An den Runden Tischen wurde auch erreicht, dass die Backsteinfabriken – ein wichtiger Wirtschaftszweig in Viacha – sich nicht länger weigern, Frauen anzustellen. Ein eigener Salon Mirjam Ventura ist eine der jungen Unternehmerinnen, die erfolgreich ein kleines Geschäft eröffnet haben: Zuvor hatte die 26-jährige alleinerziehende Mutter zu Hause Haare geschnitten oder sich unter schlechtesten Bedingungen als Hilfskraft in Coiffeursalons verdingt: Sie musste mehr als zwölf Stunden präsent sein, bezahlt wurde sie jedoch nur, wenn sie KundInnen hatte. Das Studium brach sie nach der Geburt ihrer Tochter ab. Dann besuchte Ventura bei Ch’ama Wayna den Kurs zu Unternehmensführung und erhielt die nötige Lizenz, um einen eigenen Salon eröffnen zu können. Die Kosten von 3000 Bolivianos (400 Franken) übernahm Ch’ama Wayna. Viele KundInnen ihres kleinen Salons kommen von der nahe gelegenen Primarschule. Lukrativer ist es, wenn sie eine Frau für die Hochzeit zurechtmacht. Da sich der Salon im Haus ihrer Eltern befindet, muss Mirjam

Ventura keine Miete bezahlen, so bleiben ihr von 200 Franken Umsatz im Monat gut 100, knapp genug, um sich und ihre Tochter durchzubringen. Sie wird auch weiterhin von Ch’ama Wayna in Geschäftsfragen beraten. Denn ohne Begleitung scheitern Startups allzu häufig. So hofft sie, irgendwann ihren Traum zu verwirklichen: «Ich möchte einen Salon führen, in dem ich auch Massagen, Make-up, Manikür, Pedikür anbieten und anderen Jugendlichen eine Chance geben kann.» Auch Maria Gutierrez hat einen Traum. Sie möchte audiovisuelle Produzentin werden und hat dazu bereits den Grundstein gelegt: «Ich habe einen Kurzfilm über junge UnternehmerInnen in Viacha gemacht, der auf YouTube zu sehen ist.»

Ihre Spende wirkt Mit Ihrem Beitrag von 50 Franken kann einE JugendlicheR einen mehrtägigen Kurs in Sozialkompetenz besuchen, in dem er/sie lernt, einen Lebenslauf zu erstellen, sich zu präsentieren und sich auf ein Vorstellungsgespräch vorzubereiten. Mit 150 Franken leisten Sie einen wichtigen Beitrag an das Startkapital für eineN JungunternehmerIn.


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ENDLICH EIN GESETZ FÜR NACHHALTIGKEIT Es ist vollbracht: Im Juni hat das Parlament ein Beschaffungsgesetz beschlossen, das die Nachhaltigkeit verankert. Auch dank der Lobbyarbeit von Solidar Suisse. Text: Katja Schurter, verantwortliche Redaktorin der Solidarität, Foto: ILO

Arbeiterinnen in einer vietnamesischen Textilfabrik nähen Jackenteile zusammen.

Endlich! Zehn lange Jahre hat es gedauert, das Bundesgesetz zur öffentlichen Beschaffung in trockene Tücher zu bringen. Und der jahrelange Kampf hat sich gelohnt: Dank intensivem Lobbying nicht zuletzt von Solidar Suisse ist es gelungen, soziale und ökologische Nachhaltigkeit im Gesetz zu verankern. Wie wichtig es ist, die Beschaffungspraxis nachhaltig auszurichten, zeigen die Zahlen: Bund, Gemeinden und Kantone kaufen jährlich für 40 Milliarden Franken Waren und Dienstleistungen ein. Die öffentliche Hand hat als Grosskonsumentin eine besondere Verantwortung. Sie ist nun aufgefordert, ihre Beschaffung sozial nachhaltig zu gestalten und dafür zu sorgen, dass sie beim Kauf von Uniformen, Pflastersteinen oder Computern auf Produkte setzt, bei deren Herstellung die ArbeiterInnen nicht ausgebeutet werden. Denn viele Güter aus dem Ausland werden unter gravierenden Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen produziert: miserable Löhne, endlose Arbeitszeiten und gefährliche Arbeitsbedingungen.

Soziale Mindestnormen Das neue Gesetz, welches das Parlament vor den Sommerferien verabschiedet hat, bietet nun eine Handhabe, um Ausbeutung zu verhindern: Der Zweckartikel legt Nachhaltigkeit in ihren drei Dimensionen – sozial, ökologisch und wirtschaftlich – fest. Und ein neuer Artikel erlaubt, über die bisherigen ILO-Kernarbeitsnormen hinauszugehen und strengere Massstäbe anzulegen. Dies ist deshalb wichtig, weil die ILO-Kernarbeitsnormen nur ganz drastische Fälle von Missbrauch abdecken wie etwa Sklaverei, Kinder- und Zwangsarbeit. Andere wichtige arbeitsrechtliche Aspekte hingegen fehlen: existenzsichernde Löhne, Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, Arbeitsverträge und ein Verbot von überlangen Arbeitszeiten. Das Lobbying der NGO-Koalition öffentliche Beschaffung hat dafür gesorgt, dass sie ins neue Gesetz integriert wurden. Damit können diese sozialen Mindeststandards nun eingefordert und kontrolliert werden. Zwar handelt es sich leider nur um eine Kann-Formulierung. Sie bietet aber endlich die notwendige Rechtsgrundlage für Beschaffungsstellen, die nachhaltig einkaufen möchten. Denn vorher bewegten sie sich in einem Graubereich und liefen sogar Gefahr, verklagt zu werden von Unternehmen, die den Zuschlag nicht erhielten, weil sie ihre Produkte zu wenig nachhaltig herstellen. Solidar fördert Umsetzung in den Gemeinden Nun müssen die neuen Möglichkeiten konsequent genutzt werden: zum Beispiel bei der Formulierung von Beschaffungsrichtlinien und im Beschaffungsalltag von Bund, Kantonen und Gemeinden. Solidar Suisse bietet mit dem Gemeinderating einen Anreiz dafür: Seit acht Jahren überprüfen wir, wie nachhaltig die Schweizer Gemeinden einkaufen. Das Rating bietet Gemeinden auch immer wieder die Möglichkeit, sich zu verbessern und von anderen Gemeinden zu lernen. Ende August erscheinen die Resultate des vierten Ratings.


Foto: ILO

ILO-KONVENTION GEGEN GEWALT

Foto: Vassil Anastasov

Festgehalten 15

BOLIVIANISCHE JUGENDLICHE TANZEN IN GENF

NEPAL: ERFOLGREICHER ABSCHLUSS DES WIEDERAUFBAUS Im April 2015 bebte in Nepal die Erde. Die Natur­ katastrophe forderte über 8000 Menschenleben, und Hunderttausende verloren ihre Häuser. In den letzten vier Jahren ermöglichte Solidar Suisse in enger Zusammenarbeit mit Helvetas den Wiederaufbau von erdbebensicheren Häusern für rund 2000 Familien und die Wiederherstellung der Wasserversorgung im stark betroffenen Distrikt Sindhupalchok. Eine externe Evaluation ergab, dass technisches Fachwissen, starke Interaktion mit den Begünstigten und Behörden sowie das hohe Engagement der MitarbeiterInnen Schlüsselfaktoren für den Erfolg waren. Ende Juni hat Solidar Suisse nun das humanitäre Engagement in Nepal beendet.

Vom 18. bis 22. November 2019 organisiert Solidar Suisse Genève in Genf Tanzaufführungen der bolivianischen Tanzgruppe Danzur aus Cochabamba, die mit der Genfer Compagnie NoTa & Guests koproduziert wurden. Im Tanz drücken Jugendliche aus Bolivien ihre Wünsche aus und setzen die Probleme der Jugendlichen im Land in Szene. Am Ende der Aufführungen setzen sich die TänzerInnen an den Bühnenrand und führen einen Dialog mit dem Publikum. Seit fünf Jahren unterstützt Solidar Suisse Genève das Projekt «LanzArte», wo Jugendliche ihre Anliegen mit künstlerischen Mitteln einbringen. Die Tanztruppe Danzur ist aus «LanzArte» hervorgegangen. Details unter: www.solidar.ch/geneve

FESTGEHALTEN

Foto: Erik Haug

An ihrer Jahreskonferenz verabschiedete die Internationale Arbeitsorganisation ILO am 21. Juni eine Konvention gegen Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt: ein Meilenstein im weltweiten Kampf für die Gleichberechtigung von Frauen und der LGBTIQ-Community. Mit der neuen ILO-Konvention 190 gibt es nun eine allgemein akzeptierte Definition der Begriffe «Belästigung» und «Gewalt» in der Arbeitswelt. Regierungen, welche die Konvention ratifizieren, werden in Zukunft Massnahmen zum Schutz der Arbeitnehmenden, insbesondere von Frauen, vor Gewalt und Belästigung ergreifen müssen – auch in der informellen Wirtschaft. Solidar Suisse erwartet von der Schweiz, dass sie die neue Konvention rasch und vorbehaltlos ratifiziert.


«ASBEST TÖTET MILLIONEN VON MENSCHEN» Omana George verteidigt mit grosser Leidenschaft die Rechte der Opfer von Berufskrankheiten in Asien.

ANPACKEN

Text und Bild: Lionel Frei, Mitarbeiter Kommunikation bei Solidar Suisse

Ich treffe Omana George zwischen zwei Sitzungen einer Konferenz in einem Café an der Place des Nations in Genf. Es geht um die Rotterdam-Konvention. Dabei wird verhandelt, wie mit Giftstoffen umzugehen ist. Die Mitarbeiterin der Solidar-Partnerorganisation Asian Monitor Resource Centre AMRC ist in die Schweiz gekommen, um die Stimme der asiatischen Asbest-Opfer hörbar zu machen. Die Rotterdam-Konvention hätte die Macht, den Handel mit dem krebserregenden Stoff, der jährlich 220 000 Menschen tötet, einzuschränken. «Aber gewisse Staaten blockieren den Prozess. Die wirtschaftlichen Interessen der Asbestunternehmen kosten Millionen von Menschen das Leben», empört sich die Spezialistin für Berufskrankheiten. Von Kerala nach Hongkong Omana George stammt aus einer christlichen indischen Mittelklassefamilie, Vater Bankier, Mutter Hausfrau. «Vor meinem Engagement bei AMRC war ich keine Aktivistin. Vielmehr musste ich mei-

ner Familie genau erklären, was meine Arbeit ist, sie verstand überhaupt nicht, was ich hier eigentlich mache», erzählt sie, noch im Rückblick amüsiert. «Aber mir war es wichtig, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Für die Rechte von Menschen zu kämpfen, ist meine Form dafür.» George hat im indischen Chennai den Master in Kommunikation abgeschlossen und zog anschliessend nach Hongkong. «Ich lebe seit vielen

Rotterdam-Konvention ohne Resultat Die 9. Konferenz der Rotterdam-Konvention hat im Frühling 2019 StaatsvertreterInnen aus der ganzen Welt zusammengebracht. Trotz der dringlichen Appelle aus der Zivilgesellschaft, den Handel mit Asbest zu verbieten, wussten die Produktionsländer, allen voran Russland, dies zu verhindern.


Jahren in dieser fantastischen Stadt. Aber meine FreundInnen beklagen sich, dass ich gar nie hier bin, sondern dauernd auf Reisen.» Weiterbildung von ArbeitsinspektorInnen in Bangladesch, Strategiekonferenz mit AktivistInnen in Korea, Unterstützung von ausgebeuteten ArbeiterInnen in Thailand: Omana George koordiniert in ganz Asien Netzwerke, die für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen. «AMRC ist überzeugt, dass die ArbeiterInnen selbst am besten wissen, was sich verbessern muss. Wir unterstützen die lokalen und nationalen Initiativen und ihre Forderungen.» ArbeiterInnen an der Basis unterstützen 2002 begann Omana George bei AMRC im Bereich Kommunikation. Heute koordiniert sie die Aktivitäten von ArbeiterInnenorganisationen, Opfergruppen, Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen. «Keine andere Organisation hat so viel regionale Expertise wie AMRC», weiss sie aus Erfahrung. George spielt auch eine zentrale Rolle im asiatischen Netzwerk für die Opfer von Arbeits- und Umweltschäden, das Basisorganisationen aus über 20 Ländern vereint. Beide Organisationen wollen Gewerkschaftsbewegungen und Opferorganisationen Know-how und Kompetenzen vermitteln, damit sich ArbeiterInnen frei äussern und ihre Gesundheit, Sicherheit und Arbeitsrechte schützen können. Für ihren Kampf um bessere Gesundheit am Arbeitsplatz wird die 47-Jährige im Herbst mit dem prestigeträchtigen Preis der American Public Health Association geehrt. Steigender Druck auf AktivistInnen Auch die immer schwierigeren politischen Rahmenbedingungen für AktivistInnen in Asien können Omana George nicht stoppen: «Der Handlungsspielraum für die Zivilgesellschaft wird in Asien immer enger. AktivistInnen werden verhaftet und können kaum noch agieren. Das autoritäre Modell Chinas verbreitet sich mit den enormen ausländischen Investitionen in der Region, und sein ökonomischer und politischer Einfluss wird immer grösser.» Doch statt sich zu beklagen, geht George lieber zurück ins Konferenzzentrum, um sich in die Debatten zur Rotterdam-Konvention einzumischen.

Solidar-Präsident

Omana George kämpft für ein weltweites Asbestverbot.

Carlo Sommaruga

Anpacken 17

Gegen die Intransparenz! Die letzten Umfragen zeigen eine breite Zustimmung der Bevölkerung zur Konzernverantwortungsinitiative. Allerdings treffen die Initiative und der Gegenvorschlag im Parlament auf grossen Widerstand. Obwohl die Forderung, dass Unternehmen mit Sitz in der Schweiz die Menschenrechte und Umweltstandards einhalten müssen, schlicht dem gesunden Menschenverstand entspricht. Aber im Parlament ist nichts selbst­ verständlich. Zunächst ist da die politische Mehrheit. Ein Resultat der letzten Wahlen – das schlimmste, das sich all jene vorstellen konnten, die sich für die internationale Solidarität, würdige Arbeit und die Verantwortung der Multis einsetzen. Bei dieser Mehrheit gehen Interessen vor Werten. Ein weiteres Problem ist der Lobbyismus, diese Krankheit unserer Demokratie. Erstens sitzen viele ParlamentarierInnen in Verwaltungsräten von Grossunternehmen und erhalten ganz diskret Tausende von Franken. Zweitens hat die absolut intransparente Präsenz unzähliger professioneller LobbyistInnen im Bundeshaus einen enormen Einfluss auf die politischen Debatten – im Verborgenen und nach wie vor gänzlich unreglementiert. Das parlamentarische Hin und Her bei der Konzernverantwortungsinitiative zeugt von diesem doppelten Druck. Es braucht also fundamentale Änderungen: Neue Mehrheiten bei den nächsten Wahlen sind ebenso unabdingbar wie strikte Vorschriften für LobbyistInnen.


18 Sudoku und Medienschau

7

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SOLIDAR-SUDOKU

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9 1

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Das Lösungswort ergibt sich aus den grauen Feldern waagrecht fortlaufend, nach folgendem Schlüssel: 1 = A, 2 = E, 3 = N, 4 = R, 5 = I, 6 = B, 7 = T, 8 = K, 9 = D

4 3 2

1

Schicken Sie das Lösungswort an Solidar Suisse – mit einer Postkarte oder per E-Mail an: kontakt@solidar.ch, Betreff «Rätsel».

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2 6

8 9

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Füllen Sie die leeren Felder mit den Zahlen von 1 bis 9. Dabei darf jede Zahl in jeder Zeile, jeder Spalte und in jedem der neun 3 × 3-Blöcke nur einmal vorkommen.

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1. Preis Ein Tuch aus Burkina Faso 2. Preis Ein T-Shirt des Projekts «LanzArte» in Bolivien 3. Preis Ein Shopper von Changemaker Einsendeschluss ist der 20. September 2019. Die Namen der GewinnerInnen werden in der Solidarität 4/2019 veröffentlicht. Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Von der Teilnahme ausgeschlossen sind Mitarbeitende von Solidar Suisse. Das Lösungswort des Rätsels in Solidarität 2/2019 lautete «Ungleichheit». Julia Ogay-Zosso aus Lausanne hat einen Rucksack des Projekts «Padem» in Bolivien, Ruth Hänggi aus Riehen ein T-Shirt vom Frauenstreik und Urs Schaub aus Stein am Rhein ein Tuch aus Burkina Faso gewonnen. Wir danken den Mitspielenden für die Teilnahme.

Lösungswort:

MEDIENSCHAU

Zyklon Idai in Mosambik: Der Ruf der Schweiz hat gelitten Swissinfo, 3. 5. 2019 Jorge Lampião, Landeskoordinator der schweizerischen NGO Solidar Suisse in Mosambik, hat den Zyklon Idai miterlebt. (…) Was sind knapp zwei Monate nach dem Zyklon die grössten Risiken für die Menschen in Ihrer Region? Jorge Lampião: Eine grosse Gefahr ist, dass die Betroffenen stark kontaminiertes Wasser trinken. Dadurch kann es zu einem Ausbruch von Cholera oder anderen Krankheiten kommen, was vor allem in den Flüchtlingslagern zu vielen Toten führen könnte. Mit der Unterstützung der Schweiz konnten wir das verhindern. (…) Hat man denn Lehren aus der Katastrophe gezogen? Idai war auch eine Lehre in Bezug auf den Klimawandel. Inwiefern? In Dombe zum Beispiel gab es schon vor fünf Jahren eine Flut. Danach

mussten Menschen an einen Ort umgesiedelt werden, der als sicher galt. Doch der Zyklon Idai hat gezeigt, dass auch dieser Ort nicht mehr sicher ist. Die Leute sagen, sie hätten seit 75 oder 80 Jahren nichts Vergleichbares erlebt. Wer weiss also, ob die sicheren Orte von heute in Zukunft noch sicher sind? (…) Erschwert wird der Wiederaufbau auch durch die wirtschaftliche Krise, in der sich Mosambik befindet. Mitverantwortlich dafür sind Kredite, welche die Credit Suisse möglicherweise illegal an staatsnahe Firmen vergeben hat. Wie erleben Sie die Folgen dieser Machenschaften? Die Leute leiden doppelt. Wir bräuchten Schulen, Gesundheitszentren, Wasserversorgung, Transportmöglichkeiten und einen besseren Schutz gegen solche Naturkatastrophen. Wir zahlen mit unseren Steuern für die Schulden, die unsere Regierung aufgenommen hat. Aber das Geld wurde nicht benutzt, um die nötige Infrastruktur aufzubauen.

Ein Schock nach dem anderen WOZ, 11. 4. 2019 Die Schweizer Hilfswerke Solidar, Helvetas und Terre des hommes sowie die Kampagne für die Entschädigung und Entschuldung im südlichen Afrika fordern in einem offenen Brief von der Credit Suisse, dass sie auf sämtliche Schuldscheine gegenüber Moçambique verzichtet und alle Gebühren, die sie mit dem Deal eingenommen hat, zurückzahlt. (…) Die NGOs halten die Kredite für illegitim, weil sie «Folge von betrügerischen und rechtswidrigen Absprachen» seien. Juan Pablo Bohoslavsky, beim Uno-Menschenrechtsrat Experte für Staatsschulden, hat sich ähnlich geäussert. «Schulden, die durch Korruption und unter Missachtung der Gesetze entstanden sind, können als ungültig betrachtet werden» (…) Während die Nothilfe laut Nadine Weber von Solidar gut angelaufen ist, bleibt völlig unklar, was in einem halben Jahr passiert. «Dann ist es eine Frage der Prioritäten und des Geldes», so Weber.


Mitkämpfen 19

AKTIV WERDEN Kämpfen Sie mit uns für globale Fairness. Dazu gibt es im Kleinen wie im Grossen viele Möglichkeiten – hier ein paar konkrete Vorschläge.

SPENDEN Kampf für faire Arbeitsbedingungen unterstützen In chinesischen Fabriken wird oft unter miserablen und gefährlichen Bedingungen gearbeitet, trotz relativ fortschrittlichen Gesetzen. Mit Rechtsberatung unterstützt die Solidar-Partnerorganisation Labour Action China die Opfer von berufsbedingten Krankheiten. Bitte kämpfen sie mit uns für faire Arbeitsbedingungen weltweit. Jede Spende hilft!

MITMACHEN Solidar-Newsletter abonnieren Mit dem Newsletter informieren wir Sie über die neusten Aktivitäten von Solidar Suisse in den Projektländern und teilen Ihnen unsere Erfolge mit. Über den Newsletter laden wir Sie zudem ein, sich an unseren Kampagnen zu beteiligen, zum Beispiel für faire Arbeitsbedingungen in den Lieferketten von Grosskonzernen und in den Spielzeugfabriken Chinas.

Infos unter: www.solidar.ch/newsletter

NACHHALTIG BESCHAFFEN Was tut Ihre Gemeinde? Bald erscheinen die Resultate des vierten Gemeinderatings von Solidar Suisse. So viel kann verraten werden: Es gibt einen neuen Rekord und eine neue Spitzengemeinde. Ganz generell haben sich die Gemeinden seit dem letzten Rating 2016 weiter verbessert. Wie Ihre Gemeinde im diesjährigen Rating abgeschnitten hat, erfahren Sie ab dem 20. August. Resultate unter: www.solidar.ch/gemeinderating

IMPRESSUM Herausgeber Solidar Suisse, Quellenstrasse 31, Postfach 2228, 8031 Zürich, Tel. 044 444 19 19, E-Mail: kontakt@solidar.ch, www.solidar.ch Postkonto 80-188-1 Mitglied des europäischen Netzwerks Solidar Redaktion Katja Schurter (verantwortliche Redaktorin), Marco Eichenberger, Lionel Frei, Eva Geel, Cyrill Rogger

Layout artischock.net Übersetzungen Milena Hrdina, Katja Schurter, Jean-François Zurbriggen Korrektorat Jeannine Horni, Catherine Vallat Druck und Versand Unionsdruckerei/subito AG, Platz 8, 8201 Schaffhausen Erscheint vierteljährlich, Auflage: 37 000 Der Abonnementspreis ist im Mitgliederbeitrag

inbegriffen (Einzelmitglieder mindestens Fr. 70.–, Organisationen mindestens Fr. 250.– pro Jahr). Gedruckt auf umweltfreundlichem Recycling-Papier. Titelbild Sicherheitsleute von Glencore attackieren im Dezember 2018 indigene Bäuerinnen vor einer Mine in Peru. Foto: zVg. Rückseite Danke für Ihre Unterstützung der Opfer von Zyklon Idai. Foto: Denis Onyodi.

MITKÄMPFEN

Spenden unter: www.solidar.ch/china


DANKE!

HILFE FÜR DIE OPFER VON ZYKLON IDAI Dank Ihrem Beitrag konnte Solidar Suisse nach dem Zyklon Idai, der Mitte März Teile Moçambiques verwüstete, den Betroffenen in den Notunterkünften sauberes Wasser zur Verfügung stellen: Dies war eminent wichtig, um Seuchen zu vermeiden. Nun reparieren wir Brunnen, damit die Menschen wieder permanent Zugang zu Trinkwasser haben.

Herzlichen Dank, dass Sie uns weiter dabei unterstützen.

www.solidar.ch/idai


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