Solidarität 4/2020

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Solidarität 4/2020  Nachgefragt 15

mit privaten Firmen zusammenzuarbeiten, stimmte mich optimistisch.

Anja Ibkendanz war zehn Jahre lang bei Solidar Suisse für Zentralamerika verantwortlich. Zum Abschied wollten wir von ihr wissen, warum sie sich für eine politische Entwicklungszusammenarbeit engagiert. Interview: Lionel Frei, Mitarbeiter Kommunikation bei Solidar Suisse, Foto: Andreas Schwaiger

Wie bist du zur Entwicklungs­ zusammenarbeit gekommen? Ich hatte zum Glück bereits in der Schule in Deutschland engagierte LehrerInnen. Sie brachten uns Nicaragua näher, wo sie Solidaritätsprojekte unterstützten. Dies war der Ursprung meiner Leidenschaft für Lateinamerika. Nach der Sekundarschule ging ich nach Nicaragua. Und bin auf dem harten Boden der Realität gelandet, die sich stark von meinen Idealen unterschied. Die HelferInnen aus dem Norden kamen häufig mit einem revolutionären Ideal, das sie auf die zentralamerikanischen Länder projizierten, die sehr gewalttätige Links-Rechts-Konflikte hatten. Mir wurde klar, wie wichtig es ist, die Realität vor Ort gut zu kennen, um handeln zu können. Diese Erfahrung hat dich aber nicht von deinem Engagement abgebracht … Ich bin nach Deutschland zurückgekehrt und habe in den 1990er Jahren ein Agrarwirtschaftsstudi-

um absolviert, um mich weiter in der Entwicklungszusammenarbeit zu engagieren. Ausserdem setzte ich mich gegen den nach dem Fall der Mauer grassierenden Rassismus ein und war in Bewegungen aktiv, die den Kapitalismus als ideales Wirtschaftssystem infrage stellten. Das war die Zeit, als Francis Fukuyama «das Ende der Geschichte» postulierte, der Neoliberalismus triumphierte und fundamentale Kritik mundtot gemacht wurde. Heute werden diese Grundsatzfragen wieder diskutiert, vor allem weil die Jungen auf die Strasse gehen. Das ist sehr erfreulich. Und was hast du nach deinem Studium gemacht? Ich habe in verschiedenen Ländern gearbeitet: auf den Philip­pinen, in Afghanistan, in Tadschikistan, wo ich vier Jahre lebte, und in El Salvador. Als ich in die Schweiz zurückkehrte, habe ich in der Zertifizierung des fairen Handels gearbeitet. Dass es möglich ist,

Ist Entwicklungszusammenarbeit für dich politisch? Absolut. Solange die Ungleichheit zwischen reichen und armen Ländern so gross ist, braucht es Entwicklungszusammenarbeit. Und sie hat eine fundamental politische Dimension. Wir unterstützen AkteurInnen der Zivilgesellschaft, die sich politisch positionieren: Frauenbewegungen, Gewerkschaften etc. Häufig sind das junge und sehr engagierte Bewegungen. Lateinamerika hat eine lange Geschichte sozialer Kämpfe. Verstehen sich Menschen in der Entwicklungszusammenarbeit nicht häufig als «politisch neutrale TechnikerInnen»? Ab den 1990er Jahren war die Entwicklungszusammenarbeit immer weniger politisch ausgerichtet und suchte technische Lösungen. Doch nun scheint sich dies zum Glück wieder zu ändern: Politische Fragen, die Nord-Süd-Beziehungen, institutionelle Themen können nicht wirklich von den eigentlich «technischen» Aspekten der Projekte getrennt werden. In diesem Sinne ist die politische Positionierung von Solidar Suisse ein enormer Vorteil.

NACHGEFRAGT

«WIR HABEN DIE IDEOLOGIE VOM ‹ENDE DER GESCHICHTE› HINTER UNS»

Und 2010 kamst du zu Solidar. Genau. Die Stelle als Verantwortliche für die Entwicklungsprogramme in Nicaragua und El Salvador war perfekt für mich. Auch die linke Positionierung war für mich ausschlaggebend. In den zehn Jahren bei Solidar Suisse habe ich vor allem die Offenheit und die Diskussionen mit KollegInnen in der Schweiz und in den Projektländern sehr geschätzt.


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