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KOMPLEXE NEUE WELT
SONDERHEFT MIT AUSGEWÄHLTEN BEITRÄGEN VOM 3. STUDENTISCHEN SOZIOLOGIEKONGRESS BERLIN 2011
Sonderheft 2 | 2012 kostenloses eJournal www.soziologiemagazin.de
Sonderheft 2 | 2012 Seite 2
EDITORIAL Liebe Leser_innen,
Neue beeindruckend und ermöglicht -
mit der Komplexität ist das so eine Sache: Wir müssen sie reduzieren, um mit zu sagen haben: nicht nur innerhalb der ihr leben zu können, hadern dann aber mit der einhergehenden Tatsache, dass die Welt eben doch irgendwie anders – vielschichtiger, größer, eigenwilliger – ist. Also bleibt uns wohl nichts anderes dentischen Soziologiemagazins vereint übrig, als uns ihnen zu stellen, den neu- einige der Beiträge des Berliner Sozioloen und alten Komplexitäten. sonders diesen Kongressband herausgeDies war das Ziel, als im Oktober 2011 in Berlin der 3. Studentische Soziologieko- eine gemeinsame Geschichte mit den ngress unter dem Titel „Komplexe neue studentischen Kongressen. So wurde ren tragen diese Kongresse als Orte des des 1. Studentischen Soziologiekongresses in Halle gegründet. Seitdem bieAustausches dazu bei, Orientierung und Überblick über alles zu bieten, was das Denken junger Soziolog_innen aus- renden. macht. Sowohl mit der Organisation der Veran- wenig von der begeisternden Stimmung staltung als auch der Auswahl der Beiträge ist es dem Berliner Team gelungen, gress begleitete. drei Tage mit konkreten Fragen zu vielmerksame Anregungen standen. Eine den 4. SSK in Bamberg, der im Oktober spiegelt nun der Inhalt dieser Sonderausgabe wieder. Die theoretische Präzision und metho- die Redaktion des Soziologiemagazins
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Inhalt Editorial
2
Vorwort
4
Verursachen Funken ein Feuer?
11
Leopold Ringel, Georg Reischauer, Daniela Suchy und Eva Wimmer
Amok und Organisation
27
Benjamin Lipp
„... es ist ein Hardlinerkurs, Familie und Promovieren“
42
Kristin Neumann
Graphical Recording
64
Zeichnungen von Ansgar Lorenz und Parastu Karimi
Hugo Chávez' „Bolivarianische Revolution“ als postkoloniale Identitätspolitik?
68
Daniel Drewski
Prostitution im feministischen Diskurs
84
Sophie Maria Ruby
Psychologische Widersprüche und Wählerverhalten
98
Jasmin Fitzpatrick, Gloria Remlein und Regina Renner
Über das Sprechen der „Einen“ und das Schweigen der „Anderen“
112
Stefan Wedermann
„Obviously I'm not a dick, right?“
124
Linus Westheuser
Neuro-Romantik?
138
Carola Klinkert
Grußwort aus Bamberg
152
Der 4. Studentische Soziologiekongress steht bevor
Impressum
156
Danksagung
157
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Res端mierende Worte vorweg...
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VORWORT KOMPLEXE NEUE WELT
tigte sich ein Forumtheater mit dem
in einem ausgedehnten Open Space gab 2011 der 3. Studentische Soziologiekongress an der Technischen Universität - strich den selbstorganisierten, ehrenamtlichen Charakter des gesamten und Kongressen eine bestehende Lücke Kongresses. tausch schließen sollte. Nach dem Debüt eine deutliche Steigerung gemessen an lich einschränken, um möglichst vielen Teilnehmenden und Beiträgen. Die Ent- Studierenden, die an eigenen wissenche Etablierung des Formats hin. tiven zuzulassen. Kongress zog über drei Tage hinweg Im Resultat bot sich damit ein sehr bunmehr als 500 Teilnehmerinnen und Teilbot sich eine unübersehbare Fülle verschiedenster Beiträgen aus der Soziolo- render widerspiegeln. Dies ist natürlich gie und ihren Nachbardisziplinen. So wurden in insgesamt 16 Panels verteilt 58 Vorträge gehalten und diskutiert. Neben dem klassischen Panel-Format gab Dennoch zeigen die Kongressbeiträge, es drei Workshops, zwei Podiumsdiskussionen – eine zum Studium zwi- Studierenden bevorzugt werden. Die schen Autonomieversprechen und tet hierbei den theoretisch-methodikusgruppendiskussion zur „komplexen
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arbeiten zu können. Die Beiträge des Kongresses bestanden überwiegend aus eigenständigen Arbeiten von Studierenden, denen sich bisher nur wenig Getausch bot. Der gesamte Kongress und viele Beiträge wurden von diesem star-
ders viele bzw. besonders hochwertige Beiträge enthielten haben. Hierzu zählten insbesondere die Panels „Geschlecht ßem Publikumsinteresse eine intensive
Feedback geprägt. Gleichzeitig ist allerdings auch ein deutliches Interesse an rierte
Behandlung
diskurstheoreti-
Publikation erkennbar, um sich mög- setzte sich aber auch in anderen Panels ches in mehreren Panels, einem Work- shop sowie in Podiums- bzw. ge Atmosphäre zum Austausch und reg- Fokusgruppendiskussionen diskutiert spielsweise in den Panels zu „Stadt und Kongress und bot somit vielen Studierenden die einmalige Gelegenheit, sich derer Universitäten auseinanderzusetzen und zu sehen, woran und wie sie ar- Anspruch, mit dem Kongress eine Art beiten. Zeitdiagnose abbilden zu können, war sehr hoch und konnte nicht in Gänze eingelöst werden. Allerdings wurden Feststellung, nach der die heutige Soziogiekongress hat unserer Ansicht nach
studentischer Ebene nur bestätigt werden. Dennoch möchten wir rückbli-
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dem Kongress erlebt haben.
-
Nach Abschluss der drei Kongresstage wollen wir nun die Beiträge nachhaltig
tiert werden kann. Vielmehr zeigt sich, raum-zeitlichen Verortung herausheben. Neben Audio- und Videomitschnitten untergraben und zur Bildung von hiKongress-Website (www.soziologieko- erarchischen quasi-organisationalen ngress.de) einsehbar sind, entstand die Strukturen beitragen. Idee, den Beitragenden eine eigenständige Publikation ihrer Arbeiten in Zu- Weiter geht es mit Benjamin Lipp aus sammenarbeit mit dem Studentischen Soziologiemagazin zu ermöglichen. Die Amok und Orga- nisation lich nicht gerecht. Zudem stehen die Ar- Um diese Diskussion als einen Diskurs tikel an dieser Stelle eher losgelöst und nur schwach verbunden durch das Kongressthema nebeneinander. Die Aus- Tageszeitung und Schule – beobachten wahl der Artikel spiegelt keine Drama- zu können, nahm der Autor eine origiturgie des Kongresses wider, sondern ist vielmehr eine Art Stichprobe, eine Tie- temtheorie mit dem diskurstheoretischen Ansatz Foucaults vor, und zwar Folgenden kurz vorgestellt werden. Der erste Artikel mit dem Titel „Entfachen Funken ein Feuer? Leopold Ringel, Georg Reischauer, Daniela Suchy und Eva Wimmer chen im Rahmen einer qualitativen -
beide Ansätze enthalten. Diese organisationssoziologisch orientierte Erweies dem Autor, die Reaktion der OrganiDie Autorin Kristin Neumann aus dem sich in ihrem Artikel „ … es ist ein Hardli-
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nerkurs, Familie und Promovieren“ der Frage, mit welchen Handlungsstrategi- tische Bestandteile im westlichen Disen junge, männliche NachwuchswisAnsprüchen von Arbeits- und Lebenswelt begegnen. Die zunehmende Flexibilisierung und Entgrenzung stellt die -
mündet diese postkoloniale Identitätspolitik in eine bedenkliche Selbstdarstellung als „antagonistischer Anderer“ zum euro-amerikanischen Westen.
- Die Autorin Sophie Maria Ruby welt können nicht länger als zwei voneinander getrennte Sphären betrachtet „Prostitution im feministischen Diskurs - der Frage, wie Prostitution diskursiv bens- und Arbeitswelt wurde von der verhandelt wird. Anhand von ErgebnisBeziehung von Prostitution und der patDer Beitrag von Daniel Drewski mit dem wird deutlich, wie viele und vor allem Titel „Hugo Chávez' ‚Bolivarianische Re- welche unterschiedlichen Deutungsanals postkoloniale Identitätspo- gebote vorhanden sind. Kann Prostituplinären Aspekt des 3. Studentischen Soziologiekongresses. Der Autor, der in gen hat, untersucht in einem eher kulkel die Identitätspolitik des venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez. Die sind Gegenstand des Artikels „Psycholo- gische Widersprüche und Wählerverhalhelden Simón Bolívar. Dadurch wird ein ten. Eine Anwendung des mikrosoziologipolitisches Identitätsangebot gemacht, schen Ansatzes und des Retrospective-Vodas sich als emanzipatorische Reaktion ting-Modells Jasmin
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Fitzpatrick, Gloria Remlein und Regina Renner - tet anhand dessen die Ambivalenzen derartiger Bestrebungen. - Der englischsprachige Artikel „Obvigischer Widersprüche, sogenannter ously I’m Not a Dick, Right? Linus Westheuser etablierten mikrosoziologischen Ansatzes der Columbia School vorgeschlagen und das eher selten benutzte Retrosorina angewendet. Die Ergebnisse be-
der Positionierung männlicher Identitäten beim kollektiven Schauen der bri-
Zusammenspiel von Fernsehshow als mediatisierter Kommunikationsebene - spräch wird deutlich, wie ganz unbesures in den politischen Einstellungen merkt gender im Alltag reproduziert wird. Anhand ausgewählter Beispiele werden kann. der transkribierten Unterhaltung zeigt Über nehmenden nutzen, um sich selbst zu das Sprechen der ‚Einen‘ und das Schwei- gegenderten Identitäten zu positioniegen der ‚Anderen‘. Ein queer/feministi- ren. scher Beitrag zur Emanzipation durch FrauenMenschenrechte Der abschließende Artikel stammt aus mit Geschlechternormen und Emanzi- „Neuro-Romantik? Der Liebesdiskurs unCaroDer Autor Stefan Wendermann la Klinkert dar, dass mit dem medialen - Leitsemantiken der romantischen und bemühungen Homosexuelle ausschließen und somit erneut regulative Ge- einer wissenssoziologischen Diskursschlechternormen reproduzieren. Die theoretische Arbeit verbindet Ansätze Interdiskurses, zeigt sich, dass in popu-
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sich zu einer allgemein verständlichen Erzählstruktur. Diese Perspektive ermöglicht der Autorin einen kritischen genden kulturellen Legitimationsmuster und deren unausgesprochene Implikationen. Im Namen des gesamten Organisationsteams des 3. Studentischen Soziologiekongresses wünschen wir euch nun eine anregende Lektüre und viele erhel-
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Verursachen Funken ein Feuer? Eine qualitative Fallstudie an der Grenze von Bildung und Wissenschaft von Leopold Ringel, Georg Reischauer, Daniela Suchy und Eva Wimmer
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1. Die Grenze von Bildung und Wis-
Es stellt eine weithin geteilte Ansicht innerhalb der Soziologie dar, dass unsere Welt in vielerlei Hinsicht komplexer geworden ist. BeobachterInnen wie Ulrich rellen Veränderung geworden sind, die sität ist ein zentraler Angelpunkt der mo- rungsschub gekennzeichnet ist. Daran gramm „Sparkling Science“ des österreiralität an Entscheidungsmöglichkeiten reale Forschungsprojekte einbindet, will - stellt, ja uns nahezu normativ mit ihr scheidung unterstützen. Der vorliegende Beitrag untersucht im Rahmen einer quali- eigenen individuellen Selbstbildes zu tativen Fallstudie ein Projekt dieses Pro- sein (Schulze 2000). Schließlich gibt es gramms hinsichtlich der Modi zur Entfa- schen Aspekt unserer modernen Gesellarchischen Struktur, die jener des doch nur bedingt ein loderndes Feuer der tieren. Vielmehr zeigt sich, wie nicht-intendeln formale Absichten unterwandern und zur Bildung von hierarchischen quasiorganisationalen Strukturen beitragen.
gime sich immer schneller ändernder Zeithorizonte leben. Gemeinsam ist diesen mehrheitlich geden AutorInnen die Überzeugung, dass soziale Routinen und Traditionen nicht mehr als Problemlösung geeignet sind
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hat, gleichzeitig aber auch mehr Unsicherheiten ausgesetzt ist. Besonders Die Frage „Was nun?“ nach dem Klang Schwelle vom Bildungs- zum Wissen- der letzten Pausenglocke stellt nicht nur ein Problem der subjektiven Handlungseine Universität einzutreten. Dies stellt praxis sowie des bildungspolitischen eine zentrale Gabelung des individuelKonsequenzen verbunden ist. samkeit. Die Forschungsarbeiten zu dieZiel des vorliegenden Beitrags ist es, den Stränge einteilen. Übergang von der Schule zur Universität unter der Perspektive eines Forschungs- Einerseits existieren Beiträge, die bioprojekts, das an der Grenze von Bildung graphische Aspekte des Übergangs von tersuchen. Die empirische Grundlage Konietzka 2010). Unter dieser Perspekti- ein Studium primär von den biographiginnt mit einem kurzen Überblick über die theoretische Auseinandersetzung z.B. Ausbildung der Eltern) abhängig. mit dem Problem der komplexen Grenze Organisationen spielen dabei eine eher untergeordnete Rolle, sie werden als eine Variable unter anderen konzipiert. eine Beschreibung des Forschungsprogramms „Sparkling Science“ (Kapitel 3) bleibt weitgehend unbeachtet. thodologischen Prämissen und des Designs dieser Fallstudie (Kapitel 4). Der chen Konsequenzen und Implikationen Folgeteil widmet sich der Darstellung der Ergebnisse (Kapitel 5). Der Artikel dieser Entscheidung in Form eines Stu6).
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ckeln, was an Universitäten „eigentlich“ - passiert, und ob ihnen die am Projekt oder gegen ein Studium. An diesem Perspektive der SchülerInnen und deren - kreative Potentiale neue, bisher unentblematik an der Grenze von Bildung und nen motiviert werden, in die Rolle von Sparkling Science 2012). - gramm ist die Kooperation von Wissennung an den Titel von Chalmers (2006), sitären Forschungseinrichtungen) und Schule (Gruppen von SchülerInnen, einzelnen oder mehreren Schulklassen, bis hin zu ganzen Schulen). Eine solche Kooperation sieht vor, dass Schule und
gramm „Sparkling Science“ ist der Idee
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Statuspassage von der Schule zur Universität gedacht. Gegenstand dieses Vorhabens ist die gemeinsame Forschung rInnen im Rahmen von ein- bis zweijährigen Projekten. Diese Zusammenarbeit scheidende Vorteile bringen: einerseits den SchülerInnen, weil diese durch den schungsarbeit eine Idee davon entwi-
gesamten Forschungsprogramm in unnisterium einerseits in der Rolle des Finanziers, der über die Vergabe und die Verteilung der Projektgelder entscheidet und andererseits in der Rolle des entscheidungsverantwortlichen Generalisten aktiv, der standardisierte Projektren Einhaltung bei allen „Sparkling -
Das vom österreichischen Bundesminis-
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pierenden Organisationen erzeugt. Dievorab mit den verantwortlichen EntscheidungsträgerInnen abgesprochen da in Projekten Aushandlungsprozesse wird und zur Einhaltung der Arbeitspa- einen noch sehr viel größeren Stellenwert einnehmen als in Organisationen. Hinzu kommt, dass am Ende eines jeden Letztere werden durch eine (mehr oder Projektes die Ergebnisse in die Form ei- weniger standardisierte) Formalstruknes Forschungsendberichts gebracht teriums einen wertvollen Beitrag zur Eigenart von Organisationen im Unterschied zu anderen sozialen Phänomenen einem besseren Verständnis des untersuchten Gegenstandes dienen soll. gegen ist in gesteigertem Ausmaß unterdeterminiert, da – mit Ausnahme der Da es sich bei dem untersuchten „Sparkling Science“-Projekt um eine Kooperation Abbildung 1: Intendierte Struktur von Projekten des zweier voneinander zu un- Programms „Sparkling Science“ (Eigene Darstellung, terscheidender Organisatio- nach Dokumentation des Ministeriums) nen (außeruniversitäres Forschungsinstitut und Schule) kann das Projekt selbst keine sation im Sinne Renate Partizipierenden
immer der des Forschungsinstituts bzw. der Schule sind, und als nisationen am Projekt teilnehmen. Daher wird auch
mitzuwirken, nicht im Projekt, sondern von den partizi-
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oben genannten Vorgaben – keinerlei chien und dergleichen existieren. Abbilüber, wie Projekte innerhalb des Forschungsprogramms strukturiert sein sollten, zusammen.
-
ruktion der empirischen Wirklichkeit ForscherInnen, LehrerInnen und SchülerInnen stehen sich demnach als gleich- kussieren die Wirklichkeitskonstruktiberechtigte PartnerInnen gegenüber. In onen und Ordnungsvorstellungen der AkteurInnen und rekonstruieren die Redie Position der LehrerInnen nicht vor- geln, die in sozialen Prozessen wirksam gesehen. Sie stellen jedoch in der Schule Rekonstruktionen dieser Art eignet sich zwischen den SchülerInnen und der OrSinne der hermeneutischen Fallrekonst-
Eine solche Projektstrukturierung setzt Dabei wird angenommen, dass ein jeder voraus, dass die Beiträge der drei teilneh- Fall in der Auseinandersetzung mit den menden Gruppen gleichermaßen von Eigenlogik entwickelt. ist anzunehmen, dass die Kommunikationsstruktur – auch wenn es eine Pro- Die Wahl des zu rekonstruierenden Faljektleitung gibt – in erster Linie diskur- les, d.h. des Projekts innerhalb des Forschungsprogramms „Sparkling SciKompetenzen aller TeilnehmerInnen Überlegungen. Erstens: Um in-vivo-Erzusammen, um so etwas Neues entste- hebungen zu ermöglichen, sollte es sich Programmnamen: Es soll zwischen Bil- Zweitens sollte der Inhalt des Projekts den Einsatz von multiplen ErhebungsFunkenschlag institutionalisiert wer- Zugang zu allen in einem Projekt involvierten Parteien gewährleistet sein.
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on diente Sprachmaterial (Hildenbrand samt wurden zwei qualitative Einzelinterviews und ein Gruppeninterview ge-
teilung und Anschlussoptionen. Über eine extensive Auslegung kleinster Gewurden im ForscherInnenteam unter Ausschluss des Kontextes unterschiedli-
Weise wurde entschieden, welche anschließende hermeneutische Interpretation grundlegend. Dabei wurden - pretationsprozess als schlüssig erwieGrundprinzipien wurden von den ForscherInnen erst gegen Gesprächsende - die die Fallstruktur darstellen (Lueger - 2010). ristika der zentrierten sozialen Einhei- Zusätzlichen wurden teilnehmende Beoperation und deren Folgen bezogen. Das Gesprächsmaterial wurde transkri- ten, die sich durch das Erzeugen unmittelbarer sinnlicher Eindrücke auszeich- nen. Der Fokus in den Erhebungsden Regeln zu rekonstruieren (Oevermann 2002). Für die Interpretation wurin Situationen, die die Umsetzung von Logik der Auswahl und ihre Bedeutung tention, latente Bedeutung, Rollenver-
die Erschließung des Sinnkontexts des Beobachteten abzielte (Lueger 2010).
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Abbildung 2: Nichtintendierte Struktur des beforschten Projekts innerhalb des Forschungsprogramms „Sparkling Science“ (Eigene Darstellung, nach Analysen der erhobenen Daten)
Die im Rahmen der Fallstudie erhobenen
5.1) die Beschreibung der Hierarchie (Wie sieht diese Hierarchie konkret erarchie (Wie kam es zu dieser Hierar-
Bild, dass von der Selbstbeschreibung der Projektstruktur deutlich abweicht: Es lässt sich eine eindeutig hierarchische der Hierarchie (Welche Folgen hat dies Über- bzw. Unterordnung der partizipierenden Gruppen rekonstruieren (siehe Abbildung 2). An der Spitze stehen die ForscherInnen des Forschungsinstituts, 5.1 Beschreibung der Hierarchie SchülerInnen.
dungskommunikation reibungslos ge-
jektstruktur kann in drei zentrale As- sich bei dem Projekt eben nicht um eine
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Organisation handelt und keine stanvom [Name Forschungsinstitut] und wir Die Entscheidungskommunikation wird in diesem Fall über eine hierarchi- gebeten worden, Anregungen zu geben, sche Ordnung der Zusammenarbeit er- Wünsche zu äußern, so so [sic!] den leichtert, die eine klare Entscheidungs- schulischen Rahmen auszuloten.“ Anstruktur vorgibt. Von den Personen an der Spitze der Hierarchieordnung wird während die Personen am unteren Ende - dungen. nehmen, jedoch über ihr Handeln nicht nen Entscheidungen problemlos durch- jekts entspricht den Hierarchien in stark gesetzt und Entscheidungsprobleme vermieden werden. Allerdings steht eine meinsamkeiten dieser beiden sozialen hierarchisch geregelte Entscheidungs- Einheiten werden besonders deutlich, kommunikation klar im Widerspruch zur intendierten diskursiven Entschei- von Bürokratien beobachtet werden. In bürokratisch organisierten UnternehDiese semantische Vernatürlichung, die zierung eine klare Kommunikationssprachliche Verankerung und Legiti- struktur und Verantwortungsbereiche mierung von Kompetenzzuweisungen drei (klar voneinander getrennten) Personengruppen. Unterschiede zwischen der anderen Seite eingeteilt werden könden Personengruppen zeigen sich deutlich im Sprachstil und der Wortwahl. nagement eine besondere Bedeutung zu. Während die ForscherInnen einen eher Entscheidungen nach unten zu kommuSprachstil der Klassenlehrerin bzw. der nizieren bzw. diese in konkrete, auszuSchülerInnen eher passiv („uns wurde -
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tuation: es bildet eine Schanierstelle sich somit – eingekeilt zwischen den zwei äußeren Ebenen – in einer SandWünsche und Denkweisen beider Hierarchieebenen. Diese Stelle hat im untersuchten Projekt insbesondere die Klasders viel struktureller Ballast abgeladen wird, da sie einerseits die SchülerInnen lene Unterrichtsstunden) „bei Laune nisse der ForscherInnen eingehen muss. Für die SchülerInnen bedeutet dies, dass die Entscheidungen nun nicht mehr wie im Schulalltag üblich von den LehrerInnen, sondern von den ForscherInnen ge-
den SchülerInnen den Umstieg von der Schule an die Universität zu erleichtern, andererseits ist es unabdingbar, im Rahnutzbare Ergebnisse zu erzielen und diese in Form von Forschungsendberichten um, wird Letzteres Ersterem nachgerungen der SchülerInnen. In dieser Konzeption ist das Ergebnis der For-
zialisationstechnische Wirkung des 5.2 Bildung der Hierarchie traut wird. Durch diesen wird implizites Dass in einem solchen Projekt derart - übertragen. Es geht demnach nicht so se Entwicklung entscheidende Faktor ist sehr um den Inhalt der Forschung, also um die explizite Seite, sondern um unbeoder der beteiligten Schule bzw. dem be- wusstes, verkörperlichtes Wissen, oder teiligten Forschungsinstitut verankert, schen Habitus (Krais/Gebauer 2002) als ser hierarchischen Strukturen ist in ers- Handelns. Dem impliziten Wissen ist inter Linie die widersprüchliche Zweckdedarstellbar ist. Gleichzeitig wird nicht
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nur jenes Handeln, sondern auch das Ergebnis desselben betont. Eine solche jektes nachteilig auswirkt. Diese bleibt Projektkonzeption ist daher wider- auch dann noch bestehen, wenn die Zielsprüchlich: Es wird zwar beides – Weg - zu produzieren und zu publizieren, Weg – geäußert. sensunterschied zwischen Schule und jedoch ändert. Die Ergebnisse werden in
wohingegen die SchülerInnen und LehrerInnen in jeder Hinsicht als Laien bezeichnet werden können. Dies alleine würde die Herausbildung starker Hierarchien zwischen den am Projekt teilnehmenden Gruppen sehr wahrscheinlich machen.
Zweck umgemünzt, da die Wissenhen. Dementsprechend geraten die Aktivitäten der SchülerInnen in den 5.3 Folgen der Hierarchie
das der Erreichung dieses Zwecks die- Werden die Aktivitäten der SchülerInteilung im Projekt: während die Schüle- Zweck gesehen, dann hat dies nicht nur und die Erhebung der Daten verantwortlich sind, obliegt es den Wissen- Brennpunkt des gesamten „Sparkling - Science“-Programms, denn die SchülerInnen werden unter diesen Bedingunnen erlernen im Kontakt mit den Wistel-Verschiebung, sondern macht diese tur impliziten Wissens, die den Übersogar extrem wahrscheinlich. Zudem gang von der Schule zur Universität erhat sich gezeigt, dass sich die durch die unterschiedlichen Ausgangslagen be-
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gabenteilungen (die mit Unverständnis
dass die Struktur des untersuchten Projekts stark hierarchisiert ist und in die
sind [alle SchülerInnen lachen] die einanderen diskutieren und wollen es machen weil wir müssen ja sowieso ein Projekt machen weil wir immer Projekte machen.“ Es stellt sich somit das genaue Gegenteil jener Tugenden ein, die im universitären Rahmen eine Rolle spielen (sollen): selbstbestimmtes Arbeiten in Projekten, die Entwicklung eigener Gedanken, diskussionsgesteuertes Vorgehen etc.
Grundlage dieser Strukturierung ist die Selbstbeschreibung des Projekts die For-
besteht, dass durch den basalen Kontakt rInnen implizites Wissen weitergegeschung ein Primat der Forschungsergeb- nisse sichtbar, wodurch die Arbeit mit den SchülerInnen mehr und mehr zum zu einem selbstverstärkenden Prozess. Um die SchülerInnen zu motivieren, wird. Zentrale intendierte Konsequenz dieser Verschiebung ist eine Abkehr diese Situation reagieren die ForscherInnen wiederum mit noch mehr Impul- SchülerInnen wurde als nicht intendierKlassenlehrerin wiederum mit zusätzlichen Anreizen arbeiten muss.
und einem starken Anreiz-BeitragsDenken geprägt ist. Die Ergebnisse zeigen, dass über diese Strukturen des For-
Im Rahmen einer qualitativen Fallstudie das Problem des institutionellen Überwurde ein Projekt des Forschungspro- gangs von Schule zu Universität konzipiert wurde, das gesteckte Ziel der Be-
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- schungs-)Projekt bleibt davon nicht unbeiten nur bedingt erreicht werden berührt. konnte. Diese Ergebnisse tragen zumindest drei Implikationen in sich. Erstens weisen sie
Bewältigung der Komplexität an der Funkenschläge anderer Art notwendig
Organisationsstrukturen hin. Selbst inmüsste vor allem berücksichtigt werden, ohne bewusstes Zutun der AkteurInnen hierarchische Strukturen, die nach dem bedingt mit anderen Relevanzstruktu- ren operieren als SchülerInnen und Lehdem soziologischen Neo-Institutiona- rechnen, die in ihren Auswirkungen die ursprünglichen (gut gemeinten) Intentionen konterkarieren können. Ein erster konnte gezeigt werden, dass die Kombination der organisationalen Strukturdelnden AkteurInnen) sichtbar zu malerdings zu beachten, dass jegliche Fortenz, sondern vielmehr von einem (Deu- nen vermieden und der strukturelle - den. scheinen die Binnenlogiken der beiden stalt der Organisationen, die an ihren Grenzen operieren, zu nehmen. Selbst -
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, Helen/Rosowski, Beck Orientierungsprozesse nach dem AbiBourdieu
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Weber
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- Georg Reischauer lage.
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Zucker tutionalization in cultural persistence. In: American Sociological Review, 42. Zucker Wiener Neustadt. Seine Forschungsschwerpunkte sind Organisation, Wirt-
tät Wien. Sie promoviert derzeit im Rahmen einer kumulativen Dissertation nehmen. Ihre Interessensgebiete liegen Zu den AutorInnen Leopold Ringel Eva Wimmer und Stipendiat an der philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universi- Universität Wien. Ihre Schwerpunkte und Interessen liegen im Bereich der OrProtests via Web 2.0 im historischen Ver- Ökonomien und der qualitativen Sozialvon Protesten. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Gebieten schen Soziologie und qualitativ-inter-
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Amok und Organisation Empirische und theoretische Fährten auf dem Weg zu einer operativen Diskursanalyse
Š Zeichnung von Parastu Karimi
von Benjamin Lipp
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Ein Amoklauf wie der am 11.03.2009 in
Organisationen spielen in der Diskurs- ausragende Rolle. Sie sind stets Teil dis- kursiver Felder, sichtbare objektivierte leuchtung beteiligter Organisationen, Mi- Anlagen diskursiver Strategien und lieus, Personen und schließlich des Täters selbst. Fragen werden gestellt, Erklärungen hungen. So beschreibt Foucault in gesucht und Prognosen abgegeben, wie in werden kann. Diese Dynamik ist jedoch nicht nur auf der Ebene des medialen Dis- Unzahl an zurichtenden, kontrollierenkurses, sondern auch in der Organisation Schule beobachtbar, namentlich in einem Kasernen und Schulen stellen „objektioberbayerischen Gymnasium. Der Dis- vierte“ Formen einer „panoptischen Gekurs – so lässt sich empirisch sehen – setzt sich auf mehr als einer Ebene fort. „La Naissance de la Clinique“ konstitumedizinischen Blick, welcher nicht länkönnen, bedarf es einer organisationssoziologisch fundierten Erweiterung diskursanalytischer Werkzeuge. Im Rahmen dieses Beitrages soll dies anhand einer Synthese von Niklas Luhmanns Systemtheorie und Michel Foucaults Diskurstheorie geleistet werden. Zentraler Anknüpfungspunkt ist die operative Ausrichtung beider Ziel ist es, erste Überlegungen zu einer operativ erweiterten Diskursanalyse anzustellen, um damit den Amoklauf-Diskurs nach Winnenden als Beispiel einer komplexen neuen Welt beschreiben zu können.
entdecken und lehren kann (Foucault zunächst als organisationaler Kontext der Anleitung von Individuen (Foucault 2005: 251). Trotz dieses ausgeprägten empirischen Interesses an organisatiospart Foucault die theoretischen Impli-
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von Organisation und lässt insbesondedie Reproduktion von Diskursen ungeklärt. Kurz: Will man Foucaults Dis- Foucaults Diskurstheorie verlangt nach kurstheorie auch organisationssoziolo- theoretischer Explikation. Diese soll zuOperativität und schließlich über die Etablierung eines diskurstheoretischen - dung Interaktion, Organisation und Gesche Idee der Operativität (2.1). Dabei 2.1 Operativität und operative Praxis bei soll gezeigt werden, dass hinsichtlich Luhmann und Foucault Ordnung sowohl Luhmann als auch Foucault ähnliche Antworten geben (wenn auch mit unterschiedlichem konzeptionellen Anspruch). Hieran ankursebene etabliert werden (2.2). Ausgehend von diesen theoretischen Vorüberlegungen soll schließlich empirisch gezeigt werden, wie eine Diskurs-
theorie besteht darin, wie soziale Ordnung überhaupt möglich ist, also wie es dazu kommt, dass ein sozialer Zustand achtungsperspektive heraus erscheint dies als höchst unwahrscheinlich, denn nach Luhmann können Ereignisse aus sich heraus keine Permanenz erzeugen chen sind sie bereits im Verschwinden
len sowohl der mediale Diskurs in „Süd- deshalb ausschließlich im aktuellen - Anschluss und sind bei der Konstitution sche.de“, als auch die organisationale von Zeit (also der Beobachtung anhand der Unterscheidung vorher/nachher) meren Ereignisse angewiesen (Luh-
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- nicht nur kontinuierlich mit ihrer Reduziert sich also in einer operativen Ge- produktion belastet, sondern dieser genwart ohne Zeit (ebd.: 113). Prozess ist ein „kontextbedingt beobachtbarer Zusammenhang“ (Wagner - 2008: 434). So ist zum Beispiel die wisziehungsweise der Erhalt sozialer Ordnung in Echtzeit geleistet werden. Sie eine unter vielen möglichen Beobachwird gewissermaßen nicht aus sich selbst heraus, sondern nur durch Aktualisierung, als Praxis sichtbar (vgl. Wagner 2008: 434). Soziale Ordnung ver- Diskussion ist hier von Interesse, dass dankt sich demnach permanenter Lösung praktischer Probleme, welche diedes Ereignisses nimmt deshalb eine zentrale Stellung ein (Kneer/Nassehi
Wagner 2008: 435). Zum einen existieren tig Kontexte mit jeweils unterschiedlichen Logiken. Zum anderen ist all dieDarüber hinaus ist das Fortbestehen sen Kontexten gemein, dass sie mit dem praktischen Problem des Sich-FortsetStruktur und b) von der Anschlusssu- kativen Ereignis vollzieht sich also eine teres Gedächtnis voraussetzt (vgl. Luh- terschiedlich ist. lisch generalisierten Kommunikations- Dieses praxeologische Argument existiert auch in der Diskurstheorie nach Foucault (bzw. in der an ihn anschlie- ßenden diskurstheoretischen Diskussi- on). So zeigt Hannelore Bublitz (2005: risch betrachtet stellt sie sich immer als künstlich-medialen Struktur per se verKonzeption von Operativität kommt ein
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Körperhaltungen [als] materiale Funk- (Bublitz 2005: 115). Wie Bublitz bereits tivität“ (ebd.: 111) nötig sind. Auch dis- lich keine Rolle ob es sich dabei um diskursive oder nicht-diskursive Praxen Problem sozialer Ordnung stellen das handelt. Diskurstheoretisch impliziert dies lediglich ein Umschalten von einer wenn das Ereignis durch die sich ständig vollziehende Wiederholung von Praxen scheinbar unwichtig wird (da es risch bedeutet dies zunächst, dass Disgerade dann unabdingbar, wenn es dar- kurse sich nicht nur als Literatur und - über Sprechen reproduzieren, sondern zuerhalten (da dadurch der Prozess bzw. auch in der Gestalt von Architektur, der Anschluss gewährleistet wird) (ebd.: Praktiken und Körpern. 112). theoretischen Ursprung bei Foucault rie ermöglicht jenes Umschalten einen archäologischen zu einer genealogiden: Foucaults Anstrengungen zur mulierte Anliegen umgesetzt, den „Diszu beschreiben. Praktiken sind demnach nicht nur habitualisierte Formen des Diskurses, son- nismus beschreiben kann. Foucault dern auch selbst wirklichkeitserzeu- stellt dem entgegen, dass „in einer Gedie (mediale) Einschreibung von Realität hinaus, indem sie Dinge nicht nur sichtbar und ihre Institutionen letzten konstituieren und konstruieren, son- Endes so sicher sind“ (ebd.), eine rein judern sie „in Erscheinung“ treten lassen ridische Beschreibung unvollständig
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sei. Unter dem Gesichtspunkt einer operativen Erweiterung von Foucaults Dische Funktion zu übernehmen wie Kommunikation bei Luhmann. Besteht deren Funktion vor allem in der „Ermöglichung weiterer Kommunikaticault Instanzen der Produktion (von
jedoch nicht angegangen. Im Folgenden soll nun versucht werden, dies anhand schen Unterscheidung von Interaktion, -
Unterscheidung handelt es sich um unterschiedliche Niveaus der Strukturbildung. Während sich Interaktion über wechselseitige vis-à-vis Wahrnehmung diesem Sinne konzipiert Foucault sei- konstituiert, reproduzieren sich Organisationen über Entscheidungen. Geder erreichbaren Handlungen. Ancault also jene elementaren Operationisiert. Die Ermöglichung weiterer Diskurs in Erscheinung treten lassen, - unterschiedlichen Ebenen der Strukdern beim Fortsetzen des Diskurses turbildung nach unterschiedlichen, - praktischen Anschlusslogiken. wiesen sind. Der Diskurs setzt sich von Im Rahmen des Vorhabens dieses Beitrages soll nun die Ebene der Organisati2.2 Organisation als Diskursebene teme ihre Autopoiesis über Entscheidungen (Luhmann 2000: 123-151). Eine - Entscheidung besteht dabei so lange, bis caults Diskurstheorie ein expliziter Or- an sie mit einer weiteren Entscheidung - angeschlossen wird. Eine Änderung reits Versuche unternommen, Foucault des Sicherheitskonzeptes einer Schule - kann zum Beispiel erst dann als solche (dokumentierte) Entscheidung und ver-
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antwortliche Personen verwiesen werden kann. Entscheidungen sind Beobachtungen, welche mindestens zwei Unterscheidungen implizieren. Dabei welt) nochmals unterschieden (z. B. Änderung des Sicherheitskonzepts – Keine Änderung des Sicherheitskonzepts). Das Paradoxe an Entscheidungen ist deshalb, dass sie eigentlich unentscheidbar sind, weil beide Seiten der zweiten Unterscheidung bezeichnet werden können. Luhmann nennt solche Unterscheidungen deshalb „Alternativen“ (Luhmann 2000: 134). Gleichzeitig ist aber eben diese Paradoxie des Ent-
tion von Organisation. Sie muss sich reproduzieren, dadurch dass sie entscheidet und sie diskriminiert, weil sie entscheiden muss. Was in Luhmanns Organisationstheorie als Problem der Personalentschei-
es bei dieser Form der Kontrolle von Diskursen darum geht, „den sprechenden gen und so zu verhindern, dass jederüberhaupt entschieden werden kann. mann Zugang zu den Diskursen hat“ Umwelt) ist konstitutiv, während weite- knappen bedeutet also zunächst einmal, re Unterscheidungen (Entscheidungen) gewissermaßen operativen Charakter einzubauen, welcher Subjekte ein- und haben, d. h. sie stellen sicher, dass ent- ausschließt. schieden wird (vgl. Luhmann 2005: 133). Foucault unterscheidet hier vier vertionieren: a) das „Ritual“, b) „DiskursgeZugangskontrolle durch Personalentdie „Aneignung von Wissen“.
„gehen von Exklusionen aus, um eine mie einrichten zu können“ (Luhmann -
Im Rahmen dieses Beitrages soll nun lediglich das „Ritual“ als ein möglicher Diskursebene „Organisation“ behandelt werden. Hierbei handelt es sich ein-
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von Subjekten zum Diskurs regeln (vgl. sprechender Subjekte vor allem in Orga- nisationen über (Personal-)Entscheidungen gelingen kann. Im Rahmen der oder sonstige Umstände sein, welche empirischen Studie kann dies nun an bestimmte Subjekte als „geeigneter“, andere als „weniger geeignet“ markie- werden, welche im Rahmen einer orga- nisationalen Beobachtungspraxis priten, die Verhaltensweisen, die Umstän- vilegierte Sprecherpositionen im Disde und alle Zeichen, welche den Diskurs kurs einnehmen. die vorausgesetzte oder erzwungene Wirksamkeit der Worte, ihre Wirkung nieren also – allgemein gesprochen – die Praxis, die im Diskurs erwartbar ist. metrische Verhältnis von Schülern und Lehrern (Autorität, Hausrecht, Respekt) oder aber die Verwendung von Fachvo-
Winnenden benutzt werden, das Täterdispositiv auch hinsichtlich einer organisationalen Ebene zu beobachten, welche neben
konstitutiven Bestandteil dieses Disposolches Ritual beschreiben. Diskursi- sitivs darstellt. ven Einrichtungen wie das Ritual erkurses, als dass bestimmte praktische Vorgehensweisen und Rollenverteilungen relativ klar geregelt sind und des- zweierlei Hinsicht. Zum einen soll der den müssen. Rituale regeln also zum eieine Organisation) und zum anderen die Kommunikation sowie das Verhal- ren soll mit der Erhebung zweier Expert_ ten innerhalb des Diskurses (der Organisation). werden: Ausgehend von dem im media- Täterbild soll ein Täterdispositiv anoretisch sagen, dass die Verknappung hand von Beschreibungen des schuli-
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- leme mit Gleichaltrigen und mit Mädchen hen sich als Versager“ (Käppner werden. Konkret interessiert hier die 12.03.2009). Konstitution einer speziellen Beobachtungspraxis, welche explizit und implizit Ressourcen der medialen Täterkons- nach als männlich, sozial schlecht intestabil diskursiv hervorgebracht. Neben solchen „inneren“ Charakteristika - kommen weitere „äußere“ hinzu: Konrer, als auch Schüler zu Beobachtern von - nen mit bestimmten inneren und äußestimmte Richtung“ oder weniger sichtbar sind. Ferner wird Im medialen Diskurs nach Winnenden - Organisation Schule selbst, welche als cherheitsexperten aus Politik und Poli- potentielle Täter in Betracht gezogen - werden. Diese Selektivität wird über nen wird Unbestimmtheit durch die Exklusion von weniger wahrscheinlichen und sind damit an der Konstruktion eines Täterbildes beteiligt. Was entsteht, ihre Grenzen über eine Unzahl an Ei„Es sind junge Männer, fast nie Mädchen, und interessanterweise sind es nicht die Schläger vom Schulhof und die aggressi- „bewährt“ haben zur Beschreibung von ven Typen, sondern meist stille, zurückge- trachtung des medialen Diskurses,
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kann man diesen durchaus als „die Kon- Horrorromane von Stephen King wer- den in einem Atemzug mit Werken von nung des Falls durch Kategorien der De- Platon oder Nietzsche genannt. Trotzdem verweist der Interviewpartner mit dem Zusatz, es sei „schon eine ganz beAllerdings lässt sich neben diesem medialen Täterbild eine Art Beobach- renz der Zusammenstellung. Somit - wird die Unbestimmtheit eines mögliuneindeutig eindeutiges Täterbild Schüler oder die Schülerin nicht als zu gen, zu beobachtenden Problem- oder des Interviewpartners als Sicherheitsim medialen Diskurs produzierte Täterkonstruktion an und kann demnach als dern vielmehr um die Nutzung mediabestimmter (zu erkennender) Warnsig-
ganisation vor allem in der Form der Be„Filme spielen eine Riesen-Rolle. (…) Also ren Erkennen ein medial erzeugtes Täwir haben bestimmte Filme, bestimmte Li- terbild als Ressource dient. Im Rahmen teratur: Stephen King „Rage“. Ja gut, was dieser Beobachtungspraxis lässt sich ist Rage? Ist ein Amoklauf. Die kommen auch sehr gerne. Na gut, dann tun wir noch Nietzsche und Platon dazu. Es ist schon eine ganz bestimmte Richtung.“ (IP I, Teil 2: Schüler_innen und Vorkommnissen 00:58:03-4) vorsieht. Hierbei werden sowohl Lehrer_innen, als auch Schüler_innen dazu Der Interviewpartner nennt solche An„… das haben wir wiederholt in unserem [Schul-Magazin] … immer wieder klar gemacht, wenn ihr euch um einen Mitschüler sehr unbestimmtes Täterbild zeichnet.
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halb jener Beobachtungspraxis ist dabei das können sich die Schüler aussuchen an wen. (…) Der ein oder andere sagt ›Ich habe trauenswürdige Lehrer_innen, welche den besten Draht zu meiner Deutschlehre- gewissermaßen durch die gleichwohl rin‹, dann soll er zu der gehen. Aber dann ist aber eben auch wichtig, dass die ler_innen versorgt werden. Deutschlehrerin dann nicht das mit sich ausmacht, sondern weiß, sagen wir es ein- Es sollte anhand dieses kurzen Austig“.“ (IP I, Teil 2: 00:32:44-0) zeigt werden, dass sich das Täterdispodurch sollte klar geworden sein, dass es - nicht ausreicht den medialen Amoklehrer, die Vertrauenslehrerin oder Täterdispositiv zeichnet sich vielmehr auch irgendeine andere Person des Schulpersonals in Frage. Um die Schü- organisationalen Diskursebene vollzieht, und dass dabei andere praktische, integrieren, werden teilweise Schüler_ bzw. Bezugsprobleme gelöst werden als - keiten im Schulalltag. nagement-Beraterin, die auch in BetrieExperten“ sichtbar. Als solche zeigen sie
An den bisherigen Beschreibungen sollen nun abschließend zwei Aspekte hinsichtlich der Konstitution von Täterbil-
als Sprecher hervorgebracht, „die sich auch reden trauen, sozial sich engagie- und damit gezeigt werden, was man mit ren wollen und können“ (ebd.). Die direkte Beobachtung von Schüler_innen risch sehen kann: a) die Gleichzeitigkeit wird also weniger von Lehrer_innen bestimmtheit und b) die Gleichzeitigkeit von Momenten des Wandels und des Beste- henden.
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Fasst man soziale Wirklichkeit als eine medialen Diskursebene unterscheiden - und somit die oben beschriebenen Protet man diese als einen ständigen Pro- zesse in ihrer Gleichzeitigkeit sowie in zess des Lösens praktischer Probleme. Winnenden wird permanent das Problem bearbeitet, die plötzliche Eskalation von Gewalt an Schulen durch die Beobtion und nicht zuletzt des Täters selbst zu bestimmen. Um diesen ranken sich eine Unzahl an Aussagen, Bildern und Narrativen, so dass paradoxerweise seine Unbestimmtheit unsichtbar gemacht wird und schließlich in ein uneindeutig eindeutiges Täterbild gegossen wird.
Fährten wird so eine Ambivalenz von Wandel und Struktur sichtbar. Die BeOrganisation und medialen Diskurs mit Gedächtnis aus, welches ständig durch Anzeichen in der Gegenwart aktualisiert werden kann. Dabei wirkt die Un-
vorhersehbar ist, muss darüber in Zeitungsartikeln spekuliert werden. Eben Gleichzeitig muss dieses Täterdisposi- len und Gewohnheiten erst noch erzessiert werden: Politische Entschei- kannt werden. dungen und Agenden wollen umgesetzt, Die empirische Studie hat gezeigt, dass im Schulalltag verarbeitet werden. Die Schule muss gegenüber einer bestimmbaren Vergangenheit (Winnenden) und äquat beschreiben zu können, deren - Komplexität auch theoretisch, d. h.
In der Folge entstehen neue Sicherheits- werden muss. Eine zentrale Rolle spietechniken und -praxen, Sicherheitstü- len dabei Organisationen, welche in der - diskurstheoretischen Diskussion bisernannt sowie Krisenteams einberu- dem hier vorgebrachten Vorschlag einer Geringeres versucht, als Foucaults „GeIm Gegensatz zur herkömmlichen dis- nealogie der Gegenwart“ zu einer sozisich nun eine organisationale von einer
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selbst. Deren Ausarbeitung wird noch zu leisten sein und sollte mit diesem Beiwerden. w채hlter Beispiele. Hamburg: Dr. Kovac Bublitz, Hannelore (2005): In der Zerstreuung organisiert. Phantasmen und transcript. Foucault Foucault Wissen. (Sexualit채t und Wahrheit, 1). Foucault clinique. Paris: Presses universitaires de France. Foucault scher. Foucault Suhrkamp. Foucault -
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kamp. Hanke
scher Verlag. - Luhmann
Konzepte »Diskurs« und »Aussage«. In: -Verlag Bublitz, Hannelore et al. (Hrsg.): Das Wuchern der Diskurse. Perspektiven -
, Alan/
-
, Ken (Hrsg.) -
Kneer, Georg/Nassehi, Armin (2000): cations. - Nassehi, Armin (2006): Der soziologihelm Fink. Knights, David (2002): Writing Organi- Seier al. (Hrsg.): Das Wuchern der Diskurse. Luhmann
vistische Perspektiven. Opladen: West- Wagner, Elke (2008): Operativität und Luhmann
-
Luhmann
-
Luhmann, Niklas (2000): Organisation und Entscheidung. Opladen: Westdeut-
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- Experteninterviews sche Zeitung und sueddeutsche.de) Crone, Philipp/Riedel - Lipp le in den Klassenzimmern. In den Schulen herrscht Trauer und Ratlosigkeit Rektoren denken über Prävention nach. Datei.
-
(Deutschland), S. 30.
-
Lipp
Dörries, Bernd/Beck - tei. (Deutschland), S. 3. Käppner nenberg. In: Süddeutsche Zeitung 65, Zum Autor - Benjamin Lipp -
-
des sciences humaines et sociales (Sorbonne) der Universität Descartes in PaWidmann
theorie, Französische Soziologie, Orga- nisationssoziologie, Kriminologie, -
(Deutschland), S. 34.
jaminLipp
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„... es ist ein Hardlinerkurs, Familie und Promovieren“ Zum Grenzmanagement zwischen Universität, Familie und dem eigenen Selbst von Vätern im wissenschaftlichen Mittelbau von Kristin Neumann
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mische Leben [als] ein[en] wilde[n] HaDie zunehmende Abkehr von der fordis- zard“ (Weber 2002: 481). Seitdem hat sich tisch-tayloristischen Organisation der Arbeit und die damit verbundene Flexibilisierung, Subjektivierung und Entgrenzung dieser, stellt die Arbeitnehmer_innen vor neue Anforderungen. Arbeits- und Lebens- cherheit der Karrierewege junger Wiswelt können nicht länger als zwei voneinander getrennte Sphären betrachtet werrungen vom Subjekt zunehmend ein aktives Grenzmanagement zwischen den Lebensbereichen. In diesem Beitrag soll dies am Beispiel von Vätern, die im wissensucht werden. Bereits Max Weber (2002) menhang aktueller Studien jedoch vorwiegend durch ihre Abwesenheit chaBedeutung kapitalistischer Strukturen im - rinnen, bevorzugt aus der weiblichen dem die Veränderungen innerhalb der DisBiller-Andorno et al. 2005). Des Weitediese Gruppe zu einem besonders interessanten Forschungsgegenstand. Im Rahmen zeigen auf, dass sich die Akteure unterschiedlichen Wertsphären gegenübergestellt sehen, deren Inhalte sich gegenseitig stand heraus werden verschiedene Handlungsstrategien entwickelt, um aktiv mit diesen Antagonismen umzugehen.
In diesem Beitrag soll es aber nun darum tiven Zugangs aus einer männlichen Perspektive zu untersuchen. Wie nehtelbau die Rahmenbedingungen inner-
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pus“ (Kratzer 2003: 44), der vor allem und der Familie wahr und welche Handlungsstrategien leiten sie daraus ab? Zunet werden. Im Rahmen der Grounded Dabei ließ sich die vornehmlich männli- che Erwerbsarbeit in der Vergangenheit Betrieb beschreiben (vgl. Kratzer 2003: 45). Diese objektiven Begrenzungen die Ergebnisse der Studie präsentiert zwischen Leben und Arbeit korresponwerden. dieren mit den subjektiven Grenzen zwischen der Person und ihrer ArbeitsDass Erwerbsarbeit vornehmlich Spaß machen und interessant sein soll oder
prägt durch eine „eher instrumentelle Zwangs als dem der Selbstverwirkli-
auszunutzen betrachtet wird, ist eine Begleiterscheinung der Abkehr von eisation von Arbeit (vgl. Kratzer 2003). bietet (ebd.: 45). Diese Strukturen gelten aktuell nicht als verschwunden, jedoch wird eine Erosion dieser und somit eine arbeitsverhältnis. „Normalarbeit“ als -
Als Hauptdimensionen der Entgrenzung lassen sich Selbstorganisation und ren. Selbstorganisation beschreibt dabei die Veränderung der Erwerbsarbeit
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Subjektivierung von Arbeit, als ein weiteres Phänomen, beschreibt die Erosion der Grenze zwischen Person und Arbetriebliche Rationalisierungsprozesse,
nach unten (Kratzer 2003: 46). Die Flexibung zeitlicher und räumlicher Grenzen, kann zwei Seiten annehmen. Zum einen könnte die „Erosion institutionelbeit“ (ebd.: 46) eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Leben durch die Berücksichtigung individueller Interes- teilung“, Subjektivität auszuschalten und somit eine Grenzlinie zwischen Trennung von Familie und Arbeit zur deren kann dies jedoch auch zur Unterordnung dieser lebensweltlichen Bedie Subjekte zunehmend dazu angehal- ten werden, selbst im Unternehmen mit- zugestalten. Durch „Re-Subjektivietreiben der Individuen – als ein mögliches Resultat der Flexibilisierungsten60) – Kreativität, Selbstkontrolle, Be222) verlieren die Subjekte durch diese geisterung und Engagement werden zu Entwicklung ihr „inneres Rückgrat der neuen Größen innerhalb der Erwerbsarbeit. Dieser Überschuss an GestalBoltanski heben in ihren Arbeiten zum „Geist des neuen Kapitalismus“ (2003) jekte – wie Familie – hervor, denn „wer nach einer höheren Wertigkeit strebt, des „unternehmerischen Selbst“ zusam- vierung“ (Bröckling 2012: 131). Subjektisierten Arbeitswelt ersetzen die Konti- vierung wird dabei verstanden als „ein distisch organisierten Arbeitsmarktes. nen einwirken und ihnen nahelegen,
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mutmaßen, dass Entgrenzung von Ar- beit und Leben bzw. Person und Arbeitsren und zu optimieren“ (ebd.: 131). Primär beschreibt dies die Orientierung an ge Gemeinsamkeiten mit dem ArbeitsGesamtbereich des Sozialen – zum ei- oder dem unternehmerischen Selbst nen aus sozialpolitischer Sicht, aber auch als Selbst- und Fremdanspruch an das Individuum (vgl. Bührmann 2005: 1). Neben den bereits genannten Aspekten auch jener der verstärkten „Selbst-Öko- von der Gunst seiner Gönner und der nomisierung“ in Günter Voß und Hans Sachlage vorhandener Strukturen. Die zunehmende Autonomisierung sind tenbewusst und zweckgerichtet aktiv zu gestalten – sie betreiben „eine Art hervorgehoben (Weber 2002.: 482). Das Subjekt spielt demnach in seiner Ganzheit eine entscheidende Rolle bei der Veränderung ergeben sich vermehrt neue Widersprüche zwischen der „Selbstorganisation“ und der „Fremdorgani- verschwimmen. - Lorraine Daston unterstellt der „wiskollektiven Identität, und spitzt somit Sie meint eine Identität, die „nicht unbedingt mit der eines Individuums übereinstimmen muß, die aber dennoch die Aspirationen, Eigenarten, Lebenswei-
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struktureller Ebene lässt sich der wiswird“ (Daston 2003: 110). So ließe sich sprechen, der vor allem durch Passion und harte Arbeit gekennzeichnet ist
Reimer: 2008). Dreiviertel der wissen-
2008). Diese Rahmenbedingungen eines spesen Schwierigkeiten vermuten bezüglich der Vereinbarkeit von wissenben (Daston 2003: 112). Andere Arbeiten zeitigem Anstieg der Studierendenzahlen, wächst schnell der Verdacht, zu „eine nahezu vollständige Verschmelzung von Arbeit und privatem Leben“ deutschen Universitäten geht: des wisganisation von Arbeit und der Bedeu- als Arbeitnehmer_in, sondern auch in seinem Verständnis von Privatem und kollektive Bewusstsein bzw. Subjekti- Familie. vierungsangebot in der Realität anzuDurch die zunehmende Abkehr von der sozialer Räume – Erwerbsarbeit als männlich und Familienarbeit als weib-
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lich konnotiert – lässt sich zudem auch chronitäten zwischen Wertinhalten von einer Entgrenzung der Geschlech- und gelebtem Vatersein (vgl. LaRossa Durch die steigende Frauenerwerbsquote und die zunehmende Abwendung von einem klassischen Ernährermodell lung dem tatsächlichen Verhalten vormilienarrangements. Familie lässt sich unter anderem als Netzwerk besonderer Art beschreiben, das „um verlässliche Aushandlungen. persönliche Fürsorgebeziehungen zent- Unter Verwendung der Literatur zu den die zunehmende Flexibilisierung und Entgrenzung moderner Erwerbsarbeit - sensibilisierende Konzepte (vgl. -
-
einer Form der „Herstellungsleistung“ Der Wandel innerhalb der Geschlechterdiskurse, und damit auch einhergehend die Entdeckung der „neuen Väter“ ten Geschlechterbilder erodieren. Ungeachtet dessen wird in der Literatur doch „the conduct“ nicht zeitgleich an-
(Glaser/Holton 2004: 14). Die Arbeit beUmgang mit vorhandenem Vorwissen und der Recherche relevanter Literatur tischem Ansatz steht (vgl. Strauss/Cor-
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bing (2002: 336) spricht in diesem Zu-
2004: 8).
- Datenerhebung, Interpretation und er„theoretischer Sensibilität“. Diese beder Fallauswahl – dem theoretical sam- pling – geschuldet: „sampling on the baSomit kann auch von einer „rollenden während des gesamten Forschungspro- und absichtsvollen Stichprobenziezesses ist somit Voraussetzung, ebenso schen gängigen Konzepten und jenen Kategorien die sich aus dem Datenmate-
soll bereits nach dem Sammeln erster Daten mit der Auswertung dieser begonnen werden, um somit richtungsweisend bei der Auswahl der nächsten Interviewpartner zu wirken – ein -
nicht um die Bestätigung gängiger Kon- vermieden werden (vgl. Strauss im Interview mit Legewie/Schervier-LegeIm Falle der vorliegenden Arbeit stand nach der Vereinbarkeit von Familie und Literatur beinahe lehrbuchartig erInterviewte musste lediglich, den in der einer Linearität des Forschungsprozes- Fragestellung enthaltenen Kategorien entsprechen. Interviewpartner I ist ein promovierender Soziologe an einem - noch sehr jungen Lehrstuhl in den alten keit der Prozesse“ hervor (Strübling Bundesländern, die Partnerin ist be-
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se verschiedene Kategorien ableiten, Das konkrete Auswerten der Interüber das Kodieren und damit das Entwickeln theoretischer Konzepte, die das - untersuchte Phänomen zu erklären verdung und das Alter des Lehrstuhls, die se Kategorien bestimmten die Auswahl des nächsten Interviewpartners – So- sich drei Phasen des Codierens unterziologe an einem kurz vor der Emeritierung stehenden Lehrstuhl in den neuen Bundesländern, dessen Partnerin nicht tenmaterials in dem dieses mit theoriDatengenerierung und -auswertung engenerierenden Fragen bearbeitet Dabei wurden entwickelte Konzepte werden die gewonnenen Konzepte und zur Erklärung des Phänomens immer wieder mit den neuen Daten verglichen das bestehende Beziehungsnetz darum - herausgearbeitet. Das selektive Codietegorien. So wird zunächst das Arbeitsdes Samples mit Geistes- und Naturwisden Kollegen und dem Lehrstuhl auseineinhalb bis zwei Stunden durchgedurch die leitenden Kategorien kann an meint eine besonders enge Bindung und unter Einbezug der während des zum Lehrstuhl und Kollegium, durch Prozesses gewonnenen Daten konnte lung stärker zugespitzt werden (vgl.
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können sein, dass sich der Akteur seinem/seiner Arbeitgeber_in stärker verle Anerkennung innerhalb der „Familie“ geht (vgl. Interview I). Die daraus abzuleitende Kernkategorie ist dann die „Bindung zum Lehrstuhl“, die unterschiedliche Dimensionen annehmen kann (selektives Codieren). Alle drei -
teur zu vereinende Bereiche handelt, weist. Das Fehlen des „Selbst“ in den akstärker strukturell orientierte Perspektive des aktuellen Diskurses zurückzuce“ vor allem starke Beachtung inner-
potential [und den] Ausgaben der - Gesetzlichen Krankenversicherung“ werkes lässt sich aus dem empirischen - scher Zugang, bzw. eine stärkere Oriensierender Konzepte, somit eine gegen- tierung am Subjekt scheint dabei jedoch deutlich zu kurz zu kommen. Während der Bereich der Erwerbsarbeit und Ich Flexibilität und Selbstorganisation unDie Ergebnisse zeigen, dass sich alle Be- ter den Bedingungen unsicherer Beder drei Teilbereiche Familie, Arbeit
die Prinzipien der Sicherheit, Stabilität
unterschiedlichen Logiken bzw. Ansprüche zeichnen sich vor allem durch ihre Unvereinbarkeit untereinander aus. Während in der gängigen Literatur Selbstsorge kann dagegen als verantAusprägung – Leben und Arbeit – re-
der Verantwortung gegenüber sich -
den eigenen Wünschen und Selbstansich nicht nur um zwei durch den Ak- sprüchen gerecht werden (siehe Abb. 1).
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mal nur machen, wo man sich nicht konzentrieren muss, wo man weiß, man kann keine Fehler machen, kann sich mal zutivität mit dem Kind allein] ist kein typischer Freiraum, also im Gegenteil, das ist was, was nicht mit Arbeit zu tun hat, das ist eine Auszeit, Auszeit ist vielleicht auch der tät, aber kein Freiraum […]“ (Interview I)
scheint. Die Bereiche Arbeit und Familie stellen das Risiko, dass der Akteur den von außen gestellten Ansprüchen nicht gerecht werden könnte. Es handelt sich somit um einen Bereich der persorichtetes Handeln ermöglicht wird.
terial und dem Bereich der Wissenzwei wichtige Hauptkategorien identistuhl gestellt werden und zum anderen die Bindung an den Lehrstuhl bzw. den Vorgesetzten und das Kollegium. In den jeweiligen Kategorien lassen sich zwei Pole ausmachen. Die Bindung des Wissetzter/Kollegium“ beschreiben. Die -
nente ist dabei das „Alter“ des Lehr-
Abb. 1: Konkurrierende Logiken der unterschiedlichen Sphären
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rung, ist der Druck bezüglich der Arlich geringer. So kann sich nahezu austorarbeit konzentriert werden, und die aus zu arbeiten, wird als intrinsisches und eigenes Vorankommen beschriewahrnimmt, wird sie nur bedingt als von außen wirkender Druck angesehen. Durch die Übersichtlichkeit und gerinOrganisation des Arbeitsalltags erleichtert (Interview III). Ist der Lehrstuhlinhaber oder die Lehrstuhlinhaberin jedoch noch nicht vor -
zum Lehrstuhl (Interview I & V). Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sie über geht. So gibt es gemeinsame Freizeitakterview V) – dabei verschwimmen die Verhältnisse unter den Kollegen_innen, aber auch die zum/r Vorgesetzte/n (Interview I). Die Angst vor sozialem Ausschluss wird als mögliche Sanktion zum Lehrstuhl wird nicht länger als derungen“ stark ausgeprägt, lässt sich von einer deutlichen Entgrenzung (vgl. Kratzer 2003) der Arbeit sprechen. Diese ne, sondern auch durch eine räumliche und zeitliche Entgrenzung. Während hung zwischen Arbeit, Familie und Selbst deutlich erleichtert wird (Interview III), erodieren diese Grenzen im gegenteiligen Fall (Interview I & V). So werden auch noch nachts, neben der -
turierung im Bereich der Erwerbsarbeit - kürzt (Interview I). Insgesamt lässt sich sprüche des Lehrstuhls wächst der wird dies durch eine mögliche enge Bin- nalisierung eigener Freiräume erken-
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- materials eine Dominanz der Kategor-grund der wahrgenommenen Rahmen- ien „Anspruch durch den Lehrstuhl“ bedingungen kaum bis keine Berücksichtigung mehr. Im Bereich Familie kennzeichnen sich die markanten Kategorien zum einen
können sich in einem Interview Aspekden.
Darstellung der Ergebnisse nicht mögWird ein eher klassisches Familienbild gelebt, das durch eine geschlechterspe- „Zerrissenen“ näher beleuchtet werden. werbsarbeit und Familienarbeit geprägt ist, ist es dem Akteur in erleichterter Weise möglich, die Grenzen zwischen er seine Rolle innerhalb der Familie im den Bereichen Familie, Arbeit/Wissenschieht auch in Abhängigkeit der Ausgestaltung des Arbeitsalltags. im Sinne der Erwerbsarbeit zeigt sich
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räumlich und zeitlich entgrenzt (vgl. lichkeit der Elternzeit und das damit verbundene längere Fernbleiben vom wird durch gezielte Strukturierung des Arbeitsalltags entgegengewirkt. Ist der Druck innerhalb des Bereiches Arbeit - chen Werten wahrgenommen. reich der Familie übertragen. Es gilt auch hier, den Anspruch „Flexibilität“ „[…]also ich kann jetzt auch nicht, ich kann zu erhalten. Zudem wird die Familien- jetzt diese Arbeit nicht mal kurz abgeben, also die ganze Idee Elternzeit funktioniert Auslagerung dieser an externe Betreugen den ich wirklich austauschen kann, als ebenso durch die akribische Organisati- so wie es jetzt ist […]“ (Interview V) on des Familienalltags, wodurch die FaBesonders die Anstellung innerhalb eiverliert. Vor allem die eventuelle Be- nes Projektes wird als unvereinbar mit dem Konzept der Elternzeit betrachtet, sensvorrates eine personelle Abhängig- keit gegeben ist. Als alternative Strate- gie zum Verzicht kann jedoch die ElAbb. 3: Typengenerierung
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- gendwann schnell realisiert man, dass den, wobei auch hier die Betreuungsmehrbelastung entweder bei der Arbeit zu betrachten oder sich davon zu diPartnerin liegt oder bei externen Be- stanzieren […] man muss es irgendwie nen […]“ (Interview I) Neben dem „Zerrissenen“ lassen sich - Ist der Lehrstuhl stark Output-orienlers“, des „Familienernährers“ und des die Arbeitsbedingungen tendenziell als Die Entscheidung zur Promotion wird von den Akteuren mit dem Wunsch nach eigener Weiterbildung begründet. In der Retrospektive geht es ihnen somit
Anstellungsverhältnis wird als Unsicherheit bis hin zu einem „radikal prekären Arbeitsverhältnis“ (Interview I) gewertet. Diese Perzeption der Rahmenbedingungen durch die Akteure als Form der Erwerbsarbeit zu betrach- hat unterschiedliche, aber dennoch in ihrem Kern ähnliche Strategien zur Folinnere Distanzur Promotion bedient sich also einer zierung zum Beruf (Interview I & III)
- ursprünglicher Vorstellungen durch die schreibt: realen Arbeitsbedingungen. So wird „„[…] während dessen ich ja früher noch die gen abgesehen und kleinteiliger geplant. - Diese Step-by-Step-Strategie (Interview I mer, aber ich habe früher gar nicht von Ar- & V) wird durch unterschiedliche Knobeiten gesprochen, weil wir sind halt Sozio- tenpunkte markiert. So wird zumeist logen und wir lieben die Soziologie […], bis zur Promotion gedacht und nicht aber wenn man es schnell feststellt in welchen Produktionszwängen wir eigentlich ges Ziel wird nicht von vornherein in stecken und wie schnell man Texte produ- Betracht gezogen, sondern lediglich als zieren muss und wie der Zwang ist und wenn man einen Antrag schreibt, den Eine weitere Strategie ist das bewusste kriegt man um die Ohren geklatscht, ir- Evaluieren von Ausstiegsmöglichkei-
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Exit-Strategien
gesprächen ja, also der geringste Zweifel daran, dass ich im akademischen Bereich
- ich diese Postdocstelle nicht kriege, weil Postdocstellen, denke ich, sind schon daran „[…] also ich verfolge eigentlich immer ganz ich will jetzt einfach aufarbeiten […] ja sag interessiert, was andere Kollegen so machen, wo die so unterkommen, in Ministerien, in der Verwaltung oder Kulturbetrieb, lut unsicher, ob ich nach der Zeit des Postoder sozusagen nicht universitären Wis(Interview III) Vor allem die Angst vor der „Sackgasse“ (Interview IV) hindert die Akteure an einer selbstbewussten Planung der eiDennoch sind sich die Akteure bewusst darüber, dass die Überlegung eines möglichen Ausstiegs nicht dem Ideal Imitations-Strategie, um zwar äußerlich ner, wie von Daston (2003: 110) propagierten, „kollektiven Identität“ zu entsprechen, ohne diese jedoch verinnerlicht zu haben. Das Ideal vom sam geteilter Wissensvorrat, allerdings nur im Sinne der Äußerlichkeit und nicht der Verinnerlichung.
nicht nur die Fremdansprüche der Familie und der Erwerbsarbeit vereinen, durch den Lehrstuhl gegenüber dem Akteur sind und wie dieser seine Rolle ziehung der drei Sphären zueinander. Bereich als zu stark wahrgenommen, werden als erstes die eigenen Freiräume rationalisiert oder sogar die FunktionsFamilie übertragen. Vor allem die unsi-
- werden als prekär wahrgenommen. stellung ist, dass ich die so in Einstellungs- Eine mögliche Folge ist, dass die Akteu-
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re nicht primär eine Karriere in der Wisstimmten Exit-Strategien zuwenden - ler und ihre alltägliche Praxis: Ein Einblick in die Geschlechterordnung des Promotionsphase. Um dieser möglichen Entwicklung entgegenzuwirken, müssen mehr Optionen der Planbarkeit der tat et al. 2010, Borgwart 2011), ebenso Lö- Beck ternzeit und der Tätigkeit innerhalb von Projektstellen. Behnke, Comelia/ (2010): „Ich bin dann mehr die Frau“. tu-dortmund.de/cms/ISO/de/arbeitsbereiche/soziologie_der...geschlechter-
Biller-Andorno, Nikola et al. (Hrsg.) -
Böhm
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Forschung. Ein Handbuch. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuchverlag, dung und Forschung.
-
Boltanski, Luc/Chiapello, Eve (2003): Der neue Geist des Kapitalismus. Konstanz: Universitätsverlag.
(Hrsg.) (2005): -
Borgwardt, Angela (Hrsg.) (2011): Karri-
-
-
Bosch, Gerhard (2001): Konturen eines neuen Normalarbeitsverhältnisses. In:
Bührmann tauchen des unternehmerischen Selbst und seine gegenwärtige Hegemonialität. Einige grundlegende Anmerkunrungsgeschehens moderner Subjekti-
Bröckling merische Selbst. Soziologie einer Sub-
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Suhrkamp
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Sonderheft 2 | 2012 Seite 60
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Deutscher Bundestag
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Glaser
Holton
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Stephan/Reimer
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Sonderheft 2 | 2012 Seite 61
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, Heiner (2006): Arbeits- und In-
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Sonderheft 2 | 2012 Seite 62
Zeiten der Entgrenzung. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung das Parlament, 34, S. 10-16.
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Voß, G. Günter/Pongratz mus. Berliner Taschenbuchverlag.
werbsorientierung in entgrenzten Ar-
Strauss Voß, G. Günter/Pongratz Fink. -
Strauss, Anselm/Corbin 158. Voß
Strübing Konzept der Herstellung und Sicherung Ders. (Hrsg.): Über die Autonomie der sierten Forschungsarbeiten. In: Kölner Wall, Glenda/Arnold How Involved Is Involved Fathering? An Strübing Zur sozialtheoretischen und epistemobildung. Wiesbaden: VS.
Weber
Truschka, Inga/Kaiser Reinartz, Vera (2005): Forschen nach Rezept? Anregungen zum praktischen Umgang 511. tionsarbeiten [48 Absätze]. In: Forum Weber
-
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sonalstruktur an Universit채ten, Drs.
Zur Autorin Kristin Neumann, 26, schloss 2010 an der TU Dresden das Bachelorstudium ten ab. Derzeit studiert sie, nach einem Kent, an der Universit채t Hamburg im
nisation von Arbeit.
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Graphical Recording Protokolle mal anders...
Š Zeichnungen von Ansgar Lorenz und Parastu Karimi
von Ansgar Lorenz und Parastu Karimi
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Graphical Recording - angewendet wird, haben wir versucht größten Veranstaltungen und einige Panels. Graphical Recording besteht in der Anwesenheit einer Illustratorin oder ei- zusetzen. Voraussetzung war natürlich, nes Illustrators, die während eines Vor- dass sich die Zeichner_innen in sozioloner Leinwand oder einem Flipchart die wichtigsten Ergebnisse zeichnerisch entwickeln konnten. Vielen Dank an unsere Zeichner_innen großen kommerziellen Unternehmen Ansgar Lorenz und Parastu Karimi!
© Zeichnungen von Ansgar Lorenz und Parastu Karimi
Graphical Recording zum Vortrag „Wer im Fernsehen stirbt ist schöner Tod“ auf dem Panel „Leben, Lieben, Sterben" (Zeichnung von Ansgar Lorenz und Parastu Karimi)
Graphical Recording zum Vortrag „Lost in Depression?“ auf dem Panel „Leben, Lieben, Sterben“ (Zeichnung von Ansgar Lorenz und Parastu Karimi)
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„ Dr. Martin Füllsack (Zeichnung von Ansgar Lorenz und Parastu Karimi)
“ mit Prof.
Zu den Zeichner_innen: Ansgar Lorenz, lebt und arbeitet in Berlin. Neben Kin- (alle Fink Verlag, 2012) tigt er sich zeichnerisch im Bereich Poli- Parastu Karimi tik, Philosophie und Karikatur.
-
sie in ihrer Freizeit gerne Comics und ansgarlorenz.de und www.karikatur. ansgarlorenz.de zu sehen. - Blog //parastuillustration.blogspot.com zu sehen
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Hugo Chávez' „Bolivarianische Revolution“ als postkoloniale Identitätspolitik? von Daniel Drewski
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Comandante demokratisch zum Präsidenten Venezuelas gewählt – im Oktober 2012 stellt er sich einmal wieder zur Wahl - initiierte tärische Bewegung, die nach dem Nationalhelden des Landes benannt ist: die Bolivarianische Revolution kollektive Gedächtnis Venezuelas und Lateinamerikas stark geprägt hat. Der In diesem Essay wird Hugo Chávez' Boliva- Venezolaner Simón Bolívar ist als Verrianische Revolution als eine postkoloniale Identitätspolitik untersucht. Der amtie- General einer der größten Held_innen der lateinamerikanischen Unabhänden politischen Mythos des venezolanischen Nationalhelden Simón Bolívar, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts zahlreiche willen vieler Regierungen, BewegunChávez seinen Anhänger_innen ein politi- gen und Revolutionen vor allem in seisches Identitätsangebot, das sich als eman- nem Geburtsland: In seinem Namen zipatorische Reaktion auf kolonialistische konnte Politik gemacht, legitimiert und und neokolonialistische Bestandteile im westlichen Diskurs der Moderne versteht. Simón Bolívar ist deshalb das Parade- beispiel eines politischen Mythos, also eitische Verständnis von Politik, welches die- ner Erzählung, durch die das politische ser „Bolivarianischen Identitätspolitik“ Feld diskursiv strukturiert ist. zugrunde liegt, die positiven Aspekte der Revolution. Letztendlich, so das Fazit die- Chávez gibt nun vor, mit seiner Bolivarises Essays, mündet die Bolivarianische Re- anischen Revolution einen neuen natiovolution in einer bedenklichen Selbstdar- nalen und lateinamerikanischen stellung als „antagonistischer Anderer“ zum euro-amerikanischen Westen.
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dessen gelegentlichen egalitaristischen, pan-amerikanischen und anti-imperia- (nach seiner langen Amtszeit natürlich vars, der bestrebt ist, sein Land von einer eine weiterhin große Abhängigkeit der „repressiven“ nationalen Oligarchie und den „imperialistischen“ Ansprüchen litiken mit Diktaturen wie dem Iran soll gegen eine „korrupte“ repräsentati- sche Dimension seiner Politik, die allerve Demokratie in Anschlag gebracht werden und die Erneuerung des „Sozia- so problematisch sein kann. Trotzdem ergeben sich dadurch vielleicht andere „ausbeuterischen“ Neoliberalismus ab- Einsichten in das politische und soziale lösen. eben nicht nur Chávez allein gehört. Laanische Revolution als eine postkolonia- sche Region, die sich in einer globalile Identitätspolitik untersuchen. Ich glau- sierten und multipolaren komplexen - und politisch, sondern auch kulturell hen kann, die ein politisches neu zu orientieren und zu positionieren „Identitätsangebot“ macht, indem sie ver- versucht. teln (was natürlich nicht voraussetzt, dass sie multiple andere Identitäten, die Postkolonial nenne ich diesen Versuch des- ner post-kolonialen Identitätspolitik zu - sprechen, wenn die meisten lateinamebolische Gewalt kolonialistischer Be- rikanischen Länder bereits ihre standteile im Diskurs der westlichen 200-jährige Unabhängigkeit vom spaniman Chávez und den Chavismo ganz zu Recht kritisieren kann, zum Beispiel die
sogenannten Bicentenario 2010/2011). -
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„Bedeutet das Festhalten am Postkolonialismus nicht auch, dass wir noch immer die letzten Reste des Kolonialismus torische Frage sollten sich vor allem die stellen, die aus westeuropäischer oder US-amerikanischer Perspektive über „postkoloniale“ Phänomene und Konstellationen schreiben.
und Konsolidierung eines großkolumbianischen Staates an (die Vereinigung der ehemaligen Kolonien Venezuela, derale Integration Lateinamerikas. Die-
Interessen der lokalen Oligarchien. Allerdings zeigt gerade die große Be- Bolívar starb 1830, von seinen Landsleudeutung, die den Feierlichkeiten zum Bicentenario beigemessen werden, dass rist geächtet, im kolumbianischen Exil. - Kurz vor seinem Tod stellte er entpolitische Selbstverständnis vieler poli- regierbar, 2. wer einer Revolution dient, tischer und sozialer Akteur_innen in Lateinamerika ist. Besondere Vitalität diesem tragischen Ende war dem Kontihaben diese nationalen „Gründungs(wirkliche oder vermeintliche) neokolo- wusstsein über die Treue zu Bolívar, der niale Formen von Ausbeutung und Abhängigkeit mobilisiert werden können. („Libertador“) und Vater der Vaterlandes („Padre de la Patria“) die Nation zum Geum den venezolanischen Nationalhel- schenk gemacht habe (vgl. Carrera Daden Bolívar. ner der reichsten Familien Venezuelas
-
2006). Bald nach der Unabhängigkeits1811 wurde er Präsident der neugegrün-
-
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hörigkeit zu produzieren und zu intensilungen von einem geteilten Ursprung, einer gemeinsamen Vergangenheit oder symbolischen Kapitals politischer Verbände: Sie sind die emotionalen, spirituellen und kognitiven Ressourcen von politischer können in politischen Verbänden soten und voranzutreiben, indem sie von einem Zustand berichten, den es zu ervationshemmend wirken, indem sie einen ursprünglichen Zustand hervorheben, der zu bewahren ist. In Venezuela hinweg sowohl progressive als auch konservative Regierungen, demokratische als auch diktatoriale Regime der zierte meist die uneingelösten Verspreder Unabhängigkeit Lateinamerikas Identität,
politische
Emanzipation.
Freiheit,
sind ihre normativen Implikationen mithin nicht pauschal zu beurteilen. Sie ten, Inhalte und Folgen untersucht wereine mindestens ambivalente Rolle spielen. -
chen Heldenkults in Venezuela. Die Bolivarianische Revolution machte Bolívars wärtig. Die neue, plebiszitär legitimierlik Venezuela“ nennt, an die „Bolivarianische Doktrin“. In „Bolivarianischen Zirkeln“ soll beispielsweise die kommunale Selbstverwaltung gestärkt werden und Sozialprogramme heißen „Bolivatigt, durch diese politische Rhetorik das „Bolivarianische Volk“ („pueblo bolivariano“) gegen Oligarchie und Imperialismus in Bewegung zu setzen.
wirt- Um zu verstehen, wie es dazu kommen gur einer politischen Bewegung avan-
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all unserer weiten schweigenden Breite, lich äußerst skeptisch gegenüber. Er be-
alles trägt deinen Namen, Vater, in unserm Gebiet“
lügnerischen, verräterischen und obendrein reichen Großgrundbesitzer (vgl. Direkte politische Relevanz erlangte - diese linke Erzählung vom Volkshelden manden, der mit Sicherheit der Idee eiTeile der venezolanischen Guerilla von Äußerste abgeneigt gewesen wäre. dem revolutionären Universalismus der Doch durch die Rezeption der marxis- Kommunistischen Partei loslösten. Sie tisch-leninistischen Imperialismustheorie konnte sich die lateinamerikani- tionären Bolivarianismus“ als emanzische Linke langsam mit der Idee an- patorische Ideologie der venezolani- schen und lateinamerikanischen Beti-imperialistischen“ Volkshelden zu völkerung (vgl. Garrido 2000). Der Bolivarianismus sei, so drückt sich Chávez Bürgerkriegs prophezeite der chilenische Literaturnobelpreisträger und Kommunist Pablo Neruda, dass Bolívar das Volk zur sozialistischen Revolution wenn das Volk erwacht“, verspricht Bolívar in einem dem Vaterunser nachseelt darin die Geographie, die Natur und die Bevölkerung des lateinamerikanischen Kontinents und vereint sie in seinem Namen zum revolutionären Kollektiv:
schen Unterbewusstsein des nationalen Seins verwurzelt ist“ (Chávez 2002: 102). nicht weiter als bis zur plakativen Feststellung eines in Bolívar verkörperten (wie auch immer gearteten) „Wesens“ und verharrt bei der Utopie einer partizipativen, solidarischen und souveräChávez von dieser politischen Ideologie
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dazu inspirieren, im Namen Bolívars eine militärische Verschwörung gegen die venezolanische Demokratie zu planen: die „Bolivarianische Revolution“ (vgl.
-
Nationalhelden macht Chávez seinen Anhänger_innen ein politisches Identitätsangebot: nämlich ein Teil des „Boli- varianischen Volkes“ zu sein. Wer ist daversuch gegen den damaligen Präsiden- mit gemeint? ten. Dieser scheiterte zwar, machte den Interessant ist zunächst die Beobach- tung, dass das Identitätsangebot der Botrauenskrise der Bevölkerung zu ihrer livarianischen Revolution nicht natiopolitischen Elite durchschlagen, die steht nämlich der Traum einer politischen und sozialen Integration der Staader politischen Klasse sowie einer weit ten Lateinamerikas, um ein Gegengeverbreiteten Korruption bzw. hohen wicht zum Imperialismus der USA bilKorruptionswahrnehmung eingesetzt den zu können (vgl. Carrera Damas Nach seiner Entlassung aus dem Ge- (in der Folge allerdings ergebnislosen) sung den demokratischen Weg zur on unter Ausschluss der USA zu verhander Legitimitäts- und Repräsentations- tät im Rücken lancierte Chávez seinerkrise der venezolanischen Parteiende- seits ein sozio-ökonomisches Bündnis mokratie, in Koalition mit linken Partei- lateinamerikanischer Staaten, das sich en und sozialen Bewegungen die PräsiFreihandelsabkommen mit den USA verstand: Die „Bolivarianische Alternahauptsächlich von Wähler_innen aus tive/Allianz der Völker Unseres Amerikas“ („Alternativa/Alianza Bolivariana para los pueblos de Nuestra América“) (vgl. Venezuelas (vgl. Roberts 2003). Ellner 2008: 204-206).
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Im Zeichen Bolívars sollen sich die Völ- Diesem in der venezolanischen Gesellker „Unseres Amerikas“ emanzipieren. eine geo-politische Kategorie zurück, zutreten, indem er manchmal an lokale nisch-karibischen Landbevölkerung ethnisch-gemischten Amerika“ („Nues- dition entreißt den weißen Großgrundtra América mestiza“) grenzte er die subalterne europäische, die indigene und schichtsschreibung und verwandelt ihn in einen der ihren: einen dunkelhäutivom „Río Bravo bis nach Patagonien“ gen Volkshelden. In einigen ländlichen vom hegemonialen Nordamerika ab Regionen Venezuelas erzählt man sich beispielsweise, dass Bolívar eigentlich tischen Zivilisationsdiskurs entgegen- einem weit verbreiteten religiösen Kult zustellen, der in der kulturellen und (dem María Lionza Kult) wird dementethnischen Heterogenität der latein- sprechend die Büste Bolívars, der um amerikanischen Bevölkerung ein stands sah. Als Volksheld „Unseres ethnisch-gemischten Amerikas“ kann die Figur Durch diese Bebilderung des Bolívarsatz gegen eine „weiße“ Identitätspolitik lanischen Eliten (der auch Chávez selber spruch nahm. Der kolumbianische Literaturnobelpreisträger Gabriel García - völkerung wird zu einem emanzipatorirühmten Buch über Bolívar: „Aber als Bolívar selbst ihn zu idealisieren, sie wuschen sein nische Bevölkerung verkörpert (z.B. - Wie versucht Chávez nun all diese unterschiedlichen Akteur_innen – die in-
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pan-amerikanischer und sozialrevoluGruppen, die ethnisch, sozial und kul- tionärer Vision (vgl. z.B. Chávez 2005a: turell heterogene Bevölkerung aus ganz 284). Sie intrigierte gegen ihn, vereitelte Lateinamerika – in eine politische Iden- seine Pläne und verbannte ihn ins kotitätskonstruktion wie die des „Bolivamacht es Chávez seinen Anhänger_in- der Integration Lateinamerikas herbei. livarianischen Volkes sein können, Damit habe die „Balkanisierung“ La- teinamerikas eingesetzt, wodurch der geschwächte Kontinent auch nach seiüber eine gemeinsam geteilte Eigen- ner Unabhängigkeit zur Zielscheibe des westlichen Imperialismus werden konnte (eine gängige Interpretation, vgl. der Präambel der von Chávez initiierten ethnische“ und „plurikulturelle“ Ge- und seiner Vision, sei ein oligarchisches, deshalb, dass die vorherrschende Stra- geboren, gebildet von unter sich zerstrit- tenen Nationalstaaten. tagonismus ist (vgl. dazu Laclau 2005). Bestimmung dessen, was allen eigen ist, sondern über die gemeinsame Abgren- Ich glaube, dass man diese politische zung von einer nationalen und transna- Rhetorik in den Kontext lateinamerikationalen Oligarchie und von einem (an- nischer Kritik am Projekt der westligenommenen oder realen) US-amerikanischen Imperialismus. kanische Intellektuellen, vor allem Diesen populistischen Antagonismus versucht Chávez unter anderem über siert wurde. Denn was in Europa und Demokratie bedeutete, zeitigte in Südamerika teilweise katastrophale Konsevenezolanische Oligarchie ihren „Ver- quenzen: Unterdrückung, Ausbeutung rat“ an Bolívars großkolumbianischer, und Genozid – ein kurzer Blick in die
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Westen nicht so sehr als sein „Anderes“, - sondern vielmehr als sein noch rück- ständiger „Anhang“ verstanden. Damit - ließen sich z.B. die gewaltsame Christianisierung und „Zivilisierung“ der Weltmarkt wurde von der sogenannten Amerikas (damals „Westindien“) durch Dependenztheorie als die Kehrseite der die Spanier als auch die US-Amerikanischen Interventionen in ihrem karibi- schen und lateinamerikanischen „Hindernisierung überwunden werden rikanischer Perspektive vor allem um westliche Ideologie angeprangert (vgl. der alternative Epistemologien und Allerdings unterschätzten sie – eine klassisch marxistische Fehleinschät- brachte sie zum Schweigen, indem ihzung – die symbolische Gewalt des kolo- nen überhaupt die Legitimität zu Sprenialistischen (spanischen und portu- chen entzogen wurde, weil sie rückstängiesischen) und neo-kolonialistischen dig oder partikularistisch seien (vgl. Castro-Gómez 2008). Amerikanischen) Diskurses. Um diese Perspektive konnten die im Common- Bolivarianische Ideologie als eine Reakalen Studien das kritische lateinamerientspringt dem legitimen Versuch, die niale Geschichte Lateinamerikas (die toph Kolumbus „entdeckt“) steht hier ihrem Diskurs ausgeschlossen und unaber nicht nur die Frage im Vorder- terdrückt hat. Chávez hat allerdings, grund, wie die Alterität zum Westen, also das „kulturell“ Andere, diskursiv produziert wurde – ein Problem, das Ed- ausgenutzt, um ein antagonistisch beward Said in „Orientalism“ behandelt gründetes Identitätsangebot zu machen.
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Der politische Kurzschluss, Zusammenhalt über den gemeinsamen Gegner sagt Chávez im Angesicht der blanken zu konstruieren, birgt nämlich die Ge- Knochen und zitiert: „Bolívar erwacht einzurichten und eine permanente Bedrohung zu inszenieren. Genau dies geschieht derzeit in Venezuela, denn Chávez versucht unermüdlich, die Großer- Autors). zählung vom historischen Antagonismus zwischen Bolivarianischem Volk und der imperialistischen Oligarchie weiterzuspinnen. leihung des Literaturnobelpreises - „Einsamkeit“ des südamerikanischen Kontinents und seiner Bewohner_innen. Gleich zu Beginn erinnerte der scheint, dass er an Tuberkulose starb, Preisträger an die bizarren Versuche eiwollte Chávez doch untersuchen lassen, ob er nicht vielleicht von seinen politi- die Flora und Fauna des erst kürzlich „entdeckten“ Kontinents zu beschreiben: - „Er sprach davon, eine scheußliche Krearat der venezolanischen und transnatio- den Ohren eines Esels, dem Körper eines Kamels, den Beinen eines Hirsches chung keine genauen Angaben zur To- Der ahnungslose Europäer meinte nadesursache mehr möglich sind, besteht türlich eine in Südamerika einheimische Kamelidenart, das Lama. Was haben aber dieses und ähnliche Beispiele ich sage es und nehme meine Verant- von der (angeblichen) Unmöglichkeit, wortung vor dem Volk und der Ge- die lateinamerikanische Realität aus westlicher Perspektive richtig zu besamkeit Lateinamerikas, zu tun? „DichSarges die Prophezeiung von Neruda
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Krieger und Halunken, Kreaturen einer ungezügelten Realität, wir mussten derung war das Fehlen konventioneller chen. Das, meine Freunde, ist die Krux unserer Einsamkeit“ (ebd., Übersetzung lismus“ ist der Versuch, diesen eigent-
als Identitätspolitik gibt sich die Bolivarianische Revolution viel radikaler. Sie versucht gewissermaßen eine Selbstkonstruktion der eigenen Alterität gegenüber der euro-amerikanischen Hegemonie mit ihren kolonialen, neoliberalen, imperialistischen und anderen Schrecken. Ziel ist eine multipolare Weltordnung, die die Hegemonie der Vereinigten Staaten von Amerika ablösen soll.
kleiden. In seinem berühmten Roman - schen Anderen zu stilisieren. Viel zu radiesischen Urzustand nach und nach len Verständnis internationaler Politik von der Außenwelt „kolonisiert“ wird, ein weltweit bekanntes Denkmal ge- politischen Spektrums vom konservativen amerikanischen PolitikwissenClash Vielleicht ist die Bolivarianische Revo- of Civilizations“ ausbuchstabiert wurde lution der politische Nachhall dieses literarischen Projekts, einen Ausdruck der eigenen Identität vor allem in Ab- noch sollte man stets die Fallstricke vor grenzung zur dominanten westlichen Augen haben, die jeder Identitätspolitik innewohnen, die sich obendrein politiist Bolívar die authentische Verkörperung Venezuelas und Lateinamerikas. gepeinigte Vergangenheit des Kontitischen und sozialen Experimenten, nungen und Träume seiner Bewohner_ innen. Natürlich ist es richtig und legi-
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Carrera Damas a Bolívar. Esbozo para un estudio de la Chávez, Hugo (2005b): Aló Presidente, historia de las ideas en Venezuela. Caracas: Ediciones de la Biblioteca de la Universidad Central de Venezuela. a l o p r e s i d e n t e . g o b .v e / m a t e r i a _ Carrera Damas, Germán (2005): Altercontemporánea: (El caso de Venezuela: el bolivarianismo-militarismo). In: 31.03.2012) Ders. (Hrsg.): El bolivarianismo-militarismo. Una ideología de reemplazo. Ca- Chávez, Hugo (2006): Aló Presidente, Programa N° 248. Autopista Antonio Castro-Gómez, Santiago (2008): (Post) - ve/materia_alo/25/1304 Chávez Large. Latin America and the PostcoloNew York: Verso, S. vii-xvi. Chávez, Hugo (2002): Libro Azul (El ár- El Universal bol de las tres raíces). In: Garrido, Alberto (Hrsg.): Documentos de la Revolución Bolivariana. Caracas: Ediciones del Autor, S. 101-122.
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Chávez de discursos del Presidente de la
El Universal que „a Bolívar lo mataron“, pero sin pru-
Hugo Chávez Frías, Bd. 1, Gobierno Boli-
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livar-lo-mataron-pero-sin-pruebas.sht-
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Ellner, Steve (2008): Rethinking VenezuHawkins Chávez Phenomenon. Boulder/London: vismo and Populism in Comparative Perspective. Cambridge: Cambridge Fernández Retamar
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Daniel Drewski, 23, studiert an der Freigie. Zu seinen Interessengebieten zähRoberts, Kenneth (2003): Social Polari- len vor allem politische und soziologization and the Populist Resurgence in Venezuela. In: Ellner, Steve/Hellinger, Daniel (Hrsg.): Venezuelan Politics in
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Prostitution im feministischen Diskurs von Sophie Maria Ruby
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rentext und Ökotest Konjunktur, auch Fernsehprogramm zeigt sich: Produktsie dienen desgleichen der Unterhaltels geht es weiter und mit einem weite-
Wie wird Prostitution im feministischen Diskurs verhandelt? Welche Interpretationen des sozialen Phänomens Prostitution Der Bordelltester. Wie Rach, der Restauwerden in diesem Diskurs gegeben? Der Artikel gibt Einblicke in die Ergebnisse einer Diskursanalyse zu diesen Forschungsfragen. Methodisch wird mit dem DiskursDeutungsangebote von Michael SchwabTrapp sowie mit dem Rahmenkonzept von Jürgen Gerhards et al. gearbeitet. Fokus Autos und Speisen – ohne einen kritides Artikels sind insbesondere die diskursi- schen Unterton. Schließlich ist Prostituven Verhandlungen zur Beziehung von tion seit 2002 in Deutschland legaler BeProstitution und der patriarchalen Ordden 1960er Jahren. Dabei zeigen sich Deutungsangebote zur Frage, ob Prostitution diese Ordnung aufbrechen kann oder sie
gie interessante Frage. Denn kollektives Freiwilligkeit und Zwang. Es wird deutlich, Sprechen, im Sinne von diskursivem wie vielschichtig und heterogen die Deu- Verhandeln, ist nicht nur Abbild sozialer tungen im betrachteten Diskurs sind. Der Wirklichkeit, es ist auch ein Prozess, in Beitrag schließt mit Überlegungen zu der dem eben diese Wirklichkeit gedeutet xionen zu individueller und kollektiver Verantwortung. Sozialität. Nun sind Darstellungen ei-
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nes Fernsehsenders nur ein Teil dieses kollektiven Sprechens, ein Strang des ger Stelle interessiert ein anderer: Ein Diskurs, der das soziale Phänomen Proterverhältnis verhandelt und von dem eine kritische Perspektive zu erwarten Diskurs der verhandelt? Und welche Interpretationen des sozialen Phänomens werden in diesem Diskurs gegeben? -
chanismen, die bestimmen, was sagbar ist – im doppelten Sinne von möglich und erlaubt –, was gesagt werden muss, sich innerhalb des Diskurses in welcher Form legitimerweise äußern kann. Darüber hinaus zeigen Foucaults theoreti-
ren man sich zu bemächtigen sucht“
-
tischen Instrumentariums ist das Rahhards et al. (2008) vorgestellt wird. Dis-
in unterschiedlichen Interpretationsschemata – Rahmen – verhandeln. DieDiskursives Verhandeln wird in An- se Rahmen werden induktiv aus dem schlicht als Abbild sozialer Wirklichkeit verstanden. Diskurse als wiederum verschiedene Deutungsan„Gruppe[n] von Aussagen“ (Foucault und haben als solche Rückwirkungen cault verdeutlicht die Regulierung von Diskursen durch sowohl in ihnen als
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innen im Diskurs um die Institutionalisierung von Deutungsangeboten
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Rahmen, Deutungsangebot – lässt sich
mulieren, „die patriarchalen GeAussagen sowohl inhaltlich strukturie- schen beschädigen, und die unterdrü- ckerischen und ausbeuterischen gesellBevor ich zur Darstellung einiger Erich ansprechen, dass es „den Feminis- Feminismus ist eine enge Verbindung mus“ nicht gibt, sondern vielmehr im Plural von Feminismen zu sprechen ist schen Auseinandersetzungen und sozialer Bewegung. Heterogenität zeigt sich beispielsweise bei den Träger_innengruppen, wie auch der Ideengeschichte, den Perspektiven
als auch Texte aus der Prostituiertenbe-
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- dern zugeordnet werden können: Aufstitution in ihr Zentrum stellen. Weite- brechen oder Verfestigung des Patriarchats und Freiwilligkeit und Zwang. der Autorin oder des Autors als Feminist_in. Es wird nur der Diskurs der Zunächst wird das erste Feld genauer - tungsangebote: Zwei stellen heraus, tischen Diskurses zu Prostitution ergab, dass Prostitution die patriarchale Ordbesondere in drei Rahmen verhandeln. brechen könne. In einem Rahmen wird besprochen, inwieweit Prostitution als Beruf gelten kann oder sollte. Ein weiterer verhandelt zu Gesetzgebungen. Da an dieser Im ersten Deutungsangebot wird Prosdargestellt werden können, konzent- gesehen, materielle Unabhängigkeit erRahmen gegeben werden: Prostitution in ihrer Beziehung zur patriarchalen Ord- wird als in ihrer Arbeit selbstbestimmt nung. Innerhalb dieses Rahmens zeigen sich Deutungsangebote, die zwei Fel- über die Interaktion mit dem Freier. In
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dieser Weise äußert auch Carla Corso: lieren die perpetuierende Wirkung der sich der männlichen Rolle an, beispiels- Institution Prostitution. So wird die weise indem sie Sexualität und Liebe Kontrolle der Interaktion mit dem Freier abhängig konstruiert. Die Sexarbeiterin könne, so diese Perspektive, durch Freier verwiesen. Eine sich prostituie- rende Frau äußert beispielsweise: „Wer kann und respektvoll behandelt wird, hänge jedoch – so eine besonders exaltierte Spielart dieses Deutungsangebots die sich prostituierende Frau als Frau zum Objekt gemacht wird und in ihrer Ausbeutung trage sie selbst die Verant- Autonomie – ökonomisch wie auch die schränkt ist. Da die sich prostituierende Das zweite Deutungsangebot betrachtet im Unterschied dazu die makrosoziale Ebene und bezeichnet die Gruppe der prostituierten Frauen als „die Avantgarde der Frauenbewegung“ (Ko- sind in dieser Interpretation hochrelemitee der Prostituierten von Paris zitiert liert, dass in und mit der Prostitution die sie repräsentierten nicht nur weibliche sichten in das Geschlechterverhältnis, u.a. Baldwin 2006, Giesen/Schumann sie institutionalisierten auch ein neues klärt und belehrt werden, beispielswei- Im vierten Deutungsangebot wird darse über die weibliche Sexualität, und darüber trage die Prostitution zur sexuel- reits ihren Ursprung im Patriarchat hat.
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der Sklaverei und ist aus dem politi- Abgaben an Zuhälter werden als GePartner konstruiert. (Vgl. u.a. Corso zweite Deutungsangebot stellt ganz im Prostitution entsteht in und durch patriarchale Strukturen (vgl. u.a. Günter
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Institution Prostitution inhärent ist, dass sie es nicht vermag patriarchale wird gesehen, dass durch sie der Blick lisiert wird. Prostitution ist in dieser Linie Kommerzialisierung sexueller Gewalt gegen Frauen und sexuelle Versklavung (vgl. insb. Dworkin 2004).
ter sexueller Praktiken. Dabei sind soGewaltausübung durch Zuhälter und Freier hoch relevant. Eine junge Frau beschreibt die Reaktion ihres Zuhälters, als sie aus der Prostitution aussteigen mit dem Fuß ins Gesicht, wodurch er mir
Verhandlungen zu Freiwilligkeit und und dann gab es nur noch Faustschläge Zwang bilden das zweite Feld im Rahmen Patriarchat. Hier lassen sich ideal- gel, die meinen Körper ziemlich übel zuDas erste Deutungsangebot nimmt eine klare Betonung der Freiwilligkeit vor, tion als auch der angebotenen Prakti- Neben diesem direkten Zwang wird ken. Dies stützend wird argumentiert, auch der indirekte Zwang im hier anaprostituierte Frauen arbeiteten entweder ganz ohne Zuhälter oder aber sie suchten sich diesen selbstbestimmt und also die Eingebundenheit der Individu-
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chen Zusammenhänge argumentativ
-
- Im vierten Deutungsangebot wird die sen, dass Frauen auch heute in einem Dichotomisierung von Zwang versus Freiwilligkeit als solche abgelehnt. - Denn zum einen ist sie unterkomplex, um das soziale Phänomen Prostitution - zu verstehen (vgl. Sauer 2006). Zum angen bestimmtes Selbstbild sind Aspekte, deren kann bei Prostitution als Verletdie unter anderen herangezogen werunterschieden werden – so wie nicht zwischen stark limitierten Alternativen, die darüber hinaus von der/dem Akteur_in möglicherweise alle nicht als werden kann. Die Gegenüberstellung positiv bewertet werden (können), als verschleiert zudem das Leid und die Ausbeutung in der Prostitution, indivi- dualisiert Prostitution und macht es so scheidung erscheinen mag, ist vielmehr prostituierten Frauen nahezu unmöglich, zu zeigen, dass sie direkt oder indirekt gezwungen wurden bzw. werden. Bei einer solchen Unterscheidung wird vor allem als Problem gesehen, dass sich die prostituierte Frau als „die andere ausdrücken kann, dass Frauen sich an walt, Unterdrückung, Leid in Ordnung Institutionen angleichen, die sie unterdrücken, sondern vielmehr in ihrem Auch schreibt die strikte Unterschei- dung von Zwang und Freiwilligkeit Unprostituierter Frauen wird beleuchtet, schützt Privilegierte davor, Handlundass vielmehr der Ausstieg aus als der -
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sam, dass die Blickrichtung eine andere en in die Prostitution über die Dichotomie von Freiwilligkeit versus Zwang zu terviews mit prostituierten Frauen. Basis der Relevanz ist nicht nur die ‚OrgaInterviews ist vor allem wichtig, um Stimmen von Frauen hörbar zu machen – Diskursregel der Feminismen im Allgemeinen. In dieser Linie sind auch die Die oben angesprochene Heterogenität gen bringen zu wollen oder der Frauention: Er ist ein Feld heterogener DeutunProstitution und divergenter politischer - len Sprecher_innen genutzt werden. Für - Für andere schadet die Verschleierung lisierung von Deutungsangeboten oder und Negierung der Gewalt den davon auch um den Ausschluss von Sprecher_ innen gerungen wird. Grundlegend das Victim-blaming. wird mit unterschiedlichen BezeichAuch Sprecher_innen mit negativ kon- Kritiker_innen der Institution Prostitukursive Strategie ist, Äußerungen in ihanderen Diskursbeiträgen gegebenen rer Bedeutung zu mindern, indem diese
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in ihrer Reichweite beschränkt werden, das sich Baldwins Formulierung „Split - at the root“ (2006) entlehnt). Denn es genutzte Argument ‚Es gibt auch Frau- tisch?“. Generalisierung, beispielsweise wenn
Ebene nach scheinbarer Freiheit zu suchen, auch wenn dies ein Angleichen an die bestehende Geschlechterhierarchie Frauen nur graduell unterscheiden, bedeutet? Ist dies dann noch als Emanzipation zu such as a distinction between being a sehen? political prisoner who is tortured and - Wird damit nicht perpetuiert, was eigentlich Gegenstand der Kritik ist? Ist individuelle Emanzipation überhaupt ohne den Umbruch des gesamtgeker 2004). Nicht zuletzt werden auch nisses möglich? Charakterisierungen von Prostituiertenorganisationen eingesetzt. Sabine Diese Fragen stellen sich umso mehr, beGrenz merkt zum Beispiel an, dass „nie- trachtet man aktuelle Entwicklungen. Seit der Legalisierung 2002 können sich Sex-Arbeiterinnen die Hurenbewegung Freier bei ihren Forderungen und ihrem genüber das Argument zu Nutze maBerlin kann ein Bordell jetzt ganz legiDie Heterogenität des Diskurses liegt, über die oben genannten Punkte zur He- che Geschlechterverhältnis auswirkt, terogenität des Feminismus hinaus, an der Wurzel des Feminismus (ein Bild, mething has to change and what has to
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Andrea Dworkin (2004: 140). Bei der VerAlexander tragen die Akteur_innen abhängig von Sex Workers, and Human Rights. In: - minists. New York/London: Routledge, tung. Diese Position ist zunächst von der Baldwin Klasse, sexueller Orientierung, Gesundheitszustand u.a. sica (Hrsg.): Prostitution and PornograIn diesem Sinne möchte ich mich aus- Press, S. 106-145. sklavung von Frauen. Berlin: sub rosa - Frauenverlag. Biermann spalten zu lassen, sehe ich es als wichtig anständige Frauen. Ein paar Vorbemeran, dass sie sich an eine ihrer grundle- kungen über herrschende Verhältnisse genden Diskursregeln erinnert: Solida- in Italien, Deutschland und überall. In: Corso, Carla/Landi, Sandra (Hrsg.): Porträt in grellen Farben. Leben und Ansichten einer politischen Hure. Frankder wir leben (möchten). Corso ten einer politischen Hure. In: Dies./ Landi, Sandra (Hrsg.): Porträt in grellen Farben. Leben und Ansichten einer polischer Taschenbuch, S. 35-254.
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Delmar
- gen in den USA und in der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich. In: Keller, (Hrsg.): What is Feminism: A Re-Exami- Reiner et al. (Hrsg.): Handbuch sonation. New York: Pantheon, S. 8-33. Band 2: Forschungspraxis. Wiesbaden: Dworkin VS. Giesen Feminists Resisting Prostitution and
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Grenz Lust. Über den Konsum sexueller Dienstleistungen. Wiesbaden: VS.
Fabian New York/London: Routledge. S. 44-54.
Günter Sklaverei – oder: Woran wir glauben, Foucault wenn wir von Prostitution reden. In: Wissen. Sexualität und Wahrheit 1. HWG e.V. (Hrsg.): Prostitution: Ein Foucault des Diskurses. Erweiterte Ausgabe. Foucault
nismus und das Privileg einer partialen Perspektive. In: Hark, Sabine (Hrsg.): rie. Wiesbaden: VS, S. 305-322.
Hark, Sabine (2001): Dis/Kontinuitäten: Gerhard nismus als demokratisches Projekt. Dies. (Hrsg.): Dis/Kontinuitäten: FemiGerhards
Høigård, Cecile/Finstad -
-
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bek bei Hamburg: Rowohlt. Pateman
-
Press. Lenz, Karl/Adler
- Whores and other Feminists. New York/ London: Routledge, S. 125-135.
Corso, Carla/Landi, Sandra (Hrsg.): Por- Violence against Women: NGO Stoneträt in grellen Farben. Leben und An- walling in Beijing and elsewhere. In: sichten einer politischen Hure. Frank255-266. schlecht. Die Frau zwischen GesellWien/Basel: Desch.
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- Sauer nalität. Prostitutionspolitiken in Öster(Hrsg.): Whores and other Feminists. reich und Slowenien. In: Grenz, Sabine/ Overall with Prostitution? Evaluating Sex Work. Parker wegung und Prostitution. Online verworks. In: Stark, Christine/Whisnant, .
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Schwab-Trapp als soziologisches Konzept. Bausteine 285. Stark, Christine/Whisnant, Rebecca (2004): Introduction. In: dieselben . , Barbara (2008): Feminismus: cker, Ruth/Kortendiek, Beate (Hrsg.): Handbuch Frauen- und Geschlechter-
Zur Autorin ziologie mit dem Schwerpunkt FrauenTechnischen Universität Dresden. Ihre hier vorgestellte Bachelorarbeit wurde Gemeinsinn“ tätig und außeruniversi-
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Psychologische Widerspr체che und W채hlerverhalten Eine Anwendung des mikrosoziologischen Ansatzes und des Retrospective-Voting-Modells von Jasmin Fitzpatrick, Gloria Remlein und Regina Renner
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Die Erklärung des Wahlverhaltens gehört zu den meist beschriebenen Feldern in den
Die Einschätzung des Wahlverhaltens gen der politischen Soziologie. Doch neben der ansteigenden Zahl der demo-
durch seinen ständigen Wandel und seine Weltkrieg ist auch die Komplexität der Komplexität immer von aktuellem Interes- Umstände, unter denen eine Wahlentscheidung zu Stande kommt, gestiegen. mit zwei Ansätzen der Wahlforschung, die So haben wir einerseits ein breiteres auf unterschiedliche Weise die Auswir- Spektrum an Untersuchungseinheiten, kungen psychologischer Widersprüche, da mehr Länder Wahlen zur Bestimsogenannter cross pressures, auf die Konstanz von Wahlverhalten erklären. Hierbei wird eine Variante des in der Wahlforschung etablierten mikrosoziologischen Ansatzes der Columbia School vorgeschla- vidualisierungsprozesse (vgl. u.a. Beck gen. Mit den Daten des Bayernbarometers 2011 werden die cross pressures des soziaren, sondern über die ideologische Verortung des Netzwerkes erfasst. Zudem wird verhalten möglichst gut zu erklären. anhand eines eher seltener angewandten Dennoch ist hinreichend bekannt, dass Modells, dem Retrospective-Voting-Modell das von Experten prognostizierte Ervon Morris P. Fiorina, untersucht, inwie- gebnis meistens um einiges von der fern Inkonsistenzen bei Einstellungen zu Hochrechnung am Wahlabend abpolitischen Streitfragen (issues) im Verhältnis zur vergangenen Parteiwahl, die kant vom „unbekannte[n] Wähler“ Auf Basis der vorliegenden Analysen werden die Hypothesen Fiorinas bestätigt, woBesonders interessant ist in diesem Zupolitischen Einstellungen des sozialen sammenhang das Wählerverhalten unNetzwerkes festgestellt werden kann. dersprüchen oder cross pressures. Was
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unter cross pressures verstanden wird, variiert je nach theoretischer Ausrichtung. Am bekanntesten sind cross pres- 2.1 Retrospective-Voting und Wechselsures im mikrosoziologischen Ansatz, wahl Der Retrospective-Voting-Ansatz von Ansatz entstehen cross pressures dagedatenorientierung und Issueorientierung nicht gleichgerichtet sind (vgl. Cachologischen Widersprüche, so geht man davon aus, dass Nicht- oder Wechselwahl die Konsequenz an der Wahlur-
wohl auch deshalb, weil er sich am besten der bekannten Ansätzen bildet. Dennoch scheint der theoretische Ausgangspunkt vielversprechend. Eine der zentralen Fragen, die den „unbekannten Wähler“ ausmachen, ist die, ob er sich an
Im Folgenden sollen diese cross pressu- vergangenen Regierung orientiert oder Einerseits schlagen wir eine Variante des Ansatzes der Columbia-School vor. misst dieser Issue-Komponente der ErHierbei werden die cross pressures klärung des Wählerverhaltens einen durch das soziale Netzwerk nicht an- großen Stellenwert bei. Er bedient sich onierungen der Personen im Netzwerk geht davon aus, dass Wähler_innen vor nen unter der scheidenden Regierung aus einem eher seltener eingenomme- ergangen ist und machen daran aus, ob sie diese Partei wieder wählen oder eine das Retrospective-Voting von Fiorina Dabei mag ihnen die Arbeitsmarktpolitik oder die Fiskalspolitik der Regierung - nicht bekannt sein, jedoch spüren sie dersprüchen stehen, wirklich stärker die Wirkung dieser Policies, wenn in ihzur Wechselwahl neigen.
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sind oder die Steuern gestiegen sind
einem Ansatz, der das Bewusstsein über den einzelnen Parteien. Um der politi- schen Sozialisation Rechnung zu tragen, bindet (vgl. ebd.: 65). Da die generelle (1) und (2) zu berücksichtigen (Behnke
gende Gleichungen:
- Zweck keine weitere Rolle, da Behnke bei der Wahlabsicht selbst den gleichen
Zunächst beschreibt er die Bewertung (B) eines/einer Kandidaten/Kandidatin bzw. einer Partei ( bzw. ) als Summe
hervorgeht, ob ein Wähler bei der Wahl bevorzugt.
gegenüber
Kandidaten/Kandidatin.
An dieser Stelle möchten wir anknüpwohl am sichtbarsten in den Einstellungendem Term.
Weichen diese von der alten Parteiidenscheidung bestimmt werden kann, ab,
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so kann man davon ausgehen, dass eine steht: Der Wähler bzw. die Wählerin renz entscheiden. Da in der wissen-
wird. Für den deutschen Fall birgt der Ansatz von Fiorina eine kleine Schwierigkeit: Da die Bundesrepublik in der Regel von die Frage der „Schuldzuweisung“ an der politischen Situation nicht ganz eindeu528).
die Arbeit von Klingemann an und be- 2.2 Politische Topographie des sozialen rücksichtigen die Links-Rechts-Selbst- Netzwerkes und Wechselwahl Issues – oder themenorientierte Streitentscheidung dar. Diese Annahme wird auch in anderen Zusammenhängen als gültig erachtet. So baut zum Beispiel der Politische Bildung etablierte Wahl-o-
ideologische Netzwerk vorgenommen rument zurück, was unseres Wissens so noch nicht angewendet worden ist: eine Haushaltsmatrix, die um eine Linksten Personen erweitert worden ist. Da-
homogen sein, wenn alle Personen im Netzwerk ähnliche Ansichten vertre- ten, oder heterogen, wenn die Personen nen oder nicht, wobei auch eine neutrale Haltung möglich ist. Die Statements werden dabei inhaltlich an den Wahlprogrammen der Parteien ausgerichtet, renz aus einer Übereinstimmung von teilung des Politischen innerhalb einer Wahlprogrammen und persönlichen räumlichen, eindimensionalen Sphäre geht – ebenso wie der „Ansatz des ratio-
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Überlegung die Frage nach dem Verhält- Hans-Dieter Klingemann sehen daher gerade in der räumlichen Darstellung 206). Sie erläutern außerdem drei verWegbereiter dieses Verständnisses gelRechts-Schema
verstanden
werden
Lage sind, das Instrument richtig anzudiesem Zusammenhang entstandenen wenden, diejenigen, die in der Lage sind, Nationalversammlung kursiert (vgl. entweder „links“ oder „rechts“ richtig ebd.: 212). zu und jenen, die Wissen über beide Ka- ser wie auch in anderen Studien wird der Beweis erbracht, dass vor allem in Er betont dabei die Vorteile, die eine räumliche Konzeption des Politischen mit sich bringt:
Rechts-Skala zu verorten. Für West-
„Space – with its height, its depth, its rela- pas ist außerdem in der Lage, die Parteitions of distance and proximity, its back, Rechts-Dimension einzusortieren (Ingwith a mental multidimensional landscape or at least with a two-dimensional Code „Links/Rechts“ wird dabei sowohl blackboard where we locate and write our moral, our religious, our political, our me- se der Bürger gleichgerichtet verwendet dical, our philosophical, our day-to-day explanations and prescriptions.“ (Laponce 1981: 3) beit von Ronald Inglehart und Hansschen möglich, sich in der komplexen mension aus drei Komponenten zusam-
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und Parteineigung (vgl. u.a. Freire 2008: hart und Klingemann ein besonderes
schen Einstellungen ist, desto größer ist die Chance zur Wechselwahl. schen der politischen Einstellung des/
Einstellung des sozialen Netzwerkes, dabei die ideologische Distanz zwi- steigt die Chance zur Wechselwahl. Die Verwendung dieser Haushaltsmat- mit einer Partei ist, desto geringer ist die rix, die die Links-Rechts-Positionierung Chance zur Wechselwahl. tet, weicht von dem verbreiteten Verständnis der cross pressures im mikrosoziologischen Ansatz ab. Im üblichen cross pressures herangezogen (vgl. Roth
Würzburg herangezogen. Dabei handelt
der Verwendung des ideologischen Umschluss über Wertorientierungen und Grundgesamtheit bilden alle volljähriParteineigung gibt. gen Bürger_innen mit Hauptwohnsitz einer Person bei themenorientierten
ist. Innerhalb der Haushalte wurde ba-
zuletzt gewählt hat, desto höher ist die Chance der Wechselwahl. -
-
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se Weise konnten 1048 Interviews realisiert werden. nen zu den jeweiligen Issues validiert sind. Personen, die Gegenstand dieses Beitra- wurde allen Personen, die keine Parteiigesammelt, die es ermöglichen, die gro- Wert 0 vergeben, allen anderen, der den Daten abzubilden.
Parteibindung, die von 1 bis 5 reicht. Zur Berechnung der cross pressures im
Die dichotome abhängige Variable „Wechselwahl“ wurde aus der Recall-
-
-
-
Wahrscheinlichkeit einer Wechselwahl mit der Abweichung der politischen Positionen (Issues) von der von ihnen zu- vergleicht und hinsichtlich der Validität letzt gewählten Partei steigt, wurden der Recall-Frage angegebenen gewähl- selbst in das Spektrum einzuordnen, stellung zu acht konkreten politischen Issues berechnet. Die Issues wurden je- der politischen Parteien und ihr persönweils im Format des Wahl-o-mats mit male Abweichung der Parteiposition schätzungen der politischen Einstelmit 2 und eine Übereinstimmung mit 0 lungen des Netzwerkes durch die Beoperationalisiert wurden. Die verwen-
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wurde das Institutionenvertrauen anhand der Items des Vertrauens in das Gesundheitswesen, das Bunricht, den Bundestag, die Stadt- und Gemeintiz, die Hochschulen und Universitäten, die Bundesregierung, die politischen Parteien, die Europäischen Kommission, das Europäische Parlament, die Kirchen und den gebildet.
son ab.
Als weitere Kontrollvariablen werden Werte nach Inglehart, wie Institutionenvertrauen, Religiosität, Stärke der Kirchenbindung, abschluss und Einkommen in die Ana-
Die katholische und die protestantische
metrischen Variablen sind ab einer Anzahl von 20 bei den jeweiligen Variablen
die Atheisten bilden jeweils eine eigene Kategorie. Alle anderen Angaben wur- In diesem Fall wurde eine zusätzliche Kontrollvariable erstellt, die in der Anazeichnet.
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bungsteams bisher der erste Datensatz Die Ergebnisse der logistischen Regres- trix unter Einbeziehung der Linkssion werden in Tabelle 1 dargestellt. Das den oben genannten theoretischen - Überlegungen wurde eine Variation des thesen von Fiorina bestätigt werden mikrosoziologischen Ansatzes der Cokönnen. So besitzen Personen, die von lumbia School vorgenommen, indem den Positionen der zuletzt von ihr ge- cross pressures des sozialen Netzwerwählten Partei abweichen, eine höhere kes anhand ideologischer Verortungen Chance zur Wechselwahl. Ebenso sinkt der Personen im sozialen Netzwerke mit zunehmender Stärke der generellen operationalisiert wurden. Die vorliegenden Ergebnisse zeigen jedoch keiWechselwahl. genität des Netzwerkes in ideologischer rina bestätigen ließen, müssen den vor- wahl. Es wäre zu überlegen, ob dies nicht tiellen cross pressures in diesem Falle durch Heterogenität des sozialen Netzwerkes hinsichtlich politischer Ideolo- gungsperson gebildet und dabei Eltern, Arbeitskollegen, Kinder und Freunde - gleichwertig miteinbezogen. Im An- schluss an sozialisationstheoretische Überlegungen wäre zu vermuten, dass eine Heterogenität in den politischen Wert der politischen Einstellungen des gungsperson im Vergleich zum restli- chen sozialen Netzwerk einen deutlich diktor zur Erklärung von Wechselwahl dar. politische Sozialisation vor allem die 7. Diskussion Primärsozialisation des Elternhauses ausschlaggebend ist. Somit wäre über 2011 liegt nach Kenntnisstand des Erhe- zelnen Personen des sozialen Netzwer-
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kes nachzudenken. Des Weiteren legen die vorliegenden Ergebnisse nahe, dass neben einer Parteinen im Sinne von Fiorinas Retrospective-Voting-Ansatz dem Phänomen Wechselwahl zugrunde liegen. Dieser Ansatz bleibt auch unter Kontrolle der Homogenität bzw. Heterogenität bezüglich der politischen Einstellungen des -
Beck und Stand? Soziale Ungleichheiten, gezesse und die Entstehung neuer sozialer Formationen und Identitäten. In: Krecke, Reinhard (Hrsg.): Soziale UngleichBehnke als Fakt oder Parteineigung durch Fak-
(3), S. 521-546. sätzlich berücksichtigen, beinhaltet er Budge, Ian/Crewe, Ivor/Farlie, Dennis doch neben der rationalen (Issue-)Oriten Parteikompetenz mit der Kandidatenorientierung eine zusätzliche Komponente einer unterschiedlichen sozial- search. Bieber, Ina Elisabeth then und Fakten über das WahlverhalCampus. Caballero, Claudio (2005): Nichtwahl.
Dalton
Klingemann, Hans-
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Dillman
Klingemann, Hans-Dieter (Hrsg.): Ox-
Downs
S. 610-618.
& Row.
Inglehart volution. Princeton: Princeton Universi-
Falter
Schoen, Harald (Hg.)
Inglehart, Ronald/Klingemann, HansFiorina voting in American national elections. mension among western mass publics. In: Budge, Ian/ Crewe, Ivor/ Farlie, DenFreire -
Fuchs, Dieter/Klingemann, Hans-Die- nuities in political action. A longitudithree western democracies. Berlin: de K. (Hrsg.): Continuities in political acAmerica, 5). orientations in three western democra- Klein dies on North America, 5), S. 203-234. tanz und Richtung. Die VerbundmesHadler gleich mit dem Distanz- und dem Rich- tungsmodell des Wählens – empirische
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w w w. s pr i n ge rl i n k .c om /c ont e nt / 28.03.2012. Klingemann
- Roth, Dieter (2008): Empirische Wahl- Schoen, Harald (2005): Wechselwahl. In:
28.03.2012. Knutsen
Kreckel . Kroh
Laponce,
Lewis-Beck
Stegmaier, -
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Zu den Autorinnen studentin im 4. Fachsemester im Studiengang Political and Social Sciences an der Universität Würzburg. Zu Ihren InReligionssoziologie. Gloria Remlein, 22, ist Bachelorstudentin im 6. Fachsemester im Studiengang Political and Social Studies an der Universität Würzburg. Zu ihren Interes-
Regina Renner tin im 11. Fachsemester mit der Fächerder Universität Würzburg. Zu ihren In-
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Über das Sprechen der „Einen“ und das Schweigen der „Anderen“ Ein queer/feministischer Beitrag zur Emanzipation durch FrauenMenschenrechte von Stefan Wedermann
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Die Selbstverbrennung von Tarek alzember 2010 in Tunesien wird als das ka und den angrenzenden Arabischen
Ein homosexueller Aktivist aus Kairo macht nach der Revolution 2011 deutlich, dass die „soziale und politische Revolution noch bevor steht“. Er verweist auf die andauernden Repressionen gegenüber Homosexuellen in Ägypten. Frauenrechtsaktivist_innen forderten Gleichheit zwischen den Geschlechtern und bezogen sich auf die Bewegung „Frauenrecht ist Menschenrecht“. Auf einer theoretischen Ebene nähere ich mich in diesem Text der Frage der Exklusion von Homosexuellen in der Bewegung und thematisiere die Ausschlüsse, die eine Politik, die sich gegen Ausschlüsse wendet, selbst (re-)produziert.
als Frauen, einige von den Aktivist_inschenrechte gegen Unterdrückung, vor allem durch die patriarchale Geselldie Forderungen der Bewegung „Frauen zur Seite stehen sollen. Doch welche Konsequenzen hat die
Aus einer hegemonietheoretischen Perssequenzen einer solchen Emanzipatidem von Judith Butler verbinden und versuchen eine Antwort auf die Frage zu geben, wie regulative Geschlechternormen in Emanzipationsbemühungen reprodu- würden, dass die Rechte von Homosexuellen immer noch ein Tabuthema seiben kann. -
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die Forderungen von Frauenrechtler_ - innen beziehen. Anschließen werde ich gedemütigt werden“ – auch die Revolu- Revolution herausstellen. In der Konklusion werde ich diese beiden Ansätze 2011: 11). Diese Einschätzung teilt ein meine Fragestellung anbieten. Ich werKairo, der erklärt: „[D]ie Revolution ist de mich hier, und da möchte ich nicht ja nicht vorbei, die wahre soziale und politische Revolution steht uns ja noch ter die Aktivist_innen stellen und nicht Konzept von sozialen Bewegungen: das - wegungen zu beziehen, aber dieser Bezug birgt selbst wieder Probleme, wie der Revolution den emanzipatorischen das „Inklusion-Exklusion-Paradox“ (vgl. Brown 2011). Einbeziehung der homosexuellen Emanzipation denkbar. Dieses Beispiel zeigt sehr plastisch, woRecht und dessen Reproduktion von regulativen Geschlechternormen abar- behagen der Geschlechter beitet. Im Folgenden werde ich versuDiskussion zwischen Vertreter_innen Frage, wie regulative Geschlechternor- poststrukturalistischer Ansätze und - deren Kritiker_innen. Fredericke Haden, anzubieten. Hierzu werde ich verdie „demokratische Revolution“ zusam-
ßung“. Diese „Identitätsschließung“ kommt insbesondere „im Fall einer unterdrückten Gruppe, die nach Emanzipation strebt“ zum Tragen, doch diese
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müssten überwunden werden (Haber- derungen erzielten. Hieran kann man das positive Element von Recht sehen. Recht im juridischen Sinne ermöglicht es, gewisse Rechtsansprüche in einem - doch, und dies zeigt das Eingangsbeißungen verstehe ich hier als Konstruk- spiel, produziert diese Emanzipationsstrategie auch Ausschlüsse. In Anlehbezieht. In meinem Beispiel handelt es dass diese Strategie hinter ihre eigenen sich um die Kategorie „Frau“. Diese Idenminiert (siehe unten, Brown 2011: 462). Die Identitätsschließung „Wir Frauen“ te hin und wollen diese verändern bzw. wird die Kategorie „Frau“ als Identitätskategorie immer wieder neu hergestellt Stelle hinter diese Aktivist_innen stel- Darüber hinaus werden „Frauen“, die rung von Frauen unterstreichen. Auch das Recht in Anspruch nehmen auch als wenn die Diskriminierungsmomente - nur durch das Gesetzt, sondern auch - „durch all die Behörden, Klinken, Armen zu schließen und gegen die patriarsenmedien usw., die durch [die] Inanspruchnahme, solcher Rechte in Bewegung gesetzt werden“ (eig. Herv., ebd.: wegt und verändert. Im Kontext der erkennen und auch anerkennen. Auch die Frage nach der Emanzipation werde - ich mich im Folgenden widmen. schlechtlichte Subjekte bezieht, sollte -
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schlechtszugehörigkeit rückwirkend die Illusion erzeugt, dass es einen inneDas heißt, dass sich das Subjekt nicht - husser konstituiert, sondern die Anruubjektwerdung. An seinem Beispiel der AnKonsequenz, dass dadurch auch die Grad“ zum Subjekt wird - manz zugleich reproduziert wird. Butler dith Butler nimmt diese beschriebene Situation von Althusser zum Ausgangs- wiederholt werden muss, um bestehen punkt ihrer Überlegungen von Subjektivation. Sie beschreibt die Subjektwer- einer Wiederholung (Iteration) unterdung bei Althusser durch das „‚Anspre- zwar gegeben, aber sie wird nie vollsie eine eigene Konzeption von Subjekti- durch sich ein Raum des Widerstand ervation entwickelt. Sie erklärt, dass „[e] ine kritische Bewertung der Subjektbil- das Potenzial, „einer Neuverkörperung der Subjektivationsnormen, die die Doublebinds beitragen [kann], zu denen Richtung ihrer Normativität ändern unsere Emanzipationsbemühungen gePolitische außer Betracht bleibt“ (Butler 2001: 33). In - orie der Subjektwerdung am deutlichsschlechter - hen kann, die zugestandenermaßen rigkeiten. Sie versteht Geschlechtszu- gen die man sich wendet“ (ebd.: 21) im xis, die „nicht durch Handlungen, Ges- nicht vorgesehen bzw. nicht möglich.
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da das Subjekt von außen durch den wird und selbst keine Handlungsmacht stand geleistet werden kann, beschreibt telligibilität von Geschlechteridentitäten, diese sind solche, „die in bestimmtem Sinne Beziehungen der Kohärenz und Kontinuität zwischen dem anatomischen Geschlecht (sex), der Geschlechtsidentität (gender), der sexuel-
xualität“ übersetzt (ebd.: 41). In Ergänzung dazu stellt Gudula Ludwig heraus, dass schon Gramsci die Konstitution Ausgangspunkt
emanzipatorischen -
Damit wird Subjektivation zu einem durch den Raum der „Unvollständigte Wiederholung sich eine „subversive
- eine Neukonzeptualisierung von Desidas Begehren, also die sexuelle Identität, heterosexuellen Normen reproduziert und stabilisiert.
ner emanzipatorischen Politik und was hat dies mit dem eingangs genannten
Im Anschluss daran verdeutlicht sie, dass die angesprochene Regulierung Butler eine erste Antwort, indem sie erdurch den Diskurs vollzogen wird. In Körper von Gewicht erklärt sie, dass die Artikulationen stabilisiert wird und so - turen hervorgebracht und eingenandersetzung macht sie diesen eher Emanzipation erreicht werden soll“ schen ersten Kapitel von der Geschlechter kommt sie dann zu der -
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nistischer Politik bilden, solange die Frauen als Frauen haben und ausüben, die Setzung dieser Grundlage verschleiert wird. Vielleicht stellt sich paradoxerweise heraus, dass die Repräsentation als Ziel des Feminismus nur dann sinnvoll ist, wenn das Subjekt ‚Frau(en)‘ nirgendwo vorausgesetzt wird“ (eig. Herv., ebd.: 22). 2.2 Paradoxien des Rechts
widerstreiten so dem Versuch, diese Normen in Frage zu stellen“ (Brown 2011: 462). Brown beschreibt die Strategie der Emanzipation durch geund unterstreicht dabei, dass es sich hier nicht um „Widersprüche oder Spannungsverhältnisse“ handelt, sondern
miteinander unvereinbare[r] WahrheiStrategie, die sich gegen Ausschlüsse wendet, selber Ausschlüsse hervor. - Hier wird nun die Frage nach Emanzipa- tion augenscheinlich. Welches Verständnis von Emanzipation könnte Selbstbestimmung über Sexualität und - mit der Arbeit von Ernesto Laclau und treibung anzuerkennen oder Lesben - ren Emanzipationsverständnis vorstelelle Selbstbestimmung zuzugestehen“ len und die politische Praxis, die sich daben. Butler Hegemonie der Heterosexualität genannt hat. Die Forderungen und ErHegemonie und radikale Demokratie legen Ernes-
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-
satzsammlung renz von Ernesto Laclau. Dort weist er gescheiterten deutschen und europäischen Revolution, keine Politik mehr ohne Hegemonie gab, machen sie zum Emanzipation konstitutive Akt nur das litischen in Europa (Laclau et al. 2006: Hegemonietheorie, die zwar an Gramsci anschließt, allerdings in einer dezi- zipation versprechen und es in einer ka‚Ökonomie-Determinierung in letzter
auch keine Emanzipation geben kann. dikale Demokratie mit sozialistischen
Konzepte sind hierbei Diskurs und Artikulation. Weiterhin entwickeln sie An- es daher auch keine „wahre Emanzipati- on“ innerhalb einer binär-normierten verständnis, welches sich als sehr an- und heterosexuell strukturierten Geerweist. Emanzipation bedeutet zuverhältnissen – „eine Reihe von Unter- Diskurs und Artikulation eingehen und ordnungsverhältnissen“ bezeichnen kennzeichnen. sind dadurch gekennzeichnet, dass gewisse Praxen, Normen etc. in einem Dis- Artikulation stellt den beiden Postmarkurs etabliert wurden und als natürlich gegeben erscheinen. Dieses Verhältnis eine Beziehung zwischen Elementen so - etabliert, dass ihre Identität als Resultat stellung destabilisiert werden und die Etablierung einer neuen Erklärung oder ziert wird. Die aus der artikulatorischen Praxis hervorgehende strukturierte To-
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geordnet und immer wieder neu strukturiert wird (ebd.: 141). Diskurse sind also Praxen, durch die sozialer Sinn generiert wird, wie z.B. wann etwas einen Sinn ergibt, etwa vergleichbar mit Intelxiert, d.h., ihnen wird eine Bedeutung iert sich als Versuch, das Feld der Diskursivität zu beherrschen, das Fließen rum zu konstituieren. Wir werden die privilegierten diskursiven Punkte dieser partiellen Fixierung Knotenpunkte nennen“ (ebd.: 150).
von Diskursen immer unvollständig
Politische Diskurse sind Orte, an denen
Politik von Partikularinteressen in der Etablierung „linker Gegenhegemonien“ aus, um die Bildung von restriktiven Identitätsnormen zu überwinden. La-
ob ein Element einen hegemonialen nen bei Ernesto Laclau und Chantal menten, die im Zuge dieser Relationietikulationen sind also iterative Praxen im Diskurs, die (neu-)strukturieren und die hegemoniale Struktur der Gesellstand. Weiterhin können durch Kritik gegenhegemoniale Bewegungen entstehen. Durch das Eindringen des Neu-
eine Parallelität zwischen Butler und das Subjekt ist nicht determiniert. Durch Gegenhegemonien kann bspw. werden. Die „radikale und plurale Demokratie“ soll unter anderem zum Kern haben, Subjekts als einer einheitlichen, transparenten und genähten Entität“ konstitutiv sei (Laclau et al. 2006: 208). Daher
Bildung von Koalitionen von sozialen Bewegungen aus, um gemeinsam linke Gegenhegemonien zu etablieren. Diesen Prozess nennen die beiden demokratische Revolution, also einen demokrati-
Inspiriert durch die Kritik eines homosexuellen Aktivisten aus Kairo an den
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Emanzipationsbestrebungen, habe ich
schlagen mit ihrem Konzept der radika-
Politik, die sich im Namen von Frauen- wie diese regulativen Hegemonien -
auszustellen, die mir in dieser Fragestelzuvollziehen, wie diese Ausschlüsse hin, dass sich die heterosexuelle Hegemonie durch ständige Wiederholung oder Iteration immer wieder neu konstituiert. Diese Wiederholung, so Butler, möglicht, Widerstand gegen diese Hegemonie zu üben. Sie macht deutlich, dass Heterosexismus kein natürliches ches Phänomen, welches hegemonialiUm die Politik der Hegemonie besser verstehen zu können und zu erkennen, welche Praxen dabei relevant sind, habe ich im Anschluss daran die Hegemonietheorie von Ernesto Laclau und Chantal sucht Partikularinteressen zu naturalisieren. Die beiden Postmarxist_innen
ein breites Bündnis, neue sogenannte Kontenpunkte innerhalb des Diskurses zu etablieren. Zentral hierbei ist die Zurückweisen von eingrenzenden und homogenen Identitäten, was die Partizipation im Emanzipationsprozess ausweitet. Ziel sei es, durch einen demokratiEmanzipation zu gelangen – dies nennen sie demokratische Revolution. ermöglicht es, die Frage, wie regulative produziert werden, zu beantworten. Die wodurch die Hegemonie der Geschlechter reproduziert wird. Die binäre Geschlechterordnung selbst reproduziert dabei auch die Hegemonie der Heterosexualität, wie Butler erklärt. Das heißt, dass Geschlechtsidentitäten, die sich jenseits der Heterosexualität bewegen, durch die Bewegung „Frauenrecht ist den. Dies wird auch am Eingangsbeispiel deutlich. Nicht nur, dass nicht-heterosexuelle Identitäten ausgeschlos-
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sen werden, sondern die geschlechtsregulative Normen, so Butler und Althusser Brown. Dies verhindere auch die Emanzipation der Frauen. VSA. R체ckgebunden an den Titel des Textes, - Brown Can the Subaltern speak? (Spivak 2008) erinnern soll, zeigt sich, toph/Raimondi, Francesca (Hrsg.): Die dass durch den Ausschluss von Homosexuellen jene zum Schweigen gebracht Grundlegende Texte zu einem neuen werden und jene, die sich in die heterohin einordnen, sprechen. Das Sprechen Butler Schweigen der Anderen und reproduziert so das hegemoniale heterosexuelle Suhrkamp. Regime. Die Einbindung von Positionen homosexueller Aktivist_innen w채re Butler - wicht. Die diskursiven Grenzen des Gewert. kamp. Butler Eltunsi Frauenpower. Interview mit Kathrin
05.11.2011]. Gerhard und Feminismus. Eine Geschichte seit
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Salah, Hoda (2011): „‚Veränderungen brauchen Zeit . Interview mit Hoda SaHabermann, Fredericke (2011): „Solida- lah über den Umbruch der GeschlechSchmidt-Häuer
05.10. 2011]. , Klaus (2011): „Die wahre Revolution steht uns noch bevor“. O-Töne zum arabischen Frühling aus schwuler Sicht. In: iz3w, H. September/Oktober, S. 20-21. Laclau
wegen - global verhandeln. Internatio-
Spivak Can the subaltern speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation. Wien:
Laclau, Ernesto/ , Chantal (2006): Hegemonie und radikale Demokratie. Wien: Passagen-Verlag.
Zum Autor
Ludwig, Gundula (2011): Geschlecht re, 25, studiert Politogieren. Zum Verhältnis von Staat, Subjekt und heteronormativer Hegemonie. Soziologie und Philosophie an der Goewie Gender Studies am Cornelia -Goe- the-Centrum. Zu seinen Interessengekale Demokratie, Hegemonie. Einleitung“. In: ders. (Hrsg.): Diskurs, radikale Demokratie, Hegemonie. Zum politischen Denken von Ernesto Laclau und ze sowie Diskurstheorie.
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„Obviously I'm not a dick, right?“ Positioning masculine identities on the mediated conversational von Linus Westheuser
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Talk” in which she gives a detailed actives in all-male conversations and conIn this essay I will look at a group of four trasting them with others recorded in male students watching the dating and game show “Take Me Out” and in this context analyse the construction of masculinitheoretical background of this study is provided by the analysis of media consumption as interaction on a ‘mediated conversa-
-
and the positioning approach to gendered identities as developed by Neill Korobov and Micheal Bamberg.
-
to ask with Deborah Cameron, whether Synthesizing both perspectives I will ap- nessed these scenarios occurring in real proach the collected data to ask how the participants use the conversational frame of communal TV watching for positioning themselves; and in what way the recourse to masculinity, in relation to other features, ration of this research question in the light cultural logic so pervasive in Western of the mentioned theories, I will introduce the context and realisation of the study. I will then go on to analyse selected sequen- investigate it. Amongst others, the disces from the obtained data. Concludingly I - science suggest that through instrucuss their implications.
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gendered structures are implicated in positioning approach developed in disthere has been a call in Gender Studies lain, masculinities are here seen as an “empirical phenomenon occurring in ceptualises masculinities as non-onto- ted through positionings, or the high-
-
-
and subverting hegemonic norms. Simi-
conversation and discourse devices, again with a view to their co-construc- within it. -
proach taken here, Bamberg and Koro-
adolescent males draw up positionings -
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- their homes to distinguish three levels al desire, while also hedging against pronouns directed at a participant in the ching can be understood as conversatioshow to invoke their own personal exgrammes are not the passive recipients messages, but “respond to the conversa-
-
-
-
-
-
ve, are at hand. participants will engage in interactions
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the TV show (1), responding to its con- gle women and has to impress them in tents and cues on all the three levels (2). order to be able to go on a date with one (3) and will emerge in positionings also - the man gets to choose whom to date sational devices in the interaction both among the participants and with the TV show (5). -
scripts while at the same time being stetioning against deviance. cussion about which TV programme to watch and the conversations while wat-
gaging with a TV show while not wat-
present during the recording without contributing much to the conversations -
there is debate between the participants -
Chris (all names changed), are undertranscript can be obtained from the author. transcript are indicated as: (Sec: Line Number)) - 1
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2 3
Out Chris: can we not watch a shit TV show? Can we (.) sho- (.) watch a good TV°- how
sing it in the conversation – which he running on the computer.
4 5 6 Wire Chris: how about we watch::: 8
hegemonic and heteronormative gender ob (.) but
10 11
certain::: um. ((seeing a video on the computer)) THIS GUY WAS SO AWE
peated vetoing and turning on the show (1: 12-32), which prompts Bojan to join the conversation: (Excerpt from Sec. 1, ll. 32-41)
12 32 Out< 33 Amid advocates the show, with Chris viewing it as “shit” and proposing to
34 35 - 36 Chris: good
[(inaudible) is
lowing sequences when stating “obvi- 38 Bojan: women (1.5) 40 Amid: just go with it ((starts clapping with the show
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audience)) clap man clap (.) 41
enumerated above. As it is to be expecsponses in the data. Besides (near-)mini-
take part in it
show. Although we will see in the contikeep the male candidate home she would “let the candles do the talking, -
where the night goes”, to which Bojan tack” (5: 45). Like in these examples, the responses -
phatic clapping that marks the begin-
ness bench:
interaction on the mediated conversati(Excerpt from Sec. 3, ll. 10-17) the reluctant Chris to “clap, man, clap”, 10 Amid: woo:h is that his special his participation.
seconds 11
interact with the mediated conversatio- 14
-
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15 came in 16
-
-
derstand what he was doing)) Chris: true (.) nor did I (.) I like her ve reaction to a character in the show (â&#x20AC;&#x153;I like herâ&#x20AC;?) is linked to expressing a rejec-
the statement hints at the ambivalence
teract with the interviewed women in
(Excerpt from Section 6, ll. 1-4) 1
in which both Amid and Bojan engage in a short and indirect conversation invol-
((presenter to a male candidate, re(Excerpt from Sec. 2, ll. 1-4)
2
cracker))
1
3 slapped her arse earlier 4
others)) (1.0) just the right
2
just desperate girls that keep coming back Bojan:
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3
like women have the power
-
4 idiot (Excerpt from Sec. 5, ll. 46-50) idiot (.) goade46 went to the bank right (.) tent. Starting his statement, as Amid
voice)) tried to persuade 48
ted when in another sequence Amid, Bo-
contracts (.)um the bank accountants were like speaking banters like work hard
50 it laugh)) trick?â&#x20AC;? as quoted earlier), interrogating the participants construct their responses in opposition to the show and its candidates. However, in accordance with tions with personal experience to diver- tings. On the other hand this as well can - be read as a gender-relevant positioning -
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king. positionings, or in other words, set the gests that a mediated conversational
encompassing both the television programme and its viewers, is constructed cerned it seems clear that a critical theothrough response practices on all the rogating statements made in the studio. -
take partâ&#x20AC;?.
indoctrination that has become the unslighted are the diverse and localised communicative practices involving mass media, as well the relational space in which mediated and unmediated neated. Both can contribute to an interactional perspective which â&#x20AC;&#x201C; without assuming the receiving side as the sole or
participants should become more transparent: What â&#x20AC;&#x201C; as one might still wonder hold. In a similar sense the example given in culinities as cultural practice. In a posi- tioning approach, as introduced here,
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change contributing to a relational - Austin masculinities remains uncertain to a
Bamberg
- Cameron Blackwell. relevant in vicarious positionings, be- Coates
-
However, although the data presented Connell ted conversation, the question remains Cornwall, Andrea/ - parative Ethnographies. London: Rout- ledge. mediated and the immediate conversa- nia Press. -
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Nature. London: Free Association Books. 1 second Horton, David/Wohl
Korobov,
Neill/Bamberg
(1.5)
Timed pause in seconds
[overlap]
Overlapping speech
°quieter°
Encloses talk that is quieter than the surrounding talk
LOUD
Talk that is louder than the surrounding talk
Emphasis
Emphasis
Nothing!”. Positioning Identities in (Eds.): Selves and Identities In Narrative cc/~mbamberg/Papers/Strip_Poker.doc, accessed: 18/02/10). Wood versational Floor. An Interactive Ap-
surrounding talk Wood Press.
-
slower than the surrounding talk (brackets)
Encloses words the transcriber is unsure about
((comments))
Encloses comments
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sound .
Stop in intonation successive talk
Zum Autor Linus Westheuser beendet gerade seinen BA Sozialwisteressensgebiete sind Kultursoziologie,
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Neuro-Romantik? der Hirnforschung von Carola Klinkert
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sich des Eindrucks nicht erwehren, die schen den Geschlechtern, Empathie oder gar Religiosität ging – sämtliche Phänomene menschlichen Zusammenlebens wurden unter neurowissenIm folgenden Beitrag wird versucht, die Liebe als ein diskursives Phänomen zu be- delt. Diese Tendenz weitet sich bis in die chen Wissensvorräten basiert und sich his- heutzutage kein Liebes- oder Partnertorisch wandelt. Die gegenwärtigen Leitsemantiken der romantischen und der sachtet. Der vorliegende Beitrag thematidem medialen Erfolg der NeurowissenIn diesem interdiskursiven Zusammenhang zeigt sich die Notwendigkeit der Integration verschiedenster Wissensfragmente zu einer allgemein verständlichen Erzählstruktur. Basierend auf einer wissenssoziologischen Diskursanalyse, erweitert um die Methode der Metaphernanalyse und das Konzept des Interdiskurses, zeigt die folgende Analyse, dass in populärwistische, vor allem aber auf symbolische Mechanismen der Wissensintegration zumöglicht einen kritischen Blick auf die dem Diskurs zu Grunde liegenden kulturellen Legitimationsmuster und deren unausgesprochene Implikationen.
veränderten Wissensgrundlage und babeit (Klinkert 2012). Darin wurden pozu Paarbeziehungen untersucht, die sich dezidiert mit Liebesbeziehungen und an Reiner Keller (2006, 2008), erweitert stellten dabei das Forschungsprogramm nach den Codier-Richtlinien der grounded theory
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nächst einiger Eingrenzungen. Für eine stände mit traditionellen Semantiken interaktiven und kommunikativen Aspekte der Liebesbeziehung, die untersucht werden. Des Weiteren siedeln sich Es stellt sich also erstens die Frage, wie - Ebene der kulturellen Programme und - Diskurse und nicht der sozialen All- Anschluss an die Klassiker des Fachs dessen zweitens seiner Studie „Liebe als Passion“ (2010 testen vollzogen, indem er Liebe als - lisch generiertes KommunikationsmeKonzepte von Liebe, Paarbeziehung und Geschlecht wird im Punkt näher beleuchtet, bevor viertens on von Wissensbeständen eingegangen -
nikationscode, nach dessen Regeln man anderen unterstellen, leugnen und sich
kann, die es hat, wenn entsprechende Kommunikation realisiert wird“ (ebd.: tik leitet also die Ausgestaltung von In- timbeziehungen an, indem sie einen spe-
Anschluss an Luhmann etablierte sich in - der Soziologie und Literaturwissenon Um die Liebe als soziologischen Gegen-
-
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len Leitmotiv der bürgerlichen Gesell-
zelte im literarischen Diskurs der „Neudurch die Einheit von sexueller Leiden- en Sachlichkeit“, realisierte sich aber unist gekoppelt an die sozialen Formen der hungsalltags, so dass es gegenwärtig neben der romantischen Konzeption verliert gegenüber der grenzenlos stei- „eine gleichwertige Rolle im semantigerbaren Individualität der Liebenden Giddens postuliert nach einem „Wandel die Beziehung. Zudem kommt ein and- romantischen Liebesideals. Festzuhal- ten bleibt, dass es sich bei der kollektiven - Vorstellung von Liebe um ein historisch wandelbares Konzept handelt, das eng - ren und Prozessen zusammenhängt und sierung des romantischen Liebesideals sich aus verschiedenen Wissensquellen in einem diskontinuierlichen Prozess speist. Ähnlich dem Geschlecht kann mit „Tendenzen der romantischen Stei- auch die Liebe als eine Wissenskategorie Die Durchsetzung der Norm der Liebesdie Ebene des gelebten Beziehungs- ren, wie sie im Teilprojekt O „Transzenalltags auswirken, während die starke denz und Gemeinsinn in privaten LePolarisierung der Geschlechtscharaktere im bürgerlichen Zeitalter gegen die - werden (vgl. Scholz 2011), zeigt sich nitätsideals in der Liebe spricht (vgl. deutlich eine Tendenz der zunehmenderts etablierte sich die Vorstellung eirung und zunehmenden Spezialisierung Normen der Gleichberechtigung, Ge- von ExpertInnenwissen in einer „Wisrechtigkeit und einer Tauschrationalität
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- sensgenerierung diskursiv erzeugt. Dies - hegemoniale Diskurspositionen zum lungen. Das Ideal der objektiven, quantichen Sektors ergeben, wie sich diese äu- ßern und welche Aspekte dabei im Verborgenen bleiben. Allerdings bleibt Fou- Spezialdiskurse beschränkt, womit er gegenwärtige Aushandlungsprozesse sprachlichen Diskurs vernachlässigt Geschlecht in der letzten Dekade verstärkt eine Verschiebung der Deutungs- stellung von Spezial- und Elementardismacht in Richtung der Bio- und Neuro- des Interdiskurses. Damit sind jene Berenziert sich besonders in den 2000er Publikationssektor aus, in dem neben ziehungen zwischen mehreren Spezialklassischen Ratgebern vor allem Sach- hergestellt werden. Die Funktion des Interton, zirkulieren. terdiskurses liegt also in den „selektivschen und stark imaginären Brückenschlägen über Spezialgrenzen hinweg Im Überschneidungsgebiet zwischen liebessemantischem und neurowissenTeil dieses Interdiskurses und institutio- nalisieren sich zunehmend (z.B. Zeitrungen im Programm der wissenssozioFachwissen, wird an bestehende kollekdiskursive Formation beschreiben, die tive Wissensbestände angepasst und in eine allgemein verständliche Sprache historisch wandelt und Regeln der Wis- übersetzt. Bas Kast versuchte in seinem
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Buch über die Liebe beispielsweise, „die Ergebnisse aus den Labors der Leiden- zess relativiert werden, sonst gäbe es keinen nicht-metaphorischen Bereich Liebesleben nutzen lassen“ (Kast 2006: 22). schließen sich mit dieser Forschungsperspektive die sprachliche Eigenlogik Die interdiskursive Vernetzung des bolische Art und Weise und die in den - Im empirischen Teil der Arbeit werden -
sches Schmuckwerk, sondern unvermeidlich Bestandteil jedes Redens über die Liebe sind. In der Philosophie gibt es eine traditionsreiche Auseinandersetmeist die kognitive Linguistik dar. Nach
tersucht. Die zunehmende Wissensspelichen Kommunikation der Forschungsergebnisse zu Verständigungsproblem zwischen Expert_innen und Lai_innen, tiert. Wie alle Wissensbestände sind -
- „eine entsprechende theoretische Figur [angewiesen], um die Disziplin als GanDas gesamte menschliche Denken ist metaphorisch strukturiert, neue Sachverhalte erschließen sich erst in Analogie zu bereits bekannten Sachverhalten. ne, mit dem Herz als Pumpe, den Nieren sierung dieser Versatzstücke mit bereits als Filter und dem Gehirn als Zentral- etablierten Wissensbeständen zu einer computer. Freilich muss eine derart aus- allgemein verständlichen Erzählung.
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Liebe zu nennen, an die sich die ZuSachbuch (Kast 2006) und zwei themati- der sich vor allem Bio- und Neurowis2006), weist einige sprachliche und argu-
Beziehungsarbeit‘ einhergeht und darum vor
Plausibilität ergibt sich nicht allein aus matischer Dekontextualisierung von Studienergebnissen. So wird suggeriert, ten eins zu eins von der künstlichen La-
Diese widersprüchliche Konzeption beherbergt beide vorgestellte Liebessemantiken, wobei Aspekte der romantischen Liebe tendenziell abgewertet wertasien werden als FeindInnen einer
stets eine Balance zwischen Einzel- und lassen, was nicht möglich ist und von Paarinteressen – eine weitere bipolare Forschern und Forscherinnen sicher Konstruktion – gewahrt bleiben. Die auch nicht intendiert ist. Weiterhin nut- Vorstellung einer blinden, absoluten Hingabe steht der Konzeption eines rational handelnden, sich selbst und die Bedeterministische Sprache, in der sich ziehung optimierenden Individuums mulieren lassen, während in der Wis- ches Liebesmodell angewiesen ist: liert wird. (Vgl. Schmitz/Schmieder Reziprozität und Gegenseitigkeit ausge2006) - kurses, indem kollektive Semantiken bis als zeigte sich diese Tendenz beispielsweise in einer Neigung zur Dichotomie: Auch die Unterscheidung von Intimität und Sexualität in den Texten entspricht und Geschlecht) wurden Zweiteilungen ein biochemisch hochwirksames Bindevorgenommen. Zunächst wäre die Kons-
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einer langjährigen Beziehung werden chanismen zur Förderung der Intimität gewiesen sind. Nach Werner Vogd - (2010) gibt es drei Angebote zur theoreti- schen Integration von Hirnwissen: die Beziehung, sind Trennung und die Suche nach neuem Liebesglück legitim. gamie wird schließlich evolutionstheo-
der sich soziale Phänomene scheinbar
romantische Vorstellung der einen, grobiographischer Episoden der Verliebtheit im Leben.
Rolle des Evolutionsgedankens wurde -
drückt sich in einer konsequenten Untheorie. Die primäre Bindung zwischen sowie männlich und weiblich konnotierten Aspekten der Liebesbeziehung - auch den Liebesstil der Erwachsenen. schung mit Vorstellungen von geEine letzte Dichotomie lässt sich bezüg-
diese Sichtweise dabei ebenso wie der gedanke, so dass angesichts der biologi- eine Neurochemie der Liebe. Die Formuschen Fundierung des Geschlechterdua- von Hirnwissen im populärwissensprochen werden kann. Anhand dieser che Argumente bezüglich der Liebe
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dohormon Testosteron, Serotonin als Glücksbote usw. – wirkt sich die jeweiliPegelstand kontextualisierung und simplen Funktionalisierung wird die Komplexität der
Flüssigkeit metaphorisiert: Zorn und Ärger können in jemandem hochsteigen, bis man schließlich vor Wut kocht, ängst- Das Liebesglück erscheint als eine Frage des chemischen Gleichgewichts, der Liebesdiskurs wird metaphorisch mit
- Die Flüssigkeitsmetaphorik ist gleichsie wird aus ihrem komplexen, interaktiven Entstehungskontext herausgelöst und ist so den messenden, experimentel- 2011), in die sich das Bild der Ehe bzw. lel dazu auch neurobiologische Prozesse als Flüssigkeiten beschrieben und in Verbindung zur Behältnis- bzw. „Containermetapher“ (vgl. Goschler 2010: scheint als ein abgeschlossenes Behältnis, in dem die Hormon- und Neuro„Liebescocktail“ (Kast 2006: 15) zirkulieren:
Darin erscheint die Liebe als ein unerBezietreiben und von der Besatzung gesteuert werden müssen. Die Liebesbeziehung erscheint als ein gemeinsames Wagnis und permanenter Prozess peutische Ratschläge erscheinen in diesem Zusammenhang als Bergungsmaßnahmen havarierender Beziehungen. Um in der Ehe keinen zu erGehirne werden von Dopamin - leiden (vgl. Kast 2006: 20) und dem Streit tet den „Wind aus den Segeln zu nehmen“ sinkt eindeutige Funktion zugewiesen be- Wartungsarbeiten angewiesen. cin, das Lustmolekül Dopamin, das Libi-
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besbeziehung geht also mit mühevoller Arbeit und Lernprozessen einher, deren peutischen Diskurs entnommen und mit ben werden. Ein dominantes Sprachbild ist das des tos Beiträge in Form von Zärtlichkeit o.ä. eingezahlt, ein Beziehungskapital angespart und bei Investition in ein sicheres Liebesvermögen bewahrt vor dem und den Zwang, wieder als Single „auf dem Markt zu sein“ (ebd.: 105). Auch hier werkonzipiert. Der oder die Liebende wird im Sinne eines homo oeconomicus nach dem Kosten-Nutzen-Kalkül handelnd
schen organischer und mechanischer Gehirns verwiesen. Einerseits wird es mit der Rede von einer „Hirnrinde“ (vgl. wurzelnden zen in Verbindung gebracht, anderer„heruntergefahren wird“ (ebd.: 58), „auf Hochtouren laufen“ kann (ebd.: 52) und in dem „Signale weitergeleitet“ werden taphern drückt sich eine Ambivalenz aus, die selbst konstitutiver Bestandteil des metaphorisierten Gegenstands ist und sich durch die metaphorische Vercher Diskurse ergibt. So hat nicht erst die nach dem „Akteur Gehirn“ (vgl. Rei-
kapitalistische Gedanke der Rentabilität sum der Romantik“ wurde von Eva Ill- phern ihres Gegenstandes (vgl. Hagner gisch-therapeutischen Diskurse mit dem Liebesdiskurs. Wie die beiden Beispiele zeigen, müssen metaphorische Konzepte nicht über den gesamten Text hinweg miteinander -
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genlogik der Sprache ernst nimmt. Die jeweils vorherrschenden Sprachbilder Die Untersuchung hat gezeigt, dass die von Liebe und Gehirn in der medialen Liebe – als diskursives Phänomen ver- Auseinandersetzung geben somit auch den, historisch-semantischen Wandlungsprozess unterliegt, sondern dass sie auch Gegenstand zahlreicher gegenwärtiger Aushandlungen ist. Das aktuelle Liebesverständnis speist sich aus verschiedenen traditionellen Konzepten, ze einer visuellen (Wissens-)Soziologie - integriert werden. Denn zur Klärung der tualisiert und neu arrangiert. Exemplases und seiner medialen Präsentation teil. Außerdem wäre zu klären, welche und Fernsehen, im gegenwärtigen Liebesdiskurs spielen. Spezialwissens, wie es in Links (2006) Interdiskurs-Konzept angedacht ist. Die lierte Ansätze wie die Evolutions- oder G&G die Bindungstheorie angewiesen, die der
-
Kast, Bas (2006 [2004]): Die Liebe und ergänzendes Instrument im WerkzeugPH (2006): Liebesleben. Paare – Proble- Compact, Nr. 15. kursen erlaubt und gleichzeitig die Ei-
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Braun, Christina von/Stephan, Inge
Illouz, Eva (2003): Der Konsum der Ro-
Böhlau.
Keller -
Burkart einer Soziologie der Liebe. In: ders./ Hahn, Kornelia (Hrsg.): Liebe am Ende
Fine
Keller, Reiner (2008): Wissenssoziologines Forschungsprogramms, Wiesbaden: VS.
- Klinkert, Carola (2012): Neuro-Roman-
ces. London: Icon. Foucault
- Diplomarbeit an der Technischen Universität Dresden.
Giddens Intimität. Sexualität, Liebe und Erotik
Knoblauch, Hubert (2005): Wissenssoziologie. Konstanz: UVK. Koppetsch
Goschler das Gehirn. Berlin: Frank & Timme.
nen Paarbeziehungen. In: Burkart, Günter/Hahn, Kornelia (Hrsg.): Liebe am
Hagner ne. In: ders. (Hrsg.): Ecce cortex. Beiträ- Kruse Biesel /Schmieder, ge zur Geschichte des modernen GeEin rekonstruktiver Ansatz. Wiesbaden: VS. Haverkamp , George/ -
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tion und Gebrauch von Sprachbildern.
teur Gehirn – oder das vermeintliche Ende des handelnden Subjekts. Eine
Lenz, Karl (2005): Romantische Liebe – Fortdauer oder Niedergang? In: Tanner, Klaus (Hrsg.): „Liebe“ im Wandel der - sierung des Alltagsbewusstseins. Die pektiven. Leipzig: Evangelische Verüber Ehe. Opladen: Westdeutscher Verlag. Lenz, Karl (2006): Soziologie der Zweierden: VS. Konersmann, Rald (Hrsg.): Wörterbuch Link Link-Heer stadt: Wiss. Buchges., S. 240-252. Diskurs/Interdiskurs und Literatur- Reichertz Zaboura, Nadia (Hrsg.) (2006): Akteur Gehirn – oder das vermeintliche Ende des handelnden Subjekts. Eine Kontroverse. Wiesbaden: VS. Link ter besonderer Berücksichtigung von Reinhardt-Becker, Elke (2005): SeelenKeller, Reiner/Hirseland, Andreas/ tiken in der Literatur der Romantik und -
430. Luhmann Passion. Zur Codierung von Intimität.
-
Krieg, Liebe ist eine Reise, und die quali- tative Forschung braucht eine Brille. Re-
Sonderheft 2 | 2012 Seite 151
truktion und Gebrauch von Sprachbil-
Schmitz
-
In: Ebeling, Kirsten Smilla/dies.(Hrsg.): xes Wechselspiel. Wiesbaden: VS, S. 211234. Schmitz, Sigrid/Schmieder, Christian (2006): Popularisierungen. Zwischen - Zur Autorin Schmitz, Sigrid (Hrsg.): Geschlechter- Carola Klinkert schloss im Februar 2012 ihr Soziologiestudium an der TU Dres- den mit einer kultursoziologischen Vergie ab. Die Diplomarbeit ist Grundlage Scholz - se an der Wissenssoziologie, diskurshungs- und Erziehungsratgebern. Arschungsbereich 804, Teilprojekt O. Seit 2008 war sie als Tutorin am Institut Strauss, Anselm/Corbin
- zendenz und Gemeinsinn in privaten -
Vogd, Werner (2010): Gehirn und Gesell-
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GruĂ&#x;wort aus Bamberg Der 4. Studentische Soziologiekongress steht bevor!
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Auf ein Neues
schen Studierenden verschiedener Stu-
den Studentischen Soziologiekongress natürlich noch nicht Schluss. Bereits seit eini- ten Neues zu lernen, an eigenes Wissen die nächste Runde. Der Termin steht auch durch den Austausch mit anderen Teilschon fest: Der 4. Studentische Soziologiekongress wird vom 04. bis 06. Oktober 2013 Soziologie zu erhalten. Vor allem der letzte Kongress in Berlin Die Organisation des Bamberger Soziodern des Arbeitskreises Soziologie übernommen. Als unabhängige Hochschulgruppe hat sich der Arbeitskreis Soziologie das Ziel gesetzt, die Studierenden des Fachs stärker miteinander zu vernetzen, die Studienbedingungen zu verbessern und einen Blick über den Tellerrand des Lehrangebots zu ermöglichen. Dazu wurden bisher Projekte -
der Webseite. Wir wollen versuchen, auch weiterhin ein so transparentes TeilnehmerInnen zu bieten. So haben schläge beisammen, aus denen wir ver-
dass sich viele Ideen überschneiden und aber auch regelmäßig Veranstaltungen wir letztlich keine Auswahl, sondern stammtisch organisiert. Abgerundet wird der Tätigkeitsbereich durch ein Be- plexe herauskristallisiert, über die wir Fachbereichs Soziologie und redaktionelle Arbeiten.
-
„Pluralisierte Leben“ und „Krisen, ProWie bereits bei den vorigen Kongressen zesse, Potentiale“ lautet eure Wahl, mit soll auch in Bamberg über drei Tage eine einem hauchdünnen Vorsprung von - zwei Stimmen: „Krisen, Prozesse, Potentiale“. der Austausch und die Vernetzung zwi-
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ment aus rund zehn Personen und hat Sie ist es, die eine Rahmenperspektive änderungen bereitstellt. Dabei werden die Bereiche Kommunikation und Technik, Individualbilder, Politik, Bildung und Kultur mit einbezogen.
„Inhalt und Programm“, „Finanzen und
oder „Nachbereitung“ verteilt, wobei die meisten von uns am liebsten in allen Bereichen mitwirken würden. Wir haben bereits mehrere ganztägige WorkAus diesem Votum werden wir in nächs- shops zu Projekt- und Zeitmanagement ter Zeit zurück zu den Ideen gehen und aber mit deutlichem roten Faden geversenden können und sind schon sehr gespannt eure Beiträge.
dabei, einen Verein zu gründen, um macht zu werden oder auch die Einnahmen zu verwalten, aber nicht zuletzt ebenso deshalb, damit nach dem Ende des Kongresses das breite Engagement
SSK die Soziologie auch denen näher gebracht werden, die eher wenig damit zu tun haben. Deshalb wird neben dem inhaltlichen Programm ein größerer Rah- bestehen in der Ausschreibung des Call men geplant, der sowohl den TeilnehmerInnen einen Einblick in das Leben und Arbeiten in der Weltkulturerbe- chumer Soziologiekongress der Deutim Oktober 2012 werden wir mit zwei wir uns jederzeit über Ideen oder Angebote von eurer Seite. Kennenlernen von interessierten StuDas ist das, was bisher sichtbar ist. Doch dierenden und studentischen Initiatigroße Teile der Organisation spielen - der ad-hoc-Gruppe „Soziologische Vielkleinen Einblick wollen wir aber den- hänge“. Wir würden uns über ein rege
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Wiedersehen in Bamberg 2013! Viele GrĂźĂ&#x;e, euer Arbeitskreis Soziologie
gie
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Danksagung
Teilnehmenden und Beitragenden des 3. Studentischen Soziologiekongresses
durch die wir dieses Projekt schließlich realisieren konnten. Zudem
möchten
wir
uns
beim
gesamten
Team
des
Studentischen
beim Satz.
Hinweisen stetig unterstützt. Nicht zuletzt sind wir natürlich all unseren Autor_innen und Leser_innen zu
kreative Ideen, die uns in der täglichen Arbeit unterstützen. Aktuell suchen wir soziologiemagazin.de/blog/mitmachen/
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Impressum
Herausgeber:
Gerichtsstand: Halle (Saale) Vereinsvorstand: vorstand@soziologiemagazin.de Redaktion:
Covergestaltung: Richard Bretzger
Anzeigenschaltung: Ausgabe: soziologiemagazin e.V., Sonderausgabe