31 - ein Teil der Stadt

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F端r Anahi Lugos


Diplomarbeit im Studiengang Stadtplanung an der HafenCity Universit채t Hamburg Verfasserin Sophie Naue (Matrikel-Nr. 28261) Gutachter Prof. Dr. Michael Koch Prof. Dr. phil. habil. Max Welch Guerra Hamburg im Januar 2010



Inhaltsverzeichnis

Porqué – Warum Buenos Aires

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Prolog

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Aufbau der Arbeit

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Positionierung und Methodik - Theorie und Tagebuch

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Die fragmentierte Stadt

Mythos Buenos Aires

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NotStadt – die Villas Miserias

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Die Perzeption des Anderen

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(Über) Lebensraum

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Die unendliche Geschichte – Produktion eines informellen Raums

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Siedlungsproträt Villa 31

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Lage - direkt im Zentrum am Rand der Stadt

Der städtische Kontext - Zentralität der Villa

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Villa 31 und Villa 31 bis

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Stadtteilporträts Villa 31

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Die Erschließung - Anbindung

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Die Straßen - der öffentliche Raum der Villa 31

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Daten technische und soziale Infrastruktur

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Die Bewohnerstruktur - woher kommen die Villeros?

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Die bauliche und räumliche Konfiguration - das situative Bild der Villa 31

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Der informelle Wohnungsmarkt

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Open End Architektur - Anonyme Architekten und informelle Typologie

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Exkurs - Vertikaler Schwindel – ein Versuch staatlicher Kontrolle in der Villa 31

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Die Manager der Marginalität – soziale und politische Selbstorganisation

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Die informelle Ökonomie der Villa 31

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Inhaltsverzeichnis

Exkurs - Die formelle Anerkennung – wenn der Besetzer zum Besitzer wird

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Die formelle Anerkennung entspricht nicht der realen Anerkennung

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Wer würde die Villa vermissen?

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Zwischenfazit – Villa 31 (Über) oder Lebensraum

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Wie weit reicht die Stadt?

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Bild- und Tonkollage - Dort wo Ordnung und Chaos aufeinandertreffen

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Die Verwebung von Villa 31 und Buenos Aires

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Räume der Verdichtung

Wissenstand Informalität - Die Auflösung der Dichotomie von Ordnung und Chaos 113

Grenzenlos begrenzt

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Eine theoretische Betrachtung von Grenzen

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Typologie der Grenze

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Materielle Raumgrenzen

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Die visuellen Grenzen und Begegnungen

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Immaterielle Grenzen

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Ein Abbild wird zur Grenze

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31 – Ein Teil der Stadt für einen Augen_Blick

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Die Existenzsicherung der Villa 31 ist gesetzt

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Die Intervention „31 - ein Teil der Stadt für einen Augen_Blick“

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Epilog

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Anhang

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Glossar

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Quellenverzeichnis

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Abbildungsverzeichnis

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Ley de urbanización

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Porqué - Warum Buenos Aires

Süd Amerika - Argentinien

Südamerika Argentinien

Argentinien - Provinz Buenos Aires

Argentinien Provinz Buenos Aires

Provinz Buenos Aires - BS AS. Stadt

Provinz Buenos Aires Buenos Aires

BS AS. Stadt - Stadtteil Retiro

Buenos Aires Stadtteil Retiro

Stadtteil Retiro - Villa 31

Stadtteil Retiro Villa 31


wer würde die villa vermissen

Porqué – Warum Buenos Aires

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Porqué – Warum Buenos Aires

Prolog Die Informalisierung der Städte ist eine weltweite Erscheinung; im wissenschaftlichen Diskurs zur Stadt des 21. Jahrhunderts findet das Phänomen der Informalität bereits zunehmend Beachtung und gewinnt an Anerkennung. Die eigentlichen Motoren für die Entwicklung des informellen Urbanismus sind die Megacities des globalen Südens. Der lateinamerikanische Kontinent ist in diesem Zusammenhang bereits seit den 1960er Jahren zu einem beliebten Forschungsgegenstand avanciert. Das Augenmerk liegt hauptsächlich auf Städten wie Mexiko City, Rio de Janeiro und Caracas, die in weiten Teilen dominierend durch informelle Siedlungsformen geprägt sind. Doch auch in Buenos Aires gibt es seit Jahrzehnten informelle Armutssiedlungen innerhalb der Stadt. Das Ausmaß dieser Siedlungen ist in der einst wohlhabenden Stadt zwar noch deutlich geringer als in vielen anderen Teilen Lateinamerikas, doch die Zerstörung der staatlichen Funktionen während der 1990er Jahre sowie die drastische Wirtschaftskrise 2001 hatten eine zunehmende Armut und Ausdifferenzierung der argentinischen Gesellschaft zur Folge (siehe: Mythos Buenos Aires: 20). Größere, plötzlich verarmte Bevölkerungsgruppen werden regelrecht in die Informalität gezwungen bzw. in die Villas Miserias, wie die informellen Marginalsiedlungen in Argentinien genannt werden (siehe: NotStadt: 24). Das Land Argentinien und seine Hauptstadt Buenos Aires finden im internationalen Kontext, ungeachtet der gegenwärtigen Situation vor Ort, jedoch kaum Berücksichtigung. Innerhalb Argentiniens werden die Villas Miserias und die gegenwärtige Wohnungsnot zwar ausgehend von unterschiedlichen Disziplinen wissenschaftlich erforscht, doch gibt es keine gängige politische Praxis, gesellschaftliche Probleme verstärkt auch in ihrer räumlichen Dimension zu erfassen. Aus stadtplanerischer Sicht ist das Phänomen der Villas Miserias demnach nur unzureichend wissenschaftlich erforscht und anerkannt. Es ist also höchste Zeit einen Beitrag zu leisten, dies zu ändern. Die vorliegende Arbeit „31 - ein Teil der Stadt“ widmet sich dem Phänomen der informellen Stadt und setzt an der bestehenden Leerstelle der Forschung an. Der Fokus dieser Arbeit liegt auf einer informellen Siedlung, der Villa 31 in Buenos Aires. Die Villa 31 wird in ihrer räumlichen und sozialen Ausprägung analysiert. Im Rahmen dieser Arbeit sind jedoch keine Rückschlüsse auf andere Villas Miserias möglich, denn - La Villa 31 no

es cualquiera - die Villa 31 ist nicht irgendeine Villa Miseria,

sondern weist eine Vielzahl von Alleinstellungsmerkmalen auf. Ziel der Arbeit ist es aufzuzeigen, dass es gezielter Interventionen bedarf, um diese besondere Villa zu erhalten und anzuerkennen. Die Existenzberechtigung der Villa 31 soll dabei durch ihre Entstehungsgeschichte und eine genaue Analyse ihrer derzeitigen Situationbegründet werden.Um ein besseres Verständnis für den Untersuchungsgegenstand bzw. die Villa 31 zu schaffen, wird die Situation der Siedlung zuerst kurz umrissen, darauf folgend der konkrete Aufbau der Arbeit dargelegt.

Untersuchungsfeld Villa 31 Die Villa 31 ist eine der ältesten Villas Miserias in Buenos Aires. Die Entstehungsgeschichte der Siedlung geht bis in die 1930er Jahre zurück und ist eng mit der Geschichte von Buenos Aires verbunden Die Siedlung ist damals durch informelle bzw. irreguläre Landbesetzung und den improvisierten Bau von Hütten auf brachliegenden Flächen im Hafenviertel von Buenos Aires entstanden. Obwohl die Villa 31 und ihre Bewohner im Laufe der Geschichte zum Opfer zahlreicher Umsiedlungsversuche wurden, ist die Siedlung nie aufgegeben worden (siehe: Die unendliche Geschichte: 44). Die Villa 31 ist somit keine „Spontansiedlung“ im Sinne einer kurzfristigen Unterkunft, sondern ist zum wesentlichen Bestandteil der Stadt Buenos Aires geworden. Über die Jahre hat sich die Siedlungsstruktur in räumlicher und auch sozialer Hinsicht immer wieder selbst bzw. durch ihre Bewohner konsolidiert (siehe: Die bauliche und räumliche Konfiguration der Villa 31: 66). Heute ist die Villa 31 der Lebensraum und die Heimat von schätzungsweise mehr als 30.000 Menschen. Die Bewohner der Siedlung haben hier in Selbstbauweise ihre Häuser errichtet und ihre eigenen sozialen sowie politischen Strukturen aufgebaut (siehe: Manager der Marginalität: 78). Doch noch immer leben viele der Bewohner unter prekären Wohnbedingungen, mit unzureichender infrastruktureller Versorgung und vor allem in ungeklärten Besitzverhältnissen. Die Villa 31 ist im Gegensatz zu einer Vielzahl von anderen Villas Miserias in kein Programa de Radicacion (staatliches Konsolidierungsprogramm) integriert, denn sie steht aufgrund ihrer besonderen bzw. für eine Villa Miseria einzigartigen Lage - direkt im Zentrum von Buenos Aires - im Fokus des immobilienwirtschaftlichen Interesses, deren Einfluss auf die Politik auch die Konsolidierung der Villa 31 bislang verhindert hat (siehe: Wer würde die Villa 31 vermissen: 87). Der rechtliche Status der Siedlung ist somit bis heu-


Porqué – Warum Buenos Aires

te ungeklärt. Die Bewohner der Villa 31 verharren seit Jahrzehnten im Zustand der Duldung und leben mit der ständigen Unsicherheit und Angst vor einer möglichen Umsiedlung in andere Villas Miserias oder den sozialen Wohnungsbau am Stadtrand. Doch die soziale und politische Organisation von Seiten der Bewohner hat einen über die Jahrzehnte und bis heute andauernden erfolgreichen Widerstand gegen den Abriss der Villa 31 und die Umsiedlung der in ihr lebenden Menschen geleistet. Die vorherrschenden Interessenskonflikte gehen allerdings über rein wirtschaftliche Spekulationen und politische Interessen an den Flächen der Siedlung hinaus. Denn die zentrale Lage und Präsenz der Villa 31 im Stadtraum von Buenos Aires macht die Flächen der Siedlung nicht nur für Immobilienfirmen lukrativ, sondern hebt die Villa 31 in das Blickfeld einer breiten Öffentlichkeit. Die Villa 31 ist kontrovers in der Gesellschaft diskutiert und somit ein emotional behafteter Raum direkt im reichen Zentrum von Buenos Aires. In der Auseinandersetzung um die Existenzberechtigung der Siedlung spielen Ängste, Vorurteile sowie das Aufeinanderprallen zweier sich fremder Welten (Gegenwelten) eine wesentliche Rolle. Denn trotz der weit reichenden Verwebung mit Buenos Aires wird die Villa 31 nicht als Teil der städtischen Struktur wahrgenommen. Die Villa 31 grenzt sich deutlich vom Rest der Stadt ab bzw. wird ausgegrenzt (siehe: Die Verwebung von Villa 31 und Buenos Aires: 95). Die Exklusion und Nichtanerkennung der Villa 31 durch die Regierung und einen großen Teil der Bevölkerung von Buenos Aires spielt bei der folgenden Beschäftigung mit der Siedlung eine zentrale Rolle (siehe: Immaterielle Grenzen). Bei dieser Auseinandersetzung geht es jedoch nicht ausschließlich um die Existenzberechtigung der Villa 31 unter Berücksichtigung der in ihr lebenden Bevölkerung, sondern auch um die Bedeutung, welche die Siedlung für die gesamte Stadt Buenos Aires hat.

Aufbau der Arbeit Das übergeordnete Ziel der Arbeit „31 - ein Teil der Stadt“ ist die langfristige Existenzsicherung und Konsolidierung der Villa 31 im Stadtraum von Buenos Aires durch die reale Anerkennung der Siedlung. Das übergeordnete Ziel ist stets im analytischen und konzeptionellen Denken präsent und als ein Apell der Verfasserin zu verstehen. Es bildet die Grundlage der vorliegenden wissenschaftlichen Arbeit und steckt somit den Rahmen für die Ableitung von untergeordneten operationalisierten Zielen, Fragestellungen und Thesen ab und begleitet sowie gliedert die Arbeit richtungsweisend.

Die Konsolidierung bzw. Existenzsicherung durch die reale Anerkennung der Villa 31 ist die Voraussetzung für den Fortbestand, den weiteren Umgang und die angemessene Entwicklung der Siedlung. Denn die reale Anerkennung bedeutet letzlich die langfristige Integration der Villa 31 in den Stadtraum von Buenos Aires. Die Konsolidierung der Villa 31 baut auf einer im Detail zu analysierenden Existenzberechtigung der Villa 31 auf und bezieht sich demnach auf die Festigung und Sicherung der Siedlungsstruktur an ihrem gegenwärtigen Standort. Doch eine Konsolidierung der Siedlung, die sich allein auf formelle Regelungen und bauliche Maßnahmen stützt, wie es gegenwärtige übliche Praxis in Buenos Aires ist, wird den Strukturen und komplexen Gegebenheiten der Villa 31 aufgrund ihrer besonderen Lage und Präsenz im Stadtraum nicht gerecht. Deshalb unterscheidet die Verfasserin der Arbeit zwischen formeller und realer Anerkennung. Das Konzept der realen Anerkennung geht über die formelle Anerkennung mit ihren herkömmlichen Mechanismen der Regulierung und Formalisierung hinaus, indem der gegenwärtige, nicht formell anerkannte Wert der Villa 31 für ihre Bewohner und die Stadtentwicklung von Buenos Aires ermittelt wird. Bei der realen Anerkennung geht es um weitaus mehr als eine nach innen gekehrte Konsoliderung, die auf eine reine folmalisierung setzt. Die formelle und reale Anerkennung sind Prozesse, die im Idealfall zwar parallel zueinander verlaufen können, sich jedoch nicht unmittelbar bedingen müssen. Denn das Konzept der realen Anerkennung kann auch zum Motor für die formelle Anerkennung werden(siehe: Reale Anerkennung: 86). Die reale Anerkennung ist als Prozess zu verstehen, der bereits mit der gegenwärtig noch nicht vorhandenen spezifischen Analyse der Villa 31 einsetzt. Die eigene strukturelle Ordnung und Kultur der Villa 31 wird hierbei offen gelegt und als Teil einer dynamischen städtischen Entwicklung betrachtet. Denn das Verstehen der Villa 31 und der Logik ihrer Entwicklung ist die Grundlage und Voraussetzung für die Anerkennung der Siedlung (siehe: Überlebensraum). Die Villa 31 und die Stadt Buenos Aires werden jedoch meist als zwei Parallelwelten gesehen, es existieren Grenzen und Barrieren, die ein „Innen“ und „Außen“ markieren. Um das Verhältnis zwischen der Villa 31 und der Stadt zu verstehen, werden die Interdependenzen, die Verwebung und auch die Grenzen zwischen der Villa 31 und Buenos Aires dargestellt (siehe: Wie weit reicht die Stadt). Durch die aufgezeigten Wechselwirkungen

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Porqué – Warum Buenos Aires

und Verwebungen wird die Bedeutung der Villa 31 nicht ausschließlich für ihre Bewohner, sondern auch für die gesamte Stadt verdeutlicht. Aufgrund der vorherrschenden Interessenkonflikte steht allerdings die Auseinandersetzung mit den existierenden materiellen, aber vor allem den immateriellen Grenzen dabei im Vordergrund. Denn nach Meinung der Verfasserin ist „eine langfristige Konsolidierung – die reale Anerkennung der Villa 31 – nur möglich, wenn sowohl materielle als auch unsichtbare, immaterielle Grenzen zwischen der Siedlung und Buenos Aires überwunden werden“. Diese These ist Grundlage der Arbeit. Deshalb wird nach der spezifischen Analyse, dem Aufdecken und Verstehen der inneren Logik der Villa 31, ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit auf der Grenzanalyse liegen. Bei der Analyse der Grenzen steht im Vordergrund, ein Verständnis zu schaffen, um die zum Großteil auf Vorurteilen in der Gesellschaft basierenden immateriellen Grenzen zu hinterfragen. In diesem Zusammenhang geht es vorwiegend darum, neue Zugänglichkeiten zu schaffen, die darauf abzielen, die Villa 31 als Teil der Stadt zu verstehen und somit zur realen Anerkennung der Siedlung in der gesellschaftlichen Wahrnehmung beizutragen. Die grundlegende Fragestellung der Arbeit ist also: Können die gegenwärtigen Grenzen zwischen der Villa 31 und Buenos Aires durch soziale und teilhabende Interventionen hinterfragt und neubewertet werden. Kann es zu einem Perspektivenwechsel oder einer Grenzverschiebung in der gesellschaftlichen Wahrnehmung und letzlich zur realen Anerkennung der Villa 31 kommen? Die Fragestellung untergliedert sich weiterhin in folgende operationalisierte Fragestellungen: (Wo) bestehen die Verbindungen, Abhängigkeiten und Grenzen zwischen der Villa 31 und Buenos Aires? (Wie) manifestieren sich diese auf materieller und immaterieller Ebene? (siehe: Wie weit reicht die Stadt). (Wie) kann an vorhandenen Grenzen angesetzt werden, um diese zu hinterfragen bzw. zu modifizieren, um so letztlich zu einer Neubewertung der Villa 31 beizutragen und neue Zugänglichkeiten zu schaffen? (siehe: 31 - ein Teil der Stadt für einen Augenblick). Die Konzeption der Arbeit wird im Einzelnen durch die sich gegenseitig bedingenden Themenpunkte - Die fragmentierte Stadt, die Perzeption des Anderen, 31 Über oder Lebensraum, Wie weit reicht die Stadt, 31 – ein Teil der Stadt

für einen Augen_Blick - bestimmt, die das Gerüst zur Annäherung an die Villa 31 sowie ihrer Positionierung im Stadtraum von Buenos Aires bilden (siehe: Grafik Aufbau der Arbeit).

Die Existenzberechtigung und die Bedeutung der Villa 31 werden somit im Rahmen einer detaillierten Analyse der Siedlung und der Verbindung dieser mit ihrem Umfeld begründet. Da es sich bei der realen Anerkennung um einen Prozess handelt, kommt den operationalisierten Fragestellungen, die in die einzelnen Kapitel einleiten, in diesem Zusammenhang keine mindere Bedeutung als der letztendlichen Fragestellung zu. Die Arbeit „31 – ein Teil der Stadt“ ist als ein ein Baustein für die reale Anerkennung der Siedlung zu verstehen. Es ist nicht Ziel der Arbeit, fixe Konzepte oder Lösungen für den Umgang mit der Villa 31 zu liefern und somit aus fremder Sicht über die Köpfe handlungsfähiger Subjekte vor Ort zu entscheiden. Der Fokus dieser Arbeit liegt viel eher auf der zielgerichteten Analyse, dem Lesen, Hinterfragen und Aufzeigen der Villa 31, um so ein Verständnis für diese zu schaffen. Mögliche konzeptionelle Interventionen werden zwar entwickelt, dienen jedoch als Denkanstöße und sind als eine Diskussionsgrundlage für folgende Maßnahmen und den Erhalt der Villa 31 zu verstehen.


Porqué – Warum Buenos Aires

Villa 31 Buenos Aires

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Porqué – Warum Buenos Aires

Positionierung und Methodik – Theorie und Tagebuch Eine theoretische Auseinandersetzung mit der angewandten Methodik gespiegelt aus einer persönlichen Perspektive und Wahrnehmung auf die Villa 31.

Vor der Villa November 2006 – Für ein sechsmonatiges Praktikum in Buenos Aires Es ist mein zweiter Tag in Buenos Aires. Ich fahre mit dem Zug aus der Stadt in Richtung Norden nach Tigre. Der Bezirk Tigre soll einer dieser vielen gesichtslosen Reichenvororte von Buenos Aires sein, aber ich will eigentlich auch nicht dahin, sondern zum Flussdelta des Rio de la Plata, dort soll es ganz schön sein. Unmittelbar nachdem der Zug vom städtischen Hauptbahnhof Retiro losgefahren ist, erstreckt sich nur wenige Meter von den Gleisen entfernt, ein ungeordnetes Nebeneinander von kleinen selbstgebauten Häusern. Diese disperse, dichte, aber niedrig gebaute Siedlungsstruktur steht im deutlichen Kontrast zu den gegenüberliegenden erhabenen Kolonialbauten. Der Zug fährt bestimmt fünf Minuten, bis er die Siedlung hinter sich gelassen hat. In den folgenden sechs Monaten treffe ich diese mir zuvor aus anderen lateinamerikanischen Städten bekannten bzw. allgegenwärtigen Bilder der Armut in diesem Sinne in Buenos Aires nicht mehr an.

weiterhin nach außen zu transportieren. Wenigstens hat Buenos Aires genau diese Wirkung lange Zeit auf mich gehabt. Nach sechs Monaten, in denen ich vielleicht etwas unkritisch und, wenn ich mich im Nachhinein betrachte, auch irgendwie ignorant in Buenos Aires gelebt habe, interessiert es mich jetzt, genau die andere Seite dieser Stadt kennen zu lernen bzw. das Sichtbare, das für mich lange Zeit unsichtbar war, zu sehen und darüber zu berichten. Ich entschließe mich, über die Villa 31, die Siedlung, die direkt hinter dem Hauptbahnhof, dem Zentrum der Stadt liegt, mein Diplom zu schreiben. Dezember 2008 – Vorbereitung in Hamburg Die Frage, die sich mir immer wieder stellt, ist, wie bekomme ich einen Zugang zu der Villa 31? Ich kann doch nicht einfach so in die Siedlung reinspazieren, oder doch? Aber wie soll ich mit den Menschen, die dort leben, in Kontakt kommen? Mit Zugang meine ich in diesem Sinne nicht nur einen räumlichen Zugang, sondern auch einen sozialen. Ich fange an zu recherchieren, alles, was ich über die Villa 31 finden kann, zu lesen, Organisationen innerhalb der Siedlung und Personen, die in irgendeiner Weise durch ihre eigene Forschung mit der Villa 31 in Kontakt stehen, anzuschreiben. Bereits in Hamburg ergeben sich erste hilfreiche Kontakte zu Menschen, die mir versprechen, mit mir gemeinsam in die Villa 31 zu gehen und mich dort andern Organisationen etc. vorzustellen.

März 2008 – Im Urlaub in Buenos Aires Im Zug, auf dem Weg von der Universität zum Hauptbahnhof Retiro zurück ins Zentrum von Buenos Aires, fahre ich gemeinsam mit zwei befreundeten Stadtplanern aus Hamburg wieder an der gleichen Szenerie vorbei. Ich frage mich selbst, wie ich die direkt im Zentrum liegende Villa Miseria so lange einfach übersehen konnte. Buenos Aires, was ist das für eine Stadt? Ich möchte hier keine Hommage an diese außergewöhnliche Stadt mit ihrem urbanen kulturellen Leben schreiben. Doch Buenos Aires gilt auch heute noch als jene Stadt, die unter den Megacities Lateinamerikas wohl am europäischsten geprägt ist. Die Pracht und der Wohlstand längst vergangener Tage scheinen in der Stadt konserviert zu sein. Buenos Aires schafft es trotz der durch die Wirtschaftskrise 2001 angestiegenen Armut und der Scharen von Cartoneros (Papiersammler), die seitdem Abend für Abend mit ihren Karren durch die Straßen laufen, um den Müll zu recyceln, an seinem alten Bild festzuhalten und dieses

Methode: Literaturrecherche Die Recherche der Fachliteratur dient zur Informationsbzw. Erkenntnisgewinnung und Eingrenzung des Themenfeldes. Die Thematik der Villas Miserias insbesondere der Villa 31 ist jedoch nicht ausreichend erforscht, so dass die vorhandene Fachliteratur nicht den gestellten Forschungsbedarf der vorliegenden Arbeit deckt. Schlüsselpersonen Um den für die Arbeit nötigen Zugang auf inhaltlicher, räumlicher und sozialer Ebene zu der Villa 31 zu bekommen, war der frühzeitige Kontakt zu in der Siedlung ansässigen Organisationen (NGOs) sowie zu anderen Personen, die über die Villa 31 forschen, essentiell. Durch den Kontakt zu den so genannten Schlüsselpersonen haben sich mit der Vertiefung der Recherche neue Kontakte ergeben und die persönlichen sowie fachlichen Beziehungen intensiviert.


Porqué – Warum Buenos Aires

In der Villa März 2009 – Fünf Monate in Buenos Aires - zwischen Euphorie und Verzweiflung 01. März 2009 – Beim Anflug auf Buenos Aires sehe ich die Villa 31 schon aus der Luft. In diesem Moment bin ich aufgeregt, ein wenig unsicher, aber vor allem neugierig auf das, was auf mich erwartet. 15. März 2009 – Es ist Sonntag, es ist heiß, staubig, laut und alles erscheint mir unglaublich neu und interessant, -es ist mein erster Tag in der Villa 31. Ich arbeite jetzt beim Apoyo Escolar, einer unabhängigen Organisation, die den Kindern in der Villa bei ihren Hausaufgaben hilft. Die Lehrer sind u.a. Jugendliche um die 14, die in der Villa 31 wohnen und ehemals selber die Hausaufgabenhilfe, den Apoyo Escolar, als Schüler besucht haben. Eine meiner Schülerinnen, Nancy, fragt mich, ob ich jetzt jeden Sonntag von Deutschland in die Villa kommen würde. Ich erzähle ihr, dass ich jetzt in Buenos Aires wohne und daher ab jetzt jeden Sonntag da wäre. Methode: Empirie vor Ort – teilhabende Beobachtungen Der Rahmen für die Konzeption der empirischen Arbeit vor Ort basiert auf einem explorativen Zugang zu der Villa 31. Die Herangehensweise erfolgt durch einen subjektiven Zugang, der maßgeblich durch eigene Begehungen und teilhabende Beobachtungen geprägt ist. Um die Villa 31 und den Alltag ihrer Bewohner kennen zu lernen, wurde innerhalb der fünfmonatigen Recherche vor Ort soviel Zeit wie möglich in diversen Einrichtungen und verschiedenen Teilen der Siedlung verbracht. Da sich ein wesentlicher Teil der Arbeit mit dem analytischen Grenzgebiet und somit dem Umfeld der Villa 31 sowie den Beziehungen dieser zu der „formellen Stadt“ beschäftigt, wurde der an die Villa angrenzende Stadtraum und der Stadtteil Retiro intensiv in die Feldforschung einbezogen. Außerdem waren das Leben vor Ort in Buenos Aires sowie die alltäglichen Kontakte zu den Bewohnern der Stadt und die weiterführenden Beobachtungen innerhalb der Stadt von wesentlicher Bedeutung. Die qualitative Ermittlung erfolgt somit durch einen Zugang von außen und von innen. Ich erinnere mich, dass mir vor meinem ersten wirklichen Kontakt mit der Villa 31 gesagt wurde, die Villa 31 sei eine Art Villa deluxe, die sich nicht mit den anderen Villas Miserias am Stadtrand von Buenos Aires vergleichen ließe. Deluxe ist wohl eher der falsche Ausdruck. Aber man kann sich die Villa 31 auch nicht wie den Prototypen eines „Slums“ vorstellen - wenn es diesen denn

überhaupt gibt. Aus den Häusern, die aus festem Material (meist aus Stein) gebaut sind, dringt laute Cumbiar Musik, es gibt kleine Läden und Bars, auf einem Platz wird Fußball gespielt und drum herum gegrillt, die engen Gassen sind voll von Menschen, wie eine Stadt innerhalb der Stadt. Wieder Zuhause angekommen, erzähle ich meiner Mitbewohnerin von meinem ersten Tag in der Villa. Sie weiß sofort, welche die Villa 31 ist. Sie hat die Siedlung schon viele Male aus dem Busfenster gesehen - denn die Villa 31 liegt mitten in der Stadt, aber selbst ist sie noch nie in irgendeiner Villa Miseria gewesen und hört mir interessiert zu. Ich versuche mich von meiner ersten Begeisterung, geprägt durch das bunte Treiben auf den Straßen, zu distanzieren und das, was ich gesehen habe, kritisch zu hinterfragen. Methode: Videoaufnahmen Um die Präsenz bzw. Sichtbarkeit der Villa 31 im Stadtraum und die räumliche Nähe zum Zentrum von Buenos Aires zu vergegenwärtigen, wurden Videoaufnahmen aus drei unterschiedlichen Perspektiven auf die Villa 31 gemacht. 1. aus einem von Süden an der Siedlung vorbeifahrenden Fernstreckenbus 2. aus dem Zug, der von der Estacion Mitre (in Retiro) nach Norden an der Villa 31 vorbeifährt. 3. aus einem privaten Auto, das auf der Autobahn Presidente Illia über die Villa 31 hinweg fährt. Anhand einzelner Ausschnitte aus den Videoaufnahmen wurden die Bilder in die vorliegende Arbeit transferiert. 18. März – In alltäglichen Gesprächen mit meinen Freunden und Studienkollegen in Buenos Aires bekomme ich einen ersten Eindruck, wie kontrovers die Meinungen und Vorstellungen, die das Verhältnis der Bewohner von Buenos Aires zu der Villa 31 bestimmen, sind. Außerdem bin ich gestern während meiner Internetrecherche bei Facebook auf eine Gruppe getroffen, die sich si tiria una boma la tiraria encima de la Villa 31 (wenn ich eine Bombe schmeißen würde, würde ich sie auf die Villa 31 werfen) nennt. Gleich im Anschluss kam ich auf die Seite einer anderen Gruppe, die sich dafür ausspricht, dass die vorherige Gruppe aus dem Portal gelöscht werden soll. Jede weitere Recherche zeigt mir, wie polemisch die Existenzberechtigung der Villa 31 innerhalb der Bevölkerung diskutiert wird.

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Methode: Internet- und Presserecherche Die Presserecherche unterschiedlicher Tageszeitungen spiegelt das Bild der Villa 31 in den Medien wider und dient der aktuellen Informationsgewinnung. Die zahlreichen Foren und Blogs im Internet, auf denen die Existenzberechtigung der Villa 31 diskutiert werden, geben zusätzlich neben Interviews und alltäglichen Gesprächen einen Einblick über die diversen, individuellen Einstellungen zur Villa 31. Um dieser komplexen Situation der Villa 31 gerecht zu werden, muss ich meinen Betrachtungswinkel wohl öffnen und versuchen den erweiterten Kontext zu verstehen. Ich beschließe, mich deswegen nicht ausschließlich auf die Siedlung zu konzentrieren, sondern die unterschiedlichen Perspektiven der Bevölkerung von Buenos Aires, der sog. Porteños, in meine Forschung mit einzubeziehen. Methode: Narrative Interviews Einen wesentlichen Bestandteil der empirischen Arbeit bilden leitfadengestützte narrative Interviews. Eine Bedingung bei der Auswahl der Interviewpartner war der bereits im Vorfeld bestehende persönliche Kontakt zum Gesprächspatner oder die explizite Empfehlung durch Bekannte oder vorherige Gesprächspartner. In der Regel war so von Anfang an ein gewisses Vertrauen als Grundlage für das Interview gegeben. Gerade im Hinblick auf die Interviews, die mit den Bewohnern aus der Villa 31 geführt wurden, war dies wichtig, da Berührungsängste, Enttäuschungen und Misstrauen bei ihnen besonders tief sitzen. Außerdem konnten so Einstiegs- und Leitfragen im Vorhinein auf die persönliche Situation des Gesprächspartners angepasst bzw. konkretisiert werden. Um die Vielschichtigkeit der subjektiven Wahrnehmungen auf und aus der Villa 31 darzustellen bzw. die Komplexität der Thematik zu erfassen, wurden verschiedene Interviewpartner ausgewählt, die sich in die folgenden drei Gruppen kategorisieren lassen. Die Protagonisten: sind Bewohner der Villa 31. Sie repräsentieren exemplarisch die gelebte Realität und Wahrnehmung der Villa von innen. Darüber hinaus werden sie als lokale Experten betrachtet. Die Antagonisten: sind die Porteños,die Bewohner aus der „formellen Stadt“. Sie stehen für die Wahrnehmung und Perspektiven auf die Villa 31 von außerhalb. Die Grenzgänger: bilden eine Schnittstelle zwischen den formellen und informellen Lebensweisen sowie den ur-

banen Kontexten. Ihre Sichtweisen stehen für die Wahrnehmungen und Erfahrungen von innen- und außerhalb der Villa. 31. März – Ich befinde mich auf dem Weg zur UGIS. Die UGIS ist eine staatliche Organisation, die mit der Konsolidierung der Villas Miserias beauftragt ist und ihren Hauptsitz in Lugano weit im Süden der Stadt hat. Nachdem der Bus das Zentrum verlässt, führt der Weg an unzähligen Villas Miserias vorbei. Die Stadt von der ich dachte, sie zu kennen, zeigt sich mir von einer vollkommen anderen Seite. Vor den Türen der UGIS hat sich eine Traube von Menschen versammelt, die laut diskutieren; es sind die Bewohner aus der nahe gelegenen Villa 17, in der seit zwei Tagen der Strom ausgefallen ist, das andere Buenos Aires gibt es eben auch. Nach einem einstündigen Gespräch mit Walter Mosquera (Mitarbeiter der UGIS), der von Zahlen und Statistiken fasziniert zu sein scheint, weiß ich nun: die Villa 31 ist ein besonders schwieriger Fall, wegen ihrer Lage einzigartig und so ganz unter der Hand sagt er zu mir: deshalb wohl auch noch nicht legalisiert. Das habe ich ja schon öfter gehört, denn die Regierung würde die Bewohner der Villa 31 gerne umsiedeln, doch sie weiß nicht, wohin mit den 30.000 Menschen, die in der Villa 31 leben. Genauso wenig traut sich die Politik allerdings, eine klare Entscheidung für die Existenzsicherung der Siedlung zu treffen, denn die zentralen Flächen, auf denen sich die Villa 31 befindet, sind seit den 1990er Jahren zunehmend im Blickfeld wirtschaftlicher Interessen. Methode: Statistik Quantitative Datenerhebungen haben, wenn sie überhaupt vorhanden sind, in Bezug auf die Villas Miserias meist ungenügende Aussagekraft. Auf der einen Seite muss bei der Verwendung quantitativer Statistiken darauf geachtet werden, dass es sich bei der Villa 31 um eine informelle Siedlung handelt und informelle Strukturen sich schwer statistisch erfassen lassen. Auf der anderen Seite basiert die vorliegende Arbeit auf der Forderung der „realen Anerkennung“ der Villa 31 und will somit verstehen bzw. nicht auf den ersten Blick zugängliche Strukturen, Verbindungen und Abhängigkeiten etc. offenlegen. Statistiken werden demnach, wenn vorhanden, hauptsächlich ergänzend verwendet. Eigene Empirie und Beobachtungen vor Ort heben deshalb eine wesentliche Bedeutung für diese Arbeit.


Porqué – Warum Buenos Aires

Doch wenn ich entscheiden dürfte, würde ich die Villa 31 an ihrem derzeitigen Standort erhalten, das sage ich nicht einfach aus eine Laune, sondern aus der Überzeugung, dass die Villa 31 sowohl einen Wert für ihre Bewohner als auch für die Stadt Buenos Aires hat. Und genau darum werde ich mich in der folgenden Arbeit mit der Bedeutung und Berechtigung der Villa 31 an ihrem derzeitigen Standort auseinandersetzen.

rungsklasse unterrichtet. Humberto kennt jeden in der Villa und jeder mag Humberto, da er eine kluge und ehrliche Art hat, mit Menschen umzugehen. Gemeinsam mit einer Freundin aus Frankreich beginne ich jetzt in seiner Klasse, die aus acht Frauen aus der Villa 31 und einer Gruppe von Männern aus dem an die Villa angrenzenden Parador de Retiro (Obdachlosenheim) besteht, englisch zu unterrichten.

03. April – Ich gehe jetzt fast jeden Tag in die Villa, in der ich mittlerweile sehr herzlich aufgenommen werde. Aber gerade zu Anfang wurde eine gewisse Zurückhaltung oder vielleicht auch Misstrauen von Seiten der Bewohner mir gegenüber deutlich.

25. April – Mein bereits aufgegebener Soziologenstatus wird jetzt durch Profe, das ist die Abkürzung für Lehrerin, ersetzt, denn ich habe außerdem angefangen, zweimal die Woche drei Mädchen aus der Villa Englischunterricht zu geben. Alvinia, die Mutter meiner einen Schülerin, umsorgt mich mit Mate, selbst gemachtem Schnaps und anderen aus ihrem Heimatort stammenden Köstlichkeiten, die Gastfreundschaft ,die mir entgegengebracht wird, ist unglaublich. Außerdem bekomme ich so langsam auch einen Eindruck, wie das Leben hinter den bunten Fassaden der kleinen Häuser, in denen bis zu 10-köpfige Familien oft in dunklen und feuchten Räumen leben, aussieht.

Alicia, eine langjährige Bewohnerin der Villa 31 und die Leiterin des Comedor Arca de Noé, in dem ich den Frauen regelmäßig bei der Essensaufgabe mithelfe, hat zu mir gesagt, dass ich zu Anfang besser nicht jedem sagen solle, dass ich Stadtplanerin sei. Die Leute würden sonst denken, ich komme von der Stadt, und die von der Stadt hätten meist nichts Gutes im Sinn, das hat die Geschichte der Villa 31 deutlich genug gezeigt. Ich solle also lieber sagen, ich sei Soziologin, damit könnten viele der Menschen mehr oder überhaupt nichts anfangen. So wurde ich zur Soziologin. Allerdings habe ich meinen Soziologentitel relativ schnell wieder abgelegt, da es bei meinen Interviews und Kontakten zu den Menschen ja auch darum ging, davon zu erzählen, was ich mit den Informationen, die sie mir gaben, vorhatte. Im Comedor von Alicia habe ich dann auch die Anthropologin Maria Christina Cravino kennen gelernt. Sie ist für meine Arbeit die wohl wichtigste Kontaktperson unter den Experten, weil sie in den letzten Jahren am intensivsten über die Villas Miserias und insbesondere über die Villa 31 geforscht hat. Aber nicht nur ihre Bücher und die gemeinsamen Gespräche sind von essentiellem Wert für meine Arbeit, sondern auch die Kontakte zu anderen Experten, die sie mir vermittelt und ermöglicht hat. Methode: Experteninterviews Für die intensivierte Informationsgewinnung dienten Gespräche mit Fachleuten aus der Planungspraxis. Diese wurden in Form von quantitativen, Leitfaden gestützten Interviews durchgeführt. Bei den ausgewählten Experten handelte es sich um Architekten, Geographen, Anthropologen und Mitarbeiter aus den Behörden –IVC, UGIS, Subsecretaria de Planeamiento. 17. April – Bei einem Auftritt des Jugendorchesters der Villa 31 habe ich Humberto kennen gelernt, der an der staatlichen Schule la Bandera Argentina die Alphabetisie-

06. Mai – Ich versuche so oft wie möglich in die Villa zu gehen. Doch mir kommen immer wieder Selbstzweifel und ich frage mich, was diese leere Floskel von einer aktiven Teilnahme am Alltagsleben der Menschen, die ich selbst verwendet habe, bedeutet. Ich lebe nicht in der Villa, und kann im Gegensatz zu den dort lebenden Menschen selbst entscheiden zu kommen, aber auch wieder zu gehen. Ich kann also nur versuchen soviel bzw. so intensiv wie möglich an dem Leben der Menschen teilzuhaben, um darüber zu schreiben bzw. zu berichten. 10. Mai – Langsam finde ich nach dem ganzen Zweifeln wieder zurück zu meiner Kompetenz als Stadtplanerin und zeichne Pläne. Denn die Villa 31 ist auf keinem Stadtplan eingezeichnet und noch nicht einmal vermerkt. Dort, wo eigentlich die Villa 31 liegt, befindet sich auf den Karten eine graue Lücke, die auf eine Brachfläche im Stadtgefüge schließen lässt. Von der „formellen Stadt“ Buenos Aires existieren genauste DWG Grundlagen. Mir wird - nicht nur durch diese Tatsache – immer mehr bewusste, wie sehr die Villa 31 und ihre Bewohner aus der Stadt ausgegrenzt sind. Methode: Kartierung Die genaue Kartierung und die Erstellung eines Schwarzplanes der Siedlungsstruktur stellt einen wesentlichen Schritt für das bessere Verständnis der räumlichen Struktur der Villa 31 und deren Differenz zur Stadtstruktur von Buenos Aires dar. Literatur, Raumbeobachtungen, Interviews und Expertengespräche dienten als

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Porqué – Warum Buenos Aires

Grundlage für analytische sowie schematische Kartierungen bzw. Darstellungen der Villa 31. 11. Mai - Eigentlich oder gewiss sind auch mein Blick, meine Beobachtungen und Wahrnehmungen der Villa 31 die einer Außenstehenden, die noch nicht einmal aus diesem Land kommt. Die Momente, die meine Kamera ablichtet, zeigen zwar die Villa 31, doch die Motive sind von mir gewählt, spiegeln meine Perspektive wider. Doch ich möchte die Villa aus der Sicht ihrer Bewohner darstellen und entscheide mich, das zu versuchen, Kontakte genug habe ich ja mittlerweile. Methode: Fotodokumentation Die Villa 31 wird fotografisch durch eigene Fotos und die bei einem Rundgang mit einem befreundeten Fotographen (Tobias Mohn) entstandene Bilder dokumentiert. Um ein erweitertes bzw. intensiviertes Bild der Siedlung aus Sicht der Bewohner zu bekommen, wurden einzelne Bewohner (meist auch Interviewpartner) darum gebeten, mit einer Einwegkamera einen Tag in ihrem Leben zu dokumentieren. Die Einwegkameras lösten im ersten Moment rege Begeisterung aus, leider sind nur 4 von den 20 ausgegebenen Kameras wieder zurückgegeben worden. Darüber hinaus wirkten viele der Bilder eher gestellt. Die Methode hat sich in diesem Zusammenhang als nicht geeignet erwiesen, da durch die Aufnahmen das alltägliche Leben aus Sicht der Bewohner dargestellt werden sollte. Um einen Vergleich zwischen dem Leben in der Villa 31 und anderen Stadtteilen von Buenos Aires zu bekommen, war grundsätzlich vorgesehen, dass auch die anderen Interviewgruppen ihren Alltag dokumentieren. 17 Mai – Oft wurde ich von den Bewohnern der 31, aber auch von ganz unterschiedlichen Leuten in Buenos Aires gefragt, ob es in Deutschland auch Villas Miserias gibt. Doch gestern hat mich zum ersten Mal ein Freund gefragt, ob ich es gerne hätte, wenn es in Deutschland Villas Miserias geben würde. Er konnte mein Interesse und vielleicht auch meine Begeisterung, in die Villa 31 zu gehen und über diese zu forschen, wohl nicht richtig einordnen. Doch diese Frage hat mir vor allem erneut gezeigt, wie schnell ich missverstanden werden kann und wie heikel gerade die Thematisierung der Villa 31 bei den Bewohnern von Buenos Aires aufgefasst werden kann. 08 Juni – Als wir - drei Freunde und ich - gestern ausgestattet mit einer Kamera und einem Mikro hinter dem Bahnhof Retiro Richtung Villa abgebogen sind, hat uns eine Frau angehalten und uns gewarnt, hier nicht mit of-

fener Kamera lang zu laufen. Wir waren noch nicht mal in der Villa, doch es war das erste Mal seit langer Zeit, dass ich mich irgendwie unwohl gefühlt habe, in die Villa zu gehen. Wir haben dann trotzdem aufgenommen, alles war gut und die Unsicherheit ging schnell vorbei. Methode: Bild- und Tonkollage Über eine selbst aufgenommene Foto- und Tonstrecke, wird der Weg vom städtischen Hauptbahnhof Retiro in die Villa 31 zu einem akustischen und visuellen Experiment. Die aufgezeichnete Klanglandschaft und Fotokollage verdeutlicht, wie sich die Villa 31 durch ihre Bewohner außerhalb ihrer Grenzen ausbreitet und fortschreibt. 05 Juli – Ich bin einen Monat später ziemlich genau an dieser Stelle überfallen worden, nachdem ich nun tagein tagaus in die Villa gegangen und mich fast nie unwohl gefühlt habe. Die Frauen aus dem Comedor Arca de Noé haben mir im Nachhinein gesagt, dass der Weg den ich gegangen sei, kein guter Weg in die Villa sei, nicht mehr richtig in Retiro und noch nicht in der Villa, eine Art Niemandsland zwischen den Welten. Sie selber würden den andren Weg entlang der Siedlung bevorzugen, da würde man sich im Bereich der sozialen Kontrolle der Villa befinden. Der Schock sitzt tief, da ich zudem gerade eine Woche zuvor direkt vor meiner Haustür überfallen wurde. Doch gleichzeitig werden dadurch die Bilder zum Teil relativiert, denn dies zeigt mir, so etwas kann überall vorkommen und nicht nur in der Villa. Ich gehe also weiter in die Villa, wenn auch den anderen Weg. 15 Juli – mein letzter Tag in Buenos Aires ist der 13. Geburtstag von Anahi, meiner Englischschülerin, gemeinsam mit ihrer Familie feiere ich diesen Tag bei ihr Zuhause in der Villa und verabschiede mich dann.

Nach der Villa August 2009 in Hamburg Die nötige Distanz wahren, Interviews transkribieren und Schwarzpläne zeichnen, hilft erstmal. Doch auch diese wirklich langwierige Arbeit ist irgendwann getan und es heißt, mit den gewonnen Eindrücken, Informationen, Erinnerungen etc. umzugehen, diese gekonnt zu verdichten und bestenfalls nicht einfach nur in eine Form zu pressen, die abermals beim Druck gepresst und vervielfältigt wird. Dem Ganzen gerade für denjenigen, der die Situation vor Ort in Buenos Aires und die Villa 31 nicht kennt, eine nachvollziehbare Logik geben, einen roten Faden, ein Ziel. Etwas Authentisches schreiben. Dies geht mir immer wieder durch den Kopf.


Porqué – Warum Buenos Aires

Doch ich will die Villa 31 nicht nur beschreiben, sondern diese analysieren und auch bewerten, das ist ja die Aufgabe eines Planers. Ich möchte Handlungsempfehlungen anbieten, aber mir nicht anmaßen, aus fremder Sicht über die Köpfe anderer zu entscheiden. Doch grundsätzlich frage ich mich, welche Einflussmöglichkeiten planerisches Handeln im Falle einer informellen Siedlung oder besser gesagt spezifisch bei der Villa 31 überhaupt haben kann. Der gewählte Fokus dieser Arbeit liegt somit eher auf der Analyse der Siedlung - dem Lesen, Hinterfragen und Aufzeigen bzw. erfahrbar Machen, um so ein Verständnis für die Villa 31 zu schaffen. Der von mir gewählte erste konzeptionelle Ansatz dient weiterhin als Diskussionsgrundlage. Januar 2010 in Hamburg Für wen schreibe ich diese Arbeit? - Ich schreibe über,einen Teil einer Stadt, einen Teil von Buenos Aires, ihre Menschen und ihre Lebensweise, die mich berührt haben. Ich schreibe über die Villa 31 sowohl aus fachlichem als auch persönlichem Interesse und hoffe, dass die folgenden Seiten die Realität der Villa 31 anderen näher bringen. Die vorliegende Arbeit ist meine persönliche Antwort als Planer – „ein erstes und nicht das letzte Wort“.

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Die Fragmentierte Stadt

Die fragmentierte Stadt skizziert den 체bergeordneten urbanen Kontext, in dem sich die Villa 31 befindet. Unter Bezugnahme auf die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen werden die Ausdifferenzierung der argentinischen Gesellschaft sowie die urbanen Transformationsprozesse, die Buenos Aires in den letzten Jahren durchlebt hat, betrachtet. Die Darstellung der gegenw채rtigen Emergencia Habitacional (Wohnungsnot) und die Situation der Villas Miserias im Stadtraum werden der detaillierten Betrachtung mit der Villa 31 vorangestellt, um zum besseren Grundverst채ndnis der Gesamtsituation beizutragen.


wer w端rde die villa vermissen

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die fragmentierte stadt

Mythos Buenos Aires Buenos Aires galt lange Zeit als das Sinnbild der „Europäischen Stadt“ in Lateinamerika. Eine Stadt, welche kaum die für lateinamerikanische Großstädte typischen Merkmale wie Armut, Arbeitslosigkeit, Kriminalität, informelle Strukturen etc. aufwies und sich in morphologischer sowie funktionaler Hinsicht mit der „Europäischen Stadt“ vergleichen lässt. Doch das traditionelle Muster, an dem sich Buenos Aires ursprüngliche orientierte, verkommt allmählich zum Mythos. Der Rückzug des Staates aus dem regulierten System, die Liberalisierung des Marktes und die damit einhergehenden Krisen haben eine zunehmende Ausdifferenzierung der argentinischen Gesellschaft und Fragmentierung der Stadt Buenos Aires zur Folge. Räumliche Segregationsprozesse und die scharfe Trennung zwischen wohlhabenden und armen Bevölkerungsschichten besitzen in den lateinamerikanischen Städten eine lange Tradition (vgl. Bähr und Mertins 1995). Im lateinamerikanischen Vergleich galt Buenos Aires traditionell, jedoch als jene Stadt, welche die wenigsten der „typischen“ Merkmale einer lateinamerikanischen Großstadt aufwies (vgl. Janoschka 2002: 12). Denn Argentinien zählte Anfang des 20. Jahrhunderts zu den reichsten Ländern der Welt (vgl. Schratzn 2007: 2), eine prosperierende Nation, die lange Zeit Sinnbild der Neuen Welt für die armen europäischen Auswanderer war. Das Land Argentinien besaß gegenüber dem Rest des lateinamerikanischen Kontinents einen erheblichen Entwicklungsvorsprung, der sich vornehmlich in der Stadtstruktur der Hauptstadt Buenos Aires niederschlug (vgl. Bähr und Mertins 1995). Der Stadtraum von Buenos Aires ist zwar bereits durch ein in der Geschichte verankertes Wohlstandsgefälle zwischen dem wohlhabenden Norden und dem eher ärmeren Süden gekennzeichnet und lässt sich allgemein in drei sozioökonomische Teile gliedern: 1. eine Nordwestachse des Wohlstandes, 2. eine westliche Achse der urbanen Mittelschicht und 3. ein innerstädtischer Armutsbereich südlich der westlichen Achse (siehe: Grafik S. 21 ). Die kleinräumlichen Unterschiede werden in dieser Gliederung des Stadtraums allerdings vernachlässigt (vgl. Janoschka 2002: 33). Eine breite, relativ wohlhabende Mittelschicht, eine geringe Arbeitslosigkeit und eine im lateinamerikanischen Vergleich dicht geknüpfte staatliche Infrastruktur hatten lange Zeit eine gewisse Integration der Bewohner garantiert (vgl. Lanz 2005: 8).

Buenos Aires wird in diesem Zusammenhang häufig als die europäischste Stadt in Lateinamerika bezeichnet. Doch es stellt sich die Frage, was eine europäische Stadt in Lateinamerika ist. Buenos Aires ist eine Stadt, die nicht nur rein städtebaulich ähnliche Charakteristika wie europäische Städte aufweist, sondern auch in ihrer gesellschaftlichen Dimension an die europäische Stadt erinnert. Max Welch Guerra hat in seinem Text „Buenos Aires – die „Deeuropäisierung“ der Stadt und ihre politische Dimension“ einen Vergleich von Buenos Aires anhand des deskriptiven Modells der europäischen Stadt herangezogen, um somit die Entwicklung und Veränderungen der Stadtstruktur von Buenos Aires zu analysieren. „Bis in die sechziger Jahre haben die in Argentinien herrschenden Mechanismen der Raumproduktion eine Stadt geschaffen, die morphologisch und funktionell sehr an das erinnert, was heute unter dem Begriff der „Europäischen Stadt“ gemeint wird. Dies gilt für den konzentrischen kompakten Charakter der Stadtstruktur, für die trotz Korruption dominierende öffentliche Steuerung der räumlichen Entwicklung und die soziale Integration nicht zuletzt mittels öffentlichen Wohnungsbaus, ein leistungsfähiges System öffentlicher Verkehrsmittel sowie einen differenzierten und ebenso leistungsfähigen öffentlichen Raum“ (Welch Guerra 2004:196ff). Doch das traditionelle Muster, an dem sich Buenos Aires ursprünglich orientierte, verkommt allmählich zum Mythos. Die in den 1990er Jahren radikal vorangetriebene Neuorientierung Argentiniens zum Neolibralismus und die damit einhergehende Ausdifferenzierung der argentinischen Gesellschaft haben ihren Ursprung bereits während der Militärdiktatur (1976-1983). Der langfristige Verfall des Staats und Regierungssystems beginnt 1976 mit dem Militärputsch; „jener Putsch hat die Abkehr vom argentinischen Sozialstaat und damit einhergehend der sozialstaatlichen Stadt mit der Waffe, mit Mord und mit Verschleppung durchgesetzt. (...) Es war ein Bruch, der sich bis heute auswirkt, auch im Bereich der Stadtpolitik, denn die damals vernichtete kritische Öffentlichkeit hat sich nie wieder bilden können“ (Welch Guerra 2004: 196). Die Zeit ist außerdem durch eine radikale Umwälzung der argentinischen Wirtschaftsstruktur gekennzeichnet. Denn ein Ziel der Militärdiktatur war es, das Kräfteverhältnis unter den verschiedenen Interessensgruppen der Gesellschaft zugunsten der reichen Machteliten zu verändern (vgl. Südwind 2004: 20).


die fragmentierte stadt

Sozioökonomische Aufteilung von Buenos Aires 1. Nordwestachse des Wohlstandes 2. Westliche Achse der urbanen Mittelschicht 3. Innerstädtischer Armutsbereich südlich  der westlichen Achse Villa 31

1.223 680

1.457 858

1.098

1.588 1.437

842

722

1.719

1.025

868

817

826

826 859

643

788 661

701

722

1.211 1.001 705

1.034

2531

1.022 726

845

Durchschnittliches Pro-KopfEinkommen nach Stadtteilen in Pesos 1273 - 1477 1477 - 1840 1840 - 2162

422

2162 - 3013 Durchschnittsmiete für 50 m2 nach Stadtteilen in Pesos

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Die im Zeichen des Neoliberalismus stehenden 1990er Jahre sind durch Strukturanpassungen, die Liberalisierung des Marktes und eine spekulative Ökonomie gekennzeichnet, wodurch die soziale und auch territoriale Ausdifferenzierung der Gesellschaft verschärft wurde. Die umfassende Privatisierungswelle ehemals staatlicher Dienstleistungen und der städtischen Infrastruktur - die maßgeblich auf die Empfehlungen des IWF erfolgten- sowie der Ersatz des öffentlichen durch privaten Wohnungsbau haben weitreichende stadträumliche Veränderungen und eine zunehmende Abkehr von der europäisch geprägten Siedlungsstruktur zur Folge. Denn „die neoliberale Globalisierung im Argentinien des Menemismus (Carlos Menem, arg. Präsident, 1989 -1999; Menemismus steht für eine ultra neoliberale Politik) vollzog sich ohne Bezug auf die gewachsene Stadt und ihre Bewohner. Die Stadt als sozialer Ort, als Ort der Begegnung, des Ausdrucks und der Solidarität verlor so „Raum“ gegenüber dem kapitalistischen Verwertungsinteresse und der territorialen Logik der globalen Ökonomie“ (Thimmel 2004: 178). Die beschriebene Neuorientierung der argentinischen Gesellschaft durch eine neoliberale Sozial- und Wirtschaftspolitik fand ihren Tiefpunkt in einer schweren wirtschaftlichen und sozialen Krise. Als 2001 das Finanzsystem kollabierte, stürzte Argentinien „über Nacht“ in eine neue Armut, die das Land so noch nicht gekannt hatte. Als im Dezember 2001 ein Massenaufstand innerhalb von zwei Wochen über fünf nationale Regierungen hinweg fegte, stand Buenos Aires im Blickfeld der Weltöffentlichkeit und am Rand der Zahlungsunfähigkeit. „Eine spekulative Ökonomie setzte eine Spirale sozialer Polarisierung in Gang, die die vormalige Mittelklasse ebenso schnell verarmen ließ wie mit ihrem Kapital spekulierende Eliten davon profitierten. Neben Bildern militanter Proteste erreichten aus dieser europäischsten Metropole des Subkontinents plötzlich Bilder des Elends, auf denen man Scharen von Müllsammlern nachts ihre Karren durch die Straßen schieben sah, die alte Welt“(Lanz 2005: 8). Die Verschärfung sozialer Antagonismen - Im Zusammenhang mit der Verarmung und Ausdifferenzierung der argentinischen Gesellschaft stellt sich die Frage, wie sich die sozialen Marginalisierungs- und Polarisierungsprozesse räumlich niederschlagen. Denn wie in anderen lateinamerikanischen Städten gilt mehr und mehr auch für Buenos Aires: „Die formelle Stadt löst sich an ihren Rändern auf und wird durch ein

neues Urbanisierungsprinzip ersetzt, das der informellen Stadtlandschaft“ (Altvater 2005: 54). Die Abwesenheit von Planung durch eine lokale Regierung verschärft die sozialen Antagonismen von arm und reich zusätzlich, so dass „die neue soziale Landkarte von Buenos Aires eine extreme Polarisierung zwischen Gewinnern und Verlierern zeigt. Die Kommunikation zwischen den verschiedenen Insel-Formen ist heute weitgehend unterbrochen, der städtische Raum in Buenos Aires ist mehr fragmentiert als verlinkt“ (Thimmel 2004:177). Die für Argentinien und Buenos Aires in diesem Ausmaß bis dahin unbekannte soziale Ausdifferenzierung der Gesellschaft findet somit auch räumlich ihren Ausdruck. Besonders deutlich wird die sozio-territoriale Polarisierung bzw. Fragmentierung von Buenos Aires anhand zweier konträr zueinander verlaufender Entwicklungen. Denn auf der einen Seite nimmt die Abgrenzung der Mittel- und Oberschicht durch deren Rückzug in die sog. Barrios Privados (Gated Communities) im suburbanen Raum sowie in die Torres Jardín (Gartentürme), wie die innerstädtischen vertikalen Gated Communities genannt werden, vollkommen neue Ausmaße an. Auf der anderen Seite wächst die Bevölkerung in den durch Armut und Exklusion geprägten Villas Miserias (den informellen Marginalsiedlungen) weiter an. Darüber hinaus entstehen durch die Erosion des vormals regulierten Staates bzw. Systems mit den Nuevos Asentamientos Urbanos – wie die neuen Villas Miserias genannt werden informelle Räume ohne jegliche Grundlage vollkommen neu. Die Privatisierung durch selbst errichtete Zäune und nachträglich aufgestellte Wachen erfasst fast alle sozialen Schichten. Wobei die Unterschicht zunehmend durch den Angstfaktor stigmatisiert wird (vgl. Janoschka 2002: 101). Den Nuevos Pobres (neuen Armen) steht somit eine Mittel- und Oberschicht gegenüber, die sich entsolidarisiert und hinter den Mauern ihrer bewachten Wohnkomplexe abschottet. Um ein Verständnis für das räumliche Ausmaß der Gesamtsituation innerhalb der Stadt Buenos Aires zu ermöglichen, werden im folgenden Text die vorherrschende Wohnungsnot und die gegenwärtige Situation der Villas Miserias vertiefend betrachtet.


Die fragmentierte stadt

Blick vom besetzten Haus Molino auf den Nationalkongress in Buenos Aires

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NotStadt – die Villas Miserias Die Villas Miserias, die seit fast acht Jahrzehnten durch informelle Landbesetzung im Stadtraum von Buenos Aires entstehen, sind kein neues Phänomen und tief in der Geschichte der Stadt verankert. Das Ausmaß der Armut und die Emergencia Habitacional (Wohnungsnot) nimmt seit der Finanzkrise 2001 jedoch eine neue Dimension an. Denn neben dem rapiden Wachstum der bereits vorhandenen Villas Miserias produziert die Informaltät noch andere Wohnformen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, was für ein Ausmaß die Wohnungsnot gegenwärtig in Buenos Aires annimmt. Vorwiegend soll dabei die Bedeutung, die den Villas Miserias in ihre Geschichte und Gegenwart zukommt analysiert werden. Eine Villa [vi:ʒa] ist keine Villa Eine Villa ist im eigentlichen Sinn ein Wohnviertel, so tragen einige Stadtteile in Buenos Aires wie z.B. Villa Crespo oder Villa Urquiza den Begriff der Villa in ihrem Namen. Denn die Bezeichnung der informellen Marginalsiedlungen als Villas Miserias geht ursprünglich erst auf den argentinischen Schriftsteller Bernado Verbisky zurück, der diesen Begriff mit seinem 1957 erschienenen Buch Villa Miseria también es America prägte (Cravino 2008: 55).

1. Die Villas Miserias befinden sich in der Regel außerhalb der formellen Regulierung und des formellen Wohnungsmarktes. 2. Die Villas haben keine festgelegte städtebauliche Struktur und orientieren sich somit nicht an dem traditionellen Muster der Blockstruktur von Buenos Aires. Das Gleiche gilt für die Straßen der Villas, die darüber hinaus häufig nicht für den Autoverkehr zugänglich sind. 3. Die Villas bilden die Summe individueller Baupraktiken über einen längeren Zeitraum und stehen somit im Gegensatz zu Siedlungen, die geplant und in einem überschaubaren Zeitraum fertig gestellt werden. 4. Die Häuser sind zu Anfang aus mangelhaften Materialien gebaut, mit der Zeit findet durch die Verwendung „hochwertigerer“ Materialien meist eine Konsolidierung der Bausubstanz statt. 5. Die Villas sind durch eine hohe bauliche und Bevölkerungsdichte geprägt. 6. Die Villas sind zu Beginn häufig irregulär zum Teil auch illegal an die städtische Strom und Wasserversorgung angebunden. In der Regel übernimmt der Staat nach einiger Zeit die Bereitstellung der technischen Infrastruktur, gewährleistet diese jedoch oft nur unzureichend.

Begriffsdefinition Villa Miseria Eine Villa Miseria oder auch Villa de Emergencia genannt ist nach der Definition der Behörden: eine Anordnung von Wohnhäusern, die auf dem Grundstück Dritter errichtet werden und denen es an städtischer Infrastruktur sowie an öffentlichen Dienstleistungen fehlt. Sie werden am Rand der Legalität errichtet und befinden sich außerhalb des Gestaltungs- und Zuständigkeitsbereiches der städtischen Verordnung. Die Häuser sind aus minderwertigem Material oder Abfällen gebaut. Die Viertel haben in der Regel eine hohe demographische Dichte (Dirección Provincial de Estadística 2003). Der Definitionsversuch der Villas Miserias durch die Anthropologin Maria Cristina Cravino nimmt bestimmte der eben genannten Aspekte mit auf, betrachtet die Thematik jedoch weitaus kritischer und umfassender. Nach Maria Christina Cravino bezeichnet der Begriff Villa Miseria in erster Linie informelle Siedlungen, die durch irreguläre Landbesetzung brachliegender Flächen entstanden sind. Die unterschiedlichen morphologischen und sozialen Merkmale, durch die sich die Villas Miserias charakterisieren lassen, werden wie folgt beschrieben:

7. Das soziale Zusammenleben innerhalb der Villas ist durch ein geschlossenes System von Codes und Praktiken geprägt, durch die das Zusammenleben und Überleben der Bewohner bestimmt wird. 8. In der Regel befinden sich die Villas in der Nähe von Produktions- und Konsumzentren und sind fast ausschließlich auf staatlichen Flächen errichtet. 8. Viele der Einwohner sind beruflich gering qualifiziert, finden keine Arbeit auf dem formellen Wohnungsmarkt und gehen oft informellen Arbeiten nach. Darüber hinaus gibt es aber auch qualifizierte Arbeitskräfte sowie die Möglichkeit der Selbstqualifizierung. 9. Die Einwohner der Villas sind von einem Teil der Gesellschaft stigmatisiert, der Gebrauch von Spitznamen wie Negros Villeros (schwarze Villeros) ist nicht ungewöhnlich. 11. Die Villas und ihre Bevölkerung sind Abbild für die Heterogenität der städtischen Armut. 10. Obwohl die Villas nicht eingezäunt sind, bilden die


die fragmentierte stadt

Ränder der Siedlung eine Grenze (Cravino 2008: 56 ff). Die Definition der Villas Miserias nach Maria Christina Cravino dient in der folgenden Arbeit als Orientierung. In Bezug auf die Villa 31 widmet sich die Arbeit jedoch einer vertiefenden Betrachtung der Strukturen (siehe: Über Lebensraum). Die Geschichte der Villas Miserias Die Geschichte der Villas Miserias in Argentinien geht bis in die 1930er Jahre zurück. Argentinien war jenes Land in Lateinamerika, in welchem die massiven Urbanisierungsprozesse des 20. Jahrhunderts am frühsten einsetzten und die stärkste Intensität erreichten. Schon vor dem ersten Weltkrieg lebten in Argentinien mehr als die Hälfte - 52,7% - aller Bewohner in urbanen Zentren (vgl. Bähr 1978: 153). Mit der Weltwirtschaftskrise 1929 und der fast zeitgleichen Agrarkrise in Argentinien setzte in den 1930er Jahren eine massive Binnenmigration aus den hauptsächlich landwirtschaftlich geprägten Regionen im Norden des Landes ein. In der Hoffnung auf ein besseres Leben trieben Arbeitslosigkeit und Hunger die Menschen in die großen urbanen Zentren des Landes: Buenos Aires, Cordoba und Rosario. Dort erwartete sie jedoch nicht der ersehnte Wohlstand, sondern unsichere Wohn- und Arbeitsverhältnisse. Es entstand eine marginalisierte Schicht von ehemaligen Landbewohnern, die nicht in die Produktionsprozesse integriert wurden (vgl. Carvino 2006: 36). Im Zuge dieser Binnenmigration entstanden auch die ersten Villas Miserias in Buenos Aires, die zum Zufluchtsort der in die Städte kommenden Menschen wurden. Mit dem Aufbau einer eigenen Import substituierenden Industrie unter Juan D. Peron (Staatsoberhaupt 1946 1955) in den 1940er Jahren und der damit verbundenen erneuten Aussicht auf einen Arbeitsplatz in den zahlreich entstehenden Fabriken verstärkte sich die Binnenwanderung noch (vgl. Thimmel 2004: 179). Buenos Aires verzeichnete zu dieser Zeit eine Zuwanderung von bis zu 200.000 Menschen jährlich (vgl. Janoschka 2002: 34). Vor dem Hintergrund der massiven Zuwanderung entwickelten die Siedlungsformen der Villas Miserias ab den späten 1940er Jahren eine bis dahin unbekannte eigene Dynamik. Unterschiedliche Autoren sind sogar der Meinung, dass die Villas ein politisches Produkt Juan D. Perons waren, der die arme Landbevölkerung in die Städte geholt haben soll, um diese für seine politischen Vorhaben als Wählerschaft zu instrumentalisieren. Dass die Entstehung der Villas Miserias viel weiter in der Ge-

schichte der Stadt Buenos Aires zurückgeht, wissen die wenigsten, es gibt jedoch ausreichend Quellen, die belegen, dass die ersten Villas Miserias bereits in den 1930er Jahren entstanden sind und zumindest die Entstehung nicht direkt mit General Peron in Zusammenhang gebracht werden kann (vgl. Varela, Cravino 2008: 55). Bis in die 1960er Jahre konzentrierte sich die Bevölkerung in den Villas Miserias ausschließlich auf Menschen argentinischer Abstammung, die meist aus den nördlichen Regionen des Landes kamen. Zu der bis dahin national geprägten Entwicklung der Villas Miserias kommt eine in den 1960er Jahren einsetzende und bis heute andauernde Migration aus den ärmeren Nachbarländern Bolivien, Paraguay und Peru hinzu (vgl. Cravino 2006: 36). Durch das enorme Wachstum der Villas Miserias wurden Ende der 1960er Jahre zunehmend Umsiedlungsstrategien für die in den Siedlungen lebenden Menschen diskutiert. Mit dem 1968 eingeführten Plan de Erradicación de Villas de Emergencia (Umsiedlungsplan, kurz PEVE) sollten 70.000 Villeros aus der Stadt Buenos Aires und 210.000 aus der Region Buenos Aires umgesiedelt werden. Insgesamt sollte für 280.000 Menschen neuer Wohnraum innerhalb der Stadt Buenos Aires und der Provinz errichtet werden. Die Ziele des PEVE wurden jedoch nie erreicht und die Menschen blieben in den Villas Miserias zurück, ohne dass die Umstände vor Ort eine Verbesserung erfahren hätten (vgl. Blaustein 2002: 29). Gleichwohl erreichten die Villas Miserias Mitte der 1970er Jahre die höchste Bevölkerungszahl in ihrer Geschicht 1976 lebten in 31 Villas innerhalb der Stadt Buenos Aires 213.820 Menschen (Cravino 2006: 47). Doch die Villas Miserias wurden nicht nur zum Auffangbecken, sondern in vielen Fällen sogar zum dauerhaften Lebensort der durch die Urbanisierung nach Buenos Aires kommenden Landbevölkerung, der keine andere Wahl gelassen wurde. Mit dem Militärputsch 1976 und der fast sieben Jahre andauernden Militärregierung veränderte sich nicht nur das Leben innerhalb der Villas Miserias, sondern in ganz Argentinien schlagartig. Die Zeit war gekennzeichnet durch Unterdrückung, Terror und die Verschleppung von Tausenden von Menschen. Für die Villas Miserias und die dort lebenden Menschen bedeutete das zum Großteil die brutale Zerstörung der aufgebauten Strukturen und Umsiedlung der Bevölkerung an den Stadtrand in die sog. Núcleos Habitacionales Transitorios (provisorische Übergangssiedlungen). Denn „die Stadt Buenos Aires sollte exklusiv für die sein, die der Stadt würdig

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waren“ (Blaustein 2006: 8). Besonders im Hinblick auf die Fußballweltmeisterschaft 1978 sollte Buenos Aires sich als saubere und sichere Hauptstadt der argentinischen Nation präsentieren (vgl. Centro de Derecho a la Vivienda y contra los Desalojos 2004: 18). In diesem Zusammenhang wurden vornehmlich die Villas Miserias aus dem wohlhabenderen Norden der Stadt abgerissen und ihre Bevölkerung in den Süden der Stadt oder die in der Peripherie errichteten Núcleos Habitacionales Transitorios umgesiedelt. Insgesamt wurden in dieser Zeit innerhalb von Buenos Aires 17 Villas Miserias abgerissen und die in den Siedlungen lebende Bevölkerung um 94% reduziert worden (Cravino 2006: 193). Die Zerstörung der Villas Miserias durch das Militär zielte außerdem auf die Zerschlagung aller politischen und solidarischen Organisationsformen innerhalb der Siedlungen ab. „Erst mit dem Ende der Militärdiktatur und der Rückkehr zur Demokratie 1983 setzte auch ein expliziter Wandel im Verhältnis zwischen Villa und Stadt ein und die Vertreibungsprozesse wurden gestoppt“ (Thimmel 2004: 179). Denn die Zerstörung der Villas war eine Methode des Militärs, die nicht praktikabel für eine demokratische Regierung war (vgl. Blaustein 2006: 10). Die Villas Miserias rekuperierten sich langsam, denn ein Großteil der ehemaligen Bevölkerung kehrte wieder in die noch zum Teil bestehenden Siedlungen oder zu den ehemaligen Flächen der Siedlungen zurück. Das Leben in den Villas war in den darauf folgenden Jahren ähnlich wie in deren Entstehungsphase durch den Wiederaufbau der Häuser und der zerstörten Strukturen geprägt. Die Villas wuchsen vor allem so schnell wieder heran, weil die Probleme und Nöte, die die Menschen zuvor in die Villas getrieben hatten, immer noch dieselben waren. Der Staat hatte nichts getan, um die Lebensumstände der Menschen zu verbessern und die Wohnungsnot zu lindern. Das Siedlungswachstum zwischen 1983 und 1991 betrug sogar über 300 % und hält bis heute an (Cravino 2006: 47). Zunehmend wurden zu dieser Zeit staatliche Strategien zur Legalisierung sowie Konsolidierung der Villas Miserias diskutiert. Diese Ansätze basierten hauptsächlich auf der sozialen und städtebaulichen Integration der Siedlungen unter Berücksichtigung der vorhandenen Sozialstruktur (vgl. Timmel 2004: 179). Nach Eduado Blaustein war das zu Beginn der 1990er Jahre eingeführte nationale Programa Arraigo der erste ernsthafte staatliche Versuch, die Villa Miserias zu konsolidieren und etwas für die in ihnen lebende Bevölkerung zu tun. In vielen Fällen wurde das Land, auf dem die Villas gebaut waren, an Kooperativen transferiert und verkauft. Viele Villas wurden

so unter Beteiligung der dort ansässigen Organisationen urbanisiert (vgl. Blaustein 2006:10). In diesem Zusammenhang wurden alle Villas Miserias, die den PEVE (Umsiedlungsplan) aus den 1970er Jahren überdauert hatten, und die Siedlungen, die zu Anfang der 1980er Jahre durch die Besiedelung der ehemaligen Flächen wieder entstanden waren, als Villas Tradicionales bzw. Villas Oficiales deklariert. Was bedeutet, dass die Siedlungen offiziell von der Stadtverwaltung anerkannt wurden und von Seiten derer ein grundsätzlicher Konsolidierungswille bestand, der in unterschiedlichen Dekreten verankert ist (Convenio FADU-UBA, Ministerio de Derechos Humanos, Sociales – GCBA 2008: 53). Die Villa 31 war allerdings eine Ausnahme und hat bis heute keinen Status einer Villa Oficial. Allerdings wurde die große Kluft zwischen Programm und Realität auch mit dem zuvor erwähnten Programm Arraigo nicht überwunden. Theoretisch gute Ansätze sind zum „Handeln auf dem Papier“ stagniert. In dem 2004 veröffentlichten Bericht El derecho a la Vivienda en Argentina wird sogar von einem deutlichen Rückschritt, was die Urbanisierungsprozesse der Villas Miserias betrifft, gesprochen (Centro de Derecho a la Vivienda y contra los Desalojos 2004: 86). Als Gründe für die Nicht-Realisierung nennt Stefan Thimmel in seinem Text „Villas Miserias in Buenos Aires - eine Notstandssituation als Dauerzustand – Armutsinseln in der Mega City“ den politischen Klientelismus, die schwerfällige und in vielen Fällen unwillige städtische Bürokratie, die schwierig zu durchschauenden internen Prozesse in den Villas, die Untätigkeit der vermittelnden Sektoren und die zunehmende Verarmung sowie Ausdif-

Bevölkerungsentwicklung der Villas Miserias innerhalb der Stadt Buenos Aires


die fragmentierte stadt

Verortung und Größe der Villas Miserias innerhalb der Stadt Buenos Aires

ferenzierung der argentinischen Gesellschaft während des Menemismus (vgl. Thimmel 2004: 179). Das Problem der Miseria (Misere) und der Emergencia Habitacional (Wohnungsnot) ist somit bis in die Gegenwart ungelöst. Die Villas Miserias sind kein neues Phänomen, das hat die Geschichte deutlich gezeigt. Auch das Ausmaß der informellen Siedlungen - gemessen an der Bevölkerungszahl - ist heute rein quantitativ gesehen geringer als in den 1970er Jahren (siehe Grafik: S. 26). Die grundsätzlichen Probleme der Armut und Wohnungsnot, die die Menschen in die Villas Miserias treibt, sind jedoch nicht behoben worden, sondern verschärfen sich noch. Denn seit Mitte der 1990er Jahre und besonders durch die starke Wirtschaftskrise 2001, die unzählige Menschen verarmen ließ, nehmen die Emergencia Habitacional (Wohnungsnot) und die Situation der Villas Miserias

im Stadtraum eine neue historisch nicht vergleichbare Dimension an. Auch der Ausdruck Villero, der über Jahrzehnte synonym für die ländlichen Immigranten, die in den Villas Miserias leben, benutzt wurde, steht heute für eine neue Schicht der urbanen Armen (vgl. Cravino 2008:188). Nach Stephan Thimmel ist das Wachstum der Villas Miserias grundsätzlich auf drei Faktoren zurückzuführen: Arbeitslosigkeit, rapider Verfall der Einkommen und steigende Preise (vgl. Thimmel 2004:181). Die Wohnungsnot und die Verringerung der öffentlichen formellen Grundversorgung haben die informelle Regulierung lebensnotwendig gemacht. Diese verdeutlicht sich besonders durch das enorme Wachstum der Villas Miserias. Denn innerhalb von drei Jahren (2001-2004) ist

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Der Vergleich zwischen der Stadt Buenos Aires und der Region von Buenos Aires zeigt, dass die Probleme der Emergencia Habitacional (Wohnungsnot) in den Villa Miserias nicht behoben wurden, sondern die Villas Miserias zum Großteil einfach an den Stadtrand verdrängt worden sind. 3,9 % der Gesamtbevölkerung von Buenos Aires leben in Villas Miseria 6,8 % der Gesamtbevölkerung in der Region von Buenos Aires leben in Villas Miserias

die in den Villas Miserias lebende Bevölkerung in Buenos Aires um mehr als 30 % angestiegen. Im Jahr 2004 leben bereits 129.029 Einwohner in den Villas Miserias. Betrachtet man allerdings den Zeitraum von 1991 bis 2001 ist die in den Villas lebende Bevölkerung um 103% angestiegen (Cravino 2006: 47). Die Ethnologin Maria Christina Cravino schätzt die Zahl der heute in den Villas Miserias innerhalb von Buenos Aires lebenden Menschen auf weit über 200.000. Mit der Erweiterung des Betrachtungsfeldes auf die Villas Miserias, die sich in der Region Buenos Aires befinden, verschärft sich die Dimension der Armut zusätzlich. Die Villas Miserias an sich sind jedoch nur ein Teil der Emergencia Habitacional, denn diese produziert darüber hinaus noch andere informelle Wohnformen. Um das gesamte Ausmaß der derzeitigen Emergencia Habitacional (Wohnungsnot) in Buenos Aires fassen zu können, müssen neben den gegenwertigen Entwicklungen der Villas Miserias auch die Nuevos Asentamientos Urbanos (die neuen Villas), die provisorischen Hotels und Pensionen sowie die besetzten Häuser in die Betrachtung miteinbezogen werden. Denn neben den 20 Villas Miserias die gegenwärtig in Buenos Aires existieren sind innerhalb der letzten Jahre 24 Nuevos Asentamientos Urbanos entstanden (siehe: Grafik S. 29). In diesen informellen Ansiedlungen leben derzeit ca. 7.605 Menschen (Convenio FADU-UBA, Ministerio de Derechos Humanos, Sociales – GCBA 2008: 46). Die Nuevos Asentamientos Urbanos sind informelle Spontansiedlungen, die sich zum Großteil auf nicht staatlichen Flächen befinden. Sie sind häufig in Risikogebieten angesiedelt, das bedeutet in von Hochwasser gefährdeten Gegenden, auf kontaminierten Industrie- brachen oder in unmittelbarer Nähe zu Fabriken. Diese neue informelle Siedlungsform ist von Seiten des Staats grund-

sätzlich nicht anerkannt, weshalb sich dieser auch nicht im gleichen Maß wie bei den Villas Miserias für die infrastrukturelle Versorgung verantwortlich fühlt (vgl. Fernandez Wagner 2008: 19). Der Staat überlässt somit die Siedlung sowie die dort lebenden Menschen ihrem eigenen Schicksal. Im Jahr 2005 existierten darüber hinaus ca. 25.000 Haushalte in besetzten Häusern, in denen zu diesem Zeitpunkt ca. 75.000 Personen lebten (Interview Carman: 2009). Weitere 11.000 Personen leben in von der Stadtregierung angemieteten Hotels und Pensionen. Trotz der Hoffung, die Berechtigung für eine staatliche Sozialwohnung zu bekommen, wird die Notlösung jedoch immer häufiger zum Dauerzustand. Zusätzlich leben 69.933 Personen, die keine Garantien für eine Wohnung auf dem formellen Wohnungsmarkt bekommen oder sich diese finanziell nicht leisten können, in selbst angemieteten Hotels und Pensionen (Convenio FADU-UBA, Ministerio de Derechos Humanos, Sociales – GCBA 2008: 30). Die Wohnungsnot nimmt somit ganz unterschiedliche Ausprägungen an, die sich in verschiedenen Wohnformen mit einem variierenden Status der Informalität äußert (siehe: Grafik S. 29). So befinden sich die Casas Tomadas (besetzte Häuser) im Bereich der städtischen Formalität, was bedeutet, dass die Flächen grundsätzlich für WohnZwecke vorgesehen sind, gesetzlich ist diese Art von Hausbesetzung jedoch illegal. Die Hotels und Pensionen befinden sich dagegen im Bereich der städtischen Formalität und sind auch sonst als legal anerkannt, die dauerhafte Wohnnutzung geht jedoch über den eigentlichen zweck hinaus. Darüber hinaus sind die Villas Miserias im Bereich der urbanen Informalität angesiedelt bzw. auf Flächen, die nicht für Wohnzwecke vorgesehen sind und somit auch nicht parzelliert sind, sie sind jedoch staatlich geduldet. Die Nuevos Asentamientos Urbanos hingegen befinden sich außerhalb der urbanen


die fragmentierte stadt

Verortung und Größe der Nuevos Asentamientos Urbanos innerhalb der Stadt Buenos Aires

Formalität und werden durch kein regulierendes System oder gesetzliche Verankerung geschützt und gelten als vollkommen illegal (Convenio FADU-UBA, Ministerio de Derechos Humanos, Sociales – GCBA 2008: 19). Die Villas Miserias sind ein räumliches Abbild der sozialen Dimensionen in Buenos Aires, das hat die Auseinandersetzung gezeigt. Darüber hinaus wurde jedoch auch deutlich, dass Buenos Aires gegenwärtig weit davon entfernt ist, die Wohnungsnot zu mindern, denn viel eher verstärken sich die beschriebenen Tendenzen noch. Im Folgenden beschäftigt sich die vorliegende Arbeit jedoch nicht mit der allgemeine Emergencia Habitacional (Wohnungsnot), sondern konzentriert sich auf eine Villa Miseria, die Villa 31. Da es sich bei der Villa 31 jedoch um einen besonderen Fall einer Villa Miseria handelt und die Siedlung eine Vielzahl von Alleinstellungsmerkmalen aufweist, werden im Sinn dieser Arbeit keine für die Villas Miserias allgemeingültigen Schlussfolgerungen getroffen, sondern es wird ausschließlich die spezifische Situation der Villa 31 betrachtet.

Die Wohnformen der Wohnungsnot und deren Status der Formalität oder Informalität

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die perzeption des anderen

Die Perzeption des Anderen bedeutet die Offenlegung von persönlichen Wahrnehmungen und Perspektiven auf die Villa 31. Sie beinhaltet die Sichtweisen und Erlebniswelten der Protagonisten und Antagonisten sowie die der sog. Grenzgänger, die eine Schnittstelle zwischen formellen und informellen Lebensweisen sowie urbanen Kontexten bilden. Der narrative Einstieg öffnet das Betrachtungsfeld auf die Villa 31 und stellt auf der Grundlage von Interviews die Differenz von Eigen- und Fremdbild dar.


wer w端rde die villa vermissen

Die Perzeption des Anderen

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Die Perzeption des anderen

Name: Alejandra Garcia (Alicia) Wohnort: Villa 31 (YPF), Buenos Aires Herkunft: Jujuy, Argentinien Alter: 62 Jahre – lebt seit 35 Jahren in der Villa 31 Beruf: Inhaberin des Comedor Comunitario Arca de Noé

„Ich sage, dass wir, die Bewohner der Villa 31, diese nicht verlassen werden. Wenn die vorherige Militärregierung uns 47 Familien nicht vertreiben konnte, werden sie uns bei der Anzahl von Menschen, die hier heute leben, erst recht nicht vertreiben können.“ Mit 22 Jahren bin ich nach Buenos Aires gekommen, eigentlich um Zahntechnik zu studieren, aber man kann hier nicht studieren, wenn man alleine kommt und nichts hat. Ich habe dann als Hausangestellte in Palermo gearbeitet. Hier in Buenos Aires habe ich auch meinen Mann kennen gelernt, er hat mir gesagt, dass er mir ein Haus in einer Villa kaufen wird. Aber ich habe dabei an eine Villa wie im Norden von Argentinien, eine Siedlung mit Einfamilienhäusern gedacht. Ich dachte an ein schönes Haus mit Zimmern und allem drum und dran, nicht an eine Villa Miseria. Aber er hat mir ein Holzhaus gekauft, wo das Wasser, wenn es geregnet hat, unter dem Bett stand, ganz klein und immer feucht von der Luft vom Hafen, ich habe zu Anfang eine sehr schlechte Zeit verbracht. Danach kam die Militärdiktatur, wir haben so viele Rückschläge aushalten müssen, obwohl wir uns gerade alles aufgebaut hatten. Wir hatten kein Licht, kein Wasser, kein gar nichts. Sie haben unsere Häuser abgerissen, die Menschen geschlagen und festgenommen. Meinen Mann haben sie auch eine Zeit lang ins Gefängnis gesteckt und sie wollten mir die Kinder klauen, da habe ich sie unter dem Bett versteckt. Damals wollte ich wieder zurück nach Jujuy in meine Heimat, aber ich hatte zwei Kinder und was hätte ich dort machen sollen. Im Jahr 1986, in Zeiten der Krise, habe ich dann mit dem Comedor Comunitario (der Volksküche) begonnen. Angefangen haben wir eigentlich mit den Ollas Populares, d.h. auf der Straße zu kochen und das Essen an die bedürftigen Menschen zu verteilen. Wir haben uns alle zusammengeschlossen. Danach bin ich in das Projekt Madres entre Villas der Stadtverwaltung eingetreten, um einen festen Ort für den Comedor zu bekommen. Ich habe ein Grundstück gesucht, aber dieses Grundstück gehört zum Hafen und darum haben sie es mir wieder weggenommen und dann auf einmal doch wiedergegeben. Heute arbeiten wir hier alle als Freiwillige und verdienen nur unser Essen. Wenn sie die Villa 31 umsiedeln und mir das Haus hier nehmen, fordere ich, dass sie mir eine Wohnung für jedes meiner Kinder geben. Meine Kinder sind hier geboren, wir haben die Militärdiktatur hier überstanden, ich glaube, es ist mein gutes Recht. Aber ich würde gerne bleiben, ich weiß nicht, manchmal bin ich den Ort hier leid - oder nicht den Ort, es gefällt mir hier, aber ich bin es leid, dass die Menschen manchmal so unverschämt sind. Die Kinder, die aus der Villa kommen, werden in den Schulen diskriminiert, meine Kinder haben das auch durchgemacht. Meine größte Tochter ist deshalb nach Chile gegangen. Dieses Mädchen ist an die Universität gegangen und mit dem Diplom raus gekommen und mit dem Diplom dann auch gegangen. Aber ich hatte auch nicht das Geld, ein Haus an einem anderen Ort zu kaufen. Außerdem lebe ich hier in einer Gemeinschaft, ich kenne meine Nachbarn und wir unterstützen uns gegenseitig. Doch die Menschen kommen heute aus Bequemlichkeit in die Villa 31, weil wir alles in der Nähe haben, den ganzen Arbeitsmarkt der Stadt. Du gehst zum Bahnhof und hast Busse zu allen Orten. Die Menschen kommen nicht wie früher, weil sie einen Ort zum Leben brauchen, da es in ihren Provinzen keine Arbeit gibt, jetzt nicht mehr, Sie kommen, um Geschäfte zu machen. Es gibt Menschen, die sind wirklich auf den Ort angewiesen, und es gibt Menschen, die ihn nicht brauchen, ihn aber besetzen. Es gibt Leute, die hier seit Jahren leben, ohne ihre Lebenssituation verbessern zu können, und welche, die vor einem Jahr gekommen sind und schon ein dreistöckiges Haus haben. Porteños kommen fast keine in die Villa, warum eigentlich nicht, wir tun ihnen ja nichts.


Die Perzeption des anderen

Name: Jan Beime Wohnort: San Telmo, Buenos Aires Herkunft: Hannover, Deutschland (4 Monate in BA) Alter: 27 Beruf: Medizinstudent

„Buenos Aires ist die „Europäische Stadt“ in Lateinamerika, vielleicht auch die schönste und lebhafteste, was in den anderen Städten an kulturellem Angebot fehlt, gibt es hier. Der Sprung von Deutschland in das Leben der neuen Kultur ist in den anderen Hauptstädten Lateinamerikas wesentlich größer.“ Theoretisch war es mir zwar bewusst, dass ein Nebenher von reichen Zentren, herausgeschmückten Plätzen, sehr armen Siedlungen - teilweise nicht unweit des Zentrums, wie ich es in den anderen Großstädten Lateinamerikas gesehen habe, auch in Buenos Aires existiert. Doch in Buenos Aires ist es möglich, durch die Stadt zu laufen, ohne in direkten Kontakt mit der Armut zu kommen. Mittlerweile habe ich die andere Seite der Stadt kennen gelernt oder zumindest gesehen. Der Wunsch, mein Interesse, in die Villa 31 zu gehen, entstand bei mir, um mein persönliches Bild von Buenos Aires zu komplettieren bzw. zu vervollständigen mit einer Realität, die es eben auch hier in Buenos Aires genauso wie in Guatemala Stadt, Lima etc. gibt. Jedoch ist der Zugang zu diesen Orten sehr schwer, wenn man nicht gerade in diesem Bereich arbeitet. Ich kann hier viel Zeit verbringen, hier leben, ohne in die Villas Miserias zu gehen, die Frage ist, wie sehr ich dann die Stadt wirklich kennen lerne. Da ich ziemlich groß bin, 1,90, hellblond, hat es mir nie ganz gefallen, dass ich nirgendwo der ungesehene Besucher und Beobachter sein kann, sondern durch meine Erscheinung immer irgendwie provoziere, wenn ich irgendwo auftauche. Oft kommen auch positive Reaktionen. Als einmaliger Besucher in der Villa 31, der hier nicht wirklich eine Aufgabe übernimmt, habe ich mich nicht so richtig unwohl gefühlt, aber ich habe doch gehofft, dass wir in dieser Situation irgendwie von den Bewohnern angenommen werden, einfach als interessierte Besucher, die über das, was sie gesehen haben, nachdenken. Der Versuch, mit den Jungs aus der Villa Fußball zu spielen, hat nicht so ganz funktioniert, da waren, glaube ich, Berührungsängste, die wussten nicht, was wir da wollten, und konnten uns nicht so richtig einordnen. Sie haben dann auch erstmal gesagt, sie spielen um Geld. Da haben wir gesagt, um Geld spielen wir nicht. Letztendlich haben wir dann nicht gespielt, haben einfach nicht so richtig zueinander gefunden. Auf meiner Reise habe ich gemerkt, dass Fußball oder Sport an sich eine schöne Möglichkeit ist, um auf eine unvoreingenommene Weise was zusammen zu machen, mit anderen in Kontakt zu kommen, unabhängig davon, mit was für einem Reisepass man da gerade daherkommt. Wenn man in die Villa kommt, fühlt man sich viel mehr, als wäre man in einem anderen Teil Lateinamerikas und nicht in Buenos Aires, die kleinen Häuser, Fußballspielen auf Schotterstraßen, das Marktleben und die Menschen, das erinnert doch schon eher an Bolivien oder Peru. Was nun die Villa 31 letztendlich auszeichnet, ist, dass sie ein Teil dieser großen Stadt ist, die Differenz ist sehr präsent, direkt neben dem Zentrum, dem anderen Buenos Aires.

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Die Perzeption des anderen

Name: Humberto Irahola Wohnort: Caballito, Buenos Aires Herkunft: La Quiaca, Argentnien Alter: 45 Jahre (lebt seit 14 Jahren in BA) Beruf: Lehrer für Erwachsenenbildung (PAEByT)

„Die Villa 31 kannte ich bereits durch die Nachrichten aus meinem Heimatort la Quiaca. Denn die Villa 31 ist aufgrund ihrer Lage etwas Besonderes. Als ich dann vor acht Jahren nach Buenos Aires gekommen bin, habe ich angefangen, als Alphabetisierungslehrer in der Villa 31 zu arbeiten.“ In der Villa habe ich dann angefangen, mit den Menschen über meine Heimat Jujuy im Norden von Argentinien zu sprechen, und es gab irgendwie eine Verbindung, denn viele der Villa Bewohner kommen aus derselben Region. An einem Nachmittag, als die Sonne gerade unterging, bin ich durch die Villa 31 gelaufen und habe mich an ein Dorf - ein armes Dorf - in meiner Heimat erinnert, ja, ich habe mich ich diesem Moment gefühlt, als würde ich durch Jujuy laufen. Es besteht eine große kulturelle Diskrepanz zwischen den Villeros und den Porteños, vielleicht fühle ich mich deshalb auch so wohl in der Villa, da die Bewohner eher die meinen sind. Die Menschen der Villa fühlen sich nicht im Geringsten als Porteños. Da sie nicht in die Gemeinschaft integriert werden, integrieren sie selbst auch die anderen nicht, das heißt nicht, dass sie es nicht möchten, sondern eher wegen der Erfahrungen, die sie selbst gemacht haben, vielleicht eine Art Selbstschutz. Aber du merkst ja selber, wie herzlich du nach einiger Zeit in der Villa 31 aufgenommen wurdest und wie die Menschen sich freuen. Viele der Porteños, natürlich nicht alle, sehen die Villeros als Synonym für Kriminelle, sie glauben, in der Villa würde ihnen das Schlimmste passieren. Doch in der Villa 31 gibt es alles, Menschen die arbeiten, Menschen, die versuchen so gut wie möglich zu überleben, gute ehrliche Menschen, es gibt auch schlechte Menschen, das muss und kann man nicht leugnen. Besonders in der Villa 31, da in ihr so viele alte Menschen leben, die von den anderen Bewohnern respektiert werden, herrscht eine gewisse soziale Kontrolle und keine Gesetzlosigkeit. Doch ich glaube, es wird nicht möglich sein, dieses negative Stigma, welches der Villa anhaftet, jemals vollständig zu beseitigen. Es wäre aber wichtig, dass die Regierung zumindest damit anfängt, die Vorstellung, die viele Menschen von der Villa haben, zu verändern und dem etwas entgegenzusetzen, anstatt die Vorurteile noch durch die Medien und ihre Politik zu stärken. Doch selbst die Regierung will die Villa 31 nicht in Retiro haben, denn die wirtschaftlichen Interessen sind auch die politischen. Und die Villa 31 liegt auf einer strategisch wichtigen Fläche, sie befindet sich mitten im Zentrum der Stadt und umgeben von teuren Stadtteilen, in denen die Oberschicht lebt. Seit bereits10 Jahren wird über die Urbanisierung der Villa 31gesprochen, aber niemand hat auch nur einen Stein bewegt, am wenigsten Macri und seine derzeitige Regierung. Die Bewohner werden die Villa 31 nicht verlassen, aber sie werden ihnen nicht das Land geben, das kannst du vergessen.


Die Perzeption des anderen

Name: Barbara Ricanati Wohnort: Palermo, Buenos Aires Herkunft: Buenos Aires, Argentinien Alter: 22 (in Palermo geboren) Beruf: Musikerin, Gastronomiestudentin

Als ich klein war, hatte ich keine Ahnung, dass die Villa 31 überhaupt in Buenos Aires liegt. Meine Eltern haben mir von ihr erzählt und es war für mich ein weit entfernter Ort. Selbst der Obeliskus war für mich unglaublich weit weg und ich konnte nicht einordnen, dass die Villa direkt da war. Als ich das erste Mal mit dem Bus aus Buenos Aires heraus gefahren bin, ist mir bewusst geworden, wo die Villa 31 liegt. Mein Vater hat damals auf dem Bau mit vielen Menschen aus den Villas Miserias zusammen gearbeitet. Für mich war es ganz normal, dass die Bewohner der Villas Menschen sind, die in der Stadt einer ganz normalen Arbeit nachgehen, z.B. Lehrer oder Bauarbeiter, und in der Villa leben, weil sie nicht genug Geld haben, um in einer Wohnung zu wohnen. Für mich war das so, dass auch ein Lehrer, ein Bauarbeiter, ein Verkäufer in der Villa wohnen konnte, aber ein Junge, der um Geld bettelt oder klaut, wohnt eben in der Villa. Du stellst dir nicht vor, dass eine Person, die bettelt, in einem Haus mit einer Familie in Flores (Stadtteil von Buenos Aires) wohnt, sondern du vermutest, dass es jemand aus der Villa ist. Dann weißt du auch, dass es Menschen gibt, die nicht betteln oder klauen und einfach eine normale Arbeit haben, aber nach ihrer Arbeit statt nach Hause in ihre Wohnung zu gehen in die Villa gehen müssen. Ich bin noch nie in der Villa 31 gewesen, am nächsten dran war ich, immer wenn ich aus Buenos Aires fahre, der Bus fährt da ja direkt lang. Ich bin dann schon neugierig, aber ich habe kein Interesse daran, rein zu gehen und zu sehen, was drinnen passiert, weil ich weiß, wie es da sein wird. Das ist die Realität meines Landes. Die Villa 31 ist für mich Sinnbild dafür, wie viele Menschen in der Stadt Buenos Aires leben wollen, aber nicht können. Viele Menschen aus der Villa könnten an einem anderen Ort im Land unter besseren Bedingungen leben, aber halt nicht in Buenos Aires. Es wäre gut, wenn die Menschen aus der Villa in würdevolle Häuser ziehen würden, egal wo sich diese befinden, sie würden neue Nachbarn, neue soziale Kontakte haben und sich mischen. Die Menschen in der Villa leben, glaube ich, unter so schlechten Umständen, dass die Tatsache, dass sie kein Wasser und keinen Strom bezahlen, mir wie ein Minimum erscheint. Sie bezahlen keine Steuern, die ich zwar zahle, aber ich wohne in viel besseren Umständen, ich meine das bezogen auf materielle Umstände. Es erscheint mir schlimm, dass die argentinische Regierung sich nicht um die Lebensumstände der Menschen und den Ort kümmert. Ich möchte nicht in die Villa rein gehen, dort herrscht keine Sicherheit, es ist wie ein Niemandsland ohne jegliche Gesetze. Wenn es einfach nur dort so wäre und Punkt, würde es mich nicht stören, was mich stört ist, wenn du nach Retiro (Stadtteil von Buenos Aires) gehst, musst du vorsichtig sein, wenn du zur Costanera (Flussufer) gehst, musst du vorsichtig sein, weil du direkt bei der Villa 31 bist. Wenn es etwas wäre, was nur da drinnen passiert und die Regierung sich nicht drum kümmert, wäre es das Problem der Regierung. Aber für mich gibt es nicht mehr die Villa 31 und die Stadt, es ist alles vermischt.

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Die „europäische Stadt“ – die fragmentierte Stadt

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Die Perzeption des anderen

Name: Annahi Jesica Lugos Wohnort: Villa 31 (Güemes), Buenos Aires Herkunft: Buenos Aires, Argentinien Alter: 13 Jahre Beruf: Schülerin

Ich bin nicht in der Villa 31 geboren, sondern im Krankenhaus Fernández (das zur Villa 31 korrespondierende Krankenhaus). Niemals sage ich, dass ich eine Villera bin, weil du dann diskriminiert wirst und sie zu dir Villera Negra (schwarze Villera) sagen.

Mit neun Jahren habe ich angefangen, Geige zu spielen. Als erstes habe ich mich im Orchester der Banderita, der staatlichen Schule gleich um die Ecke, für Klarinette eingetragen. Ich selber wollte das gerne und meine Mutter hat meine Entscheidung akzeptiert, denn es kostet nicht extra, im Orchester zu spielen. Oft verbringe ich den ganzen Tag in der Banderita, morgens gehe ich in die Schule, danach gehe ich drei Mal die Woche zum Orchester und zum Englischunterricht. Meistens warte ich dann auf meine Mutter, die abends bei Humberto (siehe: Interview) im Alphabetisierungskurs ist, damit wir dann zusammen in der Banderita essen können. Oft mache ich dann noch ihre Hausaufgaben, denn sie kann gar nicht richtig schreiben, aber Humberto ist ein guter Lehrer, der es ihr schon noch beibringen wird. Außerhalb der Villa habe ich eigentlich keine Freunde, durch die Konzerte mit dem Orchester lerne ich zwar andere Mädchen kennen, aber diese kommen mich nie hier besuchen. Einmal habe ich, als wir im Teatro San Martin gespielt haben, ein Mädchen aus einer Tanzgruppe kennen gelernt und war dann einmal bei ihr zuhause in Palermo. Es war schon irgendwie anders als bei uns zuhause. Warum, weiß ich nicht so genau, einfach viel größer, vielleicht. Musik ist eigentlich das, was mir am meisten Spaß macht, Englisch nicht so unbedingt. Manchmal gehe ich auch zu Konzerten, ich habe die Fabulosos Cadillacs live gesehen, die haben dort gespielt, wo meine Schwester auch mit dem Orchester gespielt hat. Außerdem war ich gerade letzte Woche mit meiner Mutter und meiner Schwester bei ganz vielen Konzerten am Obeliskus, die waren umsonst, wegen der Unabhängigkeitsfeier Argentiniens.


Die Perzeption des anderen

Name: Raul Antonio Ogrotnik Feinen Wohnort: Villa Crespo, Buenos Aires Herkunft: Los Choros, Chile Alter: 25 (seit 2 Jahren in Buenos Aires) Beruf: Politikstudent

Es hat nichts Außergewöhnliches für mich, in eine Villa Miseria zu gehen, es war nicht sehr anders für mich, als das, was ich über viele Jahre lang gesehen und selbst gelebt habe. Doch es ist anders, ja, da die Kultur an jedem Ort anders ist, die Menschen haben andere Regeln, drücken sich anders aus, verhalten sich anders untereinander als in anderen Teilen von Buenos Aires. Das erste Mal, dass ich die Villa 31 gesehen habe, war, als ich vor etwa 1 ½ Jahren in Buenos Aires angekommen bin. Ich bin damals von Santiago de Chile nach Buenos Aires mit dem Bus gefahren und das erste, was man sieht, wenn man ins Busterminal von Retiro fährt, ist eine Villa. Es hat mich irgendwie überrascht. Als wir in der Villa 31 waren, habe ich mich nicht unwohl gefühlt, wir sind sofort zum Mate Trinken eingeladen worden, saßen bei den Frauen im Comedor und haben Mittag gegessen. Die Menschen in der Villa sind nicht sehr anders als ich es bin. Ich bin auch in einem sehr armen Stadtteil aufgewachsen, ich fühle mich nicht mehr und auch nicht weniger, wenn ich in eine Villa Miseria gehe. Ich glaube, dass die Umstände in Chile und Argentinien ähnlich gravierend sind, weil die Menschen in den Villas unter dem gleichen Niveau der Ignoranz leben, ausgeschlossen aus der Gesellschaft und von ihr versteckt. Doch die Villa 31 ist präsent und ruft die Probleme, ich meine die vorherrschende Wohnungsnot und Chancenlosigkeit, immer wieder in das Bewusstsein der andern Menschen, was ich für sehr wichtig halte. Die meisten Menschen in der Villa arbeiten hart, sie sind Arbeiter, sie sind Teil des Marktes und machen zum Großteil die Arbeit, die kein anderer machen möchte. In der Gesellschaft, in der wir leben, mit einer neoliberalen, ausschließlich profitorientierten Wirtschaftspolitik werden die Menschen der Villa nicht durch das System aufgefangen, sie müssen alles allein machen. Den Bewohnern der Villa 31 wird nicht die Möglichkeit gegeben, eine gute Schulbildung zu haben und sich somit auch für den Arbeitsmarkt höher zu qualifizieren. Aber das Leben in der Informalität stärkt die Gemeinschaft der Bewohner untereinander, doch darüber hinaus geht es darum, neue Menschen und eine andere Realität kennen zu lernen. Ein großes Problem liegt in der Integration, denn wenn sich die Menschen nicht begegnen oder nur flüchtig, aber nicht gewollt, lernen sie sich nicht kennen und wissen auch nicht, was sie gegenseitig voneinander haben. Wenn das nicht geschieht, fangen die Gruppen an sich zu polarisieren. Die Villa hat keine Mauer, aber sie hat Grenzen und ich glaube, die am schwersten zu durchbrechende ist die kulturelle. Die Musik ist das einzige Mittel, um die Bestie zu stillen, sie ist ein guter Ausweg, ein Ausweg des sozialen Kapitals.

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Die Perzeption des anderen

Name: Domingo Thomas Godoy Wohnort: Bajo Flores, Buenos Aires Herkunft: Santa Fe, Argentinien Alter: 60 Jahre (lebt seit 54 Jahren in BA) Beruf: Wachtmeister Anlaufstelle für Notfälle Villa 31

Seit Jahren habe ich als Wachtmeister in der Villa 31 gearbeitet. Jetzt ist meine letzte Woche hier, weil die Stelle des IVC (Instituto de Vivienda de la Ciudad – Städtisches Wohnungsinstitut) in der Villa 31 eingestellt wird.

Im Jahr 1983 habe ich bei der CMV (Comisión Municipal de la Vivienda heute IVC) zu arbeiten begonnen, man könnte sagen, der ganze Apparat war damals ein Militärsystem. In jeder Villa Miseria, es waren früher ca. 30 Villas in Buenos Aires, gab es eine Delegation, wo die Menschen ihre Anliegen zur infrastrukturellen Versorgung etc. vorbringen konnten. Es waren eine Art Anlaufstellen für den Notfall; in dieser Zeit waren insgesamt ca. 1.500 Mitarbeitern beschäftigt. Heute gibt der IVC keinen Stein, kein Material zum Bauen und eigentlich überhaupt nichts mehr raus. Doch den Notstand in den Villas Miserias hat die Regierung trotz all der Programme nicht überwinden können. Bedauerlicherweise gibt es keine Lösung, die wir vom IVC den Bewohner der Villa 31 anbieten können. Früher hatten wir Rohre, Backsteine, eine richtige Anlaufstelle für den Notfall halt, seit etwas mehr als einem Jahr, seitdem der Baustopp für die Villa 31 erhoben wurde, haben wir nichts mehr. Hier ist alles politisch und die Politiker sind die, bei denen die Hilfe eingefordert werden kann. Ich kann hier nichts mehr tun, wenn die Menschen zu mir kommen, helfe ich ihnen gerne, aber Mittel habe ich keine. Uns i- ch meine den IVC und seine Mitarbeiter - kennt man über die Jahre, die wir in der Villa vor Ort waren. Sagen wir, es gibt uns gegenüber eine Art Akzeptanz. Ich persönlich hatte hier in der Villa 31 nie Probleme mit den Bewohnern, es gibt zwar ein paar Jungs, die Drogen nehmen, aber mit dem Rest der Menschen ist alles gut. Sie kamen zu mir, um den Krankenwagen, die Feuerwehr zu rufen oder mit jedem anderen Problem, das den Notfall betrifft. Aber wir haben den Posten aufgegeben, vorher konnten wir die Angelegenheiten bearbeiten, heute übernimmt das praktisch alles die UGIS (Unidad de Gestión de Intervención Social). Die aber sind nicht vor Ort in der Villa, sondern sind zentral organisiert. Den Bewohnern der Villa 31 wird so ihre direkte Anlaufstelle genommen. Das ist unverantwortlich, denn niemand weiß mehr, an wen er sich wenden soll. Doch die Verhandlungen mit der Politik werden weitergeführt, denn ich glaube, das größte Interesse der Menschen, die hier in der Villa 31 leben, ist die Urbanisierung der Siedlung. Die Mehrheit der Bewohner will die Villa nicht verlassen. Sie wollen, dass man ihnen einen Urbanisierungsplan mit Straße, der Vergabe von Besitztiteln usw. macht, Abflüsse haben ja die meisten Häuser. Die Menschen hier bezahlen nichts, kein Wasser, keinen Strom, können sie auch nicht, sie haben die Comedores Comunitarios und die Kindergärten gratis, aber sie haben nicht - und das ist das Wichtigste - die Sicherheit, an diesem Ort wohnen bleiben zu dürfen. Darum kämpfen sie, um ihr Bleiberecht, in diesem Hinblick soll die Villa 31 die am besten organisierte sein. Ich hoffe, dass sie ihnen irgendwann das Land geben.


Die Perzeption des anderen

Name: Rodolfo Chiodini Wohnort: Balvanera, Buenos Aires Herkunft: Buenos Aires, Argentinien Alter: 42 Beruf: Besitzer einer Schuhkette - Stadtplaner

Wenn die öffentliche Politik der Regierung sich entscheiden würde, die Villa 31 abzureißen, würde diese außergewöhnliche bauliche urbane Struktur verloren gehen. Dabei wäre ein kreativer Umgang mit einer Villa – für eine Stadt wie Buenos Aires etwas Neues – super modern, rein von der städtebaulichen Idee . Was mich an der öffentlichen urbanen Politik von Buenos Aires sehr bestürzt, ist dass alle Regierungen seit 30 Jahren bis einschließlich heute nicht wissen, was sie mit der Villa 31 tun sollen. Für mich ist das Beste, was eine Regierung mit der Villa 31 machen könnte, nichts zu tun, in dem Sinne, kein großes Projekt zu planen, sondern daran zu arbeiten, dass die Villa sich in einen formellen Stadtteil der Stadt Buenos Aires transformiert. Wenn ich über die Formalisierung der informellen Stadt spreche, meine ich nicht, die Villa in etwas anderes zu transformieren, sondern dass ihre Bewohner die gleichen Möglichkeiten bekommen wie die Menschen in der formelle Stadt. Das heiß,t dass sie die Möglichkeit bekommen, Kredite aufzunehmen, dass die Stadt in ein besseres Bildungssystem investiert, die Menschen versucht in den Arbeitsmarkt zu integrieren, dann würden sich viele der derzeitigen Problem von selber lösen. Die Formalisierung der Villa 31 sollte jedoch nicht ablaufen wie in den anderen Villas Miserias, in denen ein Grossteil der ursprünglichen Bebauung abgerissen wird, um neue Straßen durch die Villa zu legen, und mehr passiert dann eigentlich nicht. Ich finde gerade die städtebauliche Struktur der Villa hat ihren Reiz, sie erinnert an die europäischen Städte des Mittelalters. Natürlich muss in die bauliche Struktur der Villa investiert werden, um die Lebensumstände der Menschen zu verbessern. Aber dafür müssen ja nicht alle Häuser abgerissen werden. Die Bewohner innerhalb der Villa haben das technische Verständnis vom Bau, ihnen fehlt nur das Material, das ihnen die Regierung zu Verfügung stellen könnte oder, wie bereits gesagt, die Vergabe von Krediten. Buenos Aires hat mit der Villa 31 die einmalige Chance zu zeigen, wie sich eine Villa Miseria mitten im wohlhabenden Zentrum der Stadt integrieren kann. Aber sattdessen wollen sie auf der Fläche das nächste monotone Luxuswohnviertel errichten.

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Die Perzeption des anderen

Name: Beatriz Duarte Wohnort: Recoleta, Buenos Aires Herkunft: Buenos Aires, Argentinien Alter: 44 Beruf: Hausfrau

Mir und meinem Mann würde es gefallen, wenn die Villa 31 einfach verschwinden würde. Auf dem Land gibt es genug Platz für alle, aber die Menschen wollen ja unbedingt in Buenos Aires leben.

Es kann nicht sein, dass unsere Regierung mit den Bewohnern der Villa 31 Gespräche über eine mögliche Urbanisierung und den Erhalt dieser Siedlung führt. Das bestärkt nur die Piqueteros, mit ihren Straßensperren weiter zu machen, um zu protestieren und immer mehr Forderungen zu stellen. Nun führen sie Verhandlungen mit genau diesen Menschen, die eigentlich unter dieser Regierung von unserem Bürgermeister Mauricio Macri bekämpft werden sollten. Es fehlt nur noch, dass man ihnen wirklich das Land, auf dem sie ihre Hütten errichtet haben, schenkt. Ich kann das nicht begreifen, dass mitten in Buenos Aires, auf den teuersten Flächen auf einmal Sozialwohnungen gebaut werden sollen. Es geht nicht nur um das Geld, was die Stadt Buenos Aires dabei verlieren würde, wenn sie die Flächen nicht verkauft und den Villeros überlässt, es geht auch darum, dass der Wert der andern Immobilien in Recoleta und Retiro durch die Villa 31 sinkt. Sollen sie doch ihre Häuser in anderen Stadtteilen errichten, ich meine, ich habe nichts gegen diese Menschen und natürlich müssen sie auch irgendwo wohnen, aber doch nicht mitten in Retiro, im Herzen von Buenos Aires. Die Stadt täte gut daran, die Siedlung abzureißen und ins Umland zu verlagern, da gibt es genug Platz. Ich bezweifle auch, dass die Menschen, die Macri gewählt haben, dafür sind, dass die Villa 31 erhalten bleibt. Wir werden uns das nicht so einfach gefallen lassen, wir sind es ja schließlich die, die ihre Steuern zahlen und somit das alles bezahlen müssten. Ich gehe schon gar nicht mehr ohne meinen Mann nach Retiro, da man überall von den Villeros angesprochen wird, immer wollen sie einem irgendwas verkaufen, was man ohnehin nicht braucht. Sonst tun sie einem ja nichts, wir leben ja nicht in Brasilien, da ist es schlimm. Aber damit es hier in Argentinien nicht genauso wird, muss die Regierung hart durchgreifen und darf sich nicht alles gefallen lassen.


Die Perzeption des anderen

Die Perzeption des Anderen hat einen Einblick in das Leben des „Anderen“ ermöglicht. Die Vielschichtigkeit der subjektiven Wahrnehmungen auf und aus der Villa 31 wurde beispielhaft anhand narrativer Interviews aufgezeigt. Die Protagonisten sind die Bewohner der Villa 31; sie repräsentieren dabei exemplarisch die gelebte Realität und Wahrnehmung ihrer Siedlung von innen. Die Antagonisten sind Bewohner der „formellen Stadt“, sie stehen für die Sichtbarkeit und Wahrnehmung der Villa 31 von außen. Darüber hinaus bilden die Grenzgänger eine Schnittstelle zwischen den formellen und informellen Lebensweisen sowie den urbanen Kontexten, ihre Sichtweisen stehen für die Wahrnehmungen und Erfahrungen inner- und außerhalb der Villa. Der Einblick in das Leben des „Anderen“ will die Komplexität der Thematik fassen und soll zum Verständnis der jeweiligen Position beitragen. Die Öffnung der Betrachtungsebene und die Vermittlung der Differenz bilden somit einen wesentlichen Baustein für die Sensibilisierung der spezifischen Situation der Villa 31. Die in Profilen zusammengefassten Erzählungen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und dienen nicht dazu, repräsentative Werte zu ermitteln. Viel eher stehen die einzelnen Geschichten bzw. Erlebniswelten für sich und eröffnen den Dialog sowie die Auseinandersetzung mit der Siedlung.

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(über) Lebensraum

Die reale Anerkennung der Villa 31 als ein Teil der Stadt Buenos Aires wird nur möglich, wenn die Stadt die Dynamiken und Logik der Villa erkennt und versteht. „(Über) Lebensraum 31“ ist ein Versuch zur Offenlegung der Black Box – eine Annäherung an die spezifische Thematik und innere Logik der Villa 31. Die Organisationsstruktur, Akteurskonstellationen und informellen Parameter der Villa 31 werden anhand ihrer geschichtlichen, baulich räumlichen, sozialen, kulturellen, politischen sowie ökonomischen Dimensionen gelesen, aufgezeigt, analysiert und nachvollziehbar gemacht. Ein erster Schritt zu einer realen Anerkennung der Villa 31.


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(Ăœber) Lebensraum

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(Über) Lebensraum

Die unendliche Geschichte – Produktion eines informellen Raums Die Villa 31 ist eine der ältesten Villas Miserias in Buenos Aires. Ihre Entstehungsgeschichte geht bis in die 1930er Jahre zurück und ist eng mit der Geschichte von Buenos Aires verbunden. Der Stadtteil Retiro mit seinem Hafenviertel war schon immer Anlaufpunkt für Immigranten und seit Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem für europäische Einwanderer. Die in Scharen ankommenden Menschen wurden zum Großteil erst einmal im Hotel de Imigrante aufgenommen (vgl. Thimmel 2004: 184). Hier konnten sie eine Zeit lang kostenlos leben, es war der erste Kontakt mit der neuen Heimat. Das Hotel de Imigrante befand sich zwischen 1911 - 1952 im Stadtteil Retiro nicht unweit der heutigen Villa 31. Für die Einwanderer, die zum Teil im Hafen oder bei der Eisenbahn in Retiro Arbeit gefundenen hatten, errichtete die Regierung provisorische Behelfsunterkünfte. Die neuen Bleiben befanden sich in unmittelbarer Nähe zu den Arbeitsstätten auf einem Teil der Flächen, die gegenwärtig zur Villa 31 gehören. Das sog. Barrio de los Italianos (Italienisches Viertel), benannt nach der Abstammung seiner Bewohner, ist somit der Vorläufer der heutigen Villa 31.

in Retiro an Dynamik. Denn die Binnenmigration aus den landwirtschaftlichen Regionen im Norden des Landes verstärkte sich zunehmend (siehe: NotStadt). Die unmittelbare Nähe zu den Arbeitsstätten im Hafen und dem Güterbahnhof von Retiro machten die Villa aufgrund ihrer zentralen Lage schon damals sehr beliebt, so dass die Bevölkerung schnell anwuchs. Zu dieser Zeit war die Villa unter dem Namen Barrio Inmigrantes (Stadtteil der Immigaranten) bekannt (Cravino 2009: 13). 1950er Jahre Die zusätzliche Expansion der Siedlung wurde durch eine wenn auch nur punktuelle Anbindung an das Stromnetz und die Versorgung mit Wasser ermöglicht. So ließ sich die Siedlung zu Beginn der 1950er Jahre bereits in sechs Stadtteile einteilen: Salidas, Laprida, Comunicaciones, YPF, Gümes und Imigrantes (vgl. Cravino 2006: 83). Die Namen der letzten vier Stadtteile werden auch heute noch gebraucht. Ab Mitte der 1950er Jahre tauchten immer wieder asistentes soziales (staatliche Sozialarbeiter) in der Villa auf, um ihre Bemühung für die Verbesserung der dort lebenden Bevölkerung kundzutun und umaußerdem zu betonen, dass die schlechten Lebensumstände ausschließlich auf die vorige Regierung unter Juan D. Peron zurückzuführen seien (vgl. Cravino 2006: 83).

1930er Jahre Die eigentliche Villa 31 - die zu dieser Zeit noch nicht als Villa Miseria bezeichnet wurde, da der Begriff in diesem Sinne noch nicht geprägt war - entstand erst zu Anfang der 1930er Jahre. Durch die Weltwirtschaftskrise als ein Produkt der Arbeitslosigkeit entstanden, trug die kleine Ansiedlung aus provisorisch errichteten Hütten den Namen Villa Desocupación (Ort der Arbeitslosigkeit). Eine Zählung aus dem Jahr 1934 spricht von 2.903 Menschen, die sich in Retiro angesiedelt hatten (vgl. Cravino 2006: 81 ff). In einer Beschreibung dieser Siedlung durch den Offizier Juan Alejandro Re heißt es: „Die Ansiedlung besteht aus rudimentärem Wohnraum, diversen kleinen, meist flachen und unhygienischen Hütten, sehr eng gebaut, das Ganze ist eher mit einem Saustall zu vergleichen als mit einem Wohnort“ (Cravino 2006: 82). 1940er Jahre In den 1940er Jahren gewann die informelle Landbesetzung in Buenos Aires grundsätzlich und besonders

Seitdem kamen auch vermehrt externe Organisationen in die Villa: Linke Gruppierungen, die mit den Villeros die verdadera revolución (wirkliche Revolution) herbeiführen wollten, Parteien, die auf der Suche nach Wählerstimmen waren, katholische Priester und Pfarrer, die sich um das Seelenheil der Armen kümmerten, Frauen, die sich in Wohltätigkeitsverbänden zusammengeschlossen hatten, etc. (vgl. Pastrana 1980). 1960er Jahre Die andauernde Binnenmigration aus dem Norden des Landes und die in den 1960er Jahren neu einsetzende Immigration aus den ärmeren benachbarten Ländern Bolivien, Paraguay sowie Peru verstärkten das Wachstum der Villa 31. Die enorme Bevölkerungsentwicklung ließ die zuerst behelfsmäßige Ansiedlung von Hütten zu einer der größten Villas in Buenos Aires anwachsen. Inm Jahr 1962 zählte die Villa 31 bereits 6.731 Einwohner und war mit Abstand die bevölkerungsreichste Villa Miseria in Buenos Aires. Besonders infrastrukturelle Verbesserungen trugen dazu bei, dass die Bevölkerungszahl in der Villa weiter stark anstieg.


(Über ) Lebensraum

Grundsätzlich versuchte die Regierung zu jener Zeit, jedoch das Bevölkerungswachstum der Villa einzudämmen bzw. die Entwicklung einzufrieren. Es kam zum ersten Räumungsversuch der Villa 31, der jedoch scheiterte (Cravino 2006: 83). Woraufhin sich die ersten Widerstandsbewegungen in den Stadtteilen YPF, Comunicaciones und Güemes formierten. Sie protestierten mit Parolen wie: „Wir halten geschlossen und eisern stand, wir bleiben genau hier, wenn uns kein anständiger Wohnraum geboten wird, wir akzeptieren keine Übergangslösungen“ gegen eine Umsiedlung (Pastrana 1980). Außerdem fanden die Bewegungen in der Villa 31 Unterstützung durch die Federación de Villas y Barrios de Emergencia de la Capital Federal (übergeordnetes Bündnes der Villas), die Confederación General de Trabajo (Arbeiterbündnis) und auch der Sindicato Único de Portuarios Argentinos (SPUA) solidarisierte sich mit den Bewohnern der Villa 31 (vgl. Cravino 2006: 83ff). Die Räumungsversuche waren jedoch erst der Anfang einer langen Geschichte. Unter dem General Onganía wurde 1966 das Programa de Erradicación de Villas de Emergencia, ein Programm, welches den großmaßstäblichen Abriss der Villas Miserias und die Umsiedlung der Bevölkerung vorsah, eingeführt. Damit einher ging eine nicht mehr institutionelle Anerkennung der in den Villas ansässigen Organisationen, was wiederum einen Dialog zwischen den Bewohnern der Villa und den städtischen Behörden fast unmöglich machte. Die Organisationen der Villa 31 kamen jedoch nicht zum Erliegen, sondern formierten sich ganz im Gegenteil neu. Die Siedlung wurde zu der am besten organisierten Villa in Buenos Aires. Jeder der sechs Stadtteile hatte 1968 eine Comisión Vecinal (Nachbarschaftskommission) und es gab einen Junta de Delegados (Abgeordnetengremium), um die Interessen der Bewohner im Stadtteil gemeinsam zu vertreten. Zu Anfang der 1970er Jahre deklarierten die Junta de Delegados der Villa 31, dass die Bewohner der Villa nicht grundsätzlich gegen eine Umsiedlung seien, doch sie forderten, dass sich dadurch ihre Wohnsituation verbessern und sich der vorgesehene neue Wohnraum noch immer innerhalb der Stadtgrenze von Buenos Aires befinden müsse. Außerdem wollten sie in ihren derzeitigen Häusern wohnen bleiben, bis der neue, definitiv nicht provisorische Wohnraum für eine direkte Umsiedlung fertig gestellt wäre (vgl. Cravino 2006: 84 ff). Neben den politischen Organisationen organisierte sich die Villa auch in sozialer Hinsicht, es gab Müttertreffs, Kultur- und Sportzentren, Arbeiterverbände und zahlreiche Comedores (Volksküchen). Eine wesentliche Rolle

spielte in diesem Zusammenhang auch die katholische Kirche. Für die Villa nahm der Padre Carlos Mugica eine Schlüsselrolle ein. Denn seit Anfang der 1960er Jahre lebte und arbeitete der Priester Mugica in den Stadtteilen Comunicaciones und YPF der Villa 31. Der zu dem Movimiento de Sacerdotes para el Tercer Mundo (Priesterbewegung für die dritte Welt) angehörige Priester schloss sich sehr aktiv der friedlichen Widerstandsbewegung der Villa 31 an und wurde von den Bewohnern der Siedlung stets verehrt. Nach seiner bis heute nicht vollständig aufgeklärten Ermordung 1977 wurde er zur Symbolfigur der Villa 31 sowie des Widerstandes. Die Bewohner der Villa 31 erinnern sich noch heute an den ihnen sehr nahe gestanden Priester. Dabei spielt es keine Rolle, dass viele ihn nur noch aus Erzählungen kennen, denn Carlos Mugica setzte sich wie kein anderer für die Villa 31 und die Rechte ihrer Bewohner ein. Von einigen wird die Villa 31 deshalb sogar mit dem Namen Barrio Carlos Mugica (Stadtteil Carlos Mugica) bezeichnet. 1970er Jahre In den 1973er Jahren war die Regierung erneut kurz davor, die Villa 31 abzureißen. Dieses Mal ging es um den Bau einer Autobahn, die über die Fläche der Villa führen sollte und somit die Umsiedlung der dort lebenden Menschen bedeutet hätte. Doch die Bewohner der Villa waren gut organisiert und stellten erneut Gegenforderungen, die beinhalteten, dass sie die Siedlung und ihre Häuser nicht verlassen würden, solange kein endgültiger Wohnraum für sie gebaut wäre (Cravino 2006: 85). Da die Regierung diese Forderung nicht erfüllen konnte bzw. keine Alternative für die Bewohner der Villa 31 geschaffen hatte, konnte der Abriss der Siedlung erneut erfolgreich verhindert werden. Der Militärputsch 1976 veränderte die Situation in allen Villa Miserias der Stadt schlagartig, die drauffolgenden Jahre waren durch brutale Räumungen bzw. die Zerstörungen der Villas Miserias und die Umsiedlung ihrer Bewohner gekennzeichnet. Die folgende Zitate geben einen Einblick in die vorherrschende Sichtweise während der Militärdiktatur, denn „Buenos Aires sollte exklusiv für die sein, die der Stadt würdig waren“. Guillermo del Cioppo, der zu dieser Zeit die Comisión Municipal de Vivienda (Wohnungsbauinstitut) von Buenos Aires leitete, sagte diesbezüglich: „Wir sollten eine bessere Stadt für die besseren Menschen haben“ (vgl. Blaustein 2006: 8). Die besseren Menschen waren in diesem Zusammenhang die einflussreiche Machtelite und nicht die Bewohner der Villa. Die Villa 31 wurde zum Opfer staatlicher Exekutivge-

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walt, unzählige Razzien und Räumungen fanden statt. Wie viele der anderen Villas wurde die Villa 31 in den Jahren 1978 – 1979 fast komplett zerstört (vgl. Cravino 2006: 85). Zu Beginn der Militärdiktatur lebten in der Villa 31 noch 24.324 Menschen, nach den Jahren des Terrors war die Zahl auf 796 reduziert worden.

mehrere Monate ins Gefängnis gesteckt ohne jegliche Begründung. Dass sie ihn wieder freigelassen haben, ist ein Segen Gottes. Wir, die hier in der Villa 31 übrig geblieben sind, haben uns untereinander solidarisiert, da wir wussten, dass wir diese harte Zeit nur gemeinsam durchstehen konnten“ (Interview Garcia: 2009).

Insgesamt wurden in fast sieben Jahren Militärdiktatur innerhalb von Buenos Aires 17 Villas Miserias abgerissen und die in den noch vorhandenen Villas lebende Bevölkerung wurde um 94% reduziert (Cuenya 1993). Die meisten Bewohner der Villa wurden in sog. Núcleos Habitacionales Transitorios (Behelfssiedlungen) an den Stadtrand und in die Provinz von Buenos Aires umgesiedelt. Darüber hinaus hatten die Umsiedlung und Zerstörung der Militärdiktatur (1976-1983) die Zerschlagung fast aller Organisationsformen innerhalb der Villa 31 zur Folge; sie zielten auch genau darauf ab.

1980er Jahre

Die Bilder zeigen, wie die Menschen ihr Hab und Gut zusamenpacken, um umgesiedelt zu werden, damit die Bulldozer die selbst aufgebauten Häuser der Siedlung niederreißen konnten (siehe: Abbildungen: 47). Doch obwohl auch die Villa 31 zum Großteil zerstört und die Bevölkerung umgesiedelt wurde, gaben einige Bewohner ihre Siedlung nie vollkommen auf. So kam es, dass 46 Familien dem Militär nicht nachgaben und in der Villa 31 sämtliche Schläge der Diktatur aushielten (vgl. Cravino 2006: 86). Nach Berichten der Anwohnerin Dora López, die damals zu den 46 Familien gehörte und noch heute in der Villa 31 lebt, wurde den Familien sogar das Bleiberecht gewährt. Gemeinsam hatten die Familien es gewagt, mit einer Klage gegen ihre Vertreibung vor Gericht zu gehen, und der noch aus der Ära Perons amtierende Richter gewährte ihnen das Recht, in der Villa wohnen zu bleiben (Interview López: 2009). Alejandra Garcia, die seit mehr als 35 Jahren Bewohnerin der Villa 31 ist und ebenfalls schon damals in der Villa 31 lebte, berichtet, dass viele der Bewohner wegen der Nähe zum Bahnhof direkt nach Retiro gebracht wurden, um dort mit extra für sie bereitgestellten Zügen zurück in die nördlichen Provinzen des Landes gebracht zu werden. Diese Maßnahme der Militärs kam einer Deportation gleich. „Wir hatten zwar das Recht zugesprochen bekommen, hier zu bleiben, das hinderte die Militärs jedoch nicht, immer wieder zurück zu kommen. Wenn sie kamen, habe ich meine Kinder unter dem Bett versteckt, aus Angst, sie würden sie mir rauben. Meinen Mann haben sie für

Mit dem Ende der Militärdiktatur 1983 wurden die grausamen Vertreibungsprozesse gestoppt. Mit der Rückkehr zur Demokratie kehrte auch die Bevölkerung in die Villa 31 zurück. Zum Großteil kamen sogar dieselben Menschen, die einst in der Villa 31 gelebt hatten und mit aller Kraft während der Diktatur zwangsumgesiedelt worden waren, wieder zurück. Der Hauptgrund für ihre Rückkehr in die Villas war immer noch die hohe Arbeits- und Chancenlosigkeit außerhalb der Städte, die schon in den 1940er und 1960er Jahren Immigrationswellen ausgelöst hatten. Außerdem waren die Lebensumstände in den Núcleos Habitacionales Transitorios (Behelfssiedlungen), in die,die Villeros zum Großteil während der Diktatur gebracht worden waren, so desolat, dass viele Menschen ein Leben in einer Villa Miseria inmitten der Stadt vorzogen (vgl. Blaustein 2006: 10). Das Leben der Villeros war in den darauf folgenden Jahren ähnlich wie in der Entstehungsphase der Villa 31 durch den Wiederaufbau ihrer Häuser und den ewigen Kampf um die Verbesserung ihrer Lebensumstände geprägt. Doch mittlerweile konnte die Bevölkerung innerhalb der Villa 31 auf die Erfahrungen, die die Organisationen vor und während der Militärdiktatur gemacht hatten ,zurückgreifen (vgl. Cravino 2006: 86). Von Seiten der Regierung wurden in den ersten Jahren der Demokratie zunehmend Strategien zur Legalisierung sowie Konsolidierung der Villas Miserias diskutiert. Denn die Zerstörung der Villa war eine Methode des Militärs, die nicht mehr praktikabel für eine demokratische Regierung war (vgl. Blaustein 2006: 10). 1990er Jahre Mit dem zu Beginn der 1990er Jahre eingeführten ProArraigo, einem staatlichen Programm zu Konsolidierung der Villas Miserias (Secretaria de Tierras para el Habitat Popular) sollte dann ein Großteil der Villas Miserias urbanisiert werden. Die Villa 31, die zu dieser Zeit bereits wieder über 5.000 Menschen beherbergte, wurde grama


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(1) Zwangsräumung der Villa 31 während der Militärdiktatur (2) Nach der Zwangsräumung 1979

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Räumliches Wachstum der Villa 31 von der Entstehung in den 1930er Jahren bis heute

BevĂślkerungsentwicklung der Villa 31


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jedoch nachträglich aus dem Urbanisierungsprogramm genommen (vgl. Caravino 2002:87). Denn die Pläne, die u.a. der zuständige Generalintendant Domínguez für diese Flächen hatte, waren andere als die, die das Programm vorsah. Mitte der 1990er Jahre wurde ein Teil der Siedlung für den in den 1970er Jahren verhinderten Bau der Autobahn Presidente Illia abgerissen. Die betroffene Bevölkerung, die in dem Teil der Siedlung lebte, der für den Autobahnbau vorgesehen war, wurde vor die Wahl gestellt, entweder eine Abfindung von 12.000 Pesos zu akzeptieren und in ihren ursprünglichen Heimatort zurückzukehren, einen Kredit von 25.000 Pesos anzunehmen, um sich woanders ein Haus zu kaufen oder im Süden der Stadt ein Stück Land zu bekommen, um sich selbst ein Haus zu bauen (vgl. Cravino 2006: 87). Der Mitarbeiter des Instituto de la Vivienda (staatliches Wohnungsinstitut) Thomas Goday berichtet in diesem Zusammenhang, das einzige, was zählte, war die Fläche so schnell wie möglich zu räumen. Der Intendant Domínguez hat damals wortwörtlich zu den Menschen gesagt: „Los sacamos si o si de la Villa“ (Wir werden euch so oder so aus der Villa raus bekommen). Einige der ehemaligen Bewohner der Villa haben sich ihr eigenes kleines Haus in der Provinz von Buenos Aires gekauft. Doch die Mehrzahl ist später wieder in die Villa 31 zurückgekehrt, da viele keine andere Heimat und Lebensmöglichkeit als die Villa mehr hatten (Interview Godoy: 2009). Das in den 1990er Jahren aufkommende immobilienwirtschaftliche Interesse an den Flächen der Villa 31 wird durch ein weiteres Projekt, das Proyecto Retiro (Projekt Retiro) verdeutlicht. Bei dem Proyecto Retiro handelt es sich um den zwischen 1992 – 2002 geplanten großmaßstäblichen Aus- und Umbau des städtischen Hauptbahnhofes auf einer Fläche von 75 Hektar (vgl. Aguilar et al. 2005:180 ff). Im Rahmen dieses Projektes war auf der Siedlungsfläche der Villa 31 eine direkte Verbindung des Bahnhofes mit dem östlich gelegenen Hafen vorgesehen. Zusätzlich sollten hier exklusive Büro- und Wohnungsbauten realisiert werden. Durch den Widerstand der Bewohner sowie die Ratlosigkeit bzw. Tatenlosigkeit der Regierung, alternative Wohnformen für die in der Villa lebenden Menschen zu finden, wurde das Proyecto Retiro jedoch nie realisiert. Die Flächen der Villa 31 sind aber weiterhin Spekulationsobjekt einer durch Investoren gesteuerten Stadtplanungspolitik, weswegen die Villa 31 auch in kein staatliches Konsolidierungsprogramm integriert ist. Denn grundsätzlich haben heute innerhalb von Buenos Aires alle Villas Miserias, die vor den 1980er Jahren errichtet

wurden und oder den Plan de Erradicación de Villas (Umsiedlungsplan) überdauert haben, den Status einer Villa Oficial (offizielle Villa). Das bedeutet, dass die Siedlungen von der Stadtverwaltung offiziell anerkannt und in ein Urbanisierungsprogramm integriert sind, um an ihren Standorten konsolidiert zu werden (Convenio FADUUBA, Ministerio de Derechos Humanos, Sociales – GCBA 2008: 4). Außerdem ist der Status einer Villa Oficial in der Verwaltungsvorschrift des städtischen Urbanisierungsprogramm für Villas Miserias anerkannt (Decreto PEN 1001/91). Die Villa 31 besitzt jedoch noch immer nicht den Status einer Villa Oficial, obwohl die Siedlung seit den 1930er Jahren, also lange Zeit vor dem Plan de Erradicación de Villas an ihrem derzeitigen Standort existiert. Im Fall der Villa 31 scheint der Staat nach rein ökonomischen Interessen zu handeln, die nicht mit denen der in der Villa lebenden Menschen korrespondieren. Denn die Bewohner der Villa 31 reklamieren bereits seit Jahrzehnten die Urbanisierung ihrer Siedlung. In jüngster Zeit hat sich jedoch eine neue Strömung innerhalb der Architekten herausgebildet, die sich für den Erhalt der Villa 31 aussprechen und sich mit der Urbanisierung an ihrem derzeitigen Standort beschäftigen. So erarbeitet seit 2003 eine Forschungsgruppe der Architektur Fakultät der Universität von Buenos Aires (Facultad de Arquitectura, Diseño y Urbanismo de la Universidad de Buenos Aires) unter der Leitung des Architekten Javier Fernandez Castro das ante-proyecto de urbanización – Barrio 31 Carlos Mugica (eine vorbereitende Untersuchung zur Urbanisierung der Villa 31). Der Architekt Javier Fernandez Castro erzählt in einenmGespräch, bei dem ante-proyecto de urbanización – Barrio 31 Carlos Mugica gehe es darum, eine ernstzunehmende Diskussionsgrundlage für den Erhalt der Villa 31 zu schaffen. Darüber hinaus würden erste mögliche bauliche Ansätze für eine Urbanisierung in Zusammenarbeit mit den Bewohnern der Villa 31 in einer Art Masterplan aufgestellt. Dabei gehe es vor allem um den Erhalt der Baustruktur, da die Häuser zum Großteil qualitativ ausreichend seien. Durch gezielte Abrisse müssten allerdings die Belichtung und Belüftung vebessert werden. „Für mich ist die Urbanisierung der Villa 31 keine Utopie, sie bedarf jedoch einer klaren politischen Entscheidung“ (Interview Castro: 2009). Seit 2005 liegt das ante-proyecto de urbanización – Barrio 31 Carlos Mugica dem Stadtparlament von Buenos Aires (Legislatura de la Ciudad Autónoma de Buenos Aires) vor und

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wird in diesem Gremium diskutiert. Mitte 2008 wurde das Projekt erneut überarbeitet und beinhaltet jetzt die auf dem Plan dargestellte Planung für die Villa 31. Mit dem Projekt soll die bauliche Struktur der Villa 31 grundsätzlich erhalten bleiben. Nur die direkt unterhalb der Autobahn angesiedelten Häuser sollen abgerissen und ihre Bewohner in die im Zuge der Planung neu entstehenden Wohnungsbauten, die direkt an die Villa 31 angrenzen, umgesiedelt werden. Die historische Auseinandersetzung hat gezeigt, dass es sich bei der Villa 31 um keine provisorische Spontansiedlung handelt. Heute gehört die Villa 31 zu einer der drei bevölkerungsreichsten Villas Misierias in Buenos Aires (Cravino 2006: 90) und nicht nur die baulichen, sondern auch die sozialen- und politischen Strukturen haben sich über die Jahrzehnte verfestigt. Die Villa 31 und ihre Bewohner haben zwar unzählige Demütigungen und Niederlagen ertragen müssen, von denen unbestritten die schlimmste die massive Umsiedlung und Zerstörung der Siedlung während der Militärdiktatur war, doch die Villa 31 ist nie komplett aufgegeben worden. Die Bevölkerung der Villa 31 ist immer wieder von neuem angewachsen und die zerschlagenen Strukturen wurden immer wieder rekonstruiert und verfestigt. Doch die Geschichte der Villa 31 war und ist gekennzeichnet durch eine sich immer wieder entfachende Auseinandersetzung um das Bleiberecht auf den besiedelten Flächen und die offizielle Anerkennung der Siedlung. Diese Auseinandersetzung um die Existenzberechtigung der Villa 31 wird gegenwärtig von den Bewohnern Tag für Tag weitergeführt. Denn die Villa 31 ist Lebensraum und Heimat unzähliger Menschen. Darum widmet sich auch die folgende Auseinandersetzung der Frage, wie wichtig die Villa 31 für ihre Bewohner ist. Darüber hinaus wird kritisch betrachtet worauf das eigentliche Existenzrecht der Villa 31 basiert und welche Gründe dafür sprechen, dass die Villa 31 mitten im Zentrum von Buenos Aires bestehen bleiben sollte.

Masterplan: Ante-Proyecto de Urbanización – Barrio 31 Carlos Mugica

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Siedlungsproträt Villa 31

Eingang der Villa 31 mit Blick auf die Stadt


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Lage – direkt im Zentrum am Rand der Stadt Die Villa 31 befindet sich in einzigartiger Lage direkt im Zentrum von Buenos Aires. Während fast alle anderen Villas Miserias in den 1970er Jahren während der Militärdiktatur in die Peripherie, an den südlichen Stadtrand oder in die Provinz Buenos Aires umgesiedelt wurden, hat die Villa 31 ihre strategisch wichtige Positionierung im Zentrum der Stadt beibehalten können (vgl. Cravino 2006: 48). Genauer betrachtet liegt die Villa 31 im reichen Nordosten der Stadt, im ersten Bezirk und dort inmitten des wohlhabenden Stadtteils Retiro, der wiederum direkt an das Micro Centro (Büro und Geschäftszentrum) von Buenos Aires angrenzt.

Die Lage der Villa 31 ist ein Schlüsselfaktor, um die Situation der Siedlung in ihrer Geschichte und Gegenwart zu verstehen. Auf der einen Seite ist die Villa 31 aufgrund ihrer zentralen Lage besonders beliebt, da sie den Bewohnern einen direkten Zugang zur Stadt und somit zum Arbeitsmarkt ermöglicht. Auf der anderen Seite sind die Bewohner der Villa 31 durch die besondere Lage ihrer Siedlung und die daraus resultierenden immobilienwirtschaftlichen Interessen an den Flächen der ständigen Bedrohung einer eventuellen Umsiedlung an den Rand der Stadt ausgesetzt. Die Präsenz der Villa 31 im Stadtraum von Buenos Aires, hebt die Siedlung auch in das Blickfeld einer breiten Öffentlichkeit, macht sie zu einem kontrovers diskutierten und stark emotional behafteten Raum, den fast jeder kennt. Denn die Villa 31 ist das sichtbare räumliche Abbild sozialer Missstände in Buenos Aires.

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Der städtische Kontext – Zentralität der Villa Die Villa 31 steht aufgrund ihrer Präsenz im Stadtraum in einem Spannungsfeld diverser urbaner Räume. Denn in unmittelbarer Nähe zur Villa 31 existieren eine Vielzahl hoch und zum Teil exklusiv frequentierter Stadträume. Diese Orte mit besonderer Anziehungskraft wie Sehenswürdigkeiten, Funktionszentren und Stadtquartiere werden nach ihrer zeitlichen und räumlichen Distanz zur Villa 31 bemessen. Diese Dimensionen zur Siedlung werden in der Karte ausgehend von den zwei Haupteingängen im Süden und Norden der Siedlung dargestellt. Die Haupteingänge markieren gleichzeitig zwei voneinander getrennte Pole, die aufgrund der länglichen Siedlungsstruktur der Villa 31 sowie der Barrieren durch Hafen und Bahntrassen unterschiedliche Auswirkungen auf die räumliche und zeitliche Dimension zum umliegenden Stadtraum haben. Die Casa Rosada (Rosa Haus), wie der argentinische Präsidentenpalast genannt wird, bildet zusammen mit der vorgelagerten Plaza de Mayo den Ausgangspunkt der ursprünglichen Besiedlung von Buenos Aires. Dieser Ort ist auch heute noch Mittelpunkt der Stadt, wenn auch nicht geografisch. Entfernung Süd: 2,6 km - Nord: 4 km Zu Fuß Süd: 30 min - Nord: 45 min Bus Süd:15 min - Nord: 25 min Metro Süd: 5 min - Nord: Der Congreso (Kongress) ist das Parlamentsgebäude von Buenos Aires, er ist über die Prachtstrasse, die Avenida de Mayo, mit der Casa Rosada verbunden. Der Kongress markierte ursprünglich den Endpunkt der Stadt, das Gebäude liegt heute jedoch mitten im Zentrum der Stadt. Entfernung Süd: 3 km - Nord: 4,4 km Zu Fuß Süd: 40 min - Nord: zu Fuß 55 min Bus Süd: 20 min - Nord: Bus 30 min Metro Süd: 7 min - Nord: Das internationale Busterminal in Retiro ist das Eingangstor für den überregionalen Busverkehr. Die zahlreichen Fernbusse, die täglich ihre Fahrt durch Argentinien und den südamerikanischen Kontinent beginnen, fahren somit alle direkt an der Villa 31 vorbei. Entfernung Süd: 0,15 km - Nord: 1,55 km Zu Fuß Süd: 2 min - Nord: Zu Fuß 17 min Bus Süd: - Nord: 10 min

Der städtische Hauptbahnhof Retiro ist der wichtigste Verkehrsknotenpunkt in Buenos Aires, der eigentlich aus drei voneinander getrennten Bahnhöfen, Estacion San Martin, Mitre und Retiro, besteht. Alle Züge aus dem Süden der Stadt kommen hier an und fahren direkt an der Villa 31 vorbei. Durch die direkte Verbindung zur Metro und den unzähligen Buslinien wird der Bahnhof Retiro täglich von ca. 400.000 Menschen frequentiert. Entfernung Süd: 0,7 km - Nord: 2,1 km zu Fuß Süd: 8 min - Nord: 23 min Bus Süd: - Nord: 12 min Puerto Madero (Holzhafen). Der aus der Nutzung gefallene Hafen und das dazugehörige Areal sind in den 1990er Jahren durch aufwendige Konversionsmaßnahmen einer neuen Nutzung zugeführt worden. Der jüngste Stadtteil von Buenos Aires hat sich seitdem in eines der teuersten Luxusquartiere mit Unmengen an Restaurants, Palermo Büros und Loftwohnungen verwandelt. EntfernungSüd:1,7km - Nord:2,3 km zu Fuß Süd: 18 min - Nord 33 min Bus Süd: 10 min - Nord: 15 min Metro Süd: 10 min - Nord: Die Florida ist die Einkaufsmeile im Büro und Geschäftszentrum Microcentro von Buenos Aires und eine der Hauptattraktionen für Touristen. Entfernung Süd: 1,3 km - Nord: 2,7 zu Fuß Süd: 15 min - Nord: 30 min Bus Süd: 10 min - Nord: 15 min Metro Süd: 2 min - Nord: Der Obelisco (Obelisk) ist das „Wahrzeichen“ von Buenos Aires. Er befindet sich direkt im Kreuzungsbereich der Avenida Corrientes, dem so genannten „Broadway“ von Buenos Aires, und der Avenida 9 de Julio, der Hauptverkehrsader der Stadt und u.a. einer der breitesten Strassen der Welt. Entfernung Süd: 1,9 km - Nord: 3,4 km zu Fuß Süd: 28 min - Nord: 45 min Bus Süd: 15 min - Nord: 25 min Metro Süd: 5 min - Nord: -


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Der Stadtteil Recoleta ist ein etabliertes Altbauquartier und eines der teuersten innerstädtischen Wohnviertel von Buenos Aires. Von den im Osten liegenden Häusern ist die Sicht auf die hinter den Gleisen liegende Villa 31 unumgänglich.

Aeroparque Jorge Newbery heißt der nationale Flughafen von Buenos Aires, der direkt im Zentrum der Stadt liegt. Die Ein- und Abflugschneise befindet sich direkt über der Villa 31. Entfernung Süd: 4 km - Nord: 2,6 km zu Fuß Süd: 50 min - Nord: 35 min Bus Süd: 20 min - Nord: 10 min Metro Süd: - Nord: -

Entfernung Süd: 0,8 km - Nord: 1 km zu Fuß Süd: 20 min - Nord: 35 min Bus Süd: 10 min - Nord: 20 min Metro Süd: 15 min - Nord: -

Der Stadteil Palermo (Plaza Italia) hat sich in den letzten fünf Jahren zum absoluten Szeneviertel der Stadt entwickelt. Neben jungen Designern, Sushi Bars, kleinen Galerien ist auch die hier angesiedelte Filmproduktion Stadtraum prägend.

Flughafen

Entgernung Süd: 4,8 km - Nord: 3,1 km zu Fuß Süd: 65 min - Nord 50 min Bus Süd: 20 min - Nord: 30 min Metro Süd: 18 min - Nord: -

4 km

4,8 km

Villa 31

0,15 km Recoleta

Busterminal

0,8 km

0,7 km Hauptbahnhof Retiro 1,3 km

1,7 km

1,9 km

Puerto Madero Florida

3 km 2,6 km Obelisk

Congreso

Casa Rosada

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Villa 31 und 31 bis

Villa 31 und Villa 31 bis Die Villa 31 besteht aus zwei Siedlungen bzw. administrativen Siedlungseinheiten: der Villa 31 und der Villa 31 bis. Bis bedeutet wörtlich übersetzt „die Wiederholung“. Die Villa 31 bis ist die räumliche Fortführung der Villa 31 und als parallele Weiterentwicklung dieser zu verstehen, somit macht die separate Betrachtung der Siedlungen nicht immer Sinn. Die Villa 31 und 31 bis werden als eine Siedlung wahrgenommen, deshalb wird in dieser Arbeit der gesamte Siedlungsraum ohne die Berücksichtigung der administrativen Teilung betrachtet. Villa 31 bezeichnet somit in der Arbeit, wenn nicht anders gekennzeichnet, immer beide Teile als eine Einheit. Allerdings werden aufgrund der unterschiedlichen historischen Ursprünge, die Einfluss auf den Verstetigungsgrad haben, sowie der stark variierenden sozialen und infrastrukturellen Komponenten die Villa 31 und 31 bis in der statistischen Analyse je nach Datenlage differenziert dargestellt. Insgesamt leben in der Villa 31 und 31 bis 32.400 Menschen, das sind 8.100 Familien. In der Villa 31 leben davon 16.800 Personen in 4.200 Familien und in der Villa 31 bis 15.600 Personen in 3.900 Familien. Diese Zahlen beruhen auf einer Zählung, die 2008 durchgeführt wurde. Schätzungswerte von Experten wie Maria Christina Carvino gehen von einer weitaus höheren Einwohnerzahl aus.

Die Villa 31 und 31 bis verfügen über eine Gesamtfläche von 20,5 Hektar. Die Siedlung erstreckt sich über eine Länge von 1,4 km mit einer Breite, die zwischen 200 und 300 m variiert. Die Villa 31 dehnt sich über eine Fläche von 10,5 Hektar aus und gliedert sich in 31 Blöcke, die sich wiederum 5 Stadtteilen zuordnen lassen: Inmigrante, Güemes, Autopista, YPF und Comunicaciones. Die Stadteile sind zwar inoffiziell, ihre Bezeichnung und räumliche Abgrenzung geht jedoch über den internen Gebrauch der Bewohnerschaft hinaus und findet auch von Seiten der Stadtverwaltung Verwendung. Die Villa 31 bis hat eine Fläche von 10 Hektar und untergliedert sich in ca. 19 Blöcke, die sich ähnlich wie in der Villa 31 in Stadtteile einteilen lassen. Allerdings sind die Stadtteilnamen in der Villa 31 bis noch nicht im allgemeinen Sprachgebrauch etabliert und wechseln selbst innerhalb der eigenen Bewohnerschaft. Außerdem ist ihre räumliche Abgrenzung aufrund des stetigen Wachstums nicht immer eindeutig festzumachen. Ein Großteil der hier lebenden Bevölkerung gebraucht die Einteilung und Benennung der drei Berreiche: Ferroviario, Barrio Chino und el Fondo (Interview: Godoy 2009).


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In der Villa 31 sind nicht nur Häuser, sondern auch die Häuserblöcke und Straßen aus administrativen Zwecken von der Stadtverwaltung komplett durchnummeriert.

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(Über) Lebensraum

Stadtteilporträts Villa 31 Die Namensgebung der Stadtteile steht oft sinngemäß für die Geschichte oder den Charakter des Ortes. Autopista (Autobahn) hat seinen Namen aufgund seiner geographischen Lage unterhalb der und angrenzend an die Autobahn, die zum Teil aufgeständert ist. YPF Der Name bezieht sich auf die staatliche Ölgesellschaft Yacimientos Petrolíferos Fiscales, die Eigentümer der Fläche, auf der sich ein Teil der Villa 31 befindet, ist. Inmigrantes (Immigranten) hat seine Bezeichnung aufgrund der europäischen, hauptsächlich italienischen Einwanderer, die sich hier Anfang des 20. Jahrunderts in von der Regierung bereitgestellten provisorischen Unterkünften angesiedelt haben (Cravino 2006: 82). Der Stadtteil ist durch seine Lage hinter dem Parador de Retiro (Obdachlosenheim) räumlich abgretrennt vom Rest der Siedlung. Comunicaciõnes (Kommunikation) hat seinen Namen wegen des einstigen Edificio de Comunicacion (Telekommunikationsgebäude), das sich am nördlichen Eingang der Siedlung befindet und heute leer steht.Hier lebt ein Großteil der Familien, die bereits seit dreißig oder mehr Jahren in der Siedlung leben. Güemes verdankt seinen Namen dem General Martín Miguel de Güemes. Ihm zu Ehren sind eine Vielzahl von Plätzen und Straßen in ganz Argentinien benannt worden, so auch ein Stadtteil der Villa 31, dessen Bewohner ursprünglich aus dem Norden Argentiniens und der Region Salta kommen, in der Güemes u.a. gekämpft hat. El Fondo bedeutet „am Grund“ oder „am Ende” und hat seien Namen aufgrund der geographischen Lange am nördlichen Ende der Siedlung. Barrio Chino (China Viertel) hat keinerlei Verbindung mit einer China Town oder ähnlichem. Der Ausdruck Chino (Chinese) wird in Argentinien als Diskriminierung verwendet. Daher die Namensgebung für den sehr armen Teil der Siedlung. Ferroviario (Eisenbahn) oder Barrio Nuevo (Neuer Stadtteil): Der Name Ferroviario bezieht sich auf die Lage der Häuser auf dem brachliegenden Gleisareal. Durch den massiven Zuzug in die Villa 31 bis ist auf den Gleisen in den letzten 4 Jahren ein neuer Stadtteil enstanden, daher die zweite auch verwendete Namensgebung “Neuer Stadteil”.

Comunicaciones 28 29

14

Barrio Chino 13

El Fondo

104

11 12


(Ăœber) Lebensraum

25 bis

Die Siedlungsstruktur der Villa 31 und 31 bis aufgeteilt nach den einzelnen Stadtteilen und BlĂścken

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25 23

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YPF 9

Villa 31

33 8

Imigrantes

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7

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6 5

Autopista

20

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Ferroviario

32

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Villa 31bis

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GĂźemes

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4

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2bis

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6 7

9

1

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8

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10 bis 99

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(Über) Lebensraum

Die Erschließung – Anbindung der Villa 31 Nur wenige Meter vom städtischen Hauptbahnhof Retiro entfernt, eingeschlossen zwischen Bahntrassen im Westen, Containerterminals und Gewerbegebieten im Osten sowie von der Autobahn überquert und durchschnitten liegt die Villa 31 mittendrin und trotzdem am Rand. In unmittelbarer Nähe zum Zentrum verliert die Lage der Villa 31 durch ihr direktes Umfeld (von Hafen und Bahn) an Zentralität und wirkt peripher. Es scheint, als würde die Stadt an der Villa aufhören, und nur die fortwährenden Blickbezüge auf die Skyline der umliegenden Quartiere lassen vor Ort darauf schließen, dass sich die Villa 31 mitten in Buenos Aires befindet. Die Villa 31 hat kein offizielles Verkehrssystem mit asphaltierten Straßen, die internen Wege und Gassen laufen jedoch auf die im Umfeld der Villa liegenden Straßen zu und ermöglichen die Anbindung der Villa an das übergeordnete Straßenraster. Die Erschließung der Villa 31 und 31 bis erfolgt aufgrund der Barrieren durch die Gleisanlagen (im Westen), den Hafen (im Osten) und die die Siedlung durchschneidende Autobahn hauptsächlich über zwei Pole. Diese befinden sich im Süden und im Norden der Siedlung. Den südlich gelegenen Haupt- und Nebeneingängen kommt durch ihre Orientierung zum Stadtzentrum von Buenos Aires eine wesentlich größere Bedeutung zu. Im Süden ist die Siedlung am effizientesten an das offizielle Verkehrsnetz angebunden. Dabei stellt die Straße 5 die wichtigste Verbindungsachse zum Stadtzentrum dar. Weiterhin wird die Villa von Süden aus durch die Straße 4 und die Av. 8 erschlossen. Die aus dem Norden in die Stadt kommenden überregionalen Busse fahren auf der Straße 5 direkt an der Villa 31 vorbei zum Busterminal, außerdem gibt es von hier aus Busverbindungen ins Zentrum. Die Straße 9, die von der Straße 5 abgeht, stellt neben dem eigenen internen Wegenetz die einzige offizielle innere Erschließung der Villa und erstreckt sich fast über die gesamte Ausdehnung der Siedlung. Im Norden führt die Av. Costanera Rafael Obligado direkt an der Villa 31 vorbei. Sie ist eine der wichtigsten Verbindungsachsen zwischen dem Zentrum, dem Hafen, dem nationalen Flughafen und der Universität von Buenos Aires. Von der Avenida gehen die Straßen 12 und 7 in den nördlichen Eingangsbereich der Siedlung, außerdem halten direkt an der Hauptstraße zwei Buslinien. Innerhalb der Siedlung selbst fahren keine Busse. Durch die direkte Nähe zum Busbahnhof und dem Hauptbahnhof, der darüber hinaus über eine U-Bahn Anbindung verfügt, ist die Villa jedoch gut durch den ÖPNV erschlossen.

Der Siedlungsbereich der Villa 31 bis ist aufgrund der Barrieren durch die Gleisanlagen und die Autobahn besonders schlecht an das übergeordnete Verkehrsnetz der Stadt angebunden. In den westlich der Autobahn gelegenen Siedlungsbereich der Villa 31 bis führt, von der Straße 4 abgehend, eine breite, für den Autoverkehr zugängliche Straße, sie ist als einzige asphaltiert. Darüber hinaus ist die Villa 31 über ein eigenes Wegenetz erschlossen, das jedoch nur sehr eingeschränkt für den Autoverkehr zugänglich ist. Zusätzlich sind die Querungsmöglichkeiten zwischen der Villa 31 und 31 bis durch die Autobahn (Presidente Illia), die zum Teil ebenirdisch zwischen den Siedlungseinheiten verläuft bzw. die Siedlung durchschneidet, stark eingeschränkt.


wer würde(Über) die villa vermissen Lebensraum

Erschließung der Villa 31 ÖPNV Konzentration Bus U-Bahn Schienennahverkehr Fernbus

Eingänge Haupteingänge Nebeneingänge Querungen

Erschließung Straßen

8

Straßennamen

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(Über) Lebensraum

Die Straßen – der öffentliche Raum der Villa Das innere Wegnetz der Villa 31 verbindet sich zwar mit dem offiziellen Straßenraster, orientiert sich jedoch nicht an diesem, sondern an der eigenen Struktur der Villa. Die verschachtelten Wege, Sackgassen und Trampelpfade bilden ein labyrinthartiges Straßennetz, welches zumindest zu Fuß die komplette Villa erschließt. Die Straßen sind bis auf eine Ausnahme nicht asphaltiert, bei Regen sowie noch Tage danach steht die Siedlung oft unter Wasser und die Bewohner müssen sich ihren Weg durch die Pfützen bahnen. Die Erschließung mit dem Auto ist durch die engen Gassen nur in einigen Teilen der Siedlung gegeben, was wiederum bedeutet, dass Teile der Siedlung nicht durch Krankenwagen, Feuerwehr, Müllabfuhr und Wasserlaster erreicht werden können. Die Straßen der Villa 31 verfügen über keine offiziellen Straßennamen, wie die Blöcke sind auch die Straßen von der Stadtverwaltung durchnummeriert. Zusätzlich haben die Bewohner zur besseren eigenen Orientierung inoffizielle Straßennamen etabliert, die sich jedoch auf keinen Schildern befinden.

Der Straßenraum in der Villa ist grundsätzlich nicht unterteilt: Bürgersteige sind nicht notwendig, da in der Siedlung kaum Autos fahren. Der gesamte Straßenraum funktioniert vornehmlich als öffentlicher Raum. Im Sommer spielt sich ein Grossteil des Lebens der Villeros vor ihrem Haus und auf den Straßen der Siedlung ab. Denn die Villa ist in den letzten Jahren extrem dich bebaut worden, so dass den Bewohnern neben dem Straßenraum nicht mehr viel Freiraum bleibt. Allerdings deklariert ein ungeschriebenes Gesetz, an das man sich hält, die Fußballfelder als unantastbare Freiflächen, die nicht besiedelt werden dürfen (vgl. Verela, Craviono 2008: 58). Hauptsächlich an Sonntagen dienen diese Flächen nicht ausschließlich dem Flussballspiel, sondern werden von einem Grossteil der Bewohner als allgemeiner, zentraler Treffpunkt genutzt. Außerdem befinden sich in der Villa ein zentraler etwas größerer Spielplatz sowie mehrere kleine Spielplätze auf Restflächen zwischen den Häusern. Der öffentliche Raum bekommt in der Siedlung jedoch auch in ganz anderer Hinsicht eine neue Bedeutung. Durch die Gastfreundschaft und Offenheit der Bewohner nimmt der private Raum den Charakter eines öffentlichen Raumes an - die einzelnen Haustüren sind in der Villa nur selten verschlossen. Das „Wohnzimmer“ dehnt sich somit nicht nur durch die Aneignung des Straßenraums aus, sondern umgekehrt ersetzt auch der private Raum den in den Wintertagen fehlenden öffentlichen Raum für die Gemeinschaft. Die Grenzen zwischen privat und öffentlich scheinen veränderlich und fließend zu sein.

Straßen und öffentlicher Raum in der Villa 31


(Über) Lebensraum

„In der Villa haben mehr Menschen Kabelfernsehen als fließendes Wasser in ihren Häusern“ (Jorge 12, Bewohner der Villa 31)

.In den gemeinschaftlichen Esszimmern der

Technische Infrastruktur der Villa 31

Soziale Infrastruktur der Villa 31

Wasserversorgung: im Haus 79,3 %, außerhalb des Hauses auf dem Grundstück 10,2 %, außerhalb des Grundstückes 1,5 %

Comedores Communitarios: In der Siedlung gibt es 21 offizielle Gemeinschaftszentren und Volksküchen.

Strom: die Stromanbindung deckt den gesamten Siedlungsraum ab. Gas: Die Gasversorgung funktioniert über Gaskartuschen, die von den Bewohnern selber angeschafft werden. Müllabfuhr: Zweimal wöchentlich kommt an bestimmten Sammelpunkten in der Siedlung die Müllabfuhr. Kühlschrank: In der Villa 31 besitzen 28,8 % der Haushalte keinen Kühlschrank

Villa 31 – den Comedores - werden täglich 4.200 Essen ausgeteilt

Schulen: Bandera Argentina (staatliche Schule), Filiidei (private Schule) Kindergärten: in der Bandera Argentina und selbst organisierte innerhalb der Siedlung. Kirche: Capilla Carlos Mugica Krankenhäuser: Hospital Fernández NBI: 50,29 % der Bevölkerung leben mit einer unzureichenden Deckung der Grundbedürfnisse.

Heiligenfiguren im Comedor Arca de Noé Villa 31

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(Über) Lebensraum

Die Bewohnerstruktur – woher kommen die Villeros? Die Grafik zeigt die Bevölkerungszusammensetzung der Villa 31 nach Geburtsorten der Einwohner. Im Detail wird der prozentuale Anteil an Argentiniern sowie Bolivianern, Peruanern und Paraguayanern, die in der Villa 31 leben, dargestellt. Darüber hinaus wird die argentinische Bevölkerung nach ihren Geburtsorten detailliert aufgeschlüsselt.


(Über) Lebensraum

Ein Großteil der in der Villa 31 lebenden Bevölkerung stammt ursprünglich aus dem Norden Argentiniens. Darüber hinaus kommen 40 % der Einwohner aus den Nachbarländern Bolivien, Paraguay und Peru. In diesem Zusammenhang sind die ethnischen bzw. kulturellen wie auch ökonomischen Unterschiede besonders ausschlaggebend für die folgende Betrachtung. Denn in Argentinien existiert ein extremes Wohlstandsgefälle zwischen dem wirtschaftsstrukturschwachen Norden und dem eher wohlhabenderen Süden sowie den größeren urbanen Zentren des Landes.

In diesem Zusammenhang sagt Alejandar Garcia, eine Bewohnerin der Villa 31: Jedes in Argentinien geborene Kind ist offiziell Argentinier. Ein Kind, das in einer Villa Miseria in Buenos Aires geboren ist, ist auch offiziell Argentinier, aber niemals ein Porteño, sondern bleibt immer ein Villero und wird dafür von der Gesellschaft stigmatisiert (Interview Alicia: 2009)

Die kulturellen Unterschiede sind neben dem extremen Wohlstandsgefälle besonders bezeichnend für die ausgeprägte Nord-Süd Diskrepanz des Landes. Der Norden Argentiniens ist geprägt durch unterschiedliche indigene Bevölkerungsgruppen und deren Kulturen. Dem steht eine durch die Einwanderungswelle aus Europa (18801930) stark europäisch beeinflusste Lebensweise in Buenos Aires sowie in weiten Teilen des Landes gegenüber (vgl. Cravino 2006: 21). Diese sozioökonomischen und kulturellen Unterschiede zeichnen sich auch zwischen dem wohlhabenderen Argentinien (mit Ausnahme der nördlichen Regionen) und den Nachbarländern Bolivien, Paraguay und Peru ab. In der Villa 31 wuchs mit den Jahren jedoch eine neue in der Siedlung geborene Generation heran (vgl. Cravino 2006: 37). So sind heute von den argentinischen Bewohnern der Villa 31, die 60 % der in der Siedlung lebenden Gesamtbevölkerung ausmachen, mehr als die Hälfte bereits in Buenos Aires geboren (siehe: Grafik S. 64). Christina Cravino schreibt in diesem Zusammenhang, die Villa 31 repräsentiere die Heterogenität der Armut: hier leben die Antiguos Villeros (ältere Villeros), die Immigranten aus den Nachbarländern, und die Nuevos Pobres, wie die neuen Armen der Wirtschaftskrise genannt werden (Cravino 2006: 38). Doch das Bild der Villa 31 ist noch heute stark durch die unterschiedlichen indigenen Kulturen, Gebräuche und Lebensweisen geprägt. Gleichwohl ist die kulturelle Differenz der indigen und europäisch geprägten Lebensweisen noch immer stark in der argentinischen Gesellschaft verankert. Denn die indigene Bevölkerung zählt grundsätzlich auch noch zu den gesellschaftlichen Randgruppen in Argentinien. Deshalb existiert gegenwertig weiterhin eine tiefe Kluft zwischen Porteños und Villeros, die über die ökonomischen Verhältnisse hinaus geht und auf der Herkunft bzw. der Ablehnung der indigenen Abstammung basiert.

Buenos Aires Landesdurchschnitt Nordostregionen Die Grafik zeigt die Armutsrate berechnet anhand des Warenkorbs.

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(Über) Lebensraum

Die bauliche und räumliche Konfiguration – das situative Bild der Villa 31 Die Villa 31 bricht mit den morphologischen Regeln der „formellen Stadt“. Die aus sich selbst heraus gewachsene Siedlungsstruktur der Villa 31 ist dispers und steht der rational geplanten, traditionellen Blockstruktur von Buenos Aires unvermittelt gegenüber. Denn die Stadt Buenos Aires baut auf eine für lateinamerikanische Städte typische Siedlungsstruktur aus der Kolonialzeit auf. Um einen zentralen Platz - die Plaza de Mayo- gruppieren sich der Präsidentenpalast, die Kirche und weitere wichtige öffentliche Gebäude. Von dort aus gliedert sich die Stadt durch ein strenges orthogonales Rastersystem anhand gleichmäßig angelegter Blöcke. Die Blöcke haben in der Regel ein Maß von 115 mal 115 Metern und werden durch gleichmäßig zu ihnen verlaufende Straßen begrenzt. Die Differenz in der Maßstäblichkeit der Strukturen verstärkt das abrupte Aufeinandertreffen der angrenzenden Stadträume zusätzlich. Doch auch das strenge Blockraster von Buenos Aires bricht an den Rändern der Stadt in Richtung Nordosten zum Hafen und dem Rio de la Plata hin auf. Denn das direkt an die Villa 31 angrenzende Umfeld ist durch großmaßstäbliche Einzelobjekte (Solitäre) wie den Hauptbahnhof, das Busterminal und etliche Lagerhallen sowie flächenhafte Infrastrukturen wie das Gleisareal, die Containerterminals und den Hafen geprägt. Die Siedlungsstruktur der Villa ist hingegen viel kleinteiliger und durch eine im Vergleich niedrige, jedoch äußerst dichte Bebauung gekennzeichnet. Das Bild der Villa 31 unterscheidet sich demnach deutlich von der übrigen baulichen Struktur von Buenos Aires. Denn die Villa 31 ist aus einer informellen Landbesetzung heraus entstanden, das bedeutet das ihrer baulichen Struktur keinerlei formelle Parzellierung zu Grunde liegt. Und dennoch wird in der Villa 31 nicht nach Belieben durcheinander gebaut.

Siedlungsstruktur und der direkte städtische Kontext der Villa 31 Die Gegenüberstellung der städtebaulichen Strukturen verdeutlicht besonders anschaulich die Diskrepanz zwischen den geplanten und gewachsenen Strukturen sowie den Sprung in der Maßstäblichkeit der angrenzenden Stadträume.


(Ăœber) Lebensraum

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(Über) Lebensraum

Die ungeschriebenen Regeln Welchen Prämissen folgt die baulich-räumliche Siedulungsstruktur der Villa? Sie folgt bestimmten Logiken und Regeln, sie hat jedoch kein übergeordnetes Ordnungsprinzip oder zumindest wird dieses nicht durch die formellen Regulierungsmodi anerkannt. Der prozessuale Charakter der Siedlung macht es unmöglich, ein statisches Bild der Villa 31 zu zeichnen, das Bestand hat und nicht in Kürze schon wieder obsolet ist. Nicht ein festgelegtes Endprodukt bestimmt die Entwicklung der Villa, sondern ein kontinuierlicher Prozess. Auch der Schwarzplan der Villa 31 zeigt ein vermeintlich ungeordnetes Nebeneinander: ein Bild des Chaos oder vielleicht doch ein Bild der Ordnung? Einer Ordnung, deren Logik und Parameter nicht offenkundig und für den Betrachter deshalb nur schwer zugänglich und nachvollziehbar sind.


(Ăœber) Lebensraum

Die räumliche Konfiguration der Villa 31

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(Über) Lebensraum

Räumliche Struktur 2001

Räumliche Struktur 2003

Räumliche Struktur 2008

Räumliche Wachstumsmerkmale: Die räumlichen Wachstumsmerkmale nehmen direkten Einfluss auf die städtebauliche Form der Villa 31. Nachverdichtung horizontal: innerhalb der Blöcke wird dichter gebaut. Erschließung neuer Räume: das Wachstum geht über die Nachverdichtung innerhalb der Blöcke hinaus, es wird auf neuem Baugrund an den Rändern der Siedlung gebaut. Nachverdichtung vertikal: es wird in die Höhe gebaut.


(über) Lebensraum

Die städtebauliche Struktur der Villa 31 entzieht sich durch ihre Dynamik einer Definition - einem eindeutigen Bild - und lässt sich paradoxerweise gleichzeitig am besten durch diese Dynamik - die ständige bauliche Entwicklung - beschreiben. Denn die Siedlungsstruktur der Villa 31 bildet die Summe individueller Baupraktiken über einen unbestimmten Zeitraum und steht damit im Gegensatz zu geplanten Siedlungen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt fertig gestellt sind (vgl. Cravino 2008: 56). Doch auch das Wachstum der Villa unterliegt weiteren Faktoren. Auf der einen Seite wird das Wachstum der Siedlung durch das familiäre Wachstum durch Reproduktion bestimmt und auf der andern Seite durch Zuzüge von außerhalb, denn aufgrund der strategisch wichtigenLage ist die Villa 31 besonders nachgefragt. Von diesen Wachstumsfaktoren leitet sich der spezifische Raumbedarf ab, dessen Realisierung dann direkte Auswirkungen auf die Siedlungsstruktur hat. Die Realisierung des spezifischen Raumbedarfs bedingt sich wiederum durch die allgemeine Raumverfügbarkeit und die ökonomischen Mittel des einzelnen. Doch auch sonst entwickelt sich die Villa 31 nicht allein per Zufallsprinzip, denn die Entwicklung basiert auf ungeschriebenen Regeln, die durch die Gemeinschaft und deren Aushandlungsprozesse bestimmt werden. Die traditionellen Netzwerke und die soziale Kontrolle durch die Nachbarschaft bestimmen somit nicht nur das gemeinschaftliche Zusammenleben, sondern nehmen auch Einfluss auf die räumliche Entwicklung der Siedlung. Das bedeutet, dass informell unter den Nachbarn bestimmt wird, wer wo bauen darf (Interview Garcia: 2009). Außerdem nehmen der stark anwachsende informelle Wohnungsmarkt innerhalb der Villa 31 und auch die staatliche Kontrolle beim Bau immer mehr Einfluss auf die Entwicklung der Siedlung. Die baulichen Strukturen der Villa 31 haben sich mit der Zeit verfestigt. Gleichzeitig ist in den letzten Jahren ein starkes Wachstum, das anfangs teils Improvisationscharakter hatte, zu beobachten, auch wenn es sich bei der Villa 31 nicht um eine Spontansiedlung handelt. Die Entwicklung der Siedlung lässt sich durch unterschiedliche Merkmale in der baulich räumlichen Form der Villa 31 ablesen. Zum einen nimmt innerhalb der bestehenden Strukturen die horizontale Verdichtung zu, innerhalb der Blöcke wird dichter gebaut - die Abstände zwischen den Häusern verringern sich oder verschwinden vollkommen- und in den Höfen der Blöcke wird angebaut. Außerdem wächst die Villa 31 horizontal über die bestehende Siedlungsfläche hinaus. Die Erschließung neuer Räume auf neuem Baugrund, hauptsächlich unterhalb der Autobahn und in Richtung Westen auf den Gleisanlagen, ist

wesentliches Wachstumsmerkmal. Doch die geographischen Gegebenheiten begrenzen die räumliche Ausdehnung zunehmend, so dass darüber hinaus in den letzten fünf Jahren eine vertikale Entwicklung der Villa eingesetzt hat, die eine essentielle Rolle beim Wachstum der Siedlung einnimmt. Denn die Villa 31 wächst unaufhaltsam in die Höhe und die bis zu fünfgeschossigen Konstruktionen stellen längst keine Einzelfälle mehr dar.

Der informelle Wohnungsmarkt Das Wachstum der Villa 31 ist eng verbunden mit dem informellen Wohnungsmarkt. Die Mechanismen dieses Marktes nehmen besonders seit den letzten fünf Jahren vermehrt Einfluss auf die bauliche Entwicklung der Siedlung. Der Weg zum eigenen Haus in der Villa 31 hat sich einschneidend gewandelt. „Noch vor einigen Jahren sind die Menschen in die Villa gekommen und haben erstmal im Haus ihrer Verwandtschaft Zuflucht gefunden, bis sie dann eine freie Fläche, auf der sie ihr eigenes Haus bauen konnten, gefunden haben. Wenn jemand heute neu in die Villa 31 zieht, mietet er sich erstmal ein Zimmer, meist mit gemeinschaftlichem Bad und Küche. Wenn es die ökonomischen Bedingungen dann erlauben, wird nach einer Zeit vielleicht ein kleines Häuschen auf dem informellen Wohnungsmarkt erworben“ (Cravino 2006: 52). In der Villa 31 hat der informelle Wohnungsmarkt aufgrund der zentralen Lage und der daraus resultierenden hohen Nachfrage an der Siedlung im Vergleich zu anderen Villas Miserias ein besonders großes Ausmaß angenommen. Die Wachstumsfaktoren der Siedlung, die in den 1980er und frühen 1990er Jahren noch hauptsächlich durch die Vergrößerung der eigenen Familie, Zuzüge aus dem Kreis der Familie und Bekannten sowie den spezifischen Raumbedarf und die finanziellen Mittelndes einzelnen bestimmt wurden, werden heute maßgeblich durch die Mechanismen des informellen Wohnungsmarktes geregelt. Der Markt bestimmt das Wohnungsangebot, ist profitorientiert, jedoch nicht vollkommen ungebunden und muss sich besonders in den älteren Teilen der Siedlung immer wieder dem Einfluss sozialer Kontrolle durch die Nachbarschaft unterziehen. Der ökonomische Faktor, sich durch die Vermietung einen Zusatzverdienst zu sichern, gewinnt immer mehr an Bedeutung (vgl. Cravino 52: 2006). Die Vermietung einzelner Zimmer oder ganzer Häuser stellt keine Ausnahme mehr dar. Als Indikator für einen informellen Wohnungsmarkt bzw. für die Vermietung innerhalb der

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(Ăœber) Lebensraum

Haus zu verkaufen innerhalb der Villa 31


(Über) Lebensraum

Villa 31 kann u.a. die durchschnittliche Bewohnerzahl pro Haushalt herangezogen werden, welche die durchschnittliche Familiengröße übersteigt. So beträgt die durchschnittliche Familien Größe innerhalb der Villa 31 3,44 Personen pro Haushalt, tatsächlich aber leben 5,75 Personen pro Haushalt. In der Villa 31 bis ist der Indikator für Vermietung ein wenig geringer, hier beträgt die Familiengröße pro Haushalt 3,41 Personen und tatsächlich leben im Durchschnitt ca. 4,07 Personen je Haushalt (Instituto de Vivienda de la Ciudad 2008). Nach einer Erhebung durch die Anthropologin Christina Carvino ist bei der Entscheidung, in der Villa 31 ein Haus oder eine Wohnung zu kaufen, für mehr als 50 % der Befragten die Nähe zur Arbeit aufgrund der zentralen Lage der Villa 31 ausschlaggebend. Darüber hinaus wurden die Nähe zu Familie und Freunden sowie der Preis des Hauses als weitere wesentliche Argumente erwähnt. Besonders nachgefragt ist der südliche Teil der Villa 31 durch seine unmittelbare Nähe zum Zentrum. Die Villa 31 reproduziert demnach das System des Immobilienhandels der formellen Stadtgesellschaft, indem sie einen informellen Wohnungsmarkt ausgerichtet nach ähnlichen Prämissen generiert. Einst begann der informelle Wohnungsmarkt mit einzelnen Zimmern, die innerhalb eines Hauses vermietet wurden, mittlerweile werden gezielt ganze Häuser außerhalb des Eigenbedarfes gebaut, um vermietet oder verkauft zu werden. Die Villa ist keine homogene Armensiedlung, in der alle gleich sind. Die Diskrepanz zwischen Mieter und Eigentümer existiert auch innerhalb der Informalität. Darüber hinaus nimmt der informelle Wohnungsmarkt direkten Einfluss auf die Bautypologien, die durch eine extreme Nachfrage an Wohnraum immer weiter in die Höhe wachsen.

Open End Architektur – Anonyme Architekten und informelle Typologie „Vor noch etwa 10 Jahren hatten alle Häuser bloß ein Stockwerk und die Häuser der Neuankömmlinge waren aus den unterschiedlichsten gerade verfügbaren Materialien gebaut“ (Interview Garcia: 2009). Mehr noch als die sich ständig wandelnde Siedlungsstruktur der Villa unterliegen die einzelnen Häuser starken baulichen Veränderungen, sind situativ und nicht statisch. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Typologien die Informalität erzeugt? In der Villa 31 ist eine eindeutige Klassifizierung von Bautypologien nur schwer möglich, zwar lassen sich unterschiedliche Größen und Hierarchien anhand der Gebäudestrukturen und Grundrisse ablesen, aber Bauen ist hier mehr als anderswo in der Stadt ein dynamischer Prozess, der keinen fest deklarierten Endpunkt hat. Nach Ribbeck ist das Haus in einer informellen Siedlung kein statisches Element, sondern ein sich stetig entwickelndes Gefüge (vgl. Ribbeck 2002:134). Die informellen Bauweisen und Typologien sind zwar durch einen prozessualen Charakter gekennzeichnet, dennoch wird die stetige Veränderung der Gebäude und deren Diversität durch unterschiedliche Faktoren bestimmt. In der Villa 31 baut grundsätzlich der gelernte oder eigens erkorene Handwerker nach der herrschenden Praxis der Selbstbauweise. Viele der Villeros haben ihr Wissen bereits mitgebracht, sind zum Teil gelernte Maurer, Zimmermänner, Handwerker etc. oder werden durch die Praxis zum Fachmann. Der Selbstbau bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, dass jede Familie ihr eigenes Haus ausschließlich alleine baut. In der Regel wird sich bei den in der Villa ansässigen Experten Hilfe geholt oder bei den Nachbarn um Rat gefragt.

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(Über) Lebensraum

Die Open End Architektur basiert in erster Linie auf den finanziellen Möglichkeiten des einzelnen bzw. der Familie. Je nach vorhandener Finanzkraft wird die zu Anfang oftmals sehr kleine Grundstruktur des Hauses durch bauliche Veränderungen wie Anbauten oder ein weiteres Geschoss erweitert. Die einzelnen Grundrisse passen sich dabei flexibel an die zur Verfügung stehende Fläche und die Raumverfügbarkeit an. Ist neben oder hinter dem Haus noch Platz, den noch niemand anderes für sich beansprucht hat, wird angebaut. Wenn dies nicht der Fall ist, wird seit den letzten Jahren auch verstärkt in die Höhe gebaut. Durch den Austausch von Materialien und die Verwendung höherwertiger Baustoffe werden qualitative Verbesserungen an den Häusern vorgenommen. Bei finanziellen Engpässen wird der Bau gestoppt und erst wieder aufgenommen, wenn diese behoben sind - Geld verdient oder geliehen wurde - in der Zwischenzeit muss improvisiert werden. Wenn die finanziellen Mittel und räumlichen Gegebenheiten es zulassen, wachsen die Häuser bestenfalls mit der Familie mit. Denn die Familie besitzt in Argentinien grundsätzlich einen hohen Stellenwert und innerhalb der Villas ist dieser besonders ausgeprägt. Wenn möglich bleibt die Familie gemeinsam wohnen, um sich gegenseitig unterstützen zu können. Neben dem familiär bedingten Raumbedarf bestimmen zunehmend auch wirtschaftliche Interessen den Bau (siehe: informeller Wohnungsmarkt). Besonders als Zuverdienst ist der Anbau eines weiteren Zimmers oder ganzen Stockwerkes, die dann vermietet werden können, lukrativ oder sogar essentiell geworden. Der informelle Wohnungsmarkt setzt somit zum Teil auch beim Bau das Prinzip des reinen Eigenbedarfes außer Kraft. Ein weiteres Merkmal informeller Typologien ist die Bausubstanz der Gebäude, die maßgeblich durch die Verfügbarkeit von Materialien bestimmt wird. Noch vor einigen Jahren wurden die Häuser besonders in der Villa 31 bis Materialität der Häuser

oft aus gerade verfügbaren, minderwertigen Materialien gebaut. Die Grundrisse mussten sich dementsprechend flexibel an die Möglichkeiten, die das vorhandene Material bot, anpassen. Mittlerweile ist die in der Villa 31 und 31 bis vorherrschende Bauweise aus festen Steinkonstruktionen. Nur in der Villa 31 bis existieren noch vereinzelt Konstruktionen aus minderwertigen Baumaterialien wie Karton, Holz und Wellblech. Die von den Bewohnern durch den Selbstbau aufgebaute Beziehung zu ihrem Haus stärkt auch die Verbindung zur Siedlung. Denn „das Bauen des eigenen Hauses ist ein gemeinschaftlicher Prozesse, der zur intensiveren Identifizierung mit dem gebauten Raum und der Gemeinschaft beiträgt.“ (Interview Godoy: 2009) Die Entwicklung der Villa 31 ist nicht unreguliert, ihr liegen viel eher eigene bzw. anderen Regularien, die formell nicht als solche anerkannt werden, zugrunde. Obwohl das bauliche Wachstum der Villa 31 Regeln unterliegt, ist die städtebauliche Entwicklung der Siedlung deutlich dynamischer als die der „formellen Stadt“. Denn die Entwicklung der Villa 31 ist im Gegensatz zur formellen Stadt nicht durch eine Vielzahl von rechtlich festgeschriebenen Regularien und Satzungen bestimmt. Maria Christina Cravino schreibt in diesem Zusammenhang: „Wenn es irgendwas gibt, was für die Villas charakteristisch ist, dann ist es ihre permanente Veränderung; der Charakter einer Stadt im ständigen Aufbau im Gegensatz zu einem Großteil der formellen Stadtteile, die sich viel langsamer modifizieren“ (Cravino 2008: 50). In der Villa zu leben ist keine statischer Zustand, sondern bedeutet Teil eines Prozesses zu sein, in dem die Bedingungen sich schnell verändern können (Cravino 2008: 88). Die spezifischen Merkmale der Villa 31 gehen allerdings über ihre räumliche Struktur und das selbst gebaute Haus hinaus. Denn im besonderen Maße werden die Verbindung und Identifikation der Bewohner mit ihrem Umfeld durch die gemeinsam erschaffenen sozialen und politischen Strukturen gefestigt.


(Ăœber) Lebensraum

Typisches Gebäude in der Villa 31

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(Über) Lebensraum

Exkurs Vertikaler Schwindel – ein Versuch staatlicher Kontrolle innerhalb der Villa 31 „Als ich 1997 in die Villa 31 kam, gab es nur 2 oder vielleicht 3 Häuser, die zweistöckig waren“ (Interview: Irahola: 2009). Heute gibt es in der Villa 31 bereits 72 Häuser mit fünf Stockwerken (Clarin 2009). Die Siedlungsdynamik der Villa 31 entzieht sich weitgehend der staatlichen Kontrolle. Der im November 2008 durch eine formelle Festsetzung verhängte Einfuhrstopp für Baumaterial in die Villa 31 und 31 bis ist ein Versuch seitens der Regierung, das stetige Wachstum der Villa unter Kontrolle zu bekommen bzw. zu erzwingen. Die drei Haupteingänge der Siedlung werden seitdem durch Polizeiposten bewacht, die kontrollieren, dass kein Baumaterial in die Villa gelangt. Offiziell wird die Verordnung als Priorität der „Sicherheit“ deklariert, da von den mehrgeschossigen, „nicht professionell“ errichteten Gebäuden eine erhöhte Einsturzgefahr ausgeht. Der Bürgermeister von Buenos Aires, Mauricio Macri, sagt in diesem Zusammenhang in der Tagespresse: „In irgendeinem Moment bläst ein Wind und es kommt zum Unglück in der Villa 31. Ein Unglück in Bezug auf das Risiko, in dem sich die mehrgeschossigen prekären Wohnhäuser befinden“ (La Nacion 2009). Dabei hat eine Studie, die im Sommer 2009 von Architekturstudenten der UBA durchgeführt wurde und in deren Rahmen die bauliche Beschaffenheit der Häuser in einem Teilbereich des Stadtteils Communicaciones untersucht wurde, ergeben, dass die untersuchten Gebäude solide gebaut sind und von ihnen keine Einsturzgefahr ausgeht. Auch der Architekt Javier Fernandez Castro sagt diesbezüglich, dass sich in der Villa 31 Probleme in Bezug auf die Bautypologien viel eher aufgrund der sehr dichten und gleichzeitig tiefen Bauweise im Bereich der Belichtung und Belüftung ergäben. Außerdem lebten in den oft sehr kleinen Häusern verhältnismäßig viele Menschen auf engstem Raum zusammen. Darüber hinaus seien die Häuser der Villa solide und grundsätzlich einsturzsicher gebaut. (Interview Castro: 2009) Die Anthropologin Christina Cravino ist bezüglich des Baustopps der Meinung, dass inoffiziell das Wachstum der Villa 31 aus Angst vor Macht und Kontrollverlust gestoppt werden sollte, wobei sich die Regierung einer aus der letzten Militärdiktatur noch bekannten Methode des „Einfrierens“ bediene. (Interview Cravino: 2009) Während der Militärdiktatur (1976 – 1983) implizierte die Bezeich-

nung „Einfrieren“ ein Verbot, in den Villas Miserias neue Häuser zu bauen oder die Häuser der bereits Umgesiedelten neu zu bewohnen (vgl. Blaustein 2006: 31). Die drastischen Folgen, die der Einfuhrstopp von Baumaterial für die Bewohner der Villa 31 heute hat, werden dabei nicht oder nur unzureichend von der Stadtverwaltung bedacht. Denn obwohl sich die Häuser der Villa 31 in einem angeblich so desolaten Zustand befinden, dass von ihnen eine Einsturzgefahr ausgeht, dürfen legal keine baulichen Aufwertungsmaßnahmen mehr vorgenommen werden. Doch auch von Seiten der Regierung wird nicht in die Sicherheit der Häuser investiert. Das ist paradox, da so durch den Baustopp der „gefährliche Status Quo“ beibehalten wird. Der Zustand der Villa wird im wahrsten Sinne des Wortes eiskalt eingefroren, denn besonders drastisch sind die Einschränkungen des Baustopps für die Winterzeit, vor der die Häuser grundsätzlich an allen Ecken und Enden ausgebessert werden müssen.


(Ăœber) Lebensraum

Materialtransport in der Villa 31

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Die Manager der Marginalität – soziale und politische Selbstorganisation Die Villa 31 ist keine große „glückliche Familie“, doch in der Regel gilt, um nicht ganz auf sich alleine gestellt zu sein, ist jeder in der Siedlung auf den anderen und besonders auf seine direkte Nachbarschaft angewiesen. Die Selbstorganisation, Eigeninitiative, soziale sowie politische Netzwerke nehmen in der Villa 31 einen größeren Stellenwert als in der „formellen Stadt“ ein. Nach Altvater bilden die Menschen das eigentliche Reservoir des informellen Sektors. Hier wird nur ein geringes Steueraufkommen für die städtische Verwaltung generiert und damit einer chronischen Vernachlässigung der Infrastruktur Vorschub geleistet (vgl. Altvater 2005: 53). Die von den Bewohnern eigens erschaffenen sozialen und politischen Strukturen kompensieren die in der „formellen Stadt“ vorhandene und in den Villas Miserias fehlende oder unzureichende technische und soziale Infrastruktur. Die Villa 31 hat sich über die Jahrzehnte in sozialer und politischer Hinsicht selbst bzw. durch ihre Bewohner konsolidiert. Die Siedlung gilt in sozialer und auch politischer Hinsicht als die am besten organisierte Villa Miseria in Buenos Aires (Interview Cravino: 2009). Denn die Tatsache, dass die Villa 31 in keinem Programa de Redicación (staatliches Konsolidierungsprogramm) integriert ist, erhöht nicht nur die Angst der Bewohner vor einer möglichen Vertreibung, sondern begrenzt auch den Zugang zur öffentlichen Grundversorgung. Die eingeschränkten infrastrukturellen Leistungen von Seiten der Regierung wirken sich somit im Fall der Villa 31 direkt auf das soziale Engagement ihrer Bewohner aus, welches wiederum Einfluss auf das Gemeinschaftsgefühl innerhalb der Siedlung nimmt. Besonders in den älteren Teilen der Villa 31 kennen, respektieren und helfen sich die Menschen untereinander. Die Anthropologin Maria Christina Cravino schreibt in diesem Zusammenhang, dass das Leben in der Villa 31 durch ein geschlossenes System an Codes und Taktiken geprägt sei, die das soziale Zusammenleben und das Überleben der Bewohner bestimmten (vgl. Cravino 2008: 56). Außerdem könne die Villa 31 nicht als „favelisiert“ - im Sinn einer territorialen Kontrolle durch Drogendealer - bezeichnet werden (vgl. Cravino 2008: 49).Auch im Bereich der Sicherheit ersetzt die soziale Gemeinschaft und Kontrolle durch die Nachbarschaft die fehlende staatliche Kontrolle innerhalb der Siedlung.

Soziale Strukturen Dass sich die Villa 31 in keinem Programa de Redicación (staatlichen Konsolidierungsprogramm) befindet, bedeutet jedoch nicht, dass grundsätzlich keine staatlichen Leistungen im Bereich der sozialen und technischen Infrastruktur innerhalb der Siedlung existieren (vgl. Cravino 2006: 58). Jedoch hat das nicht vorhandene Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Strukturen - es gibt für ihre Villa keine Garantie oder Rechtsgrundlage - die Selbstorganisation in der Villa 31 gestärkt. Die Funktionsweise der Comedores Comunitarios (Volksküchen und Gemeinschaftszentren) ist ein gutes Beispiel für das Zusammenwirken von staatlicher Hilfe und Eigenengagement. Das gemeinschaftliche Esszimmer Die Inhaberin des Comedor Arca de Noé und Bewohnerin der Villa 31 Alejandra Garcia berichtet, dass die Comedores Comunitarios ihren Ursprung in den Ollas Populares (gemeinschaftliche Suppenküchen) hatten. Bereits zu Beginn der 1970er Jahre schlossen sich innerhalb der Siedlung immer wieder Gruppen von Frauen zusammen, die in großen Töpfen auf der Straße kochten, um dann das Essen an die bedürftigen Menschen zu verteilen (Interview Garcia: 2009). Mit dem Ende der Militärdiktatur 1983 wurden die Ollas Populares dann durch staatliche Hilfe professionalisiert, indem die Volksküchen an festen Standorten in Häusern untergebracht wurden. Mitte der 1990er Jahre gab es in der Villa 31 bereits sieben Comedores, die durch die Stadtverwaltung subventioniert wurden (Cravino 2009: 27). Neben der Eigeninitiative der Bewohner und der staatlichen Unterstützung waren auch die Kirche sowie andere nicht staatliche Organisationen wie z.B. die Madres entre Villa am Aufbau und der Unterhaltung der Comedores Comunitarios maßgeblich beteiligt. Einst einzig und allein für die Essensausgabe zuständig, entwickelten sich die Comedores (Volksküchen) durch die Eigeninitiative der Bewohner zum Comedor Comunitario (Gemeinschaftszentrum), das dann gemeinschaftliche Aufgaben übernahm. Alicia Garcia erklärt in diesem Zusammenhang: „Im Comedor Arca de Noé arbeiten wir zu acht, alle ehrenamtlich im Bereich der Essenszubereitung. Die Nahrungsmittel für das Essen, das wir kochen ,bekommen wir einmal die Woche von der Stadt geliefert. Jeden Morgen treffen wir uns hier im Comedor und bereiten das gesamte Essen für ca. 100 bis 150 Menschen vor, so dass dies dann zwischen 12 und 14 Uhr ausgeteilt werden kann. In dem Raum über uns (im ersten Stock-


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werk) finden währenddessen Näh- und Siebdruckkurse statt, einmal die Woche gibt es eine Yogastunde und am Wochenende Hausaufgabenhilfe. Nur in seltenen Fällen wird mein Comedor für die Asambleas Barriasles (Stadtteilversammlungen) genutzt, aber in der Regel finden die politischen Aktivitäten im Comedor neben an statt.“ (Interview Garcia: 2009). In der Villa 31 gibt es heute über den gesamten Siedlungsraum verteilt 21 Comedores, die täglich von fast 50 %, der in der Villa lebenden Bevölkerung besucht werden. Sie funktionieren als Volksküchen, Kultur- und Bildungszentren sowie als politische Versammlungsorte. Die Comedores Comunitarios sind durch die vielfältige Funktions- und Nutzungsweise sowie ihre Bedeutung bezüglich der Nahrungsversorgung zum festen und alltäglichen Bestandteil der Villa 31 und ihrer Bewohner geworden. Neben den Comedores gibt es in der Villa 31 noch diverse andere soziale Einrichtungen wie Schulen, Kirchen, Krankenstationen etc.. In der Villa 31 mangelt es demnach nicht an sozialen Strukturen, sondern am Geld für die materielle Ausstattung und Unterhaltung dieser. Doch nicht nur in sozialer, sondern auch in politischer Hinsicht ist die Villa 31 weitreichend organisiert.

Aushang zur Hausaufgabenhilfe

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Die politischen Strukturen Die Villa 31 ist eine informelle Siedlung, deren Flächen durch kollektive Landbesetzungen durch ihre Bewohner angeeignet und über die Jahrzehnte fortan verteidigt wurden. Die Siedlung ist somit nicht nur eine Form des Überlebens, sondern auch des Widerstandes und der Selbstermächtigung ihrer Bewohner gegen die herrschende Sozial- und Wohnungspolitik im Land. Aber nicht nur die Vergangenheit der Villa 31 ist durch den jahrzehntelangen erfolgreichen Widerstand gegen den Abriss der Siedlung und die Zwangsumsiedlung ihrer Bewohner geprägt (siehe: Die unendliche Geschichte). Auch gegenwärtig bestimmt die politische Organisation den Alltag vieler Bewohner, denn der rechtliche Status der Villa 31 ist bis heute ungeklärt, so dass ihre Bewohner unter der ständigen Angst einer möglichen Umsiedlung leben, gegen die sie sich auflehnen. Die Bevölkerung der Villa 31 stellt sich jedoch nicht nur gegen die Umsiedlung in den staatlich geförderten Wohnungsbau oder in eine andere Villa Miseria am Stadtrand, sondern fordert die Verbesserung ihrer Lebensumstände innerhalb der Villa 31, was wiederum einer Legitimierung ihrer Siedlung gleich kommt (vgl. Cravino 2009: 14). Die Bewohner der Villa 31 sind organisiert, sie wissen sich zu artikulieren und fordern eloquent ihre Rechte ein. Die Bewohner der Villa 31 sind jedoch nicht ausschließlich selbstbestimmte Stadtakteure, sondern sie verfügen darüber hinaus über ihre eigene politische Organisationsstruktur. Diese wird von Seiten der Behörden und Stadtverwaltung offiziell anerkannt. Grundsätzlich sind für die Belange aus der Villa 31 das Ministerio de Desarollos social und das Ministerio Espacio Publicos zuständig. Durch eine Junta de Delegados (Abgeordnetenversammlung) werden die Interessen und Belange der Bevölkerung aus der Villa 31 in die politischen Gremien getragen und dort vertreten. Die Delegados (Abgeordneten) stammen aus der Villa 31 und leben dort. Ursprünglich gab es für jeden Block innerhalb der Villa 31 einen Abgeordneten, der von den Anwohnern aus dem Block direkt gewählt wurde. Seit 2006 gibt es nicht mehr einen Abgeordneten aus jedem der 34 Blöcke, sondern einen pro 120 Familien. Diese Veränderung hat die Anzahl insgesamt auf 58 Abgeordnete erhöht. Doch die Aufgaben der Delegados sind nicht ausschließlich politischer Natur. Sie übernehmen vielfältige Funktionen und Verantwortungen innerhalb der Siedlung, die auch die alltäglichen Probleme der Bewohner betreffen (vgl. Cravino 2006: 32ff).

Darüber hinaus gibt es inoffizielle Schlüsselfiguren Menschen, die neben den Delegados großes Ansehen in der Siedlung genießen oder zu denen eine gewisse Vertrauensbasis besteht. An diese wird sich in Notfällen aber auch bei Problemen im alltäglichen Leben gewandt. Gerade in Hinblick auf die Kommunikationsstruktur innerhalb der Siedlung nehmen sie eine entscheidende Rolle ein (Interview Irahola: 2009). Ein weiteres Instrument des „informellen Selbstregierens“ ist u.a. die Mesa de Urbanización (Runder Tisch der Urbanisierung). Sie funktioniert im Rahmen der Asamblea Barrial (Stadtteilversammlung) der Villa 31, die einmal monatlich tagt. Innerhalb dieses Gremiums setzen sich die Bewohner explizit mit den Fragen der Urbanisierung der Siedlung auseinander. Zum Großteil funktioniert die Mesa de Urbanización siedlungsintern durch die Organisation von Demonstrationen, die Präsenz im Internet. Von Architekten und Anwälten, die zu den Sitzungen eingeladen werden, wird jedoch der Versuch unternommen, das zu ändern und an die Öffentlichkeit zu treten. Die Villa 31 ist also durch das Engagement ihrer Bewohner in sozialer und politischer Hinsicht organisiert. Dabei hat die Tatsache, dass die Villa 31 in kein programa de urbanisacion (staatliches Urbanisierungsprogramm) integriert ist und die Bewohner der Siedlung sich deswegen nicht auf die staatliche Hilfe verlassen können, in zweierlei Hinsicht eine große Bedeutung für die soziale und politische Selbstorganisation der Siedlung. Auf der einen Seite haben die Bewohner der Villa 31 wegen der fehlenden oder nur mangelhaft vorhandenen staatlichen Leistungen im Bereich der sozialen Infrastruktur über die Jahre ihr eigenes soziales Netzwerk aufgebaut. Auf der anderen Seite hat die ständige Angst der Bewohner vor einer möglichen Vertreibung einen erfolgreichen Widerstand und politische Organisation hervorgebracht und gestärkt. Die politischen und sozialen Strukturen sowie Netzwerke sind, da diese selbst von den Bewohnern der Villa 31 initiiert und erschaffen wurden, problemorientiert und können sich flexibler als fixe staatliche Strukturen an sich verändernde Bedingungen anpassen.


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Wandgemälde von Carlos Mugica, der in der Villa 31 zum Symbol des friedlichen Widerstands gewordenen ist

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Die informelle Ökonomie der Villa 31 Die Villa 31 generiert ihre eigene informelle Ökonomie, die das Überleben bzw. einen Zusatzverdienst sichert. Sie ist eng mit der Stadt verwoben. Die räumliche Nähe zum Zentrum von Buenos Aires stärkt jedoch auch eine direkte Verflechtung mit dem formellen Arbeitsmarkt. Mit blecherner Stimme hallt es durch die Villa: „Hay papas, papas, cebollas, zanaorias“ (Es gibt Kartoffeln, Kartoffeln, Zwiebeln, Karotten). Auf der Ladefläche des durch die Villa fahrenden Pickups steht ein Junge, der durch ein Megafon die neben ihm liegende Ware anpreist. Wer etwas braucht, kommt aus seinem Haus, hält den Wagen an und kauft. Am Rand des Fußballfeldes sitzt ein älterer Mann, vor ihm eine gusseiserne Nähmaschine und ein Dutzend noch zu reparierender Schuhe. Ein paar Meter weiter eine zum Grill umfunktionierte Metalltonne, auf der bei Fußballspielen Chorizos (argentinische Würstchen) gebraten und verkauft werden. Ein einfaches Pappschild vor einer Haustür mit der Aufschrift Milanesa (Schnitzel) weist auf das Angebot, das sich hinter der Hauswand verbirgt, hin. Direkt nebenan ein weiteres Schild: hay pan casero (es gibt selbstgebackenes Brot) und ein paar Häuser entfernt noch eins: se alquila Flete (Sackkarre zu vermieten). Und jeden Sonntag tummeln sich die Menschenmassen über die der Villa eigenen Feria (Markt), auf der alles nur Erdenkliche zum Kauf angeboten wird. Die informelle Ökonomie der Villa 31 ist in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen. Oft geht es dabei nicht nur um einen zusätzlichen Verdienst, sondern um die Sicherung des Haupteinkommens. Neben den eher temporären Vertriebsformen, die ein flexibles Wirtschaften ohne fixe Ausgaben für die Ladenmiete und die Unabhängigkeit von festen Öffnungszeiten ermöglichen, gibt es in der Villa fest verankerte lokale Dienstleistungs- und Versorgungsstrukturen. Eins der am meisten verbreiteten Geschäftsmodelle ist, neben kleinen Lokalen und Kneipen, eine Art alles umfassende Kioske. Diese variieren in ihrer Größe und sind teilweise kleine Supermärkte. Diese Art von Läden sind in der gesamten Siedlung vorhanden und sichern die tägliche Versorgung der Bewohner. Eine generelle Konzentration von komerziellen Angeboten im Süden der Siedlung ist auszumachen. Dem Erdgeschoss und dem angrenzenden Straßenraum kommt in diesem Zusammenhang eine beson-

dere Bedeutung zu. Als Geschäfts- oder Lagerfläche umgenutzt, werden diese Bereiche zum Multifunktionsraum transformiert. Denn viele der in der Villa lebenden Menschen verfügen nicht über die finanziellen Mittel, um sich extra einen Laden anzumieten und ihr kleines Geschäft zu führen. Der Hauptanteil der Ökonomie ist dem tertiären Sektor zugehörig, darüber hinaus existiert in der Villa nach wie vor eine Bandbreite an produzierendem Kleingewerbe. Die in der Villa ansässigen Werkstätten, in denen traditionell sowohl handwerkliche als auch technische Arbeiten verrichtet werden, produzieren nicht nur für die Villa, sondern orientieren sich auch an der Nachfrage außerhalb der Siedlung. Ein Beispiel hierfür ist eine Gruppe von Frauen, die sich zu einer Kooperative zusammengefunden hat und über das Netzwerk Interrupción Comercio Justo ihre Strickware auf den Ferias (Märkten) in der ganzen Stadt anbietet. Sie benutzen den Status und die Solidarität mit der Villa und werben mit dem Spruch Hecho en la Villa 31 (in der Villa 31 produziert). Anders ist dies bei Firmen, die im technischen Bereich tätig sind. Aus Angst vor einer möglichen Diskriminierung oder Nichtvergabe eines Auftrages ziehen diese es oft vor, ihrem Auftraggeber ihre Adresse in der Villa nicht anzugeben (Interview Godoy: 2009). Zu einem der wichtigsten informellen Wirtschaftszweige haben sich die Cartoneros (Papiersammler) etabliert. Der heute weit verbreitete Berufszweig der Cartoneros ist eine unmittelbarere Reaktion auf die Verarmung aufgrund der Wirtschaftskrise von 2001. In der Villa 31 leben zahlreiche Cartoneros, die sich gleich in mehreren Kooperativen zusammengeschlossen haben, um so die oftmals korrupten Zwischenhändler zu umgehen. In der Villa befinden sich zwei Zwischenlager, in denen das eingesammelte Material gelagert wird. Die unmittelbare Nähe zum Bahnhof Retiro, an dem der Tren Blanco (weißer Zug) abfährt, der extra für den Transport der Cartoneros und ihre Wagen eingerichtet wurde, macht die Zwischenlage der Villa 31 besonders effektiv (siehe: Wie weit reicht die Stadt). Auch der informelle Wohnungsmarkt (siehe: informeller Wohnungsmarkt) ist für die Ökonomie der Villa 31 nicht zu unterschätzen. Sich durch die Vermietung einzelner Zimmer oder ganzer Häuser ein Zusatz- oder Haupteinkommen zu sichern, gewinnt in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung und stellt einen wesentlichen Wirtschaftsfaktor dar (Carvino 2006: 94). Die Villa 31 versucht aus einer lokalen Geschäfts- und Gewerbestruktur heraus ihre eigene ökonomische Basis


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Ein Laden in der Villa 31, in dem es Schnitzel und Kohle zu kaufen gibt

zu generieren. Denn gerade im Bereich höher qualifizierter Arbeiten kann von einer Ausgrenzung der Villeros vom formellen Arbeitsmarkt gesprochen werden (vgl. Cravino 2008: 57). Gründe hierfür sind ein eher niedriges Bildungsniveau und die Diskriminierung der Villeros auf dem formellen Arbeitsmarkt (siehe: Grenzenlos begrenzt S. 112). Offiziellen Schätzungen zufolge liegt die Arbeitslosenquote der in der Villa lebenden Bevölkerung bei ca. 60% (Interview Mosquera: 2009). Die informellen ökonomischen Tätigkeiten befinden sich jedoch außerhalb des regulierten Systems und und werden in diesem Zusammenhang nicht erfasst. Außerdem ist anzunehmen, dass auch ein Teil der Bevölkerung, der sich in einem offiziellen Beschäftigungsverhältnis befindet, weiteren informellen ökonomischen Tätigkeiten nachgeht, um sich so ein Zusatzeinkommen zu sichern. Die informelle Ökonomie ermöglicht einem Großteil der Villeros, denen der Eintritt zum formellen Arbeitsmarkt verwehrt bleibt, den Zugang zu einem eigenen Einkommen. Bestimmte Arbeiten, die sich unter anderen Umständen wegen zu hoher Abgaben und zu niedrigem Verdienst nicht lohnen würden, werden erst durch die Möglichkeiten, die der informelle Arbeitsmarkt bietet, lukrativ. Allerdings ist ein Großteil der Bevölkerung, der

informellen Tätigkeiten nachgeht, automatisch aus dem Sozialversicherungssystem ausgeschlossen. Die informelle Ökonomie der Villa 31 ist zu einem untrennbaren Bestandteil des städtischen Ökonomiesystems geworden und steht nicht nur durch die unterschiedlichen Warenketten in direktem Zusammenhang mit der formellen Stadt. Die Bewohner der Villa produzieren die formelle Stadt, indem sie Arbeiten nachgehen, die sonst niemand übernehmen möchte, und unterstützen dardurch direkt die städtische Ökonomie (Cravino 2008:202). Denn neben den diversen ökonomischen Tätigkeiten innerhalb der Villa arbeitet ein Grossteil der Villeros im Zentrum von Buenos Aires. Meist handelt es sich um niedrig qualifizierte Arbeiten, die sie dort verrichten: als Handwerker auf dem Bau, als Reinigungspersonal in den Büros und Hotelketten, als Dienstmädchen in den Haushalten der Mittel- und Oberschicht, als Servicekräfte in der Gastronomie oder als Händler, die im Bahnhofsviertel Retiro ihre Ware anbieten (siehe: Wie weit reicht die Stadt). Eduardo Blaustein schreibt in diesem Zusammenhang „Die Villa ist auch Teil des städtischen Lebens, Teil der städtischen Arbeitskraft. Auch dann, wenn die Stadt sich gerne weiß, hübsch, fein, modern und effizient sehen würde, und auch dann, wenn sie beabsichtigt, sich dem „Problem der Villa“ zu entmächtigen“ (Blaustein 2006: 14).

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Exkurs Die formelle Anerkennung - wenn der Besetzer zum Besitzer wird Wie funktionieren die formelle Anerkennung und die staatlichen Konsolidierungsprozesse der Villas Miserias in Buenos Aires? Die formelle Anerkennung der Villas Miserias impliziert in der Regel die Reproduktion des Formellen als Universalnorm. Diese Übertragung geschieht meist ohne genauere Analyse und Berücksichtigung der bereits existierenden Strukturen.

nicht in die sonst orthogonal aufgebaute Stadt integriert werden. Die Villas haben keine Straßen, keine Bürgersteige, das sind mit die größten Probleme. Die kleinen Gassen machen die Siedlung unsicher und unzugänglich für die Müllabfuhr oder den Krankenwagen. Eine Anbindung der Villas an die „formelle Stadt“ bedeutet die Anbindung an das offizielle Verkehrsnetz. Die neuen Straßen werden nach dem in Buenos Aires vorherrschenden Blockraster durch die informell, fast organisch gewachsenen Siedlungen geschnitten. Die städtebauliche Struktur der Villas findet dabei keine Berücksichtigung oder gar Anerkennung.

Urbanisierung als Begriff Der in Buenos Aires offiziell für die Konsoliderung der Villas Miserias verwendete Begriff der Urbanización (Urbanisierung) ist nicht eindeutig und verwirrend. Leicht wird der Eindruck erweckt, dass es sich bei einer Urbanisierung um eine neue städtebauliche Entwicklung handelt und nicht um die Formalisierung oder das Upgrading einer Villa Miseria. Urbanisieren, etwas urban machen, bedeutet die Ausbreitung städtischer Lebensformen und impliziert indirekt, dass diese am entsprechenden Ort nicht schon vorher gegenwärtig waren. Bei den Villas Miserias handelt es sich jedoch um bereits im Vorfeld urbane Räume. Der Prozess der Urbanisierung – was wird bereits getan Die folgende textliche Darstellung resultiert aus einem Interview mit Sergio Savarino - Cordinador general de gustion Tecnica (Technischer Leiter der UGIS) - sowie der gemeinsamen Begehung der Villa 19 und der Villa 20, die sich derzeit im Urbanisierungsprozess befinden. Die UGIS ist für die Urbanisierung und die sofortige Behebung von Notständen der Villa Miserias in Buenos Aires zuständig. Die Urbanisierung die Konsolidierung der Villas Miserivollzieht sich hauptsächlich durch infrastrukturelle Maßnahmen im technischen Bereich, die Anbindung an die formelle Infrastruktur durch die Verbesserung des Stromnetzes, den Ausbau der Kanalisation und eine flächendeckende Wasserversorgung.

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Sergio Savarino: Vordergründig muss das Innere dem Äußeren angeglichen werden, mit dem Inneren meine ich die Villa, das Äußere ist der Rest der Stadt. Hauptsächlich geschieht das durch die Anbindung der Villas an die formelle Infrastruktur. Natürlich müssen auch die generellen Lebensumstände angeglichen werden. Doch die in den Villas vorhandene städtebauliche Struktur kann

Sergio Savarino: Die Häuser, die für den Straßenbau und die Erschließung der Siedlung abgerissen werden müssen, werden in Form von standardisierten Konstruktionen, genannt Monobloque (Monoblock), an die ursprüngliche Siedlung gebaut. Wenn die direkte Siedlungsfläche der Villa nicht ausreichend ist, werden die Menschen in andere staatliche Sozialwohnungen umgesiedelt, die sich im besten Fall in der Nähe der ursprünglichen Siedlung befinden, das kann jedoch nicht immer garantiert werden. Allerdings fehlt es an baulichen Lösungen und neuen Typologien, die direkten Bezug auf die Strukturen der Villas nehmen und sich an den Bedürfnissen sowie der Lebensweise der Bewohner orientieren. Das gilt gleichermaßen für den Umgang mit dem Bestand sowie beim Neubau von staatlichen Sozialwohnungen, denn grundsätzlich wird bei der Urbanisierung der Villas Miserias städtebaulich modernistisch agiert. Sergio Savarino: Von außen werden die Häuser in der Regel neu verputzt, ansonsten wird die bauliche Substanz der Häuser nur im Notfall verbessert. Die baulichen Eingriffe, die in den Villas durchgeführt werden, sind eher eine Art Ästhetisierung der Armut alles nur Fassade, um zu zeigen: hier hat der Staat etwas getan. Hinter der Fassade bleibt oft alles beim alten, die baulichen Missstände, die schlechte Belüftung und Belichtung wird meist nicht verbessert. Notwendige Eingriffe in den Bereich der sozialen Infrastruktur sind zwar vorgesehen, finden jedoch nur sehr bedingt statt. Sergio Savarino: Es muss differenziert werden: man muss neben der baulichen Integration auch von einer sozialen Integration sprechen. Die soziale Integration ist bestimmt durch die Integration der Menschen in den Ar-


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beitsmarkt sowie ins Bildungs- und Gesundheitssystem. Die Lösung der Villas ist die Integration und diese besteht nicht aus einem Problem, sondern aus vielen Problemen, die behoben werden müssen. Doch eigentlich bedarf die Lösung des Problems nur einer politischen Entscheidung, um es zu beheben oder zumindest damit anzufangen zu können. Über 40 Jahre war das Einzige, was die Villas Miserias gemacht haben, zu wachsen, es sind keine Straßen, Spielplätze gebaut worden, die Infrastruktur etc. nicht verbessert worden. Wir investieren in städtische Infrastruktur, das Geld, das uns zur Verfügung steht, reicht jedoch nicht, um all die Probleme beheben zu können. Für den Großteil der formellen Stadtbevölkerung bleibt die Villa auch nach der Urbanisierung eine Villa Miseria. Die Urbanisierung ist unzureichend sozial ausgerichtet und es findet keine oder nur geringe Beteiligung der Bewohner statt (vgl. Centro de Derecho a la Vivienda y contra los Desalojos 2004: 87). Es gibt so gut wie keine Ansätze, dem in der Gesellschaft fest verankerten negativen Bild der Villas Miserias sowie deren Exklusion entgegenzutreten. Neben den technischen und vereinzelten sozialen Maßnahmen werden im Zuge der Urbanisierung auch die Besitzverhältnisse geregelt. Die Vergabe von Besitztiteln kann auf unterschiedliche Art und Weise geschehen. Sergio Savarino: Die Urbanisierung der Villas Miserias macht die Villeros zu Ciudadanos (offizielle Stadtbewohner), die dann das Recht haben, offiziell Kredite aufzunehmen und das Grundstück, auf dem ihr Haus steht, zu kaufen. In der Villa 20 haben sich die Bewohner z.B. zu einer Kooperative/Genossenschaft (cooperativa 25 de Marzo) zusammengeschlossen. Gemeinsam haben sie bessere Verhandlungsmöglichkeiten mit der Stadt und können die Grundstücke der Villa zusammen kaufen. Die formelle Regulierung durch die Vergabe von Krediten und Überschreibung von Besitztiteln stellt einen essentiellen Schritt für die Existenzsicherung der Siedlungen und der in ihr lebenden Bevölkerung dar. Der Besitz, der sich nicht mehr nur auf die bloße Hülle bzw. das Material, aus dem das Haus gebaut ist, beschränkt, sondern den Grund und Boden, auf dem es steht, mit einschließt, ermöglicht langfristige Investitionen. Außerdem haben die Bewohner nach der Formalisierung das Recht offiziell Kredite aufzunehmen, was ihnen zuvor verwehrt war. Mit den zusätzlichen Rechten gehen aber auch Pflichten einher, nach der Urbanisierung wird die vorher vom Staat geleistete Wasser- und Stromversorgung auf den Eigen-

tümer übertragen. Das klingt logisch, kann aber zur Folge haben, dass die „Nebenkosten“ von dem Eigentümer nicht bezahlt werden können und dass dieser bei einer finanziellen Notlage sein Haus weiterverkaufen muss, um in eine andere, noch nicht urbanisierte Villa zurückzuziehen. Eine ähnliche Gefahr besteht allerdings auch bei der Umsiedlung der Bewohner in staatlich geförderten Wohnungsbau. Die Urbanisierung der Villas Miserias sichert demnach nicht, dass die Bewohner an Ort und Stelle wohnen bleiben können. Darüber hinaus besteht ein Spekulationsrisiko durch große Bau- und Entwicklungsgesellschaften, denn wenn der Besetzer zum Besitzer wird, wird er rechtlich dazu in die Lage versetzt, etwas zu verkaufen (vgl. Thimmel 2004: 186). Die privatwirtschaftliche und staatliche Kontrolle der Entwicklung der Villas wird durch die Formalisierung verstärkt. Die Gründung von Kooperativen kann dem Kontrollverlust entgegenwirken, indem die Gemeinschaft und nicht der einzelne als Verhandlungspartner auftritt. Geschieht dies nicht, bleibt die Zukunft der Villa und ihrer Bewohner weiter ungewiss. Gerade im Fall der Villa 31, deren Flächen schon seit Mitte der 1990er Jahre einer massiven Spekulation durch die Immobilienwirtschaft unterliegen, ist das besonders wichtig zu berücksichtigen. Sergio Savarino: Die Villa 31 ist ein Sonderfall. Die Urbanisierung ist nicht so leicht, da an den Flächen unterschiedliche Interessen bestehen. Die Bewohner der Villa 31 und 31 bis fordern seit Jahren die Urbanisierung ihrer Siedlung, sie wollen nicht in die Monobloques (den standardisierten Sozialwohnungsbau) an den Stadtrand ziehen. Ich glaube, dass die Bewohner der Villa 31 weiter für den Erhalt ihrer Siedlung kämpfen werden; sie wollen ihr Land und Haus behalten. In fünfzehn Jahren wird die Villa 31 jedoch noch nicht fertig formalisiert sein, wenn es überhaupt zu einer Urbanisierung der Villa 31 kommt, wird sich diese dann noch mitten im Urbanisierungsprozess befinden.

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Die formelle Anerkennung entspricht nicht der realen Anerkennung Der formellen Urbanisierung der Villas Miserias liegt die Übertragung von Normen und Wertvorstellung aus der „formellen Stadt“ auf die „informelle Stadt“ zugrunde - eine Reproduktion des Formellen als Universalnorm. Meist geschieht dies ohne die Berücksichtigung und genaue Analyse der bestehenden Struktur (siehe: Wenn der Besetzer zum Besitzer wird S. 84). Außerdem wird im Zusammenhang mit der Urbanisierung der Villas Miserias fast ausschließlich von Problemen gesprochen, urbane Optionen des Vorhandenen werden nicht berücksichtigt und immanente Potenziale der informell entstandenen Strukturen nicht aufgedeckt (siehe: Zwischenfazit S. 94). Der Nicht-Anerkennung der bereits gebauten Realität der Villas Miserias und der ihnen eigenen Logik wird somit Nachdruck verliehen. Die formelle Anerkennung kann ein erster Schritt in Richtung einer realen Anerkennung sein, die sich neben der essentiellen Existenzsicherung auch positiv auf die Verbesserung des Ansehens, des Images der Villas Miserias auswirken kann. Eine Konsolidierung in Form einer formellen Anerkennung und Urbanisierung, die sich ausschließlich auf konventionelle Methoden der Formalisierung stützt, wird den informellen Strukturen der Villa 31 nicht gerecht. Denn dabei handelt es sich lediglich um eine Angleichung an fixe formelle Parameter und keine Wertschätzung der vorhandenen Strukturen. Die bereits existierenden institutionalisierten Konsolidierungsprogramme sind einfach zu starr, um eine effekti-

ve Alternative zu sein. Die reale Anerkennung beinhaltet hingegen die umfassende Erkennung der vorhandenen Strukturen. Sie geht über die rein bauliche und rechtliche Absicherung hinaus, indem sie gegen die Exklusion und Segregation der Villas Miserias wirkt. Denn durch gezielte Interventionen werden die in der Gesellschaft fest verankerten Vorurteile bezüglich der Villas Miserias hinterfragt. Eine Einbeziehung der realen Anerkennung in die Formalisierungsprozesse bzw. eine wechselseitige Beziehung aus formeller und realer Anerkennung könnten einen dynamischen Konsolidierungsprozess und so eine sukzzesive Entwicklung der Villa ermöglichen. Wobei der Prozess mit einer detallierten Auswertung der Analyse beginnen müsste und außerdem auch die in der Gesellschaft fest verankerten Vorurteile gegenüber der Villa 31 und ihren Bewohnern Berücksichtigung finden müssten. Die formelle und reale Anerkennung sind Prozesse, die im Idealfall parallel zueinander verlaufen, sich jedoch nicht unmittelbar bedingen müssen. Der Prozess der realen Anerkennung muss demnach nicht im Stillstand verharren und auf den Auftakt der behäbigen Regierung und staatlichen Institutionen warten. Im Fall der Villa 31, die in kein Urbanisierungsprogramm integriert ist, kann auch die reale Annerkennung zum Motor der Entwicklung werden und dabei helfen, neue Antworten für die rechtliche Formalisierung zu finden. So kann der Auftakt der realen Anerkennung die formelle nach sich ziehen.

Markierung eines bereits registrierten Hauses während der letzten Einwohnerzählung im März 2009


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Wer würde die Villa vermissen? In welchem Verhältnis stehen die Stadt und ihre Akteure zur Villa 31? Wer würde die Villa vermissen? ist ein Beitrag zu einer Positionierung der Villa 31 im urbanen und gesellschaftlichen Kontext. Über die räumlichen Zusammenhänge hinaus wird das Verhältnis der Stadt Buenos Aires – ihrer Akteure – zur Villa 31 beschrieben, indem die Interessenskonflikte auf individueller, wirtschaftlicher und politischer Ebene betracht werden In Buenos Aires kennt jeder die Villa 31 in Retiro, sie ist allgegenwärtig und gleichzeitig unsichtbar. Das macht die Siedlung zu einem emotional behafteten Ort im Blickfeld einer breiten Öffentlichkeit, der dennoch gleichzeitig von den Bewohnern der Stadt ausgeblendet wird. Das Spektrum an Einstellungen gegenüber der Villa 31 reicht von Mitleid, Toleranz, Akzeptanz, Solidarität auf der einen Seite und Ignoranz, Ablehnung bis hin zur Missachtung auf der anderen Seite. Dem Großteil der Bevölkerung ist jedoch die Unkenntnis über die genaue Situation gemein, denn wirklich einmal in der Villa 31 gewesen sind die wenigsten. Die Villa 31 erscheint auf keinem der Stadtpläne von Buenos Aires und ist dort nur wie eine Brachfläche grau markiert: Eine Funktionslücke im Stadtgefüge, eine Miseria ohne Villa, d.h. eine Misere ohne die Beachtung der Menschen, die in ihr leben, ein Nicht- Ort ohne weitere Bedeutung. Die 31 eine administrative Einheit, eine Nummer, die es für einen Teil der Porteños besser nicht geben sollte? Obwohl die Villa 31 auf keinem der Stadtpläne eingezeichnet ist und kein Teil der Stadt zu sein scheint, ruft die Präsenz der Villa 31 im Stadtraum diese immer wieder auf die Bildfläche der „geistigen Stadtpläne“ der Bewohner und die politische Agenda zurück. Doch in welchem Verhältnis stehen die Stadt und ihre Akteure zur Villa 31? In der Bevölkerung wird kontrovers über die Villa 31 diskutiert! Denn die räumliche Nähe der Villa 31 zum Stadtzentrum erhöht das Konfliktpotential, den Zusammenstoß zwischen zwei Gegenwelten, der ersten und der dritten Welt. Die Villa 31 ruft bei der Bevölkerung von Buenos Aires also sehr unterschiedliche Assoziationen und Meinungen hervor. Besonders kontrovers wird die Verlagerung bzw. der Abriss oder eine mögliche Formalisierung der Siedlung auf den diversen Blogs und Seiten im Internet diskutiert. Ängste, Vorurteile Misstrauen, Toleranz und Solidarität prägen diesen Diskurs. Die zwei Positionen, dargestellt durch Zitate aus dem Internet, stehen exemplarisch für einen Teil der Bevöl-

kerung, über diese hinaus existieren jedoch eine Vielzahl von individuellen Meinungen. „Die Villa 31 gibt ein hässliches Bild innerhalb der Stadt ab und erschreckt die Touristen. Das Gesetz muss für alle Menschen gelten, sie können nicht einfach fordern, dass man Ihnen das Land schenkt. Sie bauen ihre Häuser mitten in der Stadt auf einer strategisch wichtigen und öffentlichen Fläche, das dürfen wir nicht hinnehmen. Wir sind es, die in diesem Land geboren sind, wir zahlen unsere Steuern und wählen diejenigen, die sich eigentlich des Problems der Villa 31 annehmen wollten. Sollen sie doch auf dem Land Karotten anpflanzen gehen oder in einem anderen Stadtteil Sozialwohnungen für diese Menschen aus der Villa 31 bauen, aber nicht in Retiro“. (Facebook Gruppe: Reubicación de la Villa 31 Umsiedlung der Villa 31: 2009). Viele der Menschen in Buenos Aires möchten keine Villa Miseria mitten im Zentrum und das „Elend“ direkt vor der Haustür haben. Sie gehören oft zu der einflussreichen Elite der Stadt und wohnen zum Teil in direkter Nachbarschaft zur Villa 31. Durch einen oft übermäßig angeheizten Sicherheitswahn, da von den Villeros aus der Villa 31 „eine Gefahr ausgeht“ - versuchen sie Fürsprecher für ihre Positionen zu gewinnen. Um so ihre Lobby und Argumente für die Verlagerung der Villa 31 zu stärken. „Gibt es Überfälle in Recoleta (an die Villa 31 angrenzender Stadtteil)? Und kommen all die Verbrecher aus der Villa 31? Kann schon sein, ich kann das nicht negieren, aber auch noch weniger bestätigen. Aber, was sicher ist, ist, dass ein Großteil der in der Villa 31 lebenden Bevölkerung Arbeiter sind. Wahrscheinlich gehen die Bewohner aus der Villa mit deinem Hund spazieren, machen deine Einkäufe, bügeln deine Wäsche und machen dein Essen. Und nicht nur, das höchstwahrscheinlich haben die Bewohner der Villa 31 auch dein Torre de Jardin (Apartmenthaus), in dem du in Recoleta oder sonst wo in Buenos Aires wohnst, gebaut“ (Gaston Santana, Facebook: 2009) Ein anderer Teil der Bevölkerung begreift die Villa 31 als Realität ihrer Stadt und solidarisiert sich mit den Villeros. Sie engagieren sich in den sozialen Einrichtungen der Villa und gehen zusammen mit der Bevölkerung aus der Villa 31 gegen den Abriss und die Verlagerung der Siedlung zu Demonstrationen. Die Villa 31 ist ein fest verankerter Bestandteil im Bewusstsein der Menschen, der jedoch immer wieder ausgeblendet wird. Ein Grossteil der Bevölkerung verschließt die Augen und sie machen sie erst dann wieder auf, wenn

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sie direkt mit der Villa 31 konfrontiert werden; wenn sie z.B. mit einem der Busse oder Züge direkt an der Villa 31 vorbeifahren oder diese aus einem der unzähligen Torres de Jardin - wie die vertikalen gated communities genannt werden - sehen. Dem Grossteil der Bevölkerung gemein bleibt jedoch, dass ausnahmslos jeder auf eine Art und Weise eine Meinung über die Villa 31 hat und diese mehr oder weniger belegt - vertritt und diskutiert. Neben der Vielzahl an individuellen Meinungen der Bevölkerung zur Villa 31 spielen wirtschaftliche Interessen und politische Entscheidungen eine wichtige Rolle für das Verhältnis der Stadt zur Villa 31. Aus wirtschaftlicher Perspektive sind die Flächen der Villa 31 Gold wert, sagt u.a. der argentinische Architekt Jorge Norberto Lembo (Norberto Lembo : 2009). Im Vordergrund steht dabei das in den frühen 1990er Jahren mit der Entwicklung von Puerto Madero (der Konversion des ehemaligen Holzhafens zum Luxusviertel) aufgekommene immobilienwirtschaftliche Interesse an der Uferzone von Buenos Aires (vgl. Cravino 2008: 14). Die Fläche der Villa 31 ist ein potentielles Teilstück innerhalb der sich entwickelnden Uferzone von Buenos Aires. Sie eignet sich ideal als innerstädtisches Stadterweiterungsgebiet, um hier hochwertige Büros und Wohnungen anzusiedeln, und ist daher von großem wirtschaftlichen Interesse (vgl. Aguilar et al. 2005: 179ff). Außerdem ist in diesem Zusammenhang die Planung infrastruktureller Großprojekte wie z.B. des Proyecto Retiro wichtig zu erwähnen. Bei dem Proyecto Retiro handelt es sich um den (1992 – 2002) geplanten Ausbau des städtischen Hauptbahnhofes und die Verbindung zum Hafen die auf einem Teil der Flächen, auf der sich gegenwärtig die Villa 31 befindet, vorgesehen war (vgl. Aguilar et al. 2005: 180ff). Der Einfluss der Immobilienwirtschaft und ihr Interesse, die Fläche, auf der sich die Villa 31 befindet, zu entwickeln, haben die Urbanisierung bzw. Formalisierung der Siedlung bis heute tatkräftig verhindert. Die wirtschaftlichen Interessen korrespondierten lange Zeit direkt mit der Politik und waren zum Großteil auch politisch gewollt waren: So gibt es keine ernstzunehmenden politischen Bemühungen, die Villa 31 in die Urbanisierungsprozesse der Villas Miserias zu integrieren. Im Gegenteil: „die Entscheidungsträger der Stadtentwicklung haben bereits andere Vorstellungen und Ziele für die Fläche der Villa 31, in denen die Bewohner der Siedlung nicht berücksichtigt werden“ (Cravino 2009: 70). Die Politik und die Stadtentwicklung sind jahrelang tatenlos geblieben und haben sich bis heute nicht gewagt,

eine eindeutige Entscheidung für oder gegen den Erhalt der Villa 31 zu fällen oder die Entscheidungen, die bereits getroffen wurden, konsequent zu verfolgen und zu realisieren. Die ohnehin äußerst schwierige Situation der Villa 31 wird zusätzlich durch die unzureichend geklärte Kompetenz der Einflussnahme zwischen der staatlichen und der städtischen Regierung (dem Gobierno Nacional und dem Gobierno de la Ciudad) erschwert. Denn die für den Uso Publico (die öffentliche Nutzung) durch den Hafen und die Bahn bestimmten Flächen der Villa 31 unterliegen grundsätzlich der Verfügungsgewalt des Staates und nicht der Stadtregierung von Buenos Aires. Es macht jedoch den Anschein, als würden die möglichen Kompetenzrangeleien um die Verfügungsgewalt über die Flächen der Villa 31 willkürlich und je nach Belieben zwischen der Stadt und der Nationalregierung kursieren. Um die Zukunft der Villa 31 zu sichern, geht es zwar um mehr als die Befreiung der Flächen aus der öffentlichen Nutzung, für einen langfristigen Bestand der Siedlung an ihrem derzeitigen Standort wird dies allerdings ein unverzichtbarer Schritt sein. Doch innerhalb der Politik herrscht eine gewisse Unentschlossenheit und Ratlosigkeit: Niemand möchte die Verantwortung für die Entscheidung für oder gegen die Konsolidierung der Villa 31 übernehmen. Noch weniger existieren Alternativen oder Lösungen, was bei einem Abriss der Siedlung mit den über 30.000 Menschen, die in der Villa 31 leben, geschehen sollte. Denn in den Provinzen von Buenos Aires, die lange Zeit die Auffangbecken für die aus der Kernstadt von Buenos Aires umgesiedelten Bewohner der Villas Miserias waren, sind die Regierungen gegenwärtig nicht mehr bereit, weitere Teile der verarmten Stadtbevölkerung aufzunehmen. Doch mit dem Wachstum der Villa wächst auch der Handlungsdruck auf die Regierung. Der Einfluss der gutbürgerlichen Elite, die keine Villa im Zentrum der Stadt duldet (und zum Teil direkt von der Entwicklung der Flächen profitieren würde), ist groß, dem gegenüber steht jedoch die Macht der Villeros. So sagt ein Bewohner von Buenos Aires: „Die Villa 31 in Retiro zu verlagern, würde einem Bürgerkrieg gleich kommen, das traut sich keiner, nicht mal die derzeitige Regierung und der Bürgermeister Macri“ (Interview Chiodini: 2009). Von Seiten der Regierung zeichnen sich mittlerweile zumindest wieder Überlegungen ab, die in Richtung Urbanisierung und Konsolidierung der Siedlung tendieren. Wie ernst gemeint diese sind, ist jedoch fragwürdig. In einem Gespräch mit Dr. Grisela A. García Ortiz aus dem Stadtplanungsamt (Coordinadora Jurídica Subsecretaria de Planeamiento) bekräftigte diese die Urbanisie-


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rungsbereitschaft der Regierung in Bezug auf die Villa 31 (Interview García Ortiz: 2009). Die unendliche Geschichte der Villa 31 hat jedoch gelehrt, dass derartige Aussagen mit Vorsicht zu betrachten sind. Vorerst steht die Villa 31 als emotional behafteter Ort weiter im Blickfeld einer breiten Öffentlichkeit. Die dargestellten Interessenskonflikte auf individueller, wirtschaftlicher und politischer Ebene verdeutlichen die kontroversen Diskussionen um die Zukunft der Siedlung. Diese Konflikte haben die Urbanisierung der Villa 31 wie auch ihre Verlagerung ins Umland bislang verhindert. Der rechtliche Status der Villa 31 ist demnach bis heute ungeklärt. Die Siedlung gilt zwar nicht als illegal und wird von der Stadtverwaltung geduldet bzw. legitimiert, als ein legaler Teil der Stadt anerkannt wird sie jedoch nicht.

Sozialer Wohnungsbau in der Villa Pompeii

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Zwischenfazit: Ist die Villa 31 (Über) oder Lebensraum Die rechtliche Situation der Villa 31 ist bis heute ungeklärt. Die Siedlung und ihre Bewohner verharren seit Jahrzehnten unter dem Status der Duldung, was für die Menschen bedeutet, mit der ständigen Ungewissheit und Angst vor einer möglichen Vertreibung zu leben. Das Existenzrecht der Villa 31 stützt sich demnach gegenwärtig nicht auf eine formelle rechtliche Anerkennung. Doch worauf basiert das eigentliche Existenzrecht der Villa 31? Wie wertvoll ist die Villa 31 für ihre Bewohner, aber auch für die Stadt Buenos Aires? Was für Gründe sprechen also dafür, dass die Villa 31 mitten im wohlhabenden Zentrum von Buenos Aires erhalten bleiben sollte? Es gibt verschiedene Gründe, die für die Berechtigung der Villa 31 an ihrem derzeitigen Standort sprechen und nach der analytischen Annäherung an die Siedlung zusammengefasst und bewertet werden. Das Recht auf Bestand der Villa 31 beruht zunächst auf grundsätzlichen Tatsachen und rechtlichen Aspekten. Darüber hinaus werden die analysierten, spezifisch für den derzeitigen Standort der Villa 31 sprechenden Argumente dargelegt. Villa Miseria también es America (Villa Miseria ist auch Amerika) heißt der Titel des im Jahr 1957 veröffentlichten Romans von Bernado Verbitsky (argentinischer Schriftsteller). Zum ersten Mal in der argentinischen Geschichte werden in einem Roman die Villas Miserias sowie die Lebensumstände der in ihnen lebenden Bevölkerung zum Thema gemacht. Der Titel bekräftigt bereits die hinter dem Buch stehende Absicht, die Villa Miserias als einen Teil der Realität Amerikas anzuerkennen, denn die Villas Miserias sind staatliche Produkte und die informelle Regulierung der Städte gewinnt meist dort an Bedeutung, wo die formelle Grundversorgung nicht umfassend greift oder verringert wird (vgl. Roy 2005: 149). Die Realität der Villas Miserias und die der Villa 31 sind systemimmanent, denn sie sind aus der Not, aus gesellschaftlichen Umständen und Zwängen produziert. Erst die in Buenos Aires unzureichenden Arbeitsbedingungen und die fehlenden Arbeitsmöglichkeiten sowie die ungeklärte Wohnraumfrage der unteren Bevölkerungsschichten haben zur Entstehung der Villas Miserias beigetragen, diese gewissermaßen erzwungen. Grundsätzlich gelten heute alle Villas Miserias, die vor den 1980er Jahren entstanden sind, wegen ihres langen Bestehens und ihrer Entwicklung mit der Stadt gesetz-

lich als anerkannt und verfügen über den Status einer Villa Oficial (Convenio FADU-UBA, Ministerio de Derechos Humanos, Sociales – GCBA 2008: 4). Obgleich die Villa 31 eine der ältesten Villa Miserias ist und seit den 1930er Jahren an ihrem derzeitigen Standort existiert, somit grundsätzlich das Recht auf den Status einer Villa Oficial und vor allem die Behandlung und Wertschätzung als solche hat, bleibt ihr dieses verwährt. Denn die Definitionsmacht liegt beim Staat, der darüber bestimmt, welche Strukturen in einer Gesellschaft als formell oder informell angesehen werden, und somit auch über den Zeitpunkt der Aufhebung bestimmt (vgl. Roy 2005: 149). Die Villa 31 hat jedoch ein Anrecht, wie eine Villa Oficial und wie ein formeller Stadtteil behandelt zu werden (vgl. Cravino 2008: 49). Doch das Phänomen der Informalität ist erst einmal weder gut noch schlecht, sondern muss differenziert betrachtet werden. Es stellt sich demnach die Frage, produziert die Informalität im Fall der Villa 31 nur einen Überlebensraum oder gar einen Lebensraum? Es ist wohl zutreffend, dass die Wohnungsnot auch im Fall der Villa 31 die informelle Regulierung lebensnotwendig gemacht hat und viele der Menschen noch heute in unzureichenden Wohnverhältnissen leben. Die informellen Strukturen der Villa 31 produzieren jedoch auch alternative Antworten und vor allem eine gewisse Identifizierung ihrer Bewohner mit ihrem direkten Umfeld. Bei der Villa 31 handelt es sich um kein Provisorium, um keine über Nacht gebaute Spontansiedlung, sondern um eine der ältesten Villas Miserias im Stadtraum von Buenos Aires. Über die Jahrzehnte hat sich die Siedlung in baulicher, sozialer und politischer Hinsicht selbst und durch den Einsatz ihrer Bewohner konsolidiert. Die Geschichte der Villa 31 ist eine Geschichte des Widerstandes, die sich bis in die Gegenwart fortzieht. Noch heute reklamieren die Bewohner eloquent die Urbanisierung und Anerkennung ihrer Siedlung. Die Villa 31 besitzt somit einen Wert für ihre Bewohner und ist der Lebensraum und die Heimat von über 30.000 Menschen. Die Bewohner haben hier ihren eigenen Lebensraum geschaffen, der sich zwar immer wieder verändert und sich durch eine gewisse Dynamik charakterisiert. Die baulichen Strukturen haben sich aber über die Jahre in ihrer Substanz verfestigt. Außerdem führt die vorherrschende Praxis der Selbstbauweise nicht nur dazu, dass sich die Bautypologien flexibel an die Bedürfnisse der Bewohner anpassen, sondern auch zu einer Identifizierung des Einzelnen mit dem gebauten Raum, seinem selbstgebauten Umfeld.


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Diese Identifizierung und persönliche Verbindung geht jedoch noch über das selbst errichtete Haus hinaus und umfasst mit den eigens ins Leben gerufenen sozialen und politischen Strukturen fast das gesamte gesellschaftliche Spektrum innerhalb der Siedlung. Denn grundsätzlich nehmen Selbstorganisation und Eigeninitiative in der Villa 31 einen größeren Stellenwert als in der formellen Stadt ein, anders als dort sind die Bewohner der Villa 31 auf ihre Nachbarschaft und soziale Gemeinschaft angewiesen. Wegen der fehlenden oder nur mangelhaft vorhandenen staatlichen Leistungen haben die Bewohner der Villa 31 ihre eigenen sozialen und politischen Netzwerke aufgebaut. Diese selbst erschaffenen Strukturen funktionieren flexibel und problemorientiert und können weitaus mehr leisten als die oftmals zu starren formellen staatlichen Strukturen. Bei einer Umsiedlung der Bewohner der Villa 31 müsste somit nicht nur das selbst errichtete Haus aufgegeben werden, sondern es würden die über die Jahre aufgebauten nachbarschaftlichen Beziehungen, von denen das Funktionieren der Siedlung maßgeblich abhängt, auseinander brechen. Denn es gibt es keine Alternative, keinen Ort, an den 30.000 Menschen oder auch nur ein Bruchteil von ihnen gemeinsam umgesiedelt werden könnten. Die Umsiedlung der Villa 31 an den Stadtrand würde außerdem bedeuten, den Bewohnern der Siedlung ihre ökonomischen Basis zu entziehen. Denn die Villa generiert zwar ihre eigene informelle Ökonomie, doch diese ist eng mit der städtischen Ökonomie verbunden und sichert so einer Vielzahl von Menschen das Überleben. Die besondere Lage der Siedlung im Zentrum der Stadt stellt dabei einen wesentlichen Faktor für das Funktionieren der Villa 31 dar. Denn durch die zentrale Lage wird den Bewohnern der direkte Zugang zur Stadt und somit zum informellen und auch formellen Arbeitsmarkt ermöglicht. Aus ökonomischer Sicht sind die Villa 31 und Buenos Aires auf unterschiedlichen wirtschaftlichen Ebenen eng miteinander verwoben. Die Bewohner der Villa tragen durch ihre Arbeitskraft und Leistung maßgeblich zum Funktionieren des gesamten Mechanismus Stadt bei und bilden das Rückgrat der „formellen Stadt“. Vergleicht man die Stadt mit einem Schaltkreis, bei dem bereits eine Veränderung der kleinsten Einheit eine Veränderung des Ganzen bedeutet, wird einem schnell bewusst, dass auch oder gerade die Villa 31 ihren Anteil zur Stadt beiträgt. Eine Verlagerung der Siedlung an den Stadtrand würde somit auch tief greifende Veränderungen für die gesamte Stadt mit sich bringen. Die Villa 31 ist somit Teil der Stadt, wird jedoch nicht

als solcher, sondern als ihr Gegensatz wahrgenommen. Neben der berechtigten Forderung an den Staat, die Siedlung als Villa Oficial anzuerkennen, geht es in der vorliegenden Arbeit vorwiegend darum, über die formellen Regularien und Mechanismen hinaus einen Umgang mit der vorhandenen städtischen Realität und den existierenden Strukturen der Villa 31 zu finden. Denn die in Argentinien übliche Urbanisierung der Villas Miserias, die eine Reproduktion des Formellen als Universalnorm impliziert, wird den Strukturen der Villa 31 nicht gerecht. Bei diesen Urbanisierungsprozessen handelt es sich lediglich um eine Angleichung, nicht um die Integration und Wertschätzung der bestehenden informellen Strukturen. Bei der weiteren Auseinandersetzung geht es somit nicht mehr allein um die Existenzberechtigung der Villa 31 unter Berücksichtigung der in ihr lebenden Bevölkerung, sondern auch darum, welche Bedeutung die Siedlung und ihre Integration für die gesamte Stadt Buenos Aires hat. Wie komplex Buenos Aires und die Villa 31 auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen miteinander verwoben sind, wird in den folgenden Kapiteln dargestellt, indem die Interdependenzen, Verbindungen aber auch die Grenzen zwischen der Villa 31 und Buenos Aires analysiert und nachvollziehbar gemacht werden. Denn auf der einen Seite erhöht die räumliche Nähe der Villa 31 zum Stadtzentrum das Konfliktpotential und den Zusammenstoß zwischen zwei Gegenwelten bzw. der ersten und der dritten Welt. Auf der anderen Seite ermöglicht die zentrale Lage der Siedlung eine direkte Verbindung zwischen den beiden Welten. Die dargestellten Interessenskonflikte auf individueller, politischer und wirtschaftlicher Ebene haben die kontroversen Diskussionen um die Zukunft der Villa 31 bzw. die Grenzen und Konfliktlinien, mit denen die Siedlung konfrontiert ist, bereits umrissen. Für die Existenzsicherung der Villa 31 ist es somit unumgänglich, auch die immateriellen Grenzen - die in der Gesellschaft tief verankerten Vorurteile - zu analysieren und diese vor allem zu hinterfragen, damit letztlich durch konzeptionelle Interventionen neue Zugänglichkeiten geschaffen werden können, die zu einem Perspektivwechsel zwischen Villa und Stadt beitragen können.

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Ist die Villa 31 Teil der Stadt oder ihre Antithese? Ausgehend von dieser Frage werden die materiellen, physischen ebenso wie die immateriellen Verbindungen, Grenzen und Konfliktlinien zwischen der „formellen Stadt“ und der Villa 31 sowie die Bewegung ihrer Bewohner zwischen diesen Welten analysiert und sichtbar gemacht. Die Ermittlung von Verbindungen zeigt Zusammenhänge, Räume der Verdichtung, Grenzen sowie Interdependenzen auf und ermöglicht neue Zugänglichkeiten.


wer w端rde die villa vermissen

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Bild- und Tonkollage – Dort, wo Ordnung und zwischen dem „Außen“ der Stadt und dem „Innen“ der Villa überhaupt wahrnehmbar sind und ob ein UnterChaos aufeinandertreffen Die Bild- und Tonkollage „Dor,t wo Ordnung und Chaos aufeinandertreffen“ ist ein visuelles und akustisches Experiment, das sich an die Wahrnehmung des Betrachters und Zuhörers richtet. An einem Sonntagnachmittag führt der Weg über eine Foto- und Tonstrecke vom städtischen Bahnhofsviertel Retiro direkt in die Villa 31. Der Geräuschpegel der Villa 31 übertrifft die sonst relativ laute Stadt. Bei den Aufnahmen handelt es sich nicht um den Nachhall von Geräuschen aus der Villa 31, sondern um charakteristische Geräusche und Bilder, die sich auch außerhalb der Villa 31 durch die Bewohner reproduzieren. Die aufgezeichnete Klanglandschaft verdeutlicht auf akustische Art, visuell unterstützt, wie sich die Villa 31 außerhalb ihrer Grenzen fortschreibt. Dabei wird die Frage an den Betrachter und Zuhörer aufgeworfen, ob die Übergänge

schied und somit eine Grenze zwischen den Räumen erfahrbar ist. Das akustische Experiment führt ein in das Kapitel „Wie weit reicht die Stadt?“ Dabei wird auf narrative Weise aufgezeigt, dass die Villa 31 und die „formelle Stadt“ Buenos Aires längst auf den unterschiedlichsten Ebenen weitreichend miteinander verwoben sind. Erst in zweiter Linie geht es darum, die für die Villa 31 spezifische Geräusch- und Bildkulisse widerzuspiegeln, um so eine Vorstellung von der Atmosphäre vor Ort zu erzeugen. Siehe / höre „Dort wo Chaos und Ordnung aufeinandertreffen


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Die Verwebung von Villa 31 und Buenos Aires Ist die Villa 31 Teil dieser Stadt oder ihre Antithese? Ist die Siedlung eine abgeschlossene Enklave des Informellen im Hoheitsgebiet der „formellen Stadt“ oder tragen die formelle und informelle Stadt jeweils immer auch Anteile ihres konzeptionellen Antagonisten in sich? Die folgende Analyse zeigt, wie sich ökonomische, kulturelle, soziale und politische Belange in Form physischer Bewegungsströme über den Raum legen und wie sich über diese Bewegungen die Villa 31 in der formellen Stadt fortschreibt und umkehrt. Über die Verflechtungen hinaus werden Interdependenzen, Grenzen und Räume der Verdichtung, die durch die räumliche Konzentration dieser Bewegungsströme sichtbar werden, aufgezeigt. Die Villa 31 und das sie umgebende bzw. einschließende Buenos Aires scheinen auf den ersten Blick nicht Teil des gleichen urbanen Systems zu sein. Sie wirken vielmehr wie zwei autonome Einheiten, die separat voneinander funktionieren und zwischen denen keine Interaktion besteht. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch deutlich, dass diese nicht hermetisch voneinander abgekapselt sind – nicht autark funktionieren. Die Schnittmengen und Überschneidungen wirken zwar gering und scheinen räumliche und gesellschaftliche Barrieren zu implizieren, dennoch existieren Berührungspunkte, Bewegungen und Austausch zwischen den Welten -formell und informell- sowie ihren Bewohnern. Die argentinische Anthropologin Maria Christina Cravino sagt in diesem Zusammenhang: „Die Bezeichnung der Villa als Ghetto sollte neu diskutiert werden. Die Bewohner der Villas legen in ihrem Alltag immer wieder Wege zurück, die sie in eine Verbindung mit der formellen Stadt bringen. Doch die Grenze, die sie von der formellen Stadt trennt, ist sozial, politisch und kulturell konstruiert und nicht einfach eine typologische, urbane Grenze“ (Cravino 2008: S 192). Die Villa 31 als ein abgeschlossenes Ghetto oder eine Art Gated Community ohne Mauern zu betrachten ist ein weit verbreitetes aber haltloses Vorurteil. Diesem Vorurteil entgegen zu treten und die gegenwärtige Verwebung zwischen der Villa 31 und Buenos Aires zu verdeutlichen und die Siedlung als einen Teil der Stadt zu verstehen, dient die Analyse des Grenzgebietes der Villa 31. Diese orientiert sich an den folgenden Fragen: Wo bestehen die Verbindungen, Interdependenzen und Grenzen zwischen der Villa 31 und Buenos Aires? Und wie schreibt sich die Villa 31 in der formellen Stadt Buenos Aires fort und umgekehrt? Dementsprechend wird untersucht, wie weit die „formelle“ und die „informelle“ Stadt reicht. Die aus den Fragen resultierende Betrachtung des Grenz-

gebietes der Villa 31 greift auf die von Saskia Sassen geprägte Auseinandersetzung mit analytischen Grenzgebieten zurück. Denn nach Saskia Sassen handelt es sich bei einem analytischen Grenzgebiet um Räume, die sich im Sinne von Diskontinuität konstruieren und normalerweise als einander ausschließend betrachtet werden. „Doch wenn man diese Räume als analytische Grenzgebiete versteht, dann räumt man damit den Diskontinuitäten ein bestimmtes Terrain für Operationen ein, anstatt sie auf eine Trennlinie zu reduzieren“ (vgl. Sassen 2005: 83). Dem folgend werden auch die Villa 31 und ihr direktes Umfeld als ein analytisches Grenzgebiet verstanden und daraufhin untersucht. Die Beziehung zwischen Buenos Aires und der Villa 31, die sich auf den ersten Blick als nicht zusammenhängend präsentieren, wird anhand physischer Bewegungsströme dargestellt. Da die Ströme auf Beispielen des alltäglichen Lebens beruhen und damit unterschiedliche gesellschaftliche Ebenen abzeichnen, wird ein umfassender Einblick in die komplexen Verflechtungen zwischen der Villa 31 und der restlichen Stadt ermöglicht. Die Analyse konzentriert sich auf ein Grenzgebiet mit einem Radius von ca. 5 Kilometern. Betrachtet wird demnach nicht der gesamten Stadtraum, sondern das Grenzgebiet beschränkt sich auf die Relation der Villa 31 zu ihrem direkten Umfeld und umgekehrt. Die dargestellten Bewegungsströme und Orte (Pole der Bewegungen) stellen reale Situationen dar, die jedoch in dieser Arbeit exemplarisch für eine Vielzahl von Bewegungsströmen und Orten stehen. So wird z.B. die ökonomische Verbindung der Villa 31 zum Microcentro der Stadt Buenos Aires anhand von drei Bewegungs- und Austauschströmen an drei verschiedenen Orten beispielhaft dargestellt und verortet – und nicht anhand der realistischen Darstellung der Gesamtheit aller ökonomischen Verbindungen der Villeros, die im Microcentro arbeiten. Um der Frage, (wo) und (wie) sich die Villa 31 in die formelle Stadt Buenos Aires fortschreibt und umkehrt, nachzugehen, werden die zu analysierenden Bewegungsströme nach ihrer Funktion, Richtung und Frequenz kategorisiert, schematisch dargestellt, beschrieben und letztendlich analysiert. Die alltäglichen Bewegungsströme, die den Austausch und die Verbindungen zwischen der Villa 31 und Buenos Aires versinnbildlichen, beruhen auf eigenen Beobachtungen, die mit Hilfe von statistischen Daten und Interviewmaterial gestützt werden.

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Bus Obwohl ein Grossteil der Villeros seinen täglichen Weg zu Fuß zurücklegt, stellt der Bus ein wichtiges Verbindungsmittel zwischen der Villa 31 und dem Zentrum von Buenos Aires dar. Innerhalb der Villa selbst fahren keine Busse, allerdings fahren mehrere Buslinien unmittelbar an der Siedlung vorbei, deren Haltestellen an den zwei Haupteingängen der Siedlung liegen. Die Buslinien 43–45, die am nördlichen Eingang (1) der Villa halten, werden neben den Bewohnern der Villa hauptsächlich von Studenten, die zur fünf Kilometer entfernten Ciudad Universitaria de la UBA (Universitätsstadt der UBA) fahren, genutzt. Zwei weitere Buslinien fahren am südlichen Eingangsbereich (2) der Siedlung in der Calle 5 los. An dieser Haltestelle steigen fast ausschließlich Bewohner der Villa 31 ein. An der nächsten Haltestelle, dem Busbahnhof Retiro (3), mischen sich die Fahrgäste. Die Hauptströme Richtung Bus bewegen sich jedoch aus der Villa zum nahe gelegenen zentralen Busbahnhof Retiro. Funktion: Transport, Dienstleistung Frequenz: mehrmals täglich Richtung: die Villa umgebend, von der Villa weg


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Cartoneros Jeden Abend durchstreifen Scharen von Cartoneros (Kartonsammler) mit ihren Karren die Straßen im Zentrum von Buenos Aires und sammeln den Müll der anderen. Die Cartoneros gehören längst zum Alltagsbild von Buenos Aires, sie sind der bedeutendste Zweig informeller Ökonomie, der sich 2001unmittelbar nach der Wirtschaftskrise in Argentinien herausgebildet hat. In der Villa 31 befinden sich zwei Zwischenlager (1, 2), in die das Material der Cartoneros transportiert wird. Dort wird es gelagert und schließlich verkauft. Mit den in der Villa selbst organisierten Zwischenlagern versuchen die Cartoneros, die formellen, oft korrupten Zwischenhändler zu umgehen. Aus diesem Grund und wegen der Nähe zum Bahnhof laden nicht nur siedlungsinterne Cartoneros ihre Ware in der Villa 31 ab. Mit einem explizit für die Cartoneros eingerichteten Tren Blanco ( weißer Zug) (3) wird die gesammelte Ware nachts vom Bahnhof in Retiro (unweit der Villa) zu den Recyclingfabriken transportiert. Funktion: informelle Ökonomie, Dienstleistung Frequenz: täglich Richtung: aus der Villa, in die Villa (Transport von Materialien), vorbei an der Villa (Tren Blanco)

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Demonstrationen Argentinien ist ein Land mit einer weit verbreiteten Demonstrations- und Protestkultur. Auch die Villeros schließen sich dieser Kultur an und gehen auf die Straße, um für ihre Rechte und die Verbesserung ihrer Lebensumstände einzutreten. Besonders viel Unterstützung von anderen Villeros und sozialen Organisationen etc. erfahren die Bewohner der Villa 31, wenn eine mögliche Verlagerung ihrer Siedlung wieder auf der politischen Agenda steht. Die Demonstranten versammeln sich in der Regel vor dem Congreso (1) (Parlamentsgebäude) und ziehen die Achse der Avenida de Mayo (2) entlang zur Casa Rosada (3), dem argentinischen Präsidentenpalast. Bei dieser Route werden nicht nur die gerade genannten strategischen wichtigen Punkte einbezogen, sondern es wird auch die Hauptverkehrsader der Stadt, die Nueve de Julio (4) (die breiteste Straße in Buenos Aires) komplett blockiert. Funktion: Protest, Demonstration Frequenz: unregelmäßig (alle paar Wochen) Richtung: aus der Villa


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Einkaufen Die Villa 31 und die direkte Umgebung bieten mit ihren vielen kleinen Geschäften, einem eigenen Markt (1), einem Supermarkt (2) der Supermarktkette Cotto im direkten Umfeld sowie den Händlern im Bahnhofsviertel Retiro (3) viele Einkaufsmöglichkeiten. Das Bahnhofsviertel wird somit auch das Shopping Center der Villa genannt. Über 94% der in der Villa 31 lebenden Bevölkerung erledigen ihre täglichen Einkäufe innerhalb des Stadtteils oder der direkten Umgebung (vgl. Cravino: 2005). Beim alltäglichen Einkauf im Umfeld der Villa kommt es immer wieder zu Begegnungen zwischen den Villeros und anderen Bewohnern von Buenos Aires. Die wesentlichen Begegnungspunkte sind der Cotto-Supermarkt, der Feria (Markt) sowie der Busbahnhof Retiro und die etwas weiter entfernten Einkaufsstraßen in Once (4). Funktion: Versorgung Frequenz: täglich Richtung: innerhalb der Villa, aus der Villa bzw. im direkten Umfeld

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Fliegende Händler Vor dem Bahnhof in Retiro (1) haben viele der Villeros ihre Stände aufgebaut, besitzen zum Teil auch eigene kleine Ladenlokale, in denen sie Essen, DVDs, Zigaretten etc. verkaufen. Darüber hinaus ziehen die fliegenden Händler der Villa mit ihren Waren durch die ganze Stadt. Beliebte temporäre Standorte befinden sich im Zentrum der Stadt an der Av. Corrientes (2), der Plaza de Mayo (3) oder der Plaza Congreso (4). Funktion: Gewerbe Frequenz: täglich Richtung: aus der Villa


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Hunde ausführen Das Hunde Ausführen ist eine Dienstleistung, die häufig Anwohnern aus der Villa (meist Männern) übernehmen. Sie führen die aus Haushalten in Retiro oder dem benachbarten, wohlhabenden Recoleta stammende Hunde aus, oft handelt es sich dabei um sechs bis zehn Hunde gleichzeitig. Eine beliebte Spazierroute folgt der Uferpromenade von Puerto Madero (1) oder führt direkt zur Plaza San Martin (2) in Retiro. Funktion: Dienstleistung Frequenz: täglich Richtung: aus der Villa

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Jugendorchester Das Orquesta Infanto-Juvenil de Retiro (Jugendorchester Retiro) ist staatlich initiiert (im Rahmen des Programms Zonas de Acción Prioritarias). Es besteht aus 45 Kindern, die ausschließlich aus der Villa 31 kommen und in den Räumen der öffentlichen Schule Bandera Argentina (1) lernen, klassische Musik zu spielen. In den letzten Jahren ist das Orchester zum Vorzeigeprojekt der Villa 31 geworden und der Bekanntheitsgrad geht weit über deren Grenzen hinaus. Die Konzerte finden zum Teil außerhalb der Villa statt wie z.B. in verschiedenen Centros Culturales und sogar im etablierten Konzerthaus Teatro San Marti (2). Zu den Konzerten kommen Bewohner aus der ganzen Stadt. Funktion: Kultur, Freizeit Frequenz: Proben:vier Mal die Woche, Konzerte: unregelmäßig Richtung: aus der Villa, alternierend


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Microcentro Das Microcentro (1, 2, 3), ist das Büro und Geschäftszentrum von Buenos Aires, hier arbeitet ein großer Teil der Bevölkerung. Zu ihnen gehören auch die „Unsichtbaren“, d.h. diejenigen, die nach dem regulären Feierabend in den Büros wieder für Ordnung sorgen. Viele der Villeros arbeiten im Microcentro als Reinigungskraft in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen und ohne Sozialversicherung. Funktion: Dienstleistung Frequenz: täglich Richtung: aus der Villa

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Piqueteros Die Piqueteros waren anfangs lose Gruppierungen von Arbeitslosen, die heute umfassend organisiert sind und häufig von einer Partei abhängen. Mit Piquetes (Straßesperren) machen die Piqueteros auf ihre schlechte wirtschaftliche und soziale Situation aufmerksam und üben Druck auf die Regierung aus, um ihre Situation zu verbessern. Die über die Villa 31 führende Autobahn Illia (1) und der östlich gelegene Zubringer zum Hafen (2) sind strategisch wichtige Punkt für die Straßensperren der Piqueteros. Diese kommen zum Teil auch aus der Siedlung. Funktion: Demonstration, Widerstand Frequenz: unregelmäßig Richtung: aus der Villa, von außerhalb


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Comedores Die Comedores Comunitarios (Volksküchen) übernehmen eine wichtige Rolle im Bereich der Nahrungsversorgung. Neben der Essensausgabe sind sie wichtige Orten für soziale Begegnungen, politische und kulturelle Aktivitäten in der Siedlung. Die Strukturen sind in der Regel von den Villeros selbst aufgebaut und funktionieren in Eigenregie durch freiwillige Helfer aus der Villa sowie Volontäre aus anderen Stadtteilen. Staatlichen Subventionen gibt es nur in Form von materiellen Unterstützungsleistungen. Neben der hohen Frequentierung durch die Villeros werden, die Comedores auch von den Obdachlosen aus dem benachbarten Parador de Retiro (Obdachlosenheim) (1) aufgesucht. Funktion: Sozialleistung Frequenz: täglich Richtung: innerhalb der Villa, Bewegung in die Villa (Obdachlose)

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Murga Murga bedeutet übersetzt Lärm oder Radau machen und ist eine Form des südamerikanischen Karnevals, die hauptsächlich in Argentinien und Uruguay verbreitet ist. Die Darbietungen der Murgas umfassen ein breites Spektrum an gesellschaftlichen Themen. Sie sind als soziale Bewegung des friedlichen Widerstandes einzuordnen, die sich meist in sozial benachteiligten Gebieten der Stadt organisieren. Die Villa 31 hat ihre eigene Murga Villerga – Los Guardianes de Mugica (1) – die sog. Wächter Mugica. Bei besonderen Veranstaltungen treffen sich die unterschiedlichen Murgas und ziehen gemeinsam durch die Stadt oder in die Villa 31. Funktion: Protest und Kultur Frequenz: unregelmäßig Richtung: innerhalb der Villa, in die Villa, aus der Villa


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Staatliche Kontrolle Bei der Villa 31 handelt es sich um kein „exterritoriales Gebiet“. Anders als es zum Teil aus den Favelas Brasiliens bekannt ist, ist die offizielle Polizei auch in der Villa 31 für die Einhaltung von geltendem Recht zuständig. Die Zugänglichkeit der Siedlung mit dem Polizeiwagen ist aufgrund der schmalen Straßen begrenzt. Neben der Polizeistation 46 in Retiro (1) befindet sich auch inmitten der Villa 31 eine von zwei Mann besetzte Polizeistation (2), von der aus die Polizei zu Fuß durch den unbefahrbaren Teil der Villa patrouilliert. Darüber hinaus befinden sich derzeit an den zwei südlichenHaupteingängen (3, 4) zur Villa ein Wachposten der Polizei, um zu kontrollieren, dass kein Baumaterial in die Siedlung transportiert wird. Funktion: staatliche Kontrolle Frequenz: innerhalb der Villa täglich, von außerhalb unbestimmt Richtung: in der Villa, in die Villa rein sowie am Eingang


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Schule Ein Großteil der in der Villa 31 lebenden Kinder besucht die Grundschule. Offiziell sind zwei Schulen für die Villa zuständig. Die eine – Filidiiei (1) – ist eine Privatschule und befindet sich in der Calle 5 im südlichen Teil und am Rand der Villa. Die zweite – La Bandera Argentina (2) – ist eine staatliche Schule im Stadtteil Retiro, die sich nicht weit der Villa befindet. Obwohl diese Schule nicht in der Villa 31 liegt, wird sie ausschließlich von Kindern aus der Villa besucht. Von den Kindern der Villa 31 besuchen nur 7,9 % andere Schulen in der Stadt Buenos Aires. Das liegt unter anderem daran, dass Kinder aus der Villa nicht ohne weiteres an anderen Schulen angenommen werden. Im schulischen Alltag gibt es deshalb fast keine Berührungspunkte. Funktion: Bildung Frequenz: täglich Richtung: innerhalb der Villa, aus der Villa


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Taxi Taxen sind auf den für den Autoverkehr zugänglichen Straßen der Villa nicht ungewöhnlich. Da innerhalb der Villa keine Busse fahren und nur ein sehr geringer Teil der Bevölkerung über ein eigenes Auto verfügt, dienen die Taxen hauptsächlich dem Transport von größeren Einkäufen etc., die in die Villa transportiert werden. Ein Taxistand befindet sich am Hauptbahnhof Retiro (1) Funktion: Transport, Dienstleistung Frequenz: fast täglich Richtung: in die Villa, in seltenen Fällen aus der Villa

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R채ume der Verdichtung


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Räume der Verdichtung

tungen und reine Dienstleistungen unterscheiden.

Die Konzentration aller dargestellten Bewegungsströme zeigt die Räume der Verdichtung auf. Diese Schnittstellen sind hochfrequentierte Orte, die eine besondere Anziehungskraft im Alltag der Stadtbewohner ausüben oder Teil ihres Alltags sind. Sie sind Orte zufälliger Begegnungen, in denen eine breite Öffentlichkeit aufeinander trifft. Hier überlagern und verdichten sich die diversen soziokulturellen und ökonomischen Ströme. Die Koexistenz von Nähe und Differenz ist an diesen Schnittstellen besonders spürbar. Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem direkten Umfeld der Villa, dem Bahnhofsviertel von Retiro zu, welches als Katalysator und Verteiler zwischen den Welten funktioniert.

Die Bewegungsströme aus der Villa hinaus und außerhalb der Villa manifestieren sich hauptsächlich im Bereich der ökonomischen Aktivitäten. Die Arbeit im Zentrum von Buenos Aires als Reinigungskraft, Dienstmädchen, Handwerker, Cartonero oder fliegender Händler sind die Hauptmotivation für das Verlassen der Villa.

Zusammenfassung der Bewegungsströme Es gibt keine absolute Stadt, die Villa 31 schreibt sich in die formelle Stadt ein und umgekehrt. Das Phänomen der Formalität ist nicht trennscharf an einen spezifischen Raum gebunden – ebenso wie das Phänomen der Informalität. Die Formalität verfügt nicht über ihre eigene Stadt, die formelle Stadt nicht über einen eigenen, festen Radius – genauso wenig wie die Informalität (siehe Exkurs: Die Auflösung der Dichotomie von Ordnung und Chaos). Die dargestellten Beispiele der Bewegungsströme veranschaulichen, dass durch die Verbindungen Interdependenzen, Kontaktpunkte aber auch Grenzen zwischen der Villa 31 und Buenos Aires bestehen. Bei der Analyse muss beachtet werden, dass die dargestellten Bewegungsströme nicht statisch sind, genauso wenig wie die daraus resultierenden Verbindungen und Abhängigkeiten fix sind. Durch eine Konsolidierung der Villa 31 würden sich bestimmte Rahmenbedingungen verändern, die dann wieder Auswirkungen auf die Bewegungsströme und das Verhältnis zwischen der Villa 31 und Buenos Aires haben. Die Kategorie Funktion zeigt die Motivationen auf, die hinter den individuellen Bewegungsströmen stehen. Die Bewegungen in die Villa 31 erfolgen hauptsächlich auf grund der Logik von Leistungen, die erbracht werden. Sie verdeutlichen die soziale Verantwortlichkeit des Staats bei der materiellen und personellen Unterstützung der Comedores Comunitaros sowie die staatliche Kontrolle durch die Polizei. Sie zeigen auch die sozialen Aktivitäten der Grenzgänger, die Dienstleistungen durch Taxifahrer und die Anbindung der Villa 31 an das Stadtzentrum durch öffentliche Transportmittel. Die Leistungen lassen sich grob in Sozialleistungen bzw. staatliche Dienstleis-

Nicht ökonomisch bedingte Bewegungen aus der Villa sind politische Aktivitäten, die auf eine hohe Sichtbarkeit im Stadtraum abzielen: Demonstrationen, die Murga oder Straßensperren der Piqueteros. Die Einkaufswelt der Villeros beschränkt sich hauptsächlich auf den eigenen Siedlungsraum und das nahe Umfeld. Im direkten Umfeld der Villa – beim großen Supermarkt oder im Bahnhofsviertel Retiro – kommt es jedoch regelmäßig zu zufälligen Begegnungen zwischen den Villeros und Porteños im Alltag. Auch wenn es Ströme und Austausch aus und in die Siedlung gibt, bleiben diese Bewegungen meist einseitig und alternieren kaum. Das Orchester der Villa 31 ist ein Beispiel für einen alternierenden Bewegungsstrom. Zwar finden die Konzerte nicht innerhalb der Villa 31 statt, dennoch werden die Konzerte der Kinder aus der Villa von Menschen aus der ganzen Stadt besucht. Andere bewusst eingegangene Kontakte zwischen Villeros und Porteños finden fast ausschließlich in sozialen Bereichen innerhalb der Villa statt: in den Comedores Communitarios, bei der Apoyo Escolar (Hausaufgabenhilfe) und anderen Kursangeboten. Häufig kommt es zu zufälligen Begegnungen im Bahnhofsviertel von Retiro, beim Einkaufen im Supermarkt, bei der Arbeit, im Bus etc.; welche Intensität von diesen Begegnungen ausgeht, bleibt allerdings offen. Interaktion, verstanden als ein wechselseitiges aufeinander Einwirken, ist somit fast ausschließlich innerhalb der Villa zu beobachten. Im Alltag anderer, ausgegrenzter Bevölkerungsgruppen, die nicht in der Villa 31 leben, hat die Siedlung dagegen eine andere Bedeutung. Menschen wie die externen Catoneros, Mitglieder der Murgas oder die Obdachlosen aus dem angrenzenden Parador de Retiro (Obdachlosenheim) gehen in die Villa 31 und interagieren dort ohne Misstrauen oder Berührungsängste. Für sie stellt die Villa 31 einen Teil des von ihnen beanspruchten und unhinterfragten Lebensraums dar. Trotz minimaler Interaktionen verdeutlichen die Bewegungsströme eine gegenseitige Abhängigkeit, die zwi-

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schen der Villa 31 und Buenos Aires besteht. Die Villa 31 und ihre Bevölkerung übernehmen dabei eine dienende Funktion. Die Villeros recyceln den Müll, lagern ihn in der Villa, bauen die Stadt, stellen billige Arbeitskräfte, die ohne Sozialversicherung in den Zentren der Mittel- und Oberschicht arbeiten. Auf der anderen Seite bietet das Zentrum Buenos Aires’ die nötigen Nischen für die oft informellen ökonomischen Aktivitäten der Villeros, die durch das formelle System nicht aufgefangen werden, und sichert ihnen so das Überleben. Die zentrale Lage der Villa 31 begünstigt durch die kurzen Wege die Arbeit im Zentrum. Die Villa 31 ist Teil der Stadt und ihre Antithese zugleich. Sie schreibt sich durch ihre Bewohner in die formelle Stadt ein und umgekehrt. Die formelle und die informelle Stadt existieren demnach nicht als zwei konträr-autarke urbane Einheiten. Die Differenz scheint hauptsächlich im dualistischen Denken verankert zu sein (siehe: Die Auflösung der Dichotomie von Ordnung und Chaos S. 113). Denn entgegen einem weit verbreiteten Vorurteil handelt es sich bei der Villa 31 um kein Ghetto oder ein abgetrenntes Gebiet, in das niemand hinein kommt. Gleichwohl ist die Villa 31 kein Teil der Stadt, der im alltäglichen Leben durch die Porteños frequentiert wird, und genauso wenig werden große Teile der Stadt Buenos Aires von den Villeros aufgesucht. Das soziale Leben beschränkt sich hauptsächlich auf den indirekt abgegrenzten „eigenen Lebensraum“. In den „Lebensraum des jeweils andern“ wird, abgesehen von ökonomischen Aktivitäten, kaum vorgedrungen. Die Villa 31 und ihre Bewohner bleiben trotz starker Präsenz im städtischen Alltag unsichtbar und einem Großteil der Bevölkerung eher unbekannt. Die räumliche Nähe ermöglicht und intensiviert den Austausch und schafft zugleich Distanz, sich von dem Anderen abzugrenzen. Maria Christina Cravino schreibt in diesem Zusammenhang: „Die Bewohner der Villa 31 scheinen ihr Leben stark auf ihren eigenen Stadtteil zu konzentrieren, auch wenn sie außerhalb arbeiten. Es existiert eine Grenze, die das Außen und Innen bestimmt. Sie ist stärker symbolisch als physisch ausgeprägt.“ (Cravino 2008: 164) Auch die Analyse der Bewegungsströme der Villa 31 lässt vermuten, dass die „Trennung“ zwischen der Siedlung und ihrem Umfeld nicht allein aufgrund physischer Barrieren besteht, sondern aufgrund immaterieller, psychologischer Grenzen. Es stellt sich demnach die Frage, mit was für Grenzen die Villa 31 und Buenos Airs konfrontiert sind und wie sich diese manifestieren. Die Analyse der Bewegungsströme, die Aufschluss über die Verbindun-

gen und Abhängigkeiten zwischen Buenos Aires und der Villa 31 gegeben hat, dient im folgenden als Grundlagen, um die Grenzen genauer zu analysieren und ihre Eigenschaften heraus zu stellen.


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Wissensstand Informalität - Die Auflösung der Dichotomie von Ordnung und Chaos Von informellen Romantikern verherrlicht, von ihren Kritikern zur Assimilation verdammt, ist Informalität eigentlich weder gut noch schlecht. Eine allgemeine Beurteilung ist aufgrund der Komplexität und Verwebung des informellen Phänomens nicht möglich und wenn überhaupt nur für den konkreten Einzelfall vorzunehmen. „Informality is back on the agenda of international development and urban planning“ (Roy 2005: 148), mit diesen Worten leitet Ananya Roy ihren Text „Urban Informality Toward an Epistemology of Planning“ ein. Auch der „Weltbericht für die Zukunft der Städte“, 1999 im Auftrag der Kommission „Urban 21“ erstellt, sieht als wichtigste Grundtendenz moderner Städte das „informelle und übermäßige“ Wachstum von urbanen Agglomerationen (Hall, Pfeiffer, Urban 21: Weltbericht für die Zukunft der Städte :2000). Die eigentlichen Motoren des informellen Urbanismus sind die Megacities des globalen Südens. So wird die Entwicklung der lateinamerikanischen Metropolen bereits seit den 1960er Jahren zunehmend durch eine informelle Urbanisierung geprägt (Jáuregui 2002: 32). „In Lateinamerika vollzieht sich der Urbanisierungsprozess an zwei konträren Fronten: als formelle und legale Bebauung auf der einen Seite, als informelle und regellose auf der anderen. Diese Prozesse sind eng miteinander verzahnt und haben weitreichende Implikationen in Hinblick auf die Form und Funktion unserer heutigen Städte.“ (Shluger 2005: 302) Im Rahmen einer theoretischen Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Informalität, stellt sich die folgende Frage: Steht die Informalität im Gegensatz zur formellen Ordnung oder bedingen sich Formalität und Informalität? Formelle und informelle Urbanisierung werden im Diskurs zur Stadt des 21. Jahrhunderts meist als Gegensatz statt als ein miteinander Verflochtensein und eine mögliche Ergänzung wahrgenommen. Diese Abgrenzung zwischen der „formellen“ und der „informellen“ Stadt resultiert aus einem idealtypischen Bild, das so längst nicht mehr zutrifft. Das allgemeine, zum Teil auch in der fachlichen Auseinandersetzung fest verankerte Bild der Informalität als Gegensatz zur formellen Ordnung greift auf zwei verschiedene Vorstellungen von Informalität zurück: der Informalität der Krise und des Heroismus. Diese beiden Ansätze, die Informalität zu betrachten, implizieren einen Umgang in Form einer Nichtanerkennung und einer möglichen Abschaffung bzw. Überwindung des informellen Sektors.

Die Stadtplanerin Ananya Roy spricht sich gegen das Verständnis von Informalität als Gegensatz zur formellen Ordnung aus. „Informalität ist nicht das Chaos, welches der Ordnung vorangeht, es ist viel eher die Situation, die aus der Aufhebung der Ordnung resultiert.“ Roy lehnt es ab, Informalität als einen Sektor zu betrachten, und definiert stattdessen das Informelle als einen von der städtischen Entwicklung untrennbaren Zustand. Sie sieht Informalität als Modus der Urbanisierung - „Informality as a mode of metropolitan urbanization“ – , als die Bezeichnung einer Organisationslogik, als ein System von Normen, welches den Prozess der städtischen Transformation selbst reguliert. Statt der Dichotomie zweier Sektoren - formeller und informeller - ist die Informalität eine Abfolge von Transaktionen, die verschiedene Ökonomien und Räume miteinander verbindet (vgl. Roy 2005: 148 ff). Dieser Ansicht folgend plädiert sie für den Umgang und die Anerkennung von Informalität als Motor der städtischen Entwicklung. Planer müssen das negative Stigma ablegen, sich demnach der Herausforderung des Unplanbaren annehmen und dies nutzen (vgl. Roy 2005: 148 ff.) Dem theoretischen Ansatz und Verständnis von Informalität nach Ananya Roy folgend gibt es keine „absolute Stadt“, die formelle und die informelle Stadt tragen immer auch Anteile ihres konzeptionellen Antagonisten in sich. Formell und informell bedingen sich gegenseitig, sind hochgradig miteinander verwoben und stehen in einer untrennbaren Verbindung zueinander. Die klare Abgrenzung zwischen der „formellen“ und der „informellen“ Stadt wird nur noch durch die Erfindung eines dualistischen Denkens aufrechterhalten. Denn entscheidend ist bei der Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Informalität nicht, dass formelle und informelle Strukturen überhaupt existieren, sondern wie mit dieser Differenz umgegangen wird und was aus ihr gemacht wird. Die Bestimmung der Informalität und die Unterscheidung zwischen formell und informell müssen vor dem Hintergrund der vorgestellten Theorie als dynamisch und vom Blickwinkel abhängig betrachtet werden. Die Unterscheidung zwischen der „formellen“ und der „ informellen“ Stadt ist im Sinne dieser Arbeit jedoch notwendig, um gerade die Verbindungen und die daraus resultierenden Abhängigkeiten zwischen der Villa 31 und Buenos Aires aufzeigen zu können sowie Eingriffsmöglichkeiten zu bestimmen, um die starre Trennung daduch explizit zu hinterfragen.

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Grenzenlos begrenzt An welchen Grenzen stehen sich Villa 31 und Buenos Aires gegenüber? Die Grenztypologie beschäftigt sich mit den Eigenschaften der Grenzen, denn eine Reduzierung dieser auf statische Linien ist im Fall der Villa 31 nicht ausreichend. Die Grenzen der Siedlung werden deshalb unter Berücksichtigung ihrer immanenten Dialektik betrachtet. Unter Bezugnahme auf die theoretische Auseinandersetzung der Border Studies, die Grenzen als Konventionen und regelgeleitete Praktiken betrachten, werden die Grenzen der Villa 31 nicht als rein räumliche Elemente, sondern als mehrdimensionale Gebilde verstanden, die sich auf physisch-materieller, immaterieller sowie visueller Ebene abzeichnen. Ihre Verortung und Typologisierung nimmt direkten Bezug auf die zuvor analysierten Bewegungsströme. Die Analyse ermittelt Grenzen, Schnittstellen und Verbindungen, stellt deren Eigenschaften in den Vordergrund, um so neue Zugänglichkeiten zu ermöglichen.

Institutionen zu untersuchen. Räume und Grenzen werden in den Border Studies nicht als widerspruchsfreie und klar zugeordnete Kategorien menschlicher Ordnung interpretiert, sondern als Gebräuche und Konventionen (vgl. Newman 2001). Analysiert werden die sozialen Praktiken der Herrschaft, Inbesitznahme und Exklusion (Davy 2004: 48). Erweitert wird die theoretische Betrachtung von Grenzen durch an die Border Studies angelehnte Ansichten. Für die Bestimmung und Typologisierung der Grenzen zwischen Villa 31 und Buenos Aires ergeben sich folgende Schlussfolgerungen: Grenzen entstehen durch eine Differenz zwischen den Dingen, denn Ähnliches ohne Grenze ist sich selbst. Wir brauchen Grenzen, um Dinge voneinander unterscheiden und gleichzeitig miteinander vergleichen zu können. Sie markieren Differenzen und Ähnlichkeiten. Sie bilden eine Vorstellung vom Eigenen und Fremden, vom Innen und Außen, die nicht abschließend ist. Grenzen können somit Nähe, aber auch Distanz schaffen (vgl. Davy 2004: 65).

Die Villa 31 ist kein klar definierter, geordneter Raum, der sich durch eine lineare Grenzziehung bestimmen lässt. Die Villa schreibt sich außerhalb ihrer administrativen Grenzen fort. Auch wenn die Fläche der Villa 31 genaustens vermessen, die Grundstücke parzelliert wären und dem Katasteramt vorliegen würden – eine rein territoriale Grenzziehung demnach möglich wäre – soll te eine Betrachtung darüber hinaus gehen. Denn die im allgemeinen Sprachgebrauch verwendete Bedeutung der Grenze als Trennung, Begrenzung oder Beschränkung reicht in diesem Fall nicht aus, um die immateriellen sowie materiellen Grenzen zu bestimmen und zu analysieren.

Der konventionale Grenzbegriff betont, dass Grenzen regelgeleitete Praktiken sind. Eine Grenze ist die Konvention über eine Teilung, Trennung und Verbindung. Die Konvention bestimmt, welcher Sachverhalt der Grenze anzusehen ist, und verleiht ihr eine Bedeutung. „Die Konvention, durch die eine Grenze hergestellt wird, umfasst formale Rechtsnormen (wie völkerrechtliche Verträge, staatliche Gesetze, zivilrechtliche Vereinbarungen), kann aber auch eine beliebige soziale Praxis oder kulturelle Tradition sein.“ (Davy 2005: 59)

Die Grenzen zwischen der Villa 31 und Buenos Aires müssen viel eher in ihrer Komplexität und Bedeutung als mehrdimensionales Gebilde erfasst werden. Der eigentlichen Grenztypologie der Villa 31 wird eine theoretische Auseinandersetzung, die sich mit der Thematik von Grenzen beschäftigt, vorangestellt. Die daraus resultierenden Schlussfolgerungen werden dann für die Typologisierung der spezifischen Grenzen der Villa 31 herangezogen.

Einteilung: bestimmt das Verhältnis des Ganzen und seiner Teile - gliedert, macht überschaubar, handhabbar, hat nicht den Zweck zu trennen.

Eine theoretische Betrachtung von Grenzen „Grenzen sind gestaltbare, veränderliche Übergänge, mit beobachtungsabhängiger Ausdehnung, die Unterschiedlichstes verbinden und in einem grenzenlosen Raum – dem Raum enthalten sind“ (Davy 2004: 52). Die Border Studies haben es sich zur Aufgabe gemacht Grenzen und ihre Auswirkung auf den Menschen sowie

Die Grenzfunktionen teilen, trennen, verbinden und sind wahrnehmungsabhängig.

Trennung: bestimmt das Verhältnis zwischen dem Abgegrenzten und seiner Außenwelt - veranschaulicht Unterschiede, distanziert. Verbindung: bestimmt Übergänge zwischen dem Abgegrenzten und unterstreicht Ähnlichkeiten, macht das Abgegrenzte zugänglich - Kommunikation und Austausch werden möglich (vgl. Davy 2004:68). Grenzen besitzen eine immanente Dialektik: Sie bilden eine Beziehung zwischen zwei Dingen und besitzen eine trennende und verbindende Funktion zugleich. Sie trennen Räume, markieren Unterschiede, sind durchlässig, bilden Übergänge und verbinden Räume. Wenn die ver-


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bindende Funktion wegfällt, wird die Grenze zur Sperre, zu einer Barriere, die einschränkt oder ausschließt (vgl. Davy 2005: 68). Die Auffassung der Border Studies, Grenzen als regelgeleitete Praktiken und Konventionen zu verstehen (Newman: 2001), richtet sich gegen das weitverbreitete Konzept linearer Grenzen, der sog. „Rasiermessergrenzen“, in dem die Grenze ausschließlich als trennende Linie betrachtet wird (vgl. Davy 2004: 59 ff.). „Bei der Grenzziehung wird dabei nicht die Linienförmigkeit der Wirklichkeit sichtbar, sondern die Wirklichkeit dem Denken der Rasiermessergrenzen untergeordnet. Der konventionale Grenzbegriff bildet ein Gegenkonzept, das die soziale Konstruktion der Grenze betont. Denn wer Grenzen für Linien hält, verwechselt das Zeichen mit dem Bezeichneten.“ (Davy 2004: 61) Grenzen beeinflussen zwar Formen und Inhalt, sie tun dies aber als Konventionen, nicht weil sie Sachen oder eine Sacheigenschaft wären. Die Grenze ist nicht, sie gilt. Der Grund der Geltung einer Grenze ist die Konvention: hier soll die Grenze sein. Durch die Bestätigung, Aufhebung oder Änderung dieser Konvention wird auch die Grenze bestätigt, aufgehoben oder abgeändert (vgl. Davy 2004: 109 ). Nach dem konventionalen Grenzbegriff bilden auch soziale und ökonomische Praktiken sowie kulturelle Traditionen Grenzen, die sich auf den physischen Raum auswirken können (vgl. Davy 2005: 59). Die Grenzen zwischen Buenos Aires und der Villa 31 werden demnach nicht ausschließlich auf lineare und trennende Elemente reduziert, sondern als mehrdimensionale Gebilde verstanden, die sich auf materieller und immaterieller Ebenen manifestieren. Auch nach Georg Simmel ist die Grenze keine räumliche Tatsache mit soziologischer Wirkung, sondern eine soziologische Tatsache, die sich räumlich formt (Simmel 1986: 97). Dennoch können sich Grenzen an räumlichen bzw. topographischen Merkmalen und dem Verlauf der Natur orientieren. So kann ein Fluss oder ein Berg zum Grenzzeichen erklärt werden. Daraus darf aber nicht geschlossen werden, dass dieser Fluss oder Berg an sich die Grenze ist (vgl. Davy 2004: 59). „All borders are artificial; some are less artificial than others.“ (Boggs 1940: 25) Die Grenze bestimmt sich nicht durch eine inhärente und natürliche Barrierewirkung, sondern durch die künstliche Grenzziehung des Menschen. „Borders have no si-

gnificance except in relation to humen beings.“ (Boggs 1940: 28:) Da Grenzen das Resultat menschlicher Handlungen sind, hängt ihre Wertigkeit vom Verhalten der Menschen ab (vgl. Ante 1995: 435). Grenzen sind ambivalent in ihrer Wirkung. Sie besitzen für den Menschen unterschiedliche Bedeutungen, ihre Bestimmung und Ausdehnung ist subjektiv und abhängig von der Perspektive des Beobachters. Darüber hinaus haben Grenzen eine zeitliche Dimension. Sie sind nicht statisch. Erst durch eine Konvention und die Einigung auf einen zeiträumlichen Maßstab werden Grenzen überhaupt wahrnehmbar (vgl. Davy 2005: 59). Wenn Grenzen also das Resultat menschlicher Handlungen sind, können sie demnach auch hinterfragt werden; sie sind gestaltbar und veränderlich. In Anlehnung an die Border Studies und Benjamin Davy werden die Grenzen der Villa 31, bevor mögliche konzeptionelle Eingriffe konkretisiert werden, einer genaueren Betrachtung unterzogen, denn: „Sind Grenzen auch konstruiert, dürfen sie nicht willkürlich gezogen oder verschoben werden. Erst aufgrund einer kritischen Reflexion kann beurteilt werden, ob Unterschiede, die diesen Grenzen zugrunde liegen, zurecht zum Anlass einer Grenzziehung genommen wurden“ (Davy 2004: 61).

Typologie der Grenze Die Grenztypologie der Villa 31 untersucht vertiefend ,mit welchen Grenzen die Verbindung zwischen Buenos Aires und der Villa 31 konfrontiert ist. Analysiert werden die Eigenschaften und Wirkungen der jeweiligen Grenzen sowie Grenzsituationen und die Frage, wo sich diese räumlich niederschlagen. Für die Typologisierung wird zwischen materiellen - in diesem Fall räumlichen Grenzen und Barrieren, immateriellen sowie visuellen Verbindungen und Grenzen unterschieden. Eine solche trennscharfe Kategorisierung zeigt jedoch nicht, dass sich die verschiedenen Grenzarten auch untereinander bedingen. Die Überschneidungen und Interdependenzen der Grenztypen werden schließlich exemplarisch an einem ausgewählten Grenzabbild, einem besonderen Grenzort aufgezeigt. Da Grenzen subjektiv sind und von der Perspektive des Beobachters abhängen, stellt die Grenztypologie keine abschließende und allgemeingültige Typologisierung der Grenzen dar, sondern gibt einen Überblick, (wo und wie) sich die vorhandenen Grenzen gegenwärtig manifestieren.

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Die Typologisierung und Verortung der Grenzen orientiert sich an den folgenden Fragen: (wo) bestehen die Verbindungen, Abhängigkeiten und Grenzen zwischen der Villa 31 und Buenos Aires? (wie) manifestieren sich diese auf materieller, immaterieller und visueller Ebene?

beifahrenden Züge wird allerdings eine visuelle Verbindung zur Villa, ähnlich wie bei der Autobahn, hergestellt. Außerdem ermöglicht das Gleisdreieck als unbebauter Raum wiederum freie Blickachsen von den umliegenden Quartieren auf die Villa 31 und umgekehrt.

Materielle Raumgrenzen – entstehen durch bauliche Realitäten und ihre Wirkung.

Die Containerterminals und das Hafenareal, die im Nordosten an die Villa 31 anschließen, sind durch eine Mauer räumlich abgegrenzt und stehen in keiner Beziehung zu der Siedlung. Sie bilden eine Barriere, die eine Verbindung der Villa zum Rest der Stadt einschränkt.

Die materiellen Grenzen sind wahrnehmbare bauliche Gegebenheiten, die sich im physischen Raum manifestieren. Den Raumgrenzen ist die Ambivalenz (Dialektik) einer zugleich trennenden und verbindenden Funktion immanent. Fällt die verbindende Funktion weg, wird die Grenze zu einer reinen Barriere, die den Austausch einschränkt oder verhindert. Materielle, physische Grenzen können auch durch Konventionen, Vorurteile, Ängste etc. immateriell bedingt oder geprägt sein. Das direkte Umfeld der Villa 31 ist mit dem Hafen, dem Bahnhof, der Autobahn und anderen Infrastrukturtrassen maßgeblich durch markante materiell physische Grenzen und Barrieren geprägt. Die Einfallsstraßen - die nördlich der Villa 31 verlaufenden Av. Antartida Argentina und die Av. Rafael Obligado Costanera - stellen durch ihre Dimensionen als vier - bis sechsspurige Straßen Barrieren für die Überquerung dar, das vor allem, weil im Umfeld der Villa kaum Fußgängerampeln installiert sind. Sie lassen sich jedoch nicht auf eine reine Barrierewirkung reduzieren, da die Hauptstraßen darüber hinaus die Villa 31 mit dem Stadtzentrum verbinden. Die Autobahn (Presidente Illia), die über die Villa 31 hinwegführt, trennt die Siedlung in zwei Teile: die Villa 31 und die Villa 31 bis. Doch auch diese lineare Grenze ist keine „Rasiermessergrenze“. Sie verschwimmt und ist unscharf, da sich die Bewohner den Raum unterhalb, der in Teilen aufgeständerten Autobahn aneignen und bebauen. Auch die beiden Siedlungsteile sind durch Übergänge und Unterführungen miteinander verbunden und überwinden so die räumliche Barriere. Darüber hinaus ermöglicht die Autobahn für die täglich mehreren tausend Autofahrer eine, wenn auch flüchtige, visuelle Verbindung zur Villa 31. Das Gleisareal begrenzt die Villa 31 in Richtung Westen: auf der einen Seite wird das Wachstum der Siedlung räumlich begrenzt, auf der anderen Seite wird die Zugänglichkeit der Siedlung und somit die Verbindung zum Stadtzentrum stark eingeschränkt. Die Gleise stellen somit eine Barriere dar. Durch die an der Villa 31 vor-

Die Gewerbe- und Industriehallen, von denen eine Vielzahl im Osten an die Villa grenzt, stehen ähnlich wie die Containerterminals in keiner Verbindung zur Siedlung. Der Sprung in der Maßstäblichkeit zwischen der eher niedrigen Bebauung innerhalb der Villa und den großen Hallen im Umfeld sowie der jähe Wechsel der Strukturen schaffen eine Trennung in zwei Bereiche auch ohne eine klare räumliche Barriere in Form eines trennenden baulichen Elements, wie z.B. eines Zaun oder einer Mauer. Die Ein- und Ausgänge der Siedlung stellen eine Beziehung zwischen dem „Innen“ und dem „Außen“ bzw. der Stadt und der Villa 31 dar. Diese Zonen des Übergangs sind perspektivenabhängig und können als trennend oder verbindend verstanden werden. Für die Bewohner ist die Villa 31der Lebensmittelpunkt, die Ein- und Ausgänge haben für sie eine alltägliche verbindende Funktion. Wenn jedoch der Wechsel zwischen den Welten etwas Außergewöhnliches ist - wie für die Bewohner der angrenzenden Stadt, die diesen Schnittpunkt in ihrem Alltag eher nicht überschreiten -, können diese Räume des Übergangs zu einer Grenze werden. Die anderen „formellen Stadtteile“ von Buenos Aires gehen ineinander über. Es besteht kein so markantes Verhältnis zwischen dem „Innen“ und „Außen“ wie zwischen der Villa und Buenos Aires.


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Materielle Raumgrenzen

EinfallstraĂ&#x;en

Autobahn

Gleisareal

Hafenareal

Ein- und Ausgänge

Gewerbe- und Industriehallen

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Die visuellen Grenzen und Begegnungen - entstehen durch die Sichtbarkeit und die Wahrnehmung von Objekten und Subjekten. Die Villa 31 ist sichtbarer Ausdruck der städtischen Armut inmitten einer „reichen“ Stadt. Die Präsenz der Villa 31 im Stadtraum von Buenos Aires ist in besonderem Maß durch ihre Sichtbarkeit, ihre visuelle Beziehung zu der Siedlung geprägt. Denn allein 400. 000 Menschen sehen die Villa 31 täglich aus den an der Siedlung vorbeifahrenden Bussen, Zügen und Autos. Die visuellen Grenzen sind Verbindungen, die auf rein visueller Ebene entstehen - wie z.B. durch Sichtbeziehungen aus den vorbeifahrenden Bussen, Zügen und Autos oder von angrenzenden Wohnquartieren. Der Betrachter wahrt bei rein visuellen Verbindungen jedoch eine räumliche Reserviertheit durch eine gewisse physische Distanz zum Gegenüber. Die visuellen Begegnungen entwickeln sich erst bei direkten Begegnungen, einem Aufeinandertreffen von Villeros und Porteños im physischen Raum. Die räumliche Distanz ist dabei geringer als bei visuellen Verbindungen. Die meisten Begegnungen scheinen jedoch zufällig, nicht explizit beabsichtigt: Begegnungen im Bahnhofsviertel Retiro, beim Einkaufen im Supermarkt, bei der Arbeit, im Bus etc.. Austausch oder direkte Interaktionen finden meist nicht statt. In der Regel beschränkt sich der Kontakt auf ein visuelles Registrieren und eventuelles visuelles Abtasten. Mögliche Kontaktsituationen werden allerdings häufig, mit Vorstellungen oder Antizipationen von Konflikten verbunden und ihnen wird deswegen bewusst aus dem Weg gegangen. Die visuellen Verbindungen und Begegnungen setzen grundsätzlich Subjekte und Objekte in eine Beziehung zueinander. Unklar ist die individuelle Erfahrung, d.h. das Erlebnis dieser visuellen Verbindung und die Auswirkung auf den Einzelnen und seine Vorstellung vom Gegenüber. Denn es bleibt offen, ob die Verbindung und Wahrnehmung negative, ausgrenzende Assoziationen auslöst, die zu einer Grenze transformieren, oder einfach nur auf Desinteresse stößt, Mitleid oder gar Solidarität erregt.

Immaterielle Grenzen - entstehen durch gesellschaftliche oder individuelle „Grenzziehung“. Die Grenzen der Villa 31 können nicht ausschließlich auf physisch materielle Elemente oder räumliche Barrieren reduziert werden, sondern sollten auch als emotionale Phänomene verstanden werden. Immaterielle Grenzen

basieren auf Konventionen und spiegeln soziale, ökonomische, politische und kulturelle Dimensionen wider. Sie sind Produkte eigener oder infiltrierter Erfahrungen und Bilder im Kopf, die durch Ängste, Vorurteile, gesetzte Images und das Aufeinanderprallen fremder Welten entstehen. Im Allgemeinen werden sie durch Medien, Politik und Gesellschaft zusätzlich verfestigt. Die immateriellen Grenzen sind nicht immer offensichtlich und oft diffizil zu lesen oder aufzudecken, da sie kodiert und tief in der Gesellschaft, den alltäglichen Praktiken verankert sind. Die unterschiedlichen Einflüsse, die auf immaterielle Grenzen wirken und diese formen, sind für gewöhnlich nicht eindeutig zu bestimmen. Ihre Intensität ist wie die der visuellen Verbindungen subjektiv und beobachtungsabhängig. Der Angstraum als Grenze – die Villa 31 ist das Ende der Stadt inmitten der Stadt. Sie wird häufig als eine Gated Community ohne Mauern assoziiert, als ein für die außenstehende Bevölkerung abgeschlossener Teil der Stadt. Um die Villa 31 existiert zwar keine Mauer, doch die Kraft einer symbolischen Mauer wirkt sich ebenso stark auf das Verhältnis der Stadt zur Villa aus. Eine in der Gesellschaft fest verankerte Konvention – ein gemeinsames Verständnis, dass die Villa ein gefährlicher Ort sei – deklariert die Villa zu einer No Ir Gegend (no go area). Dabei wird auch ihr gesamtes direktes Umfeld zum Angstraum stigmatisiert (Interview Ricanati: 2009). Die immateriellen Grenzen schlagen sich somit auch räumlich nieder. Darüber hinaus sind diese Grenzen von Tag und Nacht abhängig. Das am Tag lebendige Bahnhofsviertel wirkt in der Nacht wie ausgestorben und der Angstraum der Villa 31 breitet sich nachts in Richtung Bahnhof aus. Die von Außenstehenden konstruierten Grenzen werden von den Villeros reproduziert und so als gegeben angenommen (vgl. Cravino 2008: 191). Es kommt zu einer Polarisierung, zur Entstehung zweier Fronten: EinenmZugehörigkeitsgefühl, das sich beidseitig durch ein „wir und die anderen“ beschreiben lässt. Doch die Situation ist noch weitaus komplexer, denn die Bewohner der Villa scheinen in vielerlei Hinsicht als das Abbild der untersten sozialen Stufe gesehen zu werden (vgl. Cravino 2008: 191). Somit ziehen sich die immateriellen emotionalen Grenzen durch fast alle gesellschaftlichen Ebenen. Die kulturellen Grenzen - die Villeros sind zum Großteil indigener Abstammung. Die ihnen vertrauten kulturellen Einflüsse unterscheiden sich von der europäisch beeinflussten Lebensweise der Porteños. Diese kulturellen Unterschiede zwischen den indigen und europäisch geprägten Lebensweisen sind stark in der argentinischen


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Gesellschaft verankert. Da die indigene Bevölkerung Argentiniens noch immer zur gesellschaftlichen Randgruppe zählt, hat die Ausgrenzung der Villeros aus der Stadtgesellschaft neben den sozioökonomischen Aspekten auch einen ethnokulturellen Ursprung. Diese kulturelle Differenz wird jedoch auch in einer freiwilligen Segregation von Seiten der Villeros gelebt. Das Leben in der eigenen Gemeinschaft, in der die eigenen kulturellen Praktiken einen hohen Stellenwert haben, führt zu einer introvertierten kollektiven Identität der Bewohner der Villa. Die Selbstausgrenzung ist zum Teil jedoch auch Folge der Stigmatisierung und Produkt der fehlenden Integration (Interview Irahola: 2009). Die ethnokulturellen Unterschiede in Zusammenhang mit der „Selbstausgrenzung“ verstärken die Berührungsängste und erschweren damit das Zusammentreffen zwischen den Villeros und Porteños. Die Diskriminierung der Villeros geht jedoch zum Teil noch über ihre (kulturelle) Abstammung hinaus und richtet sich grundsätzlich gegen Bewohner, die aus einer Villa Miseria kommen. Diese Stigmatisierung spiegelt sich auch im allgemeinen Sprachgebrauch wider, so wird in der Umgangssprache z.B. die Bezeichnung Villero Negro (schwarzer Villero) auch häufig als Schimpfwort gebraucht. Maria Christiana Cravino schreibt in diesem Zusammenhang, die „Anderen“ sehen den Villero als Synonym für einen Verbrecher (vgl. Caravino: 2008:192). Die sozialen Grenzen - die fehlende Anerkennung der Villeros in der argentinischen Gesellschaft spiegelt sich im alltäglichen Umgang der Porteños mit den Villeros wider. In der Villa zu leben bedeutet, vom gesellschaftlichen Leben der formellen Stadtgesellschaft ein Stück weit ausgegrenzt zu werden. Einer Erhebung von Christina Cravino zufolge beschränkt sich der Hauptteil der sozialen Kontakte der Villeros auf die in der Villa 31 lebende Bevölkerung (76,2 %) oder auf Bekannte in anderen Villas Miserias (Cravino 2006: 186). Außerdem werden in der Siedlung lebende Kinder grundsätzlich nicht auf anderen städtischen Schulen als den zwei direkt zur Villa 31 gehörenden Schulen akzeptiert (Interview López: 2009). Das führt dazu, dass schon sehr früh die Kontakte von Kindern der Villeros und Portenos verhindert werden und sich die Segregationsprozesse verstärken. Ein weiteres Problem ist die im Durchschnitt geringere Schulbildung der Villeros. Das liegt in erster Linie nicht an einem geringeren Unterrichtsstandard der staatlichen Schulen gegenüber den Privatschulen, sondern daran, dass die Klassen überfüllt und nicht ausreichend ausgestattet sind. Durch das häufig geringe Bildungsniveau der Villeros verringern sich deren Chancen

auf dem Arbeitsmarkt. Gerade im Bereich höher qualifizierter Arbeiten kann von einem Ausschluss vom formellen Arbeitsmarkt gesprochen werden. Teilweise stellen Betriebe grundsätzlich keine aus der Villa kommenden Menschen ein (Interview Irahola: 2009). Die Adresse der Villa ist ein Stigma, das ihren Bewohnern in sämtlichen Lebensweisen anhaftet. Die ökonomischen Grenzen - die fehlende Finanzkraft schließt die Bewohner der Villa vom formellen Wohnungsmarkt aus. Sie verfügen nicht über die ökonomischen Mittel, um die marktübliche Miete zu zahlen. Ohne ein geregeltes Einkommen gibt es in Buenos Aires keine Chance, die für die Anmietung einer Wohnung nötigen Garantien zu bekommen. Viele Menschen werden somit in die Informalität gedrängt. Durch die geringen ökonomischen Mittel, mit denen ein Großteil der Villa-Bevölkerung leben muss, werden diese auch aus anderen kommerziellen Aktivitäten und damit aus einem Teil des städtischen Alltags ausgegrenzt. Die institutionellen Grenzen - die Villa 31 wird durch ein nummeriertes Häuser-, Straßen- und Blocksystem dekodiert. Die administrative Einteilung sowie der von der Stadtverwaltung auferlegte Baustopp sind Versuche der Formalisierung des „informellen Raums“, um so eine gewisse Ordnung und Begrenzung innerhalb der Villa vorzunehmen. Darüber hinaus trägt der fehlende, aber essentielle Entscheidungswille von Seiten der Stadtverwaltung, die Villa 31 zu konsolidieren und der Siedlung somit einen rechtlichen Status zu verleihen, maßgäblich zur Ausgrenzung der Villa 31 bei. Denn warum sollte eine Villa Miseria von den Stadtbewohnern anerkannt werden, wenn sie in der Gesellschaft nicht als legal gilt. Außerdem wird besonders im Wahlkampf eine von der Politik aufgenommene Sicherheitsdebatte auf den Schultern der in der Villa lebenden Menschen ausgetragen. So gewann im letzten Wahlkampf der Lokalpolitiker Francisco de Narváez mit seinem Wahlslogan La seguridad se hace (die Sicherheit wird gemacht) zahlreiche Wählerstimmen für sich. Die Villeros werden dabei als kriminell stigmatisiert. Sie selbst werden - wenn überhaupt - mit leeren Wahlversprechen auf der Suche nach Wählerstimmen berücksichtigt, man versucht, sie ruhig zu stellen. Die immateriellen Grenzen tragen wesentlich zur Exklusion der Villa 31 und ihrer Bewohner aus der Stadtgesellschaft bei. Die beschriebenen immateriellen Grenzen sind zum Teil miteinander verwoben und können sich in ihrer Wirkung potenzieren.

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Ein Abbild wird zur Grenze Die unterschiedlichen Grenztypen - physisch materielle, immaterielle und visuelle - können sich gegenseitig bedingen und überschneiden. Diese Interdependenzen werden im folgenden Beispiel exemplarisch an einem strategisch wichtigen Grenzort kurz dargelegt. Die von der Autobahn sichtbare Silhouette der Villa 31 ist als Ergebnis baulich-räumlicher Realität eine Form der physisch materiellen Grenzen. Beim Passieren der Autobahn wird das Subjekt, der Fahrer oder der Beifahrer, mit dem Objekt, der Villa 31, über einen visuelle Verbindung (die Wahrnehmung) in eine Beziehung gesetzt. Die häufig als negativ assoziierte Villa-Architektur wird schnell zum weithin sichtabren Abbild des „Slums“: Die Silhouette wird zur „Slumskyline“. Diese Assoziation öffnet einen Angstraum und das Bedürfnis nach Distanz. So kann sich eine baulich-räumliche Realität durch ihre visuelle Wirkung über eine in der Gesellschaft implizierte Konvention (über das Vorurteil, den Slum als etwas Negatives zu sehen), zur immateriellen Grenze wandeln. Mit welcher Intensität sich die visuelle Verbindung zur immateriellen Grenze entwickelt, hängt trotz gesellschaftlich gesetzter Konventionen vom Betrachter ab, d.h. von der individuellen Betrachtungsperspektive. Durch den direkten räumlichen Bezug lassen sich die visuellen Verbindungen und die entstandene immateri-

elle Grenze allerdings im physischen Raum verorten und nehmen somit erneut Einfluss auf die materielle Grenze. Die Villa 31 ist ein räumliches Abbild der sozialen und gesellschaftlichen Dimensionen in Buenos Aires. Die theoretische Auseinandersetzung mit Grenzen und die konkrete Typologisierung haben verdeutlicht, an welchen Orten und mit welchen Grenzeigenschaften die Verbindung zwischen der Villa 31 und Buenos Aires sowie den jeweiligen Bewohnern besteht. Darüber hinaus wurde dargestellt, dass die Grenzen nicht nur physisch gedacht und betrachtet werden können, sondern vorwiegend in ihren immateriellen und somit auch sozialen Dimensionen berücksichtigt werden müssen. Diese Erkenntnis wirft in Hinblick auf die reale Anerkennung der Villa 31 jedoch auch die Frage auf, wie mit den immateriellen Grenzen umgegangen werden soll und wie diese thematisiert, gestaltet und verändert werden können, um das Verhältnis zwischen der Stadt Buenos Aires und der Villa 31 zu hinterfragen. Doch da die Stadt das Resultat von Überschneidungen und Gegensätzen ist, geht es bei der folgenden konzeptionellen Auseinandersetzung nicht um die Differenz zwischen Villa und Stadt an sich, sondern um den Umgang mit genau dieser Differenz. Denn auch die Villa 31 ist ein Teil der Stadt.

Blick von der Autobahn auf die Villa 31


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Blick aus der Villa 31 auf die Autobahn

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Ein Abbild wird zur Grenze: Visuelle Verbindung von der 端ber die Villa 31 hinwegf端hrenden Autobahn


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Die Intervention „31 – ein Teil der Stadt für einen Augen_Blick“ rückt die gegenwärtig fehlende Auseinandersetzung mit den immateriellen Grenzen der Villa 31 ins Blickfeld des Betrachters. Die Anonymität erhält ein Gesicht. Jeder wird zum Hinsehen aufgefordert, denn Alltäglichkeit macht unsichtbar. Die Grenzen werden dabei öffentlich zur Disposition gestellt, um so hinterfragt zu werden. Die sichtbare Referenz sind die in der Villa 31 lebenden Menschen.


wer würde die villa vermissen

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Die Existenzsicherung der Villa 31 ist gesetzt Am 03.12.2009 hat die Legislatura de la Ciudad de Buenos Aires (Parlament von Buenos Aires) mit eindeutiger Mehrheit für den Erhalt der Villa 31 und 31 bis gestimmt sowie ein Gesetz zur definitiven Urbanisierung und Konsolidierung der Siedlung erlassen. Der Gesetzesentwurf sichert den rechtlichen Rahmen für die Urbanisierung und garantiert den Bewohnern der Villa 31 und 31 bis das Recht auf einen „angemessenen“ Wohnraum auf der gegenwärtigen Fläche der Siedlung (siehe Anhang: Gesetzesentwurf Nº 2913-D-2008). Als Grundlage für die Urbanisierung der Villa 31 dient das Anteproyecto Urbano Barrio 31 Carlos Murgica, das seit 2003 unter der Leitung des Architekten Javier Fernandez Castro und seines Teams ausgearbeitet wird (siehe: Die unendliche Geschichte). Der Parlamentsabgeordnete Facundo Di Filippo, der maßgeblich an der Entscheidung für die Urbanisierung der Villa 31 beteiligt war, sagt in diesem Zusammenhang: „Es handelt sich um einen ersten Schritt, in dem die Hoffnung tausender Nachbarn, eine adäquate Lösung für ihrer Wohnproblematik zu finden, weiter konkretisiert wird.“ (La Nacion: 2009) Mit der Erlassung des Gesetzes zur Urbanisierung der Villa 31 setzt die Stadt Buenos Aires ein essentielles Zeichen und macht seit Jahren den ersten ernstzunehmenden Versuch, die Siedlung an ihrem derzeitigen Standort zu sichern. Die folgende konzeptionelle Auseinandersetzung nimmt das Urbanisierungsvorhaben zum direkten Anlass, noch einen Schritt weiter zu gehen als gewohnt. Dabei steht eine Herangehensweise im Mittelpunkt, die durch die klassischen Planungs- sowie Urbanisierungsinstrumente nicht vorgesehen, aber dennoch im Bezug auf die Grenzanalyse dringend notwendig erscheint. Denn die Produktion und Veränderung von Raum bedeutet weitaus mehr, als die alleinige Schaffung einer gebauten Umwelt. Eine zentrale Aufgabe, die Integration der Villa 31 in den Stadtraum von Buenos Aires, wird mit dem Urbanisierungsprojekt, einem ausschließlich räumlich ausgelegten Entwicklungsplan, nicht thematisiert. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen haben sich zwar verändert und auch die baulichen werden sich mit der Urbanisierung wohl verbessern, aber die Mechanismen, an denen sich die formelle Anerkennung grundsätzlich orientiert, berücksichtigen nicht, das gesellschaftlich eingeprägte, negativ dominierte Bild der Villa 31 zu hinterfragen und zu verändern. Auch nach der formellen Urbanisierung wird die Villa 31 so für den Großteil der Bevölkerung eine Villa Miseria und somit ein stigmati-

sierter, unzugänglicher Raum bleiben. Doch wie kann die in der Gesellschaft fest verankerte Marginalisierung der Villa 31 überwunden werden? In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, (wie) an vorhandenen immateriellen Grenzen zwischen der Villa 31 und Buenos Aires angesetzt werden kann, um diese zur Disposition zu stellen, offen zu hinterfragen und eine Modifikation anzustossen. Um so letztlich eine Neubewertung, neue Zugänglichkeiten zu ermöglichen. Denn nach der aufgestellten These ist eine langfristige Konsolidierung – die reale Anerkennung der Villa 31 - nur möglich, wenn die unsichtbaren, immateriellen Grenzen überwunden werden. In diesem Sinne wird die gegenwärtig fehlende Auseinandersetzung mit den immateriellen Grenzen zwischen der Villa 31 und Buenos Aires sowie den jeweiligen Bewohnern in den Mittelpunkt des konzeptionellen Vorgehens gerückt. Die Intervention „31 – ein Teil der Stadt für einen Augen_Blick“ ist ein Baustein in Richtung einer realen Anerkennung der Villa 31 als Teil der Stadt durch das Hinterfragen von immateriellen Grenzen.


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S端dlicher Eingang der Villa 31

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Die Intervention „31 - ein Teil der Stadt für einen Augen_Blick“ legt ein Bild über die Anonymität, um das Unsichtbare sichtbar zu machen, ihm ein Gesicht und damit eine erfahrbare Identität zu geben. Denn wie bei vielen anderen informellen Siedlungen Lateinamerikas gilt auch für die im Stadtraum an sich präsente Villa 31: „Die Bewohner der informellen Stadt sind die Anderen und sie werden trotz ihres hohen Maßes an Sichtbarkeit unsichtbar.“ (Agrest 2005: 347), Denn die Villa 31 wird nicht als Teil der Stadt, sondern als ihre Antithese, eine abgeschlossene Enklave, empfunden und ihre Bewohner werden aus der Stadtgesellschaft ausgegrenzt. Die Intervention „31 - ein Teil der Stadt für einen Augen_ Blick“ hebt neue Bilder in den Vordergrund, um so die in der Gesellschaft fest verankerten Bilder bzw. Vorurteile zu ersetzen und letzlich die Wahrnehmung des Einzelnen zu verändern. Ziel ist es, die immateriellen Grenzen zwischen der Siedlung und Buenos Aires öffentlich zu hinterfragen und so einen Anfang zu einer Grenzaufweichung zu generieren. Im konzeptionellen Denken stets präsent ist die von ifau aufgestellte Arbeitsthese: Ohne Lösung - Versuche nicht, soziale Probleme mit architektonischen Mitteln zu lösen (Fezer (ifau), Entwurfsprobleme städtischer Wirklichkeiten, Vortrag auf Kampnagel, Hamburg, 2009). Denn ein fertiges Konzept, das auf einen fixen Endzustand ausgerichtet ist, steht der sich prozesshaft entwickelnden Villa 31 entgegen. Rein architektonische Ansätze können nicht immer die adequate Lösung bieten, sondern verdecken zum Teil bestehende Probleme. Manchmal geht es vielmehr darum, Realitäten offenzulegen, als mit Design Probleme zu adressieren. Das Konstrukt der Stadt

ist weitaus komplexer und im spezifischen Fall der Villa 31 ist es wichtig, sich zu diesem Zeitpunkt nicht in Entwurfsdetails zu verlieren, sondern zu versuchen, weitere Wege des Umgangs zu finden, aufzuzeigen und zu nutzen. In direkter Anlehnung an die Arbeiten des französischen Fotografen, Aktivisten und Public Art-Künstlers JR. werden die Protagonisten der Villa 31 fotografisch porträtiert und ihre Abbilder überdimensional an die Hauswände, Dächer, Busse, Züge und Reklamemasten in der Stadt plakatiert. Die Intervention ist die sichtbare Referenz an die in der Villa 31 lebenden Menschen. Sie richtet sich gegen das alltägliche Weggucken und steht für die Wahrnehmung der Villa 31 und ihrer Bewohner als Teil der Stadt. Doch erst die besondere Lage der Villa 31, ihre eigentliche Präsenz im Stadtraum und die visuellen Verbindungen machen die Intervention für einen Augen_Blick möglich. Die Bilder zwingen den flüchtigen Passanten zum Hingucken, denn sie sind überall.


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Siedlungsstruktur der Villa 31 mit den Abbildern ihrer Protagonisten

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Irritation als Methode Die Bewohner von Buenos Aires erhalten nach Zufallsprinzip per Post eine Postkarte mit einer These, den für die Diskussion über die Villa 31 gesetzten Paradigmen. Auf der Rückseite wird der Empfänger zum Aktionstag am 31.03.2010 am Hauptbahnhof Retiro eingeladen. Das Datum ist eine Art verschlüsselte Botschaft, da zu diesem Zeitpunkt nicht kommuniziert wird, dass es sich bei der Aufforderung um eine Einladung in die Villa 31 handelt. So kann im Vorfeld Aufmerksamkeit gewonnen, Interesse geweckt und vor allem eine erweiterte öffentliche Diskussion entfacht werden. Die gesamte Aktion funktioniert nach dem Prinzip der Neugier, durch das ein breites Interesse in der Öffentlichkeit provoziert werden soll: Der Nachbar wird gefragt, ob auch er eine Postkarte erhalten hat, in den Bussen fängt es an zu tuscheln, die Botschaften verbreiten sich Stück für Stück in der gesamten Stadt.

(Irritation) Alltäglichkeit macht unsichtbar (Transformation) Der Anonymität ein Gesicht geben (Gemeinschaft) Die Grenze gehört keinen Nachbarn allein

(Verwebung) Die Stadt ist das Resultat von Überschneidungen

(Handeln) Grenzen sind Vereinbarungen, deren Bedeutung durch ihren Gebrauch bestimmt wird

(Weitsicht) Undurchdringliche Räume können sich durch andere Perspektiven neu erschließen


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Reklamemast Bus Zug Hauswand Dach

Interventionsorte

Aktionstag 31.03.10. um 10:30 Uhr - an diesem Tag breitet sich die Villa 31 durch die Abbilder ihrer Protagonisten in den gesamten Stadtraum aus. F端r einen Moment, also einen Augen_Blick, sind die Augen der Villa 端berall, blicken die Menschen direkt an und wollen angesehen werden. Die in der Allt辰glichkeit unsichtbar gewordene Villa 31 bekommt ein Gesicht und wird sichtbar.


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Auf Bussen und Bahnen plakatiert, werden die Gesichter der Villa 31 in die gesamte Stadt getragen, bis hin zu jenen Orten, an denen die Protagonisten der Villa 31 vielleicht nie zuvor waren und wo auch die vor Ort lebenden Menschen keinen Bezug zur Villa 31 haben (1).


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Die mit den Protagonisten plakatierten Hausw채nde und Reklamemasten befinden sich an strategisch wichtigen Orten, den Grenzr채umen, von denen eine hohe Sichtbarkeit und visuelle Verbindung zum Stadtraum von Buenos Aires ausgeht (2).

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(3)


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Die Dächer der Häuser in der Villa werden ebenfalls plakatiert. Die Dächer sind von der angrenzenden und überführenden Autobahn und den benachbarten höheren Gebäuden gut sichtbar. Da die Villa in der Einflugschneise des nationalen Flughafens liegt (4 km von der Villa entfernt), wird sogar ein Betrachten aus der Luft möglich (4).

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31 - ein Teil der Stadt für einen Augen_Blick

Mit den Bildern sind die Gesichter der Villa 31 nicht nur überall in der Stadt und verschwinden dann wieder. Der Aktionstag (31.03.10) bietet darüber hinaus die Möglichkeit zu direktem Kontakt und zur Überwindung der Grenzen direkt vor Ort. Die Menschen, die der Einladung der Postkarten gefolgt sind, werden am Vormittag des 31.03.10 von Bewohnern aus der Villa am Hauptbahnhof in Retiro erwartet. In Retiro sind zu diesem Zeitpunkt bereits die Busse und Züge mit den Porträts der Villa plakatiert. Die Bewohner führen die Besucher zu einem direkt neben der Villa gelegenen leerstehenden Hochhaus. Das Dach wird zur Aussichtplattform, von dem aus die gesamte Siedlung überblickt werden kann. Anstelle einer uniformen Masse kleiner Gebäude blicken ihnen an diesem Tag die Gesichter des Stadtteils entgegen. Doch anstatt die Villa nur aus der Vogelperspektive zu betrachten, besteht auch die Möglichkeit zur direkten Interaktion. An ausgewählten, strategischen Orten werden die Besucher in der Villa empfangen, wie beispielsweise in dem direkt gegenüber dem Hochhaus gelegenen Comedor Arca de Noé. Außerdem zeigen die Bewohner der Villa ihre Siedlung bei einem kleinen Rundgang. (5) Villa 31 La Perspicacia - die Weitsicht

Noch über 31 Tage gucken einen die überdimensionalen Augen direkt an. Das Abbild der Villa 31 schreibt sich in die Stadt und das Bewusstsein ihrer Bewohner ein.

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Wirkung der Aktion Bei der Intervention „Ein Teil der Stadt für einen Augen_ Blick“ geht es um keine wie in Brasilien jüngst etablierte Form der Favela Tours, sondern um eine Form der Annährung, die in erster Linie allein durch die Präsenz der Bilder zum Nachdenken anregen soll. Erst in zweiter Linie geht es darum, die Bevölkerung zu erreichen, um einen direkten Kontakt zwischen den unterschiedlichen Bewohnern von Buenos Aires zu ermöglichen. Durch die Intervention wird eine visuelle und reale Berührungsfläche geschaffen, ein Art Verhandlungsraum , der Annährung und Konflikt zugleich zulässt. Denn die Aktion kann provozieren, Mitleid oder auch Anerkennung auslösen. Das hängt vom Betrachter ab und steht nicht im Vordergrund, solange ein Nachdenken angeregt wird. Denn es wird etwas angestoßen, es kommt etwas in Bewegung und Bewegung ist der Anfang für Veränderung. Durch die über die Anonymität gelegten Bilder wird das Unsichtbare sichtbar: Die Aktion bringt die Villa 31 in eine erweiterte öffentliche Diskussion und wirft auf unterschiedlichen Ebenen Fragen an den individuellen Betrachter auf. Der irritative Ansatz zielt darauf ab die Beziehung zwischen den Dingen - den Bewohnern der Stadt - zu verändern und letztlich in Ergänzung zu dem formellen Konsolidierungsprojekt der Villa 31 auch indirekte Veränderungen im gebauten Raum zu bewirken: denn Raum entsteht auch im Kopf. Prozesse, die auf die Veränderung der Wahrnehmung abzielen, können jedoch nur ein Anfang für ein Umdenken und der Beginn für langwierige Wandlungsprozesse sein. Die Intervention „31 - Ein Teil der Stadt für einen Augen_Blick“ versteht sich als eine Art Raumöffner, der einen Veränderungsprozess zwischen der Villa 31 und Buenos Aires einleitet bzw. provoziert. In der Wahrnehmung verschlossene Räume werden geöffnet, um so neue Zugänglichkeiten zu schaffen. Das Konzept zeigt nur einen Ansatz, eine temporäre Aktion, die auch in ihrer Wirkung zeitlich begrenzt sein wird und deren Erfolg deshalb nicht überbewertet, jedoch auch nicht unterschätzt werden darf. Die Intervention schafft die Möglichkeit einer ersten Begegnung und öffnet darüber hinaus den Raum für neue Wahrnehmungen, Interaktionen und folgende Interventionen. Sie kann zum Motor für weitere Aktionen werden, um so letztendlich immaterielle Grenzen infrage zu stellen und die Villa 31 als Teil der Stadt anzuerkennen.


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Villa 31


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Epilog

Epilog Die Villa 31 ist Realität und sie ist ein Teil der Stadt Die Arbeit 31 – ein Teil der Stadt stellt einen Beitrag zum Verständnis und der Anerkennung der Siedlung. Sie schließt nicht die vorhandene Leerstelle der Forschung, setzt jedoch direkt dort an. Beginnend mit der Analyse wurde die ihr eigene strukturelle Ordnung und Kultur der Villa 31 sowie ihrer Protagonisten offen gelegt und für den Leser erfahrbar gemacht. Sich der Logik der Entwicklung, der spezifischen Parameter der Villa 31 anzunehmen, sich auf diese einzulassen und sie nachvollziehbar darzulegen, trägt bereits einen Teil zur realen Annerkennung der Siedlung bei. Der konzeptionelle Ansatz steht somit nicht für sich allein, sondern greift auf eine dichte Analyse der Siedlung und des Grenzgebietes zurück. Die Intervention „31 - ein Teil der Stadt für einen Augen_Blick“ zeigt eine mögliche Richtung auf, die bislang im Umgang mit der Villa 31 und ihren Grenzen keine oder nur wenig Beachtung erfahren hat. Dabei können keine allgemeingültigen Antworten und Lösungen für die Integration der Siedlung gegeben werden, denn Prozesse, die auf einen Perspektivwechsel und die Veränderung der Wahrnehmung abzielen, sind langwierige Prozesse. So darf der konzeptionelle Ansatz in diesem Zusammenhang nicht für sich allein gesehen werden, sondern als Einleitung eines Prozesses. Die Intervention öffnet den Raum für weitere Maßnahmen, die folgen müssen, um immaterielle Grenzen und fest verankerte Vorurteile zu hinterfragen und letztlich verändern zu können. Mit der vorliegenden Arbeit soll nicht der Eindruck erweckt werden, baulich- räumliche Eingriffe und Maßnahmen seien im Fall der Villa 31 nicht erforderlich, um die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort zu verbessern. Ganz im Gegenteil, jeder Mensch hat das Recht auf einen angemessenen Wohnraum und das bedeutet auch, nicht unterhalb einer Autobahn leben zu müssen. Die Prioritäten wurden im Rahmen der Arbeit jedoch vor allem auf das Recht eines jeden Menschens, als Teil der Gesellschaft respektiert und anerkennt zu werden, gelegt. Die Arbeit richtet dabei nicht den erhobenen Zeigefinger nach Argentinien, sondern zeigt einen möglichen Umgang, der prinzipiell viel zu selten Beachtung im Alltag der konventionellen Planungspraxis findet. Mit dem kürzlich erlassenen Gesetz zur Konsolidierung der Villa 31 scheint die Existenzsicherung der Siedlung

Realität werden zu können. Durch die rechtliche Grundlage wird ein weiterer konzeptioneller Umgang, der neue Wege für den Umgang mit der Villa 31 aufzeigt, allerdings nicht nur ermöglicht, sondern vor allem dringend erforderlich. Sonst bleibt die reale Anerkennung der Villa 31 eine unerreichbare Utopie.


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wer w端rde die villa vermissen

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Glossar Comedor Comunitario: Gemeinnützige Volksküche mit sozialen und gemeinschaftlichen Funktionen Cartoner: Papiersammler Institito de Vivienda de la Ciudad de Buenos Aires (IVC): Städtisches Wohnungsbauinstitut von Buenos Aires, auch in den Villas Miserias zuständig Porteño: Bewohner einer Hafenstadt, gängige Bezeichnung für die Bewohner von Buenos Aires Subsecretaría de Planeamiento Ciudad Autónoma de Buenos Aires: Stadtplanungsamt der Stadt Buenos Aires Unidad de Gestión de Intervención Social (UGIS): Institut zur Leitung sozialer Interventionen, zuständig für die Urbanisierung der Villas Miserias Villa Miseria (Villa): Marginalsiedlungen, die durch Informelle Landbesetzungen entstanden sind Villero: Bewohner der Villa Ante-Proyecto de Urbanización – Barrio 31 Carlos Mugica: Vorbereitende Untersuchung zur Urbanisierung der Villa 31, unter der Leitung des Architekten Javier Fernandez Castro

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Gesetze Legislatura de la Ciudad Autónoma de Buenos Aires (2009): Ley de urbanización Villas 31 y 31 bis de Retiro / Barrio Carlos Mugica. Texto Consensuado – Despacho 888/09.

Interviews Beime, Jan (2009): Student aus Deutschland. sechsmonatiger Studienaufenthalt in Buenos Aires. 20.05.2009 in Buenos Aires Cravino, Maria Christina (2009): Anthropologin. 13.06.2009 in Buenos Aires Duarte, Beatriz (2009): Bewohnerin der Stadt Buenos Aires. 19.06.2009 in Buenos Aires Fernández Castro, Javier (2009): Architekt. 03.07.2009 in Buenos Aires Garcia, Alejandra (2009): Bewohnerin der Villa 31, Buenos Aires. 15.05.2009 in Buenos Aires

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Garcia Ortiz, Grisela (2009): Stadtplanungsamt der Stadt Buenos Aires. 09.06.2009 in Buenos Aires Godoy, Domingo Thomas (2009): Mitarbeiter des IVC in der Villa 31. 10.06.2009 in Buenos Aires Irahola, Humberto (2009): Lehrer für Erwachsenenbildung in der Villa 31. 13.06.2009 in Buenos Aires López, Dora (2009): Bewohnerin der Villa 31 Buenos Aires. 12.06.2009 in Buenos Aires Lugos, Annahi Jesica (2009): Bewohnerin Villa 31, Buenos Aires. 18.06.2009 in Buenos Aires Norberto Lembo; Jorge (2009): Architekt. 18.06.2009 in Buenos Aires Mosquera, Walter (2009): Mitarbeiter der UGIS. 31.03.2009 in Buenos Aires Ogrotnik, Raul Antonio (2009): Bewohner der Buenos Aires. 14.05.2009 in Buenos Aires Ricanati, Barbara (2009): Bewohnerin der Stadt Buenos Aires. 12.05.2009 in Buenos Aires Rodolfo Chiodini (2009): Bewohner der Stadt Buenos Aires. 05.06.2009 in Buenos Aires Savarino, Sergio (2009): Technischer Leiter der UGIS. 28.05.2009 in Buenos Aires

Abbildungsverzeichnis Abbildungen nach Seiten (S. 6) Landkarten: Eigene Darstellung. (S.11) Abbildung Villa 31: Eigene Aufnahme. (S. 21) Karte Sozioökonomische Aufteilung von Buenos Aires: Eigene Darstellung basierend auf Mapa N.1 Diagnostico de la Emergencia Habitacional en la Ciudad

Autonoma de Buenos Aires (2008). (S. 21) Karte Durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen nach Stadtteilen: Eigene Darstellung basierend auf Mapa N. 3 Diagnostico de la Emergencia Habitacional en la Ciudad Autonoma de Buenos Aires (2008). (S. 21) Karte Durchschnittsmiete nach Stadtteilen: Eigene Darstellung basierend auf Mapa N. 16 Diagnostico de la Emergencia Habitacional en la Ciudad Autonoma de Buenos Aires (2008). (S. 23) Abbildung Nationalkongress Buenos Aires: Eigene Aufnahme. (S. 26) Grafik Bevölkerungsentwicklung in den Villas Miserias: Eigene Darstellung basierend auf Cravino, Maria Cristina (2006): Población en las Villas de la Ciudad de Buenos Aires. S. 47. (S. 27) Karte Verortung und Größe der Villas Miserias: Eigene Darstellung basierend auf Mapa N. 23 Diagnostico de la Emergencia Habitacional en la Ciudad Autonoma de Buenos Aires (2008). (S. 28) Grafik Buenos Aires: Eigene Darstellung basierend auf Cravino, Maria Cristina (2006): Población en las Villas de la Ciudad de Buenos Aires. S. 42. (S. 28) Grafik Buenos Aires Region: Eigene Darstellung basierend auf Cravino Maria Cristina (2006): Población en las Villas Area Metropolitana. S. 42. (S. 29) Karte Verortung und Größe der Nuevos Asentamientos: Eigene Darstellung basierend auf Mapa N. 24 Diagnostico de la Emergencia Habitacional en la Ciudad Autonoma de Buenos Aires (2008). (S. 29) Grafik Wohnformen der Wohnungsnot: Eigene Darstellung basierend auf Diagnostico de la Emergencia Habitacional en la Ciudad Autonoma de Buenos Aires (2008). (S. 33) Abbildung Alejandra Garcia: Eigene Aufnahme. (S. 33) Karte Buenos Aires: Eigene Darstellung basierend auf www.mapa.buenosaires.gov.ar (S. 34) Abbildung Jan Beime: Eigene Aufnahmen. (S. 34) Karte Buenos Aires: Eigene Darstellung basierend auf www.mapa.buenosaires.gov.ar (S. 35) Abbildung Humberto Irahola: Eigene Aufnahme.


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(S. 35) Karte Buenos Aires: Eigene Darstellung basierend auf www.mapa.buenosaires.gov.ar (S. 36) Abbildung Barbara Ricanati: Eigene Aufnahme. (S. 36) Karte Buenos Aires: Eigene Darstellung basierend auf www.mapa.buenosaires.gov.ar (S. 37) Abbildung Annahi Jesica Lugos: Eigene Aufnahme. (S. 37) Karte Buenos Aires: Eigene Darstellung basierend auf www.mapa.buenosaires.gov.ar (S. 38) Abbildung Raul Antonio Ogrotnik Feinen: Eigene Aufnahme. (S. 38) Karte Buenos Aires: Eigene Darstellung basierend auf www.mapa.buenosaires.gov.ar (S. 39) Abbildung Domingo Thomas Godoy: Eigene Aufnahme. (S. 39) Karte Buenos Aires: Eigene Darstellung basierend auf www.mapa.buenosaires.gov.ar (S. 40) Karte Buenos Aires: Eigene Darstellung basierend auf www.mapa.buenosaires.gov.ar (S. 41) Abbildung Rodolfo Chiodini: Eigene Aufnahme. (S. 41) Karte Buenos Aires: Eigene Darstellung basierend auf www.mapa.buenosaires.gov.ar (S. 47) Abbildung Zwangsräumung der Villa 31 während der Militärdiktatur: In Prohibido Vivir Aquí. Blaustein, Eduardo (2006). (S. 47) Abbildung Villa 31 nach der Zwangsräumung 1979: In Prohibido Vivir Aqui. Blaustein, Eduardo (2006). (S. 48) Karten Räumliches Wachstum der Villa 31: Eigene Darstellung basierend auf Bewohneraussagen. (S. 48) Grafik Bevölkerungsentwicklung der Villa 31: Eigene Darstellung basierend auf Cravino, Maria Cristina (2006): Población en la Villa 31 y 31 bis la Ciudad de Buenos Aires. S. 47. (S. 50) Karte Masterplan Villa 31: Ante-Proyecto de Urbanización – Barrio 31 Carlos Mugica www.riurb.com/ n3/03_03_FernandezCastro.pdf

(S. 52) Abbildung Eingang Villa 31: Eigene Aufnahme. (S. 53) Karte Lage der Villa 31: Eigene Darstellung basierend auf www.mapa.buenosaires.gov.ar (S. 54) Karte städtischer Kontext Villa 31: Eigene Darstellung basierend auf Kartengrundlage und Luftbild Gobierno de la Ciudad Autonoma de Buenos Aires – Ministerio de Desarollo Urbano (2009). (S.56) Karte Villa 31 und Villa 31 bis: Eigene Darstellung basierend auf Luftbild Gobierno de la Ciudad Autonoma de Buenos Aires – Ministerio de Desarollo Urbano (2009). (S. 57) Abbildung Haus Villa 31: Eigene Aufnahme. (S. 58) Karte Stadtteile Villa 31: Eigene Darstellung basierend auf Kartengrundlage und Luftbild Gobierno de la Ciudad Autonoma de Buenos Aires – Ministerio de Desarollo Urbano (2009), und Plano General 31 y 31 bis IVC. (S. 61) Karte Erschließung Villa 31: Eigene Darstellung basierend auf Kartengrundlage und Luftbild Gobierno de la Ciudad Autonoma de Buenos Aires – Ministerio de Desarollo Urbano (2009). (S. 62) Karte Straßen und öffentlicher Raum Villa 31: Eigene Darstellung basierend auf Kartengrundlage und Luftbild Gobierno de la Ciudad Autonoma de Buenos Aires – Ministerio de Desarollo Urbano (2009). (S. 63) Abbildungen Heiligenfiguren Villa 31: Eigene Aufnahme. (S. 64) Karte Südamerika: Eigene Darstellung basierend auf Kartengrundlage http://en.wikipedia.org/wiki/ File:BlankMap-World6.svg. (S. 64) Grafik Bevölkerungszusammensetzung in der Villa 31: Eigene Darstellung basieren auf Daten Gobierno de la Ciudad Autónoma de Buenos Aires, Sindicatura general de la Ciudad (2009). (S. 64) Grafik Bevölkerungszusammensetzung im Detail: Eigene Darstellung basierend auf Daten Gobierno de la Ciudad Autónoma de Buenos Aires, Sindicatura general de la Ciudad (2009). (S. 65) Grafik Armutsraten: Eigene Darstellung basierend auf Daten Gobierno de la Ciudad Autónoma de Bu-

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enos Aires, Ministerio de Desarollo Economico (2009). (S. 66) Karte Siedlungsstruktur Buenos Aires und Villa 31: Eigene Darstellung basierend auf Kartengrundlage und Luftbild Gobierno de la Ciudad Autonoma de Buenos Aires – Ministerio de Desarollo Urbano (2009). (S. 68) Karte Schwarzplan Villa 31: Eigene Darstellung basierend auf Luftbild Gobierno de la Ciudad Autonoma de Buenos Aires – Ministerio de Desarollo Urbano (2009). (S. 70) Karte Siedlungswachstum Villa 31: Eigene Darstellung basierend auf Luftbild Google Earth und Luftbild Gobierno de la Ciudad Autonoma de Buenos Aires – Ministerio de Desarollo Urbano (2009). (S. 72) Abbildung Schild Villa 31: Eigene Aufnahme. (S. 73) Grafik Gründe in der Villa 31 ein Haus zu kaufen: Eigene Darstellung basierend auf eigener Erhebung durch Cravino, Maria Cristina (2006): Criterios para comprar la Vivienda en el Barrio. S. 176.

lung basierend auf eigenen Beobachtungen und Kartengrundlage Gobierno de la Ciudad Autonoma de Buenos Aires – Ministerio de Desarollo Urbano (2009). (S.117) Grafik Materielle Raumgrenzen: Eigene Darstellung. (S. 118-119) Karte Verortung Grenzen und visuelle Verbindungen: Eigene Darstellung basierend auf Kartengrundlage Gobierno de la Ciudad Autonoma de Buenos Aires – Ministerio de Desarollo Urbano (2009). (S. 122) Abbildung Villa 31 von der Autobahn aus: Eigene Aufnahme. (S. 123) Abbildung Villa 31 Blick auf die Autobahn: Eigenen Aufnahme. (S. 124) Abbildungen Villa 31 von der Autobahn aus: Eigene Videoaufnahme. (S. 131) Abbildung Villa 31: Eigene Aufnahme.

(S. 74) Grafik Materialität der Häuser: Eigene Darstellung basierend auf eigener Erhebung durch Cravino, Maria Cristina (2006): Calidad constructiva de la vivienda. S. 152.

(S. 132 -133) Karte Schwarzplan Villa 31 mit Protagonisten: Eigene Darstellung basierend auf Luftbild Gobierno de la Ciudad Autonoma de Buenos Aires – Ministerio de Desarollo Urbano (2009).

(S. 75) Abbildung Typologie Villa 31: Eigene Aufnahme. (S. 134) Postkarte Irritation: Eigene Darstellung. (S. 77) Abbildung Material Stopp Villa 31: Eigene Aufnahmen. (S. 79) Grafik Comedores Comunitarios: Eigene Darstellung basierend auf eigener Erhebung durch Cravino, Maria Cristina (2006): Asistencia a Comedores escolares y comunitarios. S. 194.

(S. 135) Karte Interventionsorte: Eigene Darstellung basierend auf Kartengrundlage Gobierno de la Ciudad Autonoma de Buenos Aires – Ministerio de Desarollo Urbano (2009). (S.136) Abbildung Fotokollage Bus Retiro: Eigene Darstellung und eigene Aufnahme.

(S. 79) Abbildung Hauswand Villa 31: Eigene Aufnahme. (S. 81) Abbildung Wandgemälde Villa 31: Eigene Aufnahme. (S. 83) Abbildung Laden Villa 31: Eigenen Aufnahme. (S. 86) Abbildung Aufkleber Villa 31: Eigene Aufnahme.

(S. 137) Abbildung Fotokollage Hauswand Villa 31: Eigene Darstellung und eigene Aufnahme. (S. 138) Abbildung Fotokollage Reklamemast Villa 31: Eigene Darstellung und eigene Aufnahme. (S. 139) Abbildung Fotokollage Dächer Villa 31: Eigene Darstellung und eigene Aufnahme.

(S. 89) Abbildung Villa Pompeii: Eigene Aufnahme. (S. 94) Karte Verortung Bild- und Tonkollage: Eigene Darstellung basierend auf Kartengrundlage Gobierno de la Ciudad Autonoma de Buenos Aires – Ministerio de Desarollo Urbano (2009). (S. 96 - 110) Karte Bewegungsströme: Eigene Darstel-

(S. 140) Abbildung Fotokollage Hochhaus Villa 31: Eigene Darstellung und eigene Aufnahme. (S. 143) Abbildung Villa 31: Eigene Aufnahme. (S. 145) Abbildung Villa 31: Eigene Aufnahme.


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LEGISLATURA DE LA CIUDAD DE BUENOS AIRES TEXTO CONSENSUADO - DESPACHO 888/09 LEY de urbanización villas 31 y 31 bis de Retiro / Barrio CARLOS MUGICA Visto: El expediente Nº 2913-D-2008 iniciado por el Diputado Facundo Di Filippo, por el cual se dispone la urbanización definitiva del polígono correspondiente a las villas 31 y 31 bis y, Considerando: Que, la Villa 31, junto con la Villa 31 bis, es una de las villas más grande, más antigua y más poblada de la Ciudad. Según el último censo realizado por el IVC en los años 2003 y 2004 en la villa 31 habitaban 2860 familias y 8934 personas, y en la villa 31 bis habitaban 1783 familias y 5650 personas1. Que, de acuerdo al último relevamiento realizado por la Sindicatura de la Ciudad en el año 2007, en la Villa 31 habitan 4200 familias y 16800 personas, y en Villa 31 Bis 3900 familias y 15600 personas2. En la actualidad los vecinos y referentes barriales estiman que viven allí más de 35.000 habitantes. Que, ubicada en el barrio de Retiro, la villa cuenta con aproximadamente setenta (70) años de existencia y otros tantos años de reclamos de radicación definitiva. Conjuntamente con la denominada Villa 31 Bis, conforman en realidad un solo barrio, unido por debajo de la autopista Illia. Las siguientes imágenes resultan ilustradoras respecto de los actuales alcances de la villa: Que, en general, las condiciones de vida son precarias, sus habitantes no logran un acceso adecuado a redes de agua y servicios sanitarios, gas natural, telefonía, recolección de residuos y energía eléctrica, sistemas que se encuentran normalmente colapsados. Asimismo, la falta de diagramación y mal estado de calles internas y espacios verdes dificultan el tránsito dentro del barrio y generan enormes inconvenientes a sus habitantes los días de lluvia. Que, estas condiciones forman parte de la falta de acceso de los habitantes a una vivienda adecuada, que se produce en el marco de la falta de planificación y ejecución de políticas públicas tendientes a la radicación del barrio. Que, el barrio se emplaza sobre tierras cuya titularidad pertenece al Estado Nacional. Se encuentra en administración directa del ONABE un sector, y

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Cuadro "Datos estadísticos comparados de Villas, N.H.T. y Barrios" disponible en www.buenosaires.gov.ar. Sindicatura General de la Ciudad, Informe Especial UPE Nº 3, "Diagnóstico Institucional: Asentamientos Precarios, Villas, NHT, Inmuebles intrusados, Barrios Municipales y Complejos habitacionales"

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el resto de los sectores está concesionado a operadores ferroviarios de carga o en jurisdicción de la Administración General de Puertos. Que, tanto normas locales como nacionales han reconocido el derecho de los habitantes de permanecer en el lugar que históricamente ocupan. Así, el Decreto 1001/90 de fecha 24 de mayo de 1990, autoriza la venta de los inmuebles del Estado Nacional que se declaren innecesarios a sus actuales ocupantes o las formas asociativas legalmente constituidas que los representen en su totalidad y ordena la regularización dominial (entre los terrenos afectados por este decreto, se encuentra una gran porción de territorio de la villa 31). A través de esta norma se reconoce la ocupación pacífica e ininterrumpida por parte de sectores de población de escasos recursos de lotes de propiedad del Estado Nacional ya que una necesidad básica insatisfecha fundamental para estos sectores es la vivienda. Asimismo, para los terrenos que se encontraban dentro de la jurisdicción de la Municipalidad de de Buenos Aires, se encomendaba a la Comisión Municipal de la Vivienda organizar la venta de los lotes, de lo que surge la responsabilidad compartida entre el Gobierno Nacional y el Gobierno local en lograr la regulación de los lotes pertenecientes al barrio incluidos en este decreto. Que, posteriormente, la Ley de 23.967 (y su reglamentación a través del Decreto 591/92) estableció los mecanismos y pasos para lograr la regularización dominial de las tierras fiscales del Estado Nacional a favor de sus ocupantes. La operatoria a cargo del Programa Arraigo no realizó los avances técnicos y normativos necesarios para lograr el traspaso de las tierras de la Villa 31. Que, en 1989, el Gobierno de la Municipalidad de Buenos Aires lanzó el “Programa de Integración y Radicación de Villas de la Capital Federal”. El programa partía del reconocimiento del derecho a la vivienda digna consagrado en la Constitución Nacional y se concertó junto con los habitantes de las distintas villas, en la llamada mesa de Concertación, a la cual fueron convocados y participaron integrantes del Barrio Villa 31. Que la existencia de este programa refleja la inequívoca voluntad del estado local, al cual se sumaría el gobierno federal, de urbanizar, radicar y regularizar la Villa 31. Más aún, este plan contemplaba la coordinación con distintos organismos de la Ciudad y del Estado Nacional. La importancia de este programa consistió en que consolidó el criterio de radicación como eje para la solución de los problemas de los asentamientos informales. Asimismo, una de las cuestiones centrales fue la adaptación de las normas urbanas a la realidad de los barrios, para que estos puedan ser efectivamente radicados y urbanizados. Que, en efecto, la Ordenanza MCBA N° 44.873 establece los lineamientos generales del Plan de Urbanización que impulsó las modificaciones al Código de Planeamiento Urbano necesarias para encuadrar normativamente la regularización dominial de las villas. Esta ordenanza, que es la que le otorga la zonificación a parte del barrio en la actualidad (de acuerdo a las dimensiones que


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tenía al momento de su sanción), estableció características específicas en cuanto al parcelamiento, las normas de tejido y los permisos. Específicamente esta norma ordena al Poder Ejecutivo local que en un plazo de 60 días, previo a la iniciación de las obras, eleve al Consejo Deliberante el diseño urbanístico de cada subdistrito, debiendo contemplar la ejecución y la apertura de calles y sendas necesarias para la dotación de infraestructura, el acceso a las viviendas y la localización de los equipamientos comunitarios. Además, afirma expresamente que lo hace en cumplimiento de lo dispuesto por el Decreto PEN 1001/90, entre otros. Que, el Código de Planeamiento Urbano, Ley local Nº 449, concentra esta normativa y establece los distritos U, como zonas que, con la finalidad de establecer o preservar conjuntos o sectores urbanos de características diferenciales, son objeto de regulación integral en materia de uso, ocupación, subdivisión del suelo y plástica urbana. Los subdistritos U31 se destinarán a actividades residenciales de densidad media y media baja, admitiéndose usos mixtos compatibles con la vivienda. A su vez, el subdistrito U31 h abarca una gran porción de territorio de la villa 31 y a través de esta norma se generan obligaciones específicas para el estado local relativas a parcelamiento, circulaciones y propuestas de los usos (cfr. 5.4.6.32, distritos U31, Código de Planeamiento Urbano). Que, desde el año 2002, sus habitantes están trabajando en un ante-proyecto de urbanización de ambas Villas (Proyecto "Barrio 31 Retiro UBACyT A401 / 04 - Las Articulaciones Ciudad Formal – Ciudad Informal. Una metodología de abordaje válida para la región”), elaborado por la Facultad de Arquitectura, Diseño y Urbanismo de la Universidad de Buenos Aires (Instituto de la Espacialidad Humana - Laboratorio de Morfología Secretaría de Investigaciones FADU UBA) con la participación de delegados/as y vecinos/as de Villa 31- 31 bis, que contempla y demuestra que es técnicamente posible la radicación definitiva de sus habitantes. Este proyecto ha sido actualizado a mediados de 2008 en el marco del proyecto de investigación UBACyT A022/2008-2010 denominado "Estrategias proyectuales urbanas". Que, en el año 2005, este ante-proyecto fue declarado “de interés para la Ciudad” por esta Legislatura de la Ciudad Autónoma de Buenos Aires (Declaración Nº 279/05, sancionada con fecha 15/09/2005). Sin embargo, no se observaron acciones concretas de ninguna índole tendientes a implementar este proyecto en el barrio. Que, a lo largo de los años los vecinos y representantes barriales han resistido numerosos intentos de erradicación y desalojos de la villa y han luchado para que se respeten sus derechos adquiridos en el predio. Que, el día 15 de marzo de 2006 los vecinos y organizaciones barriales realizaron una movilización masiva a Jefatura de Gobierno de la Ciudad de

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Buenos Aires y a Presidencia de la Nación y presentaron un petitorio reclamando, entre otros puntos: la urbanización y radicación de Villa 31- 31 bis; la conformación de una mesa de concertación con las autoridades públicas competentes (de las esferas ejecutivas y legislativas del Estado nacional y el local) y la suspensión de cualquier obra o proyecto público que involucre a los terrenos donde se encuentra asentada la Villa 31-31 bis. Que, ante la falta de respuesta a sus demandas, los vecinos presentaron solicitudes de regularización dominial ante la Subsecretaría de Tierras para el Hábitat Social (de fecha 15/12/2006, Expte. S 01-0480496/06), y ante la actual Comisión de Tierras Para el Hábitat Social “Padre Carlos Mugica”, y el ONABE (de fecha 12/09/2007, Expte. AME Nº 237.393). Que, asimismo, el día 14 de diciembre de 2007, esos mismos vecinos realizaron una nueva movilización masiva a la Jefatura de Gobierno de la Ciudad y a Presidencia de la Nación, reclamando nuevamente la urbanización y radicación definitiva de la Villa 31-31 bis y la conformación de una mesa de diálogo con todas las autoridades públicas competentes en la materia. Sin embargo, pese al tiempo transcurrido, no han obtenido respuesta alguna por parte de las autoridades del Poder Ejecutivo local ni nacional. Que, a principios de 2008, la difusión mediática de un megaproyecto urbanístico inconsulto (“Retiro 2010”, impulsado por la Corporación Antiguo Puerto Madero) que podría involucrar las tierras donde se asientan las viviendas, puso en alerta nuevamente a sus habitantes. Que, recientemente, la Ciudad de Buenos Aires inició una acción judicial contra el Estado Nacional a fin de que se condene a éste a demoler todas las construcciones existentes en el barrio que se encuentren en contradicción con la normativa local vigente3. Asimismo, el Gobierno de la Ciudad fue demandado en el marco de una presentación realizada por el asesor tutelar de la ciudad y obligado por disposición de un juzgado local a disponer de todas las medidas positivas necesarias para dar seguridad en la tenencia de la vivienda adecuada para los habitantes de la Villa 31 y 31 bis, asegurando la infraestructura urbana (luz, gas, agua potable y cloacas) y a abstenerse de cualquier acción de desalojo o expulsión, sea cual fuere su modalidad operativa, que pudiere vincularse con los habitantes aludidos en los puntos precedentes4. Que, el presente proyecto busca brindar el marco necesario para que se realice un censo de todos los habitantes del barrio y con su población actual se planifique y ejecute un proyecto de urbanización, tomando como base el ya realizado y consensuado con los habitantes y representantes barriales. 3

”Gobierno de la CABA c/ONABE y Estado Nacional s/ Proceso Ordinario” Expte. Nº 23.565/08 que tramitan por ante Juzgado Nacional de Primera Instancia en lo Contencioso Administrativo Federal Nº 9, Secr. 17. 4 "Di Filippo Facundo c/ Gobierno de la Ciudad de Buenos Aires s/ amparo" Expte. Nº 31.699/1 que tramita ante el juzgado CAyT Nº 2.


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Que, asimismo, teniendo en cuenta que al menos la mayor parte de las tierras sobre las cuales se asienta la villa son de propiedad del Estado Nacional, quien hace más de diez años manifestó su voluntad de avanzar hacia la urbanización y regularización dominial (cfr. Decreto PEN 1001/90), se hace necesario realizar las gestiones pertinentes para obtener el traspaso de las tierras a esos fines, invitando, a tal efecto, a participar de las reuniones de planificación a los organismos del Estado nacional competentes en la materia. Que, fundamentalmente, constituye una exigencia indispensable, para hacer efectivo el derecho a la urbanización y radicación, la invitación a participar a los habitantes del barrio, lo que efectivizará la apertura de canales de expresión y participación de los vecinos en el diseño e implementación de las políticas públicas de las que son destinatarios, tal como se desprende no sólo del contenido de la Ley local Nº 148 sino también de lo establecido al respecto por el Comité de Derechos Económicos, Sociales y Culturales de la O.N.U. (Observación General N° 4, párr. 9), entre otras normas y estándares vigentes. Que, asimismo, vale agregar que este proyecto tiene en cuenta la existencia de normas y proyectos vigentes -desde la última dictadura a esta parte- que planean la construcción del trazado de las autopistas sobre parte de los terrenos hoy habitados dentro de la villa. Estos planes - no ingenuos - solo pueden ser llevados a cabo efectuando el desalojo de los habitantes actuales de los predios a los que afecta, medida que de ningún modo resulta necesaria siquiera desde el punto de un adecuado plan de tránsito e integración vial. Por ello resulta imprescindible, para la implementación del proyecto de urbanización que aquí se prevé así como para no profundizar la afectación al derecho a la vivienda que reconoce todo nuestro sistema constitucional, la readecuación de las trazas de las vías de acceso rápido que prevén dichas normas y proyectos, a fin de que éstas no afecten a los terrenos que se requerirán para la urbanización. Que, corresponde a esta Legislatura velar por el cumplimiento de lo prescripto en el Art. 31 de la Constitución de la Ciudad de Buenos Aires, en cuanto dispone, a los fines dar satisfacción al derecho a una vivienda digna y a un hábitat adecuado, la obligación de promover “la integración urbanística y social de los pobladores marginados, la recuperación de las viviendas precarias y la regularización dominial y catastral, con criterio de radicación definitiva”. Que, el mandato constitucional precedentemente citado se corresponde con los estándares internacionales vigentes en la materia, en torno al deber de otorgar “seguridad jurídica de tenencia” para proteger a los habitantes de los asentamientos informales contra los desalojos y otras amenazas (Comité de Derechos Económicos, Sociales y Culturales, Observaciones Generales Nros. 4 y 7). Además, ha sido ratificado por diversas normas locales de carácter infraconstitucional, tales como las Ordenanzas 39.753 y 44.873 (de existencia anterior a la sanción de la Constitución local) y la Ley 148 (“De Atención Prioritaria

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a la Problemática Social y Habitacional en las Villas y Núcleos Habitacionales Transitorios”). Que, históricamente, la ausencia de acuerdos institucionales por parte de los distintos niveles de gobierno con responsabilidad directa sobre el barrio, y la falta de una verdadera voluntad política dispuesta a llevar a cabo un plan de urbanización que brinde una solución definitiva ha producido un estado de indefinición permanente sobre el barrio, que obliga a quienes residen en él a vivir en un continuo estado de alerta y en una perpetua precariedad y condiciones inhumanas. Que, como afirma Raquel Rolnik, "la misión del urbanismo es redistribuir riqueza y enfrentar la exclusión". El presente proyecto de ley busca poner fin a tantos años de indefiniciones y garantizar el marco local para hacer efectivo el derecho a la vivienda de todos los habitantes del barrio. Por lo expuesto, las Comisiones de Vivienda y Planeamiento aconsejan la sanción de la siguiente ley: Artículo 1° Dispónese la urbanización del polígono correspondiente a las villas 31 y 31 bis, comprendido entre Calle 4, vías del Ferrocarril Gral. San Martín, prolongación virtual de la Avda. Pueyrredón, Calle 9, Avda. Pte. Ramón S. Castillo y prolongación virtual de la Avda. Gendarmería Nacional, según plano que como Anexo I forma parte de la presente ley con criterios de radicación definitiva. Artículo 2º El polígono al que se refiere el artículo 1º será destinado a viviendas, desarrollo productivo y equipamiento comunitario, utilizando como referencia los parámetros urbanos, sociales y culturales del anteproyecto "Barrio 31 Retiro - UBACyT A401 / 04 - Las Articulaciones Ciudad Formal – Ciudad Informal. Una metodología de abordaje válida para la región”, que como Anexo II forma parte de la presente ley. Artículo 3° La Dirección General de Estadísticas y Censos, o el organismo que en el futuro lo reemplace, realizará y/o actualizará un censo poblacional en el término de ciento ochenta (180) días corridos de publicada la presente ley, a fin de determinar la cantidad de viviendas necesarias en el predio. La realización del censo deberá contar con la participación, en calidad de veedores, de los miembros de la "Mesa de Gestión y Planeamiento Multidisciplinaria y Participativa para la Urbanización de las Villas 31 y 31 Bis" creada por el artículo 5º de la presente norma, a fin de garantizar la transparencia del mismo.


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Artículo 4º El Gobierno de la Ciudad garantizará, a través de los organismos competentes, la adjudicación prioritaria de las unidades de vivienda a los actuales habitantes de las Villas 31 y 31 bis que correspondan, de acuerdo al censo poblacional establecido en el artículo 3°. Artículo 5° Créase la "Mesa de Gestión y Planeamiento Multidisciplinaria y Participativa para la Urbanización de las Villas 31 y 31 Bis", que estará integrada por los siguientes organismos: > un representante del Ministerio de Ambiente y Espacio Público o del organismo que en el futuro lo reemplace; > un representante del Instituto de la Vivienda de la Ciudad o del organismo que en el futuro lo reemplace; > un representante del Ministerio de Desarrollo Urbano o del organismo que en el futuro lo reemplace; > un representante del Ministerio de Desarrollo Social o del organismo que en el futuro lo reemplace > un representante de la Defensoría del Pueblo de la Ciudad y > los/as diputados/as que ejerzan la presidencia y la vicepresidencia 1º de las comisiones de Vivienda, de Planeamiento Urbano y de Presupuesto, Hacienda, Administración Financiera y Política Tributaria de la Legislatura de la Ciudad. Asimismo se invitará a integrar la Mesa a los siguientes organismos: > un representante de la Subsecretaría de Desarrollo Urbano y Vivienda de la Nación o del organismo que en el futuro lo reemplace; > un representante del Organismo Nacional de Administración de Bienes del Estado (ONABE) o del organismo que en el futuro lo reemplace > un representante de la Comisión Nacional de Tierras para el Hábitat Social "Padre Carlos Mujica" o del organismo que en el futuro lo reemplace; > un representante de la Administración de Infraestructuras Ferroviarias S.E. o del organismo que en el futuro lo reemplace; > un representante de la Operadora Ferroviaria S.E. o del organismo que en el futuro lo reemplace; > un representante de la Administración General de Puertos o del organismo que en el futuro lo reemplace; > dos miembros de la Comisión de Vivienda y Ordenamiento Urbano de la Cámara de Diputados de la Nación, priorizando a los representantes de la Ciudad Autónoma de Buenos Aires; > un representante del equipo técnico que elaboró el anteproyecto base que obra como Anexo II de la presente ley; > un representante de la Universidad de Buenos Aires (UBA).

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Artículo 6° A todas las reuniones de la Mesa de Gestión y Planeamiento Multidisciplinaria y Participativa creada por el artículo 5° de la presente norma se convocará a los/as delegados/as y vecinos/as del barrio, quienes podrán expresar su voz en el ámbito de la misma, los que podrán participar en toda aquella decisión que los afecte especialmente. Artículo 7º La Mesa de Gestión y Planeamiento Multidisciplinaria y Participativa creada por el artículo 5° tendrá, a los efectos de cumplimentar lo establecido en la presente norma, las siguientes funciones y facultades, con carácter no taxativo: > la planificación e implementación de la urbanización dispuesta en los artículos 1º y 2º; > la generación de los mecanismos adecuados para disponer la regularización dominial y catastral de los inmuebles afectados al proceso de urbanización con fines de vivienda única; > la remisión a la Legislatura de la Ciudad Autónoma de Buenos Aires de los proyectos de rezonificación que resulten necesarios; > la remisión a la Legislatura de la Ciudad Autónoma de Buenos Aires de los proyectos de expropiación de los inmuebles que resulten necesarios, dentro del polígono establecido en el artículo 1º; > la solicitud de informes a los distintos organismos de la administración pública, y a toda persona física y/o jurídica, que sean necesarios para el funcionamiento de la Mesa. > la solicitud de colaboración y asesoramiento de personas y organizaciones gubernamentales y no gubernamentales especialistas en la materia > la elaboración de mecanismos adecuados para garantizar la implementación de criterios uniformes en la construcción de viviendas nuevas y en la consolidación de las existentes: apertura de la vía pública, equipamiento e infraestructura a fin de alcanzar la integración total a la trama urbana del barrio y la periferia. > la elaboración y remisión de propuestas de readecuación de la normativa vigente en materia del trazado de vías de acceso rápido en el área, a fin de posibilitar la concreción del proyecto de urbanización según lo establecido en la presente ley. Artículo 8º La Mesa de Gestión y Planeamiento Multidisciplinaria y Participativa creada por el artículo 5° de la presente norma funcionará en el ámbito de la Legislatura de la Ciudad Autónoma de Buenos Aires, y sus reuniones serán presididas por el/la Presidente/a de la Comisión de Vivienda, quien convocará a las mismas con una periodicidad mínima mensual. Artículo 9º La implementación de este proyecto no implicará desalojo forzoso alguno, y para aquellos actuales habitantes -de acuerdo al censo poblacional establecido en el


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artículo 3º- cuyas viviendas necesiten ser relocalizadas se garantizará, en acuerdo con los mismos, una solución habitacional de similares características dentro del polígono establecido en el artículo 1º de la presente ley, en el marco de lo establecido en el inciso "n" del artículo 14 de la ley Nº 1.251, modificada por ley Nº 2.237. CLÁUSULA TRANSITORIA PRIMERA El Poder Ejecutivo realizará las gestiones correspondientes con los titulares de los predios afectados según el artículo 1º, a los efectos de la celebración de los convenios que resulten necesarios con el fin de posibilitar la concreción de los objetivos establecidos en la presente norma. Hasta tanto se efectivicen los convenios necesarios con el Gobierno Nacional para la efectiva transferencia dominial de los predios correspondientes al polígono al que refiere el Art. 1º, el Gobierno de la Ciudad Autónoma de Buenos Aires realizará las acciones que resulten necesarias, en el marco de sus facultades, a los fines de la concreción de los objetivos de la presente ley. CLÁUSULA TRANSITORIA SEGUNDA La Mesa de Gestión y Planeamiento Multidisciplinaria y Participativa creada por el artículo 5° de la presente norma deberá constituirse en un plazo no mayor a los diez (10) días hábiles de la publicación de la presente y finalizar la elaboración de la propuesta de urbanización y radicación del barrio en un plazo máximo de trescientos sesenta y cinco (365) días corridos de la publicación de la presente. CLÁUSULA TRANSITORIA TERCERA La Mesa de Gestión y Planeamiento Multidisciplinaria y Participativa creada por el artículo 5° de la presente norma deberá dictar, en un plazo no mayor a los quince (15) días hábiles de su constitución, el Reglamento de Participación de los/as representantes y vecinos/as del barrio, a fin de cumplimentar lo establecido en el artículo 6º. No podrá a través del mismo restringir el efectivo ejercicio de su derecho a participar en las decisiones que los/as afecten. Artículo 10° De Forma.

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Mein liebster Dank geht an meine Mutter Susanne Naue, die mich bei Allem liebevoll bis in die späte Nacht unterstützt hat. meinen Vater Jürgen Schrader für seine Hilfe und die aufbauenden Überraschungsbesuche. meine Freunde aus dem SpaceDepartment, ganz besonders Lisa Buttenberg, die zwischen Euphorie und Verzweiflung nicht nur die ganze Zeit dabei gewesen ist, sondern mich durch ihre fachlichen und kritischen Reflexionen immer wieder unterstützt hat. Sven Lohmeyer für seinen Pragmatismus, seine Genauigkeit und unglaubliches graphisches Talent. Lukas Halemba für seine beruhigende Art und diese ganz besonderen spontanen Einfälle in letzter Minute. meine Interviewpartner aus Buenos Aires, ganz besonders Alejandara Garcia und Dora López, die mich so herzlich und mit lauter Offenheit in der Villa 31 aufgenommen haben, sowie meiner kleinen Freundin Anahi Lugos. meine Betreuer Michael Koch und Max Welch Guerra .

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Buenos Aires galt lange Zeit als das Sinnbild der „europäischen Stadt“ in Lateinamerika. Doch inmitten der einst wohlhabenden Stadt gibt es seit Jahrzehnten informelle Armutssiedlungen. Das Ausmaß dieser Siedlungen ist zwar deutlich geringer als in vielen anderen Teilen Lateinamerikas, gleichwohl hatten die Zerstörung der staatlichen Funktionen während der 1990er Jahre sowie die drastische Wirtschaftskrise 2001 eine zunehmende Armut und Ausdifferenzierung der argentinischen Gesellschaft zur Folge. Die Arbeit 31 - ein Teil der Stadt widmet sich dem Phänomen der informellen Stadt und analysiert die gesellschaftlichen Dimensionen der Villa 31 - einer informellen Siedlung in Buenos Aires - in ihren räumlichen Ausprägungen. Die Annäherung an die ihr eigene strukturelle Ordnung und Kultur der Villa 31 bildet die Grundlage, um die Siedlung und die Logik ihrer Entwicklung zu verstehen. Die Villa 31 und die Stadt Buenos Aires werden meist als zwei Gegenwelten gesehen, es existieren Grenzen und Konfliktlinien, die ein „Innen“ und „Außen“ markieren. Die Verbindungen, Interdependenzen und Grenzen, die das Verhältnis zwischen der Siedlung und der Stadt prägen, stehen im Vordergrund der weiteren Auseinandersetzung, denn die Villa 31 wird nicht als Teil der Stadt wahrgenommen.


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