5 minute read

Klimaaktivismus mit Rückenwind

Klimaaktivismus mit Rückenwind

Clara und Lukas segeln zurzeit mit dem Projekt Sail to the COP zur UN-Klimakonferenz, die Anfang Dezember in Chile stattfindet. Die Idee dazu entstand schon Ende 2018 nach dem letzten UN-Klimagipfel, lange bevor Greta mit einer Segelreise in die internationalen Schlagzeilen kam.

Fotos: SailToTheCop.com

Die Diskussion über Klimaschutz hat an Fahrt aufgenommen. Jeden Freitag spült es weltweit tausende Schüler aus den Klassenzimmern hinaus auf die Straßen. Schulstreik-Initiatorin Greta Thunberg hat eine öffentliche Debatte angestoßen, die in den letzten Jahren ihresgleichen sucht. Und sie geht mit gutem Beispiel voran: Innerhalb Europas reist Greta nur noch mit dem Zug, um Flugemissionen zu vermeiden – von Schweden nach Davos dauert das schon mal 65 Stunden. Als sie zu einer Klimakonferenz nach New York eingeladen wurde, meldete sich ein Team professioneller Segler und versprach, sie dorthin mitzunehmen. Zwei Wochen dauerte die Überfahrt.

Koje statt Fensterplatz Die Emissionen durchs Fliegen sind eines der Hauptthemen, die in der Klimadebatte immer wieder hochkochen. Greta ist jedoch bei Weitem nicht die Einzige, die den Fensterplatz im Flugzeug gegen eine Koje tauscht – und auch nicht die Erste, die diese Idee hat. Zurzeit bahnt sich der Dreimastschoner Regina Maris („Königin der Meere“) seinen Weg über den Atlantik. Das Schiff ist fast ein halbes Jahrhundert alt und hat schon viel von der Welt gesehen. Jetzt trägt es 36 Klimaaktivisten zur COP25, dem nächsten UN-Klimagipfel in Santiago de Chile. Das Projekt Sail to the COP wurde von vier Niederländern ins Leben gerufen, nachdem diese zur letzten Klimakonferenz in Polen mit Bus und Bahn angereist waren und überlegten, wie sie auch am nächsten Klimagipfel möglichst emissionsarm teilnehmen könnten. Sie organisierten ein Schiff und suchten sich Mitstreiter. Die Kosten werden über Partner, Crowdfunding und finanzielle Beiträge der Teilnehmer gedeckt. Am 2. Oktober startete der Segeltörn in Scheveningen an der niederländischen Küste. Mit dabei sind Clara und Lukas. Die beiden Studierenden sind 25 und 23 Jahre alt und möchten als zivilgesellschaftliche Beobachter die Klimakonferenz besuchen.

Jura-Studentin Clara (25) und Lukas (23), Student der Erneuerbaren Energien, segeln mit einer Gruppe junger Menschen nach Chile zur UN-Klimakonferenz.

Fotos: SailToTheCop.com

In Scheveningen (Niederlande) geht es los. Die weiteren Stopps sind Casablanca, Teneriffa, Cabo Verde, Recife, Rio de Janeiro, dann per Bus nach Santiago de Chile.

Fotos: SailToTheCop.com

„Unser Ziel ist es, möglichst emissionsarm zur Klimakonferenz zu kommen.“ Sie engagieren sich schon lange für Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Clara mischte während der Schulzeit in der Grünen Jugend mit und ist seit zwei Jahren Teil des jungen Vereins Klimadelegation e. V. Darüber hinaus nahm sie bereits an zwei UN-Klimakonferenzen sowie einem deutsch-fidschianischen Jugendaustausch teil. Auch Lukas ist bei der Klimadelegation aktiv und konnte Erfahrungen bei der letzten Klimakonferenz in Kattowitz sammeln. Sein Studium der Erneuerbaren Energien machte ihn auf Klimathemen aufmerksam, aber: „So richtig selbst etwas bewirken wollte ich, nachdem ich das erste Mal am Tagebau Hambach im Rheinland stand und in das 400 Meter tiefe, schwarze Loch geblickt habe. Da wurde mir klar, dass etwas getan werden muss.“ CO2-Budget-TravelWären Clara und Lukas nach Chile und zurück geflogen, hätten sie pro Kopf über sieben Tonnen CO2 ausgestoßen. Zum Vergleich: Das klimaverträgliche Emissionsbudget beträgt für jeden Menschen rund 2,3 Tonnen im Jahr. Deutsche sind da ohnehin schon drüber mit einem Pro-Kopf-Verbrauch von jährlich knapp 8,9 Tonnen CO2. Nachhaltig ist das nicht. Aber umso mehr Motivation, die sechs- bis achtwöchigen Strapazen auf einem Segelschiff auf sich zu nehmen: „Unser Ziel ist es, möglichst emissionsarm zur Klimakonferenz zu kommen“, erklärt Clara. „Damit wollen wir darauf aufmerksam machen, dass es notwendig ist, auch das Reisen nachhaltig und gerecht zu gestalten und die öffentliche Diskussion um unseren Umgang mit Flugreisen weiter anzufachen.“ Mit der Regina Maris benötigen die Aktivisten für eine Richtung nur noch etwa 700 kg CO2, Strom, Diesel, Busreise und Essen inklusive. Wären sie zu Hause geblieben, hätte das nur einen Unterschied von 123 kg gemacht – ohne die Wirkung, die sie hoffen, durch ihre Reise und Arbeit auf der UNKlimakonferenz erzielen zu können. orbereitung auf das große Unbekannte Clara und Lukas sind ganz neu im Segelgeschäft. „Ich habe versucht, mich mit Sport und Yoga ein wenig vorzubereiten“, erzählt Clara noch vor Abfahrt, „aber ich habe großen Respekt vor dem, was da auf mich zukommt.“ Wenn man sich einmal daran gewöhnt habe, laufe es aber gut und man könne die Fahrt auch genießen. „Ich habe die letzten Wochen vor der Reise auch viel Zeit mit meiner Familie und meinem Freundeskreis verbracht“, ergänzt Lukas, „ich war nämlich noch nie so lange von zu Hause weg.“ Neben Impfungen, Familienabschied und dem Kauf segeltauglicher Kleidung stand für die beiden auch ein Vorbereitungswochenende auf dem Plan. Dort konnten sich alle Aktivisten persönlich kennenlernen und gemeinsam auf Reise und Klimakonferenz vorbereiten. Lukas und Clara teilten ihre Erfahrungen von den letzten Klimakonferenzen. „Wir erklärten, wie die Klimaverhandlungen und Prozesse in den Vereinten Nationen funktionieren, welche Interessengruppen mit- oder gegeneinander arbeiten und welche Rolle junge Beobachter einnehmen können“, fasst Lukas ihren Workshop zusammen. „Auf den Konferenzen können wir nämlich nicht nur Proteste organisieren, sondern als Teil des Zusammenschlusses aller anwesenden Jugendorganisationen auch Redebeiträge in den Plenarsälen halten.“ Segeln, kochen, diskutieren Während des Wochenendes konnte die Gruppe auch einem Vortrag einer Flugexpertin lauschen. Sie erklärte, worum es bei der aktuellen Debatte ums Fliegen geht und welche Lösungen realistisch seien. „Sie hat zum Beispiel erzählt, dass alternative Treibstoffe innerhalb der nächsten 30 Jahre nicht ausreichend oder kostengünstig zur Verfügung stehen können“, erzählt Clara, „und noch mal unterstrichen, dass es wichtig ist, sozialverträgliche Lösungen zu finden – auch wenn die meisten innerdeutschen und regionalen Flüge wohl als Businessflüge einzuordnen sind.“ Das war hilfreicher Input, denn auf der Reise wollen sich die Aktivisten selbst mit Lösungsansätzen für den Umgang mit Flugreisen auseinandersetzen. Jeden Tag wird die Gruppe auf dem Schiff in zwei Teams geteilt: Die eine Hälfte unterstützt die fünfköpfige Crew beim Segeln und hilft in der Küche – gekocht wird vegan. Die anderen arbeiten als eine Art Denkfabrik und tauschen sich auf der Grundlage von zuvor gesammeltem Wissen aus. Es geht dabei sowohl um die große gesellschaftliche Ebene, zum Beispiel um Klimagerechtigkeit und Technik-Optimismus, als auch um die Möglichkeiten individuellen Handelns und welche Rolle Kultur und Verhalten dabei spielen. Am Ende sollen konkrete Vorschläge und ein möglicher Fahrplan für die Politik erstellt werden. Außerdem wird die gemeinsame Arbeit auf der Klimakonferenz vorbereitet: „Wir wollen kreative Protestaktionen umsetzen, zum Beispiel mit Musik und Plakaten, aber uns natürlich auch auf sachlicher, inhaltlicher Ebene mit den anderen Delegierten austauschen und hoffentlich einige unserer Forderungen an prominenter Stelle unterbringen“, beschreibt Clara das Ziel. Lukas betont: „Neben all dem haben wir aber auch genug Freizeit, um einfach mal aufs Meer zu schauen, selbst nachzudenken und dankbar für unseren bisher lebenswerten Planeten zu sein.“

„Wir wollen kreative Protestaktionen umsetzen, aber uns auch auf sachlicher Ebene austauschen.“

Nach viel Planung kommt die große Flexibilität Erst Ende November haben die Aktivisten wieder festen Boden unter den Füßen. Dann gehen sie in Rio de Janeiro vom Boot. Das letzte Stückchen bis nach Chile – immerhin 4000 Kilometer – wird per Bus bewältigt. Wie es nach der Klimakonferenz im Dezember weitergeht, ist für Clara und Lukas noch unklar. Lukas plant, noch etwas durch Südamerika zu reisen: „Ich hoffe, bei verschiedenen lokalen Organisationen und Projekten mitarbeiten zu können, um von der Reise auch kulturell etwas mitzunehmen. Außerdem würde ich gerne sehen, welche Auswirkungen unser Konsumverhalten auf die dortige Natur hat.“ Auch Clara möchte Land und Leute sehen, Bildungsarbeit leisten und ihre Erfahrungen weitergeben. Zurück möchten beide am liebsten wieder mit der Regina Maris. Die legt im März aus Kolumbien ab. Wenn das finanziell oder zeitlich nicht klappt, wäre die Alternative ein Frachtschiff.

Text von Lara Schech, 24, studiert Energiewirtschaft, berichtete im SPIESSER bereits von den letzten beiden UN-Klimakonferenzen.

This article is from: