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192 Das deutsche Credo des Pfarrers Blocher
192: «Der Bund», 5. 5. 2017 Das deutsche Credo des Pfarrers Blocher
«Die drei Leben des Pastors Blocher», beschrieben in einem gut vierhundertseitigen Buch von Artur K. Vogel und Bernard Reist (Ed. Monographic, Sitten), würden auch in gerafftester Form diese Kolumne sprengen. Sie springt daher über das erste Leben als Pfarrer bei der Fremdenlegion in Algerien und das zweite in der protestantischen Walliser Diaspora hinweg direkt zum dritten. Denn als Blocher Spitalpfarrer in Zürich war (1905–1942), diente er dem Deutschschweizerischen Sprachverein zunächst als Schriftführer, dann bis zu seinem Tod als Obmann. Aus den «Mitteilungen» des Vereins, in denen er viel schrieb, ist die Zeitschrift «Sprachspiegel» hervorgegangen, die es immer noch gibt. Die Buchautoren (ehemals Chefs der «Bund»-Redaktion bzw. der SDA) räumen in ihrem separat auf Deutsch und auf Französisch erschienenen «historischen Roman» dem sprachpolitischen Leben nur einen Randplatz ein. Blocher folgte der Linie, die sich der Verein bei seiner Gründung 1904 gesetzt hatte: «Liebe und Verständnis für die deutsche Muttersprache wecken, das im Sprachgefühl schlummernde Volksbewusstsein kräftigen und der deutschen Sprache auf schweizerischem Boden zu ihrem Recht verhelfen». Das war so kämpferisch, ja «völkisch» gemeint, wie es tönt: Der Verein glaubte auf der deutschen Seite der Sprachgrenze gegen die «Verwelschung» antreten zu müssen, setzte sich umgekehrt aber auch für deutsche Schulen im Berner Jura ein. Der Ton, den Blocher – besonders deutlich ausserhalb des Sprachvereins – anschlug, befremdet heute. Im Ersten Weltkrieg tritt er für «unsere Sprachgenossen im Reich» ein, denen in der welschen Presse «gehässigste französische Verleumdungen» entgegenschlügen. Nach dem Krieg kritisiert er nicht nur den Versailler Frieden, sondern auch den Völkerbund, welcher der «empörenden Unterdrückung unserer Muttersprache» diene. In der Schweiz hat für ihn «das deutsche Volkstum das entscheidende
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Übergewicht» (1915). Noch deutlicher: «… ist der germanische Blutsteil der beste, den wir haben» (1923, zitiert nicht im hier besprochenen Buch, sondern in Christophe Büchis «Röstigraben», NZZ-Verlag 2000). Wenn er schreibt, «in der deutschen Schweiz nehmen die Bürger an den Gemeindeangelegenheiten grösseren Anteil» als in der welschen, dann klingt sein Enkel Christoph, der heutige Politiker, wie ein verstärkendes Echo: «Die Welschen hatten immer ein schwächeres Bewusstsein für die Schweiz» («Basler Zeitung» 2014). Anders als manche seiner Weggefährten äussert Eduard Blocher Abscheu vor dem «ganzen nationalsozialistischen Rassen- und Abstammungsrummel». Er trauert der deutschen «Schweizbegeisterung» nach, die schon wegen der «notwendigen Zurückhaltung» der Schweiz im Krieg gelitten habe. Umgekehrt «musste sich unser Widerspruch zum Widerstand verhärten», wegen der Ausfuhr des Nationalsozialismus nach Österreich. Die klaren Worte tragen ihm Kritik ein. Ein alter Weggefährte schreibt, wenn im neuen Krieg die Alliierten siegten, dann wäre die Arbeit des Sprachvereins umsonst gewesen, «denn dann wird die ganze Schweiz (…) gründlich ‹entdeutscht›». Sie wurde es nicht, vor allem weil es niemand versuchte. Der «Sprachspiegel» nahm sich bei seiner Gründung 1945 zwar vor, «die Rechte der deutschen Sprache auf Schweizerboden (zu) wahren», konnte sich aber in der Folge auf sein Hauptziel konzentrieren, Mundart und Schriftsprache «im Gleichgewicht» zu pflegen. Der Trägerverein nahm «das gute Einvernehmen der Sprachgruppen» in seinen Zweckartikel auf und heisst seit 1994 Schweizerischer Verein für die deutsche Sprache. Den verbissenen Sprachpurismus der Anfänge hat er hinter sich gelassen. Was die Buchautoren beim Mitbegründer Otto von Greyerz gefunden haben, würde heute nicht mehr gesagt, schon gar nicht so: «… dass die deutsche Schriftsprache nicht nur durch Fremdwörter verunreinigt werden kann, sondern auch durch die Mundart».
193: «Der Bund», 19. 5. 2017 Dich, mein Digi-Tal, grüss ich 1000 ✕
Ausser in Zeitungstiteln ist mir das «Digi-Tal» noch nicht begegnet – dabei wäre es doch ein hübsches Motto für ein deutschsprachiges Gebiet, das dem kalifornischen Silicon Valley als elektronisches Nervenzentrum nacheifern möchte. Denn für alles, was mit Computern zu tun hat, hat sich «digital» als gebräuchlichstes Adjektiv durchgesetzt, nicht «elektronisch», «informatisch» oder gar «rechnergestützt». Der digitale Siegeszug in der Sprache ist weniger selbstverständlich, als er im Rückblick erscheinen mag, denn der lateinische «digitus», auf dem er beruht, ist schlicht und einfach ein Finger. Vor seiner elektronischen Karriere machte der Finger auch schon eine botanische: Digitalis heisst der Fingerhut, je nach Dosis heilsam oder giftig. Das mag auch für die digitale Welt zutreffen, um die es hier geht. Ihre Bezeichnung beruht nicht auf dem Finger, der über Tastatur oder Bildschirm huscht, sondern auf jenem, mit dem man abzählt. Ein einziger reicht: gestreckt bedeutet 1, gebogen 0. Aufs Rechnerwesen übertragen: Strom oder kein Strom, es muss nicht einmal elektrischer sein; ich habe an Ausstellungen schon Wasser oder Druckluft rechnen gesehen. Der kleine Unterschied, der «digital» zum zeitbeherrschenden Markenzeichen gemacht hat, ist jener zu «analog»: Rechner, bei denen es auf die Stärke des Stroms ankommt, nicht nur auf dessen Sein oder Nichtsein – solche analogen Rechner gibt oder gab es durchaus, nur haben sie sich als weniger vielseitig erwiesen. Und deshalb haben sie die Bezeichnung «analog» an die reale Welt abtreten müssen, die uns unsere Sinne als stufenlose Vielfalt darstellen. Teilchenphysiker sehen das zwar anders, aber für den Alltag reicht die «Analogie», und sie reicht auch für die Wiedergabe auf bekritzeltem Papier, in flimmernden Filmen und auf staubanfälligen Schallplatten. Schier alles andere ist heute «digital».
Deutsche Sprachwissenschafter haben eine Liste angelegt und darüber in der Zeitschrift «Sprachnachrichten» berichtet; sie haben «mehr als 1500 verschiedene Auftritte in den deutschen Medien der letzten Monate» gezählt. Digital waren u. a. Dämmerschlaf, Demenz, Dreckschleuder, Menschwerdung, Flüchtlingsgipfel, Kleinstaaterei, Staubsauger. Mit digitaler Hilfe, mit klug programmierter Auswertung von Mediendatenbanken, wüchse die Liste wohl bis in den fünfstelligen Bereich. Aber nur schon die analoge Suche, von blossem Auge in gedruckten Zeitungen, ergibt in kurzer Zeit allerhand Belege dafür, dass das Digitale vor nichts haltmacht. Es gibt sogar die «digitale Realität»: Mit ihr müssen sich Kulturschaffende abfinden, wenn sie ihr Wirken in die analoge Welt hinaustragen wollen. Dafür bekommen sie auf manchen Berner Bühnen eine «digitale Spielwiese». Ihnen und allen anderen Leuten droht oder winkt die «digitale Identitätslösung»; dass auch Räume, Revolutionen, Zeitalter digital sein können, versteht sich schon von selbst. Überraschender ist, wo das «digitale Eldorado» zu finden sei: in Kamerun, in einem örtlichen Digi-Tal eben. Die digitale Menschwerdung indessen wird erst digital sichtbar: Die Einladung auf dem Telefonschirm, Zeitungsartikel ebendort anzuschauen, ist öfters von einem «digitalen Blattmacher» unterzeichnet. Nun haben elektronische Roboter zwar auch schon beim Verfassen und Gestalten von Nachrichtenblättern ihre Finger im Spiel, aber der unterzeichnende Chef scheint immerhin aus Fleisch und Blut zu sein, verbal von seinem Metier infiziert. Vielleicht ist er ja auch ein randloser Brillenträger, von seiner Sehhilfe angesteckt, oder gar ein vierstöckiger Hausbesitzer, von seinem Eigentum gezeichnet. Im Lese-Angebot gab’s eine «digitale Unabhängigkeitserklärung». Die liegt auch auf Papier vor, der Titel ist nur schlecht übersetzt, denn die Erklärung gilt der Unabhängigkeit des digitalen Raums. Die wird von «müden Riesen aus Fleisch und Stahl» bedroht, von den analogen Regierungen.