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Blockchain für die lebensmittelindustrie
Viele hAben den beGRiFF blockchAin schon GehÖRT, die meisTen VeRbinden dAmiT AbeR nuR ViRTuelle WähRunGen Wie Z.b. biTcoins. die dAhinTeRsTehende TechnoloGie kAnn AbeR Viel mehR, WAs in diesem beiTRAG konkReT FüR die lebensmiTTelindusTRie AuFGeZeiGT WeRden soll.
GeRhARd lAGA
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technisch gesehen ist jede Blockchain eine Datenbank, die von mehreren teilnehmern betrieben wird, und wo die eingebrachten Daten automatisch an alle teilnehmer der Blockchain übermittelt werden. Jeder teilnehmer der Blockchain hat also eine identische Kopie aller Daten, die von den anderen teilnehmern in die Blockchain gespeichert werden. anders als bei anderen software-technologien kann man eine Blockchain nicht alleine betreiben. Dies würde auch technisch keinen sinn machen, da Blockchains im Vergleich zu anderen Datenbanken verhältnismäßig langsam und träge reagieren.
Blockchain ist eine „Truth
machine“ und sorgt dafür, dass digitale Daten so gespeichert werden, dass jede nachträgliche Änderung sofort auffällt und sich nicht durchsetzen kann. Dies geschieht dadurch, dass Daten in zeitlichen Blöcken gespeichert und mit einer Prüfsumme gesichert werden. Vereinfacht dargestellt speichert beispielsweise die Bitcoin-Blockchain alle transaktionen, die innerhalb von 10 Minuten durchgeführt werden, in einem Block ab. Danach wird eine Prüfsumme mittels eines algorithmus be-
Gerhard laga
© Schneider
rechnet („gemined“), der sehr schwer errechnet, aber einfach durch jeden teilnehmer nachgeprüft werden kann. Diese Berechnung erfolgt durch sogenannte „Miner“, ist aber freiwillig und keine Voraussetzung für die bloße Verwendung von Bitcoin. Gleichzeitig werden die in der Blockchain gespeicherten Daten automatisiert an alle teilnehmer verteilt, sodass dadurch eine hohe Datenresilienz erreicht werden kann – solange auch nur ein teilnehmer mitmacht, sind alle Daten dieser Blockchain reproduzierbar. Dadurch wird Vertrauen auch zwischen unbekannten teilnehmern der Blockchain geschaffen, da dies aus der technologie und nicht der Vertrauenswürdigkeit der teilnehmer entsteht.
Ausgehend von diesen beiden Grundsätzen (Speicherung in Blöcken und automatische Verteilung an alle Teilnehmer) gibt es unterschiedlichste Ein-
satzmöglichkeiten, die auch durch unterschiedliche technologien und Konfigurationen abgebildet werden. Beispielsweise ist die oft vorgebrachte Kritik der Energieverschwendung von „Blockchain“ zwar für einen Großteil der aktuellen Kryptowährungen richtig, aber nicht immanent für Blockchainanwendungen. andererseits löst die technologie die abhängigkeit von einer bestimmten einzelnen Datenbank, die ja bisher auch von einem bestimmten Betreiber gewartet werden muss, auf den sich alle teilnehmer einlassen müssen. in manchen Projekten mit vielen unterschiedlichen teilnehmern ist gerade dies – nämlich den einen Betreiber zu finden und fair zu bezahlen – ein stolperstein.
Was sind nun mögliche Anwendungsfälle in der Lebensmittelindustrie?
an erster stelle ist an die Verfolgbarkeit für lieferketten (supply chains) im lebensmittelbereich zu denken. Dabei geht es um die rückverfolgbarkeit bei der herstellung, dem transport und dem handel von einzelnen Gütern. Die Waren oder deren Gebinde können von Beginn an mit einem sender versehen werden, der Ort und Zeitpunkt automatisch in eine Blockchain schreibt. anders als bisher muss man diesen angaben daher nicht mehr nur vertrauen, sondern kann sie im historischen Kontext auf Plausibilität prüfen. theoretisch kann man der Milch gebenden Kuh mittels Webcam beim Grasen zusehen und die GPs-Daten werden vom halsband direkt in die Blockchain gesendet. Die Milchgebinde/tankwagen senden ebenfalls Zeit und Ort in die Blockchain und machen die verarbeitende Molkerei transparent. Die einzelnen chargen z.B. vom Joghurt werden bei der Produktion mit seriennummern individualisiert und ebenfalls in der Blockchain angelegt, damit ihr weiteres transportschicksal (z.B. inkl. temperatur und luftfeuchtigkeit des inneren des Kühl-lKWs) auch aus der Blockchain ausgelesen werden können. Dass das keine reine fantasie ist, zeigen im internationalen Kontext bereits verfügbare Pilotprojekte wie z.B. von iBM, die bereits seit Jahren die Blockchain-basierende „food trust “-lösungen im Einsatz hat.
© Adobe Stock – SAShkin
Eine weitere aktuelle Anwendungsmöglichkeit betrifft das Thema Echtheit von –meist hochwertigen – Pro-
dukten. Diese können mit eindeutigen/-maligen sicherheitsettiketten versehen werden und sind somit eindeutig erkennbar. Die individuelle Kennzeichnung wird in einer Blockchain eingetragen. sobald das Produkt das Werk verlässt, wird der jeweilige Besitzer/ transporteur gemeinsam mit Ort und Zeitpunkt der Übergabe ebenfalls unveränderlich in der Blockchain eingetragen. somit kann in Echtzeit nachvollzogen werden, wo sich das Gut befindet. handelt es sich um ein gefälschtes Produkt, fällt dies bei einem Blick in die Blockchain sofort auf, da es sich nicht am dort eingetragenen Ort befindet. Dieses sicherungsverfahren findet ebenfalls bereits bei Medikamenten Einsatz, deren fälschungen ja nicht nur finanzielle, sondern vor allem auch lebensgefährliche folgen haben könnten. Etwaige dabei auftretende Datenschutzbedenken können via anonymisierung bzw. Verschlüsselung gelöst werden. Einen ähnlichen ansatz verfolgt das Projekt „cryptowine“ der landwirtschaftskammer niederösterreich: Bei dieser anwendung erwirbt man sogenannte „non fungible tokens“ (nfts), die zum jederzeitigen Bezug einer bestimmten Weinflasche berechtigen. im Unterschied zu „normalen“, nicht voneinander unterscheidbaren tokens wie Bitcoins oder Ether sind nfts einmalig und eindeutig gekennzeichnet und meist der digitale „Zwilling“ eines physischen oder digitalen Werks, können aber auch Patente, lizenzen, Eintrittskarten und Mitgliedschaften abbilden.
Auch im Marketingbe-
reich bietet Blockchain einen Mehrwert, so z. B. bei der ausgabe von Gutscheinen, die bei verschiedenen Unternehmen eingelöst werden können. Die Blockchain löst hier das „double spending“ Problem, nämlich dass Gutscheine illegalerweise kopiert und so mehrfach bei unterschiedlichen Unternehmen eingelöst werden.
Ein anderer Einsatzbereich der Blockchain könnte sich im Bereich der Verpackungsvermeidung und -verfolgung fin-
den. in einem forschungsprojekt des austrian Blockchain center mit der WU Wien und coca-cola hBc wurde untersucht, inwieweit die recycling-rate von PEt-flaschen gesteigert werden kann, indem Blockchain-basierte incentivierungsmechanismen eingesetzt werden. Die Einsatzbereiche dieser doch noch recht neuen technologie sind daher auch im Bereich der lebensmittelindustrie gegeben. Wie bei so vielen themen stellt sich daher die frage, wie man den Einstieg in diese Vertrauen schaffende technologie findet. Die antwort: Mitarbeiter des Unternehmens sollten Wissen dazu aufbauen und erste eigene Erfahrungen sammeln. Die WKÖ stellt dafür allgemein verständliche informationen unter wko.at/blockchain zur Verfügung, bietet einen eigenen Online-ratgeber zum sinnvollen Einsatz an und zeigt Best-Practice-Beispiele beim austrian Blockchain award, der 2021 bereits zum 2. Mal vergeben wurde. Zum ausprobieren gibt es das kostenlose service der „Datenzertifizierung“ unter wko.at/ blockchainservice. Dabei geht es um die Beweisbarkeit, dass digitale Daten in jeder form (z. B. logfiles der Produktion, Pläne, Videos, geschäftliche Kommunikation …) zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten form vorgelegen sind und danach nicht mehr verändert wurden. Die Daten verlassen den Betrieb nicht, nur eine Prüfsumme wird in der Blockchain gespeichert. Das Unternehmen bekommt eine PDf-Datei als Bestätigung des Eintrags; dieses system läuft bereits und ist sofort nutzbar. Gemeinsam mit dem Verein austriaPro wird ein Blockchain-arbeitskreis betrieben, in dem sich Unternehmensvertreter über ihre Erfahrungen austauschen und branchenübergreifende Projekte entwickeln können. Dieser austausch ist im Blockchain-Bereich besonders wichtig, da man eine Blockchain eben nicht allein betreiben kann. Das heißt aber auch nicht, dass jede Blockchain öffentlich sein muss: Die meisten Business-Blockchains sind Konsortialblockchains, denen vertragliche regelungen zugrunde liegen. Dass Blockchain-technologie verstärkt zum Einsatz kommen wird, ist klar. Die frage ist: nutzt man als Passagier schon fertige lösungen – die bald üblich sein werden – dafür, die von großen, internationalen Konzernen entwickelt werden? Oder schafft man es gemeinsam mit dem in Österreich überaus kompetenten Blockchain-netzwerk, eine führende rolle beim Einsatz und der Weiterentwicklung dieser technologie einzunehmen?
Dr. Gerhard Laga, CMC Servicemanagement und IKT E-Center Wirtschaftskammer Österreich, Wien
Literatur
– im internet unter https://www. ibm.com/blockchain/solutions/ food-trust – Z. B. die österreichischen anbieter https://www.securikett. com/ oder https://www.marzek.at/promotion-spezialitaeten/prazisionslaser/ – siehe zB https://www.merckgroup.com/de/research/science-space/envisioning-tomorrow/smarter-connected-world/ blockchain.html – im internet unter https://cryptowine.at/ – nähere informationen unter https://www4.baumann.at/ blockchain-enabled-circular-plastic-supply-chains/ – im internet unter https://blockchainaward.at/ – Überblick und Protokolle unter https://www.wko.at/service/ netzwerke/austriapro-arbeitskreis-blockchain.html