Volle Kraft voraus - Sledge-Eishockey-Nationalspieler Christian Pilz

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Volle Kraft voraus Sledge-Eishockey-Nationalspieler Christian Pilz

Von September bis März trainieren die Cardinals Dresden zweimal pro Woche. Dann geht es vor allem darum, Techniken zu verfeinern und sich strategisch richtig einzustellen.

Seit einem Unfall ist Christian Pilz querschnittgelähmt. Umso wichtiger ist ihm, unabhängig zu sein und Stillstand zu vermeiden. Mit der Ausbildung zum Elektroniker im BBW Dresden legte er die Basis für beruflichen Erfolg. Und auch sportlich setzt sich das Mitglied der deutschen Sledge-Eishockey-Nationalmannschaft immer neue Ziele.

Das Eis ist sein Element: Seit sieben Jahren spielt Christian Pilz Sledge-Eishockey, seit 2007 sogar in der deutschen Nationalmannschaft.

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Klackernd saust der Puck übers Eis. Christian Pilz stoppt ihn mit seinem Schläger; Eiskristalle stieben in die Luft. Der junge Mann mit der Nummer 83 beschleunigt, weicht einem Gegenspieler aus und legt in der gegnerischen Strafzone eine Vollbremsung hin. Dann holt er aus, der Puck schnellt übers Eis – und landet im Tor. Jubelnd reckt Pilz seinen Arm in die Höhe. Das Bild ist gleichzeitig vertraut und doch ungewohnt: Anders als „normale“ Eishockeyspieler stehen Christian Pilz und seine Mitspieler beim Sledge-Eishockey (siehe Kasten) nicht auf Schlittschuhen. Stattdessen gleiten sie auf speziellen Schlitten übers Eis. Denn wie Christian Pilz sind die meisten der Spieler querschnittgelähmt.

gen, wie es weitergehen soll. Ich wollte auf keinen Fall ­abhängig sein – weder finanziell noch körperlich.“ Auf die Zeit im Krankenhaus folgen Wochen in einer ­Rehaklinik. Erneut wird Sport zu einem zentralen Element in Pilz’ Leben, denn Physiotherapie und viel Bewegung sind fester Bestandteil der Therapie. Zunächst spielt er Basketball, doch weil ihm das wenig Spaß macht, wird er gefragt, ob er etwas anderes ausprobieren wolle. „Ein Therapeut hat mich in eine Eishalle mitgenommen, Schlitten, Schläger und Kopfschutz ausgepackt und gesagt, ich könne mir das Ganze ja > direkt auf dem Eis anschauen“, erzählt der 27-Jährige.

Per Schlitten übers Eis Sledge-Eishockey ist eine dem Eishockey ähnliche Behin-

Ein Moment, der alles verändert

dertensportart. Sie entstand in den 1970er-Jahren in

Solange er denken kann, gehört Sport zu seinem Leben. Als Kind trainiert der gebürtige Chemnitzer Karate, spielt im Winter mit Freunden auf dem zugefrorenen Dorfteich Eishockey. Später wechselt er zu Volleyball und Tischtennis, fährt viel Fahrrad. Beruflich geht es voran: Nach dem Realschulabschluss beginnt Pilz eine Ausbildung. Alles ist in bester Ordnung. Ein Autounfall im November 2001 verändert sein Leben ­radikal. Als Christian Pilz im Krankenhaus aufwacht, hat er zahlreiche Prellungen, eine Gehirnerschütterung. Und er spürt seine Beine nicht, kann sie nicht bewegen. Denn sein Rückenmark wurde bei dem Unfall gequetscht. Die Ärzte machen ihm wenig Hoffnung, dass sich die Lähmung zurückbildet. „Eigentlich habe ich meine Situation damals recht schnell realisiert“, erinnert sich Pilz. „Meine Freunde und meine Familie haben mir Kraft gegeben. Noch in der Klinik fing ich an zu überle-

Schweden und ist seit 1994 paralympische Disziplin. Die Anzahl der Spieler – fünf plus Torhüter – und die meisten Spielregeln entsprechen denen beim Eishockey. Der Unterschied: Die Spieler bewegen sich auf Schlitten fort und beschleunigen mithilfe zweier kurzer Schläger, die am Ende mit Spikes besetzt sind. Neben den Cardinals Dresden gibt es sechs weitere deutsche Mannschaften: die Bremen Pirates, die Heidelberg Knights, die Kamen Barbarians, die Ice Lions Langenhagen, die Hamburg Bulldogs und die Wiehl Penguins.

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Engagement, das Begeistert

„Schon nach meinem ersten Trainingsspiel wusste ich: Das ist mein Sport. Ab diesem Zeitpunkt habe ich mir immer einen Mitspieler ausgeguckt und daran gearbeitet, besser zu werden als er. So habe ich mich stetig gesteigert.“ Das Training hilft Christian Pilz, sich seelisch und körperlich zu erholen; er beginnt, Pläne zu schmieden. Denn auch beruflich möchte er vorankommen. In der Zeitung entdecken seine Eltern und er eine Anzeige der Berufsbildungswerk Sachsen GmbH, und im Sommer 2002 beginnt er in deren BBW Dresden eine Ausbildung zum Elektroniker für Geräte und Systeme. Doch schon wenige Monate später zwingt ihn eine Erkrankung, die Ausbildung zu unterbrechen. Erst 2004 kann er ­endlich wieder ins Internat des BBW Dresden einziehen. „Anfangs fühlte ich mich dort schon etwas fremd, doch dann habe ich mich eingelebt und sehr wohlgefühlt“, erzählt Pilz. „Ich glaube, ich bin in der Zeit im BBW reifer und selbstständiger geworden.“

Kein Stillstand Während der Ausbildung erwirbt er grundlegende Fertig- und Fähigkeiten, unter anderem in Mechanik, Elektronik, Energietechnik, Kommunikation oder Computertechnologie. „Ich bin zwar nicht so der Schulbankdrückertyp“, gesteht Pilz und grinst verlegen, „aber mir war wichtig, dass ich am Ende etwas vorweisen kann.“ Neben guten Noten zählen dazu auch seine drei Praktika, die er während seiner Ausbildung beim Automobilkonzern VW in Chemnitz macht. Dort setzt er das Erlernte direkt in die Praxis um – und findet Gefallen an der Arbeit im Fahrzeugbereich. Neben der Schule engagiert er sich im Jugendclub des BBW. Immer mehr Zeit nimmt auch sein neues Hobby SledgeEishockey ein: 2004 spielt Christian Pilz als Stürmer der ­Cardinals Dresden das erste Mal in der Bundesliga – „ein ­tolles Gefühl“, schwärmt er. Während der Wettkampfsaison trainiert die Mannschaft zweimal pro Woche, an den Wochenenden finden Spiele statt, etwa in Wiehl, Bremen oder Heidelberg. Und auch während der Sommerpause gilt es, sich fit zu halten. Daher fährt Pilz regelmäßig mit ­seinem Liegerad, trainiert im Fitnessstudio. „Nach jeder Sommerpause freue ich mich aufs Eis“, erzählt er. Eine besondere Auszeichnung wird ihm 2006 zuteil: Christian Pilz wird in die deutsche Nationalmannschaft berufen. „Im März 2007 habe ich zum ersten Mal gespielt. Auf dem Eis zu sein und unsere Nationalhymne zu singen ist schon etwas Besonderes“, betont er. Christian Pilz betritt internationales 12 SRH Magazin

Parkett – und ein Stück der Welt öffnet sich. „Wir waren unter anderem bei der Weltmeisterschaft in Boston, und 2009 haben uns die Kanadier eingeladen, die paralympischen Sportstätten in Vancouver vorab zu testen“, erzählt er. „Leider haben wir uns für die Spiele nicht qualifiziert.“

Kleine und große Erfolge Im Jahr 2008 schließt Christian Pilz seine Ausbildung erfolgreich ab. Ein Jobangebot hat er bereits. Doch der ehrgeizige junge Mann hat andere Pläne. An der Fachoberschule macht er zunächst seine Fachhochschulreife und startet im Oktober 2009 in Dresden ein Maschinenbaustudium mit Schwerpunkt Fahrzeugtechnik. „Meine beiden Schwestern haben studiert, da kann ich ja nicht hintanstehen“, sagt er schmunzelnd. „Aber Spaß beiseite: Ich wollte einfach mehr. Also probiere ich, ­­­ob’s mit dem Studium klappt. So kann ich mir später nicht vorwerfen, es nie versucht zu haben.“ Vielleicht, ergänzt er, wolle er aber auch einfach gerne dazu beizutragen, mit neuen Entwicklungen im Fahrzeugbau Unfälle wie seinen zu vermeiden. Der enge Kontakt zum BBW besteht bis heute: Pilz besucht dort zweimal pro Woche die Physiotherapie, wirbt bei neuen Auszubildenden für seine Sportart. Auch das erste Dresdner Sledge-Eishockey-Turnier, der SRH-Cup, ist ein gemeinsames Projekt (siehe Kasten). „Außer uns haben noch zwei deutsche und ein niederländisch-deutsches Team teilgenommen“, ­berichtet Pilz, der seit Kurzem Kapitän seiner Mannschaft ist. „Unser erstes Spiel haben wir zwar verloren, am Ende standen wir dann doch auf dem Siegertreppchen, und zwar ganz oben.“ Und temporeich soll es weitergehen. „Spätestens 2018 möchte ich mit der Mannschaft bei den Olympischen Spielen dabei sein“, sagt er selbstbewusst. Zuversichtlich ist er auch in Sachen Karriere: Gerne würde er später im Fahrzeug- oder Maschinenbau arbeiten, vielleicht Kfz-Gutachter werden. „Und wenn’s mit dem Studium nicht klappt, kann ich immer noch den Techniker mit Meister machen. Mir stehen doch alle Möglichkeiten offen. Eines möchte ich jedenfalls nicht: stehenbleiben.“ Christian Pilz hat noch ein weiteres Ziel vor Augen, das wichtigste überhaupt: Seit einiger Zeit kehrt das Gefühl in sein linkes Bein zurück. Nun hofft er, mithilfe seiner Therapeuten und intensivem Training auch das rechte Bein irgendwann wieder bewegen zu können. Dafür wird er kämpfen – mit voller Kraft.

Spannung pur: Beim SRH-Cup landeten die Cardinals Dresden (in Grün) nach einer heißen Aufholjagd am Ende ganz oben auf dem Siegerpodest.

Im August 2010 fand das erste Dresdner Sledge-Eishockey-Turnier statt – der SRH-Cup. Hauptsponsor und Namensgeber ist die Berufsbildungswerk Sachsen GmbH, ein Unternehmen der SRH. ­Geschäftsführer Dr. Hans-Jochen Seidel erläutert, wie die Zusammenarbeit ­entstanden ist. ■■

Wie sind Sie zum Hauptsponsor des Turniers geworden?

Dr. Hans-Jochen Seidel: Die Cardinals Dresden hatten die Idee, ein Turnier in unserer Stadt zu etablieren, um ihren Sport populärer zu machen. Bei der Suche nach Spon­soren waren wir einer der ersten Anlaufpunkte für die Organisatoren Christian Pilz und Marcel Welk, beides Spieler der Cardinals und übrigens auch Absolventen unseres BBW Dresden.

Warum haben Sie sich entschieden, das Projekt zu ­unterstützen? ■■

Die beiden haben uns mit ihrem Engagement sofort überzeugt. Bei uns im BBW befinden sich insgesamt etwa 400 ­Jugendliche mit Körperbehinderungen und chronischen ­Erkrankungen in einer Ausbildung oder Berufsvorbereitung;

jährlich nehmen wir rund 180 junge Leute auf. Da lag es nahe, einen Sport, den Menschen mit Behinderung betreiben, zu ­unterstützen. Zudem hat Dresden eine lange Tradition auf dem Eis. Die Anfänge des Eishockeys gehen hier bis ins Jahr 1909 zurück.

Was ist in Ihren Augen das Besondere an diesem ­Turnier?

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Mich hat von Anfang an begeistert, wie sich die Spieler – und ihre Familien – für diesen Sport engagieren. Auf dem Eis zeigen sie genauso viel Körpereinsatz wie EishockeySpieler. Mein Eindruck war aber, dass sie sich mannschaftsübergreifend näherstehen und gegenseitig mehr unter­ stützen als gesunde Sportler. ■■

Wird es eine Fortsetzung geben?

Wir haben dem Eissportclub Dresden e.V., zu dem auch die ­Cardinals Dresden gehören, schon signalisiert, dass wir sehr daran interessiert sind, uns weiterhin für den Sledge-Eis­hockeySport hier in Dresden zu engagieren. Vereinspräsident Dr. Peter Micksch plant, das Turnier ab dem kommenden Jahr inter­ national auszurichten – und da möchten wir gerne wieder dabei sein.

GABRIELE JÖRG

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