Wettbewerbsbeitrag

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Inhalt Wettbewerbsbeitrag

der Ev.-ref. Kirc hen gemeinde S t. Pauli in Lemgo

st·P aulllilemgo

Ein alternativer Reformationstags gottesdienst

Konzeption, Bilder, persönliche Berichte von BesucherInnen.

Anlässlich des 500. Geburtstag von Johannes Calvin: Eine Nacht der offenen Kirche am 31. 10.2009 in der Kirche in der Echternstr. 20 der ev.-ref. Kirchengemeinde St. Pauli. Ansprechpartner: Pfr. Helge Seekamp Heustr. 59 32657 Lemgo FON: 05261-93 44 66 pfr.Seekamp@st-pauli-lemgo.de 8 www.st-pauli-lemgo.de ¾


»Tradition ist dazu da, Feuer weiterzugeben, und nicht dazu, Asche aufzubewahren.«

500 Jahre Calvin! Bis zu 4 Stunden sich mit der Reformation und ihren Folgen bei uns in Lemgo auseinandersetzen? Die Kirche in der Echternstraße verwandelte sich am 31. 10 von 20.00-24.00 Uhr zum »Erlebnisraum Reformation« anlässlich des Jubiläums »500 Jahre Johannes Calvin«. Kommen und Gehen war allezeit möglich. Die Kirche stand offen, an verschiedenen Stationen wurden die BesucherInnen mit den Auswirkungen der Genfer Reformation nach Calvin konfrontiert.


H a l l o ca l w e e n – 5 0 0 J ah r e C a l v i n

Das Anliegen des Vorbereitungskreises war es, die Reformation erfahrbar zu machen. Wie sollte das möglich sein? Im Team kam die Idee auf, den Raum völlig »auf den Kopf« zu stellen. Und das ging dann praktisch so: Der Abendmahlstisch steht in der Mitte der Kirche (statt einsam und distanziert ganz vorne im »allerheiligsten« Bereich). Die Stühle werden im Kreis um diesen Tisch gereiht, so dass der weiteste Abstand von der Mitte nun nur noch 7 Stuhlreihen (statt ca. 21 Reihen) beträgt. Wir fragten uns, was wohl für ein verwandeltes Raumgefühl entstehen könnte. War es nicht ähnlich damals in der Reformationszeit, als die komplette Inneneinrichtung von Kirchen entbildert oder der »heiligen« Geräte entkleidete wurde? Als die Priestergewänder ausgezogen und die Mehrzahl bekannter Riten abgeschafft wurden? Und wirklich. Der veränderte Raum veränderte die Atmosphäre der Kirche, Jugendliche erlebten es, sich wie selbstverständlich um den Tisch zu versammeln und über die Bedeutung von alter und neuer Ordnung nachzusinnen. Alle, die diesen Raum in dieser Reformationsnacht oder am folgenden Morgen betraten, wurden durch die Gestaltung überrascht. An allen Ecken der Kirche waren andere Stationen aufgebaut, immer aber mit der bohrenden Frage: »Was ist dir heilig?« Ist es eine Stuhlordnung, sind es die Lieder oder andere Traditionen? Im gemeinsamen Gottesdienst wurde zum Schlüsselsatz dieser: »Tradition ist dazu da, Feuer weiterzugeben, und nicht dazu, Asche aufzubewahren!«

»Wunderbar leibfreundlich!«

An 12 unterschiedlichen Stationen konnten die über 60 Gäste für sich Stille suchen, ihre Gedanken und Eindrücke auf der Plakatwand ausdrücken, sich an Tischen im Sprech-Café über Kernthesen der Reformation austauschen, den Raum auf sich wirken lassen, Szenen und Lesungen von Pfarrer Dieter Schneider zur Geschichte der Reformation und Bezüge zu aktuellen Veränderungen aufnehmen… Das Spannende war, unter dem Motto “Was ist dir heilig?” zu erleben, was schon vor 500 Jahren Thema war – und das mit allen Sinnen. Am Morgen danach: Werner Sonntag, den 1. Nov. 10.00-11.30 Uhr: Fortsetzung imKuloge, Stadtführer und »NachtGottesdienst mit dem besonderen Themenschwerpunkt wächter«, engagiert sich zum Selbsterleben: ehrenamtlich in der

»ev.-ref.? Was heißt das eigentlich?« Was heißt eigentlich reformiert nach Johannes

Gemeinde.

lautete die begeisterte Reaktion einer Besucherin:

»Das war ja mal eine pfiffige Idee! Das kam mir entgegen, denn ich wollte auch das Konzert in St. Marien besuchen…Die Kirche war umgeräumt, der Tisch in die Mitte, Kuschelecken, Kerzen? Das darf doch nicht wahr sein! In der streng reformierten Kirche St. Pauli, in der ich 1949 konfirmiert wurde… Gut, dass sich die Kirche gewandelt hat! Luther schrieb: Ecclesia semper reformanda! Und dann noch das Erleben von liebevollem Entgegenkommen: Ich musste auf die Toilette, das “heilige Örtchen”. Wunderbar! Leibfreundlich war das Christentum in den Anfängen. Ihr seid auf dem richtigen Weg.« Was war geschehen? Sie hatte die mit Duftkerzen, Blumen und tiefsinnigen Sprüchen geschmückten Toilettenräume entdeckt. Das nämlich gehörte zum Konzept –nicht nur der Kirchraum, sondern gerade das sonst nur “stille Örtchen” sollte zum Nachdenken anregen, es wurde zum “heiligen Örtchen” umfirmiert. Gegen Mitternacht verließen die Letzten diesen besonderen Ort der Reformation.

Calvin? Wovon reformiert? Wofür reformiert? Wodurch reformiert? Verantwortlich für diesen Jubiläums-Reformationstag war ein Vorbereitungsteam unter der Leitung von Pfr. Helge Seekamp, Jugendlichen & Erwachsene. Der bezeichnende Titel »HalloCalween« setzte mit seinen Anklängen an die über den großen Teich vor 19 Jahren eingeflogenen Halloween-Traditionen einen protestantischen Gegenakzent zu den auch in Lippe gefeierten Geister- und Gruselpartys. Ja, dunkel war die Kirche schon, nur spärlich erleuchtet von den vielen Kerzen und Lichtern. Aber die Atmosphäre in der Echternstraße war ermutigend und andächtig – mit einem Hauch Veränderungsluft. 19 ¾


E r f ah r u n gs b e r ich t

Hallocalween- Eindrücke in einen „modernen“ Gottesdienst In der Lemgoer St. Pauli Gemeinde fand in der Nacht des Reformationstages ein Gottesdienst mit dem Titel „Hallocalween“ statt; eine Alternative zum Konsumfest Halloween. „Was ist mir Heilig?“ Mit dieser Leitfrage wurden die Gottesdienstbesucher aufgefordert sich selbst neu zu entdecken, ihren Glauben, ihre Gewohnheiten und Vorlieben zu hinterfragen. Dazu nun meine eigene Eindrücke und Gedanken.

Dieser persönliche Bericht von einem jungen Erwachsenen spiegelt die Wirkung dieses

Konzeptgottes-

dienstes wieder.

20¾

Als ich die Kirche betrat war ich überrascht. Der Kirchenraum war deutlich umgestaltet. Die Stühle nicht mehr nach vorne zum Altarbild ausgerichtet sondern zur Mitte des Kirchenschiffs. Dort stand dann auch der Altar, auf dem mit Lichterketten geschmückt, ein Abendmahl aufgetischt war. Im gesamten Kirchenschiff waren neben einigen sehr ruhigen Zonen viele bunt beleuchtete Szenen aufgestellt. Selbst der „stille Ort“ wurde in die Gestaltung einbezogen. Wo sollte ich nun die Expedition zu meinem Heiligtum beginnen? Zur Einstimmung auf die Reise wurde ich von den niedergeschrieben Aussagen anderer Besucher inspiriert. „Was ist mir das „heiligste“ in meinem Portemonnaie?“ , „Welche Ritaule im Gottesdienst sind mir „heilig“ ?“ oder „Wie fühlt es sich an, wenn du an dem „heiligen“ Tisch sitzt und isst?“. Eindrücke, Gefühle und Gedanken anderer Besucher waren auf Stellwänden und „World-Café“-Tischdecken zu Papier gebracht. World-Café, das ist eine Methode in der sich verschiedene Personen zu einem Thema austauschen können und bei dem die Ergebnisse auf einer Papiertischdecke notiert werden. Es zog mich weiter, vorbei an einer Chillecke, in der ich mich gemütlich hinlegen und Musik lauschen konnte, vorbei an Stationen, in denen mit Hilfe von Abbildungen, Erläuterungen und Bibelstellen

die unterschiedlichsten Gebetshaltungen erklärt und erlebt wurden. Ungewöhnliche Bibelübersetzungen von moderner Volx- bis historischer hebräischer Bibel lesen, um seine favorisierte Übersetzung zu entdecken, oder einfach einen Film sehen, in den andere Menschen berichten was ihnen „heilig“ ist. So erkannte ich mich in einem Menschen wieder, der sein Training als heilig empfand. Meine einsame Selbst-Endeckungs-Phase wurde unterbrochen durch das Singen gemeinsamer Lieder. Ich hörte eine Vorlesung des Autors Dieter Schneider aus seinem Buch „Calwin“, die am Abend vier mal statt fand. Zum Abschluß mein Gang zur Mitte, zum Altar. Ich schüttete mir etwas zu trinken ein. Profane Handlung am heiligen Ort, eine sehr spannende und ungewöhnliche Erfahrung. Beschenkt fuhr ich nach Hause, auch als später Gast hatte ich nichts verpaßt, war willkommen. Ein sehr angenehmes Gefühl angenommen und angekommen zu sein. An diesem Abend habe ich gespürt, wie vielfältig Leben mit Gott ist, auf welchen Wegen er uns anspricht.


M a t e r ia l i e n

Vorschläge

zur

persönlichen

Gestaltung des Abends (Zettel verstreut im Kirchraum): Frühstückstisch = Abendmahlstisch: • Geh dahin, schmier dir eine Stulle und iss die da. Wie fühlst du dich an dem Heiligen Tisch, dein Frühstück einzunehmen. • Heiligungsgebet: Setz dich hin und bete es so langsam wie möglich für dich in aller Ruhe durch… (txt) • Organisier dir eine Bibel und finde mindestens 3 Stellen, wo es um „Heilig geht“ • Zieh deine Schuhe aus und meditiere den Satz: „Dieser Boden unter dir ist heiliger Ort“ • Geh in die Toilette und wasche dir die Hände: (dort ist mit Lippenstift geschrieben: Du bist heilig, Kernseife mit Unschuld) • Hol dein Portemonai raus, zähl dein Geld, guck was sonst noch drin ist: Wie heilig ist dir dieser Inhalt… Poste mit Postit dein Heiligstes aus dem Portemonaie an die Flippchart beim Eingang • z.B. Blauer Zettel: Wenn du diesen Zettel in der Hand hast, schau nach anderen blauen Zettelträgern und tu dich mit denen zusammen und bete Gott an. Wenn du keinen Zettel siehst: sprich 2 an, der so aussieht als könnte er mit dir Gott anbeten an (wo 2 oder 3 in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen). • Geh in die Chillecke, mache nichts und höre auf die Musik – und genieße Gottes Gegenwart Die völlig umgestaltete Kirche zum Reformationsfest am 31. 10. 2009 unter dem Motto: »Hallocalween« – was ist dir heilig?

• Geh zum nächsten Worldcafé und schau, wann die nächste Startzeit auf dem Tisch angegeben ist. 21


Hallocalwe

en – Station

„HEILIGE TEXTE“

DIE STATION IN DER KIRCHE ZU HALLOCALWEEN, IN DER UNTERSCHIEDLICHSTE BIBELÜBERSETZUNGEN AUSGELEGT WAREN. • GRIECHISCH • HEBRÄISCH • LATEINISCH • DEUTSCHE VARIANTEN

Die verwandelte Kanzel zum Reformationsfest am 31. 10. 2009 unter dem Motto: »Hallocalween« – welche Texte sind dir heilig?

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M a t e r ia l i e n

Übungen im Raum

Abendmahlstisch in die Raummitte: • Tischdeko von Grobs Abendessenstisch • Grobs bunte IKEA-Stühle (6 Stück) (Kontrastmittel) Stühle in OVAL-Reihen um den Tisch stellen.

3 Pfr. Dieter Schneider (Autor eines Calvin-Buches, 2009) -Lesung: Treppe zur Orgel (jede 30 Min. für 15 Min. Lesung, dann 15. Min. Pause. 4. Schreibwand an die Babyraum-Scheibe (Selfathesiv-Präsentationsfolien): Stummes Gespräch, mein Kommentar

Tische aus Gemeindehaus in den „Ecke“, wo Stühle lose ringsum drapiert sind. 5 World-Café : 3 Stehtische (Uhr mit Startzeit) 1 Theaterecke: rechts vor der Kanzel/vor der Treppe / Videotisch:

6 1000 Heilige Zettel: Was ist heilig? (überall im Raum)

2: Potentieller Klangraum („Greogorianik“) Chillraum Musikecke/

7 Banner hängen unter der Empore (4 Stück Tapete glatt mit Edding beschriftet oder Rüdi designt Plakat mit HEILIG, heiliger Vater, heiliges Blechle, heiliger Strohsack, Dreieck mit dem AUGE) 8 Museumstexte in den Vorraum (14 Stück) (Aus der C ALVIN-Kiste) 7 Beamer beamt die Erkärung: was geht? 9: Toiletten: Räucherstäbchen in der Toilette/Lippenstift am Spiegel: Du bist heilig / Heilige Seifenspender / Duftkerzen / Musikplayer / Mediationstexte an die Klotür von innen. 10: Absiss: Anbetungsraum (Kniebänkchen oder Kniekissen) für körperorientiertes Leib-Gebet, Chorraum, Absis

Die verwandelte Chorraum zum Beten mit dem ganzen Körper am 31. 10. 2009 unter dem Motto: »Hallocalween« – welche Gebetshaltungen sind dir heilig? 25


Skizze der Raumveränderung

DIE STATIONEN IN DER KIRCHE ZU HALLOCALWEEN

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Bonusprogramm: Am nächsten Tag wurde sonntags um 10.00 Uhr ein Reformationsgottesdienst im Kreis gefeiert. Absolut ungewöhnliche Sitzordnung… Mit der Schlüsselfrage: Was ist dir heilig? Die Sitzordnung? Lerneffekt: Wie fühlte sich Reformation an, wenn damals elementare Räume und Rituale verändert wurden.


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