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Die Zauberflöte

So und nur so bringt man Die Zauberflöte richtig auf die Bühne?

Teresa Martin

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Papageno als lustiger Vogelfänger im Federkleid, die sternflammende Königin der Nacht, Prinz Tamino auf der Suche nach der Liebe und eine gefährliche Schlange – das sind für viele unserer Zuschauer:innen die nostalgischen Kindheitserinnerungen an ihr erstes Opernerlebnis. Unangefochten führt Mozarts Die Zauberflöte als die Oper schlechthin die Werkstatistiken des Opernspielbetriebs an und gilt so als meistgespieltes Werk, das jährlich vielfachen Neudeutungen und Interpretationen unterzogen wird, dabei aber nichts an Beliebtheit einzubüßen scheint. Wie die Kostüme der Figuren, das Bühnenbild oder der Fortgang der Geschichte auszusehen hat –dazu haben die meisten unserer Zuschauer:innen spezifische Vorstellungen, so das Ergebnis unserer Publikumsumfragen.

Nicht verwunderlich ist es deshalb, dass sich ein erheblicher Teil des Publikums eine ‚klassische‘ Zauberflöte wünscht, die ‚dem Werk treu‘ bleibt. Ein Blick in die Partitur legt die Problematik dieses Wunsches offen: die visuelle (Detail-)Ebene einer Aufführung, die neben Kostüm, Ausstattung und Bühnenbild auch die konkrete Spielweise der Figuren beinhaltet, sucht man in der Partitur oft vergebens. „Das Theater verwandelt sich in einen Palmwald“, schreiben Schikaneder und Mozart zu Beginn des zweiten Aufzuges. Die konkrete Ausgestaltung und die Befragung, weshalb gerade ein Palmenwald für diese Szene angedacht wurde, ist dann die Leistung der Theaterschaffenden, die Regieanweisungen in Bühnen- und Kostümbild oder nachvollziehbare Handlungen verwandeln. Selbst die Rekonstruktion der Ur-Inszenierung, die Mozart und Schikaneder selbst verantworteten, würde nicht zwangsläufig bedeuten, dass sich ihre Wirkung unter heutigen Aufführungsbedingungen und Publikumserwartungen in vergleichbarer Weise entfalten würde wie bei den Zeitgenoss:innen der beiden. Das damalige Gestenrepertoire, das einzelne Emotionen in Körperhaltungen übertrug, ist heute unter Umständen nicht mehr lesbar und bleibt für das heutige Publikum unverständlich. Nichtsdestotrotz sorgt diese historisierende Ästhetik für märchenhafte Theatereffekte, die ihre Wirkung gerade in der Distanz zu unserem Alltag entfalten, wie der erste neblige Auftritt der Königin der Nacht vor einem riesigen Sternenhimmel.

Der Begriff Regietheater, so wie er für die in den 1970er Jahren aufkommenden Regiekonzepte gebraucht wird, bezeichnet da- gegen den Fokus auf eine linear erzählte Geschichte, die meist vor allem auf der bildlichen Ebene für die heutige Gegenwart aktualisiert wird. Papageno und Tamino als lässige Abiturienten treffen auf eine deklassierte Königin als Alkoholikerin. Die Figuren werden im Regietheater typischerweise einer Psychologisierung unterzogen, wobei den Stücken ihre mythischen und historischen Handlungen genommen werden. Eine diegetische Transposition (Gérard Genette) setzt die Stücke in einen zeitgenössischen, politisierten Kontext, der eine Brücke zum Alltag des Publikums schlägt. So fordert die Inszenierung das Publikum auf, als aktiv rezipierendes das Bühnengeschehen mit subjektiven Erfahrungen zu verknüpfen. Der kleine Opernkanon führt allerdings dazu, dass die immer selben Werke mitunter nach jahrhundertelanger Aufführungsgeschichte ästhetisch überformt werden. So greifen Regisseur:innen zuweilen auch zu wenig einleuchtenden Mitteln, die seitens des Publikums den Vorwurf der Willkür schüren. Ein Regietheater-Zugriff erweist sich gerade dann als anregend, wenn die inhaltlichen Themen des Werkes mit nachvollziehbaren Bezügen auf die Gegenwart gepaart werden.

Neben den scheinbar alternativlosen Alternativen Werktreue und Regietheater wird in der Kasseler Inszenierung dem Publikum eine dritte ästhetische Richtung angeboten, die seit den 1980er Jahren hielt: das postdramatische Theater. Oft in einem selbstreferentiell-performativen Setting, das die Bühne als leeren Theaterraum zeigt, stellt das Stück die eigenen Theatermittel wie Licht, Nebel, Video oder Kostümierung aus. In der Distanz zur eigenen Figur stehen die Sänger:innen als Performer:innen auf der Bühne, die diskursiv mit den Konflikten des Stückes umgehen und Dekonstruktion statt Identifikation anbieten. Gerade durch diese verlorene Identifikation mit den Figuren und ihren Kämpfen wirkt die performative Ästhetik mitunter nüchtern und intellektualisiert. Über collagenartige Montagetechniken wird die Partitur mit fremden Material in ein Verhältnis gesetzt, woraus ein neues semantisches Netz entstehen kann. Das Prinzip der Montage verschiedener Darstellungsmittel schafft jenseits der Frage nach Werktreue und Regietheater etwas Drittes – eine Ästhetik des Performativen.

Wie heute eine Zauberflöte ‚richtig‘ auf die Bühne gebracht werden kann, wird durchaus heiß diskutiert, weshalb die Kasseler Inszenierung die Fragen nach Ästhetik, Spielweise und Figurenperspektive immer wieder zur demokratischen Abstimmung freigibt. Denn nun sind Sie dran: Wie sieht Ihre Zauberflöte aus?

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