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Tom Feuerstacke und Tiziano Lucchese schlendern verbal durch eine urbane Straße Wenn man in Städten durch die Gegend läuft, fällt eines sicherlich auf. Es gibt keine Ecke, wo nicht etwas klebt, Gegenstände bemalt wurden. Dem einen ist es egal, für den anderen ist es Kunst. Während die einen sich an dieser Kunst erfreuen, wird das Ganze nicht selten zu einer Ordnungswidrigkeit. In Großstädten haben sich ganze Straßenzüge in ihrer Urbanität zur Kultur entwickelt. Sie entstehen ganz alleine durch viele Künstler und bilden ihre Gesellschaft ab. Was alle urbanen Kunstwerke gemein haben: Sie sind vergänglich.

Vergänglichkeit verewigen

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Tiziano, du bist ein künstlerischer Tausendsassa. Wie ich erfahren habe, nicht erst seit gestern. Deine künstlerischen Anfänge reichen bis in die Schulzeit zurück?

(Lacht) In der Schule fing alles an. Ich habe als Kind und Schüler bereits kreativ gearbeitet. An meiner Schule brachte ich eine eigene Zeitung auf den Markt. Im Grunde eine „Underground-Zeitung“, von der die Lehrer erst mal geschockt waren. Später breitete sich im Kollegium Begeisterung aus.

Ein junger Herausgeber und Verleger. Aber Journalist bist du nicht geworden?

Ich habe mir überlegt, wie ich mich als Jugendlicher noch mehr präsentieren konnte. Singen konnte ich. Also ab in die Musik. Nur spielte ich kein Instrument. Also nahm ich mir eine Gitarre. Ich habe die Stimmung des Instrumentes so hinbekommen, dass ich an einem Wochenende das Spielen erlernte.

Andere brauchen dafür ein ganzes Leben lang und viele können es bis heute nicht. Du hast an einem Wochenende gelernt, die Gitarre zu spielen?

Okay. Ich konnte mich begleiten und Songs komponieren, mir aber nur vorstellen, wie der Song richtig arrangiert klingen würde. Also musste eine Band her. Leute, die die Instrumente richtig spielen konnten. Wir hatten es geschafft, bei einem Indielabel in Hamburg einen Plattenvertrag zu bekommen. Wir hatten es sogar hinbekommen, mit den „Sportfreunden Stiller“ auf einem Sampler zu landen.

Nicht schlecht, wobei es keinen ergiebigen Durchbruch mit der Musik gab.

Das stimmt. Wir waren zu fünft und unsere Karriere fiel den Saugern von Napster zum Opfer. Wirklich ärgerlich. Dieses Phänomen in der Musikindustrie brach meiner Band das Genick.

Das ist einigen Musikern in der Zeit widerfahren. Eigentlich schade. Aber in deinem Fall war es nicht wirklich ein Beinbruch. Du hast weiter CDs aufgenommen?

Ich fragte mich, wer kauft eigentlich noch CDs? Es waren die Großeltern, die ihren Enkeln Hörspiele kauften. Ich gründete den Ratzepeter Verlag, mit dem ich Hörspiele einsprach. Wobei ich alles selbst geschrieben habe. Die Musik komponierte und produzierte ich zusammen mit einem Freund auch selbst. Die Personen, die die Geschichten einsprachen, habe ich organisiert. Alles aus einer Hand.

Ich gründete den Ratzepeter Verlag

Womit du aber richtig durchgestartet bist, waren Film und Fernsehen. Da bin ich das erste Mal so richtig aufmerksam auf dich geworden. Wie bist du in den viereckigen Kasten geraten?

Durch einen Bewerbungsmarathon nach einer Ausschreibung bin ich zum Creative Director von John de Mol bei Endemol gelandet, wo ich als Redakteur an Shows mitgewirkt habe. Das waren nicht so Nachmittagsgeschichten bei RTL 2, sondern richtig große Nummern zur Primetime. Selbst habe ich Werbung und Filme gedreht. Dafür bekam ich unter anderem einen Preis von Michael Ballhaus verliehen. Ich bekam sogar ein Empfehlungsschreiben von ihm, was in Amerika durchaus geil ist. Hier in Deutschland bringt das allerdings herzlich wenig.

Es gab bei dir einen persönlichen Einbruch in deiner Vita, der auf deine Gesundheit zurückzuführen war und der dein Leben ziemlich auf den Kopf gestellt hat.

Vor sechs Jahren wurde bei mir ein bösartiger Tumor an der Zunge diagnostiziert. Das musst du dir mal vorstellen. Als Sänger und Sprecher wird dir gesagt, dass dir die halbe Zunge rausgeschnitten und ein Stück vom Oberschenkelmuskel eingesetzt wird. Das war schon heftig. Ich habe nur dieses eine Leben und habe deshalb meine Prioritäten neu gesetzt. Das Showleben habe ich an den Nagel gehängt und mich wieder dem Komponieren von Musik gewidmet. Da ich nun wusste, wie das Filmemachen funktioniert, fing ich zudem an, Musikvideos zu drehen und Kurzfilme zu produzieren.

Vollendest du eigentlich die ganzen Dinge, die du angefangen hast? Oder siehst du irgendwo eine Lücke und grätschst da rein?

Das zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Alles, was ich anfange, bringe ich zu Ende. Außer einmal beim Studium und das hängt mir auch heute noch innerlich nach. Da konnte mein Film, der quasi gedreht war, aus verschiedensten Gründen nicht fertiggestellt

werden. Das nervt mich noch heute. Da er aber nicht so gut geworden wäre, wie ich ihn gerne gehabt hätte, habe ich damit meinen Frieden gemacht. Ansonsten bleibe ich bei allen Projekten auch bis zum bitteren Ende dran und lasse mich davon nicht abbringen.

Corona hat eine weitere Kunstform bei dir ins Leben gerufen. Du bist losgegangen, hast dir Hölzer, Leinwand und Farbe besorgt. Hast dich auf den Dachboden verzogen und angefangen zu malen. Aber nicht einfach so?

Ich finde, wie viele Menschen auf der Welt, Street-Art sehr spannend. Also habe ich mich entschieden, mixed-medial zu arbeiten. Sachen kleben, draufschreiben und malen, das war meine Idee. Am Anfang habe ich einfachere Street-Art gemacht, die es schon gab. Ich wollte mich allerdings nicht mit den anderen Künstlern auf dem Gebiet vergleichen lassen. Ich fing an, eigene Ideen auf Leinwand zu verwirklichen. Ich wollte nicht auf einen fahrenden Zug aufspringen, sondern mein eigenes Ding machen.

» Alles, was ich anfange, bringe ich zu Ende. «

Was hebt dich in deiner Arbeit von den anderen ab?

Die Bilder sind mit Struktur. Ich haue da Spachtelmasse drauf. Ich stelle Mauern nach, die sich durch urbanes Leben ergeben haben. Inspiriert hat mich dabei das Haus Schwarzenberg in Berlin. Wenn ich heute meine Bilder im Internet suche, kommen Straßen raus. Straßen, worauf die Leute Graffiti gesprüht oder Sachen geklebt haben.

Wie kommt es, dass deine Bilder im Internet als Straßen und nicht als Gemälde erkannt werden?

(Lacht) Das ist total witzig! Google erkennt meine Bilder als eine urbane Straßenecke. Wenn du allerdings Bilder von „Banksy“ oder „Brainwash“ suchst, werden Gemälde angezeigt.

Spannend. Zumal die Kunst auf urbanen Straßen vergänglich ist.

Ich versuche, Momente darzustellen, in denen viele Menschen ihre Spuren hinterlassen haben. Und es stimmt. Das ist pure Vergänglichkeit. Was gibt es Schöneres, als sich mit dieser Vergänglichkeit zu beschäftigen und sie zu „freezen“? Ich stoppe sie. Ich bin der, der es schafft, dass an der Mauer nichts mehr verändert wird. Niemand kann auf ihr noch was malen oder kleben. Ich setze meinen Namen unten rechts hin, und auf einmal ist es nicht mehr der Moment, der aus Vergänglichkeit besteht, sondern es ist ein Kunstwerk.

Wo findest du deine Inspiration für die Bilder, die du schaffst? Wie fängst du den vergänglichen Moment ein, bevor du ihn auf Leinwand einfrierst?

In ganz vielen Momenten hilft einem das Tor zur Welt namens Internet. Da lasse ich mich auch inspirieren. Allerdings nicht von Bildern, sondern von Straßenzügen, die ich sehe. Dann gibt es Dinge, die ich aus meiner Kindheit kenne und verarbeite. Zum Beispiel „Betty Boo“ oder den „DeLorean“. Die Frage war, wie ich die auf meine Bilder bekomme.

Da bin ich aber gespannt.

Von Betty Boo gibt es Millionen im Internet und da gilt es, die schönste zu suchen und zu übertragen. Da stellte sich die Frage, wie ich das mache. Das entscheide ich dann von Bild zu Bild, nach der Größe des Motivs. Je größer es ist, desto eher male ich das Motiv oder fertige eine Schablone dafür an.

Sind auf deinen Bildern immer Dinge, die du auf deinen Reisen gesehen hast, oder kommen dir die Motive in den Sinn?

Beides, würde ich sagen. Manche Vorlagen kommen mir in den Sinn und ich suche sie

Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte

Foto: Teresa Lucchese

Manchmal schaue ich im Netz um Motive zu adaptieren

dann im Netz, um die Motive zu adaptieren. Andere Sachen finde ich, wenn ich durch die Straßen laufe. Man muss halt die Augen offen halten. Welche Inspiration ich auf den Straßen finde, ist der Untergrund für meine Bilder. Da ein Kaffeefleck, hier Ruß aus dem Auspuff eines Autos. So einen Untergrund zu erstellen ist eine ordentlich schweißtreibende Sache. Und manchmal sehe ich abstrakte Bilder und denke: „Hey, das könnte ein Untergrund von mir sein.“ Der Künstler ist dann schon fertig, wenn ich gerade mal meinen Untergrund habe.

Wie bringst du deine Kunst an die Wände der Käufer? Ich stelle mir das Wecken von Interesse in Zeiten von Corona sehr schwer vor.

Kunst verkaufen ging früher nur über Ausstellungen und Galerien. Heute gibt es das Internet. Da gibt es Plattformen für meine Kunst, wobei es nicht einfach ist, da ranzukommen. Ich bin bei einer Plattform in Frankreich und über diese fingen auch meine Verkäufe an. Eine andere Möglichkeit ist Instagram und meine Webseite.

Das klingt alles sehr geplant. Also im weitesten Sinne wie eine Marketingstrategie. Aber häufig liest man von Zufällen, wie Menschen auf die Kunstwerke aufmerksam werden.

So ist es. Ich habe mich immer weiter von der Plattform entfernt, weil ich natürlich keine Massenware herstellen will, sondern viele einzigartige Werke. Das Ganze muss möglichst regional wachsen, um daraus zu erwachsen. Spannend war dabei ein Treffen mit Titus Dittmann. Er mag meine Bilder total und besitzt auch eines.

Jetzt wird es spannend. Das ist natürlich ein Kracher, wenn ein solcher Mann ein Bild von dir besitzt und deine Kunst augenscheinlich mag.

Ich wurde zu einer Matinee bei ihm eingeladen, wo ordentlich bekannte Persönlichkeiten und Gäste waren und Kunst gezeigt wurde. An dem Tag wurden zwei Sachen verkauft: eines war von einer Künstlerin aus den USA und das andere ein Skateborddeck von mir, das ich bemalt hatte. So wünsche ich mir, dass es weitergeht. Ich möchte mich präsentieren können, mit dem direkten Kontakt zum Käufer. Regional verkaufen und auf Deutschland ausweiten. Danach können wir schauen, wo die Reise hingeht.

» Danach können wir schauen, wo die Reise hingeht. «

Man schafft etwas für das ganze Leben. Diese Form der Kunst ist etwas gänzlich anderes als das, was du vorher gemacht hast?

So ein Gemälde ist ein Machwerk für eine Person. Das ist wirklich abgefahren. Die betrachten das Bild jetzt ihr ganzes Leben lang, vererben es vielleicht. Anders als ein Lied, das man 14 Tage im Radio geil findet. Und das wirklich spannend ist. Auch wenn ich selber noch nie in Australien war, zwei meiner Bilder sind da.

Ein gutes Gefühl, vermute ich. Dann hoffen wir mal, dass du durch deine Bilder noch weitere Länder bereist, die du eventuell persönlich nie besuchen wirst.

(Lacht) Danke dir. Vielleicht reise ich ihnen irgendwann hinterher!

INFO

Tiziano „Tizlu“ Lucchese

Das 1978 in Münster geborene Multitalent hat bereits als Kind ein Bild für 500 Mark verkauft. Seine Werke erreichten bereits Millionen von Menschen und wurden national und international präsentiert. Heute schafft er es, mit seiner Malerei die Vergänglichkeit zu verewigen.

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