Stadt Land Einsamkeit - Das Magazin

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Stadt Land Einsamkeit Das Magazin

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Wenn es ihnen zu eng wird, verlassen Einsiedlerkrebse ihr Haus. Uns trieb schließlich die Enge der Stadt auf Reise. Und so verbringen wir einen Sommer in Kanada - Stets zwischen der Einsamkeit des Landes und den Millionen der Städte.

Man kann Urlaub machen in einem fernen Land, man kann die Ferne aber auch erleben. Dazu reicht es oft nicht aus, in einem Hotel einzuchecken und bei der geführten Stadttour dem jungen Geschichtsstudenten zu lauschen. Um ein Land kennenzulernen, bedarf es der Leute, die darin leben. Es bedarf ihrer Geschichten, ihrem Alltag, jenem, der sich freiheraus dir offenbart. Für drei Monate haben wir am Leben in Kanada teilgenommen. Wir zogen mit dem St. Lawrence River und er zog uns in seinen Bann. Und so folgten wir seinem Lauf auf fast 1200 km Länge bis an den Atlantik, wo er uns schließlich den „Maritimes“ - den Provinzen New Brunswick, Prince Edward Island und Nova Scotia übergab. Dieses Magazin ist eine Sammlung an Eindrücken, an Erfahrungen und Erinnerungstücken unserer kanadischen Auszeit. Es lässt Euch in Gedanken reisen und erleben.


21 THYME AGAIN GARDENS Das grüne Glück

22 FAVORITEN Enthusiasmus für gutes Essen

8 CITY OF NEIGHBORHOODS Die Nachbarschaften und der Motor

26 ZU TISCH Gesunde Küche bei Lorraine

31 DIE ZEIT LÄSST UNS WANDERN Und so entdecken wir Ottawa

32 LAC DU POISSON BLANC Der weiße Fisch

11 KALENDER FÜR 2018 Toronto, deine Vielfalt

13 WILLKOMMEN WOANDERS Oder ankommen Zuhause

15 UNTERWEGS Der freundliche Busfahrer

16 FAVORITEN Ein Stadtspaziergang der Diversität

62 DAS ZUSAMMENLEBEN MIT DER NATUR DIY-Natur für dein Zuhause

65 MONOKULTUR IST

83 ZWISCHEN SEEGRAS

66 ZU TISCH

85 ALLES IST WASSER

72 PAPA, I‘M A ROLLING STONE

86 SO GEHT‘S

73 EINE FREUDE UNTER NACHBARN

87 CAPE BRETON, DA MUDDERTUNG

...nicht nur für den Acker schädlich

Kochen über dem offenen Feuer

Weiter, nur nicht stehen bleiben

Und der Grasnarbe

Alles fließt

Einen Blumenstrauss binden

Familie Savoie-Tardif

Die Sprache deiner Wiege

78 REISE MIT MUSIK

88 EINE AUTOFAHRT DER AUSSICHTEN

Und du wirst, Zuhause angekommen, weiterreisen

Der Cabot Trail und andere Favoriten

92 UNSER HERZ ...für viele Pfoten


47 LITTLE ITALY Leben mit Amore

48 FAVORITEN Mit Aussicht ausrichten

41 FERM ELEMENTERRE Ein kleine Familienseligkeit

42 DER GARTEN Ein geduldiger Lehrer

55 GEKOMMEN UM WEITERZUFAHREN Zwischenstop Quebec City

59 DER WEG IST DAS ZIEL Und andere Weisheiten, die vortrefflich nicht zutreffen

98 EIN EXKURS IN DIE NATUR Und die so: Regen

103 EIN SCHUSS, VERFEHLT Und Traurigkeit ergießt sich über den Boden

107 UNBÄNDIG UNABHÄNGIG Reisen per Automobil

109 IM RHYTHMUS DER GEZEITEN Einmal Nova Scotia

110 ZU TISCH Campingküche, die Zweite

112 FAVORITEN 123 DER SANFTE ÜBERGANG VON HALIFAX Ein Resümee

VON SARAH KRICKE KORR., ZUS. FOTOS JÖRN SCHELTER


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KAPITEL EINS

Von Millionen zu Millionen

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CITY OF NEIGHBORHOODS Die Nachbarschaften und der Motor

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KALENDER FÜR 2018 Toronto, deine Vielfalt

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WILLKOMMEN WOANDERS Oder ankommen Zuhause

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UNTERWEGS

Der freundliche Busfahrer O16

FAVORITEN Ein Stadtspaziergang der Diversität

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Z Toronto - „City of neighborhoods“. Viele verschiedene Nachbarschaften scharen sich um den geschäftigen Motor Downtown mit seinen imposanten Geschäftsgebäuden.

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4,5 Millionen Einwohner zählt Toronto und doch kommt es uns eigenartig ruhig vor. Vielleicht fehlt uns die Berliner Hast und das mürrische Gezeter der deutschen Hauptstadt. Toronto jedenfalls gibt sich entspannt. Angenehm entspannt. Willkommen in Kanada!


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Willkommen woanders oder ankommen Zuhause

Noch einige Extrarunden dreht unser Flieger über Toronto, ehe wir gegen 17:30 Uhr Ortszeit schließlich landen. Extrarunden, so, also wolle man uns die ganze Bedeutung unserer Reise noch einmal verdeutlichen. Drei Monate voller Neuigkeiten, Gegensätze und Schönheiten. Atmet nochmal tief durch, hört man das Flugzeug blechern sagen und in einer letzten Schleife präsentiert es uns Toronto aus der Luft. Drei Monate für eine Reise - Was uns als großes Abenteuer bevorsteht, betrachtet die Zollbeamtin eher kritisch. Diese glaubt nämlich zu wissen, dass eine so lange Auszeit Grund für kritische Fragen sei. Und so rechtfertigen wir uns leicht unbeholfen und begreifen zum ersten Mal wie glücklich wir sind, wie dankbar für diese Erfahrung. Bei der ersten Fahrt durch die Stadt ist alles groß, einiges bekannt, vieles anders. Wir fühlen uns sofort wohl und können eine leichte Aufgeregtheit nur wenig verbergen. Zum Glück sind wir zu müde um als aufgescheuchte Touristen aufzufallen. Nur unser Gepäck verrät uns dann doch.

DIY-Kalender für 2018 Einfach die einzelnen Blätter ausschneiden, an der dafür vorgesehenen Stelle lochen und auf eine Schnur fädeln. Ab Juli wird der Kalender einfach herum gedreht.

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Unterwegs Der freundliche Busfahrer

Z Freude, es gibt sie: Die Gattung freundlicher Busfahrer. Die lernt man am besten kennen, wenn man versehentlich bis zur Endhaltestelle fährt. So tauschen wir Worte mit dem portugiesischen Busfahrer. Uns bleibt vor allem ein Satz im Gedächtnis: „Alle schauen nur noch auf ihr Handy wenn sie in der Stadt unterwegs sind.“

Und erst später realisieren wir die Ironie seiner Worte. Denn hätten wir mobiles Internet gehabt, hätten wir uns gewiss nicht verfahren. Wir hätten niemals den wunderbaren Busfahrer kennengelernt und mit ihm über Kanada und das Reisen geplaudert. Am liebsten wären wir noch weiter mit ihm gefahren, leider mussten wir in die anonyme Metro umsteigen. Scheuklappen auf und los.

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F - wie favoriten parkdale neighbourhood sugar beach park kensington market royal ontario museum distillery district rogers centre

Ein Stadtspaziergang der Diversitäten 3 Tage verbrachten wir in Toronto Der Stadt am Lake Ontario. Schritt für Schritt haben wir Straßenzüge erkundet - gewiss auch, weil das öffentliche Verkehrsnetz einer eigentlich modernen Stadt kaum gerecht wird.

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KAPITEL ZWEI

Frauenpower zwischen Hühnerstall und Gemüsebeet

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THYME AGAIN GARDENS Das grüne Glück

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FAVORITEN Enthusiasmus für gutes Essen

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ZU TISCH Gesunde Küche bei Lorraine

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Thyme Again Gardens Das grüne Glück

Z Behaglichkeit wie auf dem Dauercampingplatz - nur schöner. Für drei Wochen dürfen wir einen alten Wohnwagen unser Zuhause nennen. Zwischen tierischer Nachbarschaft und Tomatenpflanzen erholen sich unsere arbeitsamen Glieder gern.

Thyme Again Gardens - Zu Deutsch würde ich es am liebsten mit „Der Garten Eden“ übersetzen. Hier wirtschaften Lori und Lorraine als Pärchen zwischen Gemüsebeeten, Hühnerstall und Schafherde. Für alles was hier angefasst wird, schlägt ihr Herz. Ein Herz für Tiere, für gutes Essen, für Gäste und die Gesundheit. So pflückt und trocknet man Kräuter für Tees, kocht herrschaftlich für Übernachtungsgäste, erntet Heu für die Tiere und Gemüse für den Markt. Viel Arbeit, fast schon zu viel für unsere vier Hände und 24 Stunden pro Tag. @ThymeAgainGardens

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F - wie favoriten schwimmen im lake ontario thyme again gardens midtown brewery canada 150 in picton honey pie hives & herbals

Enthusiasmus für gutes Essen Auf der Besucherseite liest man: Prince Edward County ist eine freundliche und ländliche Community, die im „Goldenen Dreieck“ zwischen Toronto, Ottawa und Montreal gelegen ist. Vor allem für gutes Essen, den Weinanbau und eine kleine Kunstszene ist die Halbinsel bekannt.

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R - rezept für veganen schokopudding 1 tasse cashews 4 esslöffel ahornsirup 2 esslöffel kakaopulver 3 esslöffel schokostreusel 3 esslöffel chiasamen prise salz 1 teelöffel vanille nüsse, früchte o.ä. zum garnieren Die Cashews für mindestens 2 Stunden in kaltem Wasser einweichen, besser jedoch über Nacht stehen lassen. Danach erneut mit Wasser abspülen und gut abtropfen lassen.

Wäre ich ein Pflänzchen, dann wäre Erde nicht Erde, sondern dieser vegane Schokopudding. Und statt an winzigen Organismen, äße ich mich an Schokostreuseln satt. Farmerin Lorraine ist Meisterin der gesunden Küche.

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Cashews und die restlichen Zutaten in einen Mixer geben und eine Tasse Wasser hinzufügen. Alle Zutaten solang mixen, bis eine cremige Masse entsteht.

Nun den Pudding in kleine Gläser füllen und für 2 Stunden in den Kühlschrank geben. Vor dem Servieren kann man den Pudding zum Beispiel mit getrockneten Früchten, Schokostreuseln oder Nüssen garnieren. Den Pudding am besten innerhalb von 24 Stunden verzehren.


Blumenkohl putzen, waschen und Röschen auf einer Reibe grob raspeln. Ingwer schälen und fein würfeln. Paprika waschen, putzen und in Streifen schneiden. Karotten schälen und in Stifte schneiden. Lauchzwiebeln waschen, putzen und in feine Ringe schneiden. Koriander waschen, trocken schütteln und die Blättchen von den Stielen zupfen.

2 EL Sesamöl in einer großen Pfanne oder einem Wok erhitzen. Blumenkohlreis darin 3-5 Minuten unter Rühren braten. Ingwer zufügen und mit Sojasoße ablöschen. Mit Salz, Pfeffer und Currypulver würzen. In einer weiteren Pfanne 1 EL Sesamöl erhitzen, Paprikastreifen und Karottenstifte darin 3-5 Minuten scharf anbraten. Mit Salz und Pfeffer würzen.

Eier verquirlen und über den Blumenkohlreis geben. Ei unter Rühren stocken lassen. Paprika, Karotte und Lauchzwiebel dazugeben. Abschmecken und in Schüsseln anrichten. Mit Korianderblättchen und schwarzem Sesam garnieren und servieren.

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KAPITEL DREI

Von der Hauptstadt und Blaubeeren auf einer Insel

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DIE ZEIT LÄSST UNS WANDERN Und so entdecken wir Ottawa

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LAC DU POISSON BLANC Der weiße Fisch

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Die Zeit lässt uns wandern und so entdecken wir Ottawa

Ottawa und schließlich das Haus unserer wunderbaren CouchsurfingGastgeberin Bridget, welche uns, wie sich später herausstellen wird, das größte Geschenk unserer Reise bereitet.

Der Ottawa River teilt das englischsprachige Ottawa von seinem französischsprachigen Zwilling: Der Stadt Gatineau. Als wir den Fluss überqueren, fühlt es sich wie eine Reise durch Welten an.

Die Bundeshauptstadt, die sich eher wie ein kleines Archipel anfühlt, erkunden wir zu Fuß. Hinauf zum Parlamentshügel, in Fließrichtung mit dem Rideau-Kanal, der in acht Schleusenstufen und einem Höhenunterschied von 24 Metern in den Ottawa River mündet. Die schönsten Plätze sind schnell erkundet und so laufen wir mit Ruhe durch die Straßen, trinken Kaffee im Happy Goat Café und unterhalten uns mit Locals wie Amir Zargara @amirzargara.

Bei Regen kommen wir in Ottawa an. Macht uns nichts aus, kann schon regnen. Schließlich klingen die Endorphine noch in unseren Ohren nach unserer ersten erfolgreichen Fahrt per Anhalter, direkt von Prince Edward County in die 270km entfernte Hauptstadt. Und da ist der rotgedruckte Marker auf unserer Route: Die Hauptstadt! Von Kanada! Ich meine des ganzen Kanada. Auch jenes mit seinen entlegendsten Orten und einer Fläche von 9.984.670 km2. Und hier kommt sie, die Rechenformel: Deutschland ist um das 27,9381339-fache kleiner. Während ihr also munter rechnet, erreichen wir in strömendem Regen

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P - wie packliste zelt isomatte schlafsack karte nahrungsmittel geschirr wasserfilter bärentonne kanu säge schaufel feuerzeug outdoorshampoo taschenlampe

Lac du poisson blanc Der weisse Fisch Für drei Tage entfliehen wir der Stadt nach Norden an den Lac du Poisson Blanc - Der weiße Fisch. Hier sind wir zu zweit mit uns allein, verbringen die Nächte auf einer kleinen Insel und pflücken Blaubeeren für unser Frühstück. Für die Wildnis sind wir bestens ausgestattet. Wasser trinken wir mit Hilfe eines Filters direkt aus dem See, unser Essen verstauen wir in einer Tonne und die tägliche Hygiene wird mit biologisch abbaubarem Duschbad erledigt.

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Sie gab uns Ihr Kanu. Sie gab uns ihr Auto. Wir fuhren in den weiten Norden des Landes. Nicht lang, nur lang genug zum glĂźcklich sein.

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KAPITEL VIER

Kisten voller GemĂźse und wir voller Begeisterung

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FERME ELEMENTERRE Ein kleine Familienseligkeit

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DER GARTEN Ein geduldiger Lehrer

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Als wir in den Kühlschrank schauen, ist da Leere und noch etwas Mayonnaise vom Vortag. Anouck, Fred und der kleine Maël stehen nicht mehr an Kassenschlangen. Man geht auf‘s Feld und schaut, was die eigene Ernte zum Lunch abwirft. Ein Transportweg vom Hof ins Haus. Always fresh, sozusagen.

Die ferme elementerre Eine kleine Familienseligkeit

Eine Woche verbringen wir in Montpellier, dem kanadischen Pendant zu der Stadt in Frankreich. Hier lebt man gutbürgerlich und zelebriert einmal im Jahr das Burning Tires Festival, eben irgendwas mit Autos und Rednecks. Weniger bürgerlich hingegen erscheint hier das grüne Eiland der Ferme Elementerre, auf der man nach den Prinzipien der Permakultur wirtschaftet und ganz auf saisonale Küche setzt. Ein lebhaftes Beispiel vom Stadt-Landwandel, der unsere Generation bestimmt. Denn vor wenigen Jahren noch lebte die junge Familie von Fred und Anouck in Montreal. Sie arbeiteten für eine große Pferdeshow, reisen viel und genießen die guten Cafés der Stadt. Bis sie schließlich das Landweh packte und sie zum Schnäppchenpreis ihr jetzigen Zuhause beziehen. Ganz ohne Stadt geht es dennoch nicht. Hier finden sie nämlich die Abnehmer für ihre wöchentlich frisch gepackten Gemüsekörbe. Eine Pension für Pferde sichert außerdem den Unterhalt. @lafermeelementerre

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Der Garten Ein geduldiger Lehrer Zwischen Kohlblatt und Koppel genießen wir das abgelegene Landleben. Wir lernen wie aus einer Tomate eine noch bessere wird und wie man Blumenkohl vor dem Verderben schützt. Zur Abwechslung springen wir in den Rivière de la Petite Nation und lassen uns flussabwärts treiben. O42


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KAPITEL FÜNF

Und die Hochhäuser erinnern daran, dass du nicht in Frankreich bist.

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LITTLE ITALY Leben mit Amore

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FAVORITEN Mit Aussicht ausrichten

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Und weil du schnell vergisst, dass du eigentlich in Amerika bist, erinnern graue Betonsäulen, in denen sich geschäftigt beschäftigt wird, dich an deinen Standort.

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Little Italy Leben mit viel Amore

den Empfehlungen der ehemaligen Montrealer nach und erfahren so eine ganz persönliche Stadt.

Wenn Urban Gardening kein Hype ist, sondern Standard, dann bist du in den Wohnvierteln von Montreal unterwegs. Blumenbeete laden ein ins Innere der Häuser und umrankte Balkone verwandeln das Antlitz der Stadt in einen urbanen Jungle.

Neue Stadt, fremdes Terrain. Der öffentliche Verkehr ist ein wirres Netz aus Linien, Viertelnamen klingen nichtssagend und schließlich besucht man doch nur, was der Reiseführer als Must-See vorgibt. Nicht so, wenn man bei Freunden schläft. Die Schwester unserer Farmerin Anouck bot uns ihr Zuhause in Montreal an Als Basis für die Erkundung der Stadt. Und so schlafen wir für ein paar Nächte im Little Italy von Montreal. Hier ist es wahrhaftig wie im kleinen Italien: Von Balkon zu Balkon führen Wäscheleinen, Kinder spielen in den kleinen Gassen und Vorgärten rahmen die Häuser in Grün.

Was der eine denkt, spricht die andere aus. Würden wir einmal in der Fremde leben müssen, Montreal wäre unser Hafen. Die Stadt fühlt sich wie eine Familie an. Keine große vielleicht, aber unkonventionell dafür. Die Tantchen tragen Hornbrillen aus modischer Überzeugung, der Bruder macht irgendwas mit Medien und die Eltern lehnen sich auch mal zurück und lassen das Leben eben Leben sein. Was wir meinen: Montreal ist Ort für Design, Medien und Kultur, hier mischt sich französisches Laissezfaire mit Weltstadttum. Und wenn einem das geschäftige Treiben in Downtown zu sehr in der Ohren klirrt, nimmt man den exit nature und steigt auf den hauseigenen Berg Mont Royal, um im Stillen über die Stadt zu blicken.

Zur Abwechslung genießen wir wieder das Stadtleben. Erkunden all die kleinen Cafés, stöbern durch Grafiknovellen in Bücherläden und besuchen den Wochenmarkt Jean Talon. Immer wieder gehen wir O47


F - wie favoriten aufstieg zum mont royal café pikolo espresso bar librairie drawn & quarterly little italy

Mit Aussichten ausrichten Montreal ist unser Ausgangspunkt für eine vier-tagelange Tour bis Prince Edward Island. Und so kommen wir nicht umhin, noch einmal alle Vorzüge der Stadt auszukosten. Im wahrsten Sinne, denn viel Zeit verbringen wir in den liebevollen Cafés der Stadt. Nur noch einen Scone und dann steigen wir den Mont Royal empor. Als Einheimischer scheint man die unzähligen Treppen gern zu joggen.

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KAPITEL SECHS

Von einer Reise und dem Fels in der Brandung.

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GEKOMMEN UM WEITERZUFAHREN Zwischenstop Quebec City

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DER WEG IST DAS ZIEL Und andere Weisheiten, die vortrefflich nicht zutreffen

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Teuer ist das Essen und die Unterkunft. Billig dafür die Souvenirläden mit drolligen Shirts & spirituellem Indianerkitsch. Touristen mögen es und es gibt viele davon! Zwischen Selfiestangen und gut gefüllten Portemonnaies überkommt uns dann immerhin die Mächtigkeit des St. Lawrence River.

Gekommen, um weiterzufahren Zwischenstop in Quebec City

Normalerweise verbringt man Zwischenstops in schäbigen Motels entlang der eigenen Route - Oder im Zelt auf dem Walmart-Parkplatz. Als kulturumtriebiger Reisender kommt man dann aber doch nicht umhin, einen Blick in den Reiseführer zu werfen, der sagt: Halt in Quebec. Und so verwerfen wir unsere ganzen Prinzipien und buchen eine Nacht in einem Studentenwohnheim, nur sechs Kilometer entfernt vom Zentrum. Wenn man schon viel für das Zimmer zahlt, spart man natürlich am Ticket für den Bus und läuft die Distanz. Durch Wohnviertel und kanadische Normalität. So können wir immerhin sagen, wir haben ganz Quebec gesehen. Und während wir laufen, überrollen uns Wellen an Touristenbussen - gekommen, um Geld auszugeben. In überteuerten Bistros und schauderhaften Souvenierläden. Wir versuchen indes durch die Scharen zu blicken und die schöne Architektur der „alten“ Stadt und den mächtigen St. Lawrence River zu erspähen. Der beschert uns schließlich samt eindrucksvoller Abendstimmung wieder unseren Seelenfrieden. Zum Glück führt uns unser Weg am nächsten Tag bereits weiter.

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Stoisch ruht er vor der Küste: Der Rocher Percé, ein 88m hoher Kalksteinmonolith. Zentimeter um Zentimeter trägt die Zeit den Felsen ab. Wo einmal ein zweites Tor im Stein gewesen ist, ragt heute nur noch ein Obelisk aus dem Wasser. O56


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Wir bauen uns ein Haus und es hat keine Wände. Es hat auch keine Türen. Die Freiheit lebt darin und teilt sich den Platz mit der Natur.

Die Regel besagt: Je größer und teurer dein Trailer, desto mehr Geld spare beim Campingplatz. Oder gar gleich auf dem Walmart-Parkplatz übernachten. Es gibt auch WLAN. Eine andere Regel besagt ebenfalls, dass je größer dein Trailer, desto größer auch das Auto, dass du dir an selbigen dranhängst. Der Kanadier versteht es für mehr Mobilität. Wir verstehen gar nichts davon.

Der Weg ist das Ziel und andere Weisheiten, die vortrefflich nicht zutreffen

Entlang am St. Lawrence River - So könnte man unsere Reise sehr gut umschreiben. Mitfahrgelegenheit um Mitfahrgelegenheit nähern wir uns der Mündung des mächtigen Stromes. Genauso mitreißend wie das Fließ, ist die Freundlichkeit unserer Fahrer @ag.miles und @boof.toni. Und so schaffen wir mit Blaubeerscones und neuen Freundschaften in nur zwei Tagen die 760 Kilometer von der Kommerzmetropole Quebec City ins überschaubare Percé. Hier ist man, um einen massiven Felsen zu bestaunen. Oder ihn gar im Boot zu umrunden. Für alle Glücklichen hat er ein Loch in der Mitte, sodass wenn man hindurchschaut, gewiss etwas Gutes passiert. Wir schlagen unser Zelt nur wenige Meter von der Attraktion entfernt für die Nacht auf. Fotos sagen später: Hier sind wir gewesen, denn es ist malerisch. Einer von uns muss wohl geblinzelt

haben, als er durch das Loch des Rocher Percé geschaut hat, denn unser Glück spuckt uns schließlich für die kommende Nacht auf einem Walmart-Parkplatz aus. Der Weg ist das Ziel, sagt man oft. Und ich denke mir in diesem Moment nur: Das Ziel ist das Ziel und zwar pronto. Hilft nichts. So setzt sich unsere Reise erst am nächsten Tag fort. Mit der ersten Fahrt am Morgen lernen wir Nicholas @nickqrandell und seine Mutter kennen. Die Gespräche sind flüssig wie unsere Fahrt und die Regenperlen an der Windschutzscheibe. Er will Goldgräber im Yukon werden. Wildness, Abenteuer, Into the Wild und so. Und ich mache mir Sorgen über Bären auf unserer Reise. Er lacht nur mild. Kurzer Stopp im Trailerpark und wir lernen auch noch Tante und Onkel kennen. Nicholas setzt uns schließlich eine gute viertel Stunde vor der Confederation Bridge an der Autobahn ab - Unserer Brücke ins nächste Kapitel. Mit einem Bild für‘s soziale Netzwerk besiegeln wir unsere frisch geknüpften Bande. Und der Regen beschleunigt das Tschüss, zu schnell - So vergessen wir unser Zelt in Nicholas‘ Auto. Adieu, kleines Zelt! Nächster Halt: Canadian Tire, ein neues kaufen.

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KAPITEL SIEBEN

Zwischen monotonen Kartoffelfeldern und Sandstrand

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DAS ZUSAMMENLEBEN MIT DER NATUR DIY-Natur für dein Zuhause

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MONOKULTUR IST ...nicht nur für den Acker schädlich

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ZU TISCH Kochen über dem offenen Feuer

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PAPA, I‘M A ROLLING STONE Weiter, nur nicht stehen bleiben

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EINE FREUDE UNTER NACHBARN Familie Savoie-Tardif

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REISE MIT MUSIK Und du wirst, Zuhause angekommen, weiterreisen

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DIY-Natur für Zuhause

Wir bauen uns ein Haus und es hat keine Wände. Es hat auch keine Türen. Die Freiheit lebt darin und teilt sich den Platz mit der Natur.

Seite 53 - Papier-Girlande. Mit einer Schere entlang der schwarzen Linie schneiden und die Formen an der dafür vorgesehenen Stelle lochen. Die geometrischen Formen auf einen Bindfaden auffädeln und aufhängen. Seite 54 - Miniposter für die Wand. Mit einer Schere entlang der gestrichelten Linie schneiden und Poster mit Klebeband an die Wand hängen.

Das Zusammenleben mit der Natur Für eine Woche leben wir ohne Strom, ohne Wasser, Küche oder Bad auf einem Grundstück mit einer Jurte. Unser Essen kochen wir über offenem Feuer und mit den Flammen steigen unsere Gedanken in den Himmel. Wir genießen die Freiheit und die Elemente, lauschen dem Meer und dem Wind.

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Monokultur ist nicht nur für den Acker schädlich

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Wir bauen uns ein Haus und es hat keine Wände. Es hat auch keine Türen. Die Freiheit lebt darin und teilt sich den Platz mit der Natur.

Ein Mann, ein Haus, ein Haken hinter dem Lebensziel. Wer sich als gestandener Häusle-Bauer dann fragt, wo das Dach geblieben ist, dem darf man antworten: Eine Plane tut es auch.

Staunen macht sich breit, wenn wir verneinen: „Wo arbeitet ihr, auf einer Kartoffelfarm?“ - Auf diese Frage konnten wir uns ebenso gut verlassen, wie auf unsere Mitfahrgelegenheiten. Denn dass wir mit dem Trampen so erfolgreich sind, dafür gibt es einen doppelten Daumen nach oben. Und so werden wir immer wieder gefragt, ob es eben eine Kartoffelfarm sei, auf der wir arbeiten werden. Damit sind sie nämlich gut im Geschäft, die Bauern von Prince Edward Island. Ein Exportschlager, sozusagen. Umso enttäuschter sind wir dann auch, als schließlich die populäre Knolle der Insel auf unserem Teller landet.

Denn so fad wie der Geschmack der beliebten Beilage, ist auch der Beigeschmack von dem Geschäft mit der Kartoffel. Monokultur und Sortenarmut sind nicht nur auf dem Acker ein Ärgerniss. Vielfalt schmeckt man eben. Kartoffeln ernten, müssen wir nicht, stattdessen bauen wir eine Überdachung für einen Picknicktisch. Wohl angemerkt Ganze ohne die Hilfe des Internets. Oder Hilfe im Allgemeinen. Denn wir sind eine Woche auf uns selbst gestellt. Und so genießen wir die spannende Arbeit, die wilde Natur und schaffen uns unseren eigenen Tagestrott.

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R - rezept für linsenaufstrich 200 g rote linsen 200 g rote beete 350 ml gemüsebrühe 1 lorbeerblatt 4 wacholderbeeren 4 zwiebeln 1 teelöffel tomatenmark 1 teelöffel ingwer 1 esslöffel olivenöl kreuzkümmel kardamom Die Linsen nach Grundrezept salz, pfeffer zubereiten.

Brot ist nicht gleich Brot, wenn man es mit selbstgemachtem Aufstrich isst. Wenn dann selbst der billigste Käse noch teuer ist, lacht man sich heimlich ins Fäustchen und denkt: Will ich gar nicht, brauch ich gar nicht. Als Campingvariante schmeckt der Aufstrich auch, wenn man ihn nur mit Brühe, Salz und Pfeffer würzt.

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Die Zwiebel in kleine Würfel schneiden und kurz in Olivenöl anschwitzen. Rote Beete in kleine Würfel schneiden und anbraten. Linsen, Ingwer, Tomatenmark, Lorbeerblatt und Wacholder hinzugeben und mit der Brühe ablöschen. 15 Minuten köcheln lassen.

Lorbeerblatt und Wacholder entfernen und die restlichen Zutaten pürieren.

Nach Belieben mit weiteren Gewürzen abschmecken. Der Aufstrich muss gekühlt und innerhalb von ca. 3-4 Tagen aufgebraucht oder eingefroren werden.


Trockenhefe und Zucker in lauwarmem Wasser auflösen und 10 Minuten ruhen lassen. Öl, Joghurt und Ei einrühren. Mehl und Salz nach und nach einrühren und zu einem Teig verkneten. Teig auf die bemehlte Arbeitsfläche geben und 5 Minuten mit der Hand kneten.

Teig, abgedeckt in einer Schüssel, an einem warmen Ort 1 Stunde gehen lassen. Anschließend in gleich große Teile schneiden und kleine Fladen daraus formen.

Aufstrich bedecken und Käse darüber streuen. So lang weiterbraten, bis der Käse geschmolzen ist.

Den Teigfladen gleichmäßig in einer Eisenpfanne über offenem Feuer von beiden Seiten anbraten, mit selbstgemachtem O69


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Unterwegs in der Natur Andern eine Freude bereiten á la Monique Savoie. Sie bemalt Steine und versteckt diese in der Natur, um andere Menschen zu überraschen. Du brauchst nur Pinsel, Farbe und einen Stein.

Papa I‘m a rolling stone Weiter, nur nicht stehen bleiben

Nichts ist träger als ein Stein. Aber manchmal kommt da wer von außen, bemalt ihn nett und trägt ihn an einen anderen Ort. Ganz heimlich, ein wenig versteckt. Und wird er dann von jemand anderem wiederum dabei entdeckt, wie er da von der Natur bedeckt liegt, erfreut sich derjenige an dem Stein. Probiert das Steinetragen doch einmal aus! Greift zu Pinsel und dem Tuschekasten von früher und bemalt Steine. Und dann tragt ihr sie hinaus in die Welt und immer, wenn dein Stein gefunden wird, dann überkommt es dich ganz glücklich. Wir waren übrigens auch wie Steine. Und dann kam die Zeit und trug uns in die Welt. Probiert das Steinetragen doch einmal aus! Greift zu Rucksack und Gepäck und lasst euch tragen.

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Wir bauen uns ein Haus und es hat keine Wände. Es hat auch keine Türen. Die Freiheit lebt darin und teilt sich den Platz mit der Natur.

Stell dir vor, nur eine dünne Zeltwand trennt dich von den Elementen der Natur und dennoch genießt du den Komfort einer Wohnung. In der Jurte auf Prince Edward Island durften wir genau dieses Gefühl für eine Nacht erfahren.

Eine Freude unter Nachbarn Familie SavoieTardif

Unsere Woche auf Prince Edward Island zählt wohl zu den unüblichen Erfahrungen beim WWOOFing. So tauschen wir das Farmhaus in eine Jurte, das Feld gegen das Meer. Kein Farmer erwartet uns, stattdessen ein prall gefülltes Notizbuch. Die US-Amerikanerin Melissa und ihr Mann vermieten die Jurte an Feriengäste. Freiwillige Arbeiter wie wir helfen ihnen dabei, das Grundstück instand zu halten. Leider werden wir kurzerhand von der Jurte ins Zelt verlegt, da sich zeitgleich eine Familie aus New Brunswick angemeldet hat. Monique @monique.savoie.731, Mario und die Zwillinge Jerome und Jasmin sind uns freundliche Nachbarn. Und während wir ihnen Pizza aus unserer Campingküche anbieten, servieren sie uns Muscheln, die sie mit vollem Eifer und Freude aus dem Sand gegraben haben.

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P - wie playlist phobia. me and my drummer to the blade. everything everything in cold blood. alt-j deep peace (choral version). bill douglas down under. men at work a heartbreak. angus & julia stone don‘t you know how busy and important i am. tom rosenthal

Reise mit Musik und du wirst, Zuhause angekommen, weiterreisen An meinem ersten Arbeitstag nach dem Urlaub setze ich meinen Fuß auf die grauen Gehwegplatten und nur die Musik auf meinen Ohren kann mir ein Lächeln abringen. Sie war stetiger Begleiter auf unserer Reise und bettet sich leise unter unsere Erinnerungen.

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Der Soundtrack unserer Reise ist so vielfältig wir unsere Reise selbst. Zu jedem Lied fallen einem sofort kleine Anekdoten ein. Was haben wir da gemacht, wo sind wir zu diesem Song gewesen? Doch Musik hat uns nicht nur begleitet, sie hat uns auch voran gebracht. Auf der Fähre von Prince Edward Island nach Nova Scotia treffen wir auf den Fiddler Mark Haines. Er und sein Kumpane begleiten die Fährüberfahrt. Als wir ihm erzählen, dass wir nach einer Mitfahrgelegenheit suchen, greift er kurzum zu seinem Mikrofon und stellt uns den Fährgästen vor. A nice German couple möchte gern mitgenommen werden. Was zwar wie eine Ansage aus dem Ikea-Kinderland klingen mag, ist schließlich unser Ticket für die nächste Mitfahrgelegenheit. So treffen wir Amy und James, die uns unserem Tagesziel ein gutes Stück näher bringen.


It's bud the spud from the bright red mud, rollin' down the highway smiling. the spuds are big on the back of bud's rig and they're from Prince Edward Island. Now from Charlottetown or from Summerside they load him down for the big long ride, He jumps in the cab and he‘s off with the pride Sobagos. He‘s gotta catch the boat to make Tormentine & he heads up that old New Brunswick line. Through Montreal he comes just a flyin with another big load a potatoes.

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KAPITEL ACHT

Von viel zu großen Gärten und einem zu kleinen Deutschland

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ZWISCHEN SEEGRAS Und der Grasnarbe

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ALLES IST WASSER Alles fließt

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SO GEHT‘S Einen Blumenstrauss binden

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CAPE BRETON, DA MUDDERTUNG Die Sprache deiner Wiege

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EINE AUTOFAHRT DER AUSSICHTEN Der Cabot Trail und andere Favoriten

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UNSER HERZ Für viele Pfoten

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So riesig wie ihre Gestalt ist auch ihr Herz. Hütehund Fauna interessierte sich zwar nur wenig für die Schafe, für eine streichelnde Hand war sie jedoch sofort bei Fuß.

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Zwischen Seegras und der Grasnarbe

Die Idylle liegt im Detail, das im Fall der Farm Seaweed & Sod ganze 100 acre groß ist (ca. 40 Hektar).

Unser jetziges Zuhause passt ganze 6226 Mal in die Farm von Terry und Dave. Und während ich mich bei diesem Gedanken in völlige Freiheit verliere, fällt es unseren Gasteltern sogleich schwer, ihr Glück zu erkennen. Gewiss, Land und Tier wollen bewirtschaftet werden. Dennoch verlieren sich alle Sorgen und Nöte sehr leicht auf dem Wanderweg im eigenen Wald. Vom Hügel des Grundstückes schaut man nicht nur auf das Wasser des

Bras d‘Or Lake, sondern zur Erholung geht man auch auf selbst angelegten Wanderwegen spazieren. Ihr Geld verdient Farmerin Terry mit einem gut gebuchten Bed & Breakfast und dem Verkauf von Blumen und Eiern, während Dave oft tagelang als Trucker auf Fernwegen unterwegs ist. Schon sehnsüchtig wird unsere Hilfe erwartet. So lernen wir nicht nur die unzähligen Hoftiere kennen, sondern auch die vielen Übernachtungsgäste, die uns in ihren Erzählungen durch ganz Kanada und die USA mit auf Reise nehmen. @seaweedandsod

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Und während warmes Wasser an mir herunterläuft, gleitet mein Blick immer wieder durch das Badfenster auf die Wellen der Bucht und meine Gedanken versinken im Nass.

Alles fließt. Alles ist Wasser

Der Bras d’Or Lake, eine Bucht des Atlantik, ist das 1100 km2 große Zentrum von Cape Breton. Nur an wenigen Stellen findet der See einen Zugang zum offenen Meer, wodurch der Salzgehalt eher gering ist. Um den See mit dem Auto Umrunden zu können, musst du mehr als 400 km zurücklegen. Wichtiger Halt: Christmas Island. Im kleinen Postamt herrscht zu Weihnachten Hochbetrieb! Ein Geschenk, fast wie vom Weihnachtsmann persönlich. Im Winter, wenn die Menschen nicht gerade vor dem Postamt Schlange stehen, genehmigen sie sich ihren drei Uhr Tee in der Mitte des Sees - Dieser ist bei den kalten Temperaturen fast vollständig von Eis bedeckt.

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Cape breton _ Da muddertung Die Sprache deiner Wiege

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a ways to go awful good come hell or high wadder frum away gud dear, gud honest to frig*

* a ways to go _ Can be used to express a great multitude of distances. A „ways to go yet“ may mean 1000 feet, 10 miles, 3 days or 3 months. It depends solely upon the speaker‘s measurement of time and distance.

Was den Menschen aus der Oberlausitz ihr rollendes R und den Nordmännern ihr Moin Moin ist, das ist den Cape Bretonern ihr gud dear, gud. Der Dialekt! Er sagt dir, wo du bist. Wir sind ganz verliebt in unseren Ursprung. Und mit einem „Glück Auf“ begeben wir uns in die Welt der Sprachen: Sechs Redewendungen aus Cape Breton, die unsere Reise umspülen.

* awful good _ If you hear this compliment you can rest assured that what is being described is quite sensational. „Wow, that Rita MacNeil concert was awful good.“ Also „Awful nice“, „awful important“ or „in an awful hurry“.

* come hell or high wadder _ A very emphatic expression meaning at all costs. „I godda find a job come hell or high water“ * frum away _ Any place that is not Cape Breton. „We got some visitors comin to the bunglo but they‘re frum away.“ See also Forn and Forner * Gud dear, gud _ You won‘t go too far in Cape Breton without hearing this phrase. It was immortalized by Bette MacDonald in a local performance of the Summertime Revue. You generally use this when you meet someone and they ask „How she goan bye?“ You would answer, „Gud dear, gud!“ * honest to frig _ Absolutely believable. „Honest to frig, ya shudda seen her hair.“

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F - wie favoriten cabot trail ross ferry marine park seaweed and sod farm bras d‘or lake baddeck

Eine Autofahrt der Aussichten Der Cabot Trail und andere Favoriten Wie Geschwister liegen sie beieinander, der Atlantik auf der einen Straßenseite und die steilen Hänge der Cape Breton Highlands Gegenüber. Unsere Farmerin nimmt uns mit zu einer Tour auf den Cabot Trail, jener Autoroute die die schönsten Schauplätze der Insel vereint. So saftig rund die Hügel und die Augen schwirren vom aufgeregten Umhersehen.

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Wo Brücken gebaut werden, stellen Boote ihren Dienst ein. Den ehemaligen Fähranleger Ross Ferry erklärt die Gemeinschaft entlang der Kempt Head Road zum Erholungspark. Mit regelmäßigen Festen und der sonntäglichen Pommes (Ohne Mayo, dafür mit Weinessig) sammeln sie Geld für Outdoorfitnessgeräte oder einen Wandertrail.

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In der freien Zeit erkunden wir die Wälder hinter der Farm und treten mit beerenverschmierten Mündern aus den Wiesen. Manchmal schwimmen wir in der Bucht oder reden mit Alexander Graham Bell über‘s Fliegen und die Schafzucht.

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DIY: Dein treuer Freund. Hundespielfiguren zum Ausschneiden und Sammeln. Einfach entlang der schwarzen Linie schneiden, Papierlasche teilen und umknicken.

Ein treuer Blick sagt dir: Alles ist gut. Alles kann gut sein. Und ehe du dich versiehst, schiebt eine Hundeschnauze sich auf deinen Schoß.

Unser Herz für viele Pfoten Während unserer gesamten Reise haben wir über dreizehn Hunde getroffen und eben so viele andere Hofbewohner. Ich glaube, unser Herz ist oft und tief in den ein oder anderen Hundenapf gefallen.

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KAPITEL NEUN

Eine Fährfahrt entfernt von Zuhause

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EIN EXKURS IN DIE NATUR Und die so: Regen

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EIN SCHUSS, VERFEHLT Und Traurigkeit ergießt sich über den Boden

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F - wie favoriten port aux basque transcanada highway gros morne national park tablelands und lookout hills trail coyleys tankstelle am viking trail

Ein Exkurs in die Natur Und die so: Regen Wir nehmen eine Auszeit von unserer Auszeit und die Fähre nach Neufundland. Vom Hafen von Port Aux Basque nehmen wir per Anhalter den Transcanada Highway bis zum Gros Morne Nationalpark. Hier macht uns die Natur schnell klar, wer der Chef ist. Wir einigen uns schlieĂ&#x;lich mit ihr darauf, dass wir eine alternative Wanderroute einschlagen, wenn sie uns ein bisschen Sonne gibt. Und so bewandern wir den Lookout Hills Trail und die Table Lands, stets den Gros Morne Mountain im Blick. O98


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Uns wird schnell klar, dass uns die Zeit zu wenig ist, die wir in Neufundland verbringen werden. Die Insel ist nämlich so groß, dass die Bevölkerungsdichte gerade einmal bei 4,4 Einwohnern pro Quadratkilometer liegt. So selten wie menschliches Leben sahen wir leider auch wildes. O100


Kurz vorm Ziel treffen wir Victoria @victoria.l.endicott in der Tankstelle ihrer Eltern. Kurzerhand lädt sie uns zum Zelten in ihrem Hinterland ein. Sie serviert uns Kaffee und die besten Käsesandwiches zum Frühstück, inklusive Wandertipps. So ändern wir unsere Route und schlagen am nächsten Tag unser Zelt in Lomond auf.

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Ein Schuss, verfehlt Und Trauigkeit ergießt sich über den Boden

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Was nützt uns das wilde Leben, wenn es zusammengeschossen auf der Straße steht? Wartend auf Erlösung. Wartend auf den Todesschuss.

Victoria erzählt uns, dass der Gros Morne Nationalpark eine Art Friedhof für Roadkill angelegt hat. Dort werden all die überfahrenen Wildtiere hingebracht. Ihr Geheimtipp: Der Friedhof bei Nacht. So konnte sie zum ersten Mal Luchse beobachten, die sich am reichhaltigen Buffet bedienten. Der Kreislauf des Lebens, nur anders.

So stürmisch wie die nächtliche Fährtfahrt von North Sydney nach Port Aux Basque, Neufundland, verläuft auch unsere Weiterreise zu Land. Und während wir glücklich ob unserer ersten Mitfahrt mit einem Truck, über die regenverhangenen Hügel hinwegsehen, bringt uns ein Elch an die Grenzen unserer Gefühle. Zur Jagdsaison schießt alles in Rambomanier auf jegliches Leben im Wald. Als wir schließlich dem erschöpften Elch auf einem Highway begegnen, soll dieser nur wenig später von der Polizei von seinem Leid befreit werden. „Jäger“ hatten ihm seinen Kiefer weggeschossen. Die Meinungen über die ElchPopulation gehen auf Neufundland

weit auseinander. Das Wildlife Division Department of Environment and Conservation proklamiert die Insel als Jagdparadies. Grund: Eine im Verhältnis zur Fläche große ElchPopulation sorgt immer wieder für zahlreiche Autounfälle. Sicherheit für Mensch und Tier heißt es, Endorphine für Jagdumtriebene meinen sie. Doch mittlerweile äußern sich sogar lokale Jäger besorgt darüber, dass sie immer weniger Elche in der Natur sichten können. Sie zweifeln gar die offiziellen Informationen der Regierung über Bestandszahlen der Elche an.

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KAPITEL ZEHN

Eine Rundreise vor der Rückreise als Balsam für unsere Herzen

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UNBÄNDIG UNABHÄNGIG Reisen per Automobil

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IM RHYTHMUS DER GEZEITEN Einmal Nova Scotia

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ZU TISCH

Campingküche, die Zweite O112

FAVORITEN

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DER SANFTE ÜBERGANG VON HALIFAX Ein Resümee

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Unbändig unabhängig Reisen per Automobil

Nur die Stille und das Meeresrauschen kneifen uns in die salzverklebten Wangen und erinnern uns daran: Ihr seid wirklich hier. Dass du in völliger Abgeschiedenheit dein Nachtquartier aufgeschlagen hast, merkst du übrigens daran, wenn Google Maps keinen Namen für deinen Standort abgelegt hat. Und so bleibt nur zu sagen, die erste Nacht verbringen wir irgendwo zwischen Fraserville und Spencers Island.

Eine Reise ist dann eine Reise wert, wenn sich Erfahrung an Erfahrung reiht. Zum Ende unserer Tour wurde unser Kopf schon fast schwer an Erinnerungen und so auch unser Rucksack. Nach über 3600 km, die wir per Anhalter zurückgelegt haben, mieten wir uns ein Auto und genießen unsere Unabhängigkeit. Eine Woche lang leben wir unseren Traum vom Schlafen im Auto und einem Leben ohne Sorgen. So überkommt uns noch einmal die ganze Schönheit von Nova Scotia und das Glück eines Wanderers. Die letzten Tage in Halifax sind nur noch ein kurzer Puffer, eine kurze Akklimatisierung an das Stadtleben - Bis uns schließlich ein turbulenter Nachtflug wieder zurück nach Deutschland katapultiert.

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Im Rhythmus der Gezeiten Einmal Nova Scotia

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Erstmals lenken wir selbst. Ohne Zeit und ohne Ziel überlassen wir unsere nächtlichen Quartiere dem Zufall, den Hummeln in unserer Magengrube und unserem GMC Terrain. Prolo*

*Prolo ist eine Verbindung aus Proll und Yolo und beschreibt unsere unverhältnismäßge und uns sonst ferne Freude über dicke Karren.

1 Glooscap Trail _ Halifax bis Spencers Island _ Die Tristesse des Highway 102 verlassen wir ab Truro, folgen Minas Basin & stoppen an jedem Antiquätenladen. 2 Glooscap Trail _ Spencers Island bis Medford _ Von der steilen Küste des Cape d‘Or zu den roten Steinen des Cape Chignecto Provincial Park zu den süßen Früchten des Annapolis Valley. Enttäuschung macht sich breit, weil es im schönen Wolfville bereits dunkel wird. 3 Evangeline Trail _ Medford bis Sandy Cove _ Von einem guten Kaffee in Kentville über einen historischen Besuch in Annapolis Royal zum Nachtquartier am Meer. 4 Evangeline Trail/Lighthouse Route _ Sandy Cove bis Carters Beach _ Nach dem Frühstück und Schwimmen im Lake Midway streifen wir entlegene Orte, erkunden das Städtchen

Yarmouth und stranden nach einer nächtlichen Fahrt und Koyoten am Straßenrand an Carters Beach. 5 Lighthouse Route _ Carters Beach bis Bridgewater _ Zum Aufmuntern erst einmal Nacktbaden im Atlantik und später ein Stadtspaziergang in Lunenburg und dann heimatliche Gefühle beim Treffen mit unserer Freundin Anne und Hündin Toika. Am Abend gibt es Bier und Feuer bei den Bechthold-Byrne-Brothers in der Oyster in Bridgewater. 6 Lighthouse Route _ Bridgewater bis Prospect _ Großes Wiedersehen mit unserem Freund Thomas in Halifax bei einem Burrito und Smoothie. Er geht zurück auf See und wir zurück Richtung Prospect. 7 Lighthouse Route _ Prospect bis Peggys Cove _ Kurzer Stop zum Abhaken am Leuchtturm von Peggys Cove - Touristenmassen kommen und wir fahren direkt weiter, erkunden und landen schließlich wieder bei Peggys Cove. Bei Nebel entdecken wir das Hinterland. Am nächsten Morgen wird unser Roadtrip schließlich in Halifax zu Ende gehen.

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R - rezept für gefüllte paprika 2 paprika 1/2 tasse quinoa kleine portion babyspinat 1 tomate 100 gramm hirtenkäse 1 zwiebel 1 zehe knoblauch 1gehackte dose tomaten olivenöl kräuter nach wahl salz, pfeffer käse zum überbacken

Oft jongliert man mit vielen Töpfen und Zutaten um ein üppiges Mahl zu bereiten. In unserer Küche für Unterwegs vertrauen wir auf zwei Töpfe und einen Gaskocher. Und gefüllte Paprika in der Camping-Edition.

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Paprika waschen, Deckel abschneiden und entkernen.

vermengen und anschließend in die ausgehöhlten Paprika füllen.

Quinoa waschen und nach Packungsanleitung zubereiten

Etwas Öl in einen größeren Topf geben und restliche Zwiebel darin andünsten. Die gehackten Tomaten hinzufügen und mit Kräutern, Salz und Pfeffer abschmecken. Anschließend die gefüllten Paprika in den Tomaten kochen und mit Käse bestreuen.

Die Hälfte der Zwiebeln und des Knoblauchs klein schneiden und glasig dünsten. Die Tomate in kleine Stücke schneiden und hinzufügen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken. Alles mit dem Quinoa und Hirtenkäse


Alle Zutaten sorgfältig zu einem glatten Teig verrühren. In einer beschichteten Pfanne etwas neutrales Öl erhitzen und nacheinander kleine Pancakes ausbacken. Schmeckt natürlich am besten mit Ahornsirup. Ergibt etwa 14 Stück.

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F - wie favoriten aussicht am cape d‘or peggys cove im nebel bucht in prospect bei sonnaufgang rote felsen des cape chignecto provincial park strand in der nähe von spencers island

Die Gezeiten bilden eine sonderbare Formation an Wellen und Strömungen am Cape d‘Or in der Bay of Fundy. Hier können die Unterschiede von Ebbe zu Flut bis zu 14 Meter betragen. Nur unsere Faszination liegt noch darüber.

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Die letzte Nacht von unserem Roadtrip verbringen wir am Long Lake, Peggys Cove. Alles liegt im Nebel, so auch unsere Gedanken. Wie fĂźhlt man sich, wenn eine Reise zum Ende kommt? Die Landschaft kommt uns plĂśtzlich noch viel intensiver vor.

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Posen fĂźr die Lieben zu Hause. Wie bringt man die SchĂśnheit der Natur denn sonst authentisch zur Geltung als im unmittelbaren Vergleich?

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Der sanfte Übergang von Halifax Ein Resümee

Wir waren stets in einem Zuhause: Ob auf einer Farm, bei Couchsurfern oder zu Besuch bei Freunden aus Deutschland. Und wir meinen nicht das Airbnb „Zuhause-imUrlaub-Zuhause“, sondern ein richtiges, wo die Freundinnen zum Gesangstraining kommen, wo man sich abends auf ein Bier trifft, jenes wo bunte Kinderzeichnungen an den Wänden kleben.

Die letzten Tage in Halifax erscheinen uns nur noch wie ein Daumenkino. Wir versuchen uns an den Gesten der Stadt zu erfreuen, doch immer wieder schweifen unsere Gedanken ab, wie es wohl werden wird, nach drei Monaten im Zelt und Campingtrailern, auf weiten Wegen und kurzen Bekanntschaften, wieder auf 65 Quadratmetern sesshaft zu werden. Der Regen an diesen Tagen unterstützt unsere Wehmut und so nehmen wir dankend die Wohnlichkeit des ein oder anderen Cafés an. Frisch geknüpfte Bande der Freundschaft taufen wir bei einem letzten Bad im See und merken nur wieder deutlich, wovon unsere Reise erzählen wird. Es werden die vielen Menschen sein, an die wir uns gern zurück erinnern. Unsere Gasteltern auf den Farmen, Autofahrer, die uns für ein paar Stunden in ihre Welt eingeladen haben und zu guter Letzt Freunde aus Deutschland und ihre Freundesfreunde. Mit Freude möchten wir uns bei diesen Menschen bedanken.

Danke an alle, die uns auf unserer Reise begleitet, an Erfahrung reicher gemacht und unterstützt haben.

Sarah & Jörn

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