3 minute read
lulu Mainz: »The Mystery of Banksy«
Der Pinsel ist eine Waffe
Advertisement
Die Suche nach dem berühmtesten Street Art Künstler der Welt führt nach … Mainz. Hier ist Banksy allerdings nicht an der Mauer, sondern zwischen Mauern zu sehen. Im dritten Stock des ehemaligen Karstadt-Gebäudes ist ihm bis zum 16. Januar die Ausstellung »The Mystery of Banksy – a Genius Mind« gewidmet, die die junge englische Galeristin Virginia Jean kuratiert hat. Das ehemalige Karstadt-Gebäude bietet derzeit Pop Up Stores eine Unterkunft, eine für Malereibedarf ist auch grade drunter, und ein Vintage-Laden. Das nennt sich »Erlebniswelt mit Kulinarik und Fashion«, was ja ein ziemlicher Widerspruch zu Banksys antikonsumistischer Einstellung ist. Doch durch die muss man jetzt durch. Ja , und dann Banksy. Wie kann man einen Straßenkünstler in ein Museum bannen? Erschließt sich sein Geheimnis, seine Kunst, seine Unmittelbarkeit, das Volatile, die Verblüffung, die er auslöst, das Verspielte im extrem Politischen, erschließt sich das denn überhaupt in einem Gebäude? Diese Kunst, die spricht? Eine, die den öffentlichen Platz braucht, die denjenigen eine Stimme gibt, die keine haben? Wer schon verliebt in Banksy war, bevor er die Ausstellung besucht, wird es hinterher noch mehr sein. Der Unbekannte aus Bristol ist der vermutlich liebevollste Provokateur derzeit, was ihn – der Begriff sei ausnahmsweise gestattet – auch so gut konsumierbar macht. Allerdings: das Entsetzen ist nicht weit. Das beginnt schon beim Bild, welches in die Ausstellung einführt: das 2005 entstandene »The Palestine Wall« meint die Mauer um das Westjordanland, doch es ist ein Riss wahrnehmbar und ein Stück vom Himmel. Auf dem »Blumenwerfer« hält ein Mann einen Blumenstrauß wie einen Molotov-Cocktail in der Hand; dieses dreiteilige Werk leitet über in den ersten Ausstellungsraum, und dieser ist seinem 2017 in Bethlehem erbauten »Walled Off Hotel« gewidmet. Das Hotel nennt sich selbst das »mit der schlechtesten Aussicht der Welt«, weil alle Fenster hinaus auf die Grenzmauer blicken. Die Zimmer in dem von Banksy ausgestatteten Hotel kosten zwischen 30 und 900 US Dollar, der Erlös geht komplett an palästinensische communities, das Personal trägt Affenkostüme, es gibt Klavierkonzerte und abends Walled Off Salat und Pizza. Der »Blumenwerfer« ist eine der bekanntesten Arbeiten Banksys, greift den Hippietraum der Flower-Power-Bewegung auf und symbolisiert sein Motto: Straßenkampf und Frieden! Noch viel mehr ist in diesem Raum zu entdecken, der mit seinen Medaillontapeten so wunderbar altmodisch wirkt – doch eben mit einem Riss darin. Der zweite Raum spricht nun wirklich, in dem er schweigt. Ein riesiger, mit rotgoldener Tapete beklebter Pappelefant steht mitten in einem feinen großbürgerlichen Wohnzimmer und illustriert die Metapher »Ein Elefant steht im Raum«. Wie verhalten wir uns angesichts der groben Ungerechtigkeiten, der endlosen Kriege, der sozialen Verelendung, der Unterdrückung von Minderheiten, der Emotionslosigkeit, der Ignoranz? Wir schauen weg. Da steht ein Elefant im Raum und wir übersehen ihn einfach. Banksy übersieht nicht: er finanziert das Flüchtlingsboot »Louise Michel«. Die Ausstellung kann aus einer Fülle überraschender Kunstwerke schöpfen. Insgesamt sind es mehr als 100 Arbeiten, Drucke, Graffitis, Skulpturen und Videoinstallationen, die hier ausgebreitet werden. Auf sehr bittere wie »The Playmate of the Month« – ein Panzer mit Bunny-Ohren und die Abu-GhraibDarstellung mit einem Engel – folgen skurril-humoristische: In einer Nische wird das Ölgemälde »Devolved Parliament« von 2019 gezeigt, auf dem das komplett mit disputierenden Schimpansen besetzte Unterhaus zu sehen ist. Die passende Soundinstallation: Schimpansengeräusche sind vermischt mit tatsächlichen Parlamentsdebatten. Und wer erinnert sich nicht an die Versteigerung des »Girl with Balloon«? Das soeben gekaufte Werk zerschreddert sich vor den Augen der staunenden Öffentlichkeit selbst, eine ganz wunderbare Satire auf die Aufgeblasenheit der Kunstwelt. Ganz klar, diesen Künstler muss man einfach lieben, weil er so poetisch ist, weil er die wichtigsten Konfliktthemen der Welt aufgreift und sie in so eindrückliche Botschaften umwidmet. Das berühmte Seerosenteichbild von Claude Monet verwandelt er beispielsweise in einen illegalen Müllabladeplatz. Der Pinsel, die Kunst – sie sind Waffen. Banksy übrigens hat diese Ausstellung bislang nicht kommentiert. Die Kuratorin legt Wert auf die Feststellung, dass sie unautorisiert ist, die Wandgemälde im lulu haben vier Straßenkünstler im Stil von Banksy angefertigt. Bislang ist auf seinen sozialen Kanälen kein Einwand zu lesen, sie scheint ihm wohl zu behagen. Und um die ursprüngliche Frage zu beantworten: Natürlich geht man hin. Mit sehr viel Zeit. Wir sollen nicht nur sehen, wir sollen auch denken und vielleicht auch handeln.
Susanne Asal
Bis zum 16.Januar 2022, lulu, Ludwigstr. 12, mainz, So.–mi., 10–18 Uhr; Do.–Sa., 10–20 Uhr www.lulu-mainz.de www.mystery-banksy.com