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Die große Chance
DIE GROSSE CHANCE
Warum sich die Alternativlosigkeit, den Webfehler der Modebranche zu korrigieren, als einzigartiger Glücksfall entpuppen könnte.
Ein Kommentar von Stephan Huber
Zu den erstaunlichsten Vorwürfen, mit denen Greta Thunberg im aktuellen Kulturkampf überschüttet wird, gehört die Empörung darüber sie wäre nur Teil einer groß an gelegten PR-Kampagne. Na geh … echt jetzt? Selbstverständlich ist dieses verwirrende Mädchen das Gesicht einer Kampagne. Und zwar, mit Blick auf ihren Impact, der vielleicht besten Kampa gne, an die zumindest ich mich erinnern kann. Binnen eines Jahres von der bezopften Einzelkämpferin mit Pappschild vor dem schwedischen Reichstag zur nicht vereinnahmbaren Symbolfigur einer globalen (Jugend-) Bewegung mit immer stärkerem gesellschaftspoliti schem Einfluss zu werden, das ist auch im Zeitalter der Social-Media-Potenzierung eine erstaunliche Leistung.
Das Vorrecht der Jugend
Ja, da steckt ein gut organisiertes Team dahinter. Ja, da gibt es wohl jemanden, der die Reden schreibt und auch jemanden, der offensichtlich verdammt genau versteht, welche Tasten man drücken muss. Und? An gesichts der ungezählten Lobbyisten, die von der „Gegenseite“ in die Schlacht um die Deutungshoheit innerhalb der so leicht zu beeinflussenden Aufmerk samkeitsökonomie geworfen werden, ausgestattet mit atemberaubenden Budgets aus allzu oft durchaus du biosen Quellen, war es hoch an der Zeit, dem professionell ein hartes Narrativ entgegenzusetzen. Es ist das Vorrecht der Jugend, radikale gesellschaftliche Forderungen zu stellen und Utopien zu entwickeln. Niemand ist gezwungen, diesen Forderungen vollstän dig oder auch nur teilweise zu folgen. Ich beispielsweise sehe, bei aller Sympathie, manches doch sehr anders. Vor allem bin ich überzeugt, dass eine Lösung nur durch die Kraft der Innovation innerhalb einer gesunden Marktwirtschaft erreichbar ist. Aber dass es Greta Thunberg gelungen ist, für die Frage, wie wir künftig mit den natürlichen Ressourcen um gehen und wie wir ein anderes, weniger nachlässiges, sondern letztlich viel lohnenderes und befriedigen deres Konsumverhalten entwickeln, innerhalb weniger
Monate mehr Bewusstsein zu schaffen als Politik und Medien zuvor in einem Jahrzehnt, ist ein großes Verdienst. Dass viele Erwachsene darauf mit eigentlich unfassbaren Entgleisungen reagieren, sich aggressiv an einem jungen Menschen abarbeiten, ist er schütternd und führt die teils völlige Enthemmung, die den öffentlichen politischen Diskurs erreicht hat, erschreckend vor Augen.
Teil des Problems
Die Frage, warum Thunberg so massiv polarisiert, ist spannend, denn die Antwort führt unweigerlich auch immer zu einem selbst. Ich habe in den letzten Monaten in vielen Debatten und Diskussionsrunden an hand eines sehr augenscheinlichen Beispiels erklärt, warum die Modebranche unter den Top drei der die Umwelt am meisten schädigenden Industrien zu finden ist. In den Kleiderschränken Österreichs hängen und liegen rund 77 Millionen Kleidungsstücke vollkommen unbenützt herum. Schwankungsbreite zehn Prozent. In einem Land mit rund acht Millionen Einwohnern. Dem fast ungläubigen Staunen folgt die Hochrechnung im Kopf. Auf Deutschland, die EU usw. Vor allem aber muss ich mir eingestehen, dass ich Teil des Problems bin. Und das zentrale Problem der Modebranche heißt Overproduction und Overconsumption. Eine fast unüberschaubare Menge an Produkten schafft es nämlich nicht einmal in die Kleiderschränke. Ge schätzt bis zu 30 Prozent werden jährlich mehr oder weniger direkt für die Tonne produziert. Mode ist zu einem Einwegartikel verkommen, den man achtlos entsorgen kann wie das Papier, in dem das Leberkä sesemmerl eingewickelt war. Das ist nicht nur ökologischer, sondern auch ökonomischer Wahnsinn. Das ist DER zentrale Webfehler unserer Branche.
Teil der Lösung
Diesen zu korrigieren, ist eine enorme Herausforde rung. Gleichzeitig, und das sollte im Zentrum jeder Annäherung stehen, eine enorme Chance. Die Modebran che mit ihrer ungebrochenen, kommunikativen Außenwirkung kann Vorbild und integraler Teil der Lösung werden. Durch neue Technologien und Businessmodelle. Durch Innovation und echtes Unternehmertum auf allen Ebenen. Von der, dank Innovation in immer höherem Ausmaß recycelten Rohware, über, dank klugen Daten managements immer präziser gesteuerter Produktion, bis zum hybriden Point of Sale, an dem den Konsumen ten endlich wieder Substanz geboten werden kann und dem Handel eine ganz entscheidende Rolle zukommt. In einer sich unzweifelhaft ändernden Marktrealität werden die Konsumenten nämlich Glaubwürdigkeit und Orientierung verlangen. Und wer könnte diese Ver mittler- und Erzählerfunktion bitte besser wahrnehmen, als ein serviceorientierter, gut informierter Fachhandel, dem die Kundinnen und Kunden aufgrund seiner Kompetenz auch wirklich vertrauen? Geht dieser Wandel von heute auf morgen? Natürlich nicht. Geht er zu hundert Prozent? Natürlich auch nicht. Aber es kann und wird sehr viel gelingen. Und dennoch wird genug Raum für Hedonismus, Spaß und Un vernunft bleiben. Aber sehr viel weniger für Dummheit.