Metamorphosen

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Freitag, 28. Juni 2019, 20 Uhr Helmut List Halle

Metamorphosen

Benjamin Britten (1913–1976)

aus: Sechs Metamorphosen nach Ovid, op. 49 für Oboe solo

I: Pan Senza misura. Lento ma subito accelerando

Lesung: Pan Claude Debussy (1862–1918)

Syrinx für Flöte solo Ludwig van Beethoven (1770-1827)

aus: Duo in C, WoO 27 für Klarinette und Fagott Allegro commodo

Lesung: Hyakinthos Olivier Messiaen (1908–1998)

Appel interstellaire aus: Des Canyons aux Étoiles für Horn solo

Lesung: Orpheus und Eurydike


Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791)

Fantasie in f, Ein Orgelstück für eine Uhr, KV 608 (arr. für Bläserquintett von Rainer Schottstädt, 1951–2016) Allegro. Andante. Allegro

György Ligeti (1923–2006)

aus: Sechs Bagatellen für Bläserquintett Nr. 1: Allegro con spirito Nr. 2: Rubato. Lamentoso Nr. 3: Allegro grazioso

Lesung: Philemon und Baucis György Ligeti

aus: Sechs Bagatellen für Bläserquintett Nr. 4: Presto ruvido Nr. 5: Adagio. Mesto (Béla Bartók in memoriam) Nr. 6: Molto vivace. Capriccioso

Lesung: Phaëton Benjamin Britten

aus: Sechs Metamorphosen nach Ovid, op. 49 für Oboe solo

II: Phaeton Vivace ritmico. Agitato

III: Niobe Andante


Lesung: Niobe Wolfgang Amadeus Mozart

Adagio und Allegro in f, Ein Stück für ein Orgelwerk in einer Uhr, KV 594 (arr. für Bläserquintett von Rainer Schottstädt) Adagio. Allegro. Adagio

Peter Simonischek, Lesung Maria Beatrice Cantelli, Flöte Markus Deuter, Oboe Wolfgang Kornberger, Klarinette Edurne Santos Arrastua, Fagott Christian Binde, Horn & Einstudierung

Die Lesetexte stammen aus: Gustav Schwab, Die schönsten Sagen des klassischen Altertums, Fassung Gotthold Klee, 1881. Textauswahl: Thomas Höft.

Patronanz:

Programmdauer: Erster Teil: ca. 50 Minuten Pause: ca. 30 Minuten Zweiter Teil: ca. 60 Minuten

Hörfunkübertragung: Dienstag, 2. Juli, 14.05 Uhr, Ö1


Metamorphosen

Wie kann man eine Lesung aus Ovids „Metamorphosen“ musikalisch umhüllen? Wir dachten: mit einem Bläserquintett. Vier Holzbläser und ein Hornist auf Instrumenten unserer Zeit. Deren Klang aber reicht weit in die Antike zurück. Doppelrohrblätter sind so alt wie die Hirtenkulturen des Mittelmeerraums, Flöten und Hörner noch viel älter. Trotz der Klappenmechanik und der Ventile weht der Atem heutiger Bläser noch so mythisch wie einst zu Ovids Zeiten.


Ad notam

Metamorphosen für Oboe solo Wer bei der Oboe an den griechischen Aulos denkt und an die mythologische Bedeutung des Schilfrohrs, ist schon auf dem richtigen Weg zum Verständnis der „Metamorphosen“ von Benjamin Britten. Es war die Oboistin Joy Boughton, die ihren englischen Landsmann zu seinen sechs mythologischen Solo­stücken nach Ovid inspirierte, aber nicht als eine Musik für den Konzertsaal, sondern fürs Freie. Gleich beim zweiten Festival in Brittens Wohnort Aldeburgh, 1949, hatten die Madrigalsänger der Cambridge University ein Konzert auf dem Wasser gegeben, und zwar auf dem Thorpeness Meare, einem See voller Inseln und mit reichem Schilfbestand. 1951 wollte Britten dieses Experiment wiederholen und schrieb dazu eine Suite „for Joy Boughton to play on the Meare“. Bei der Uraufführung am 14. Juni 1951 war ein Kritiker der Times anwesend und pries den tragfähigen Klang der Oboe auf dem See: „Der Ton der Oboe trägt sehr weit im Freien. Miss Boughton ist eine fähige Künstlerin. Sie präsentierte die Stücke mit dem Gusto einer guten Geschichtenerzählerin.“ Bei einer zweiten Aufführung vor den Live-Mikrophonen der BBC im Oktober 1952 platzte der Ansager mitten in das Stück „Niobe“ hinein. Die Oboistin war so erzürnt, dass sie ihn am liebsten „in einen Berg verwandelt“ hätte, so sehr identifizierte sie sich mit dem Inhalt der Mythen. Ihre Schülerin Joanna Lees schrieb später: „Sie erweckte die Metamorphosen auf magische Weise zum Leben. Sie fühlte jede der Geschichten so intensiv, dass man nicht anders konnte, als vollkommen berührt zu sein, und doch spielte sie weit weniger strahlend und ‚showy‘ als heutzutage.“ Sie pflegte ihren


Schülerinnen zu sagen: „Britten wusste, was er tat. Es steht alles da. Man muss es nur spielen.“ Die Oboistin, die 1913 als Tochter des Komponisten Rutland Boughton zur Welt kam, starb schon 1963, mit 49 Jahren, kurz bevor sie ihre Stelle als Oboenprofessorin am Royal College of Music hätte antreten sollen. Zum besseren Verständnis gab Britten seinen sechs Oboenstücken etwas längere Titel. Die drei Stücke unseres Programms werden hier außerdem mit kurzen musikalischen Hinweisen versehen: 1. „Pan, der auf dem Schilfrohr spielt, welches Syrinx, seine Angebetete, war.“ Ein Solo in der pastoralen Tonart A-Dur und im Stil der Impressionisten. Tonrepetitionen unterstreichen den Rohrblattklang der Oboe. 2. „Phaeton, der mit dem Sonnenwagen zur Sonne fuhr und von einem Blitz in den Fluss Padus geschleudert wurde.“ Gebrochene Dreiklänge verdeutlichen die Fahrt des Helden zur Sonne und seinen Sturz. 3. „Niobe, die um ihre 14 Kinder trauerte und in einen Berg verwan­ delt wurde.“ Ein großer Klagegesang im Opernstil, an dessen Ende ein Arpeggio in Des-Dur die Metamorphose anzeigt.

Syrinx für Flöte solo Aus Schilfrohr kann man nicht nur das Doppelrohrblatt einer Oboe schnitzen, sondern auch eine Panflöte zusammensetzen. Wie es zu ihrer Entstehung kam, hat Ovid im Mythos von Syrinx und Pan erzählt: Der Waldgott Pan stellt der schönen Nymphe Syrinx nach, die sich vor seinen Augen in Schilf verwandelt. Ihm bleibt nur die traurige Pflicht, aus Schilfrohren die „Pan-Flöte“ zusammenzu­ fügen und darauf sehnsuchtsvoll zu spielen. Der französische Dramatiker Gabriel Mourey baute diesen Mythos 1913 in sein Schauspiel „Psyché“ ein. Als ganz kurze Schauspielmusik zu diesem Drama schrieb Debussy sein Flötensolo „Syrinx“. Dabei nutzte er gerade nicht die viel strapazierte und leicht strapaziös klingende


hohe Lage der Flöte aus, sondern ihre tiefen Töne in der ersten Oktav, bis hinunter zum tiefen C. Die gleichsam vegetativ sprießenden Läufe dieses Flötensolos erinnerten den Debussy-Kenner Harry Halbreich an die florealen Motive des „Art nouveau“.

Sternenappell für Horn solo Vom „Grand Canyon“ in den USA direkt in die Weiten des Weltraums, zu den Sternen: so stellte sich Olivier Messiaen das Hornsolo vor, das er 1974 in sein Klavierkonzert einfügte. Auf einer Reise in den US-Bundesstaat Utah hatte ihn besonders der Bryce Canyon tief beeindruckt, „ein gigantisches Amphitheater aus roten, orangefarbenen und violetten Felsen in fantastischen Formen“. Dieses Erlebnis schlug sich in seinem monumentalen Klavierkonzert nieder, das im November 1974 im Lincoln Center in New York uraufgeführt wurde. „From the Canyons to the Stars“, so der englische Titel des Neunzig-Minuten-Werkes, auf Französisch „Des Canyons aux Étoiles“. Als sechsten Satz schob Messiaen ein Solo für Horn ein, den „interstellaren Appell“. Es ist ein solistischer Vorspann zum monumentalen Panorama des Bryce Canyon im siebten Satz. Die Ehrfurcht, die den Menschen im Anblick der großartigen Natur ergreift, lässt seinen Blick und seinen Ruf zu den Sternen wandern. Ursprünglich freilich hatte dieses Stück nichts mit den Sternen oder dem amerikanischen Westen zu tun: Es war eine Trauermusik auf einen überraschend verstorbenen Schüler. Im März 1971 starb der junge Komponist Jean-Pierre Guézec im Alter von nur 36 Jahren. Spontan fanden sich acht Komponisten zusammen, um beim Festival de Royan im April mit je einem Solostück an den Verstorbenen zu erinnern. Zu diesem „Tombeau de Jean-Pierre Guézec“ steuerten Kollegen wie Marius Constant, Iannis Xenakis oder Betsy Jolas Solostücke für Kontrabass, Cello und Englischhorn bei. Messiaen selbst vollendete sein Solostück für Horn schon wenige Tage nach dem Tod seines Schülers und nannte es schlicht „Pièce pour Cor“, Stück für Horn. Als im folgenden September der Auftrag aus New York für das amerika-


nische Orchesterwerk eintraf, übernahm er das Gelegenheitsstück in den monumentalen Zyklus seiner „Canyons“.

Duos für Klarinette und Fagott von Beethoven? Während Flöte, Oboe und Horn in unserem Programm solistisch agieren dürfen, treten Klarinette und Fagott im Duo auf. Vor 1815 veröffentlichte der Pariser Verlag Lefort unter Beethovens Namen drei „Duos pour Clarinette e Basson“. Nach dem Tod des Meisters nahm sie auch der Offenbacher Verlag André in sein Programm auf, ohne dass sich dafür authentisches Notenmaterial aus Bonn oder Wien erhalten hätte. Im Grunde könnten die Duos auch von einem französischen Zeitgenossen wie Devienne komponiert worden sein.

Mozarts Trauermusiken für eine Wachsfigur Weil er sich so gut auf das Abformen von Gesichtern in Wachs verstand, eröffnete Graf Joseph von Deym im Mai 1789 am Wiener Kohlmarkt das erste Wachsfigurenkabinett der Kaiserlichen Hauptstadt. Es wurde „Müller’sche Kunstgalerie“ genannt, weil der Graf wegen seiner nicht ganz einwandfreien Entlassung aus dem Militärdienst vorsichtshalber einen bürgerlichen Namen führte und sich als „Hofstatuarius Joseph Müller“ bezeichnete. Später, als er seinen Titel wieder führen durfte, heiratete er Beethovens angebetete Schülerin Josephine Brunsvik. Schon bald reichten die engen Räume am Kohlmarkt nicht mehr aus, um neben den Wachsfiguren auch Gipsabgüsse von antiken Statuen und so genannte „Flötenuhren“ auszustellen, also große Standuhren mit eingebautem Orgelwerk. 1790 zog Graf Deym an den Stock-im-Eisen-Platz um und eröffnete gleichzeitig in der Himmelpfortgasse ein Mausoleum für den im Juli 1790 verstorbenen Feldmarschall Gideon Ernst von Laudon. Die Wiener strömten in Scharen in diesen Schauraum, um dem wächsernen Sieger


in der Schlacht bei Kunersdorf die letzte Ehre zu erweisen. Die Trauerschau wurde von zwei düsteren Musikstücken untermalt, die abwechselnd von einer großen Flötenuhr abgespielt wurden. Wie die Wiener Zeitung am 26. März 1791 berichtete, war es „unmöglich, das ganze lebhaft genug durch Worte zu schildern“. Zur Erinnerung standen am Eingang kolorierte Stiche zum Verkauf aus. Der hohe Eintrittspreis wurde dadurch gerechtfertigt, dass die „Trauer Musique“ eine „Komposition von Hrn. Kapellmeister Mozart“ war. In der Tat erklangen zwei späte Mozartstücke im Wechsel: Adagio und Allegro, KV 594, und die f-Moll-Fantasie, KV 608. Heute meist als Orgelwerke aufgeführt, wurden sie damals von einem „Orgelwerk in einer Uhr“ abgespielt. Dabei handelte es sich um eine große Standuhr mit einer eingebauten kleinen Orgel, deren Pfeifen über verschiedene Orgelwalzen betätigt wurden. Auf jede der Walzen war in Form von Metallstiften ein anderes Musikstück aufgeschlagen. Mithilfe eines raffinierten Mechanismus war das Abspielen der Orgelwalzen an das Uhrwerk gekoppelt, so dass in regelmäßigen Abständen die verschiedenen Musik­stücke abgespielt werden konnten. Für diese „Flötenuhren“ des Grafen Deym schrieb Mozart seine düster-feierlichen f-Moll-Werke. Er hat selten ergreifendere Harmonien komponiert als im f-Moll-Adagio, KV 594, das von einem majestätischen Allegro in F-Dur unterbrochen wird. Ein Ohrenzeuge schrieb dazu: „Noch erinnere ich mich aus meinen Jugendjahren des lebhaften Eindrucks, den die oft wiederholte Anhörung dieses genialen Producktes unvertilgbar meinem Gedächtnisse einprägte.“

Ligeti-Bagatellen „Béla Bartók in memoriam” – so hat der Ungar György Ligeti die fünfte seiner Bagatellen für Bläserquintett genannt. Alle sechs Stücke sind im Geiste Bartóks und Strawinskis entworfen. Ausgehend von den volksmusikalischen Prinzipien Bartóks versuch-


te der junge Ligeti 1953, aus dem beschränkten Tonvorrat, den Wiederholungsformeln und rhythmischen Mustern ungarischer Bauernmusik Stücke von äußerster Prägnanz zu formen, die ursprünglich Teil seines Klavierzyklus „Musica ricercata“ waren. Dessen einfaches Grundprinzip war es, Stücke aus ganz wenigen Tönen zu formen – erst aus nur einem Ton, dann aus zwei, drei, vier etc., jeweils in verschiedenen Oktavlagen und Rhythmen. Bei der Bearbeitung für Bläserquintett hat Ligeti zwar nicht die aufsteigende Anordnung, wohl aber das Grundprinzip beibehalten. Nur fällt der beschränkte Tonvorrat hier angesichts der unterschiedlichen Klangfarben kaum auf. In ihrer Bogenform schließen sich die sechs Bagatellen an Bartók an. Die erste und sechste Bagatelle fungieren als äußere Klammer in Form schneller Ecksätze. Nr. 2 und 5 bilden die innere Klammer: Nr. 2 verwendet ein rhapsodisch freies „Tempo rubato“ im ungarischen Stil, Nr. 5 eine von Bartók inspirierte Klagemelodie der Flöte über stockenden Akkorden. Kernstück der Bogenform bildet ein Gegensatzpaar aus Scherzo-Sätzen: Nr. 4 ist ein ironisches „Allegretto grazioso“, walzerhaft wippend, mit gedämpftem Fagott und weichen Klangfarben. Nr. 5 dagegen ist ein unbändiges „Presto ruvido“ aus rohen, gleichsam gemeißelten Akkorden im 7/8-Takt. Josef Beheimb


Gustav Schwab und seine Sagenerzählungen

Viele Generationen haben die „Metamorphosen“ des Ovid nicht im Original oder im Lateinunterricht kennen und lieben gelernt, sondern durch eine dreibändige Veröffentlichung, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in keinem bildungsbürgerlichen Haushalt fehlte und die heute die Grundlage unserer Lesung bildet: die „Sagen des klassischen Altertums“ von Gustav Schwab. „Es ist eine schöne Eigentümlichkeit der Mythen und Heldensagen des klassischen Altertums, dass sie für die Blicke des Forschers und für das Auge der Einfalt einen zwar verschiedenartigen, aber doch gleich mächtigen Reiz haben. Während der Gelehrte in ihnen den Anfängen alles menschlichen Wissens, den Grundgedanken der Religion und Philosophie, der ersten Morgendämmerung der Geschichte nachgeht, entzückt den unbefangenen Betrachter die Entfaltung der reichsten Gestalten, das Schauspiel einer gleichsam noch in der Schöpfung begriffenen Natur und Geisterwelt; er sieht mit Lust und Bewunderung die Erde mit Göttern und Göttersöhnen aus dem Chaos emporsteigen und in raschen Bilderreihen den Prometheusfunken im Menschen den Kampf mit der Barbarei beginnen, die Kultur der Wildnis, die Bildung der Rohheit, die Vernunft oder die Notwendigkeit der Leidenschaft den Sieg abringen.“ In seinem Vorwort zur ersten Ausgabe seiner „Sagen des klassischen Altertums“ des Jahres 1838 bringt der Pfarrer und Wissenschaftler Gustav Schwab sein Interesse an den Erzählungen der griechischen und römischen Antike auf den Punkt. Ihm ist klar, dass die Kenntnis dieser Texte grundlegend für jeden ist, der sich mit der europäischen Kulturgeschichte beschäftigt. Aber er glaubt


eben auch daran, dass jede und jeder einen Profit aus deren Kenntnis ziehen kann, vor allem der „unbefangene Betrachter“, den er gleich zu Beginn seiner Vorrede anspricht. Und so macht er sich an das große Werk, den ganzen Kanon der klassischen Sagen ins Deutsche zu übertragen – und hat damit durchschlagenden Erfolg. Generationen von Schülerinnen und Schülern sind mit seinen Übertragungen aufgewachsen; und die gendergerechte Form steht hier ganz zu Recht, denn Gustav Schwab war es ganz besonders an den lesenden jungen Frauen gelegen, denen er die Geschichten nicht vorenthalten wollte. Dabei ist es dem Gelehrten und Lehrer absolut klar, dass er zur Erfüllung seiner Absichten mehr tun muss, als eine Wort-fürWort-Übersetzung anzufertigen. Denn er will wirklich verstanden werden. „Die innere lebendige Kraft dieser Bilder ist auch so groß, dass dieselbe nicht von der vollendeten Kunstgestalt abhängig erscheint, in welcher wir einen guten Teil jener Gebilde von den größten Dichtern verarbeitet besitzen, sondern dass die schlichteste Darstellung genügt, ihre Größe auch vor denjenigen zu entfalten, für welche die Kunstform eher ein Hemmnis als eine Förderung des Verständnisses sein muss.“ Schwab hat erkannt, dass die klassische Versform der meisten antiken Quellen nicht gerade zur Verständlichkeit beiträgt, wenn man versucht, sie formal auch im Deutschen zu erfüllen. Deshalb entscheidet er sich, die Verse in Prosa aufzulösen. Und das tut er in einer ganz klaren und doch poetischen Art und Weise. Volksbildung war für Gustav Schwab Herzensanliegen und Auftrag zugleich. Er wuchs in Stuttgart im gehobenen evangelisch-schwäbischen Bildungsbürgertum auf, als Sohn des Philosophen und Geheimen Hofrates Johann Christoph Schwab und einer Kaufmannstochter aus sehr wohlhabendem Hause. Predigen und Lehren gehörte in dieser Atmosphäre unmittelbar zusammen, weshalb Gustav Schwab auch zunächst Philologie und Philosophie, dann Theologie studierte. Und er arbeitete ebenso als Pfarrer und


Prediger wie als Redakteur; zunächst für F. A. Brockhaus’ „Blätter für literarische Unterhaltung“ und später dann für Cottas „Morgenblatt für gebildete Stände“. Dort arbeitete man nach den Wirrnissen der Napoleonischen Kriege an so etwas wie der Bildung einer Deutschen Nation. Doch was diese sein könnte, war politisch durchaus umstritten. Gustav Schwab geht es dabei vor allem um eine „Kulturnation“, die aus Sprache und Bildung besteht. Und dabei ist er leider, wie viele seiner romantischen Mitstreiter, von antisemitischem Ressen­ timent nicht frei. Das darf nicht unerwähnt bleiben bei einer Beschäftigung mit seinen Texten, wie überhaupt bei der Einschätzung der Literatur der deutschen Romantik. Schwab förderte junge Autoren wie Eduard Mörike, Wilhelm Hauff und Nikolaus Lenau, tritt selbst jedoch im eigenen Verständnis nicht als Dichter, sondern nur als Übersetzer in Erscheinung. Um die labyrinthischen Verwirrungen antiken Erzählens aufzulösen, entscheidet sich Schwab in seinen Übertragungen nicht nur für Prosa, sondern führt unterschiedliche Quellen zusammen, um zu einer inhaltlich konsistenten Handlung zu gelangen. „In vorliegendem Buche nun wird der Versuch gemacht, die schönsten und bedeutungsvollsten Sagen des klassischen Altertums den alten Schriftstellern und vorzugsweise den Dichtern einfach und vom Glänze künstlerischer Darstellung entkleidet, doch, wo immer möglich, mit ihren eigenen Worten nachzuerzählen.“ Diesem Credo bleibt Schwab absolut treu. Da, wo unterschiedliche antike Autoren abweichende Varianten erzählen, sorgt er für logische Stringenz. Und wo die Quellen allzu freizügig erotische Abenteuer und unkonventionelle Spielarten der Sexualität schildern oder dem Hang zu rabiater Grausamkeit allzu umfassend nach­ gehen, greift er ein: „Nur dafür hat der Verfasser gesorgt, dass alles Anstößige entfernt bleibe, und deswegen unbedenklich alle diejenigen Sagen ausgeschlossen, in welchen unmenschliche Gräuel erzählt werden, die nur eine symbolische Erklärung ge-


wissermaßen entschuldigt, die aber, als Geschichte dargestellt – als welche der Jugend diese Sagen doch gelten müssen –, nur einen empörenden Eindruck auf sie machen könnten. Wo aber unsern höheren Begriffen von Sittlichkeit widerstrebende oder auch schon im Altertum als unsittlich und widernatürlich anerkannte Verhältnisse in einer ihrer Totalrichtung nach hochsittlichen Mythe nicht verschwiegen werden konnten, glaubt solche der Bearbeiter dieser Sagen auf eine Weise angedeutet zu haben, welche die Jugend weder zum Ausspinnen unedler Bilder noch zum Grübeln der Neugier veranlasst.“ Für uns mag das heute reaktionär klingen, doch kann man hinter diesen Beteuerungen auch etwas anderes lesen: den absoluten Willen, den Schatz der antiken Literatur überhaupt zugänglich zu machen, all denen zum Trotz, die nur auf christlicher Bildung beharren und die Antike lieber totgeschwiegen hätten. Und natürlich hat er – ganz gegen seine Beteuerungen – die Jugend ungemein zum Ausspinnen von Bildern und zur Neugier angeregt. Allein deshalb sind seine Übertragungen der Metamorphosen heute unbedingt wieder lesens- und hörenswert.

Thomas Höft


Die Interpreten

Peter Simonischek, Lesung Peter Simonischek wurde an der Akademie für Musik und darstellende Kunst in seiner Geburtsstadt Graz ausgebildet. Nach ersten Engagements in Graz, St. Gallen sowie Bern, Darmstadt und am Düsseldorfer Schauspielhaus folgte ab 1979 eine 20-jährige Periode als Ensemblemitglied der Berliner Schaubühne, wo er vor allem mit Peter Stein, aber auch mit Regisseuren und Regisseurinnen wie Luc Bondy, Andrea Breth, Klaus Michael Grüber und Edith Clever zusammenarbeitete. Seit 1982 war Simonischek regelmäßig bei den Salzburger Festspielen in unterschiedlichen Rollen und Inszenierungen von Peter Stein, Axel Corti, Klaus Michael Grüber, Andrej Wajda oder Dieter Dorn zu erleben. Von Sommer 2002 bis 2009 spielte er 100 Mal den „Jedermann“ von Hugo v. Hofmannsthal in der Neuinszenierung von Christian Stückl am Domplatz in Salzburg. Mit Beginn der Saison 1999/2000 wurde Peter Simonischek in das Ensemble des Wiener Burgtheaters engagiert, wo er unter anderem mit Andrea Breth, Peter Zadek, Thomas Langhoff, Andreas Kriegenburg oder Anselm Weber zusammenarbeitet und in unterschiedlichsten Charakterrollen in Stücken von Shakespeare, Ibsen, Horvath, Hofmannsthal, Albee und Nestroy zu sehen ist. Seit Ende der Siebzigerjahre ist Peter Simonischek auch regelmäßig im Kino und TV zu sehen. Für seine Rolle in „Hierankl“ von


Hans Steinbichler wurde er mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet. 2012 folgten ein weiterer Grimme-Preis und eine Goldene Kamera für den Fernsehfilm „Liebesjahre“, den Matti Geschonneck inszenierte. Seine Stimme ist auch auf vielen Hörbüchern zu hören. 2008 und 2010 erhielt er den „Deutschen Hörbuchpreis“. Von den Lesern der Tageszeitung Kurier wurde er zum Österreicher des Jahres 2016 gewählt. Und einen ganzen Reigen von Preisen fuhr er 2016 und 2017 für die Verkörperung der Hauptrolle im Film „Toni Erdmann“ von Maren Ade ein: Europäischer Filmpreis „European Actor 2016“, Bester Schauspieler beim 45. Festival du Nouveau Cinema in Mont­ real, Ernst-Lubitsch-Preis für die beste komödiantische Leistung im deutschen Film, Österreichischer Filmpreis in der Kategorie „Bester Hauptdarsteller“, ICS Award in der Kategorie „Bester Hauptdarsteller“ oder Deutscher Filmpreis „Lola“ für „Beste männliche Hauptrolle“. Ebenso wurde Peter Simonischek 2017 mit der Platin-Romy für das Lebenswerk geehrt. Die Tageszeitung „Die Presse“ in Zusammenarbeit mit dem ORF wählte ihn zum „Österreicher des Jahres 2017“ in der Kategorie „Kulturerbe“.

Maria Beatrice Cantelli, Flöte Maria Beatrice Cantelli wurde 1987 in Bologna geboren, ist in Brixen/Südtirol aufgewachsen und lebt seit 2011 in Graz. Sie ist verheiratet und Mutter von Paul. Die junge Musikerin ist europaweit als Soloflötistin in renommierten Kammerorchestern tätig und ist die Gründerin und Managerin von „Klassikwunsch“ (klassikwunsch.at). Bereits als 16-Jährige wurde Maria Beatrice Cantelli am Mozar­ teum in Salzburg bei Irena Grafenauer als Studentin aufgenommen, wo sie 2009 ihr Konzertfachstudium mit Höchstnote („Master of arts“) beendete und den Würdigungspreis des österreichischen Kulturministeriums erhielt. In diesen Jahren erhielt sie bei Ulrich Biersack und Katharina Kutnewsky auch Piccolounterricht und


schloss gleich ein Masterstudium „Orchesterspiel“ bei János Bálint am Orchesterzentrum NRW in Dortmund und Detmold an. Sie war dann Flötistin im Gustav Mahler Jugendorchester und Mahler Chamber Orchestra, bei den Grazer Philharmonikern oder der Camerata Salzburg. Heute gibt sie beim Wiener Kammerorchester, dem Orchestra of Europe, beim styriarte Festspiel-Orchester, bei recreation – GROSSES ORCHESTER GRAZ oder der Streicherakademie Bozen den (Flöten-)Ton an. In all den Jahren traf sie in renommierten Festivals und Konzerthäusern auf berühmte Dirigenten und Solisten, u. a. auf Pierre Boulez, Daniel Harding, Vladimir Jurowsky, Fabio Luisi, Franz Welser-Möst u. v. a. Seit 2008 hat sie sich auch mit historischer Aufführungspraxis befasst und sich in Meisterkursen und Unterricht bei Michael Casdorff-Schmidt, Marcello Gatti, Robert Wolf und Dorothee Oberlinger auch das Spiel auf der Traversflöte zu eigen gemacht, die sie nun in Graz bei recreationBAROCK und Musica Coeli spielt.

Markus Deuter, Oboe 1961 in Mühlheim/Ruhr geboren, erhielt Markus Deuter seinen ersten Oboenunterricht bei Johann Baptist Schlee, anschließend bei Diethelm Jonas und W. Feist (Essen), H. Hucke (Köln) und P. Dombrecht (Brüssel). Darüber hinaus studierte er Aufführungspraxis Alter Musik bei H. Ruf in Köln. Er war mehrmals Preisträger des Bundeswettbewerbes „Jugend musiziert“ sowie dreimal Stipendiat der „Oskar und Vera Ritter Stiftung“. 1978 bekam er den Kulturpreis der Stadt Mühlheim, Ruhr.


Markus Deuter ist Mitglied verschiedener Kammermusikver­ einigungen, u. a. im Bläseroktett Sabine Meyer, im Zelenka Ensemble und im Aulos Quintett. Weiters ist er Oboist des Münchner Kammer­ orchesters sowie erster Oboist bei mehreren Orchestern, vorwiegend in Deutschland (Robert Schumann Kammerorchester, Stuttgarter Kammerorchester, Kölner Kammerorchester, Neues Orchester Köln, Bach Collegium Stuttgart, Gabrieli Consort and Players). Er war von 1989 bis 1993 Oboist der musikFabrik NRW unter Johannes Kalitzke. Außerdem wirkte er bei zahlreichen Rundfunk- und CD-Produktionen mit. Seit 1995 ist Markus Deuter Mitglied des Klangforum Wien.

Wolfgang Kornberger, Klarinette Der an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien lehrende Klarinettist Wolfgang Kornberger erhält seine erste musikalische Ausbildung bei Josef Pöttler in Pöllau. Es folgt ein Konzertfachstudium in Wien (Lehrbefähigungsprüfung 1994, Künstlerisches Diplom 1997). Seine Lehrer Peter Schmidl, Ernst Ottensamer und Johann Hindler – lauter Wiener Philharmoniker. Wolfgang Kornberger ist Preisträger der von den Wiener Phil­ harmonikern verwalteten WANAS-Stiftung. Er besuchte Meisterkurse bei Alois Brandhofer und Manfred Preis – beide Berliner Philharmoniker. Als Orchestermusiker spielte Wolfgang Kornberger mit Dirigenten wie Pierre Boulez, Franz Welser-Möst, Leopold Hager, Adam Fischer, Heinz Holliger, Dennis Russell Davies oder dem Sänger Placido Domingo in Orchestern wie: Wiener Philharmoniker,


Wiener Staatsopern Orchester, Radio Symphonie Orchester Wien, Wiener Volksoper, Mozarteumorchester Salzburg, Niederösterreichisches Tonkünstlerorchester und Klangforum Wien. Von 1994 bis 1997 war Wolfgang Kornberger Mitglied im Bassett­ hornensemble „Trio Clarin“, mit dem fünf CD-Einspielungen entstanden. Als Bassklarinettist gehört er zu den Gründungsmitgliedern der 1995 formierten vienna clarinet connection. In Zusammenarbeit mit dem Instrumentenbauer Rudolf Tutz hat er an der Weiterentwicklung der Bassklarinette gearbeitet. Im Oktober 2014 spielte Wolfgang Kornberger das Klarinettenkonzert von Mozart auf einer Korea-Tournee mit den Salzburger Orchester Solisten. Seit 2014 spielt er die Soloklarinette im styriarte Festspiel-Orchester. Wolfgang Kornberger ist ein gefragter Dozent bei Meisterkursen wie dem Bläserurlaub Bad Goisern, der Internationalen Musikakademie in Feldkirchen und bei der ClariArte Hartberg.

Edurne Santos Arrastua, Fagott Edurne Santos Arrastua wurde im spanischen Baskenland geboren. Nachdem sie das Lehrdiplom im Fach Fagott mit Auszeichnung in Donostia/San Sebastian erhalten hatte, begann sie ihr Studium bei Sergio Azzolini an den Musikhochschulen in Stuttgart und Basel. Dort schloss sie dieses 2000 mit dem Konzertreife­diplom mit Auszeichnung ab. Mit ihrem spanischen Bläserquintett „Haizea“ hat sie den „Montserrat Alhavedra“-Kammermusikwettbewerb gewonnen und sie war unter anderem Stipendiatin der Oscar und Vera Ritter-Stiftung.


Drei Jahre lang hat sie im Bruckner Orchester Linz gespielt und zehn Jahre in der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, mit der sie bei den wichtigsten Festivals und in den großen Konzertsälen der Welt mit namenhaften Dirigenten und SolistInnen der Welt aufgetreten ist. Außerdem hat sie an der Hochschule für Musik „Musikene“ in Donostia/San Sebastián drei Jahre als Assistentin von David Tomás unterrichtet. Aktuelle neue Musik spielt sie im Klangforum Wien, Alte Musik auf historischen Instrumenten bei Concerto Köln, in Das neue Orchester Köln, in der Wiener Akademie und im Ensemble Prisma.

Christian Binde, Horn & Einstudierung In Duisburg geboren und in verschiedenen Städten des Ruhrgebiets aufgewachsen, wurde Christian Binde vom Kontrast aus Industrie und Kultur seiner Heimatregion geprägt. Nach vier Jahren als fest angestellter Musiker zog es ihn musikalisch hin zur Alten Musik und geographisch für zehn Jahre nach Wien. Als Künstler war für Christian Binde der Kontrast zwischen Neuer und Alter Musik, zwischen freischaffender Arbeit in verschiedenen Orchestern und seinen eigenen Ensembles sowie seine Lehrtätigkeit prägend. So spielte er mit Ensembles wie dem Freiburger Barock­ orchester, Concerto Köln, dem Mahler Chamber Orchestra, dem Rundfunksinfonieorchester Wien, Le Cercle de l’Harmonie Paris,


dem Klangforum Wien und MusikAeterna Perm (RU) in Europa, Asien und Amerika. Zudem unterrichtete er an den Universitäten in Linz und Trossingen. Seit 2007 lebt Christian Binde wieder in Köln. Aus dem Wunsch heraus, den eigenen musikalischen Ideen Ausdruck zu verleihen, gründete er 2010 die Compagnia di Punto.


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Aviso Freitag, 5. Juli – Helmut List Halle, 20 Uhr

Es war einmal … Die schönsten Märchen der Verwandlung: Froschkönig, Hans mein Igel, Schneeweißchen und Rosenrot, Aschenputtel Musik für Harfe, Violine und Cello von Camille Saint-Saëns (Der Schwan u. a.), Henriette Renié und Louis Spohr

Johannes Silberschneider, Lesung Christoph Bielefeld, Harfe Julia Kürner, Violine Lisa Kürner, Violoncello Aus dem Froschkönig wird der schöne Prinz, aus dem Aschenputtel die hinreißende Ballschönheit. Verwandlungen gehören zum Märchen wie die Metamorphosen zur antiken Sage. Johannes Silberschneider hat die schönsten Verwandlungsgeschichten aus Grimms Märchen herausgesucht. Der Münchner Christoph Bielefeld, Soloharfenist im Bruckner Orchester Linz, umhüllt mit seinem Trio die Geschichten mit den Zauber­ tönen märchenhafter Romantik.



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Samstag, 29. Juni 2019, 10 Uhr styriarte.STUDIO im Palais Attems

Ö1 Klassik-Treffpunkt Der Ö1 Klassik-Treffpunkt kommt diesen Samstag wieder einmal von der styriarte in Graz. Albert Hosp begrüßt die beiden Klarinettisten Giora Feidman und Daniel Ottensamer im styriarte. STUDIO im Palais Attems. Zwei unterschiedliche Generationen, ein Instrument und viele interessante Konzertangebote im Rahmen der styriarte, das beschäftigt Albert Hosp mit seinen Gästen. Im Palais Attems können Besucher/innen live dabei sein und alle Ö1-Hörer/innen wie immer an den Empfangsgeräten.

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