Programmheft Bach pur

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Samstag, 8. Juli, 20 Uhr Stefaniensaal

Bach pur

Johann Sebastian Bach (1685–1750) Ouverture Nr. 1 in C, BWV 1066 (Ouverture) Courante Gavotte I – Gavotte II Forlane Menuett I – Menuett II Bourrée I – Bourrée II Passepied I – Passepied II

Konzert für Cembalo und Orchester in d, BWV 1052 Allegro Adagio Allegro


Konzert für Violine und Orchester in a, BWV 1041 Allegro Andante Allegro assai

Ouverture Nr. 3 in D, BWV 1068 Ouverture. Vite Air Gavotte I Gavotte II Bourrée Gigue

Erich Höbarth, Violine Concentus Musicus Wien Leitung: Stefan Gottfried, Cembalo

Programmdauer: Erster Konzertteil: ca. 50 Minuten Pause: ca. 25 Minuten Zweiter Konzertteil: ca. 40 Minuten

Hörfunk: Freitag, 4. August, 19.30 Uhr, Ö1


Bach pur Wenn man in Leipzig durch die wieder erstandene Katharinenstraße geht, kann man erahnen, welcher Luxus sich einst hinter den barocken Fassaden verborgen ­ haben muss. In dieser Straße traf sich ­ jeden Freitagabend das vornehme Leipzig, um dem „Bachischen Collegium musicum“ zu lauschen. Mit seiner Jacobus StainerGeige in Händen leitete Bach ein Orchester aus bis zu 40 wohl ausgebildeten jungen Musikern, die sich mit Verve in seine Tanzrhythmen stürzten. Die Leipziger nämlich waren tanzbesessen.


Das tanzende Leipzig Um das „höchst-nützliche Exercitium“ des Tanzens gehörig zu erlernen, scheuten die Leipziger der Bachzeit keine Kosten und Mühen. Die vornehmen Familien leisteten sich die Dienste eines Tanzmeisters, der mit der gleichnamigen kleinen Geige im Arm die raffinierten Schritte eines Menuetts oder die „Pas de Bourrée“ geduldig einstudierte. Dazu gehörte auch die vollendete Körperhaltung, besonders wenn es galt, dem Gastgeber die gehörige Reverenz zu erweisen. Im heimischen Bücherregal standen üppige Folianten zum Thema, wie etwa ein Traktat des französischen Tanzmeisters Louis Bonin: „Neueste Art der Galanten und Theatralischen Tantz-Kunst“ (Leipzig 1711). Noch aufwändiger war das dreibändige Werk des Leipzigers Gottfried Taubert: „Rechtschaffener Tantzmeister oder gründliche Erklärung der Frantzösischen Tantz-Kunst“ (1717). Die Zahl der amtlich erfassten Tanzmeister in Leipzig hat sich im gleichen Zeitraum, zwischen 1701 und 1736, vervierfacht. Die Leipziger waren also bestens gerüstet, als im Mai 1723 der neue „Director Musices“ ihrer Stadt vor seiner Dienstwohnung in der Thomasschule eintraf. Nichts deutete zunächst darauf hin, dass ausgerechnet Bach die Tanzlust der Leipziger durch seine Musik noch steigern könnte. Dem Thüringer eilte der Ruf voraus, Deutschlands virtuosester Cembalist und Organist zu sein und eine ausgesprochene Vorliebe für kunstvolle Kirchenmusik zu haben. Bald schon sollte er die Leipziger eines Besseren belehren und seine Genialität im Erfinden galanter Tanzmelodien unter Beweis stellen.

Ouvertüre in C, BWV 1066 Knapp zwei Jahre nach seinem Eintreffen in Leipzig, Anfang 1725, ließ Bach von seinem Schüler Gerlach und weiteren


Kopisten ein einfaches Orchestermaterial zu seiner C-Dur-Ouvertüre BWV 1066 anfertigen. Es besteht nur aus acht Stimmen: je eine Stimme für die beiden Oboen, das Fagott, für Streichquartett und Cembalo. Mehr Musiker brauchte Bach nicht, um diese Orchestersuite in Leipziger Bürgerhäusern aufzuführen, was er in den folgenden Monaten offenbar häufig getan hat. Im Sommer 1725 gratulierten die Leipziger Studenten gleich zwei Professoren mit Bach’schen Kantaten, wozu die Orchestersuite gut als Dreingabe fungieren konnte. Als der Universitätsprofessor Mencke im November 1725 seine Tochter verheiratete, wurde diese „Homann- und Menckische Hochzeit“ zum gesellschaftlichen Ereignis. Neben seiner heute verlorenen Hochzeitskantate könnte Bach auch die C-Dur-Ouvertüre bei diesem Fest geleitet haben, vielleicht sogar zum Tanzen. Auch außerhalb Leipzigs konnte er dieses Werk anno 1725 gut gebrauchen, war er doch gleich zu drei höfischen Gastspielen eingeladen: im Februar nach Weißenfels, im September nach Dresden und im Dezember nach Anhalt-Köthen. Die fürstlichen Herrschaften wussten eine so klug und kunstvoll komponierte Orchestersuite ebenso zu schätzen wie Leipziger Professoren und ihre Töchter.

Zur Musik Für seine erste Leipziger Orchestersuite wählte Bach die französische Standardbesetzung aus Streichern, zwei „Hautbois“ und einem „Basson“. Französisch ist auch manche Melodie, die er in dieser Suite zitiert hat:

Für die Courante variierte er einen Satz aus der Ballettmusik „Les charactères de la danse“ von Jean-Féry Rebel, für die Forlane ein berühmtes Beispiel aus André Campras Opéra-Ballet „L’Europe galante“. Typisch


französisch sind schließlich auch die punktierten Rhythmen, mit ­denen die Ouvertüre anhebt und schließt. Den sehr schnellen Mittelteil hat Bach als vierstimmige Fuge streng durchgeführt. Ihr Thema wirkt ausgesprochen tänzerisch und mündet in lange Laufkaskaden, die von den ersten Geigen zusammen mit den Oboen ausgeführt werden. Erst in den Zwischenspielen der Fuge lösen sich die drei Bläser von den Streichern. An diesen Stellen hat Bachs Schüler Gerlach den Oboisten ausdrücklich „Trio“ in ihre Noten geschrieben, um anzuzeigen, dass sie hier zusammen mit dem Fagott das typisch französische „Trio“ bilden. Hochvirtuos führen die drei Bläser das Fugenthema aus, gleichsam unter Protest der Streicher, die immer wieder die Führung an sich reißen möchten. Es war sicher Bachs erster Oboist aus der Leipziger Ratsmusik, Johann Caspar Gleditsch, der dieses Bläsertrio anführte. Am Ende der rauschenden Fuge kehrt der langsame Teil der Ouvertüre noch prachtvoller als zu Beginn wieder. Danach hat Bach eigentlich die Wiederholung von Fuge und zweitem Adagio vorgeschrieben, was aber heute meistens ignoriert wird. Die sechs Tänze sind in zwei Steigerungsfolgen angelegt: Von der gestelzten französischen Courante führt die muntere Gavotte hinüber zur quirligen Forlane. Nach dem gemäßigten Menuett bringt die Bourrée

mitreißenden Schwung, den der Passepied im wirbelnden Dreiertakt noch steigert. Für Bachs Zeitgenossen waren die Charaktere dieser Tänze so selbstverständlich wie für uns Walzer oder Tango. Sein Hamburger Kollege Mattheson meinte etwa zur Gavotte: „Das hüpfende Wesen ist ihre Eigentümlichkeit.“ Treffender könnte man Bachs jauchzende C-Dur-Gavotte nicht beschreiben. Ihr folgt eine zweite Gavotte für die Oboen, die wie ein Militärmarsch beginnt. Dazu schmettern die Geigen immer wieder militärische Fanfaren in die Runde. Offenbar hat sich Bach hier über die Militärmusik seiner Zeit lustig gemacht, die in der Festungsstadt Leipzig allgegenwärtig war. Fast jeder Satz enthält einen Bach’schen Scherz. In der Forlane schlägt der Bass ständig nach, kommt also nie auf die starke Taktzeit, bis er sich plötzlich in Bewegung setzt und nach einem riesigen Abstieg mit einer scharfen Dissonanz doch noch auf der Eins des Taktes landet. Die energische Bourrée mit ihrem Syn­ kopenthema hat ein missmutiges Gegenstück in c-Moll, das dem Trio der Bläser vorbehalten bleibt. Die wunderschöne Melodie des Passe­ pied erinnert an Bachs Lied „Dir, dir, Jehova, will ich singen“. Sie wandert im Mittelteil in die Oboen, während die Streicher dazu ein flüsterndes Legato spielen.


Cembalokonzert in d, BWV 1052 Im Februar 1733 wurde Bachs Elan in der Leitung seines „Collegium musicum“ kurzzeitig gebremst: August der Starke starb in Warschau, und während der folgenden mehrmonatigen Landestrauer durfte auch Bachs Studentenorchester nicht konzertieren. Er nutzte die Zeit, um die ersten beiden Sätze seiner h-Moll-Messe dem neuen Kurfürsten in Dresden zu widmen. Offenbar beschäftigte ihn aber auch ein Leipziger Projekt: die Anschaffung eines neuen Cembalos, zu dessen Einweihung er ein angemessen virtuoses Konzert komponieren musste. Kaum war die Landestrauer aufgehoben, schon konnten die Leipziger darüber in der Zeitung lesen: „Morgen, Mittwochs, als den 17. Junii soll im Zimmermannischen Garten auf dem Grimmischen Stein-Wege von dem Bachischen Collegio Musico Nachmittags von 4 Uhr der Anfang mit einem schönen Concert gemachet und wöchentlich damit continuiret werden, dabey ein neuer Clavicymbel, dergleichen allhier noch nicht gehöret worden.“ Als Bach fünf Jahre später die Sammelpartitur seiner Cembalokonzerte begann, stellte er das d-Moll-Konzert BWV 1052 an den Anfang, weil es das virtuoseste und längste der acht Werke ist. Man darf annehmen, dass er jenen „neuen Clavicymbel“ 1733 mit eben diesem Konzert einweihte.


Zur Musik Der Kopfsatz des d-Moll-Konzerts ist ein Musterbeispiel für Bachs Behandlung des „Ritornells“, also des Streichervorspiels. Zu Beginn und am Ende wird es im düster-drängenden Unisono gespielt. Dazwischen aber erscheint es einmal im ­Kanon der Geigen über heftigen Tonrepetitionen des Basses, einmal im Dialog zwischen Oberstimme und Bass, einmal zerlegt in seine Motive. Besonders der erste Takt mit seinem trotzigen Anapäst-Rhythmus und der Synkope ist im ganzen Satz präsent. Über diesem Streichermotiv breitet der Cembalist glitzernde Klangflächen aus. Gleich beim ersten Einsatz antwortet er auf den düsteren „Drive“ des Hauptthemas mit einer Art „Toccata“. Später steigert sich seine Virtuosität bis zu irrwitzigen Arpeggios. Der Mittelsatz beruht auf einem „Basso ostinato“, also auf einem immer wiederkehrenden Bassthema. Wieder erscheint es zu Beginn und am Schluss im Unisono und wird dazwischen in seine Bestandteile zerlegt. Darüber spielt der Solist eine reich verzierte Oberstimme im Dialog mit den hohen Streichern. Der

tieftraurige Affekt dieses g-MollSatzes inspirierte Bach dazu, ihn in seiner Kantate BWV 146 mit Chorstimmen und einem Text aus der Heiligen Schrift zu unterlegen: „Wir müssen durch viel Trübsal in das Reich Gottes eingehen“. Das Finale kehrt zur rhythmischen Energie des Kopfsatzes zurück, allerdings im Dreiertakt und dadurch tänzerisch beschwingt. Das Streicherthema könnte aus einem Konzert von Vivaldi stammen, so sehr dominieren hier die typischen Anapäst-Rhythmen des Venezianers. Der Solist antwortet auf das Streicherthema in vollen Akkorden, die von den Streichern sofort mit Motiven aus ihrem Ritornell unterbrochen werden. Für Bach bedeutete das Wort „Concerto“, abgeleitet vom italienischen „Concertare“, stets „Wettstreit“ zwischen dem Solisten und den Streichern. Dabei wird das Streicherthema nach allen Regeln der Kunst zergliedert und durch die Stimmen geführt. Der Solist dagegen hat Gelegenheit, brillante Klangflächen vor dem Hörer auszubreiten, die sich gegen Ende des Satzes beinahe bis zur Raserei steigern.


Violinkonzert in a, BWV 1041 Für gewöhnlich leitete Bach sein „Collegium musicum“ von der ersten Geige aus „und hielt dadurch das Orchester in einer größeren Ordnung, als er mit dem Flügel hätte ausrichten können“. So hat es sein Sohn Carl Philipp Emanuel überliefert. Die Solostimme seiner Violinkonzerte dagegen überließ Bach gastierenden Geigenvirtuosen, denn es gehörte zum guten Ton, sich im „Collegium musicum“ als Solist hören zu lassen, wenn man in Leipzig auf der Durchreise war. 1734 kam der spätere Berliner Konzertmeister Franz Benda vorbei, ein paar Jahre früher schon der Braunschweiger Konzertmeister Schwanberg. Auch der Dresdner Konzertmeister Johann Georg Pisendel ist in Leipzig als Solist in Violinkonzerten aufgetreten. Zu diesem Zweck – als Musterkonzert für prominente Gäste – komponierte Bach um 1731 sein a-Moll-Violinkonzert. Er fertigte davon einen besonders schön geschriebenen, also gut lesbaren Stimmensatz an, was man leicht an den ersten Takten der Sologeigenstimme überprüfen kann. Sie sind heutzutage auf Stoffsackerln, Krawatten, Mouse Pads oder auch Taschentüchern das am weitesten verbreitete Faksimile von Bachs Notenschrift.


Zur Musik Schon die ersten Takte des aMoll-Konzerts beweisen, wie sehr sich Bach in Leipzig von der Tanzbegeisterung seiner Zuhörer inspirieren ließ. Das Hauptthema ist nichts Anderes als eine Bourrée mit dem typischen Quartauftakt dieses Tanzes. Daraus entsteht ein kraftvolles Streichervorspiel, das vom Solisten mit elegantem Legato beantwortet wird. Der Bourrée-Rhythmus der ersten beiden Takte zieht sich durch den ganzen Satz, was ihm seine gedrängte, rhythmische Energie verleiht. Auch im Finale ist es der Tanzrhythmus des ersten Taktes, der den ganzen Satz prägt. Es handelt sich um eine italienische „Giga“ im schwingenden Neunachteltakt, also im Grunde um einen Nachfahren der irischen „Jigs“, was man bei Bach

allerdings kaum noch erahnen kann. Seine Giga ist eine strenge vierstimmige Fuge für Streichorchester. Sie wird vom Solisten mit einem trotzigen Thema unterbrochen, aber von den Streichern immer wieder aufgegriffen, woraus die mitreißende Spannung dieses Satzes entsteht. Er gipfelt kurz vor Schluss in einer atemberaubenden Geigenpassage über dem ständig wiederholten Fugenthema in den Streichern. Als lyrisches Intermezzo zwischen den energischen Ecksätzen hat Bach hier ausnahmsweise kein Adagio, sondern ein zügiges Andante geschrieben. Trottende Staccato-Töne im Basso continuo und den hohen Streichern werden vom Solisten mit elegant geschwungenen Triolen­ girlanden beantwortet.

Ouvertüre in D, BWV 1068 Man weiß nur wenig über das Repertoire, das Bach zwischen 1729 und 1741 allwöchentlich in seinen zweistündigen Orchesterkonzerten im „Zimmermannischen Caffe-Hauß“ auf


der Katharinenstraße dirigierte. Seine Cembalokonzerte und Orchestersuiten gehörten sicher dazu, auch Telemanns „Tafelmusik“ und „Pariser Quartette“, die Orchestersuiten eines Fasch und die Concerti eines Vivaldi oder Locatelli sowie italienische Kantaten von Händel, Scarlatti und Pergolesi. Der Gastronom Gottfried Zimmermann stellte Bachs Studenten einen Satz Streichinstrumente zur Verfügung und schaltete Zeitungsanzeigen für die Konzerte. Zu Messezeiten, wenn viele Fremde in der Stadt waren, wurde die Frequenz der Aufführungen verdoppelt. Im Sommer ging man hinaus in den „Zimmermannischen Garten vor dem Grimmischen Thore“. Das Unterhaltungsbedürfnis des Publikums stand an oberster Stelle, weshalb Orchestersuiten besonders häufig auf dem Programm standen. Dazu gehörte auch Bachs dritte Orchestersuite, denn zwei der drei erhaltenen Stimmen aus seinem Aufführungsmaterial wurden von seinem Schüler Johann Ludwig Krebs geschrieben, dem Cembalisten des „Collegium musicum“. In diesen Stimmen hat Bach die letzten beiden Sätze selbst nachgetragen und dabei Korrekturen vorgenommen. Es muss sich also um das Material der Uraufführung gehandelt haben, die 1730 oder 1731 in Leipzig stattfand – nicht schon um 1720 in Köthen, wie man früher vermutete.

Zur Musik Wären die Leipziger so einfallsreich gewesen wie später das Londoner Publikum Joseph Haydns, sie hätten diese Orchestersuite sicher

„Ouvertüre mit dem Paukenwirbel“ getauft. Tatsächlich grundiert ein Paukenwirbel die ersten Takte der Einleitung so spannungsvoll, dass


sich das Streicherthema darüber majestätisch zu erheben scheint. Die drei Trompeten setzen dazu Glanzpunkte in hoher Lage. Wie schon dieser prachtvolle Beginn beweist, handelt es sich um eine ausgesprochene „Trompetenouvertüre“. Trompeter und Paukist sind die eigentlichen Antipoden der Streicher, während die beiden Oboen nur die ersten Geigen verstärken. Auch im rasend schnellen, fugierten Mittelteil sorgen Pauke und Trompeten für grandiose klangliche Steigerungen. Ob die virtuosen Violinpassagen in dieser Fuge solistisch oder chorisch auszuführen sind, lässt sich nicht mehr entscheiden. Die von Krebs und Bach geschriebene Violinstimme vermerkt hier kein Solo, wohl aber die Abschrift des Thomasschülers Penzel. Wenn am Ende der rauschenden Fuge der langsame Teil der Ouvertüre wiederkehrt, wird das Anfangsthema nicht mehr aufsteigend, sondern absteigend gespielt. Auf so einfache Weise hat Bach ein Gefühl des Öffnens in den Eindruck des Schließens verwandelt. Die berühmte „Air“ folgt an zweiter Stelle. Bachs Schüler Krebs hat alle Verzierungen und Bindebögen dieses Satzes peinlich genau abgeschrieben, aber keine Tempoangabe hinzugefügt. Hätte Bach die „Air“ so

langsam haben wollen, wie man sie heute gemeinhin spielt, hätte er sicher „Largo“ oder „Adagio“ dazu geschrieben. In Wirklichkeit hat man es mit einem Andante zu tun, dessen Zauber aus dem engen Geflecht der Streicherstimmen über dem „gehenden“ Bass entsteht. In Penzels Abschrift von 1754 ist dieser Satz übrigens für Solo-Violine mit begleitendem Streichorchester angelegt. Das jubelnde Thema der Gavotte I ist wie auf die Trompete zugeschnitten. Von den vielen kurzen Vorschlägen, die man heutzutage in diesem Satz hört, findet sich in Bachs Originalstimmen nur ein einziger. Die Gavotte II wechselt ständig zwischen kraftvollen Dreiklängen der Trompeten und spielerischen Läufen der Streicher und Oboen ab. Die Bourrée muss man sich in Bachs eigener Notenschrift anschauen: In seinen kraftvollen Federstrichen spürt man den Witz dieses hektischen Satzes, bei dem Continuo und Trompeten ständig im „off beat“ einsetzen. Die Gigue dagegen schrieb Bach im fließenden Schwung seiner ruhigen Schönschrift. Prachtvoll, festlich und voller Trompetenglanz geht seine berühmteste Orchestersuite zu Ende. Josef Beheimb


Die Interpreten Stefan Gottfried, Cembalo & Leitung Der gebürtige Wiener studierte an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien Cembalo, Klavier, Komposition und Musikpädagogik sowie Generalbass und historische Tasteninstrumente an der Schola Cantorum Basiliensis, daneben Horn am Konservatorium Wien und Mathematik an der Technischen Universität Wien. Es folgte eine vielfältige internationale Konzerttätigkeit (Cembalo, Hammerklavier und Klavier) als Solist, Kammermusikpartner und Continuospieler in Ensembles mit historischen Instrumenten (u. a. Concentus Musicus Wien, Bach Consort Wien, Wiener Akademie) und modernen Orchestern (u. a. Wiener Philharmoniker und Berliner Philharmoniker unter Dirigenten wie Zubin Mehta, Daniel Harding, Georges Prêtre oder Kent Nagano). Seit 2004 arbeitete Stefan Gottfried regelmäßig mit Nikolaus Harnoncourt zusammen, unter anderem bei dessen Opernproduktionen bei der styriarte (Purcell „Fairy Queen“, Mozart „Idomeneo“, Smetana „Die verkaufte Braut“, Offenbach „Barbe-Bleue“), am Theater an der Wien (Händel „Rodelinda“, Haydn „Orlando paladino“, „Il mondo della luna“, Beethoven „Fidelio“, Strawinski „The Rake’s Progress“ und zuletzt beim Mozart-Da Ponte-Zyklus) und bei den Salzburger Festspielen (Mozart „Le nozze di Figaro“, „Die Zauberflöte“) und bei vielen Konzerten u. a. im Wiener Musikverein, in der Berliner Philharmonie und beim Lucerne Festival.


Stefan Gottfried ist Professor für Klavier an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien und hält Vorträge zu verschiedenen Aspekten der historischen Aufführungspraxis. 2015 debütierte er als Dirigent an der Wiener Kammeroper mit der Wiederaufführung von Gassmanns „Gli Uccellatori“. Nach dem Rücktritt von Nikolaus Harnoncourt im Dezember 2015 hat Stefan Gottfried gemeinsam mit Erich Höbarth und Andrea Bischof die Leitung des Concentus Musicus Wien übernommen und dirigierte daraufhin am Theater an der Wien, die Concentus-Abonnementkonzerte im Wiener Musikverein und etwa auch das Gedenkkonzert für Nikolaus Harnoncourt in Sankt Georgen.

Erich Höbarth, Violine Erich Höbarth wurde 1956 in Wien geboren. Er erhielt erstmals im 9. Lebensjahr Violinunterricht bei Grete Biedermann am Wiener Konservatorium. Später studierte er bei Franz Samohyl an der Wiener Musikhochschule und zuletzt bei Sandor Végh am Salzburger Mozarteum. 1977 holte Végh den 21-jährigen in sein berühmtes Streichquartett und machte ihn zum Assistenten für seine Musikkurse. 1980 wurde Höbarth 1. Konzertmeister der Wiener Symphoniker, kurz danach auch Konzertmeister und Solist im Ensemble Concentus Musicus Wien unter Nikolaus Harnoncourt. Außerdem gründete er damals das Wiener Streichsextett, das 25 Jahre hindurch sehr erfolgreich und in unveränderter Besetzung in der ganzen Welt konzertierte. 1987 entstand das Streichquartett Quatuor Mosaïques. Gemeinsam sollten die mit der Alten Musik und den


Originalinstrumenten gewonnenen Erfahrungen am klassischen Repertoire erprobt werden. Dieses Ensemble ist jetzt regelmäßiger Gast auf den wichtigen Konzertpodien Europas und bei den großen internationalen Festivals. Erich Höbarth tritt häufig als Solist auf, etwa mit der Camerata Academica Salzburg, dem Wiener Kammerorchester, der Chapelle Royale Paris, der Baltischen Philharmonie, dem RSO Wien, den Wiener Symphonikern und der Camerata Bern, wobei er gerne die Konzerte von Bach, Mozart, Haydn, Beethoven, Schumann und Berg interpretiert. Zu seinen Kammermusikpartnern gehören u. a. András Schiff, Sabine Meyer oder Elisabeth Leonskaja. Auch hat er zahlreiche CD-Einspielungen vorgenommen, unter anderem nahezu das gesamte Streichsextettrepertoire. Er war Gastprofessor an der Musikhochschule Graz und Lehrer für Kammermusik an der Wiener Musikhochschule. Von 2000 bis 2009 war Erich Höbarth künstlerischer Leiter der Camerata Bern. Im Jahr 2009 verleiht die Stiftung Geigenbauschule Brienz den Preis „Der Goldene Bogen“ an Erich Höbarth für seine herausragenden Leistungen in der Förderung der Streichinstrumente. Seine Ausdruckskraft, sein inniger Ton und seine große musikalische Reife machen Erich Höbarth zu einem der begehrtesten Musiker unserer Zeit.

Concentus Musicus Wien Der Concentus Musicus wurde 1953 von Nikolaus und Alice Harnoncourt in Wien gegründet und begann seine Arbeit mit einigen Musikern aus den Reihen der Wiener Symphoniker als Spezialensemble für Alte Musik auf Originalinstrumenten. Mehr als vier Jahre lang verbrachten die Musikerinnen und Musiker des Ensembles zunächst ausschließlich mit Proben-


arbeit, bis sie 1957 im Wiener Palais Schwarzenberg erstmals an die Öffentlichkeit traten, wo von da an jährliche Konzertreihen mit dem Concentus Musicus stattfanden. 1963 wurden die ersten Werke für Teldec eingespielt. Etwa zur gleichen Zeit führten Konzertreisen das Ensemble durch ganz Westeuropa. Auf dem Programm standen unter anderem Bachs Brandenburgische Konzerte und österreichische Barockmusik. 1966 unternahmen sie ihre erste Tournee in die Vereinigten Staaten und nach Kanada. 1970 begann der Concentus Musicus Wien mit der Gesamteinspielung der Kantaten von Bach, ein beeindruckendes Projekt, das 1989 abgeschlossen wurde und mit einem Gramophone Award ausgezeichnet wurde. Gleichzeitig wurden die eigenen Konzertreihen im Wiener Musikverein ausgebaut und Werke von Monteverdi, Purcell, Bach, Händel und Mozart eingespielt. Durch diese unzähligen Einspielungen und Konzertreisen ist der Concentus Musicus Wien zum Inbegriff des Musizierens auf historischen Instrumenten geworden. Zur Tradition geworden waren für den Concentus Musicus und Nikolaus Harnoncourt auch die Kirchenkonzerte bei der styriarte in Stainz, die alljährlich neue Begegnungen mit dem fast unerschöpflichen kirchenmusikalischen Repertoire Mozarts und Haydns ermöglichten. Auch bei Opernproduktionen und -einspielungen wirkte das Ensemble unter Harnoncourt regelmäßig in Wien (Theater an der Wien), Graz (styriarte) und Salzburg (Salzburger Festspiele) mit. Die CD-Aufnahmen des Concentus Musicus sind Legion, in ihrer Gesamtheit zu finden auf www.harnoncourt.info. Zuletzt


erschien die bei der styriarte 2015 mitgeschnittene CD mit Beethovens „Missa solemnis“. Als DVD liegt die styriarte Festival Edition „Idomeneo“ aus 2008 auf, bei der Nikolaus Harnoncourt gemeinsam mit seinem Sohn Philipp selber Regie führte. Der Konzertmeister in der Nachfolge von Alice Harnoncourt, die gleichzeitig mit ihrem Mann im Dezember 2015 aus dem Concentus ausgeschieden ist, ist bis heute Erich Höbarth. Und da der familiäre Zusammenhalt der Musiker immer eine wichtige Grundlage des Concentus war, erneuert sich das Ensemble von innen heraus: Aus den eigenen Reihen kommend formt und gestaltet Stefan Gottfried als neuer künstlerischer Leiter zusammen mit Erich Höbarth und Andrea Bischof die Zukunft.

Der Concentus Musicus spielt heute in der Besetzung: Violine: Erich Höbarth (Konzertmeister), Andrea Bischof, Anita Mitterer, Thomas Fheodoroff, Maria Bader-Kubizek, Barbara Klebel-Vock, Veronica Kröner, Annelie Gahl, Irene Troi, Annette Bik, Karl Höffinger, Florian Schönwiese Viola: Ursula Kortschak, Pablo de Pedro, Ulrike Engel Violoncello: Dorothea Schönwiese, Luis Zorita Kontrabass: Brita Bürgschwendtner, Alexandra Dienz Oboe: Hans Peter Westermann, Annette Spehr Fagott: Alberto Grazzi Trompete: Andreas Lackner, Herbert Walser-Breuß, Martin Patscheider Pauke: Dieter Seiler Cembalo: Stefan Gottfried


Klassik, Jazz, Rock, Pop oder Alternative. Leidenschaftliche Musikberichterstattung erÜffnet Perspektiven. Täglich im STANDARD und auf derStandard.at.


Aviso Dienstag, 11. Juli – Helmut List Halle, 20 Uhr

Wassermusik Georg Friedrich Händel: Wassermusik, Suite Nr. 1 in F Georg Philipp Telemann: Hamburger Ebb’ und Fluth Orchestersuite „La Bourse“ (Die Börse) Georg Friedrich Händel: Wassermusik, Suite Nr. 2 in D Concentus Musicus Wien Leitung: Stefan Gottfried, Cembalo Lesung: Michael Dangl

Die wahren Strapazen der Händel’schen „Wassermusik“ bleiben dem Concentus Musicus erspart: Stefan Gottfried und seine Wiener Kollegen müssen nicht auf ein Boot steigen, um den 300. Geburtstag von Händels grandiosesten Orchestertänzen zu feiern. Was am 17. Juli 1717 dem englischen König Georg I. eine Fahrt auf der Themse versüßte, begeistert noch 300 Jahre später jedes Publikum. Weit weniger bekannt ist die hinreißende Wassermusik, die Händels Jugendfreund Telemann für die erlauchte Hafenverwaltung Hamburgs erfand: Antike Gottheiten treiben in der Elbemündung ihr Unwesen, während die „Hamburger Ebb’ und Fluth“ die Wassermassen in Bewegung setzt.


Flotte Bienen, tolle Hechte

Feldhase (Lepus europaeus), Paarung, Foto: Eliane Huber, Naturmuseum Thurgau

SEXperten

Universalmuseum Joanneum

Naturkundemuseum 05. 05. 2017— 07. 01. 2018 Joanneumsviertel, 8010 Graz Di – So 10 – 17 Uhr www.naturkunde.at

Eine Ausstellung des Amtes für Umwelt Liechtensteins und des Liechtensteinischen Landesmuseums


WERNER BERG Mensch und Landschaft

17. Juni bis 27. August 2017 Steirisches Feuerwehrmuseum Kunst & Kultur Marktstraße 1, 8522 Groß St. Florian www.feuerwehrmuseum.at



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