Programmheft Wassermusik

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Dienstag, 11. Juli, 20 Uhr Helmut List Halle

Wassermusik

Georg Friedrich Händel (1685–1759) Wassermusik, Suite Nr. 1 in F, HWV 348 Ouverture: Largo. Allegro Adagio e staccato (Allegro). Andante. Presto Air: Presto Minuet Bourrée: Presto Hornpipe (Allegro)


Georg Philipp Telemann (1681–1767) „Hamburger Ebb’ und Fluth“, Ouvertüre in C, TWV 55:C3 Ouvertüre Sarabande: Die schlaffende Thetis Bourrée: Die erwachende Thetis Loure: Der verliebte Neptunus Gavotte: Die spielenden Najaden Harlequinade: Der scherzende Tritonus Der stürmende Aeolus Menuet: Der angenehme Zephir Gig: Ebbe und Fluth Canarie: Die lustigen Bots-Leute Die gelesenen Texte stammen von Thomas Höft.

Georg Friedrich Händel „Wassermusik“, Suite Nr. 3 in G, HWV 350 (Allegro) Rigaudon: Presto (Allegro) Menuet (Allegro)

Concentus Musicus Wien Leitung: Stefan Gottfried Michael Dangl, Lesung

Georg Philipp Telemann „La Bourse“ (Die Börse), Ouvertüre in B, TWV 55:B11 Ouverture Le repos interrompu (Die unterbrochene Ruhe) La guerre en la paix (Krieg im Frieden) Les Vainqueurs vaincus (Die besiegten Sieger) La Solitude associée (Die gemeinsame Einsamkeit) L’Espérance de Mississippi (Die Mississippi-Hoffnung)

Patronanz:

Programmdauer: Erster Konzertteil: ca. 50 Minuten Pause: ca. 30 Minuten Zweiter Konzertteil: ca. 40 Minuten

Die gelesenen Texte stammen von Thomas Höft. Hörfunk: Freitag, 4. August, 19.30 Uhr, Ö1


Wassermusik Wassertänze

sind

das

Zum Programm Thema

des

Water Musick

Friedrich Händel, 1719 und 1723 von

Fast auf den Tag genau 300 Jahre ist es nun her, dass King George II. in seiner ganzen Machtfülle als King of England, Scotland, Ireland etc. etc. seine Prunkjacht bestieg, um vom Königspalast in Whitehall nach Chelsea zu fahren – gegen die Strömung der Themse, aber ohne getreidelt zu werden. Denn bei Flut ist die Strömung der Nordsee in der breiten Themse stark genug. An jenem 17. Juli 1717 muss wunderschönes Wetter gewesen sein, denn die Themse wimmelte nur so von Booten. Eines davon war ein ganz besonderes: Es tönte. „Neben der Barke des Königs war die der Musiker, 50 an der Zahl“, so berichtete akkurat der preußische Resident nach Berlin: „Sie spielten alle möglichen Instrumente, nämlich Trompeten, Hörner, Oboen, Quer- und Blockflöten, Violinen und Bässe, aber keine Singstimmen. Dieses Konzert war eigens von dem berühmten Händel, einem Hallenser und dem ersten Komponisten der königlichen Musik, komponiert worden. Es fand so allgemeinen Beifall, dass es dreimal wiederholt werden musste, obwohl jede Aufführung eine Stunde dauerte, nämlich zweimal vor und einmal nach dem Souper. Das Wetter an diesem Abend war ganz nach Wunsch, die Zahl der Barken und besonders der Boote, angefüllt mit feiner Gesellschaft, ohne Zahl. Um das Fest noch vollkommener zu machen, ließ Madame von Kilmansegge im Lusthaus des verstorbenen Count Ranelagh am Flussufer in Chelsea ein delikates Souper servieren, wo der König sich bis 1 Uhr nachts aufhielt. Um 3 Uhr brach er auf und war um 4:30 Uhr morgens wieder in den Palast von St. James zurückgekehrt.“

Georg Philipp Telemann.

Weitere Details des Ereignisses konnten die Londoner in der Zeitung „The Daily Courant“ nachlesen: „Am Mittwochabend

Concentus Musicus am heutigen Abend: Tänze auf dem Wasser der Themse, Tänze im Wasser der Elbe, Tänze um das Wasser des Mississippi. Die ersteren sind königlich britisch, die mittleren bürgerlich

hanseatisch,

die

letzteren

angeblich vom „Hype“ des Frankfurter Börsen-Business

getrieben.

Ein

großer

Tanz des Lebens auf dem schwankenden Element, komponiert 1717 von Georg


gegen 8 ging der König in Whitehall an Bord einer offenen Barke, worin sich auch die Herzoginnen von Bolton und New­ castle und weitere erlauchte Gäste befanden, und fuhr flussaufwärts nach Chelsea. Viele andere Barken mit Personen von Stand waren zugegen und eine so große Anzahl Boote, dass der gesamte Fluss bedeckt war. Eine Barke der City Company stand für die Musiker zur Verfügung, worin sich 50 Instrumente aller Arten befanden, die den ganzen Weg von Lambeth an spielten, während die Barken von der Flut ohne Treideln bis nach Chelsea getragen wurden. Sie spielten die schönsten Sinfonien, eigens für diese Gelegenheit von Mr. Hendel komponiert, die seiner Majestät so wohl gefielen, dass er sie auf der Hin- und Rückfahrt insgesamt dreimal durchspielen ließ. Um 11 ging Seine Majestät in Chelsea an Land, wo ein Abendessen gerichtet war. Dann gab es ein weiteres, sehr feines musikalisches Consort, das bis 2 Uhr nachts dauerte, nach welchem Seine Majestät erneut seine Barke bestieg und denselben Weg zurückfuhr, während die Musik ununterbrochen spielte, bis er wieder an Land ging.“

Georg Friedrich und Georg Ludwig Man kann sich die Erschöpfung der Musiker nach diesem nächtlichen Ausflug leicht vorstellen. Händel muss mit an Bord gewesen sein und hatte die Genugtuung, dass sein König die „Water Musick“ immer wieder von vorne hören wollte. Früher verknüpfte man mit diesem Ereignis die angebliche „Versöhnung“ zwischen dem Musiker und dem Monarchen. Denn Georg Friedrich, der Hallenser, sei bei Georg Ludwig, dem Hannoveraner, in Ungnade gefallen, als er sich angeblich viel zu lange in London aufhielt und dadurch seinen Dienst in Hannover vernachlässigte. Nach der englischen Thronbesteigung Georgs 1714 sei dadurch eine peinliche Situation entstanden, von deren Schmach sich Händel erst 1717 mit

der „Wassermusik“ reingewaschen habe. Heute weiß man, dass er mit voller Billigung seines Kurfürsten in London geblieben war. Die „Water Musick“ war also kein Versöhnungsstück, sondern im Gegenteil ein genialer „Marketing-Feldzug“, um den ungeliebten Monarchen aus Niedersachsen, der nicht einmal Englisch sprach, bei den Londonern populärer zu machen. Um ihnen zu imponieren, bestieg er ein Schiff, um sie zu bezirzen, ließ er Händels Musik dazu spielen. Der Erfolg war durchschlagend.

Zwei oder drei Suiten? Händels „Wassermusik“ ist eine gigantische Doppel-Suite in 22 Sätzen – zwei Suiten, nicht drei, wie man früher glaubte. In einem Londoner Archiv konnte Terence Best, der Nestor der englischen Händelforschung, vor wenigen Jahren die bislang älteste Partiturabschrift der „Water Musick“ aufstöbern. Eigentlich nur routinemäßig hatte er in jenem wenig besuchten Archiv nach der Musiksammlung eines englischen Dirigenten aus der Zeit nach Händel gefahndet. Eine freundliche, aber ziemlich verwirrte Dame konnte ihm am Telefon nur sagen: „Actually, we do not really know what we have here.“ Die gleiche Auskunft bekam er vom Archivar, als er dort eintraf. Schließlich bat man ihn, doch selbst in einem bestimmten Schränkchen im Keller nachzusehen, was in der Sammlung des bewussten Dirigenten so alles zu finden sei. Zwischen vielen weitaus dickeren Bänden zog Best einen von außen nicht beschrifteten, schmalen Band im Londoner Partiturformat der Händelzeit hervor, mit einem ihm vertraut scheinenden Einband. Höchst erfreut konnte er feststellen, dass es sich um die lange vermisste früheste Partiturabschrift der „Wassermusik“ handelte. (Händels Autograph ging leider schon früh verloren). Beim Studium des Bändchens stellte sich heraus, dass es die angeblichen drei Suiten in der „Wassermusik“ nie gegeben


hat. Auf die erste Suite für Hörner, Oboen, Fagott und Streicher in F-Dur folgte nämlich nur eine zweite in D-Dur für Trompeten, Hörner, Flöten, Oboen, Fagott und Streicher. Die sanften Sätze der so genannten dritten Suite in G-Dur hat Händel zwischen die Sätze der D-Dur-Suite eingeordnet. Erich Höbarth und Stefan Gottfried folgen in ihrer Version dennoch der herkömmlichen Einteilung. Sie stellen an den Anfang des Konzerts die erste Suite in F-Dur, ans Ende die so genannte dritte Suite in G-Dur.

wie Passepied, Menuet oder Bourrée eingeschoben, sondern auch italienische Konzertsätze im Andante- oder Allegro-Tempo. Die erste Suite enthält einen solchen Konzertsatz in Moll für Oboen, Fagott und Streicher. In vielen Aufnahmen wie auch in unserer Aufführung schließt sie mit diesem Satz, doch tatsächlich schloss sie – wie bei Händel nicht anders zu erwarten – mit dem größten Ohrwurm: der „Horn­ pipe“.

Die so genannte dritte Suite der „Water Musick“ ist wie erwähnt nur ein Auszug aus der prachtvollen zweiten, wo Trompeten und Flöten zu den Oboen, Hörnern und Streichern hinzutreten. Isoliert man die sanften Flötensätze in G-Dur aus dem Zusammenhang der glänzenden Trompetenstücke, geht ein wenig der Kon­ trast verloren. Die G-Dur-Suite wirkt wie eine englische Pastorale, ohne ursprünglich so gemeint zu sein.

Zur Musik Telemann in Hamburg Schon in der ersten Suite der „Water Musick“ hat Händel den „Auftritt“ der Instrumente mit dem sechsten Sinn für Dramatik inszeniert: Hörner, Oboen, Streicher und Fagott werden in genialer Weise zur Schau gestellt, an jenem Julitag 1717 verstärkt durch die Schallübertragung auf der Wasseroberfläche. Nachdem sich die Ouvertüre auf Holzbläser und Streicher beschränkt hat und die erste Oboe ein expressives Adagio anstimmen durfte, wirkt der „Auftritt“ der Hörner umso überraschender und glänzender. Mit einer schmetternden Fanfare reißen sie das ganze Orchester in den Wirbel eines pompösen Allegro hinein. In dessen Mitte schiebt sich unversehens ein zartes

Moll-Andante über „gehenden Bässen“ ins Bild, bevor die Fanfaren der Hörner wiederkehren. Noch eingängiger wirkt das seinerzeit berühmte Menuett dieser Suite, während die Hornpipe eine geniale Huldigung Händels an den „Genius loci“ ist. Im nördlichen England und südlichen Schottland werden bis heute „Hornpipes“ im schweren Dreiertakt getanzt, mit stampfenden Schritten und athletischen Bewegungen der jungen Männer. Nach Purcells Vorbild hat Händel diesen Duktus durch federnde Syn­ kopen über einem „störrischen“ Bass nachgeahmt, und zwar gleich zweimal in seiner „Water Musick“. Nicht nur diese englischen „Country Dances“ hat er zwischen französische Tänze

Für die Elbphilharmonie hätte Georg Philipp Telemann vermutlich nur ein Lächeln übriggehabt. Der gewitzte Magdeburger, den die Hanseaten 1721 zu ihrem Musikdirektor ernannten, führte seine Oratorien zwar auch in einem „Baumhaus“ auf, doch an einen Turmbau zu Babel dachten weder er noch seine Dienstherren, wenn es um Konzerte ging. Dem findigen Organisations- und Orchestergenie genügten 30 Musiker, um die „Admirale“ des Hamburger Hafens bei einem Festmahl zu unterhalten. Die 80 Planstellen einer „Elbphilharmonie“ wären ihm verschwenderisch erschienen. Dennoch war er es, der den philharmonischen Klang nach Hamburg brachte, durch seine wundervollen Orchestersuiten. Die Elbphilharmonie hätte es ohne ihn nie gegeben. Wann also wird vor dem grandiosen Neubau endlich ein Telemann-Denkmal errichtet?


1723 beging die „Admiralität“ des Hamburger Hafens ihre Hundertjahrfeier. In einem festlich geschmückten Saal mit Musikerempore versammelten sich alle Honoratioren, die für den Schiffs- und Zollverkehr im Hafen verantwortlich waren. Telemann hatte den genialen Einfall, dazu das Wasser akustisch in den Festsaal zu holen: Antike Meeresgötter treiben in der Elbe ihr Unwesen. Die Suite hat noch zwei weitere Themen: die Gezeiten und die Winde. Ebbe und Flut bestimmen bis heute den Alltag im Hamburger Hafen, während stürmische Winde den Segelschiffen des 18. Jahrhunderts natürlicherweise mehr ausmachten als den Riesentankern unserer Epoche.

Zur Musik Gleich die Einleitung verwandelt das gängige Modell einer französischen Ouvertüre in ein suggestives Bild von Ebbe und Flut. Im langsamen Teil lassen die Oboen mit endlos langen Tönen die Öde der Ebbe erahnen, untermalt von matten punktierten Rhythmen der Streicher. Im schnellen Mittelteil rauscht die Flut heran: erst zaghaft, dann immer wilder, bis sie das ganze Hafenbecken überschwemmt hat. Am Ende zieht sie sich wieder zurück und überlässt der Ebbe das Feld.

Die neun Tänze der Suite entrollen vor dem Hörer ein mythologisches Panorama des nassen Elements. Antike Meergottheiten des Mittelmeers haben sich in die Elbmündung verirrt. Dort gehen sie ihrem üblichen Geschäft nach: der Liebe. Als Erste erblicken wir die schöne Thetis, die Mutter des Achill, die durch ihre erotischen Reize gleich zwei Götter, Neptun und Jupiter, für sich einnahm. Zunächst ruht sie unter dem sanften Wiegen und Wogen schmeichelnder Flöten-

töne in durchaus erotischer Pose (Sarabande „Die schlaffende Thetis“). Dann erwacht sie und ist gleich ganz Herrscherin des Meeres (Bourrée „Die erwachende Thetis“). In den schwerfälligen Rhythmen einer Loure seufzt der „verliebte Neptunus“ zu hilflos schmachtenden Mollakkorden. Rings um ihn her spielen die jungen, prickelnden Najaden, die vorzugsweise ihre ansehnliche Oberweite aus dem Wasser strecken (Gavotte „Die spielenden Najaden“). Unter sie mischt sich ein rauer Gesell, ein Triton, der Unruhe stiftet. In sein Muschelhorn blasend und auf einem Delphin reitend, stellt er den Najaden nach. Telemann nannte diesen Satz treffend „Harlequinade“: ein Rondeau, dessen Thema in Oboen und Streichern das Tritonshorn imitiert, während die köstlichen Couplets die genialen Wellenritte eines antiken Surfers nachahmen (Celli über gezupften Geigensaiten). Was wäre das Meer ohne die Winde? Die zwei ewigen Widersacher um das Reich der Lüfte treten auf: Aeolus, der cholerische Gott der Sturmwinde, und Zephyrus, der sanfte Gott des Südwestwinds. Wie in Bachs Kantate „Der zufriedengestellte Aeolus“ öffnet Ersterer die Höhle der Winde und lässt der Wut

seiner unfreundlichen Dienerschaft freien Lauf. Sie rauschen in einem atemberaubenden Crescendo heran und versetzen alles um sie her in einen Taumel wirbelnder Tornados (Allegro „Der stürmende Aeolus“). Danach sorgen die Zephirwinde für eine Atempause. In den geordneten Rhythmen eines Menuetts, von einem Flötenpaar schmeichelnd umspielt, bringen sie die Welt wieder in Ordnung. Danach rauscht zum zweiten Mal nach der Ouvertüre die Flut heran. In den wirbelnden Triolen einer italienischen „Giga“ sieht man förmlich die kräuselnden Wasserwirbel, die erst leise sich bilden (Ebbe), um dann alles zu überschwemmen (Flut). Am Ende ziehen sie sich in einem Decrescendo wieder zurück. Das letzte Wort gehört den Hamburger Bootsleuten, jenen einfachen, kernigen Typen mit dem harten Hanseaten-Snack, ohne deren Arbeitskraft die hohen Herren der „Admiralität“ nie hätten ihren Festschmaus genießen können. Daran wurden die Letzteren von Telemann unsanft erinnert, während er den Ersteren ein klingendes Denkmal setzte. Die Melodie seiner „Canarie“ stammt nicht von den kanarischen Inseln, sondern direkt aus dem Hamburger Hafen. Wie so oft hat Telemann dem „Volk aufs Maul geschaut“.


Telemann an der Börse? Am 25. Juni dieses Jahres waren die deutschen Radiosender voll mit telemannischer Musik: Es war der 250. Todestag des Meisters und ein Sonntag. Also legten alle, vom Mitteldeutschen Rundfunk bis zum Hessischen Rundfunk, ihre Sonderprogramme auf, um Telemann jeweils für sich in Anspruch zu nehmen. In Hessen konnte man an diesem Tag kein Stück des Meisters häufiger hören als jene Suite für zwei Oboen, Fagott und Streicher in B-Dur, die von ihrem Herausgeber den Titel „La Bourse“ erhielt, „Die Börse“. Natürlich denkt man sofort an Frankfurt am Main, den Börsenplatz, an dem Telemann von 1712 bis 1721 als Musikdirektor wirkte. Dabei ließ sich Adolf Hoffmann nur vom letzten Satz dieser Suite zu dem Titel inspirieren, den es in Telemanns Autograph überhaupt nicht gibt. Das Finale heißt nämlich „L’Espérance de Mississippi“. Damit spielte Telemann zweifellos auf die Hoffnung an, die so viele Zeitgenossen anno 1719/20 in die Mississippi-Aktien des John Law setzten, wobei unklar bleibt, ob der Zusammenbruch dieser Aktien und der anschließende Börsenkrach schon mitkomponiert sind. Seltsamerweise liegt nämlich das Autograph dieser Suite in Dresden und nicht in Frankfurt. In den vorangehenden Sätzen deutet rein gar nichts darauf hin, dass sie ebenfalls mit jenem Börsenereignis zusammenhängen, im Gegenteil: Sie deuten auf ganz andere Ereignisse der Jahre 1718 und 1719 hin. Während Thomas Höft in seinen schönen Zwischentexten zur heutigen Aufführung die übliche Sichtweise dieser Suite schildert (wohl gemerkt auf der Basis eines nicht von Telemann stammenden Titels), sei hier eine alternative Deutung vorgeschlagen.

Zur Musik Die Ouvertüre hatte Telemann ursprünglich mit einem ganz anderen, viel ruhigeren Fugenthema in der Mitte versehen, strich es aber aus und ersetzte es durch ein nervöses Zucken und Schäumen in Sechzehnteln – was immer sich dahinter verbergen mag. Den zweiten Satz nannte er ursprünglich schlicht „Air avec douceur“. Im wiegenden Sechsachteltakt strahlt die Melodie tatsächlich die reine Süßigkeit aus – solange, bis Telemann auf die Idee kam, im Mittelteil eine wilde Sturmmusik einzufügen. Also strich er den Titel aus und ersetzte ihn durch „Le repos interrompu“ („Die unterbrochene Ruhe“). Am wahrscheinlichsten ist, dass er damit auf den Friedensbruch anspielte, den der spanische König Philipp V. beging, als er im Juli 1718 von seinen Truppen Sizilien überfallen und besetzen ließ. Der daraus entstehende Krieg zwischen Spanien und der Quadrupelallianz aus England, Frankreich, dem Deutschen Reich und den Niederlanden war tatsächlich ein Krieg inmitten des Friedens: „La guerre en

la paix“. Telemann hat ihn in einem kriegerischen Allegro geschildert. Der folgende Passepied spielt auf die Rückgabe der Insel durch die spanischen Sieger an, welche die Quadrupelallianz 1719 erzwang („Les Vainquers vaincus“, „Die besiegten Sieger“). Resultat war die völlige Isolation Spaniens in Europa, mit einem einzigen Verbündeten: dem englischen Exilkönig James Stuart („La Solitude associée“, „Die vereinigte Einsamkeit“). Erst der letzte Satz bringt dann die Spekulationsblase um die Mississippi-Aktien ins Spiel, als Krönung des turbulenten Jahres 1719. In eben diesem Jahr verheiratete in Dresden August der Starke seinen Sohn mit der Habsburgerin Maria Josepha. Was liegt näher als anzunehmen, dass Telemann diese Suite mit ihren politischen Anspielungen zur Unterhaltung der erlauchten Gäste 1719 nach Dresden schickte, wo sie heute noch liegt – weit weg von der Frankfurter Börse. Josef Beheimb


Die Interpreten

Konzerten u. a. im Wiener Musikverein, in der Berliner Philharmonie und beim Lucerne Festival.

Stefan Gottfried, Leitung

Stefan Gottfried ist Professor für Klavier an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien und hält Vorträge zu verschiedenen Aspekten der historischen Aufführungspraxis. 2015 debütierte er als Dirigent an der Wiener Kammeroper mit der Wiederaufführung von Gassmanns „Gli Uccellatori“.

Der gebürtige Wiener studierte an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien Cembalo, Klavier, Komposition und Musikpädagogik sowie Generalbass und historische Tasteninstrumente an der Schola Cantorum Basiliensis, daneben Horn am Konservatorium Wien und Mathematik an der Technischen Universität Wien. Es folgte eine vielfältige internationale Konzerttätigkeit (Cembalo, Hammerklavier und Klavier) als Solist, Kammermusikpartner und Continuospieler in Ensembles mit historischen Instrumenten (u. a. Concentus Musicus Wien, Bach Consort Wien, Wiener Akademie) und modernen Orchestern (u. a. Wiener Philharmoniker und Berliner Philharmoniker unter Dirigenten wie Zubin Mehta, Daniel Harding, Georges Prêtre oder Kent Nagano). Seit 2004 arbeitete Stefan Gottfried regelmäßig mit Nikolaus Harnoncourt zusammen, unter anderem bei dessen Opernproduktionen bei der styriarte (Purcell „Fairy Queen“, Mozart „Idomeneo“, Smetana „Die verkaufte Braut“, Offenbach „Barbe-Bleue“), am Theater an der Wien (Händel „Rodelinda“, Haydn „Orlando paladino“, „Il mondo della luna“, Beethoven „Fidelio“, Strawinski „The Rake’s Progress“ und zuletzt beim Mozart-Da Ponte-Zyklus) und bei den Salzburger Festspielen (Mozart „Le nozze di Figaro“, „Die Zauberflöte“) und bei vielen

Nach dem Rücktritt von Nikolaus Harnoncourt im Dezember 2015 hat Stefan Gottfried gemeinsam mit Erich Höbarth und Andrea Bischof die Leitung des Concentus Musicus Wien übernommen und dirigierte daraufhin am Theater an der Wien, die Concentus-Abonnementkonzerte im Wiener Musikverein und etwa auch das Gedenkkonzert für Nikolaus Harnoncourt in Sankt Georgen.

Michael Dangl, Lesung Der Schauspieler und Autor spielte seine erste Theatervorstellung im Alter von vier Jahren in der Schauspielgruppe „Karawane Salzburg“. Zwei Jahre später begann er, Klavier zu lernen. Mit 18 Jahren wurde Michael Dangl ans Salzburger Landestheater engagiert, danach folgten Engagements in München, Köln, Koblenz und Hamburg. 1998 holte ihn Helmuth Lohner an die Wiener Josefstadt, wo er seither als Protagonist die großen Rollen der Klassik und Moderne spielt. Dangl ist in Hauptrollen regelmäßig bei den Festspielen Reichenau zu sehen und spielte bei den Festspielen in Salzburg und Bregenz.


Er dreht Kino- und TV-Filme, spricht literarische Texte fürs Radio und gestaltet Rezitationsprogramme, wobei ihm die Zusammenarbeit mit Musikern besonders am Herzen liegt. Konzerte hat Dangl mit Gidon Kremer, Nicolas Altstaedt, Paul Gulda, Julius Berger, Milan Turkovi ´c, Maurice Bourgue, mit der Kremerata Baltica, der Camerata Salzburg, der Rheinischen Philharmonie, dem Johann-Strauß-Orchester, dem Klangforum Wien und dem Ensemble Reconsil absolviert. Er tritt regelmäßig bei verschiedenen (Musik-)Festivals auf: Kammermusikfest Lockenhaus, styriarte Graz, Menuhin Festival Gstaad, Festival Sion, Gmundner Festwochen, Kronberg Academy, „Wege durch das Land“, Eckelshausener Musiktage, Augsburger Mozartfest und Bregenzer Festspiele. Besonders die Programme mit Maria Fedotova verbinden seine literarische mit der musikalischen Leidenschaft („Casanova“, „Die Nachtigall“, „7 Minuten vor Weihnachten“).

arbeit, bis sie 1957 im Wiener Palais Schwarzenberg erstmals an die Öffentlichkeit traten, wo von da an jährliche Konzertreihen mit dem Concentus Musicus stattfanden. 1963 wurden die ersten Werke für Teldec eingespielt. Etwa zur gleichen Zeit führten Konzertreisen das Ensemble durch ganz Westeuropa. Auf dem Programm standen unter anderem Bachs Brandenburgische Konzerte und österreichische Barockmusik. 1966 unternahmen sie ihre erste Tournee in die Vereinigten Staaten und nach Kanada.

Der Concentus Musicus wurde 1953 von Nikolaus und Alice Harnoncourt in Wien gegründet und begann seine Arbeit mit einigen Musikern aus den Reihen der Wiener Symphoniker als Spezialensemble für Alte Musik auf Originalinstrumenten.

1970 begann der Concentus Musicus Wien mit der Gesamteinspielung der Kantaten von Bach, ein beeindruckendes Projekt, das 1989 abgeschlossen wurde und mit einem Gramophone Award ausgezeichnet wurde. Gleichzeitig wurden die eigenen Konzertreihen im Wiener Musikverein ausgebaut und Werke von Monteverdi, Purcell, Bach, Händel und Mozart eingespielt. Durch diese unzähligen Einspielungen und Konzertreisen ist der Concentus Musicus Wien zum Inbegriff des Musizierens auf historischen Instrumenten geworden. Zur Tradition geworden waren für den Concentus Musicus und Nikolaus Harnoncourt auch die Kirchenkonzerte bei der styriarte in Stainz, die alljährlich neue Begegnungen mit dem fast unerschöpflichen kirchenmusikalischen Repertoire Mozarts und Haydns ermöglichten. Auch bei Opernproduktionen und -einspielungen wirkte das Ensemble unter Harnoncourt regelmäßig in Wien (Theater an der Wien), Graz (styriarte) und Salzburg (Salzburger Festspiele) mit.

Mehr als vier Jahre lang verbrachten die Musikerinnen und Musiker des Ensembles zunächst ausschließlich mit Proben-

Die CD-Aufnahmen des Concentus Musicus sind Legion, in ihrer Gesamtheit zu finden auf www.harnoncourt.info. Zuletzt

Michael Dangl ist Autor von Theaterstücken und drei Büchern, „Rampenflucht“, „Schöne Aussicht Nr. 16“, „Grado“ (letzteres führte ein dreiviertel Jahr die Bestsellerlisten). 2017/18 spielt er Franz Alt in der Dramatisierung des „Engel mit der Posaune“ im Theater in der Josefstadt, Wien, und den Higgins in „My Fair Lady“ im Staatstheater am Gärtnerplatz, München. Ebendort tritt er in Konzerten mit Konstantin Wecker auf (in Dangls Konzertfassung von Weckers Roman „Der Klang der ungespielten Töne“).

Concentus Musicus Wien


Der Konzertmeister in der Nachfolge von Alice Harnoncourt, die gleichzeitig mit ihrem Mann im Dezember 2015 aus dem Concentus ausgeschieden ist, ist bis heute Erich Höbarth. Und da der familiäre Zusammenhalt der Musiker immer eine wichtige Grundlage des Concentus war, erneuert sich das Ensemble von innen heraus: Aus den eigenen Reihen kommend formt und gestaltet Stefan Gottfried als neuer künstlerischer Leiter zusammen mit Erich Höbarth und Andrea Bischof die Zukunft.

Der Concentus Musicus spielt heute in der Besetzung: Violine: Erich Höbarth (Konzertmeister), Andrea Bischof, Anita Mitterer, Thomas Fheodoroff, Barbara Klebel-Vock, Silvia Iberer, Veronica Kröner, Annelie Gahl, Irene Troi, Annette Bik, Peter Schoberwalter, Editha Fetz Viola: Gertrud Weinmeister, Ursula Kortschak, Pablo de Pedro, Magdalena Fheodoroff Violoncello: Dorothea Schönwiese, Luis Zorita, Ursina Braun Violone: Brita Bürgschwendtner, Alexandra Dienz Flöte: Robert Wolf Blockflöte: Rahel Stoellger, Lydia Graber Oboe: Hans Peter Westermann, Annette Spehr Fagott: Alberto Grazzi Horn: Hector McDonald, Konstantinos Siskos Cembalo: Reinhard Führer

Unbekannter Fotograf, Franz Fauth sen. fotografiert, undatiert, Multimediale Sammlungen/UMJ

erschien die bei der styriarte 2015 mitgeschnittene CD mit Beethovens „Missa solemnis“. Als DVD liegt die styriarte Festival Edition „Idomeneo“ aus 2008 auf, bei der Nikolaus Harnoncourt gemeinsam mit seinem Sohn Philipp selber Regie führte.

Universalmuseum Joanneum

Museum für Geschichte 28. 04. — 08. 10. 2017 Sackstraße 16, 8010 Graz Mi – So 10 – 17 Uhr www.museumfürgeschichte.at

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17. Juni bis 27. August 2017 Steirisches Feuerwehrmuseum Kunst & Kultur Marktstraße 1, 8522 Groß St. Florian www.feuerwehrmuseum.at

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