Die Facetten der Angstlust Angstlust kann in etlichen Lebenssituationen erlebt werden. Im Zuge dieses Artikels hat SUMO es sich zur Aufgabe gemacht, sowohl psychologische als auch kommunikationswissenschaftliche Aspekte dieses Phänomens zu beleuchten. Dazu wurden Gespräche mit dem Medien-, Kinder-, und Jugendpsychologen Christian Gutschi und Kommunikationswissenschaftler Univ.-Prof. Jürgen Grimm geführt. Das ganze Kino hält den Atem an, die Spannung steigt ins Unermessliche. Plötzlich passiert etwas Unerwartetes und alle schreien auf. Danach tritt pure Erleichterung ein und die RezipientInnen fühlen sich befreit. Spannung, Angst, Erschrecken, Neugierde oder auch „Thrill“ – dies sind alles Begriffe, die die Herzen von Horrorfans oder AnhängerInnen ähnlicher Genres höherschlagen lassen. Ein zentrales Element, das zum Genuss solcher Genres führen kann, ist die Angstlust. Laut dem „Online Lexikon für Psychologie und Philosophie“ kann Angstlust nur dann verspürt werden, wenn sich Personen freiwillig einer äußeren oder einer scheinbaren Gefahr aussetzen und stets die Hoffnung haben, dass es am Ende einen guten Ausgang geben würde. Die Kommunikationswissenschafterin Stefania Voigt beschreibt in ihrer 2018 erschienenen Studie „Blut ist süßer als Honig: Angstlust im Horrorfilm im Kontext von Medientheorie und Medienpädagogik“ Angstlust als „komplexe, zugleich antizipierende und rückbezügliche Bewertungsleistung mit prophetischer Struktur“. RezipientInnen, die Angstlust erleben wollen haben laut Voigt eine gewisse Erwartung an die Angstlust-Erfahrung. Das bedeutet, dass sich die RezipientInnen bewusst seien, dass sie Angst erleben werden, dies aber bewusst wollen.
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Anfänge der Angstlust-Theorie Der Psychoanalytiker Michael Balint hat sich bereits Ende der 1950er Jahre mit dem Phänomen auseinandergesetzt. Er beschreibt in seinem Werk „Angstlust und Regression“, dass es zum einen das oknophile und zum anderen das philobatische Verhalten bezüglich des Erlebens von Angstlust gibt. Bei der oknophilen Verhaltensweise geht es darum, dass eine Person das Bedürfnis nach Schutz und Zuneigung hat und sich an etwas oder jemanden klammert, was dieses Bedürfnis befriedigen könne, dennoch ist die permanente Angst vorhanden, diesen Schutz oder
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Thema Die Facetten der Angstlust
diese Zuneigung zu verlieren. Bei der philobatischen Verhaltensweise geht Balint davon aus, dass Personen darauf abzielen, sich von einem gewissen Objekt oder einer Person abzugrenzen. Sowohl bei der oknophilen als auch bei der philobatischen Verhaltensweise sieht Ballint ein und dieselbe Ursache – die Loslösung des „primären Urobjekts“. So sollen beide Verhaltensmuster ein Versuch sein, ein Trauma, das durch die Loslösung der Mutter in der Kindheit ausgelöst wurde, zu überwinden. Psychologische Sichtweise Der Wiener Kinder-, Jugend-, und Medienpsychologe Christan Gutschi unterscheidet im Gespräch mit SUMO zwischen zwei Persönlichkeitstypen. Zum einen gebe es jene Personen, die bewusst nach angstauslösenden Reizen suchen würden, zum anderen gebe es eine Gruppe, die versuchen würde, Angst zu vermeiden oder diese sogar leugnen. Es gebe jedoch noch etliche verschiedene Abstufungen zwischen diesen Extremata. Es hänge vom jeweiligen Charakter eines Menschen, dessen Temperament oder auch von Vorerfahrungen ab, zu welchem Persönlichkeitstyp eine Person zuzuordnen sei. Angst und Lust hätten auf den ersten Blick eine paradoxe Verbindung, bei näherer Betrachtung jedoch ließe sich eine Verbindung erkennen. Angstlust sei keine neue Erscheinung, denn bereits in griechischen Mythen, bei denen beispielsweise die Angst vor den Göttinnen und Göttern thematisiert wird, seien Merkmale der Angstlust vorhanden. Angstlust könne hilfreich sein und dazu dienen, besser mit tatsächlichen Ängsten umzugehen und so eine Angstbewältigungsstrategie entwickelt werden. Es könne der Fall sein, dass Personen mit traumatischen Erlebnissen sich unbewusst ähnlichen Situationen, wie der erlebten TraumaSituation, aussetzen und so versuchen würden diese Traumata zu bewältigen. Gutschi betont auch die Grenzen der Angstlust. So etwa, wenn Angst in